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»Ja, ja, Jemmy, sehr wahr. Wie lange ist sie in jener Schule in Frankreich geblieben?«

Bashwood der Jüngere wandte sich zu seinen Papieren.

»Sie blieb in der französischen Schule«, erwiderte er, »bis zu ihrem siebzehnten Jahre. Um jene Zeit begab sich etwas in der Schule, was hier gelind als etwas Unangenehmes bezeichnet wird. Die einfache Thatsache aber war die, daß der Musiklehrer der Pension sich heftig in Miß Gwilt verliebte. Er war ein repectabler Mann in mittleren Jahren mit Frau und Kindern, und da er sah, daß die Sache für ihn völlig hoffnungslos war, nahm er eine Pistole und versuchte, in der übermüthigen Voraussetzung daß er Gehirn im Kopfe trage, dies durch eine Kugel zu vernichten. Die Aerzte retteten ihm jedoch das Leben, nicht aber seine Vernunft, und er endete, wo er eigentlich hätte anfangen sollen, im Irrenhause. Da Miß Gwilt’s Schönheit zu diesem skandalösen Ereigniß den Anlaß gegeben hatte, war es, obgleich es sich herausstellte, daß sie bei der ganzen Geschichte durchaus kein Tadel traf, natürlich unmöglich, sie nach dem Vorfall noch länger in dem Pensionat zu lassen. Man schrieb an ihre Gönner, die Blanchards, und diese versetzten sie nach einem andern Pensionat, diesmal in Brüssel. Worüber seufzest Du? Wo fehlt Dir’s jetzt?«

»Ich kann nicht umhin, für den armen Musiklehrer zu fühlen, Jemmy. Fahre fort!«

»Nach ihrer eigenen Angabe scheint Miß Gwilt auch für ihn gefühlt zu haben, Väterchen. Sie wandte sich einer ernsten Richtung zu und ward von der Dame, unter deren Obhut man sie gestellt hatte, bis sie nach Brüssel gehen sollte, bekehrt, wie man’s nennt. Der Pfaffe in dem belgischen Pensionat scheint ein Mann von einigem Verstande gewesen zu sein und gesehen zu haben, daß die Gefühle des Mädchens sich in einem gefährlich aufgeregten Zustande befanden. Ehe es ihm jedoch gelang, sie zu beruhigen, ward er krank, und ein anderer Pfaffe, ein Fanatiker trat an seine Stelle. Das Interesse, das er an dem Mädchen nahm, und die Art und Weise, in der er auf dessen Gefühle einwirkte, wirft Du begreifen, wenn ich Dir sage, daß sie, nachdem sie fast zwei Jahre in dem Pensionat zugebracht hatte, ihren Entschluß ankündigte, ins Kloster zu gehen! Mache immer große Augen! Miß Gwilt in der Rolle einer Nonne ist eine Art weiblichen Phänomens, wie man es nicht oft sieht. Die Weiber sind wunderbare Geschöpfe.«

»Ist sie ins Kloster gegangen?« fragte Mr. Bashwood. »Ließ man sie, die so freundlos und so jung war und Niemand hatte, der ihr guten Rath geben konnte, ins Kloster gehen?«

