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Armadale

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Vom Goldschmied verfügte ich mich zu dem bekannten großen Trauermagazine in Regent-Street. In vierundzwanzig Stunden, wenn ich ihnen nicht mehr Zeit lassen könne, haben sie sich dort verbindlich gemacht, mich vom Kopf bis zu den Füßen in Schwarz zu stecken. Mit einem neuen fieberhaften Schauer verließ ich den Laden, und um an diesem bewegten Tage noch mehr Aufregung zu haben, fand ich bei meiner Rückkunft im Hotel eine Ueberraschung meiner harrend. Ein ältlicher Herr, so sagte man mir, warte auf mich. Ich machte mein Zimmer auf und – da saß der alte Bashwood.

Am Morgen hatte er meinen Brief empfangen und war, diesen in Person zu beantworten, sofort mit dem nächsten Zug nach London gefahren. Wohl hatte ich viel von ihm erwartet, so viel aber doch nicht. Es schmeichelte mir, für den Moment, gestehe ich, schmeichelte es mir.

Die Entzückungen und Vorwürfe, das Schluchzen und Weinen, die langweiligen Expectorationen des elenden alten Geschöpfes über die einsamen Tage, die er, verlassen von mir, in dumpfem Brüten in Thorpe-Ambrose verbracht habe, übergehe ich. Zu Zeiten ward er ganz beredt, seine Beredtsamkeit aber kann ich hier nicht brauchen. Natürlich setzte ich mich erst mit ihm auseinander und sondierte seine Empfindungen, ehe ich ihn fragte, was er mir Neues bringe. Welche Wohlthat manchmal die Eitelkeit des Weibes ist! In meinem Bemühen, liebenswürdig zu sein, vergaß ich fast meine Gefahren und Verpflichtungen. Ein paar Minuten fühlte ich selbst einen kleinen Kitzel des Triumphs. Und es war ein Triumph, selbst einem alten Manne gegenüber! In einer Viertelstunde hing er lächelnd und schmunzelnd und wie verzückt an meinen unbedeutendsten Worten und antwortete auf alle meine Fragen wie ein gutes kleines Kind.

Da ist der Bericht der Thorpe-Ambroser Zustände und Verhältnisse, wie ich ihn Brocken für Brocken dem alten Manne entlockte.

Die Kunde von Armadales Tod hat bereits Miß Milroy erreicht. Sie ist vollkommen zu Boden geschmettert davon, sodaß ihr Vater sie hat aus der Pension nehmen müssen. Jetzt ist sie wieder zu Hause und der Arzt besucht sie täglich. Bedaure ich sie? Ja! Ich bedaure sie gerade so sehr, wie sie einst mich bedauert hat!

Die Zustände im Herrenhause, die ich ziemlich unbegreiflicher Art erwartete, sind völlig unverständlich und sicher nicht eben ermuthigend. Erst gestern sind die Sachwalter beider Parteien zu einer Vereinbarung gelangt. Mr. Darch, der Anwalt der Blanchards und vordem Armadale’s bitterer Feind, vertritt die Interessen von Miß Blanchard, welche die nächste Erbin des Gutes ist und, wie es scheint, vor einiger Zeit sich in eigenen Angelegenheiten in London aufgehalten hat. Mr. Smart von Norwich, ursprünglich nur beauftragt, Bashwoods Intendantur zu controliren, vertritt den verstorbenen Armadale. Der erstere hat den Besitz des Gutes und das Recht, die Pachtsummen am nächsten Weihnachtsfeiertage in Empfang zu nehmen, für seine Clientin beansprucht. Mr. Smart seinerseits räumt ein, daß alle Umstände für Mr. Darch sprechen, da er keinen Grund findet, Armadales Tod zu bestreiten, und wird den Intentionen Mr. Darch’s keinen Widerstand entgegensetzen, wenn dieser alle Verantwortlichkeit einer Besitzergreifung für Miß Blanchard übernehmen will. Dies hat nun Mr. Darch bereits gethan, und das Gut ist factisch schon in Miß Blanchard’s Besitze.

Wie Bashwood meint, wird aus diesem Uebereinkommen folgen, daß Mr. Darch die Entscheidung über meinen Anspruch auf die Stellung und das Einkommen der Wittwe in die Hand bekommt. Das Einkommen, welches auf den Grundbesitz hypothekarisch eingetragen ist, muß somit aus Miß Blanchard’s Tasche kommen und seine Auszahlung folglich in den Bereich ihres Rechtsanwalts fallen. Morgen wird sich wahrscheinlich ergeben, ob diese Ansicht richtig ist, denn heute Morgen wird mein Schreiben an Armadale’s Vertreter im Herrenhause übergeben worden sein.

