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Armadale

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»Pfarrei zu Boscombe.
Den 2. August.

Mein lieber Midwinter! Gestern fühlte ich mich zum ersten Male seit meiner Krankheit kräftig genug, um die für mich eingelaufenen Briefe zu lesen. Unter ihnen ist einer von Allan, der seit zehn Tagen uneröffnet auf meinem Tische gelegen hat. Er schreibt mir in großer Bekümmerniß daß Differenzen zwischen Ihnen beiden eingetreten sind und daß Sie ihn verlassen haben. »Wenn Sie noch eine Erinnerung an das bewahren, was sich zwischen uns begab, als Sie mir zum ersten Male auf der Insel Man Ihr Herz öffneten, so werden Sie leicht begreifen, wie ich diese traurige Nachricht in sehr ernste Erwägung gezogen habe, und nicht erstaunt sein, daß ich mich heute Morgen aufgerafft habe, um an Sie zu schreiben. Obgleich weit entfernt, zu verzweifeln, darf ich mich doch in meinem Alter keiner zu großen Hoffnung auf Genesung hingeben. Deshalb muß ich die Zeit, die ich noch mein nennen darf, in Ihrem und Allan’s Interesse benutzen.

Ich verlange keine Erklärung der Umstände, die Sie von Ihrem Freunde getrennt haben. Ist meine Meinung von Ihrem Charakter nicht grundfalsch, so ist der einzige Einfluß, der Ihre Trennung von Allan herbeigeführt haben kann, der jenes bösen Geistes des Aberglaubens, welchen ich bereits einmal aus Ihrem Herzen gerissen habe und den ich, so Gott will, noch einmal überwinden will, wenn ich die Kraft besitze, Ihnen in diesem Briefe meine Ansicht darzulegen.

Ich will Ihren Glauben, daß die Sterblichen auf ihrer Pilgerfahrt durch diese Welt oft Gegenstand übernatürlichen Einschreitens seien, nicht bekämpfen, ich kann nicht beweisen, daß Sie Unrecht haben. Und vom biblischen Standpunkte aus muß ich sogar noch weiter gehen und zugeben, daß Sie für Ihren Glauben eine noch höhere als blos menschliche Bürgschaft besitzen, Das Einzige, was ich gar gern erreichen möchte, ist, Sie zu bewegen, daß Sie sich von dem lähmenden Fatalismus des Heiden oder Wilden frei zu machen suchen und die Geheimnisse, die Sie verwirren, sowie die Gefahren, die Sie erschrecken, vom rein christlichen Standpunkte auffassen. Gelingt mir dies, so werde ich Ihr Gemüth von den schauerlichen Zweifeln befreien, die es jetzt bedrücken, und, Sie wieder mit Ihrem Freunde vereinen, um sich nie mehr von ihm zu trennen.

Ich habe keine Gelegenheit, Sie zu sehen und zu befragen, und kann diesen Brief nur an Allan einlegen, damit er ihn Ihnen zusendet, sobald er Ihren gegenwärtigen Aufenthalt erfährt. In der Stellung, in der ich mich Ihnen gegenüber befinde, ist es meine Pflicht, die Sache in dem für Sie günstigsten Lichte zu sehen. Ich will es für ausgemacht annehmen, daß entweder Ihnen oder Allan etwas geschehen ist, was Sie nicht nur in der fatalistischen Ueberzeugung bestärkt, in der Ihr Vater starb, sondern der Warnung, die er Ihnen in seinem Sterbebriefe gesandt, noch eine neue und fürchterlichere Bedeutung beigelegt hat.

Auf diesem gemeinschaftlichen Boden begegne ich Ihnen, indem ich an Ihre höhere Natur und Ihr besseres Urtheil appelliere.

Behalten Sie Ihre gegenwärtige Ueberzeugung, daß die statt gehabten Ereignisse, welcher Art sie auch sein mögen, nicht mit den gewöhnlichen Naturgesetzen zu vereinbaren sind, und fassen Sie Ihre eigene Lage bei dem besten und klarsten Lichte ins Auge, das Ihr Aberglaube darauf werfen kann. Was sind Sie? Ein hilfloses Werkzeug in den Händen des Schicksals. Ohne eine Möglichkeit des Widerstandes sind Sie dazu verdammt, mit verbundenen Augen Elend und Verderben auf einen Mann herabzurufen, mit dem Sie sich in harmloser und dankbarer Weise durch Bande brüderlicher Liebe verbunden haben. Alle moralische Festigkeit Ihres Willens und alle moralische Reinheit Ihrer Bestrebungen vermögen nichts wider den erblichen Drang zum Bösen in Ihnen, welcher durch ein Verbrechen entstanden ist, das Ihr Vater beging, ehe Sie geboren waren. Worin endet dieser Glaube? In der Finsterniß, in der Sie jetzt verloren sind, in den Widersprüchen, die Sie jetzt verwirren, in der starrsinnigen Verzweiflung, durch die der Mensch seine Seele entweiht und zu den Thieren herabsinkt, die da sterben müssen.

