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Armadale

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Mit diesem Entschlusse verließ er das Zimmer und that damit den unwiderruflichen Schritt von der Gegenwart in die Zukunft.

Es regnete noch immer. Der Himmel hing ringsum immer drohender und düsterer über ihnen, als Midwinter reisefertig in Allans Zimmer trat.

»Gerechter Himmel« rief Allan, auf den Mantelsack deutend, »was soll das bedeuten?«

»Nichts Besonderes«, sagte Midwinter, »Es bedeutet blos – Adieu.«

»Adieu!« rief Allan erstaunt aufspringend Midwinter schob ihn sanft in seinen Sessel zurück und zog einen Sitz für sich selber zu ihm heran.

»Als Du heute Morgen bemerktest, daß ich krank aussehe«, sprach er, »sagte ich Dir, daß ich bereits an ein Mittel gedacht, meine Gesundheit wiederherzustellen, und daß ich später mit Dir darüber reden werde. Der Augenblick ist jetzt gekommen. Ich bin seit einiger Zeit, wie man es nennt, verstimmt gewesen. Du hast dies selbst mehr als einmal bemerkt, Allan, und deshalb mit Deiner gewohnten Güte Manches in meinem Benehmen entschuldigt, was sonst selbst in Deinen Freundesaugen unverzeihlich gewesen wäre.«

»Mein lieber Junge«, unterbrach ihn Allan, »Du beabsichtigst doch nicht in diesem strömenden Regen eine Fußtour anzutreten?«

»Laß Dich den Regen nicht kümmern«, sagte Midwinter. »Der Regen und ich sind alte Freunde, Du weißt etwas von dem Leben, das ich geführt habe, ehe ich mit Dir zusammentraf, Man. Ich bin von Kindheit her an Mühsale und Entbehrungen gewöhnt gewesen. Ich habe monatelang Tag und Nacht kein Obdach gehabt. Mein Leben war jahrelang – während Du zu Hause und glücklich warst – das eines wilden Thieres, oder ich sollte vielmehr sagen, das eines Wilden. Ich habe die Hefen des Landstreicherthums noch immer in mir. Thut es Dir weh, mich in dieser Weise von mir selber sprechen zu hören? Ich will Dich nicht betrüben. Ich will nur noch sagen, daß der Luxus und Comfort unseres hiesigen Lebens mir zuweilen ein wenig zu viel für einen Mann erscheinen, dem Comfort und Luxus ursprünglich fremd sind. Ich bedarf nur der frischen Luft und kräftigen Körperbewegung, um mich ganz wiederherzustellen, weniger gute Frühstücke und Diners, mein lieber Freund, als ich hier genieße. Laß mich zu einigen jener Mühsale zurückkehren, welche fern zu halten dies behagliche Haus ausdrücklich angethan ist; laß mich wieder auf eine kleine Weile Ermüdung fühlen, ohne einen Wagen bei der Hand zu haben, der mich aufnimmt und weiter schafft; laß mich wieder Hunger empfinden, wenn die Nacht hereinbricht und noch viele Meilen zwischen mir und meinem Nachtessen liegen. Laß mich auf eine Woche oder zwei von Dir fort, Allan – zu Fuße, nordwärts, nach den Haiden von Yorkshire – und ich verspreche, als ein besserer Gesellschafter für Dich und Deine Bekannten nach Thorpe-Ambrose zurückzukehren. Ich werde wieder hier sein, ehe Du noch Zeit gehabt hast, mich zu vermissen. Mr. Bashwood wird nach den Administrationsgeschäften sehen; es ist ja nur auf vierzehn Tage und zu meinem Besten – laß mich gehen?«

»Es will mir nicht gefallen«, sagte Allan. »Es will mir nicht gefallen, daß Du mich so unerwartet verlässest. Es hat etwas so Seltsames und Trauriges. Warum versuchst Du’s nicht mit Reiten, wenn Du der Körperbewegung bedarfst; alle Pferde in den Ställen stehen Dir zu Diensten. Jedenfalls kannst Du unmöglich heute gehen. Sieh nur, wie es regnet!«

Midwinter sah nach dem Fenster und schüttelte leise den Kopf.