Das war’s, was mir der alte Bashwood zu berichten hatte. Nachdem ich meinen Einfluß auf ihn mir wieder gesichert und Alles, was er wußte, in Erfahrung gebracht hatte, kam es nun zunächst darauf an, wie ich in Zukunft seine Dienste für mich zweckmäßig verwenden sollte. Er stand mir ganz zu Gebote, denn sein Posten war bereits von Miß Blanchard’s Intendanten eingenommen worden, und bat mich dringend, in London bleiben und da meine Interessen wahrnehmen zu dürfen. Es, wäre nicht die geringste Gefahr damit verknüpft gewesen, wenn ich ihm darin willfahrte, denn natürlich hatte ich seine Ueberzeugung daß ich wirklich Armadale’s Wittwe sei, nicht erschüttert. Allein jetzt, wo ich den Doctor mit seinen Mitteln und Wegen mir helfend zur Seite wußte, brauchte ich weiter keinen Beistand in London, und überdies kam mir der Gedanke, Bashwood dürfte mir nützlicher werden können, wenn ich ihn nach Norfolk heimschickte und dort auf meine Interessen sehen ließ.

Er schnitt ein sehr betrübtes Gesicht – offenbar hatte er neuerdings der Wittwe den Hof machen wollen! – als ich ihn von meinem desfalls getroffenen Entschlusse unterrichtete; indeß ein paar überredende Worte und ein leiser Wink, daß er, wenn er jetzt gehorsam meinen Wünschen nachkäme, vielleicht für die Zukunft Hoffnungen nähren dürfte, thaten Wunder, ihn von der Nothwendigkeit meiner Bitte zu überzeugen. Rathlos ersuchte er mich um Verhaltungsmaßregeln, als es Zeit wurde, daß er ging, um mit dem Abendzuge nach Hause zu fahren. Ich konnte ihm keine geben, denn ich hatte ja noch keine Idee, was die Herren Advocaten thun oder lassen würden. «Wenn nun aber etwas passiert«, wandte er ein, »etwas, was ich nicht verstehe, was soll ich dann, so fern von Ihnen, anfangen?« Ich konnte ihm nur eine Antwort ertheilen. »Fangen Sie gar nichts an«, sagte ich. »Was es auch sein mag, halten Sie Ihren Mund darüber und schreiben Sie oder kommen Sie unverzüglich zu mir nach London, um meinen Rath einzuholen.« Mit diesen Abschiedsweisungen und mit dem Abkommen, daß wir einen regelmäßigen Briefwechsel unterhalten wollten, ließ ich ihn meine Hand küssen und schickte ihn auf die Eisenbahn.

Jetzt, wo ich wieder allein bin und über die Unterredung mit meinem ältlichen Bewunderer ruhig nachdenken kann, erinnere ich mich, daß ich in Bashwood’s Art und Weise eine gewisse Veränderung bemerkte, die ich mir nicht recht erklären konnte und noch immer nicht recht erklären kann.

Selbst in seiner ersten Aufregung über unser Wiedersehen kam es mir vor, als ob seine Augen, während ich mit ihm sprach, mit einem ganz eigenthümlichen Interesse auf mir ruhten. Außerdem ließ er bei der Schilderung seines einsamen Lebens in Thorpe-Ambrose ein paar Worte fallen, aus denen hervorzugehen schien, daß ihn in seiner Verlassenheit ein gewisses Vertrauen auf unsere künftigen Beziehungen, wenn wir uns nur erst einmal wiedergesehen hätten, aufrecht erhalten habe. Wäre er ein jüngerer und kühnerer Mann und wäre solch eine Entdeckung überhaupt möglich, so würde ich fast argwöhnen, er habe etwas von meinem früheren Leben ausspioniert und fühle sich nun im Stillen sicher, mich in der Gewalt zu haben, falls ich wieder Miene machen sollte, ihn zu verlassen und zu betrügen. Solch ein Gedanke in Verbindung mit dem alten Bashwood ist jedoch geradezu abgeschmackt! Vielleicht macht mich die Ungewißheit und Angst meiner gegenwärtigen Lage nervenkrank, vielleicht sehe ich in meiner Aufregung allerlei Trug- und Schreckbilder. Sei dem, wie ihm wolle, jedenfalls habe ich mich mit ernsteren Dingen zu beschäftigen als mit dem alten Bashwood. Wahrscheinlich morgen schon sagt mir die Post, was Armadale’s Vertreter von den Ansprüchen seiner Wittwe denken.

