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Armadale

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Der Inhalt des Briefes gab meinen Gedanken eine neue Richtung. Er überraschte mich, war mir unbegreiflich und interessant. Ich dachte den ganzen Tag hindurch an ihn.

Zuerst bat er mich um Verzeihung, das, was ich ihm mitgetheilt, bezweifelt zu haben. Mr. Armadale habe es mit seinen eigenen Lippen bestätigt. Sie hatten sich veruneinigt, wie ich dies erwartet hatte, und er und der Mann, der sein theuerster Freund auf Erden gewesen, waren jetzt auf immer von einander geschieden. Soweit war ich nicht überrascht. Die überschwängliche Art und Weise, in der er mir erzählte, wie er und sein Freund nun auf ewig von einander geschieden seien, belustigte mich, und ich erging mich in Muthmaßungen darüber, was er wohl denken werde, wenn ich meinen Plan ausführen und mir unter dem Vorwande, sie wieder mit einander zu versöhnen, den Zutritt ins Herrenhaus verschaffen würde.

Der zweite Theil seines Briefes gab mir jedoch zu denken Er lautet in seinen eigenen Worten folgendermaßen:

»Nur nach einem heftigen Kampfe mit mir selbst – wie hart dieser Kampf war, vermag ich nicht mit Worten zu schildern – habe ich mich dazu entschließen können, Ihnen zu schreiben, anstatt persönlich mit Ihnen zu sprechen. Eine unbarmherzige Nothwendigkeit fordert meine Zukunft. Ohne Zögern muß ich Thorpe-Ambrofe, muß ich England verlassen und darf mich nicht mit Rückblicken aufhalten. Es sind Gründe, fürchterliche Gründe vorhanden, mit denen ich wahnsinnigerweise gespielt habe, daß ich Mr. Armadale nach dem zwifchen uns Vorgefallenen nicht gestatte, daß er mich je wieder mit Augen erblickt oder von mir hört. Ich muß fort, um mit ihm nie wieder unter einem Dache zu schlummern, nie wieder dieselbe Luft mit ihm zu athmen. Unter falschem Namen muß ich mich vor ihm verbergen; ich muß Berge und Meere zwischen uns legen. Ich bin gewarnt worden, wie noch kein lebendes Wesen gewarnt ward. Ich habe die Ueberzeugung – ich wage Ihnen nicht zusagen, warum – aber ich habe die Ueberzeugung, daß, wenn ich dem Zauber folge, der mich zu Ihnen zurückzieht, dies für den Mann verhängnißvoll werden wird, dessen Leben so seltsam mit dem Ihrigen und dem meinigen verknüpft gewesen, dem Manne, welcher einst Ihr Verehrer und mein Freund war. Und dennoch, trotz dieses Gefühls, wiewohl ich es so deutlich empfinde, wie ich den Himmel über meinem Haupte sehe, bin ich so schwach, noch immer vor dem schweren Opfer, Sie niemals wiederzusehen, zurückzubeben! Ich ringe damit, wie man mit seiner Verzweiflung ringt. Vor kaum einer Stunde stand ich nahe genug, um das Haus zu sehen, in dem Sie wohnen, und ich zwang mich, wieder fortzugehen und den Anblick zu fliehen. Vermag ich mich jetzt, da mein Brief geschriebemn, jetzt, da mir das nutzlose Bekenntniß entschlüpft ist, daß ich die erste Liebe für Sie fühle, die ich je gekannt habe, die beste Liebe, die ich je empfinden werde, noch weiter von Ihnen zu entfernen? Die nächste Zeit möge diese Frage beantworten; ich wage es nicht, noch mehr davon zu schreiben oder daran zu denken.«

Dies waren die letzten Worte. So wundersam schloß der Brief.

Ich fühlte eine förmlich fieberhafte Neugierde, zu wissen, was er meine. Daß er mich liebe, war natürlich leicht genug zu verstehen. Aber was wollte er damit sagen, daß er gewarnt worden sei? Warum konnte er nie wieder mit dem jungen Armadale unter einem Dache schlafen, nie wieder dieselbe Luft mit ihm athmen? Welcher Art konnte das Zerwürfniß sein, welches den einen nöthigte, sich unter falschem Namen vor dem andern zu verbergen und Berge und Meere zwischen sich und ihn zu legen? Und vor allem, warum sollte es dem verhaßten Lümmel, der das prachtvolle Vermögen besitzt und im Herrnhause wohnt, Verderben bringen, wenn er meinem Zauber wiche und wieder zu mir zurückkehrte?

