Im Licht des Mondes

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Im Licht des Mondes
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Im Licht des Mondes

Kanji und Colin

von A. Cayden

1. Auflage: August 2021

Copyright by A. Cayden, Alexandra Kraus

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung durch Rundfunk, Internet und Fernsehen, auch einzelner Teile Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Autorin A. Cayden

Impressum

Texte: © Copyright by A. Cayden

Cover-/Umschlag: © Copyright by BUCHGEWAND Coverdesign |www.buch-gewand.de

Fotos/ Grafiken: © xload - depositphotos.com

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Verlag: A. Cayden

a.kaiden@web.de

www.a-kaiden.de

Druck: epubli ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Die Handlung und die handelnden Personen dieser Geschichte sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Inhaltswarnung mit Details:

Dieses Werk enthält Inhalte, die einige Menschen triggern oder für anstößig halten könnten. Die Inhalte beziehen sich auf folgende Themen:

Achtung, mögliche Spoiler!

- Explizite Darstellung von erotischen Liebesszenen zwischen Männern

- Eine ausgeschilderte Szene, in der ein Tier getötet wird

- Grabschändung

- Thematisierung von Beeinflussung und Druckausübung einer Sekte

Widmung

Für Jason, der Tag und Nacht über mich wacht.

Prolog

Colin:

Der Bass der viel zu lauten Partyschlager hallt unangenehm in meinen Ohren wider. Das Kreuzfahrtschiff ist voll mit Feierwütigen, die sich alle in den Hauptraum drängen, wo der DJ einen schlechten Song nach dem nächsten mixt, als möchte er versuchen, die Lieder dadurch zu verbessern. Offensichtlich denkt er selbst, dass es ihm gelingt, wie sein eifrig auf und ab hüpfender Körper bezeugt. Ich lasse meinen Blick kurz über die tanzenden Leute schweifen. Die meisten von ihnen sind dermaßen betrunken, dass sie aussehen wie sich windende Schlangen. Ein leichtes Schmunzeln umspielt meine Mundwinkel. Kein Wunder, dass sie die Musik toll finden, so berauscht wie sie sind. Ich habe definitiv zu wenig getankt. Allerdings habe ich nicht vor, mich zu betrinken. Immerhin muss ich noch Auto fahren, doch wie überstehe ich diesen furchtbaren Abend? Etwas unwohl streiche ich mir durch die Haare, als sich jemand von hinten an mich schmiegt und mir einen Kuss in den Nacken haucht. Warme Hände schieben sich unter mein Shirt und gleiten spielerisch über meinen Bauch zum Oberkörper hinauf. Seufzend schließe ich die Augen und lehne mich nach hinten und ihm entgegen. Meine Anspannung fällt mit einem Schlag von mir ab. Was bleibt, ist das Gefühl von Geborgen- und Zufriedenheit.

„Es gefällt dir nicht, oder?“, dringt Shuzees Stimme durch den ohrenbetäubenden Lärm an mein Ohr. Sein Atem streichelt sanft meine Haut und bereitet mir einen wohligen Schauer.

„Wie kommst du darauf?“, entgegne ich, obwohl er mich durchschaut hat. Ich mag überfüllte Feste nicht. Schon gar nicht an Fasching, das nur dazu benutzt wird, die fantasielosen und knappen Outfits zu präsentieren, sich sinnlos zu betrinken und dann mit dem Nächstbesten im Bett zu landen. Allerdings weiß ich auch, wie gerne mein Freund feiern geht. Da muss ich wohl durch.

„Selbst ein Blinder erkennt, wie unwohl du dich fühlst. Wenn es gar nicht geht, steigen wir bei der nächsten Gelegenheit aus.“ Er sagt das zwar, doch ich höre die Enttäuschung in seiner Stimme deutlich heraus. Vorsichtig löse ich mich aus der gemütlichen Position, drehe mich zu ihm um und ziehe ihn dicht zu mir. Meine Lippen suchen seine und verschmelzen zu einem innigen Kuss.

„Nein, jetzt ist alles okay.“

„Das heißt, wir bleiben?“

„Solange du willst, Darling.“

Seine Miene erhellt sich schlagartig. Er beginnt regelrecht zu strahlen.