Aufgeblickt, mein armer duldender Bruder, aufgeblickt, mein schwer geprüfter, vielgeliebter Freund, erheben Sie die Blicke höher! Begegnen Sie den Zweifeln, die Sie jetzt bestürmen, auf dem gesegneten Felde christlichen Muthes und christlicher Hoffnung, und dann wird Ihr Herz sich wieder Allan zuwenden und Ihr Gemüth wieder Frieden finden. Was auch kommen möge, Gott ist allgütig, Gott ist allweise; natürlich oder übernatürlich Alles kommt durch ihn. Das Geheimnis; des Bösen, das unsere schwachen Geister trübt, der Kummer und Jammer, die uns in diesem armseligen Leben quälen, können die eine große Wahrheit nicht erschüttern, daß das Schicksal des Menschen in den Händen, des Schöpfers ruht, und daß Gottes lieber Sohn starb, um uns Gottes würdiger zu machen. Es gibt nichts Böses, aus dem nach seinen Gesetzen nicht Gutes entstehen kann. Bleiben Sie dem getreu, was Christus Ihnen als die Wahrheit gezeigt hat. Kräftigen Sie in Ihrem Herzen, was auch geschehen mag, die Tugenden der Liebe, der Dankbarkeit, der Geduld und Nachsicht gegen Ihre Mitmenschen und überlassen Sie alles Andere demüthig und vertrauensvoll dem Gotte, der Sie geschaffen, und dem Heilande, der Sie mehr geliebt hat als sein eigenes Leben.

Das ist der Glaube, in dem ich durch Gottes Hilfe und Gnade von meiner Jugend an gelebt habe. Ich bitte Sie inständigst, ich bitte Sie zuversichtlich, machen auch Sie sich ihn zu eigen. Er ist die Triebfeder alles Guten, was ich je gethan, alles Glücks, daß ich je gekannt habe; er erhellt meine Dunkelheit und belebt meine Hoffnung; er tröstet und beruhigt mich auf diesem Lager, auf dem ich entweder Leben oder Tod finden soll, ich weiß nicht, was von beiden. Lassen auch Sie sich durch ihn aufrichten, trösten und erleuchten; er wird Ihnen in Ihrer größten Noth beistehen, wie er mir in meiner Noth beigestanden hat, und wird Ihnen in den Ereignissen, die Sie mit Allan zusammengeführt haben, einen andern Endzweck zeigen als den, welchen Ihr schuldbeladener Vater voraussah. Ich leugne nicht, daß Ihnen schon wunderbare Dinge begegnet sind, und leicht können sich noch wunderbarere ereignen, die ich vielleicht nicht mehr erlebe. Erinnern Sie sich, wenn diese Zeit kommt, daß ich in der entschiedenen Ueberzeugung gestorben, daß Ihr Einfluß aus Allan kein anderer als ein guter ist. Das große göttliche Sühneopfer hat selbst in dieser Welt seine Nachahmer. Ist Allan je von Gefahr bedroht, so werden Sie, dessen Vater seinem Vater das Leben raubte, Sie und kein Anderer der Mann sein, den Gottes Vorsehung dazu ausersehen, ihn zu retten.

Kommen Sie zu mir, wenn ich am Leben bleibe. Kehren Sie zu dem Freunde zurück, der Sie liebt, ob ich lebe oder sterbe. Bis zum Ende aufrichtig der Ihre

Decimus Brock.«

»Sie und kein Anderer werden der Mann sein, den Gottes Vorsehung dazu ausersehen, ihn zu retten!«

Dies die Worte, die mir die innerste Seele erschüttert haben. Dies die Worte, welche mir ein Gefühl verursachen, als ob der Todte sein Grab verlassen habe und seine Hand auf jene Stelle in meinem Herzen legte, wo mein fürchterliches Geheimniß vor allen menschlichen Blicken außer den meinigen verborgen liegt. Ein Theil des Briefes ist bereits in Erfüllung gegangen. Die Gefahr, die er voraussieht, bedroht Armadale schon in diesem Augenblicke, und zwar durch mich!

Wenn die günstigen Umstände, die mich bis hierher getrieben, mich bis zum Ende forttreiben und wenn die letzte irdische Ueberzeugung des alten Mannes eine wahre Prophezeiung ist, so wird Armadale mir entwischen, was ich auch anfangen mag. Und Midwinter wird geopfert werden, damit sein Leben gerettet werde.