In meinem ganzen Leben habe ich mich nach nichts so sehr gesehnt, als ihn wiederzusehen und diese Fragen an ihn zu richtem. Im Verlaufe des Tages wurde ich förmlich abergläubisch darüber. Man gab mir eine Kalbsmilch und Kirschpudding zu Mittag, und wahrhaftig, ich zählte an den Kirschkernen ab, ob er kommen werde! Er kommt, kommt nicht, kommt, kommt nicht, und so weiter. Es endete mit »kommt nicht«. Ich schellte und ließ abräumen. Ganz wütheitd opponirte ich dem Schicksal. Ich sagte: »Er kommt!« und wartete zu Hause aus ihn.

Du kannst Dir nicht vorstellen, welches Vergnügen es mir macht, Dir alle diese kleinen Einzelnheiten mitzutheilen. Rechne, o, meine Busenfreundim meine zweite Mutter, rechne die Gelder zusammen, die Du mir auf die Chance vorgeschossen hast, daß ich Mrs. Armadale würde, und dann male Dir dieses athemlose Interesse aus, das ich für einen Andern fühle. O Mrs. Oldershaw, welch ein Hochgenuß für mich, Dich so zu peinigen!

Der Tag verstrich. Ich klingelte abermals und ließ mir einen Eisenbahnfahrplan bringen. Welche Züge konnten ihn heute, am Sonntage, mir entführen? Die nationale Achtung vor dem Sabbath wollte mir wohl. Nur ein einziger Zug ging ab, und zwar war derselbe schon mehrere Stunden vorher abgefahren, ehe er an mich geschrieben hatte. Ich trat an den Spiegel. Er machte mir Complimente, daß ich der Weissagung der Kirschkerne widersprochen habe. Mein Spiegel sagte: »Stelle Dich hinter Deine Fenstergardine; er wird den langen, einsamen Abend nicht vergehen lassen, ohne noch einmal zu kommen, um das Haus zu sehen.« Ich stellte mich hinter den Fenstervorhang und wartete mit seinem Briefe in der Hand.

Das triste Sonntagslicht verblich, und die triste Sonntagsstille auf der Straße ward noch stiller. Die Dämmerung brach herein und ich vernahm in der Stille seine nahenden Schritte. Mein Herz schlug laut. Denke nur, daß mir noch ein Herz bleibt! »Midwinter!« sagte ich zu mir selbst Und es war MidWinter.

Als er so nahe war, daß ich ihn sehen konnte, bemerkte ich, daß er langsam ging und nach jedem zweiten oder dritten Schritte zögerte und stehen blieb. Es schien, als zöge mein häßliches kleines Fenster ihn wider seinen Willen an. Nachdem ich gewartet, bis ich ihn ein wenig seitwärts vom Hause, aber noch immer innerhalb Sehweite von meinem unwiderstehlichen Fenster hatte stehen bleiben sehen, warf ich schnell meine Mantille um, setzte meinen Hut auf und schlüpfte durch die Hinterthür in den Garten hinaus. Mein Hauswirth und seine Familie waren beim Abendessen und Niemand sah mich. Ich öffnete das Mauerpförtchen und trat auf die Straße hinaus. In diesem unpassenden Augenblicke erinnerte ich mich plötzlich des Spions, den ich bisher vergessen und der mir ohne Zweifel irgendwo in der Nähe des Hauses auflauerte.

Nothwendigerweise brauchte ich Zeit zum Ueberlegen und in meinem derzeitigen Gemüthszustande war es mir ganz unmöglich, Midwinter abreisen zu lassen, ohne mit ihm gesprochen zu haben. In großen Schwierigkeiten entscheidet man, wenn überhaupt, gewöhnlich auf der Stelle. Ich beschloß ein Rendezvous für nächsten Abend mit ihm zu vereinbaren und inzwischen zu erwägen, wie ich diese Zusammenkunft werde bewerkstelligen können, ohne daß sie bekannt würde. So gab ich mich freilich den Qualen einer vierundzwanzigstündigen unbefriedigten Neugier preis, das fühlte ich zur Zeit sehr wohl, aber was blieb mir denn sonst übrig? Vor den Augen und möglicherweise vor den Ohren von Mr. Armadales Spion zu einem geheimen Einverständnisse mit Midwinter zu kommen, hieß fast so viel, als den Gedanken an den Besitz von Thorpe-Ambrose gänzlich aufgeben.