Den 26. November. Diesen Morgen ist die Antwort eingelaufen, wie Bashwood vermuthete, in einem Briefe von Mr. Darch. Der grämliche alte Advocat beantwortet mein Schreiben in drei Zeilen. Bevor er irgendwelche Schritte thun oder seine Ansicht über die Sache aussprechen könne, müsse er sich sowohl von der Identität der Personen wie von der Echtheit des Trauscheins überzeugt haben, weshalb es wünschenswerth sein dürfe, ihn an meine Rechtsfreunde zu verweisen, ehe die Sache weiter verfolgt werde.

Zwei Uhr. Kurz nach zwölf Uhr kam der Doctor und theilte mir mit, daß er kaum zwanzig Minuten vom Sanatorium entfernt eine Wohnung für mich gefunden habe. Ich meinerseits zeigte ihm darauf Mr. Darch’s Brief. Auf der Stelle ging er damit zu seinen Advocaten und brachte mir die nöthige Auskunft bezüglich meines weiteren Verhaltens. Ohne auf den Wunsch nach ferneren Beweisen für meine Verheirathung ein Wort zu erwidern, habe ich Mr. Darch’s Zuschrift einfach damit beantwortet, daß ich ihm die Adresse meiner Rechtsbeistände oder vielmehr der Sachwalter des Doctors übersandte. Mehr kann heute nicht geschehen. Morgen haben wir wichtigere Begebnisse zu erwarten, denn morgen wird der Doctor seine Erklärung vor der Behörde abgeben und morgen werde ich in Wittwentrauer meine neue Wohnung beziehen.

Den 27. November. Fairweather-Vale-Villen. Die Erklärung ist mit allen nothwendigen Formalitäten abgegeben worden, und ich habe in meiner Wittwentracht von meinen neuen Zimmern Besitz ergriffen.

Dieser neue Act des Dramas und die riskante Rolle, welche ich darin spiele, sollten mich in Aufregung versetzen, Merkwürdig aber, ich bin ruhig und deprimiert. Der Gedanke an Midwinter ist mir in meine neue Wohnung gefolgt und liegt mir augenblicklich schwer auf dem Herzen. Vor einem zufälligen Ereigniß, das vielleicht in der Zwischenzeit geschieht, ehe ich öffentlich als Armadale’s Wittwe austreten kann, fürchte ich mich nicht, aber wenn die Zeit kommt und wenn Midwinters ausfindig macht, was früher oder später eintreten muß, wie ich meine falsche Rolle spiele und in der usurpierten Stelle mich eingerichtet habe, was soll, so frage ich mich, alsdann geschehen? Darauf habe ich nur die Antwort, welche ich mir heute Morgen gab, als ich meine Wittwenkleider anlegte: jetzt wie damals überkommt mich das Vorgefühl, daß er mich umbringen wird. Ach, wäre es nicht zu spät, die Sache aufzugeben! Abgeschmackt! Ich will mein Tagebuch zumachen.

 

Den 28. November.Mr. Darch hat von sich hören lassen; unsere Rechtsfreunde haben ihm in Erwiderung die Erklärung übersandt.

Als mir der Doctor dies mittheilte, fragte ich ihn, ob seine Advocaten meine gegenwärtige Adresse hätten, und bat, da dies nicht der Fall, auch fernerhin sie vor ihnen geheim halten zu wollen. Der Doctor lachte. »Fürchten Sie, daß uns Mr. Darch etwas anhaben und Sie persönlich angreifen könnte?« fragte er.

Um ihn am leichtesten zur Erfüllung meiner Bitte zu bewegen, that ich, als wenn dem so wäre. »Ja«, sagte ich, «ich fürchte mich vor Mr. Darch.«

Seit der Doctor mich verlassen, hat sich meine Stimmung gehoben. Es ist ein angenehmes Gefühl von Sicherheit, wenn man weiß, daß kein Fremder unsere Adresse kennt. Ich fühle mich heute so leicht in meinem Gemüthe, daß ich bemerkte, wie gut mir die Trauer steht, und gegen meine Hausleute die Liebenswürdige spielte.

Vergangene Nacht beunruhigte mich Midwinter wieder ein wenig; ich habe jedoch den gespensterhaften Wahn überwunden, von dem ich gestern besessen war. Gewalt fürchte ich jetzt nicht mehr von ihm, sollte er entdecken, was ich gethan habe, und noch weniger ist zu besorgen, daß er sich soweit erniedrigen wird, seinen Anspruch auf eine Frau geltend zu machen, welche ihn dergestalt betrogen hat. Die einzige harte Prüfung, die mir, wenn der Tag des Gerichts kommt, auferlegt sein wird, ist, in seiner Gegenwart meinen falschen Charakter aufrecht zu erhalte Ist dies geschehen, dann werde ich in seiner Verachtung, in seinem Abscheu vor mir gerade meine Sicherheit finden. An jenem Tage, wo ich ihn ins Gesicht verleugnet, habe ich ihn zum letzten Male in seinem Leben gesehen.