»Der Form wegen wurden Blanchards zu Rathe gezogen«, fuhr Bashwood der Jüngere fort. »Sie hatten, wie Du leicht begreifen wirst, nichts dagegen einzuwenden, daß sie sich in ein Kloster einsperrte. Ich stehe dafür, der angenehmste Brief, den sie je von ihr erhielten, war der, in dem sie auf immer in dieser Welt feierlich von ihnen Abschied nahm. Die Klosterleute waren so vorsichtig wie immer, sie compromittirten sich nicht. Ihre Vorschriften gestatteten nicht, daß Miß Gwilt den Schleier nähme, bis sie das Leben bei ihnen zuvor auf ein Jahr und dann, wenn sie noch irgend welche Zweifel hätte, auf ein zweites Jahr versucht hätte. Demnach versuchte sie es auf ein Jahr und – zweifelte. Sie versuchte es ein zweites Jahr und war dann gescheidt genug geworden, ohne ferneres Zögern davon abzustehen. Wieder in Freiheit, sah sie sich in ziemlich unangenehmer Lage. Die Schwestern im Kloster hatten ihr Interesse für sie verloren; die Oberlehrerin wollte sie nicht als Gehilfin annehmen, weil sie zu hübsch für die Stelle sei; der Pfaffe aber erklärte sie als vom Teufel besessen. So blieb nichts weiter übrig, als nochmals an Blanchards zu schreiben und sie zu bitten, sie noch einmal als Privatmusiklehrerin zu etablieren. Ihre frühere Herrin hatte an der Aufrichtigkeit ihres Entschlusses, Nonne zu werden, offenbar von vornherein gezweifelt, und die Gelegenheit, die sich durch jenen Abschiedsbrief von vor drei Jahren bot, benutzt, allen Verkehr mit ihrer ehemaligen Kammerjungfer abzubrechen. Miß Gwilt erhielt ihren Brief durch die Post zurückgesandt. Sie zog Erkundigungen ein und erfuhr, daß Mr. Blanchard todt sei und seine Tochter das Herrnhaus verlassen habe, um sich an einen unbekannten Ort zurückzuziehen. Ihr nächstes Unternehmen war nun ein Schreiben an den Erben, welcher die Güter besaß. Dieser Brief ward von dessen Sachwalter beantwortet und enthielt die Meldung, daß er beauftragt sei, gerichtlich gegen sie einzuschreiten, sowie sie versuche, von irgend einem Mitgliede der Familie zu Thorpe-Ambrose Geld zu erpressen. Ihre letzte Hoffnung bestand darin, den Namen des Ortes zu erfahren, wo ihre ehemalige Herrin in Zurückgezogenheit lebte. Der Banquier der Familie, an den sie deshalb schrieb, erwiderte ihr, er habe die Weisung erhalten, Niemand die Adresse der Dame zu geben, wenn er nicht zuvor von der Dame selbst dazu ermächtigt worden sei. Dieser letzte Brief machte der Sache ein Ende, Miß Gwilt konnte nichts weiter thun. Hätte ihr Geld zu Gebote gestanden, so hätte sie nach England reisen und Blanchards zu verstehen geben können, wie wenig rathsam es für sie sei, die Sache zu weit zu treiben. Da sie’ aber über keinen Heller zu verfügen hatte, war sie hilflos Du wirst Dich vielleicht wundern, wie sie, ohne Geld und ohne Freunde, während dieser Correspondenzen existieren konnte. Sie fand ihren Unterhalt dadurch, daß sie in einem Concertsaale niederer Sorte in Brüssel Klavier spielte. Natürlich belagerten sie die Männer von allen Seiten, aber sie war unempfindlich wie Diamant. Einer dieser abgewiesenen Herren war ein Russe, und dieser machte sie mit einer seiner Landsmänninnen bekannt, deren Namen fremden Lippen unaussprechlich ist. Geben wir ihr ihren Titel und nennen sie die Baronin. Beide Frauen gefielen einander, als sie sich vorgestellt wurden, und ein neues Leben erschloß sich Miß Gwilt. Sie ward die Vorleserin und Gesellschafterin der Baronin. Aus der Oberfläche war Alles glatt und eben, darunter Alles faul und häßlich.«

»Wie so, Jemmy? Bitte, warte einen Augenblick und sage mir, wie so?«

»Folgendermaßen. Die Baronin liebte das Reisen und hatte einen ausgewählten Kreis von Freunden um sich, die diesen ihren Geschmack theilten. Man reiste von einer Stadt des Continents nach der andern und als charmante Leute fand man überall neue Bekanntschaften. Die Bekanntschaften wurden zu den Gesellschaften der Baronin eingeladen, unter deren Möbeln der Kartentisch niemals fehlte. Begreifst Du jetzt, oder muß ich Dir im strengsten Vertrauen erzählen, daß das Kartenspiel in diesen Gesellschaften nicht als sündlich galt und daß es sich am Schlusse jedes Abends herausstellte, wie das Glück auf der Seite der Baronin und ihrer Freunde gewesen war? Allesammt waren sie Schwindler, und was Du auch darüber denkst, ich zweifle nicht im mindesten, daß Miß Gwilt’s Aussehen und Wesen sie zu einem schätzbaren Lockvogel für die Gesellschaft machten. Ihrer eigenen Angabe nach befand sie sich in völliger Unwissenheit über das, was in Wirklichkeit vorging; sie hatte ganz und gar keine Kenntniß vom Kartenspielen, besaß in der ganzen Welt keine einzige achtbare Bekanntschaft und fühlte eine wirkliche Zuneigung zur Baronin, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Baronin von Anfang bis zu Ende ihr eine wirklich gute Freundin war. Du kannst dies glauben oder nicht, ganz wie Dir’s beliebt. Fünf Jahre reiste sie mit diesen Gaunern auf dem ganzen Continente umher und gehörte vielleicht noch jetzt ihrer Gesellschaft an, wäre in Neapel die Baronin nicht an den unrechten Mann gerathen, an einen reichen reisenden Engländer Namens Waldron. Aha! Der Name überrascht Dich, nicht wahr? Wie alle Welt hast Du den Proceß der berüchtigten Mrs. Waldron gelesen? Und nunmehr weißt Du, auch ohne daß ich es Dir sage, wer Miß Gwilt ist?«