Da ich zufällig einen alten Brief von Dir in meiner Tasche fand, trat ich in das Seitengäßchen hinter der Mauer zurück und schrieb mit dem an meiner Uhrkette hängenden Bleistift auf das leere Blatt: »Ich muß und will mit Ihnen reden. Heute Abend ist es unmöglich, finden Sie sich jedoch morgen Abend um dieselbe Zeits auf der Straße ein, und dann verlassen Sie mich, wenn Sie wollen, auf immer. Wenn Sie dies gelesen haben, kommen Sie mir nach und sagen im Vorbeigehen, ohne sich umzusehen oder stehen zu bleiben: »Ja, ich verspreche es?«

Ich legte das Blatt zusammen und trat plötzlich hinter ihm hervor. Als er zurückfuhr und sich umwandte, ließ ich ihm das Billet in die Hand gleiten, die ich ihm hastig drückte, und ging weiter. Ehe ich noch zehn Schritte fort war, hörte ich ihn hinter mir. Ich kann nicht sagen, daß er sich nicht umblickte, ich fah seine großen schwarzen Augen im Zwielichte funkeln und mich in einer Sekunde vom Kopf bis zu den Füßen verschlingen; sonst aber that er, wie ich ihm befohlen. »Ich kann Ihnen nichts versagen«, flüsterte er, »ich verspreche« es. Dann ging er weiter und verließ mich. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, wie jener tölpelhafte Flegel Armadale unter solchen Verhältnissen Alles verdorben haben würde.

Die ganze Nacht hindurch quälte ich mich ab, wie ich unsere Zusammenkunft vor Entdeckung schützen sollte, aber ich fand keinen Ausweg. Schon war mir’s, als ob mich Midwinter’s Brief irgendwie unerklärlich betäubt hätte.

Der Montag Morgen machte die Sachen noch schlimmer. Von meinem getreuen Verbündeten, Mr. Bashwood, empfing ich die Nachricht, daß Miß Milroy und Mr. Armadale mit einander zusammengetroffen seien und sich versöhnt hätten. Du kannst Dir vorstellen, in welchen Zustand mich dies versetzte! Ein paar Stunden später liefen weitere Nachrichten von Mr. Bashwvod ein, diesmal gute. Der boshafte Dummkopf zu Thorpe-Ambrose hatte endlich Verstand genug gehabt, sich zu schämen. Er hatte beschlossen, den Spion noch am selben Tage zu verabschieden, und sich infolge dessen mit seinem Advocaten überworfen.

Damit war also das Hinderniß, das zu übersteigen ich zu dumm war, für mich aufs erfreulichste aus dem Wege geräumt! Ueber die bevorstehende Zusammenkunft mit Midwinter brauche ich mir keine Sorge mehr zu machen und habe reichlich Zeit, zu überlegen, was ich jetzt, da Miß Milroy und ihr getreuer Schäfer wieder zusammengekommem zunächst unternehmen muß. Solltest Du, es wohl glauben, daß der Brief oder der Mann – ich weiß nicht, was von beiden – sich meiner dermaßen bemächtigt, daß ich, was ich immer versuchen mochte, an nichts Anderes denken konnte, und dies zu einer Zeit, wo ich alle Ursache zu fürchten hatte, daß Miß Milroy sich auf dem besten Wege befinde, ihren Namen in Armadale zu verwandeln, und wo ich wußte, daß ich mich noch in keiner Weise meiner schweren Verpflichtungen gegen sie entledigt? Hat es wohl je etwas Widerwärtigeres gegeben? Ich kann mir’s nicht denken – kannst Du’s?

 

Die Abenddämmerung kam endlich heran. Ich sah aus dem Fenster, und dort war er!

Augenblicklich ging ich zu ihm hinaus, während die Leute im Hause zu sehr in Essen und Trinken vertieft waren, um sonst auf irgend etwas Acht zu geben. »Wir dürfen nicht zusammen gesehen werden«, flüsterte ich. »Ich muß vorangehen und Sie müssen mir folgen.«

Er erwiderte nichts. Was in seinem Geiste vorging, kann ich nicht errathen, aber nachdem er, wie er versprochen, gekommen war, zögerte er förmlich, als hätte er halb und halb Lust, wieder fortzugehen.

»Sie sehen aus, als fürchteten Sie sich vor mir«, sagte ich.

»Ich fürchte mich in der That vor Ihnen«, antwortete er, »vor Ihnen sowohl als vor mir selbst.«

Das war nicht ermuthigend, nicht schmeichelhaft. Aber eine so rasende Neugier erfüllte mich, daß ich selbst noch größere Unhöflichkeit kaum beachtet haben würde. Ich ging einige Schritte nach den neuen Häusern zu und blieb dann stehen, um mich nach ihm umzusehen.

»Nachdem Sie mir Ihr Versprechen gegeben und nach einem Briefe, wie Sie ihn mir geschrieben, muß ich es da als eine Gunst von Ihnen erbitten?« sagte ich.