Es ist fürchterlich! Es ist unmöglich! Es soll nimmer geschehen! Bei dem bloßen Gedanken daran bebt mir die Hand und sinkt mir das Herz. Ich segne dies Beben, das mich schwach macht! Ich segne das Sinken des Herzens, das mich ohnmächtig macht! Ich segne die Worte in dem Briefe, welche mir jene weichen Gedanken wiedererweckt haben, die mir vor zwei Tagen kamen! Ist es schwer, jetzt, da die Ereignisse mich glatt und sicher immer näher und näher dem Ziele zuführen, die Versuchung zum Weitergehen zu überwinden? Nein! Ist nur eine Möglichkeit vorhanden, daß Midwinter Unheil droht, so reicht die Furcht vor dieser Möglichkeit hin, mich zu bestimmen, um seinetwillen der Versuchung zu widerstehen. Ich habe ihn noch nie so sehr geliebt wie jetzt.

Sonntag, den 10. August. Der Tag vor meiner Hochzeit! Ich schließe und verschließe dieses Buch, um nie wieder darein zu schreiben und es nie wieder zu öffnen.

Ich habe den großen Sieg errungen; ich habe meine eigene Schlechtigkeit zu Boden geworfen. Ich bin unschuldig, ich bin wieder glücklich. Mein Leben! Mein Engel! Wenn Du morgen mein wirst, werde ich in meinem Herzen keinen Gedanken hegen, der nicht auch der Deinige ist!«

Fünftes Kapitel

Die Stunde war neun Uhr früh, der Schauplatz ein Privatzimmer in einem der altmodischen Wirthshäuser, wie man sie noch immer auf der Boroughseite jenseits der Themse findet, das Datum Montag, den 11. August und die Person Mr. Bashwood, der auf eine Aufforderung seines Sohnes nach London gekommen und tags zuvor in dem Wirthshause eingekehrt war.

Noch nie hatte er so jämmerlich alt und hilflos ausgesehen wie jetzt. Das Wechselfieber von Hoffnung und Verzweiflung hatte ihn bis zum Schemen abgezehrt. Die scharfen Ecken seiner Gestalt waren noch schärfer geworden. Die Umrisse seines Gesichts waren zusammengeschrumpft. Sein Anzug wies mit traurigem und auffallendem Nachdruck auf die mit ihm vorgegangene Veränderung hin. In seinem ganzen Leben, selbst in seiner Jugend, hatte er sich nicht gekleidet wie jetzt. Mit einem verzweifelten Entschlusse, nichts unversucht zu lassen, wodurch er einen Eindruck auf Miß Gwilt machen könnte, hatte er seine trübseligen schwarzen Kleider abgelegt und sogar den Muth gefunden, sich mit seiner blauen Atlascravatte zu schmücken. Sein Rock war ein Reitrock von hellgrauem Tuch. Mit rachsüchtiger Schlauheit hatte er ihn nach dem Muster eines Rockes bestellt, den er Allan hatte tragen sehen. Seine Weste war weiß und seine Beinkleider von großgewürfeltem hellem Sommerzeuge. Seine Perrücke war geölt und parfümiert und auf jeder Seite nach vorn gebürstet, um die Runzeln seiner Schläfe zu verbergen. Er war ein Gegenstand, über den man hätte lachen, über den man hätte weinen mögen. Selbst seine Feinde, wenn ein so elendes Geschöpf überhaupt Feinde haben könnte, würden ihm verziehen haben, hätten sie ihn in seinem neuen Anzuge gesehen. Seine Freunde, wenn ihm noch solche geblieben waren, würden weniger um ihn getrauert haben, hätten sie ihn in seinem Sarge gesehen, anstatt in der Verfassung, in welcher er sich jetzt zeigte. Unablässig, ruhelos wanderte er im Zimmer auf und ab. Bald sah er nach seiner Uhr, bald aus dem Fenster, bald auf den wohlbesetzten Frühstückstisch, immer mit dem gleichen erwartungsvollem unruhig fragenden Ausdruck in seinen Blicken. Der Kellner, der die Theemaschine brachte, hörte zum fünfzigsten Male die eine Redeformel, die der unglückselige Mensch heute Morgen aussprechen zu können schien: »Mein Sohn kommt zum Frühstück. Mein Sohn ist sehr eigen. Ich wünsche Alles vom Besten, warme Speisen und kalte Speisen und Thee und Kaffee und alle Zuthaten, Kellner, alle Zuthaten.« Zum fünfzigsten Male wiederholte er jetzt diese Worte, und zum fünfzigsten Male hatte so eben der unerschütterliche Kellner seine begütigende Antwort wiederholt; »Schon gut, Sir; Sie dürfen sich auf mich verlassen«, als sich auf der Treppe gemächliche Schritte vernehmen ließen, die Thür geöffnet ward und der langersehnte Sohn, eine saubere, schwarzlederne Tasche in der Hand, mit der sorglosesten Miene ins Zimmer geschlendert kam.