„Ehrlich? Bis zum Schluss?“

„Solange du bei mir bist, ja.“

Erfreut beginnt er zu schnurren und schenkt mir einen weiteren Kuss, den ich nur allzu gerne erwidere. Sehnsüchtig ziehe ich ihn enger zu mir heran und lasse meine Hände über seinen Rücken auf sein Gesäß gleiten. Fordernd drücke ich sein Becken an meins. Zu meinem Bedauern löst sich Shuzee von mir und grinst mich mit einem verheißungsvollen Blick an.

„Warte noch ein bisschen. Die Fortsetzung dazu folgt nach der Party.“

Meine Mundwinkel ziehen sich in freudiger Erwartung nach oben.

„Versprochen?“

„Sicher.“ Er zwinkert mir zu und leckt sich lasziv über die Lippen, sodass mein Herz einen taumelnden Freudensprung vollführt. Ich greife nach seiner Hand, um ihn erneut zu mir zu ziehen, doch er ist schneller, schüttelt leicht den Kopf und hebt ermahnend den Zeigefinger.

„Später.“

Ich ziehe einen Schmollmund, worauf er zu lachen beginnt.

„Lass das. Dafür bist du nun wirklich zu alt und es steht dir absolut nicht.“

Mein Lächeln gefriert, mein Freund scheint dies jedoch nicht zu bemerken.

„Ich brauche unbedingt einen Drink.“

„Soll ich uns was holen?“, biete ich ihm schnell an und versuche, meinen aufsteigenden Unmut zu verdrängen. Ich weiß selbst, dass es dumm ist, und frage mich im Stillen, warum mir seine Kommentare bezüglich des Alters derart nahe gehen. Bestimmt hat er es nicht so gemeint. Ich bin viel zu empfindlich. Immerhin trennen uns nur zehn Jahre.

„Nein, ich bin dran. Was möchtest du? Ich schlängle mich kurz zur Bar.“

Ein gehauchter Kuss auf meine Nasenspitze lässt mich die trübseligen Gedanken wieder vergessen. Ich bin wirklich zu unsicher. Eine Angewohnheit, die ich dringend ablegen muss.

„Ein Coconut Kiss oder ein anderer Cocktail ohne Alkohol wäre gut.“

„Sicher?“ Er verzieht kurz sein Gesicht.

„He, wer fährt uns sonst nachher zurück?“

„Aber einen kannst du doch trinken“, schmollt Shuzee. „Ich wollte zwischendrin mit dir den Cocktail tauschen, aber alkoholfrei mag ich nicht. Wo liegt da der Sinn, überhaupt einen zu trinken wenn der Sprit fehlt?“

Ich schüttle hartnäckig meinen Kopf. Auch sein perfektionierter Bettelblick dringt nicht zu mir durch. Es gibt eben Dinge, die ich verdammt ernst nehme. Und Alkohol am Steuer ist eins davon.

„Okay, du hast gewonnen. Warte hier, ich düse los.“

Shuzee seufzt ergeben und dreht sich dann beschwingt um. Verträumt schaue ich ihm hinterher, während er sich seinen Weg zum Tresen schlängelt. Ich kann mein Glück kaum fassen, dass er wirklich zu mir gehört. Er ist unglaublich schön. Sein zierlicher Körper. Der elegante Gang einer Raubkatze. Die seidenen Haare. Ein wahr gewordener, asiatischer Traum. Ein wohliges Kribbeln breitet sich in mir aus. Meine Euphorie wird allerdings gedämpft, als Shuzee auf halber Strecke stehen bleibt und mit ein paar Typen Anfang zwanzig ins Gespräch kommt. Natürlich verstehe ich von der Entfernung nicht, was sie reden, jedoch kann ich erkennen, dass mein Freund spielerisch mit seinen Augen in die Runde klimpert und lacht. Ein Stich durchfährt mein Herz. Ich schließe meine Lider, hole tief Luft und versuche mich zu beruhigen. Es ist nichts. Im Grunde genommen weiß ich das. Mir war von Anfang an klar, dass er gerne flirtet. Das hat nicht das Geringste zu bedeuten. Das Thema habe ich bereits mit ihm geklärt. Er ist mein Freund. Ich vertraue ihm. Und trotzdem fühlt es sich an, als würden sich meine Eingeweide zusammenziehen. Noch einmal atme ich tief durch. Ich sollte mich glücklich schätzen. Mein Freund ist heiß begehrt und dennoch hat er sich für mich entschieden. Genau, so muss ich das sehen. Was spricht dagegen, wenn er sich das Angebot ansieht, nur um dann wieder zu mir zurückzukehren? Ich bin echt paranoid.