Eine plötzliche Veränderung ging mit ihm vor, augenblicklich war er an meiner Seite. »Ich bitte um Verzeihung, Miß Gwilt; führen Sie mich, wohin Sie wollen.« Nach dieser Antwort trat er ein wenig zurück und ich hörte ihn vor sich hin Murmeln: »Was sein soll, wird sein. Was geht es mich an oder sie?«

Die Worte konnten es nicht wohl sein, die mich leise erbeben ließen, denn ich verstand sie nicht, sondern nur der Ton, in dem er sie sprach. Ohne einen Schatten von Ursache fühlte ich mich halb geneigt, ihm gute Nacht zu wünschen und wieder ins Haus zu gehen. Das sieht mir nicht sehr ähnlich, wirst Du sagen. In der That nein! Es währte auch keine Minute. Deine Herzens-Lydia kam schnell wieder zur Vernunft.

Ich ging den halbfertigen Häusern und dem offenen Felde zu voran. Es wäre weit mehr nach meinem Sinne gewesen, hätte ich ihn mit mir ins Haus nehmen und beim Kerzenlichte mit ihm sprechen können. Aber ich hatte dies schon einmal riskirt und trug Bedenken, es in diesem Klatschneste und in meiner kritischen Lage noch einmal zu wagen. An den Garten war ebenso wenig zu denken, denn dort raucht der Hauswirth nach dem Abendessen seine Pfeife. Mithin blieb mir nichts Anderes übrig, als ihn zur Stadt hinauszuführen.

Im Weitergehen sah ich mich von Zeit zu Zeit um und bemerkte, wie er stets in derselben Entfernung undeutlich und gespenstisch im Zwielichte meinen Schritten folgte.

Ich muß auf eine kleine Weile abbrechen. Die Kirchenglocken läuten und machen mich toll mit ihrem Gebimmel. Wozu bedarf es in unsern Tagen, wo Jeder eine Uhr besitzt noch des Glockengeläutes, uns an den Beginn des Gottesdienftes zu mahnen? Wir brauchen ja keine Glocken, die uns ins Theater läuten! Welch eine ungeheure Schmach für die Geistlichkeit, daß sie uns zur Kirche läuten muß!

Endlich haben sie die Gemeinde hineingeläutet, und so kann ich meine Feder wieder ergreifen und fortfahren.

Ich war ein wenig im Zweifel, wohin ich ihn führen solle. Auf der einen Seite lag die Landstraße, doch konnten wir dort, so still dieselbe auch aussah, leicht Jemand begegnen, wo wir es am wenigsten erwarteten. Der andere Weg führte durch das Gebüsch. Dahin führte ich ihn.

Am entgegengesetzten Ende desselben, hart am Saume des Dickichts, befand sich eine kleine Bodensenkung, in der gefällte Bäume lagen, und jenseits derselben ein kleiner Teich, der still und weiß im Zwielicht glänzte. Am gegenüberliegenden Ufer zogen sich ausgedehnte Rasenflächen hin, auf die sich ein allmälig dichter werdender Nebel herabzusenken begann und die in der Ferne die schwarze Linie feierlich langsam heimkehrender Kühe zeigten. Kein lebendes Wesen war in der Nähe und kein Laut vernehmbar. Ich setzte mich auf einen der gefällten Bäume und sah mich nach ihm um. »Kommen Sie«, sagte ich leise, »kommen Sie und setzen Sie sich zu mir.«

Warum gehe ich in alle diese Einzelnheiten ein? Ich weiß es kaum. Der Ort machte einen unbegreiflich lebhaften Eindruck auf mich und ich kann nicht umhin, davon zu schreiben. Sollte ich ein schlimmes Ende nehmen, vielleicht auf dem Schaffot, so glaube ich, daß das Letzte, was ich sehen werde, ehe der Henker den Strick zieht, der kleine weißschimmernde Teich mit den langen nebligen Wiesengründen und der heimziehenden Kuhheerde sein wird. Fürchte nichts, Du würdiges Geschöpf! Meine Phantasie spielt mir zuweilen seltsame Streiche und es ist vielleicht in diesem Theile meines Briefes etwas von dem gestern Abend genossenen Laudanum.