Werde ich es über mich gewinnen, ihn ins Gesicht zu verleugnen? Werde ich im Stande sein, ihn anzusehen, zu ihm zu sprechen, als wäre er mir nie mehr gewesen denn ein Freund? Wie kann ich’s wissen, ehe die Zeit kommt! Hat es je solch eine verblendete Thörin gegeben, wie ich bin, die da immer von ihm schreibt, wo doch das Schreiben mich stets von neuem an ihn zu denken zwingt? Ich will einen Entschluß fassen: von heute an soll sein Name nie wieder in diesen Blättern erscheinen.

Montag, den 1. December. Der letzte Monat des abgestandenen alten Jahres achtzehnhunderteinundfünfzig! Gestattete ich mir einen Rückblick, welch jämmerliches Jahr würde ich all den andern jämmerlichen Jahren, die dahin sind, angereiht sehen! Allein ich habe beschlossen, nur vorwärts zu schauen, und denke, ich will dabei bleiben.

Von den letzten beiden Tagen habe ich nichts weiter zu berichten, als daß ich am 29. an Bashwood dachte und ihm meine neue Adresse mittheilte. Diesen Morgen haben unsere Rechtsfreunde neue Nachrichten von Mr. Darch erhalten. Er bekennt sich zum Empfange der Erklärung, setzt aber die Mittheilung der Entscheidung, zu welcher er gelangt ist, noch aus, bis er sich mit den Vollstreckern von Mr. Blanchards letztem Willen benommen und von seiner Clientin selbst endgültige Instructionen erhalten hat. Die Advocaten des Doctors behaupten, daß dies Schreiben nur ein Kunstgriff sei, um Zeit zu gewinnen, zu welchem Zweck, können sie natürlich nicht errathen. Der Doctor selbst sagt scherzend: »Es ist ein gewöhnlicher Advocatenkniff, um eine lange Rechnung machen zu können? Mein eigener Gedanke ist, daß Mr. Darch argwöhnt, etwas sei nicht in Ordnung, und daß er allerdings Zeit gewinnen will —

Abends zehn Uhr. Soweit, bis zu diesem uuvollendeten Satze hatte ich, gegen vier Uhr nachmittags, geschrieben, als ich durch das Rollen einer Droschke aufgeschreckt wurde, die gerade auf unser Haus zufuhr. Ich trat ans Fenster und kam eben zur rechten Zeit, um den alten Bashwood mit einer Lebhaftigkeit aus dem Wagen steigen zu sehen, welche ich ihm nimmermehr zugetraut hätte. So wenig hatte ich eine Ahnung von der furchtbaren Entdeckung, die ich in der nächsten Minute machen sollte, daß ich mich zum Spiegel wandte und dachte, was wohl der alte Herr zu meiner Wittwenhaube sagen würde.

Sowie er ins Zimmer trat, sah ich den Augenblick, daß ein ernstes Unheil geschehen war. Seine Augen rollten wild, seine Perrücke war schief. Mit einem eigenthümlichen Gemisch von Bangigkeit und Aufregung näherte er sich mir. »Ich habe befolgt, was Sie mir gesagt haben«, flüsterte er athemlos. »Ich habe meinen Mund darüber gehalten und komme nun direct zu Ihnen!« Ehe ich antworten konnte, faßte er mich bei der Hand einer Kühnheit, die mir etwas ganz Neues an ihm war. »Ach, wie kann ich’s Ihnen beibringen!« rief er aus. »Ich bin außer mir, wenn ich daran denke!«

Sobald Sie sprechen können, sprechen Sie«, sagte ich und pflanzte ihn in einen Lehnstuhl. »Auf Ihrem Gesichte sehe ich, daß Sie mir unerwartete Nachrichten aus Thorpe-Ambrose bringen?

Er steckte die Hand in die Brusttasche seines Rocks und zog einen Brief heraus. Dann sah er mich an. »Nach – Nach – Nachrichten, die Sie nicht erwarten«, stotterte er; doch nicht aus Thorpe-Ambrose.«

»Nicht aus Thorpe-Ambrose?«

»Nein – von der See!«

Bei diesen Worten dämmerte mir die Wahrheit auf. Ich konnte nicht sprechen, ich konnte blos meine Hand nach dem Briefe ausstrecken.