Er schwieg und betrachtete seinen Vater mit plötzlichem Erstaunen. Weit entfernt, durch die ihm so eben gemachte Mittheilung niedergeschmettert zu scheinen, wandte Mr. Baswoood sich nach der ersten Ueberraschung mit einer Ruhe zu seinem Sohne, die unter den Umständen ans Wunderbare grenzte. Seine Augen glänzten mit neuer Klarheit, neue Farbe glühte auf seinen Wangen. Wäre so etwas bei einem Manne in seiner Lage denkbar gewesen, so hätte man fast annehmen können, daß das so eben Gehörte, anstatt ihn niederzudrücken, ihn vielmehr erhoben hätte. »Fahre fort, Jemmy«, sagte er ruhig, »ich bin einer von den Wenigen, die von jenem Proceß nichts lasen, sondern nur davon hörten.«

Bashwood der Jüngere bemeisterte seine innerliche Verwunderung und fuhr fort:

»Du bist immer hinter Deiner Zeit zurückgeblieben und wirst es ewig bleiben. Wenn wir zu dem Proceß kommen, kann ich Dir davon erzählen, was Du zu wissen brauchst. Inzwischen müssen wir zur Baronin und Mr. Waldron zurückkehren. Einige Abende ließ der Engländer den Schwindlern freies Spiel, mit andern Worten, er bezahlte für das Privilegium, sich bei Miß Gwilt angenehm zu machen. Als er den nothwendigen Eindruck auf sie gemacht zu haben glaubte, stellte er die ganze Schwindlerbande ohne Barmherzigkeit an den Pranger. Die Polizei legte sich ins Mittel, die Baronin sah sich im Gefängniß, und Miß Gwilt hatte zu wählen, ob sie Mr. Waldron? Schutz annehmen oder sich wieder in die Welt hinausgestoßen sehen wollte. Sie war erstaunlich tugendhaft oder erstaunlich schlau, wie Du es eben nehmen willst. Zu Mr. Waldron’s Erstaunen erklärte sie ihm, daß die Aussicht, wieder in die Welt hinausgestoßen zu werden, sie nicht erschrecke, und daß er sich ihr entweder mit ehrenvollen Absichten nahen oder sie auf immer verlassen müsse Das Ende davon war, was es immer sein wird, wenn ein Mann verliebt und ein Weib entschlossen ist. Zur großen Entrüstung seiner Familie und all seiner Angehörigen machte Mr. Waldron aus der Noth eine Tugend und heirathete sie.«

»Wie alt war er?« fragte Bashwood der Aeltere begierig.

Bashwood der Jüngere lachte laut auf. »Er war ungefähr alt genug, Papachen, um Dein Sohn sein zu können, und reich genug, um Dein kostbares Taschenbuch von Tausendpfundnoten bersten zu lassen. Hänge nicht den Kopf! Trotz seiner Jugend und seines Reichthums war die Ehe indeß keineswegs glücklich. Sie lebten im Auslande und wurden anfangs ziemlich gut mit einander fertig. Natürlich machte er, sowie er sich verheirathete, unter dem Einflusse der Flitterwochenzärtlichkeit ein neues Testament. Aber gleich andern Dingen verlieren die Frauen mit der Zeit den Reiz, welchen die Neuheit ihnen verlieh, und Mr. Waldron erwachte eines schönen Morgens mit dem Gedanken, ob er nicht ein Narr gewesen sei. Er war ein Mann von häßlichem Temperamente, er war mit stch selbst unzufrieden und ließ feine Frau dies natürlich fühlen. Nachdem er damit begonnen, sich mit ihr zu zanken, kam er allmälig dahin, sie zu beargwöhnen, und ward wüthend eifersüchtig auf jedes männliche Wesen, das sich im Hause blicken ließ. Hindernisse in der Gestalt von Kindern standen ihnen nicht im Wege, sodaß sie von einem Orte zum andern ziehen konnten, wie seine Eifersucht es ihm eben eingab, bis sie endlich, nachdem sie nahezu vier Jahre verheirathet gewesen, nach England zurückkehrten. Er besaß auf den Haiden von Yorkshire ein einsames altes Landhaus und dort sperrte er sich mit seiner Frau ein, von allem Verkehr, außer dem mit seiner Dienerschaft und seinen Hunden, völlig abgeschnitten. Diese Behandlung einer lebhaften jungen Frau konnte nur ein Resultat haben. Sei es Verhängniß oder sei es Zufall, aber wenn je ein Weib verzweifelt, ist sicherlich ein Mann zur Hand, der es benutzt. Der Mann in unserm Falle war ein dunkles Roß, wie man auf der Rennbahn spricht. Es war ein gewisser Kapitän Manuel, aus Cuba zu Hause und seiner eigenen Angabe nach ehemals Offizier in der spanischen Marine. Er hatte die Bekanntschaft von Mr. Waldron’s schöner Gattin auf ihrer Heimreise nach England gemacht; es war ihm gelungen, trotz der Eifersucht ihres Gatten ihr zu nahen, und er war ihr nach dem Orte ihrer Gefangenschaft in Mr. Waldron’s altem Hause auf der Haide gefolgt. Der Kapitän wird als ein gescheidter, entschlossener Mann dargestellt, als einer vom verwegenen Piratenschlage mit einem Anfluge vom Geheimnißvollen, der den Weibern gefällt —«