Er kam seltsam still, wie ein Mann, der im Schlafe wandelt, und setzte sich zu mir nieder. Der Abend war entweder sehr schwül oder ich bereits in einem förmlichen Fieber, ich konnte meinen Hut nicht auf dem Kopfe, die Handschuhe nicht an den Händen leiden. Das Verlangen, ihn anzusehen und mich zu überzeugen, was sein eigenthümliches Schweigen zu bedeuten habe, und die Unmöglichkeit, dies in der zunehmenden Dunkelheit zu bewerkstelligen, reizten meine Nerven in dem Grade, daß ich hätte schreien mögen. Ich nahm seine Hand, vielleicht daß dies mir half. Sie war glühend heiß und schloß sich augenblicklich fest um die meinige, Du weißt wohl, wie. Danach war an ein Schweigen nicht mehr zu denken. Das Gerathenste war, daß ich ihn sogleich anredete.

»Verachten Sie mich nicht«, sagte ich. »Ich bin gezwungen, Sie an diesen einsamen Ort zu führen; es würde meinen Ruf gefährden, wenn man uns beisammen sähe.«

Ich wartete ein wenig. Seine Hand ermahnte mich abermals, das Schweigen nicht fortdauern zu lassen. Ich beschloß ihn zum Sprechen zu zwingen.

»Sie haben meine Neugier gespannt und zugleich mich erschreckt«, fuhr ich fort. »Sie haben mir einen sehr seltsamen Brief geschrieben. Ich muß wissen, was er zu bedeuten hat.«

»Es ist zu spät, um dies zu fragen. Sie und ich haben den Weg eingeschlagen, auf dem jede Umkehr unmöglich ist.« Er gab diese seltsame Antwort in einem Tone, der mir völlig neu an ihm war, in einem Ton, der mich sogar noch mehr beunruhigte, als sein Schweigen es so eben gethan hatte. »Zu spät«, wiederholte er, »zu spät! Sie können jetzt nur noch eine Frage an mich richten.«

»Welche Frage?«

Als ich dies sagte, theilte sich plötzlich ein heftiges Zittern von seiner Hand der meinigen mit und sagte mir, daß ich besser gethan haben würde, hätte ich geschwiegen. Ehe ich noch eine Bewegung machen, ehe ich noch denken konnte, hielt er mich bereits im Arm. »Fragen Sie mich, ob ich Sie liebe«, flüsterte er. In demselben Augenblicke sank sein Kopf auf meine Brust herab und eine unaussprechliche Qual in seinem Innern machte sich, wie dies bei uns oft geschiebt, in einem leidenschaftlichen Thränenstrom und lautem Schluchzen Luft.

Mein erster Impuls war der einer Närrin. Ich war im Begriff, in unserer gewohnten Weise zu protestiren und ihn abzuwehren. Glücklicher- oder unglücklicherweise – ich weiß nicht, was von beiden – habe ich die zarte Empfindsamkeit der Jugend verloren und hielt deshalb die erste Bewegung meiner Hände und die ersten Worte auf meinen Lippen zurück. O mein Himmel, wie alt ich mich fühlte, während er sich an meiner Brust das Herz ausschluchzte! Wie ich der Zeit gedachte, wo er sich in den Besitz meiner Liebe hätte setzen können! Das Einzige, wovon er jetzt Besitz genommen, war meine Taille.

Ob ich ihn wohl bemitleidete? Einerlei. Jedenfalls erhob sich meine Hand so oder so, und meine Finger spielten sanft mit seinem Haar. Während ich ihn berührte, kamen mir fürchterliche Erinnerungen an frühere Zeiten in den Sinn und machten mich schaudern. Und dennoch that ich es. Welche Thörinnen die Weiber sind!

Ich will Ihnen keine Vorwürfe machen«, sprach ich sanft; »ich will nicht sagen, daß Sie einen grausamen Vortheil aus meiner Lage ziehen. Sie sind entsetzlich aufgeregt und ich will Ihnen Zeit lassen, sich ein wenig zu beruhigen.«

Hier schwieg ich, um zu überlegen, wie ich die Fragen stellen solle, die ich an ihn zu richten brannte. Aber vermuthlich war ich zu verwirrt oder vielleicht zu ungeduldig zur Ueberlegung. In den ersten Worten verrieth ich, was mich am meisten beschäftigte.

»Ich glaube nicht, daß Sie mich lieben«, sagte ich. »Sie schreiben mir so seltsame Dinge, Sie ängstigen mich mit Geheimnissen. Was wollten Sie damit sagen, als Sie schrieben, es werde Mr. Armadale Verderben bringen, wenn Sie zu mir zurückkehrten? Welche Gefahr kann für Mr. Armadale —«

Ehe ich die Frage noch beenden konnte, richtete er plötzlich den Kopf auf und löste seine Arme. Wie es schien, hatte ich einen wunden Punkt berührt, der ihn wieder zur Besinnung brachte. Anstatt daß ich vor ihm zurückwich, bebte vielmehr er vor mir zurück. Ich fühlte mich beleidigt; warum, weiß ich nicht, aber ich war beleidigt, und mit meinem bittersten Nachdrucke dankte ich ihm dafür, daß er sich endlich erinnere, was er mir schuldig sei!