»Ich habe mir nichts aus dem Regen gemacht, als ich noch ein kleiner Bube war und mir mit meinen tanzenden Hunden mein Brod verdiente – warum sollte ich mir wohl jetzt etwas daraus machen? Es ist ein großer Unterschied, ob ich naß werde, oder Du, Allan. Als ich noch ein Fischerjunge auf den Hebriden war, hatte ich oft wochenlang keinen trockenen Faden auf meinem Leibe.«

»Aber Du bist jetzt nicht aus den Hebriden«, sagte Allan, »und ich erwarte morgen Abend unsere Freunde vom Parkhäuschen. Du kannst erst übermorgen fortgehen. Miß Gwilt wird wieder etwas spielen, und Du weißt, daß Miß Gwilt’s Klavierspiel Dir sehr viel Vergnügen macht.«

Midwinter wandte sich ab, um die Riemen seines Mantellacks zu schnallen. »Wenn ich zurückkehre, gib mir wieder Gelegenheit, Miß Gwilt spielen zu hören«, sagte er gebückt mit seinen Riemen beschäftigt.

»Du hast einen Fehler, mein lieber Junge, und der nimmt immer mehr bei Dir überhand«, sagte Allan in vorstellendem Tone; »wenn Du Dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hast, bist Du her halsstarrigste Mensch von der Welt. Man kann Dich nicht bewegen, Vernunft anzunehmen. Wenn Du aber durchaus gehen willst«, fügte Allan plötzlich aufstehend hinzu, als Midwinter schweigend seinen Hut und Stock aufnahm, »so denke ich fast, daß ich mit Dir gehen und es ebenfalls mit ein wenig-Unbequemlichkeit und Beschwerde versuchen will.«

»Mit mir gehen«, wiederholte Midwinter mit einer momentanen Bitterkeit in seinem Tone, »und Miß Gwilt verlassen!«

Allan setzte sich wieder und räumte durch sein bedeutungsvolles Schweigen die Kraft dieses Einwandes ein. Midwinter hielt ihm, ohne noch ein Wort hinzuzufügen, die Hand zum Abschiede hin. Sie waren Beide tief bewegt, und Jeder bemühte sich, dem Andern seine Bewegung zu verhehlen. Allan ergriff die letzte Zuflucht, die seines Freundes Festigkeit ihm noch übrig ließ: er versuchte den Abschiedsaugenblick durch einen Scherz zu erheitern.

»Ich will Dir etwas sagen«, sprach er; »ich beginne zu zweifeln, ob Du wirklich ganz von Deinem Glauben an den Traum geheilt bist. Ich habe Dich im Verdacht, daß Du doch noch von mir fortläufst!«

Midwinter sah ihn an – ungewiß, ob Allan im Scherz oder im Ernst rede. »Was meinst Du damit?« fragte er.

»Was hast Du mir gesagt«, entgegnete Allan, »als Du mich neulich hier hereinführtest und mir Dein Bekenntniß ablegtest? Was hast Du von diesem Zimmer und von dem zweiten Traumgesicht gesagt? Beim Jupiter!« rief er abermals aufspringend, »jetzt, da ich darauf achte – dies ist das zweite Traumgesicht! Dort schlägt der Regen ans Fenster – dort ist der Rasen und der Garten draußen – hier bin ich, wo ich im Traume stand – und dort bist Du, wo der Schatten stand. Die ganze Scene vollständig – draußen sowohl wie hier innen, und diesmal habe ich es herausgefunden.«

In die todten Träume von Midwinter’s Aberglauben kam für einen Augenblick wieder eine Spur von Leben. Er wechselte die Farbe und bekämpfte eifrig, fast zornig Allan’s Schlußfolgerung.

»Nein!« sagte er, indem er auf die kleine Marmorstatue auf der Console deutete, »die Scene ist nicht vollständig – Du hast, wie gewöhnlich, etwas vergessen. Der Traum hat diesmal – Gott sei’s gedankt! – Unrecht, völlig Unrecht. In Deinem Traumgesichte lag die Statuette zerbrochen am Boden und Du bücktest Dich ängstlich und zornig zu den Scherben herab. Dort steht die Statue, heil und unverletzt! – und Du hast nicht die Spur von Zorn im Herzen, wie?« Er faßte Allan leidenschaftlich bei der, Hand. In demselben Augenblicke kam ihm das Bewußtsein, daß er so ernstlich spreche und handele, wie wenn er noch an den Traum geglaubt hätte. Eine schnelle Röthe stieg ihm ins Gesicht und er wandte sich mit verlegenem Schweigen ab.

»Was habe ich Dir gesagt?« sprach Allan mit einem etwas unbehaglichen Lachen. »Jene Nacht auf dem Wrack liegt Dir noch immer so schwer wie je auf dem Herzen.«

»Nichts liegt mir schwer auf dem Herzen«, entgegnete Midwinter ungeduldig; »aber der Ranzen liegt mir schwer auf dem Rücken, und ich verliere meine Zeit. Ich will hinausgehen und nachsehen, ob Aussicht vorhanden, daß es sich aufklärt.«

»Du wirst wiederkommen?« sagte Allan.