 

»Sie gleicht den andern Frauen nicht!« sagte Mr. Bashwood plötzlich seinen Sohn unterbrechend »Fand sie —« Seine Stimme versagte ihm den Dienst und er brach ab, ohne seine Frage zu vollenden. »Fand sie Gefallen an dem Kapitän?« ergänzte Bashwood der Jüngere, abermals laut auflachend. »«Nach ihrer eigenen Angabe vergötterte sie ihn. Zugleich aber war ihr Verhalten, wie sie es selbst darstellt, vollkommen unschuldig. Wenn man bedenkt, wie sorgfältig ihr Gemahl sie bewachte, so muß man, wie unglaublich dies auch scheinen mag, fast annehmen, daß diese ihre Angabe wahr war. Etwa sechs Wochen lang begnügten sie sich mit einem heimlichen Briefwechsel, da es dem Kapitän gelungen war, eins der Dienstmädchen des Hauses zur Zwischenträgerin zu machen. Wir brauchen uns nicht mit Muthmaßungen darüber aufzuhalten, wie die Geschichte hätte enden können – Mr. Waldron führte selbst die Katastrophe herbei. Ob ihm von dem heimlichen Briefwechsel etwas zu Ohren kam, läßt sich mit Gewißheit nicht entnehmen. So viel steht aber fest, daß er eines Tages wüthender als gewöhnlich von seinem Spazierritt nach Hause kam, daß seine Gattin ihm von dem Uebermuthe eine Probe gab, den er in ihr nicht erdrücken konnte, und daß er ihr schließlich mit der Reitpeitsche ins Gesicht schlug. Ein ungentlemännisches Benehmen, wie ich leider zugeben muß, indeß allem äußern Anscheine nach brachte die Reitpeitsche eine erstaunliche Wirkung hervor. Von jenem Augenblicke an war die Dame so unterwürfig, wie man sie früher nie gesehen hatte. Vierzehn Tage lang that Waldron, was ihm beliebte, und sie widersetzte sich ihm nie; er sagte, was ihm gefiel, und sie äußerte kein Wort der Gegenrede. Wohl Manche hätten geargwöhnt, daß sich unter dieser plötzlichen Besserung etwas Gefährliches verstecke. Ob Mr. Waldron dies that, kann ich nicht sagen. Alles, was man darüber weiß, ist, daß er, ehe noch die Schwielen im Gesichte seiner Frau verheilt waren, erkrankte und zwei Tage darauf starb. Was sagst Du dazu?«

»Ich sage, daß er es verdiente!« erwiderte Mr. Bashwood, in höchster Aufregung mit der Hand auf den Tisch schlagend, als sein Sohn in seiner Erzählung innehielt und ihn ansah.

»Der Arzt, der den Sterbenden behandelte, war nicht Deiner Ansicht«, bemerkte Bashwood der Jüngere trocken. »Er berief noch zwei andere Aerzte und alle drei weigerten sich einen Todtenschein zu geben. Die übliche gerichtliche Untersuchung erfolgte. Das Zeugnis der Aerzte und das der Dienstboten wies unwiderstehlich auf einen und denselben Punkt und Mrs. Waldron ward auf die Anklage, ihren Mann durch Gift getödtet zu haben, Verhaftet. Ein Rechtsanwalt ersten Ranges wurde aus London herbeibeschieden, um die Vertheidigung der Gefangenen zu leiten, und diese Instructionen gestalteten sich demgemäß. Was gibt’s? Was willst Du jetzt?«

Mr. Bashwood hatte sich plötzlich erhoben, die Arme über den Tisch hingestreckt und suchte seinem Sohne die Papiere wegzunehmen. »Ich möchte sie sehen«, rief er begierig. »Ich möchte sehen, was über den Kapitän aus Cuba darin steht. Verlaß Dich darauf, Jemmy, daß er die Geschichte angezettelt hatte. Ich wollte darauf schwören!«