»Glauben Sie an Träume?« brach er plötzlich mit dem wunderlichsten Wesen los, ohne im geringsten auf das zu achten, was ich zu ihm gesagt hatte. »Sagen Sie mir«, fuhr er fort, ohne mir Zeit zur Antwort zu lassen, »standen Sie oder irgend einer Ihrer Verwandten je mit Allan Armadales Vater oder Mutter in Beziehung? Waren Sie oder irgend einer Ihrer Angehörigen jemals auf der Insel Madeira?«

Denke Dir mein Erstaunen, wenn Du kannst. Ich erstarrte. In einer Sekunde war ich starr an allen Gliedern. Offenbar wußte er, was sich ereignet hatte, als ich aus Madeira in Mrs. Armadales Diensten stand, aller Wahrscheinlichkeit nach, ehe er geboren war! Das war an sich schon überraschend genug. Und er hatte irgend welchen Grund, mich mit jenen Ereignissen in Beziehung zu bringen. Dies war noch überraschender.

»Nein«, sagte ich, sobald ich mich zu sprechen getraute. »Ich weiß nichts von seinem Vater oder seiner Mutter.«

»Und nichts von der Jnsel Madeira?«

»Nichts von der Insel Madeira.«

Er wandte den Kopf ab und begann zu sich selber zu sprechen.

»Seltsam!« sagte er. »So gewiß, wie ich an der Stelle des Schattens am Fenster war, so gewiß war sie an der Stelle des Schattens am Teiche!«

Unter andern Verhältnissen würde sein merkwürdiges Benehmen mich vielleicht beunruhigt haben, allein nach seiner Frage über Madeira fühlte ich mich von einer größern Furcht ergriffen, die alle gewöhnliche Unruhe fern hielt. Ich brannte vor Angst und Neugier zu erfahren, wie er jene Kenntniß erlangt hatte und wer er eigentlich war. Vollkommen klar war mir, daß ich durch meine Frage nach Armadale ein Gefühl in ihm erweckt hatte, das ebenso mächtig war wie fein Gefühl für mich. Was war aus meinem Einflusse über ihn geworden?

Ich konnte nicht begreifen, was daraus geworden sei, aber ich konnte versuchen, ihn denselben wieder fühlen zu lassen, und ich that es.

»Behandeln Sie mich nicht grausam«, sagte ich; »ich war nicht grausam gegen Sie. O Mr. Midwinter, es ist hier so einsam und so finster, ängstigen Sie mich nicht!«

»Sie ängstigen!« Er war augenblicklich wieder fest an meiner Seite. »Sie ängstigen!« Er wiederholte die Worte mit einem Erstaunen, als ob ich ihn aus einem Traume erweckt und ihn einer Sache beschuldigt hätte, die er im Schlafe gesprochen.

Ich sah, wie sehr ich ihn in Erstaunen gesetzt hatte, und so schwebte es mir auf der Zunge, ihn, da er nicht auf seiner Hut war, zu fragen, warum meine Frage nach Armadale eine solche Veränderung in seinem Benehmen gegen mich hervorgebracht hätte. Doch nach dem, was vorgefallen, hatte ich keinen rechten Muth, zu bald auf den Gegenstand zurückzukommen. Ein Etwas, vielleicht war es Instinct, veranlaßte mich, Armadale für den Augenblick in Ruhe zu lassen und zuerst von ihm selber mit ihm zu sprechen.

Wie ich bereits in einem meiner frühern Briese gegen Dich erwähnte, habe ich gewisse Anzeichen in seinem Aussehen und Wesen wahrgenommen, die mich überzeugen, daß er in seinem vergangenen Leben etwas Ungewöhnliches gethan oder gelitten hat. Jedesmahl, wo ich ihn gesehen, habe ich immer argwöhnischer gefragt, ob er wirklich das ist, was er zu sein scheint, und allen meinen Zweifeln voran stand der, ob er unter seinem wahren Namen unter uns auftrete. Da ich hinsichtlich meiner eigenen Vergangenheit Geheimnisse zu bewahren und früher mehr als einen falschen Namen getragen habe, so bin ich jedenfalls um so schneller bereit, Andere zu beargwöhnen, wenn ich etwas Verdächtiges an ihnen bemerke. Von diesem Argwohn erfüllt, beschloß ich, ihn meinerseits durch eine unerwartete Frage zu erschrecken, wie er mich erschreckt hatte – durch eine Frage nach seinem Namen.