Midwinter öffnete die Gartenthür und trat hinaus.

»Ja«, sagte er in seiner gewöhnlichen milden Art, »ich will in vierzehn Tagen zurückkommen Adieu, Allan, und ich wünsche Dir Glück mit Miß Gwilt!«

Er stieß die Glasthür zu und war schon durch den Garten davongeeilt, ehe sein Freund die Thür wieder zu öffnen und ihm zu folgen im Stande war.

Allan stand auf und that einen Schritt dem Garten zu; dann blieb er stehen und kehrte zu seinem Sessel zurück. Er kannte Midwinter hinlänglich, um einzusehen, daß es völlig nutzlos sein würde, ihm folgen oder ihn zurückbringen zu wollen. Er war fort, und es war keine Aussicht vorhanden, daß er ihn früher als in vierzehn Tagen wiedersehen würde. So verging etwa eine Stunde – noch immer regnete es und der Himmel sah noch immer drohend aus. Ein immer drückenderes Gefühl der Einsamkeit und Niedergeschlagenheit – das Gefühl von allen andern, das zu begreifen oder zu ertragen seine frühere Lebensweise ihn am allerwenigsten befähigt hatte – bemächtigte sich Allan’s. In reinem Grausen vor seinem eigenen unwohnlichen einsamen Hause klingelte er nach Hut und Regenschirm und beschloß, im Häuschen des Majors Zuflucht zu suchen.

»Ich hätte wohl eine Strecke mit ihm gehen können«, dachte Allan, noch immer mit Midwinter beschäftigt, während er seinen Hut aufsetzte »Ich hätte dem lieben alten Jungen gern das gebührende Geleit gegeben.«

Er nahm den Regenschirm. Hätte er das Gesicht des Dieners beachtet, der ihm denselben reichte, so hätte er vielleicht einige Fragen an ihn gerichtet und Nachrichten von ihm erhalten, die ihn in seiner gegenwärtigen Gemüthsstimmung interessiert haben dürften.

So aber ging er hinaus, ohne den Mann anzusehen und ohne zu ahnen, daß seine Diener mehr von Midwinter’s letzten Augenblicken in Thorpe-Ambrose wußten, als er selber. Vor kaum zehn Minuten waren der Fleischer und der Gewürzkrämer dagewesen, um den Betrag ihrer Rechnungen in Empfang zu nehmen —und beide hatten gesehen, wie Midwinter seine Reise begonnen hatte.

Der Gewürzkrämer hatte ihn unsern vom Hause zuerst getroffen, wie er mitten im Regengusse stehen geblieben war und mit einem zerlumpten kleinen Spitzbuben, der Plage der ganzen Nachbarschaft, gesprochen hatte. Die gewohnte Impertinenz des Buben war beim Anblick des Mantelsacks, den der Herr trug, noch frecher, als gewöhnlich hervorgetreten Und was hatte der Herr zur Erwiderung gethan? Er war stehen geblieben, hatte ein trauriges Gesicht gemacht und beide Hände sanft auf die Schultern des Knaben gelegt. Der Gewürzkrämer hatte dies mit eigenen Augen gesehen, und mit seinen eigenen Ohren hatte er ihn sagen hören: »Du armer kleiner Kerl! Ich weiß besser, als die meisten Leute, die einen guten Rock auf dem Leibe haben, wie der Wind und der Regen durch eine zerlumpte Jacke dringen.« Und bei diesen Worten hatte er in seine Tasche gegriffen und die Frechheit des Knaben mit einem Schilling belohnt. »Hier nicht ganz richtig«, sagte der Gewürzkrämer, seine Stirn berührend. »Das ist meine Meinung von Mr. Armadales Freund!«

 

Der Fleischer hatte ihn später am andern Ende der Stadt gesehen. Abermals war er im Regengusse stehen geblieben – und zwar diesmal, um nichts Merkwürdigeres als einen alten halbverhungerten Hund zu betrachten, der auf einer Thürschwelle zitterte. »Ich behielt ihn im Auge«, sagte der Fleischer, »und was that er wohl? Er kam herüber in meinen Laden und kaufte ein Stück Fleisch, das für einen Christenmenschen gut genug gewesen wäre. Gut. Er sagt guten Morgen und geht wieder über die Straße und, auf mein Wort, er kniet auf der nassen Thürschwelle nieder, nimmt sein Messer aus der Tasche, zerschneidet das Fleisch und gibt es dem Hunde. Fleisch, sage ich Ihnen nochmals, das für einen Christenmenschen gut genug war, Madame«, schloß der Fleischer zur Köchin gewendet, »ich bin kein harter Mann, aber Fleisch ist Fleisch, und es wird dem Freunde Ihres Herrn recht geschehen, wenn er noch eines Tages Mangel leidet.«

In der Gesellschaft dieser unvergeßlichen alten Sympathien für die alte unvergeßliche Zeit hatte er seinen einsamen Weg angetreten, die Stadt hinter sich liegen lassen und war in dem dichten Regen verschwunden. Der Gewürzkrämer und der Fleischer hatten ihn zuletzt gesehen und ihn beurtheilt, wie alle großen Naturen vom Gewürzkrämer- und Fleischergesichtspunkte aus beurtheilt werden.