»Das bezweifelte Niemand, der damals den Fall kannte«, erwiderte sein Sohn. »Aber Niemand konnte es beweisen. Setze Dich wieder, mein Alter, und fasse Dich. Ueber Kapitän Manuel steht hier nichts weiter als die Verdachtsgründe des Advocaten in Betreff seiner, nach denen der Anwalt nach Belieben verfahren konnte. Mrs. Waldron hat den Kapitän von Anfang bis zu Ende vertheidigt. Gleich anfangs machte sie freiwillig zwei Angaben, welche ihr Anwalt beide für unwahr hielt. Erstens erklärte sie sich für unschuldig an dem Verbrechen; darüber war er natürlich nicht erstaunt, denn in dieser Beziehung pflegten seine Clienten ihn meistens zu hintergehen. Zweitens behauptete sie, während sie ihren Briefwechsel mit dem Kapitän zugab, daß dieser sich einzig und allein auf eine von ihm beabsichtigte Entführung bezogen, in die sie infolge der barbarischen Behandlung ihres Gatten zu willigen geneigt gewesen sei. Natürlich verlangte der Advocat die Briefe zu sehen. »Er hat alle meine Briefe verbrannt, wie ich die seinigen«, war die einzige Antwort, die er erlangen konnte. Es war sehr wohl möglich, daß Kapitän Manuel, als er gehört, daß eine Leichenschau in ihrem Hause stattgefunden habe, ihre Briefe verbrannt hatte. Allein der Rechtsanwalt hatte die Erfahrung gemacht, die auch ich gemacht habe, daß ein Weib, das einen Mann liebt, in neunundneunzig Fällen unter hundert seine Briefe aufbewahrt, mag dies nun gefährlich für sie sein oder nicht. Nachdem einmal so sein Argwohn rege geworden war, zog er heimlich Erkundigungen über den fremden Kapitän ein und brachte heraus, daß dieser sich in der allergrößten Geldverlegenheit befand. Zu gleicher Zeit fragte er seine Clientin wegen ihrer Erbschaftserwartungen von ihrem verstorbenen Gemahl. In größter Entrüstung antwortete sie ihm, daß sich unter den Papieren ihres Gatten ein wenige Tage vor seinem Tode heimlich aufgesetztes Testament befunden habe, demzufolge ihr von seinem ganzen ungeheuren Vermögen nur fünftausend Pfund zufallen sollten! »War etwa ein älteres Testament vorhanden«, fragte der Advocat, »das durch das neue widerrufen worden ist?« Allerdings, ein Testament, das er ihrem eigenen Gewahrsam anvertraut habe und das kurz nach ihrer Verheirathung abgefaßt worden sei. »In dem er seine Wittwe wohl versorgte?« – »In dem er ihr gerade zehnmal so viel vermachte als in dem zweiten« – »Hatte sie jenes ersten, jetzt widerrufenen Testaments jemals gegen Kapitän Manuel Erwähnung gethan?« Sie sah die Schlinge, die man ihr mit dieser Frage legte, und antwortete, ohne einen Augenblick zu zögern: »Nein, niemals!« Diese Antwort bestärkte den Advocaten in seinem Verdachte. Er suchte sie durch die Versicherung zu erschrecken, daß sie möglicherweise mit dem Leben dafür zu büßen haben könne, wenn sie ihn hinterginge, allein mit weiblicher Hartnäckigkeit blieb sie bei ihrer Behauptung. Der Kapitän benahm sich seinerseits musterhaft. Er gestand das Entführungsproject, erklärte, aus Rücksicht für den Ruf der Dame alle ihre Briefe verbrannt zu haben, blieb in der Nachbarschaft und erbot sich, vor Gericht zu erscheinen. Nichts wurde entdeckt, wonach er gesetzlicherweise mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht oder am Tage des Verhörs in einer andern Eigenschaft als der eines Zeugen vor Gericht beschieden werden konnte. Ich selbst bin der Ansicht, kein moralischer Zweifel kann darüber obwalten, daß Manuel von dem Testamente wußte, welches seiner Geliebten fünfzigtausend Pfund vermachte, und daß er dieses Umstandes wegen vollkommen bereit war, sie nach Mr. Waldron’s Tode zu heirathen. Wenn irgend ein Mensch sie dazu verleitete, sich ihre Freiheit zu verschaffen indem sie sich selbst zur Wittwe machte, so kann dies nur der Kapitän gewesen sein. Und wenn es ihr bei der Bewachung und Beobachtung, die sie umgaben, nicht möglich war, sich das Gift selbst zu verschaffen, so muß dieses ihr in einem Briefe von dem Kapitän zugegangen sein.«

»Ich glaube nicht, daß sie Gebrauch von dem Gifte gemacht, selbst wenn es ihr zugeschickt worden wäre!« rief Mr. Bashwood. »Ich glaube, daß der Kapitän selbst ihren Gatten vergiftet hat!«

Ohne auf die Unterbrechung zu achten, legte Bashwood der Jüngere die Vertheidigungsacten zusammen, die jetzt ihrem Zwecke gedient hatten, that sie wieder in die Handtasche und nahm statt ihrer eine gedruckte Flugschrift heraus.