 

Ein Schmunzeln kreuzt meine Mundwinkel. Das ist albern. Wo ist nur mein Selbstbewusstsein geblieben? Wahrscheinlich in London, unter dem Fußabtreter meines Elternhauses ...

„Ein wundervoller Anblick, nicht wahr? Sie müssen sehr glücklich sein.“

Irritiert wende ich mich von dem Bild ab und blinzle den fremden Mann an, der plötzlich neben mir steht. Ich mustere ihn kurz und schätze ihn auf Anfang sechzig.

„W… wie bitte?“

Er wendet den Blick nicht von den jungen Männern ab und deutet leicht in die Richtung der Gruppe, bei der mein Freund steht. Mir entgeht nicht der verträumte Ausdruck in seinen Augen. Das macht mich stutzig. Unbehaglich zupfe ich an einer meiner Haarsträhnen und schiele zu Shuzee, der zu meinem Leidwesen noch immer bei den Feierwütigen verweilt.

„Die Sahneschnitten da hinten. Insbesondere Ihr Freund. Anziehend, in der Blüte ihres Lebens und ganz und gar faszinierend.“

„Ja, und mit mir zusammen und damit für Sie tabu“, gebe ich zurück und kann meine Verärgerung in der Stimme nicht verstecken. Der Mann zieht eine Braue in die Höhe und beginnt leise vor sich hin zu lachen. Allerdings kein Fröhliches, sondern ein Tieftrauriges, das mir einen Kloß in der Kehle beschert.

„Keine Sorge, das ist nicht meine Absicht. Ich bin nicht derjenige, den Sie fürchten sollten.“

„Ich vertraue ihm. Gegen ein bisschen Flirten ist nichts einzuwenden“, entgegne ich und versuche, zuversichtlich zu klingen, was mir meiner Meinung nach auch ganz gut gelingt, aber er grinst nur schief und geht nicht darauf ein.

„Junge Männer sind wie ein wunderschöner und vergänglicher Traum … bittersüßes Gift.“

„Ich bin nur zehn Jahre älter als er“, murmle ich leiser und unsicherer als gewollt. Dabei ertappe ich mich, wie meine Hände in die Jackentasche wandern, um nach einer Zigarette zu fischen. Natürlich werde ich nicht fündig. Das Rauchen habe ich mir seit fast einem Jahr abgewöhnt, doch in Momenten wie diesem, wünschte ich mir eine, um meine Nerven zu glätten.

„Es spielt keine Rolle, ob Sie zehn oder zwanzig Jahre älter sind. Ich gebe Ihnen einen guten Rat: gewöhnen Sie sich nicht zu sehr an ihn.“

„Was soll das?!“

„Ich möchte Sie vor dem gleichen Fehler bewahren, denn ich begangen habe …“

Meine Augen blitzen verärgert auf und wandern entsetzt über sein aschfahles Gesicht mit den dicken Tränensäcken. Unbehagen schnürt mir die Kehle zu.

„Hören Sie, es tut mir leid, wenn Sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, aber …“

„Es ist immer dasselbe, nur mit anderen Schaustellern. Die jungen, verführerischen Tiger fühlen sich zu erfahrenen Typen hingezogen, die ihnen etwas bieten können und ihnen anscheinend die Welt zu Füßen legen, jedoch nur für eine gewisse Zeit. Am Ende ist man nur ein netter Zeitvertreib mit einem Auto, einer Wohnung, etwas Geld … bis sie sich selbst einen jüngeren suchen. Und zurück bleiben wir – allein und mit gebrochenem Herzen. Glauben Sie mir, so war es schon immer und so wird es immer sein. Die Schauspieler ändern sich, aber nicht das grausame Spiel des Verlassens.“

Wie hypnotisiert wende ich mich von ihm ab. Langsam, wie in Zeitlupe. Meine Augen beißen sich an Shuzee fest, der sich von seinen Flirtpartnern losreißt, sich dabei lasziv über die Lippen leckt und den Weg zur Bar endlich fortsetzt. Ich schüttle leicht meinen Kopf.