 

»Bravo, alter Herr!« sagte Bashwood der Jüngere, indem er mit einem höhnischen Lächeln der Ermuthigung das väterliche Costüm betrachtete. »Du kannst jeden Augenblick mit Miß Gwilt Hochzeit halten!«

Der Vater faßte die Hand des Sohnes und suchte auch zu lachen.

»Du bist so munter, Jemmy«, sagte er, sich wie in alten glücklicheren Zeiten des vertraulichen Namens bedienend. »Du warst von Kindheit an immer ein munterer Knabe, mein lieber Sohn. Komm und setze Dich; ich habe Dir ein hübsches Frühstück bestellt. Alles vom Besten! Alles vom Besten! Welch eine Freude es ist, Dich zu sehen! O du meine Güte, welch eine Freude, Dich zu sehen!« Er schwieg und setzte sich am Tische nieder; sein Gesicht glühte von der Anstrengung, die Ungeduld zu bemeistern, die ihn verzehrte. »Erzähle mir Alles von ihr!« sprudelte er heraus, plötzlich jeden Versuch der Selbstbeherrschung aufgebend. »Ich werde sterben, Jemmy, wenn ich noch länger darauf warten muß. Erzähle, erzähle!«

»Alles zu seiner Zeit«, sagte Bashwood der Jüngere, durch die väterliche Ungeduld nicht im mindesten gerührt. »Erst wollen wir das Frühstück und dann die Dame vornehmen. Immer sachte, alter Herr, immer sachte!«

Er legte seine Ledertasche aus einen Stuhl und nahm dann gelassen und lächelnd und ein Liedchen summend seinem Vater gegenüber Platz.

Einem gewöhnlichen Beobachter würde es nicht gelungen sein, den Charakter des jüngeren Bashwood in dessen Gesichte zu lesen. Sein jugendliches Aussehen, das durch sein helles Haar und sein rundes, bartloses Gesicht noch erhöht wurde, sein unbefangenes Wesen und stets bereites Lächeln, seine Augen, die den Augen derer, die mit ihm sprachen, stets furchtlos begegneten, Alles trug dazu bei, daß er im Allgemeinen einen günstigen Eindruck machte. Unter zehntausenden wäre es vielleicht nur einem charakterlesenden Auge gelungen, die glatte falsche Außenseite dieses Mannes zu durchdringen und ihn als das zu erkennen, was er wirklich war, als das niedrige Geschöpf, welches das noch niedrigere Bedürfniß der Gesellschaft zu seinem Dienste ausgebildet hatte. Da saß er, der geheime Spion unserer Tage, dessen Beschäftigung und dessen geheime Nachfragecomptoirs beständig im Zunehmen sind. Da saß er, der nothwendige Spürhund, wie er dem Fortschritt unserer nationalen Civilisation angehört; ein Mann, der in diesem Falle wenigstens das rechtmäßige und verständliche Produkt des Berufs war, der ihn beschäftigte; ein Mann, der in diesem Berufe auf den leisesten Verdacht hin, wenn dieser leiseste Verdacht ihn nur bezahlte, unter unsere Betten gekrochen wäre, durch Löcher gespäht hätte, die er in unsere Thüren gebohrt; ein Mann, der seinem Herrn nutzlos gewesen, hätte er in Gegenwart seines Vaters die mindeste Regung menschlicher Theilnahme empfinden können, und der verdientermaßen seine Stelle verloren haben würde, wenn er sich unter irgend welchen Verhältnissen einem Gefühle des Mitleids oder der Scham zugänglich erwiesen hätte.

»Immer sachte, alter Herr«, wiederholte er, indem er rings um den Tisch. herum die Schüsseldeckel abhob und unter dieselben sah. »Immer sachte!«

»Werde mir nicht böse, Jemmy«, bat der Vater. »Suche, wenn es Dir möglich, Dir eine Vorstellung von meiner Spannung zu machen. Ich erhielt Deinen Brief schon gestern Morgen. Nachdem er mich benachrichtigt, daß Du entdeckt habest, wer sie sei, und Du dann weiter nichts hinzufügst, habe ich die ganze Reise von Thorpe-Ambrose hierher machen und den ganzen langen fürchterlichen Abend und die ganze lange fürchterliche Nacht in dieser Erwartung durchleben müssen. Die Ungewißheit ist für Leute von meinen Jahren sehr schwer zu ertragen. Was hat Dich abgehalten, gestern Abend, nach meiner Ankunft, zu mir zu kommen, mein Sohn?«