Noch zauderte er, ihn mir zu geben. »Ich wag’s nicht, ich wag’s nicht«, sprach er geistesabwesend zu sich selbst. »Der Schlag könnte ihr Tod sein!«

Ich riß ihm den Brief aus der Hand. Ein Blick auf die Handschrift der Adresse war genug! Meine Hände sanken auf den Schooß, den Brief krampfhaft umklammernd. Regungslos, sprachlos, ohne ein Wort von dem zu hören, was Bashwood mir sagte, saß ich wie versteinert da und kam langsam zum Bewußtsein der entsetzlichen Wahrheit. Der Mann, dessen Wittwe ich spielen wollte, lebte und konnte mir die Stirn bieten! Umsonst hatte ich den Trank in Neapel gemischt, umsonst hatte ich ihn in Manuel’s Hände geliefert! Zweimal hatte ich ihm die Todesfalle gelegt und zweimal war er mir entronnen!

Wieder zum Bewußtsein der Außenwelt kommend, fand ich Bashwood weinend mir zu Füßen liegen.

»Sie sehen so zornig aus«, murmelte er trostlos. Sind Sie bös auf mich? Ach, wenn Sie wüßten, welche Hoffnungen ich nährte, als wir einander neulich wiedersahen, und wie grausam dieser Brief sie alle zu Boden schmettert!«

Ich stieß das elende alte Geschöpf von mir, doch sehr sanft. »Pst!« sagte ich. »Stören Sie mich jetzt nicht! Ich muß mich fassen, muß den Brief lesen.«

Unterwürfig schritt er nach dem andern Ende des Zimmers. Sobald mein Auge nicht mehr auf ihm ruhte, hörte ich, wie er mit schwächlicher Bosheit zu sich selbst sprach: »Hätte die See meine Gedanken gehabt, sie hätte ihn verschlungen!«

Langsam entfaltete ich den Brief, mich, während ich dies that, völlig unfähig fühlend, meine Aufmerksamkeit auf die Zeilen zu richten, die zu lesen ich doch so brennendes Verlangen trug. Warum aber länger bei Empfindungen verweilen, die sich nicht beschreiben lassen? Es wird zweckmäßiger sein, wenn ich zu späterer Vergleichung den Brief hier wörtlich meinem Tagebuche einverleibe.

»Mr. Bashwood
Fiume in Illyrien, 21. Nov. 1851.

Datum und Adresse meines Briefes werden Sie in Erstaunen setzen, und noch mehr werden Sie erstaunen, wenn Sie vernehmen, wie es kommt, daß ich Ihnen aus einem Hafen des Adriatischen Meeres schreibe.

Ich bin das Opfer eines schurkischen Attentats von Raub und Mord geworden. Der Raub ist gelungen, und lediglich Gottes Gnade hat den Mord nicht auch gelingen lassen.

Vor etwas länger als einem Monat miethete ich in Neapel eine Yacht und – wie froh bin ich jetzt in diesem Gedanken! – segelte, ohne einen Freund oder Bekannten zum Begleiter zu haben, nach Messina. Von Messina machte ich einen kleinen Kreuzzug nach dem Adriatischen Meere. Zwei Tage in See, wurden wir von einem Sturme ereilt; in diesen Gegenden kommen und gehen Stürme mit Blitzesschnelle. Das Schiff hielt sich brav; ich muß gestehen, Thränen treten mir in die Augen, wenn ich es nun auf dem Grunde des Meeres denken muß! Gegen Sonnenuntergang ließ das Unwetter nach und um Mitternacht war die See bis auf eine lange sanfte Brandung so glatt wie nur möglich. Etwas ermüdet – ich hatte mit arbeiten helfen, solange der Sturm dauerte – ging ich in meine Kajüte hinunter und war in fünf Minuten eingeschlafen. Zwei Stunden später erweckte mich das Geräusch eines durch eine Spalte in dem am oberen Ende der Thür angebrachten Ventilator in die Kajüte fallenden Gegenstandes. Ich sprang auf und fand einen um einen Schlüssel gewickelten Papierstreifen, auf dessen innerer Seite von einer nicht sehr leicht zu lesenden Hand etwas geschrieben war.