»Hier ist einer der über den Proceß veröffentlichten Berichte«, sagte er, »den Du lesen kannst, wenn Du Zeit dazu hast. Es ist unnöthig, uns jetzt bei den Einzelheiten aufzuhalten. Ich habe Dir bereits gesagt, wie geschickt ihr Anwalt diese Anklage des Mordes als eine Complication der mannichfachen Leiden behandelte, die ein unschuldiges Weib betroffen. Die beiden Punkte, auf die (nach diesem vorläufigen Trompetenstoß) die Vertheidigung sich stützte, waren: erstens, daß kein Beweis existierte, daß sie im Besitze von Gift gewesen sei; zweitens, daß die ärztlichen Zeugen, während sie entschieden erklärten, ihr Gatte sei durch Gift getödtet worden, in ihrer Ansicht über das specielle Gift, an dem er gestorben, von einander abwichen. Beides gute Punkte, die zugleich beide aufs beste benutzt wurden; allein das Zeugniß der andern Seite warf Alles um. Es ward bewiesen, daß die Gefangene nicht weniger als drei vortreffliche Beweggründe gehabt habe, ihren Gatten zu tödten. Er hatte sie mit fast beispielloser Grausamkeit behandelt, er hatte sie in einem, soviel ihr bekannt, nicht widerrufenen Testamente zur Erbin eines beträchtlichen Vermögens eingesetzt und sie, ihrer eigenen Angabe nach, von einem andern Manne sich entführen lassen wollen. Nachdem der Kronanwalt diese Beweggründe geltend gemacht hatte, führte er zunächst den Beweis, der in keiner Weise auch nur einen Augenblick angegriffen wurde, daß die einzige Person im Hause, welche dem Verstorbenen möglicherweise das Gift beigebracht haben könne, die Gefangene vor den Schranken sei. Was konnten Richter und Geschworene bei solchem Zeugnisse thun? Das Verdict lautete: »Schuldig«, wie sich dies von selbst verstand, und der Richter erklärte, daß er mit demselben übereinstimme Der weibliche Theil der im Saale Versammelten verfiel fast in Krämpfe, und mit dem männlichen war es wenig besser. Der Richter schluchzte und die Herren Juristen schauderten. Inmitten einer Scene, wie man sie noch nie in einem englischen Gerichtshofe erlebt hatte, ward sie zum Tode verurtheilt. Und sie ist in diesem Augenblicke munter und gesund am Leben, frei, um jedes ihr beliebige Unheil anzustiften und nach Bequemlichkeit jeden Mann, jedes Weib oder Kind zu vergiften, die ihr etwa im Wege sind. Ein höchst interessantes Frauenzimmer! Sieh zu, daß Du in freundschaftlichen Beziehungen mit ihr bleibst, mein werther Alter, denn das Gesetz hat mit den deutlichsten Worten zu ihr gesagt: »Meine bezaubernde Freundin, ich habe keine Schrecken für Dich!«

»Wie kam es, daß sie begnadigt wurde?« fragte Mr. Bashwood athemlos. »Ich habe es damals gehört, aber es ist mir entfallen. Ist sie durch den Minister des Innern begnadigt worden? Dann achte ich den Minister des Innern, dann erkläre ich den Minister des Innern für einen Mann, der seiner Stellung würdig ist.«