Zehntes Kapitel

Zwei Tage nach Midwinter’s Abschied von Thorpe-Ambrose schellte Mrs. Milroy, nachdem sie ihre Morgentoilette beendet und ihre Wärterin entlassen, fünf Minuten später abermals auch dieser und fragte die Eintretende ungeduldig, ob die Briefe mit der Morgenpost angelangt seien.

»Briefe?« wiederholte die Wärterin. »Haben Sie nicht Ihre Uhr? Wissen Sie nicht, daß es noch eine gute halbe Stunde zu früh ist, um schon Ihre Briefe verlangen zu können?« Sie sprach mit der vertraulichen Dreistigkeit einer Dienerin, welche die Schwäche und Abhängigkeit ihrer Herrin zu mißbrauchen seit langer Zeit gewohnt war. Mrs. Milroy schien ihrerseits ebenso sehr an das Benehmen ihrer Wärterin gewöhnt. Gelassen ertheilte sie ihre Befehle, ohne von jenem Notiz zu nehmen.

»Wenn der Briefträger kommt«, sagte sie, »so geht Ihr und nehmt ihm die Briefe ab. Ich erwarte einen Brief, den ich schon vor zwei Tagen hätte haben sollen. Unbegreiflich. Ich fange an, die Dienstboten in Verdacht zu haben.«

Die Wärterin lächelte verächtlich. »Wen werden Sie demnächst beargwöhnen?« sagte sie. »So, so! Werden Sie nicht ärgerlich. Ich will heute Morgen ans Pförtchen gehen, sobald geschellt wird, und wir wollen sehen, ob ich Ihnen einen Brief bringen kann, wenn der Briefträger kommt.« Mit diesen Worten, die sie in einem Tone sprach, als ob sie ein eigensinniges Kind beruhige, verließ die Wärterin das Zimmer, ohne zu warten, bis man sie verabschiedete.

Als sie wieder allein war, wandte Mrs. Milroy sich langsam und matt aus ihrem Bette um und ließ das durchs Fenster hereinströmende Licht auf ihr Gesicht fallen.

Dies war das Gesicht eines Weibes, das einst schön gewesen und das hinsichtlich seiner Jahre noch in der Blüte des Lebens stand. Lang dauerndes Körperleiden und beständige Gemüthsbewegung hatten sie zu Haut und Knochen abgezehrt. Das völlige Wrack ihrer Schönheit ward durch ihre verzweifelten Bemühungen, dieses Wrack selbst vor sich selber, vor ihrem Gatten und ihrem Kinde wie vor dem Arzte zu verbergen, dessen Sache es war, die Wahrheit zu ergründen, zu einem entsetzlichen Anblicke gemacht Ihr Kopf, der den größeren Theil seines Haarschmucks verloren, würde weniger schauerlich anzusehen gewesen sein, als die scheußlich jugendliche Perrücke, durch welche sie den Verlust zu verbergen suchte. Ihr schlechter Teint und ihre Runzeln hätten einen weniger widerwärtigen Anblick gewährt, als die dicke Kruste von Schminke, die auf ihren Wangen lag, und die weiße Emaille auf ihrer Stirn. Die schönen Spitzen und Stickereien an ihrem Nachtkleide, die Bänder an ihrem Häubchen und die Ringe an ihren hageren Fingern, die alle darauf berechnet waren, das Auge von der Veränderung abzuziehen, die mit ihr vorgegangen war, lenkten vielmehr erst die Aufmerksamkeit auf diese Veränderung, – hoben sie noch mehr hervor und machten sie durch die Macht des Contrastes nur noch hoffnungsloser und fürchterlicher, als sie in Wirklichkeit war. Ein illustriertes Modejournal, in welchem Frauen durch den freien Gebrauch ihrer Gliedmaßen ihren Putz zur Schau trugen, lag auf dem Bette, von dem sie selbst seit Jahren sich ohne die Unterstützung ihrer Pflegerin nicht hatte bewegen können. Neben dem Journal lag ein Handspiegel so nahe, daß sie ihn leicht erreichen konnte. Nachdem die Wärterin sie verlassen, nahm sie diesen Spiegel in die Hand und betrachtete ihr Gesicht mit einem Interesse und einer Aufmerksamkeit, deren sie sich im achtzehnten Jahre würde geschämt haben.