 

Während ich überlegte, war auch er in Nachsinnen versunken, und zwar, wie sich dies bald herausstellte über das, was ich zu ihm gesagt hatte. »Es thut mir so leid, Sie geängstigt zu haben«, flüsterte er mit jener Zartheit und Demuth, die wir an einem Manne alle so herzlich verachten, wenn er zu andern Frauen spricht, und die uns allen so sehr gefällt, wenn er zu uns selber redet. »Ich weiß kaum, was ich gesagt habe«, fuhr er fort, »ich bin so entsetzlich verwirrt. Vergehen Sie mir, wenn Sie können, ich bin heute Abend nicht Herr meiner selbst!«

»Ich bin nicht böse«, sagte ich; »ich habe Ihnen nichts zu verzeihen. Wir sind beide thöricht, wir sind beide unglücklich.« Ich legte meinen Kopf an seine Schulter. »Lieben Sie mich wirklich?« fragte ich flüsternd.

Sein Arm wand sich wieder sanft um meine Taille, und ich fühlte, wie sein Herz immer schneller klopfte.

»Wenn Sie nur wüßten!« antwortete er leise, »wenn Sie nur wüßten —« Er kennte nicht weiter. Ich fühlte, wie sein Gesicht sich dem meinigen näherte, deshalb ließ ich den Kopf tiefer sinken und hinderte ihn, als er im Begriff war, mich zu küssen. »Nein«, sagte ich, »ich bin nichts als ein Weib, für das Sie zufällig eine Caprice gefaßt haben. Sie behandeln mich, als ob ich Ihre verlobte Braut wäre.«

»Seien Sie meine verlobte Braut!« flüsterte er Ieidenschaftlich und versuchte meinen Kopf aufzurichten. Ich hielt diesen gesenkt. Das Grausen jener alten Erinnerungen, von denen Du weißt, überkam mich, und ich zitterte etwas, als er mich bat, sein Weib zu werden. Ich glaube nicht, daß ich mich wirklich ohnmächtig fühlte, aber eine ähnliche Empfindung ließ mich die Augen schließen. Sowie ich sie geschlossen hatte, that sich die Dunkelheit vor mir auf, als hätte sie der Blitz gesprengt, und in dem schauerlichen Schlunde stiegen die Gespenster jener andern Männer auf und sahen mich an.

»Sprich«, flüsterte er zärtlich. »Mein Leben, mein Engel, sprich!«

Seine Stimme brachte mich wieder zur Besinnung. Noch blieb mir Verstand genug, um mich zu erinnern, daß die Zeit versireiche und daß ich ihm noch nicht meine Frage hinsichtlich seines Namens vorgelegt hatte.

»Gesetzt, ich fühlte dasselbe für Sie, was Sie für mich fühlen?« sagte ich. »Gesetzt, ich liebte Sie innig genug, um Ihnen das Glück meines ganzen Lebens anzuvertrauen?«

Ich schwieg einen Augenblick, um zu Athem zu kommen. Es war unerträglich schwül und still, die Luft schien gestorben zu sein, als die Nacht hereingebrochen war.

»Würden Sie mich redlich heirathen«, fuhr ich fort, »falls Sie mich unter Ihrem gegenwärtigen Namen heiratheten?«

Sein Arm glitt von meiner Taille nieder und ich fühlte, wie er einmal heftig zusammenschrak. Darauf saß er neben mir still, kalt und schweigend, als ob meine Frage ihn stumm gemacht hätte. Ich schlang meinen Arm um seinen Nacken und legte meinen Kopf wieder an seine Schulter. Welcher Art der Zauber immer war, den ich auf ihn ausgeübt, meine Nähe schien denselben zu brechen.

»Wer hat Ihnen gesagt« – Er hielt inne. »Nein«, fuhr er fort, »Niemand kann es Ihnen gesagt haben. Was läßt Sie argwöhnen —« Er hielt abermals inne.

»Niemand hat es mir gesagt«, erwiderte ich, »und ich weiß nicht, was mich auf den Verdacht gebracht hat Wir Frauen haben oft seltsame Einfälle. Ist Mtdwinter wirklich Ihr echter Name?«

»Ich kann Sie nicht hintergehen«, sagte er nach einer abermaligen Pause. »Midwinter ist nicht mein wahrer Name.«

Ich schmiegte mich ein wenig fester an ihn an.

»Wie ist Ihr wahrer Name?« fragte ich.

Er zögerte.