»Ganz recht, alter Herr!« erwiderte Bashwood der Jüngere. »Der Minister des Innern war der gehorsame, ergebene Diener einer aufgeklärten, freien Presse und in der That seiner Stelle würdig. Ist es möglich, daß Du nicht weißt, wie sie den Galgen um sein Recht betrog? Dann muß ich es Dir erzählen. Am Abende nach dem Verhör gingen zwei oder drei von den literarischen jungen Buccaniern nach zwei oder drei Zeitungsbureaur und schrieben ein paar herzzerreißende Leitartikel über das Verfahren des Gerichtshofs. Am nächsten Morgen fing das Publikum Feuer wie Zunder, und die Gefangene ward in den Zeitungsspalten von einem Dilettantengerichte zum zweiten Male vernommen. Alle Leute, die in der Sache keine persönliche Erfahrung hatten, ergriffen die Feder und warfen sich mit gütiger Erlaubniß der Redacteure auf die Presse. Aerzte, die den Kranken nicht behandelt hatten und bei der Untersuchung des Leichnams nicht zugegen gewesen waren, erklärten zu Dutzenden, er sei eines natürlichen Todes gestorben. Advoeaten ohne Clienten, die das Zeugniß nicht gehört hatten, griffen die Geschworenen an, welche es deutlich vernommen, und richteten den Richter, der schon zu Gericht gesessen hatte, ehe viele von ihnen noch geboren waren. Das große Publikum folgte dem Beispiele der Advocaten und der Aerzte und der jungen Buccanier, welche die Sache in Gang gebracht. Das Gesetz, das sie alle bezahlten, damit es sie beschütze, war wirklich in schrecklichem Ernste auf dem Punkte, seine Schuldigkeit zu thun! Gräßlich! Gräßlich! Das britische Publikum erhob sich in Masse gegen die Thätigkeit seiner eigenen Maschine, und der Minister des Innern begab sich in einem Zustande der Verzweiflung zum Richter. Der Richter blieb fest. Er habe damals gesagt, das Verdict sei gerecht, und er sage dies noch jetzt. »Aber gesetzt«, sprach der Minister des Innern, »die Anklage hätte andere Mittel und Wege gewählt, um sie schuldig zu finden, was würden Sie und die Geschworenen dann gethan haben?« Dies konnte natürlich der Richter nicht sagen. Sofort war dies ein Trost für den Minister des Innern. Und als er danach die Zustimmung des Richters erlangte, das streitige ärztliche Zeugniß einem einzigen großen Arzte zur Prüfung vorzulegen, und als dieser eine große Arzt die Sache vom Standpunkte des Mitleids auffaßte, nachdem er zuvor ausdrücklich zu verstehen gegeben hatte, daß er factisch gar nichts von der Sachlage wisse, da war der Minister des Innern vollkommen zufrieden gestellt. Das Todesurtheil spazierte in den Papierkorb, das Urtheil des Gesetzes ward allgemeiner Bestimmung zufolge umgestoßen, und das der Zeitungen behielt den Sieg. Aber das Beste kommt noch. Du erinnerst Dich, was geschah, als das Volk den Lieblingsgegenstand seiner Theilnahme plötzlich freigelassen sah? Allgemein herrschte die Ansicht, daß sie doch eigentlich nicht unschuldig genug sei, um sofort aus dem Gefängnisse entlassen werden zu können. »Strafen Sie sie etwas«, meinte das Volk, »Herr Minister, strafen Sie sie etwas, der Sittlichkeit wegen. Eine milde gerichtlich-medicinische Behandlung, wenn Sie uns den Gefallen thun wollen, und dann werden wir uns für immer über die Sache beruhigt fühlen«

 

»Scherze nicht darüber!« rief sein Vater. »Ich bitte Dich, Jemmy, scherze nicht darüber! Ward sie einem zweiten Verhöre unterworfen? Das konnten sie nicht, das durften sie nicht wagen! Niemand kann zweimal wegen ein und desselben Vergebens vernommen werden!«

»Bah, bah! Sie konnte sehr wohl zum zweiten Male für ein und dasselbe Vergehen vernommen werden«, entgegnete Bashwood der Jüngere, »und sie ward es. Zum Glück hatte sie zur Beruhigung des Publikums nach Frauenweise eilig das ihr angethane Unrecht selbst wieder gut zu machen gesucht, als sie fand, daß ihr Gatte sie durch einen Federstrich von einer Erbschaft von fünfzigtausend Pfund auf fünftausend reducirt hatte. Am Tage vor der Leichenschau ward die Entdeckung gemacht, daß eine verschlossene Schublade in Mr. Waldrons Schreibtische, in der sich kostbare Juwelen befunden, erbrochen und geleert worden war, und als die Wittwe Verhaftet wurde, fand man die kostbaren Steine, aus ihrer Fassung gebrochen, in ihr Corset eingenäht. Die Dame betrachtete dies als eine rechtmäßige Selbstentschädigung. Das Gesetz erklärte es für einen Raub an den Administratoren des Verstorbenen. Das geringere Vergehen, welches bei einer Anklage wie der des Mordes gegen sie außer Betracht gezogen worden, war gerade das, was in den Augen des Publikums den Schein retten konnte. Bei dem einen Proceß hatte man den Gang der Gerechtigkeit gehemmt, jetzt lag nun Alles daran, bei diesem zweiten Processe der Gerechtigkeit ihren Lauf zu lassen. Vom Morde freigesprochen, wurde die Dame wegen Raubes angeklagt. Und noch mehr, wenn ihre Schönheit und ihr Unglück nicht einen tiefen Eindruck auf ihren Advocaten gemacht hätten, würde sie nicht nur noch eine zweite Untersuchung zu bestehen gehabt haben, sondern auch durch die Krone der fünftausend Pfund beraubt worden sein, zu denen sie nach dem zweiten Testamente berechtigt war.«