Bis zu dieser Stunde hatte ich nicht den Schatten von Verdacht, daß ich mich mit einer Bande von mörderischen Vagabunden (einen ausgenommen) auf offener See befand, die vor nichts zurückbebte. Ich war vielmehr mit meinem Bootsmeister (dem größten Schurken von allen) sehr gut verkommen und noch besser mit dem ersten Matrosen, einem Engländer. Da die Matrosen sonst samt und sonders Ausländer waren, konnte ich nicht viel mit ihnen verkehren. Sie verrichteten ihre Arbeit, und weder Streitereien noch andere Unannehmlichkeiten fielen vor. Hätte, ehe ich in der Nacht nach dem Sturme zu Bette ging, mir Jemand gesagt, der Bootsmeister, die Mannschaft und der erste Matrose, der ursprünglich nicht besser war als die Uebrigen, hätten sich alle verschworen, mir das Geld zu rauben, welches ich mit mir auf dem Schiffe hatte, und mich dann in meinem eigenen Schiffe zu ertränken, ich hätte ihm gerade ins Gesicht gelacht. Das behalten Sie im Auge, und dann stellen Sie sich vor, denn sagen kann ich’s Ihnen wahrhaftig nicht, was ich gedacht haben muß, als ich das um den Schlüssel gewickelte Papier aufmachte und Folgendes las, was ich hier wörtlich abschreibe.

»Sir, bleiben Sie in Ihrem Bett, bis Sie hören, daß das Boot von der Steuerbordseite abstöst, oder Sie sind ein todter Mann. Ihr Geld ist Ihnen gestohlen, und im Verlauf von fünf Minuten wird die Yacht durchlöchert und die Kajütenluke zugenagelt sein. Todte können nicht reden, und der Bootsmeister hat im Sinne, Beweisstücke auf dem Meere umhertreiben zu lassen, daß das Schiff mit Mann und Maus zu Grunde gegangen ist. Das war sein Plan von Anfang an und wir alle waren dabei betheiligt. Aber ich kann’s nicht über’s Herz bringen, Ihnen nicht eine Chance des Entrinnens an die Hand zu geben. Freilich ist’s nur eine zweifelhafte Chance, doch mehr kann ich nicht thun. Wollte ich mir nicht den Anschein geben, daß ich mitthäte mit der Bande, so würde ich selbst umgebracht werden. In diesem Papiere finden Sie den Schlüssel zu Ihrer Kajütenthür. Erschrecken Sie nicht, wenn Sie oben den Hammer hören. Ich werde es selbst thun und nur kurze Nägel nehmen. Warten Sie, bis Sie das Boot mit uns allen abstoßen hören, und dann stemmen Sie die Luke mit Ihrem Rücken auf. Eine Viertelstunde, nachdem die Löcher hineingebohrt sind, wird sich das Schiff noch über Wasser halten. Gleiten Sie dann auf der backbordseite ins Meer und lassen Sie das Schiff zwischen sich und dem Boote. Sie werden eine Menge loser Planken und Balken finden, die, absichtlich hineingeworfen, umherschwimmen und an denen Sie sich halten können. Es ist eine schöne Nacht und ruhige See und vielleicht Aussicht vorhanden, daß, solange Sie noch leben, ein vorbeisegelndes Schiff Sie entdeckt und aufnimmt. Ich kann nicht mehr thun. Ihr aufrichtig ergebener J. M.«

Als ich an diese letzten Worte kam, hörte ich, wie man über mir die Luke zunagelte Ich glaube nicht, feiger zu sein als die meisten andern Menschen, allein für den Augenblick troff mir der Schweiße von der Stirn. Ehe jedoch das Hämmern vorüber, war ich wieder der Alte und ertappte mich, wie ich an Jemand in England dachte, der mir sehr theuer ist. Ich sagte zu mir selbst: »Um ihretwillen will ich um mein Leben kämpfen, obgleich die Chancen wider mich sind.«

