Im Licht des Mondes

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„Kanji! Kanji, bleib stehen!“

Natürlich mache ich das nicht. Am besten ruft er mich gleich bei Fuß wie ein treudoofes Schoßhündchen. Ohne mich umzudrehen laufe ich weiter, bin schon fast draußen, als er mich eingeholt hat und festhält.

„Mensch, Kanji, ich hab gesagt du sollst warten!“

Ich funkle ihn wütend an und entreiße mich seinem Griff. In meinem Innern beginnt es gefährlich zu brodeln, wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch ist.

„Und warum sollte ich das deiner Meinung nach tun?“

„Weil du mein Freund bist und …“

„Ach? Sieht für mich eher aus, als hättest du was mit deiner Cousine am Laufen.“

„Nein, nein, so ist das nicht“, beginnt er verzweifelt zu lamentieren und versucht, nach meinen Händen zu greifen, worauf ich allerdings keine Lust habe. „Ich weiß, wie das für dich ausgesehen haben muss, aber verdammt, warum guckst du auch durch das Fenster? Wieso hast du nicht gesagt, dass du kommst und wie bist du durch das Hoftor gekommen?“

„Ernsthaft?“, fauche ich ihn an und ich kann gar nicht sagen, wieviel Kraft es mich kostet, ihm keine zu verpassen. Der Kerl hat echt Nerven. Will er jetzt mir den schwarzen Peter zu werfen? Ich soll mich das nächste Mal anmelden, damit er nicht mit seiner Cousine rummacht? Unglaublich.

„Warte, nein, das meine ich nicht!“ Er rauft sich die Haare und sieht mich bettelnd an. „Kanji, bitte hör mir zu. Du musst mir glauben. Audrie hat sich da in einen Jungen aus ihrer Klasse verknallt und sie hat noch nie geküsst.“

„Ach und du bist ihr Lehrmeister oder was?“ Ich werde plötzlich ruhiger, meine Tonlage spitzer.

„Mensch, Kanji, sie hat Angst sich bei ihrem ersten Kuss zu blamieren! Kannst du das nicht nachvollziehen?!“

Ein sarkastisches Lachen entrinnt meiner Kehle. In was für einer Schmierenkomödie bin ich denn da gelandet? Ist das wirklich kein Traum? Die Situation ist zu verrückt, um wahr zu sein.

„Wie selbstlos von dir.“

Er mustert mich auf meine tonlose Antwort und versucht sie abzuwägen. Ich weiß selbst nicht, wo die Wut auf einmal hin ist, doch sie ist abrupt verpufft. Ich betrachte ihn von oben bis unten, schiele leicht über seine Schulter, wo Audrie hinter der Hausecke steht und uns beobachtet. Das Ganze erscheint mir schlagartig derart lächerlich, dass es sich schlichtweg nicht lohnt, verärgert zu sein. Meine restliche Zuneigung zu Howard, und ich gestehe, es war leider ohnehin nicht viel, denn sie hat von Tag zu Tag abgenommen, löst sich in Luft auf. Zurück bleiben nur ein schwaches Lächeln und die Frage, warum ich nicht schon früher auf den Trichter gekommen bin, anstatt meine Zeit mit ihm zu verschwenden.

„Kanji, ich …“

„Howard, sorry dass ich dich jetzt unterbreche, aber die Ausflüchte kannst du dir sparen.“

„Du glaubst mir nicht?“

„Nein, tue ich nicht, aber selbst wenn: diese Beziehung – wir haben keine Zukunft. Das funktioniert einfach nicht.“

„Aber du hast es doch noch gar nicht versucht!“

Jetzt muss ich tatsächlich lachen. Das Einzige was mich fortlaufend ärgert, ist die vergeudete Zeit.

„Oh und wie ich es versucht habe! Ich gebe dir auch nicht wirklich die Schuld, es passt zwischen uns nur nicht. Das musst du doch auch spüren!“

„Du gibst zu schnell auf“, bringt er resigniert hervor und wirft mir einen schuldzuweisenden Blick zu. Darauf kann ich nur leicht den Kopf schütteln.

„Kann sein, aber ich habe keine Lust mehr. Weder habe ich Bock, deine schräge Familie näher kennenzulernen, was auf Gegenseitigkeit zu beruhen scheint, noch habe ich das Bedürfnis, weiter deine Ausflüchte zu hören, warum du deine Cousine abschlabberst, die dich mehr als nur anhimmelt. Ich wünsch dir was.“

Ich beuge mich kurz auf die Seite und wende mich direkt an Audrie, die mich aus großen, erschrockenen, aber hoffnungsvollen Augen ansieht.

„Viel Spaß noch.“

Mit einem kurzen Winken drehe ich mich um. Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie mein Exfreund nach mir greifen möchte, es sich dann aber anders überlegt. Die Bitterkeit in seinem Gesicht ist nicht zu übersehen, sei es drum. Ich bin froh, dass ich ihn los bin. Beschwingt setze ich mich in mein Auto und starte den Motor. Ich weiß auch schon genau, wo ich hin möchte.

***

Eine Stunde später öffnet mir Link mit einem schiefen Lächeln die Tür.

„Hat wohl nicht so gut funktioniert, deine Aussprache?“, begrüßt er mich und lässt mich nach einer freundschaftlichen Umarmung in seine Wohnung. Seiji ist gestern bereits wieder abgereist, sodass ich ungestört mit ihm reden kann.