»Ein kleines Diner in Richmond«, sagte der jüngere Bashwood. »Gib mir eine Tasse Thee.«

Mr. Bashwood versuchte der Forderung Folge zu leisten, aber die Hand, mit der er die Theekanne aufhob, zitterte so heftig, daß er fehl goß und den Thee aufs Tischtuch verschüttete. »Es thut mir sehr leid, aber ich kann mich des Zitterns nicht erwehren, wenn ich in großer Aufregung bin«, sagte der alte Mann, als sein Sohn ihm die Theekanne aus der Hand nahm. »Ich fürchte, Jemmy, Du trägst mir das bei meinem letzten Besuch in London Geschehene noch immer nach. Ich gebe zu, daß ich in meiner Weigerung, nach Thorpe-Ambrose zurückzukehren, halsstarrig und unvernünftig war. Jetzt aber bin ich verständiger. Du hattest vollkommen Recht, die Sache ganz auf Dich zu nehmen, sowie ich Dir die verschleierte Dame zeigte, die wir aus dem Hotel kommen sahen, und ebenso Recht, als Du mich zu meinen Geschäften in Thorpe-Ambrose zurückschicktest.« Er beobachtete die Wirkung dieser Zugeständnisse auf seinen Sohn und wagte dann zagend abermals eine Bitte. »Wenn Du mir eben jetzt weiter nichts sagen willst«, sprach er mit schwacher Stimme, »so – so sage mir wenigstens, wie Du sie gefunden hast. Bitte, Jemmy, bitte!«

Bashwood der Jüngere blickte von seinem Teller auf. »Das will ich Dir sagen«, erwiderte er. »Die Geschichte mit Miß Gwilt hat mehr Zeit und Geld gekostet, als ich erwartet hatte, und je eher wir diesen Theil des Geschäfts abmachen, desto eher können wir dann zu dem kommen, was Du zu wissen wünschest.«

Ohne ein Wort der Gegenrede legte der Vater sein schmutziges altes Taschenbuch und seine Börse vor seinem Sohne auf den Tisch. Bashwood der Jüngere sah in die Börse, bemerkte mit verachtungsvollem Stirnrunzeln, daß sie nicht mehr als einen Sovereign und etwas Silbergeld enthielt, und gab sie unberührt wieder zurück. In dem Taschenbuche, das er dann zunächst öffnete, befanden sich vier Fünfpfundnoten. Bashwood der Jüngere nahm drei derselben unter seine eigene persönliche Obhut und überreichte dann mit einer Verbeugung spöttischer Dankbarkeit und Achtung seinem Vater das Taschenbuch.

»Tausend Dank«, sagte er. »Ein Theil davon kommt den Leuten auf unserm Comptoir zu und der Ueberschuß ist für mich. Eine der wenigen Dummheiten, mein werther Herr Vater, die ich in meinem Leben begangen, war die, daß ich, als Du mich zu Rathe zogst, erwiderte, meine Dienste könntest Du gratis haben. Wie Du siehst, beeile ich mich, diesen Irrthum wieder gut zu machen. Eine Stunde hier und dort war ich gern bereit, Dir zu opfern. Aber diese Geschichte hat Tage in Anspruch genommen und andere Geschäfte in den Hintergrund gedrängt. Ich sagte Dir, ich könne durch Dich nicht verlieren, ich schrieb Dir? in meinem Briefe so deutlich, wie Worte es nur auszudrücken vermögen.«

»Ja, ja, Jemmy. Ich beklage mich nicht, mein Sohn, ich beklage mich nicht. Sprich nicht von dem Gelde, erzähle mir, wie Du sie fandest.«

»Außerdem«, fuhr Bashwood der Jüngere unerschütterlich in seiner Rechtfertigung fort, »habe ich Dir den Vortheil meiner Erfahrung zukommen lassen, ich habe es wohlfeil ausgerichtet. Hätte ein Anderer die Sache in die Hand genommen, so würde es Dich das Doppelte gekostet haben. Ein Anderer würde Mr. Armadale ebenso wohl als Miß Gwilt beobachtet haben. Diese Ausgabe habe ich Dir erspart. Du hast die Gewißheit, daß Mr. Armadale entschlossen ist, sie zu heirathen. Sehr gut. In diesem Falle wissen wir, solange wir sie im Auge behalten, in aller Wirklichkeit auch, wo er zu finden ist. Sobald man weiß, wo die Dame steckt, weiß man auch, daß der Herr nicht fern sein kann.«