Ich that einen Brief von dieser Person in eins der verstöpselten Flacons meines Toilettenkastens zugleich mit der Warnung des Matrosen für den Fall, daß ich am Leben bliebe und ihn wiedersähe. Dies und eine Flasche Whisky hing ich mir an einer Schlinge um den Hals, und nachdem ich mich in meiner Verwirrung erst angekleidet hatte, kam ich auf einen bessern Gedanken und legte, um schwimmen zu können, bis auf Hemd und Beinkleider Alles wieder ab. Während ich das gethan, war inzwischen das Hämmern vorüber und solch eine Stille eingetreten, daß ich das Wasser in das durchlöcherte Schiff rauschen hören konnte. Darauf kam das Geräusch des von der Steuerbordseite abstoßenden Bootes mit den Schurken darin. Ich wartete, bis ich das Plätschern der Ruder vernahm, und stemmte dann meinen Rücken unter die Luke. Der Matrose hatte sein Versprechen gehalten; ich konnte sie leicht aufdrücken, kroch unter dem Schutze der Bollwerke auf allen Vieren quer über das Deck und schlüpfte auf der Backbordseite ins Meer. Allerhand Gegenstände trieben darin umher; ich packte den ersten besten, den ich erreichen konnte – es war ein Hühnerstall – und schwamm ein paar hundert Schritte weit, immer die Yacht zwischen mir und dem Boote lassend. Soweit gelangt, wurde ich von einem Fieberschauer überfallen, und in Angst, es möchte nun der Krampf eintreten, hielt ich still und nahm einen derben Schluck aus meiner Flasche. Als ich die Flasche wieder zumachte, drehte ich mich einen Augenblick und schaute zurück – eben war die Yacht im Sinken begriffen. Eine Minute darauf war nichts mehr zwischen mir und dem Boote zu erblicken, als die Stücke des Wracks, welche absichtlich ins Meer geworfen worden waren. Der Mond schien, und wenn sie ein Fernglas im Boote gehabt hätten, so würden sie wohl meinen Kopf gesehen haben, obgleich ich den Hühnerstall immer thunlichst zwischen mir und ihnen zu halten suchte.

 

Sie ruderten scharf und ich hörte laute streitende Stimmen unter ihnen. Nach einer Weile, die mir eine Ewigkeit schien, entdeckte ich, worum sie sich stritten. Die Spitze des Bootes stand auf einmal mir zugekehrt. Offenbar hatte ein Halunke, der gescheidter war als die Andern – wahrscheinlich der Bootsmeister – sie überreden zurückzurudern nach der Stelle, wo die Yacht gesunken war, um sich zu vergewissern, ob ich auch wirklich mit ihr untergegangen sei. Schon waren sie mir bis auf halben Weg nahe und ich hatte mich verloren gegeben, als ich einen jähen Schrei hörte und plötzlich den Lauf des Bootes gehemmt sah. Ein paar Minuten darauf war das Boot wieder umgewandt, und sie ruderten aus Leibeskräften von mir ab, wie Männer, die um ihr Leben kämpfen.

Ich sah nach dem Lande zu, entdeckte indeß nichts. Ich sah nach der andern Seite und fand jetzt, was die Mannschaft des Bootes noch vor mir gesehen hatte, ein Segel in der Entfernung, das, je länger ich hinblickte, im Mondscheine immer heller und größer wurde. In einer Viertelstunde befand sich das Fahrzeug im Bereich meiner Stimme und die Mannschaft zog mich an Bord.

Es waren sämtlich Ausländer und sie betäubten mich förmlich durch ihr Kauderwelsch. Ich versuchte es mit Zeichen, ehe ich jedoch mich verständlich machen konnte, überfiel mich ein neuer Fieberfrost und ich ward in die Kajüte hinunter geschafft. Zweifelsohne hielt das Schiff seinen Curs, denn irgend etwas bestimmt zu wissen, war ich nicht in der Verfassung. Ehe noch der Morgen anbrach, lag ich in heftigem Fieber, und von da an kann ich mich auf nichts mehr deutlich besinnen, bis ich endlich hier wieder zur Besinnung kam und mich in der Pflege eines ungarischen Kaufmanns fand, des Rheders des Schiffes, das mich aufgenommen hatte. Er spricht englisch so gut oder besser als ich und hat mich mit einer Liebe behandelt, für deren Lob ich keine Worte habe. Als junger Mann ist er selbst in England gewesen, um sich zum Kaufmann auszubilden, und sagt, er denke so gern an unser Vaterland zurück, daß sein Herz für jeden Engländer schlage. Er hat mich mit Kleidern ausgestattet und mir Geld geliehen, damit ich abreisen kann, sobald als der Arzt mir gestattet, nach der Heimat aufzubrechen. Wenn ich keinen Rückfall bekomme, werde ich von jetzt ab in einer Woche reisefähig sein. Kann ich in Triest die Mallepost erreichen und die Strapaze aushalten, so werde ich acht oder höchstens zehn Tage, nachdem Sie diesen meinen Brief empfangen haben, wieder in Thorpe-Ambrose sein. Sie werden mir zugeben, daß es ein entsetzlich langer Brief ist, allein ich kann’s nicht ändern; es kommt mir vor, als hätte ich meine alte Kunst vergessen, mich kurz zu fassen und gleich auf der ersten Seite fertig zu werden. Indeß jetzt bin ich bald zu Ende, denn es bleibt mir nur noch übrig, Ihnen zu sagen, warum ich Ihnen von dem, was mir widerfahren, schreibe, anstatt bis zu meiner Rückkunft zu warten und Ihnen dann Alles mündlich zu erzählen.