»Immer älter und älter, immer magerer und magerer!« sagte sie. »Der Major wird bald ein freier Mann sein – aber zuvor will ich diese rothköpfige Mamsell aus dem Hause schaffen!«

Sie ließ den Spiegel auf die Bettdecke fallen und ballte die Hand, die ihn gehalten hatte. Plötzlich hefteten sich ihre Augen auf ein mit Kreide gezeichnetes kleines Porträt ihres Gatten, das an der Wand ihr gegenüber hing, und betrachteten das Bildchen mit dem kalten, grausam funkelnden Blicke des Raubvogels. »Also Roth ist Dein Geschmack in Deinen alten Tagen, nicht wahr?« sagte sie zu dem Porträt. »Rothes Haar und ein scrophulöser Teint und eine ausgestopfte Figur, und der Gang einer Ballettänzerin und die leichten Finger einer Taschendiebin Miß Gwilt! Miß, mit solchen Augen und einem solchen Gange!« Sie wandte plötzlich den Kopf auf dem Kissen um und brach in ein schneidendes Hohngelächter aus. »Miß!« wiederholte sie einmal über das andere, mit dem giftigen Nachdruck der unbarmherzigsten aller Gestalten menschlicher Verachtung – der Verachtung eines Weibes für das andere.

Die Zeit, in der wir leben, behauptet, daß kein menschliches Wesen völlig verdammenswerth ist. Giebt es eine Entschuldigung für Mrs. Milroy? Ihre Lebensgeschichte möge diese Frage beantworten.

In ungewöhnlich früher Jugend hatte sie den Major geheirathet und damit sich mit einem Manne vermählt, der alt genug war, um ihr Vater sein zu können – ein Mann, der zu jener Zeit, und zwar nicht mit Unrecht, in dem Rufe stand, seine gesellschaftlichen Gaben und die Vorzüge seiner persönlichen Erscheinung den Frauen gegenüber aufs Aeußerste ausgebeutet zu haben. Von mittelmäßiger Erziehung und in gesellschaftlicher Stellung ihrem Gatten untergeordnet, hatte sie unter dem Einflusse ihrer geschmeichelten Eitelkeit seine Bewerbungen angenommen und schließlich selbst den Zauber empfunden, den Major Milroy in früheren Tagen auf Frauen ausgeübt hatte, die ihr in geistiger Beziehung unendlich überlegen gewesen waren. Ihn, seinerseits, hatte ihre Hingebung gerührt und außerdem ihre Schönheit, Frische und Jugend angezogen. Bis zur Zeit, wo ihre kleine Tochter, die zugleich ihr einziges Kind blieb, ihr achtes Jahr zurückgelegt, war ihr eheliches Leben ein ungewöhnlich glückliches gewesen. Um diese Zeit traf sie der doppelte Schicksalsschlag, daß die Gesundheit der Gattin zu wanken begann und der Gatte fast sein ganzes Vermögen einbüßte – und von diesem Augenblicke an hatte das häusliche Glück des Ehepaars in Wirklichkeit ein Ende genommen.

Da er das Alter erreicht, in welchem der Mensch in der Regel unter dem Druck des Schicksals eher zu resigniren, als ihm Widerstand zu bieten pflegt, hatte der Major den kleinen Rest seines Vermögens in Sicherheit gebracht, sich aufs Land zurückgezogen und geduldig in seinen mechanischen Beschäftigungen seinen Trost gesucht. Ein Weib, das ihm an Jahren näher gestanden, oder ein Weib von besserer Erziehung und duldsamerem Gemüthe, als seine Gattin, würde das Verhalten des Majors begriffen und in seiner Ergebung ihren eigenen Trost gefunden haben. Mrs. Milroy aber vermochte in nichts Trost zu finden. Weder ihre Natur noch ihre Erziehung halfen ihr das Ungliick mit Ergebung zu ertragen, das sie in der Blüte ihrer Jugend, und in dem höchsten Glanze ihrer Schönheit getroffen hatte. Der Fluch einer unheilbaren Krankheit zerrüttete sie sofort und auf Lebenszeit.