„Nein“, flüstere ich, doch mein Gesprächspartner ist bereits wieder verschwunden. „Nein, das ist nicht wahr. So ist das nicht. Völliger Unsinn.“ Ich wiederhole die Worte immer und immer wieder, bis die ersehnte beruhigende Wirkung einsetzt.

Lächelnd laufe ich Shuzee entgegen und schließe ihn in meine Arme, woraufhin er sich vorsichtig mit den Getränken in den Händen an mich schmiegt. Ich ahnte ja nicht, wie Recht der Fremde haben sollte.

Kapitel 1

Colin:

Die Luft um mich herum zieht sich zu wie ein Strick. Ich habe das Gefühl, nicht richtig atmen zu können und dennoch schaffe ich es irgendwie mich aufrecht zu halten. Unter ihren belustigten Blicken packe ich meine restlichen Sachen in einen großen Karton. Ich habe nicht gedacht, so viele Dinge in Shuzees Wohnung gelassen zu haben. Allerdings habe ich auch nicht daran geglaubt, dass er mich abserviert. Es ist jetzt zwölf Tage her, dass er mich mit Koichi betrogen hat. Ein kleiner, schmächtiger Typ, der gerade mal sechzehn Jahre alt ist. Ein halbes Kind … schnell verdränge ich die aufkommende Erinnerung an die Worte des alten Mannes und schlucke bitter, während ich mich weiter dem Einsammeln meiner verstreuten Habseligkeiten widme. Ich möchte nur noch hier raus, und zwar schnellstens. Die Situation ist dermaßen erniedrigend, dass es mich zerreißt. Shuzee und Koichi beobachten jeden meiner Handgriffe. Dabei vermute ich, dass es weniger aus Sorge ist, dass ich etwas mitnehmen könnte, was mir nicht gehört. Nein. Ich bin mir relativ sicher, dass sie die Situation genießen.

Meine Haut beginnt unangenehm zu Prickeln. Ich fühle mich wie eine graue, zitternde Maus, kurz bevor sie im Rachen einer gefräßigen Katze verschwindet. Ich bete innerlich, dass sie mich ziehen lassen, ohne etwas zu sagen. Ich will nichts hören. Weder eine gelogene Entschuldigung, noch falsche Sorge oder gespieltes Bedauern. Nicht jetzt. Nicht hier. Ich fühle mich, als wäre ich nur ein Schatten meiner selbst, der zerbricht. Eilig schnappe ich mir die halbvolle Kiste. Egal, ob ich etwas vergessen habe oder nicht, ich halte es nicht länger aus. Ich muss unbedingt aus der Wohnung raus. Jetzt. Sofort.

Ohne mich zu ihnen umzudrehen, eile ich zum rettenden Ausgang und habe ihn fast erreicht, aber Shuzee und sein Toyboy setzen mir hinterher.

„Colin, jetzt warte doch!“ Mein Exfreund springt vor mich und ich blicke ihn fordernd an.

„Geh bitte zur Seite. Ich habe alles.“

„Sei nicht stur. Lass mich dir wenigstens die Tür aufmachen. Du hast beide Hände voll“, gibt er nüchtern zur Antwort und mich fröstelt, als ich nicht die winzigste Emotion aus seiner Stimme hören kann.

„Okay, wärst du bitte so nett?“, presse ich hervor und versuche, dabei möglichst freundlich zu klingen, während mein Herz sich qualvoll krümmt.

„Meinst du nicht, wir sollten uns … anders verabschieden. Immerhin waren wir eine ganze Zeit lang zusammen.“

Ich beiße mir auf die Innenbacke und kämpfe gegen die aufsteigenden Tränen an. Mein Herz schreit gepeinigt auf und beginnt zu wimmern. Wieso kann er nicht einfach die verdammte Tür aufmachen und mich gehen lassen? Auf keinen Fall möchte ich mir die Blöße geben und vor ihm Weinen. Nein, er wird mich niemals heulen sehen. Um keinen Preis. Doch dass er nicht einmal unseren Jahrestag kennt ...