Es dünkt mich, daß mein Kopf noch von der Krankheit angegriffen, ist. Jedenfalls fiel mir diesen Morgen ein, daß es kaum wahrscheinlich ist, ein Schiff werde die Stelle passiert haben, wo die Yacht unterging, um die Möbel und andere Gegenstände, die aus ihr in der See umhertreiben, zu finden und mitzunehmen. Sollte dies aber doch zufällig geschehen sein, so dürfte sich vielleicht die falsche Nachricht von meinem Tode in England verbreitet haben. Wäre dies geschehen – hoffentlich ist’s nur eine unbegründete Furcht von meiner Seite – so gehen Sie auf der Stelle ins Parkhäuschen zum Major Milroy. Zeigen Sie ihm diesen Brief – er ist gerade so gut für ihn wie für Sie geschrieben – geben Sie ihm dann das eingeschlossene Billet und fragen Sie ihn, ob nicht die Umstände meine Hoffnung rechtfertigten, daß er es seiner Tochter senden werde. Ich kann nicht erörtern, warum ich nicht direct an den Major schreibe, nur sagen, daß gewisse Rücksichten, die ich mich zu beobachten verpflichtet habe, mich zu diesem mittelbaren Wege veranlassen.

Ich bitte um keine Antwort auf mein Schreiben, denn ehe Ihr Brief mir in diesem abgelegenen Orte zukommen könnte, bin ich hoffentlich lange auf dem Heimwege. Was Sie auch sonst thun, gehen Sie unverzüglich zu Major Milroy. Gehen Sie, gleichviel, ob der Untergang der Yacht in England bekannt ist oder nicht.

Aufrichtig der Ihrige
Allan Armadale.«

An den Schluß des Briefes gelangt, blickte ich auf und sah jetzt erst, daß Bashwood aus seinem Stuhle aufgestanden war und sich mir gerade gegenübergestellt hatte. Mit dem forschenden Ausdruck eines Menschen, der meine Gedanken zu lesen suchte, studierte er eifrig mein Gesicht Schuldbewußt schlug er seine Augen nieder, wenn die meinigen ihnen begegneten, und wich zu seinem Stuhle zurück. In dem Glauben, daß ich mit Armadale wirklich verheirathet sei, betrachtete er zu ergründen, ob die Kunde von Armadale’s Rettung aus dem Meere mir als gute oder schlechte Nachricht erschien. Mit ihm in Erörterungen einzutreten, war jetzt keine Zeit; das Erste, was geschehen mußte, war vielmehr, unverweilt mich mit dem Doctor in Vernehmen zu setzen. Ich rief Bashwood zu mir her und gab ihm die Hand.

»Sie haben mir einen Dienst geleistet«, sagte ich, »der unsere Freundschaft noch mehr befestigt. Noch heute werde ich Ihnen hierüber und über andere Dinge, die für uns beide von Belang sind, Mittheilungen machen. Für jetzt bitte ich Sie, mir Mr. Armadale’s Brief, den ich Ihnen unversehrt zurückbringen werde, zu leihen und hier meine Zurückkunft abzuwarten. Wollen Sie mir diesen Gefallen thun, Mr. Bashwood?«

Alles, was ich verlangte, wolle er thun, antwortete er. Ich ging dann in mein Schlafzimmer und holte mir Hut und Shawl.

»Ehe ich Sie verlasse, beruhigen Sie mich noch über einen Punkt«, sprach ich. »Sie haben den Brief außer mir Niemand sonst gezeigt?«

»Keine Seele hat ihn gesehen, außer uns Zweien!«

»Was haben Sie mit dem für Miß Milroy beigelegten Billet angefangen?

Er brachte es aus seiner Tasche zum Vorschein. Ich überlief es rasch, sah, daß nichts von der allergeringsten Bedeutung darin stand, und warf es auf der Stelle ins Feuer. Dies gethan, ließ ich Bashwood in meinem Zimmer und verfügte mich, Armdale’s Brief in der Hand, zum Sanatorium.

Der Doctor war ausgegangen, und der Diener konnte mir nicht gewiß sagen, wann er wieder zu Hause sein würde. Ich begab mich denn in sein Arbeitszimmer und schrieb, um ihn auf die Kunde vorzubereiten, die ich brachte, ein paar Zeilen an ihn, welche ich zusammen mit Armadale’s Brief in ein Couvert einsiegelte. In einer Stunde würde ich wieder vorsprechen, sagte ich dem Diener.