Leiden entwickeln sowohl das verborgene Böse in der menschlichen Natur, wie das verborgene Gute. Das Gute in Mrs. Milroy’s Natur schrumpfte unter dem verderblichen Einflusse zusammen, unter dem das Böse wuchs und sich entfaltete! Von Monat zu Monat ward sie, wie sie physisch schwächer wurde, moralisch schlechter. Alles was niedrig, grausam und falsch in ihr war, wuchs in sicherem Verhältnisse zur Abnahme alles dessen, was einst großmüthig, liebenswerth und wahr an ihr gewesen. Der alte Argwohn, daß ihr Gatte gern wieder in die Unregelmäßigkeiten seines Junggesellenlebens zurückfallen möchte, den sie ihm zur Zeit ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit offen eingestanden, und dessen Grundlosigkeit sie früher oder später stets eingesehen hatte, kehrte ihr jetzt, da ihre Krankheit sie von ihm geschieden, in der Gestalt jenes niedrigen, eifersüchtigen Mißtrauens zurück, das sich so schlau versteckt, das den Zündstoff Atom für Atom zu einem Haufen zusammenträgt und das langsam brennende Feuer der Eifersucht im Herzen entflammt. Kein Beweis, den man Mrs. Milroy jetzt von ihres Gatten tadellosem und harmlosem Leben zu bringen vermochte; keine Berufung auf ihre Selbstachtung oder auf ihre Rücksicht auf ihr jetzt zum Weibe heranreifendes Kind hatte die Macht, die fürchterliche Selbsttäuschung zu verscheuchen, die aus ihrer hoffnungslosen Krankheit erwuchs und mit derselben zunahm. Gleich allem andern Wahnsinn hatte jene ihre Zeiten der Ebbe und Flut, Zeiten krampfhaften Ausbruchs und Zeiten einer heuchlerischen Ruhe – aber ob activ oder passiv vorhanden war der Wahn stets. Unschuldige Dienerinnen und tadellose Fremde waren dadurch verletzt worden. Sie hatte die ersten Thränen der Beschämung und des Kummers dadurch in die Augen ihrer Tochter gebracht und die tiefsten Linien damit in das Gesicht ihres Gatten gefurcht. Dies war seit Jahren das geheime Elend des kleinen Haushaltes gewesen – jetzt sollte es die Schranken des Hauses überschreiten und die bevorstehenden Ereignisse in Thorpe-Ambrose beeinflussen, von welchen die Zukunft Allan’s und seines Freundes betroffen wurde.

Zum richtigen Verständnisse der ernsten Folgen, die Miß Gwilt’s Erscheinen herbeigeführt, bedarf es eines kurzen Hinblickes aus die Lage der Dinge im Parkhäuschen vor der Ankunft der neuen Erzieherin.

Als die Gouvernante, welche seit vielen Jahren in seiner Familie gelebt und deren Alter und Aussehen selbst Mrs. Milroy’s Eifersucht keinen Anhaltspunkt boten, sich verheirathet, hatte der Major die Frage, ob er seine Tochter einer Erziehungsanstalt anvertrauen solle, weit ernstlicher in Erwägung gezogen, als seine Gattin es vermuthete. Einerseits wußte er, daß in seinem Hause Auftritte stattfanden, denen ein so junges Mädchen nicht beiwohnen sollte. Auf der andern aber fühlte er ein unbezwingliches Widerstreben gegen die einzige wirksame Maßregel, seine Tochter sowohl während der Ferien, als während der Schulzeit aus dem Hause zu geben. Nachdem der hierüber in seinem Geiste erwachte Zwiespalt endlich durch den Entschluß, durch die Zeitungen sich eine Erzieherin zu suchen, beigelegt worden war, hatte Major Milroy’s angeborner Hang, Unannehmlichkeiten lieber zu meiden, als ihnen auf halbem Wege entgegen zu gehen, sich wieder in der gewohnten Weise offenbart. So ruhig wie immer hatte er die Augen gegen seine häuslichen Sorgen geschlossen und war, wie er dies schon bei Hunderten von früheren Gelegenheiten gethan, zu der tröstlichen Gesellschaft seiner alten Freundin, der Uhr, zurückgekehrt.

Anders verhielt es sich mit seiner Gattin. Die Möglichkeit, welche ihr Gatte gänzlich außer Acht gelassen, daß nämlich die erwartete neue Erzieherin eine jüngere und anziehendere Person sein könnte, als die alte Gouvernante, die sie verlassen hatte, war das Erste, was Mrs. Milroy vor die Seele trat. Sie hatte indeß nichts gesagt. Während sie im Stillen gewartet und im Stillen ihr eingewurzeltes Mißtrauen genährt, hatte sie ihrem Gatten und ihrer Tochter zugeredet, sie gelegentlich des Picknicks zu verlassen, mit dem ausdrücklichen Vorsatze, diese Abwesenheit zu benutzen, um die neue Erzieherin allein zu sehen. Die Erzieherin hatte sich vorgestellt und das glimmende Feuer von Mrs. Milrotjs Eifersucht war in dem ersten Augenblicke, da sie und die schöne Fremde einander erblickt, in hellen Flammen aufgelodert.