„Zwei Jahre … es waren genau zwei Jahre“, murmle ich, worauf Shuzee leise lacht und sich verlegen am Hinterkopf kratzt.

„Ha ha, ja. Stimmt. Das konnte ich mir noch nie merken.“

„Scheinbar, sonst hätte ich dich wohl kaum an unserem Jahrestag mit deinem Betthäschen erwischt“, gebe ich bissig zurück und versuche gar nicht erst, die Enttäuschung zurückzuhalten. Mein Körper zittert vor Anspannung, als das hässliche Bild sich penetrant vor mein geistiges Auge schiebt. Ich hatte mir an dem Tag extra freigenommen, wollte ihn zu unserem Zweijährigen überraschen. Mit Blumen, Pralinen, Wein und allem, was dazu gehört. Stattdessen wurde ich unschön überrascht.

„Tzz… ich bitte dich, Colin. Klar, es ist nicht ideal gelaufen und es tut mir leid, dass du uns dabei gesehen hast, aber früher oder später hätte ich es dir ohnehin sagen müssen.“

Bitterkeit steigt in mir auf und schneidet sich schmerzhaft durch meine Organe.

„Ach, dann soll ich mich jetzt auch noch glücklich schätzen oder wie?“, presse ich aus zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Augen blitzen amüsiert auf und entreißen mir das letzte Stück Boden unter den Füßen. War er schon immer so gewesen? Wo ist der süße, wunderschöne junge Mann, der mich aus verführerischen Augen anhimmelte? Der an meiner Seite stand und den ich glaubte, nie verlieren zu können? Wie konnte ich mich nur derart in ihm täuschen? Ich spüre abermals Tränen aufsteigen und wende mich schnell von ihm ab. Mein Herz zerreißt, Schmerz explodiert in meinem Inneren und füllt mich aus.

Koichi, der die gesamte Zeit über schweigend daneben gestanden war, löst sich von Shuzees Seite und öffnet mir die Haustür. Ich sehe ihn nicht an und glaube zu spüren, dass auch er den Blick mittlerweile zu Boden gesenkt hat. Anscheinend sind ihm die Schadenfreude und der Hohn vergangen.

„Alles Gute“, frohlockt Shuzee, während ich mich an ihm vorbei schiebe und die Flucht ergreife. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend haste ich die Treppe hinunter und drehe mich nicht um. Ich kann seinen hämischen Blick im Nacken spüren, der die letzten Reste meines Herzens mit Füßen tritt. Woher kommt nur seine Biestigkeit? Ich sollte derjenige sein, der ihn mit bissigen Kommentaren bewirft. Doch alles was ich fühle, ist lediglich der vernichtende Schmerz. Er hingegen mutiert zum reinen Scheusal. Woher dieser Wandel? Was habe ich verpasst? Und noch schlimmer ist die Erkenntnis, dass ich sofort zu ihm zurückkehren würde, wenn er mich rufen würde … Was hat er in unserer Beziehung vermisst? Was habe ich falsch gemacht? Die Antworten werde ich wohl nie erhalten.

Als die Haustür hinter mir zuknallt, bleibe ich kurz stehen, lausche und atme die feuchte Luft tief ein, während der Wind erzürnt um die Ecken weht. Der Regen schlägt unaufhörlich wie ein Boxer auf die Stadt ein. Aus meiner Kehle drängt sich ein kaltes und trauriges Lachen. Das Wetter passt wunderbar zum glorreichen Ende meiner Beziehung. Mit einem Seufzen schlucke ich den Frust hinunter und renne die Straße entlang zum Auto. Behände lade ich mein Hab und Gut ein, dann rette ich mich selbst vor dem Niederschlag ins Innere. Ich starrte den knatternden Motor des betagten Wagens, als ein weiterer Gedanke meine Sinne kreuzte. Shuzee mochte den fahrbaren Untersatz nie. Zwar fand er es schön und praktisch, dass ich ihn überall hingefahren habe und er nicht mehr auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen war, jedoch hatte er sich ständig darüber beschwert, was für eine alte Schrottlaube es doch sei. Überhaupt hatte ihm in den letzten Monaten immer häufiger etwas nicht gepasst. Sei es mein nicht zeitgemäßer Musikgeschmack, der wahrscheinlich von meinem fortgeschrittenen Alter herrührte. Genauso wenig war er mit dem Kaffee zufrieden gewesen, den ich extra für ihn gekocht hatte. Klar war er nicht der Beste. Da mache ich mir nichts vor, immerhin trinke ich selbst keinen Kaffee, aber dennoch war es keine Plörre gewesen … glaube ich zumindest.