Ich achte ihren Advocaten, ich bewundere ihren Advocaten!« rief Mr. Bashwood »Ich möchte ihn die Hand drücken und ihm dies sagen.«

»Er würde Dir dafür nicht danken« , bemerkte Bashwood der Jüngere. »Er lebt in dem gemüthlichen Wahne, daß außer ihm selbst kein Mensch weiß, wie er Mrs. Waldron das Legat rettete.«

»Ich bitte um Vergebung, Jemmy«, unterbrach ihn sein Vater, aber nenne sie nicht Mrs. Waldron. Sprich von ihr wie von dem unschuldigen jungen Mädchen, das sie war, als sie die Schule besuchte. Würde es Dir etwas verschlagen, sie mir zu Liebe Miß Gwilt zu nennen?«

»Durchaus nicht! Es verschlägt mir gar nichts, welchen Namen ich ihr gebe. Zum Henker mit Deinen Gefühlen! Laß uns mit den Thatsachen weitergehen. Ehe die zweite Untersuchung stattfand, that der Advocat Folgendes Er sagte ihr, ganz sicherlich werde sie zum zweiten Male schuldig befunden werden. »Und diesmal«, meinte er, »wird das Publikum das Gesetz seinen Lauf nehmen lassen. Haben Sie irgend einen alten Freund, in den Sie volles Vertrauen setzen können?« In der ganzen Welt hatte sie keinen solchen alten Freund. »Sehr gut«, sagte der Advocat, »dann müssen Sie mir vertrauen. unterschreiben Sie dieses Papier; es ist ein fingirter Verkauf all Ihres Eigenthums an mich. Wenn der rechte Augenblick kommt, werde ich zuerst aufs vorsichtigste mit den Executoren Ihres Gatten abschließen und dann das Geld wieder auf Sie übertragen und es, für den Fall, daß Sie sich jemals wieder verheiratheten, ausschließlich Ihnen sichern. Die Krone gibt in derartigen Angelegenheiten häufig ihr Recht auf, die Gültigkeit des Verkaufs zu bestreiten, und verfährt sie nicht härter gegen Sie als gegen andere Leute, so werden Sie, wenn Sie das Gefängniß verlass en, Ihre fünftausend Pfund haben, um das Leben von neuem beginnen zu können!« Sehr niedlich von dem Advocaten, ihr, da sie eben wegen Raubes an den Executoren in Untersuchung genommen werden sollte, den Weg zu zeigen, um die Krone zu betrügen, nicht wahr? Ha, ha, hat Welch eine Welt!«

Dieser letzte Spott blieb von dem Vater unbeachtet. »Im Gefängnisse!« sprach er vor sich hin. »O mein Gott, nach all dem Elend nochmals im Gefängnisse!«

»Ja«, sagte Bashwood der Jüngere, indem er aufstand und sich dehnte und streckte, »so endete die Sache. Der Richtspruch lautete: »Schuldig« und das Urtheil war zweijährige Gefangenschaft. Sie diente ihre Zeit ab und kam, so gut ich es zu berechnen vermag, vor etwa drei Jahren aus der Gefangenschaft. Willst Du wissen, was sie that, als sie ihre Freiheit wiedererlangte und wie sie darauf lebte, so kann ich Dir ein andermal, vielleicht wenn Du wieder ein paar Banknoten in der Tasche hast, wohl etwas davon erzählen. Für jetzt weißt Du alles, was Du zu wissen brauchst. Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß diese bezaubernde Dame den doppelten Schimpf an sich trägt, des Mordes schuldig befunden und wegen Diebstahls eingesperrt gewesen zu sein. Da hast Du Dein Aequivalent für Dein Geld und meine wunderbare Geschicklichkeit, eine Sache klar darzulegen, noch mit in den Kauf. Hast Du nur eine Spur von Dankbarkeit in Dir, so solltest Du eines Tages etwas Ansehnliches für Deinen Sohn thun. Ich will Dir sagen, was Du gethan hättest, wenn Du mich nicht gehabt, alter Herr. Du würdest, hättest Du gekonnt, wie Du wolltest, Miß Gwilt geheirathet haben.«