 

Sowie die Unterredung vorüber, war Mrs. Milroy’s Argwohn augenblicklich und unerschütterlich auf Major Milroy’s Mutter gefallen. Sie wußte sehr wohl, daß der Major sonst Niemanden in London kannte, den er mit den nothwendigen Erkundigungen beauftragen konnte, und daß Miß Gwilt sich als Fremde nur infolge der Aufforderung in der Zeitung um die Stelle beworben hatte. Obgleich sie indeß dies wußte, hatte sie mit der blinden Raserei der blindesten aller Leidenschaften hartnäckig vor allen offen vor ihr liegenden Thatsachen die Augen geschlossen und der letzten all’ der zahlreichen Differenzen zwischen ihr und ihrer Schwiegermutter gedenkend, die damit geendet, daß sie die beiden Damen gänzlich auseinander gebracht hatte, war sie begierig auf den Schluß gefallen, daß sie Miß Gwilt’s Engagement dem rachesüchtigen Wunsche ihrer Schwiegermutter, in ihrem Hause Unheil zu stiften, zuzuschreiben habe. Die Folgerung, welche sogar die Dienstboten, die Zeugen des häuslichen Aergernisses waren, ganz richtig aus der Sache gezogen, daß nämlich die Mutter des Majors, indem sie ihrem Sohne die Dienste einer gut empfohlenen Erzieherin verschafft, es durchaus nicht als einen Theil ihrer Pflicht betrachtet habe, im rein eingebildeten Interesse seiner Gattin auf das Aeußere der Erzieherin Rücksicht zu nehmen – zu ihr sich zu erheben, war Mrs. Milroy’s Geist einfach unmöglich. Der Entschluß, zu dem sie ihre Eifersucht nach dem Anblicke Miß Gwilt’s jedenfalls getrieben hatte, ward durch die Ueberzeugung, die sich ihrer jetzt bemächtigte, doppelt in ihr bestärkt. Kaum hatte Miß Gwilt die Thür des Schlafzimmers geschlossen, als Mrs. Milroy’s Lippen leise die Worte zischten, »Ehe noch eine Woche über Deinem Haupte verstrichen, wirst Du Deiner Wege gehen, Mylady!«

Von jenem Augenblicke an kannte die bettlägerige Frau die schlaflosen Nächte und langen Tage hindurch keinen anderen Lebenszweck, als aus die Entlassung der neuen Erzieherin hinzuarbeiten.

Sie sicherte sich den Beistand der Wärterin als Spionin – wie sie sich von ihrer Bedienung schon andere Extradienste verschafft hatte, zu denen diese nicht verpflichtet war – durch ein Geschenk aus ihrer Garderobe. Die Kleidungsstücke, welche jetzt für Mrs. Milroy nutzlos waren, hatten Stück für Stück in dieser Weise dazu dienen müssen, die Habgier der Wärterin – die unersättliche Habgier eines häßlichen Weibes nach schönen Kleidern – zu stillen. Durch das schönste Kleid bestochen, das sie noch bisher erlangt, hatte die Hausspionin ihre geheimen Instructionen entgegengenommen und sich mit einer feilen Freude an ihr geheimes Werk gemacht.

Die Tage vergingen, das Werk ward fortgesetzt – doch es kam zu keinem Resultate. Herrin und Dienerin hatten es mit einem Weibe zu thun, das ihnen Beiden gewachsen war. Häufiges plötzliches Erscheinen im Wohnzimmer, wenn der Major sich mit der Erzieherin allein darin befand, hatte nicht die unbedeutendste Unschicklichkeit in Worten, Mienen oder Gebärden zwischen ihnen entdecken können. Durch verstohlenes Lauern und Lauschen an der Schlafkammerthür der Gouvernante spürte man auf, daß sie spät in der Nacht Licht brannte und im Schlafe ächzte und mit den Zähnen knirschte – weiter aber nichts. Sorgfältiges Aufpassen am Tage verhalf zu der Entdeckung, daß sie ihre Briefe regelmäßig selbst auf die Post trug, anstatt dieselben der Hausmagd anzuvertrauen – und wenn ihre Pflichten sie frei ließen, dann und wann plötzlich aus dem Garten verschwunden und später allein aus dem Park zurückgekehrt war. Ein einziges Mal nur hatte die Wärterin Gelegenheit gefunden, ihr zu folgen, als sie aus dem Garten trat, war aber im Park augenblicklich von Miß Gwilt entdeckt und von dieser mit der unerträglichsten Höflichkeit gefragt worden, ob sie Lust habe, sie auf ihrem Spaziergange zu begleiten. Unbedeutende Umstände dieser Art, die für eine eifersüchtige Frau hinlänglich verdächtig waren, entdeckte man in Hülle und Fülle. Umstände jedoch, die ihr zu einer Klage über den Major ausgiebigen Grund verliehen hätten, fehlten gänzlich. Ein Tag nach dem andern verging, und Miß Gwilt beharrte bei ihrem durchaus schicklichen Betragen und ihrem tadellosen Verhalten zum Major und ihrer Schülerin.