Ich schäle mich aus dem nassen Mantel und werfe ihn auf die vollbepackte Rückbank. Der Jobwechsel kommt gerade recht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich bei meinem morgigen Umzug derart viel Zeug mitnehmen würde. Wäre ich noch mit Shuzee zusammen, wäre er mit mir nach Linderhof gekommen und wir hätten uns eine eigene Unterkunft in der Umgebung suchen müssen. Immerhin einen Pluspunkt hat unsere Trennung: Ich kann mir das Geld für eine Bleibe sparen und die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Bedienstetenwohnung in Anspruch nehmen.

Ich ertappe mich kurz dabei, wie ich in den Rückspiegel schaue und ihn suche. Schnell schüttle ich den Kopf. Es reicht jetzt. Ich habe lange genug gelitten und einem Lügengerüst hinterher getrauert. Ab morgen beginnt ein Neuanfang. Ich werde Shuzee schon irgendwie vergessen. Ein Tapetenwechsel und etliche Kilometer Distanz sind sicherlich förderlich. Ich werde nicht so enden, wie der alte Mann auf der Faschingsparty. Einsam, allein und verbittert. Das hoffe ich zumindest …

Mit Tränen in den Augen starte ich den Wagen, versuche meinen Kopf zu leeren und fahre nach Hause, in die verwaiste Mietwohnung. Dennoch: Ich kann es mir einreden, so oft ich möchte. Shuzee war alles für mich – er war mein Licht. Ich habe mein gesamtes Leben versucht an seines anzupassen und nun ist er fort. Für immer. Einfach so. Mit einem Schlag ist meine Welt verdunkelt.

 

Kapitel 2

Kanji:

Ich kann nicht genau benennen, woran es liegt, doch irgendwie fühle ich mich nicht wohl. Es ist das erste Mal, dass ich bei Howard bin, allerdings sind wir auch erst seit ein paar Tagen zusammen. Vor einer Woche traf ich ihn in meiner Lieblingsdisco. Ein Schmunzeln umspielt meine Mundwinkel und ich muss mir ein Lachen bei der Erinnerung verkneifen. An besagtem Tag war kaum etwas in der Diskothek losgewesen. Nur einige Stammkunden, ein paar Kumpels von mir und ich selbst, hatten sich dorthin verirrt. Da ohnehin jeder jeden zu kennen schien, habe ich mich nicht weiter nach möglichem Frischfleisch umgesehen und bin gleich auf die Tanzfläche gesprungen. Denn egal ob meine Stammdisko voll oder halb leer ist, die Musik ist einfach genial. Und wenn mein Lieblingssong von Imany „Don‘t be so shy“ läuft, kann mich nichts mehr vom Tanzen abhalten. Ich war so in den Rhythmus vertieft gewesen, dass ich gar nicht bemerkte, wie mich Howard antanzte. In dem Moment hat der Song aufgehört und ich war durstig. Also verließ ich die Tanzfläche und ließ den armen Kerl, der extra zu mir gekommen war, um mit mir zu flirten, auf der Fläche allein stehen. Der starrte mir entgeistert hinterher, was ich natürlich auch nicht wahrgenommen hatte. Meine Kumpels machten mich prustend und köstlich amüsiert darauf aufmerksam. Als ich mich umwandte, kam mir Howard schon entgegen und meinte verschmitzt und bedröppelt lächelnd, dass er noch nie eine derart eindeutige Abfuhr kassiert habe. So kamen wir ins Gespräch und ich fand ihn interessant.