»Sehr wahr, Jemmy. Aber wie kam es, daß Miß Gwilt Euch so viel Mühe machte?«

»Sie ist ein verwünscht schlaues Frauenzimmer«, sagte der jüngere Bashwood; »das war der Grund. Sie entschlüpfte uns in einem Modegeschäft. Wir kamen mit der Schneiderin überein und verließen uns darauf, daß sie wiederkommen werde, um das Kleid anzuprobieren, welches sie dort bestellt hatte. In neun Fällen von zehn verlieren selbst die pfiffigsten Weiber den Kopf, wenn sich’s um ein Kleid handelt, und selbst Miß Gwilt war unvorsichtig genug, wiederzukommen. Dies war Alles, was wir wollten. Eins der Frauenzimmer von unserm Comptoir half beim Anprobieren des neuen Kleides und brachte sie dabei in die richtige Stellung, daß sie von einem unserer Leute hinter der Glasthür gesehen werden konnte. Nach dein, was ihm über sie mitgetheilt worden war, schloß er augenblicklich, wer sie sei, denn sie ist in ihrer Art eine berühmte Person. Darauf verließen wir uns aber natürlich nicht. Wir folgten ihr nach ihrer neuen Wohnung und ließen einen Mann von Scotland-Yard kommen, der sie erkennen mußte, wenn unser Mann hinsichtlich ihrer Identität Recht hatte. Der Mann von Scotland-Yard verwandelte sich für diese Gelegenheit in den Kleiderausträger der Schneiderin und brachte ihr das Kleid. Er sah sie im Gange und erkannte sie auf der Stelle. Du hast Glück, denn ich sage Dir, Miß Gwilt ist ein öffentlicher Charakter. Hätten wir es mit einem weniger bekannten Frauenzimmer zu thun gehabt, so dürfte es uns wochenlange Nachforschungen und Dich Hunderte von Pfunden gekostet haben. Bei Miß Gwilt war ein Tag ausreichend, und ein zweiter Tag lieferte mir ihre ganze Lebensgeschichte Schwarz auf Weiß in die Hände. Da liegt sie jetzt in meiner schwarzen Handtasche, alter Herr.«

Bashwood’s Vater eilte mit gierigen Augen und ausgestreckten Händen auf die Tasche zu. Der Sohn nahm einen kleinen Schlüssel aus der Westentasche, blinzte mit den Augen, schüttelte den Kopf und steckte den Schlüssel wieder ein.

»Ich bin noch nicht mit dem Frühstück fertig«, sagte er. »Immer sachte, mein werther Herr, immer sachte!«

»Ich kann nicht warten!« rief der alte Mann mit vergeblichem Ringen nach Selbstbeherrschung. »Schon neun Uhr vorbei! Heute sind es vierzehn Tage, seit sie mit Mr. Armadale nach London fuhr! Sie kann in vierzehn Tagen mit ihm verheirathet sein! Vielleicht verheirathet sie sich heute Morgen mit ihm! Ich kann, nicht warten!«

»Man weiß nie, was man kann, bis man’s versucht«, erwiderte Bashwood der Jüngere. »Versuch’s, und Du wirst finden, daß Du dennoch warten kannst. Was ist aus Deiner Neugierde geworden?« fuhr er das Feuer schürend fort. »Warum fragst Du mich nicht, was ich damit sagen will, wenn ich behaupte, daß Miß Gwilt ein öffentlicher Charakter ist? Warum drückst Du mir nicht Deine Verwunderung darüber aus, daß ich ihrer Lebensgeschichte Schwarz auf Weiß habhaft geworden? Wenn Du Dich wieder niedersetzen willst, sollst Du’s erfahren. Wo nicht, so will ich mich ausschließlich meinem Frühstück widmen.«

Mr. Bashwood seufzte tief und kehrte an seinen Platz zurück.

»Ich wollte, Du scherztest nicht so gern, Jemmy«, sagte er; »ich wollte, mein lieber Sohn, Du wärest kein solcher Spaßvogel.«

»Scherzen?« wiederholte der Sohn. »Ich kann Dir sagen, daß manche Leute die Sache ernst genug finden würden. Miß Gwilt ist im Verhör gewesen, wo es sich um ihr Leben handelte, und die Papiere in der schwarzen Tasche da enthalten die Instrutionen des Anwalts für die Vertheidigung. Nennst Du das etwa einen Scherz?«

 

Der Vater sprang auf und blickte dem Sohne mit einem frohlockenden Lächeln ins Gesicht, das schauerlich anzusehen war.

»Sie ist auf Leben und Tod in Untersuchung gewesen!« rief er mit einem tiefen Athemzuge der Zufriedenheit aus. »Auf Leben und Tod in Untersuchung!« Er brach in ein langes Gelächter aus und schlug frohlockend mit den Fingern ein Schnippchen. »Ha, ha, ha! Darin ist allerdings etwas, das Mr. Armadale stutzig machen dürfte!«

Obgleich ein ausgefeimter Schurke, war doch der Sohn über diesen Ausbruch verhaltener Leidenschaft fast erschrocken.