Da sie sich nach dieser Seite hin zurückgeschlagen sah, so versuchte Mrs. Milroy zunächst eine angreifbare Stelle in der Angabe zu finden, welche die Dame, die Miß Gwilt empfohlen, über den Charakter der Erzieherin gemacht hatte.

Nachdem Mrs. Milroy sich vom Major den umständlichen Bericht verschaffte, den er über diesen Gegenstand von seiner Mutter erhalten, las sie das Schreiben einmal über das andere sorgfältig durch, ohne jedoch in irgend einem Theile des Briefes jenen schwachen Punkt zu finden, den sie suchte. Alle die in dergleichen Fällen üblichen Fragen waren gethan und offen und gewissenhaft beantwortet worden. Die einzige Stelle, die möglicherweise einen Angriff zulässig machte, war, nachdem alle praktischen Fragen beseitigt, eine Stelle am Schlusse des Briefes.

»Ich war von Miß Gwilt’s Anmuth und seinem Wesen so sehr frappirt«, lautete diese Stelle, »daß ich, sowie sie das Zimmer verlassen, die erste Gelegenheit ergriff, mich zu erkundigen, wie sie dazu gekommen, Erzieherin zu werden. »Es ist die alte Geschichte«, sagte man mir. »Eine traurige Familiengeschichte, in der sie sich edel benahm. Sie ist eine sehr sensible Person, und es widerstrebt ihr, mit Fremden hierüber zu sprechen – ein sehr natürliches Widerstreben, das mein Zartgefühl mir stets zu achten gebot. Natürlich hatte ich dasselbe Zartgefühl. Es gehörte ganz und gar nicht zu meiner Pflicht, mich in den geheimen Kummer des armen Geschöpfes einzudrängen, ich hatte nichts weiter zu thun, als das, was ich jetzt gethan habe, um mich zu versichern, daß ich eine fähige und achtbare Person als Erzieherin für meine Enkelin engagierte.«

Nach sorgfältiger Erwägung dieser Zeilen fand sie Mrs. Milroy – da sie etwas Verdächtiges sehnlich zu finden wünschte – natürlich verdächtig. Sie beschloß, das Geheimniß von Miß Gwilt’s geheimem Kummer zu ergründen, in der Hoffnung, daraus etwas zu entnehmen, was ihrem Zwecke dienen könnte. Zweierlei Wege standen ihr dabei offen. Sie konnte die Erzieherin direct befragen, oder sich um fernere Auskunft an die Dame wenden, welche Miß Gwilt empfohlen hatte. Die Erfahrung, die sie bei ihrer ersten Unterredung mit Miß Gwilt von deren Talent, mit unbequemen Fragen umzuspringen gemacht hatte, bestimmte sie, den letzteren Weg einzuschlagen. »Ich will mir die Einzelheiten zuerst von jener Dame verschaffen«, dachte Mrs. Milroy, »und dann das Geschöpf selber ausfragen und sehen, ob die beiden Geschichten mit einander übereinstimmen.«

Der um Auskunft bittende Brief hielt sich gewissenhaft an die Sache. Mrs. Milroy begann damit, ihrer Correspondentin mitzutheilen, wie ihr Gesundheitszustand es nothwendig mache, ihre Tochter gänzlich dem Einflusse und der Aufsicht der Erzieherin zu überlassen. Aus diesem Grunde sei ihr mehr noch als den meisten Müttern daran gelegen, sich in jeder Hinsicht gründliche Auskunft über eine Person zu verschaffen, der sie ihr einziges Kind so ausschließlich anvertrauen möchte, und in dieser Sorge hoffe sie, daß die Dame ihr eine Frage verzeihen werde, die nach der vortrefflichen Empfehlung, welche sie Miß. Gwilt gegeben, als eine überflüssige erscheinen dürfe. Nach dieser Vorrede kam Mrs. Milroy sofort zur Sache und ersuchte die Dame, sie von den Umständen zu unterrichten, welche Miß Gwilt genöthigt hatten, eine Gouvernantenstelle zu suchen.