Und nun stehe ich hier, öffne unsicher das Tor und trete in den großen Hof, der den Eingang für gleich drei getrennte Haushalte darstellt. Wenn ich mich richtig erinnere, wohnt er in dem kleinsten Haus rechts von mir. Die anderen zwei Bauten werden von seiner Tante und Mutter bewohnt. Behutsam sehe ich mich um. Eine Angewohnheit, die wohl mit meinem Beruf zusammenhängt. Auf den ersten Blick kann ich nichts Ungewöhnliches feststellen und laufe nach rechts zum Eingang. Warum bin ich nur dermaßen nervös? Ich besuche meinen Freund und nicht den Papst.

Beherzt klopfe ich an und vernehme nur wenige Sekunden später herbeieilende Schritte. Howard reißt die Tür auf und zieht mich stürmisch in seine Arme. Unsere Lippen treffen sich zu einem leidenschaftlichen Kuss, der mir fast die Luft raubt. Das Gefühl des Unwohlseins ist mit einem Schlag verflogen.

„Wow, hallo. Ich habe dich auch vermisst“, begrüße ich ihn atemlos, nachdem ich mich von seinem Mund lösen kann. Er schenkt mir ein breites Grinsen und zieht mich schnell ins Innere.

„Wir waren lange genug getrennt“, flüstert er in mein Ohr, während er mich wieder an sich drückt. Ich bekomme eine Gänsehaut und seufze leise.

„Es war nur ein Tag an dem wir uns nicht gesehen haben“, gebe ich neckend zurück und ernte dafür einen Klaps auf dem Po.

„Ein Tag zu viel“, nuschelt er und beginnt an meinem Nacken entlang zu knabbern. Zwar gefällt mir seine forsche Art, dennoch möchte ich ihn gern etwas zappeln lassen.

„Magst du mich nicht erstmal rumführen und mir als guter Gastgeber was zu trinken anbieten?“ Sachte aber bestimmt schiebe ich ihn von mir, worauf er vor sich hin brummelt wie ein Bär.

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du echt grausam bist? Erst ignorierst du mich in der Disco, lässt mich einfach stehen …“

„Ich hatte dich nicht bemerkt.“

„Dann zeige ich dir, wie sehr ich dich vermisst habe, und du wimmelst mich ab …“

„Ich fühle mich geehrt, bin jedoch durstig.“

„Eiskalt trifft es wohl eher“, gibt er mir gespielt schmollend zurück und ich muss mir ein Lachen verkneifen. Ich mache einen Schritt auf ihn zu und schmiege mich verführerisch an ihn, während ich meine Fingerspitzen über seine Oberarme kreisen lasse.

„Eiskalt, mh? Also ich hätte mich eher als heiß bezeichnet.“

Er zieht scharf die Luft ein und will abermals seine Arme um mich schlingen, doch ich bin schneller und ziehe mich flink zurück, sodass er ins Leere greift. Er lacht und schüttelt seinen Kopf, bevor er mir zuzwinkert.

„Eiskalt. Ich hatte recht.“

„Und ich gewonnen“, kontere ich, worauf er nickt. Mit einer ausschweifenden Handbewegung dreht er sich im Kreis des fast viereckigen Raumes.

„Also Herr Duncalf, Sie befinden sich im Eingangsbereich, wobei dieser auch gleich den Essraum darstellt, wie der Tisch direkt vor Ihnen beweist. Dahinter befindet sich die Kochnische, in der sich allerlei Köstlichkeiten für den Gaumen zubereiten lassen, sofern sie benutzt wird. Nun wenden Sie sich bitte nach rechts.“

Übertrieben langsam drehen wir uns zur Seite und er deutet auf eine verschlossene Tür.

„Dieser Raum dient der körperlichen Pflege und der Erleichterung. Und in der letzten Kammer können Sie bereits durch den Eingang mein Schlafgemach erkennen. Was kann ich Ihnen zu trinken anbieten, Herr Duncalf?“

„Ein Wasser reicht fürs Erste. Und warum plötzlich so förmlich?“ Ich beginne leicht zu grienen, während er eine Verbeugung andeutet und in scherzhaftem Ton antwortet:

„Es schien mir angebracht.“

„Verstehe. Dann nenne mich ab nun einfach Mein Gebieter.“

„He!“ Empört beginnt er mich zu kitzeln und ich fliehe lachend zum Küchenbereich. Er kommt mir nach und reicht mir ein Glas Wasser, das ich dankend ergreife.