»Rege Dich nicht aus«, sagte er nicht mehr spöttisch, sondern mürrisch.

Mr. Bashwood setzte sich wieder nieder und fuhr sich mit dem Taschentuche über die Stirn. »Nein«, sagte er, seinem Sohne zunickend und zulächelnd, »nein, nein, keine Aufregung, wie Du sagst, ich kann jetzt warten, Jemmy, ich kann warten.«

Er wartete mit unerschütterlicher Geduld; Von Zeit zu Zeit nickte er und lächelte und flüsterte vor sich hin: »Darin ist allerdings etwas, das Mr. Armadale stutzig machen kann!« Aber weder durch Worte noch Mienen oder Geberden machte er einen weitern Versuch, seinen Sohn zur Eile anzutreiben.

Bashwood der Jüngere beendete sein Frühstück aus reiner Großthuerei langsam, brannte eine Cigarre an und beobachtete seinen Vater. Endlich öffnete er, da er den alten Mann noch immer geduldig warten sah, die schwarze Ledertasche und legte die Papiere auf dem Tische auseinander.

»Wie willst Du’s hören?« fragte er. »Lang oder kurz? Ich habe ihre ganze Lebensgeschichte hier. Der Anwalt, der sie beim Verhör vertheidigte, war instruirt, das Mitleid der Geschworenen zu bearbeiten; er stürzte sich kopfüber in das Elend ihrer frühem Laufbahn und erfüllte durch seine Kunst alle Anwesenden mit Schauder. Soll ich es ebenso machen? Willst Du Alles von ihr hören, von der Zeit an, wo sie kurze Kleidchen und Höschen trug? Oder ziehst Du es vor, sie sogleich als Angeklagte vor den Schranken zu erblicken?«

»Alles will ich von ihr wissen«, sagte der Vater eifrig. »Das Schlimmste und das Beste, namentlich aber das Schlimmste. Schone mich nicht, Jemmy! Darf ich mir die Papiere nicht selbst ansehen?«

Nein, das kannst Du nicht. Sie würden für Dich lauter Griechisch und Hebräisch sein. Danke Du den Sternen, daß Du einen gescheidten Sohn hast, der diesen Papieren das Mark entnehmen und es dann richtig gewürzt zu servieren versteht. Keine zehn Personen gibt’s in England, welche Dir die Geschichte dieses Frauenzimmers so erzählen könnten, wie ich Dir dieselbe erzählen kann. Das ist ein Talent, alter Herr, wie es nur Wenigen zu Theil wird, und es wohnt hier.«

Er klopfte sich hierbei keck an die Stirn und wandte sich mit unverstelltem Triumph über die Aussicht, seine Klugheit produciren zu können, was beiläufig der erste Ausdruck von Gefühl war, den er bisher verrathen, zur ersten Seite des vor ihm liegenden Manuscripts.

»Mit? Gwilt’s Lebensgeschichte«, hob Bashwood der Jüngere an, »beginnt auf dem Marktplatze von Thorpei-Ambrose. Vor etwa einem Vierteljahrhundert kam eines Tages ein fahrender Quacksalber, der; sowohl mit wohlriechenden Wassern als mit Medicin handelte, mit seinem Karren in der Stadt an und stellte als ein lebendiges Beispiel der Vortrefflichkeit seines Haaröls und dergleichen ein hübsches kleines Mädchen mit wundervollem Haar und einer blendenden Hautfarbe vor. Sein Name war Oldershow. Er hatte eine Frau, die ihm im Parfümeriezweige des Geschäfts assistierte und dieses nach seinem Tode allein fortsetzte Sie hat sich seitdem in der Welt emporgeschwungen und ist dieselbe schlaue alte Dame, die sich vor kurzem meiner in meiner amtlichen Eigenschaft bediente. Was das hübsche kleine Mädchen anlangt, so weißt Du ebenso gut wie ich, wer dasselbe war. Während der Wunderdoctor dem Volke Reden hielt und ihm das Haar des Kindes zeigte, kam eine junge Dame über den Marktplatz gefahren; sie ließ halten, um zu erfahren, was es dort gebe, und faßte augenblicklich eine große Vorliebe für das kleine Mädchen Diese junge Dame war die Tochter von Mr. Blanchard auf Thorpe-Ambrose. Sie fuhr heim und erweckte das Interesse ihres Vaters für das unschuldige kleine Opfer des Quacksalbers. Am nämlichen Abende wurden die Oldershaws nach dem Herrnhause beschieden und über das Kind befragt. Sie erklärten sich für dessen Onkel und Tante, was natürlich eine Lüge war, und waren mit Vergnügen bereit, das Mädchen die Dorfschule besuchen zu lassen, solange sie sich in Thorpe-Ambrose aufhielten. Das wurde denn auch schon am folgenden Tagen ins Werk gesetzt, und tags darauf waren die Oldershaws verschwunden und hatten das Kind der Obhut des Squire überlassen! Offenbar hatte die Kleine in ihrer Eigenschaft als lebendige Reclame ihren Erwartungen nicht entsprochen, und sie entschlossen sich darum, sie auf diese Art zu versorgen. Da hast Du den ersten Act der Komödie! Bis hierher klar genug, nicht wahr?«