Ich erhob mein Gesicht, bis meine Wange die seine berührte. Mit meinen Lippen hart an seinem Ohre sagte ich:

»Wie, noch immer kein Vertrauen zu mir? Kein Vertrauen zu dem Weibe, das so gut wie bekannt hat, daß es Sie liebt, das so gut wie erklärt hat, daß es Ihr Weib werden will?«

Er wandte sein Gesicht dem meinigen zu. Zum zweiten Male versuchte er mich zu küssen, und zum zweiten Male hinderte ich ihn daran.

»Wenn ich Ihnen meinen Namen sage«, sprach er »so muß ich Ihnen noch mehr mittheilen.«

Abermals berührte ich seine Wange mit der Meinigen.

»Warum auch nicht?« sagte ich. »Wie kann ich einen Mann lieben oder gar heirathen, der mir ein Fremder bleibt?«

Darauf schien es mir keine Antwort zu geben, aber er antwortete.

»Es ist eine fürchterliche Geschichte«, sagte er. »Sie dürfte, wenn Sie dieselbe erfahren, einen Schatten über Ihr Leben werfen, wie sie ihn bereits über das meinige geworfen hat.«

Ich umschlang ihn mit meinem andern Arme und beharrte auf meinem Verlangen.Erzählen Sie; ich fürchte mich nicht; erzählen Sie mir Ihre Geschichte!«

Er begann dem Drucke meines Arms zu weichen.

»Wollen Sie das Geheimniß bewahren?« sagte er. »Wollen Sie es so hüten, daß es Niemand erfährt, außer Ihnen und mir?«

Ich versprach ihm, es geheim zu halten, und harrte in wahrhaft rasender Neugier. Zweimal wollte er beginnen und beide Male fehlte ihm der Muth.

»Ich kann nichts« rief er wild und verzweifelt aus. »Ich kann’s nicht erzählen!«

Meine Neugier oder wahrscheinlicher meine Heftigkeit durchbrach alle Schranken. Er hatte mich so aufgereizt, daß es mir gleichgültig ward, was ich that oder sagte. Ich schloß ihn plötzlich fest in die Arme und drückte meine Lippen auf die seinigen. Ich liebe Dich!« flüfterte ich mit einem Kusse. »Willst Du mir’s jetzt erzählen?P«

Für den Augenblick war er sprachlos. Ich weiß nicht, ob ich es absichtlich gethan, um ihn toll zu machen. Ich weiß nicht, ob ich es in einem Muthausbruche unwillkürlich gethan habe. Nichts weiter steht fest, als daß ich sein Schweigen mir falsch gedeutet hatte. Sowie ich ihn geküßt hatte, stieß ich ihn wüthend von mir. »Ich hasse Sie!« sagte ich. »Sie haben mich dahin getrieben, daß ich mich vergessen habe. Verlassen Sie mich! Ich mache mir nichts aus der Dunkelheit. Verlassen Sie mich augenblicklich und lassen Sie sich nie wieder vor mir sehen!«

Er ergriff meine Hand und brachte mich zum Schweigen. Er sprach in neuem Tone, er befahl plötzlich, wie nur Männer es können.

»Setzen Sie sich«, sagte er. »Sie haben mir meinen Muth wiedergegeben, Sie sollen erfahren, wer ich bin?

In der uns rings umgebenden Stille und Finsterniß gehorchte ich ihm und setzte mich wieder nieder.

In der uns rings umgebenden Stille und Finsternis nahm er mich wieder in die Arme und erzählte mir, wer er sei.

Soll ich Dir seine Geschichte vertrauen? Soll ich Dir seinen wahren Namen sagen? Soll ich Dir, wie ich drohte, die Gedanken zeigen, die aus dieser Unterredung mit ihm und aus Allem, was sich seitdem für mich ereignet, erstanden sind?

Oder soll ich, wie ich es ihm versprach, sein und damit zugleich mein eigenes Geheimniß bewahren, indem ich diesen ewig langen Brief gerade in dem Augenblicke schließe, wo Du vor Verlangen vergehst, mehr zu erfahren?

Dies sind ernste Fragen, Mrs. Oldershaw, ernster, als Du ahnst. Ich habe Zeit gehabt, mich abzukühlen, und beginne einzusehen, was ich zur Zeit, da ich die Feder ergriff, nicht einzusehen vermochte, nämlich daß es weise ist, die Folgen zu bedenken. Habe ich etwa mich selbst geängstigt, indem ich Dich zu ängstigen suchte? Wohl möglich, wie seltsam das immer scheinen mag, aber es ist wirklich möglich.´

So eben habe ich ein paar Minuten am Fenster gestanden, um zu überlegen. Ich habe noch reichlich Zeit zum Nachdenkem ehe die Post abgeht. Jetzt erst kommen die Leute aus der Kirche.