„Du bist ganz schön schnell.“

Ich zucke mit den Schultern.

„Muss ich auch in meinem Beruf.“

Er runzelt nachdenklich die Stirn.

„Das wirft jetzt nicht das beste Licht auf mich, aber was machst du nochmal beruflich?“

Ich leere mein Glas mit einem Zug und sehe ihn eindringlich an.

„Tagsüber bin ich ein ganz normaler Mensch, doch nachts gehe ich auf Dämonenjagd und rette Menschenleben.“

Seine Gesichtszüge entgleisen, anschließend verpasst er mir einen leichten Stoß.

„Spaßvogel! Dann eben nicht.“

Ich grinse nur und erwidere nichts. Natürlich kann ich ihm nicht direkt die Wahrheit über meinen Beruf verraten. Angelogen habe ich ihn jedoch auch nicht. Wenn er es für einen Scherz hält und nicht weiter nachbohrt umso besser. Ich lasse noch einmal meinen Blick umher schweifen. Seine Einrichtung ist auf das Nötigste beschränkt, allerdings auch nicht gerade billig. Mir fällt sofort auf, dass es sich um Markenstücke handelt.

„Suchst du was?“, unterbricht Howard meine Inspektion.

„Ich schaue mir nur an, wie du wohnst“, gebe ich achselzuckend zurück. „Immerhin bin ich das erste Mal bei dir … Hast du Angst, ich entdecke etwas, das mir nicht gefällt oder versteckst du vielleicht was vor mir?“ Ich grinse ihn verschmitzt an und seien Mundwinkel beginnen zu zucken. Er nimmt mir mein Glas aus der Hand, stellt es auf die Spüle und schiebt mich in einer festen Umarmung rückwärts.

„Und ob ich das tue. Allerdings bin ich nicht gut darin, Geheimnisse zu bewahren. Deswegen muss ich sie dir wohl gleich … enthüllen.“

Ich öffne den Mund, um zu kontern, doch seine Lippen legen sich fordernd auf meine zu einem verlangenden Kuss. Ein wilder Zungentanz fordert meine gesamte Aufmerksamkeit, sodass ich gar nicht recht mitbekomme, dass wir bereits im Schlafzimmer sind. Erst als ich mit den Kniebeugen an den Sessel stoße, den Halt verliere und auf das Polster falle, nehme ich den Raumwechsel wahr. Ich schaffe es gerade noch, mich etwas aufzurichten, als er sich auf mich sinken lässt und genüsslich an meinem Hals zu saugen beginnt. Meine Hände suchen nach dem Anfang seines Shirts und ich brumme zufrieden, als ich fündig werde. Hungrig gleiten meine Fingerspitzen über seinen Rücken und ertasten jeden Winkel.

„He, markierst du mich gerade?“, hauche ich, als er immer stärker an meinem Hals zu saugen beginnt.

„Darauf kannst du wetten“, nuschelt er und sein warmer Atem streichelt meine Haut, sodass ich eine Gänsehaut bekomme. Ich drücke mich noch enger an ihn und meine Hände gleiten hinunter zu seinem Po. Er stöhnt leise auf, als sich unsere Lenden sehnsüchtig gegeneinander reiben. Doch das ist mir nicht genug. Der Stoff zwischen uns stört. Eigentlich wollte ich es langsamer angehen und ein paar Tage warten, doch meine guten Vorsätze ertrinken in meiner Begierde. Nachdem er sein Zeichen gesetzt hat, begegnen sich unsere Lippen zu einem weiteren, wilden Kuss. Ungeduldig beginnt er an meinem Pullover zu ziehen, während ich seine wachsende Erektion deutlich unter dem Stoff seiner Leinenhose spüren kann. Mit einem bedauernden Seufzen löst er sich von mir, was ich ihm nicht so leicht mache, indem ich ihn sehnsüchtig zu mir zurückzuziehen versuche. Er lacht leise auf und zwickt mir in die Schulter.