»Klar genug, Jemmy, für gescheidte Leute. Aber ich bin alt und langsam im Begreifen. Eins verstehe ich nicht. «Wessen Kind war sie?«

»Eine sehr verständige Frage. Bedaure aber, Dir sagen zu müssen, daß Niemand, Miß Gwilt selbst mit eingeschlossen, diese Frage beantworten kann. Die Instructionem auf die ich mich hier beziehe, sind natürlich auf ihre eigenen Angaben begründet und von ihrem Anwalte gesichtet worden. Alles, dessen sie sich zu erinnern vermochte, war, daß sie irgendwo auf dem Lande bei einer Frau, welche Kinder zur Pflege aufnahm, gehungert hatte und geprügelt worden war. Diese Frau besaß eine Karte, auf welcher angegeben war, daß das Mädchen Lydia Gwilt heiße, und erhielt durch die Vermittelung eines Advocaten alljährlich eine Summe Geldes für die Erziehung des Kindes, bis dieses acht Jahre alt war. Dann hörte die Zahlung plötzlich auf; der Advocat konnte dafür keinerlei Erklärung geben; Niemand kam, sich nach dem Mädchen umzusehen, und kein Mensch bekümmerte sich auch schriftlich um sie. Die Oldershaws sahen sie und meinten, sie dürfe sich wohl zu einer Reclame für sie eignen; die Frau überließ sie ihnen um eine Kleinigkeit, und Oldershaws ihrerseits überließen sie ganz und gar dem Blanchard. Dies die Geschichte ihrer Geburt, Herkunft und Erziehung! Sie kann ebenso gut die Tochter eines Herzogs wie die Tochter eines Trödlers sein. Entweder sind die Verhältnisse dabei höchst romantisch oder höchst alltäglich. Denke Dir, was Du willst, und thue Deiner Phantasie keinen Zwang an. Bist Du aber mit Deinen Phantasien fertig, so sprich, damit ich dann umblättere und fortfahre.«

»Bitte, fahre fort, Jemmy!«

»Miß Gwilt’s nächstes Auftreten«, fuhr Bashwood der Jüngere fort, indem er in seinen Papieren blätterte, »gewährt einen Blick in ein Familiengeheimniß. Das verlassene Kind hatte endlich Glück gehabt. Es hatte die Gunst einer liebenswürdigen jungen Dame mit einem reichen Vater gewonnen und ward in der Eigenschaft von Miß Blanchard’s neuem Spielzeuge im Herrnhause gehätschelt. Nicht lange darauf reiste Mr. Blanchard mit seiner Tochter ins Ausland und letztere nahm das kleine Mädchen als ihre Kammerjungfer mit. Als sie wieder heimkehrten, war die Tochter inzwischen Gattin und Wittwe geworden, und das hübsche kleine Mädchen taucht, anstatt ihre Gebieterin nach Thorpe-Ambrose zu begleiten, plötzlich ganz allein als Zögling einer Pensionsanstalt in Frankreich auf. Dort war sie in einem Pensionat ersten Ranges, wo für ihren Unterhalt und ihre Erziehung gesorgt wurde, bis sie sich verheirathen oder anderweitig im Leben etablieren würde, indeß unter der Bedingung, daß sie niemals nach England zurückkehre. Dies waren alle Details, welche sie dem Advocaten geben wollte, welcher diese Mittheilungen aufsetzte. Sie wollte durchaus nicht sagen, was auf dem Continent geschehen war, wollte nach all den Jahren, die inzwischen verstrichen, nicht einmal den Namen des Gatten ihrer Herrin angeben. Natürlich ist vollkommen klar, daß sie im Besitz irgend eines Familiengeheimnisses war, und daß die Blanchards für ihre Erziehung im Auslande bezahlten, um sie fern zu halten. Ebenso ist klar, daß sie dieses Geheimniß nicht bewahrt haben würde, wie sie es that, hätte sie nicht eingesehen, daß sie künftig einmal damit schachern könne. Ein schlaues Weib, wie ich Dir bereits gesagt habe! Ein verwünscht schlaues Weib, das sich nicht umsonst in der Welt herumgeschlagen und daheim wie im Auslande mit den Licht- und Schattenseiten des Lebens vertraut geworden ist!«