„Wie man es nimmt.“

„Magst du was trinken?“

„Davon kannst du ausgehen – ich habe uns was mitgebracht.“ Mit einem Grinsen hole ich eine kleine Flasche Rotwein hervor und reiche sie Link, der sie lachend entgegennimmt. Wir wandern mit dem Wein und zwei Gläsern auf die Couch. Dass ich heute bei ihm übernachte, ist beschlossene Sache, ansonsten würde ich nichts trinken. In der Hinsicht ist sowohl Link als auch ich sehr straight.

„Okay, dann schieß mal los. Was ist passiert?“

„Eigentlich nicht viel oder nichts, was ich nicht eh bereits geahnt habe.“ Ich schwenke den Wein spielerisch im Glas und beobachte seine Bewegung. Bevor Link am Platzen ist, dem ich die Neugier überdeutlich ansehe, fahre ich fort. „Das Hoftor war offen als ich ankam. Also bin ich rein und dachte, ich schau mal, was seine kleine Cousine durch das Fenster damals alles gesehen hat.“

„Hatte sie einen guten Blick?“

„Und wie. Ebenso wie ich. So konnte ich genau sehen, wie er ihr das Küssen beigebracht hat.“

„Nicht wahr?!“

„Doch.“

„Scheiße.“ Link beginnt peinlich berührt zu lachen und schüttelt den Kopf. „Mann, Kanji, sorry, das hätte ich jetzt echt nicht gedacht.“

„Kein Ding. Ich hatte ja so ein Gefühl, wollte es aber selber nicht direkt glauben.“

„Was hast du gemacht? Ich kenne dich jetzt schon lange genug um zu wissen, dass du garantiert nicht einfach still und heimlich wieder gegangen bist.“

„Wieso nicht?“

„Das kauf ich dir nicht ab.“

Ich kann mir ein weiteres Grinsen nicht verkneifen und nicke.

„Du hast gewonnen. Ich habe gegen die Scheibe geklopft und wollte gehen, als er hinterher gerannt kam und ich ihn zur Rede gestellt habe. Er hat sich krampfhaft versucht rauszureden und irgendwie … keine Ahnung. Am Anfang wollte ich ihm eine runter hauen, doch dann war es mir einfach zu blöd. Ich hab mit ihm Schluss gemacht und bin froh, dass ich diesen Spinner los bin.“

„Ts… echt krass. Tut mir leid, Alter.“

„Wie gesagt: ist besser. Es war eh von Anfang an nicht harmonisch zwischen uns. Abgesehen davon gibt es jetzt wirklich nichts mehr, was mich in Würzburg hält.“

„Trifft sich gut. Darüber wollte ich nämlich noch mit dir sprechen.“ Link greift neben sich in die Schublade und holt ein paar Briefe hervor.

„Was ist das?“

„Die Genehmigung für unsere Versetzung. Wir dürfen zwischen zwei Orten wählen.“

„Du musst mir nicht beide nennen, wie ich dich kenne, hast du bereits einen Favoriten, oder?“

„Japp, aber ich möchte es trotzdem mit dir absprechen. Wir sind immerhin Partner und deine Meinung ist mir wichtig.“

Ich winke ab und nehme einen ausgiebigen Schluck aus meinem Glas.

„Wo ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Seiji in der Nähe genommen wird?“

„Ettal …“

Ein verträumtes Schmunzeln umspielt seine Lippen und ich lache leise auf. Hatte ich also mit allem Recht. Nun denn, ich bin bereit für eine Reise. Auffordernd hebe ich zum Prost das Glas.

„Na dann, auf ins Ettal!“

Kapitel 11

Colin:

Ich reibe meine Hände aneinander und bewundere den ersten Schnee. Anfang November und es schneit! In freudiger Erwartung mache ich mich schnell frisch und schnappe mir meinen Mantel mitsamt Handschuhe und Mütze. Vom Musikpavillon hat man bestimmt einen wundervollen Blick auf die eingeschneite Landschaft. Das muss ich mir einfach ansehen und am besten, bevor es völlig dunkel ist. Wobei der Venustempel sowie auch das Schloss und Wasserparterre nachts beleuchtet werden. Der Anblick ist bereits ohne Schnee ein Traum, aber mit … ich kann es kaum erwarten!

Ich will die Tür gerade aufreißen, als ich viele Schritte und eine Art Gesang auf dem Flur höre. Ich kenne die Sprache nicht, aber die Leute, zu denen die Stimmen gehören. Unter anderem Meryl und Emanuel. Ich strecke meine Hand aus, doch zögere. Es fühlt sich nicht richtig an. Da ist etwas Beängstigendes. Bedrohliches. Gefährliches.

Ich zucke erschrocken zusammen, als es klopft. Ein hohles und lautes Klopfen. Ich bin erstarrt. Die Furcht lähmt mich, wenngleich mein Herz sich bei seinen Sprüngen regelrecht überschlägt.

„Colin?“ Emanuels Stimme reißt mich aus meiner beängstigenden Trance und ich öffne mit bangem Herz die Tür. Vielleicht sollte ich beruhigt sein, das vertraute Gesicht zur Stimme zu sehen, von dem Kerl, in den ich mich offensichtlich verguckt habe, wäre da nicht diese seltsame Aufmachung. Seine Bekleidung besteht aus einer tristen, grauen Kutte, die in der Taille mit einer Kordel zusammen gebunden ist. Er ignoriert meinen offensichtlich verwirrten Blick und sieht mich ernst an.

„Bist du bereit, Colin Morningquest?“

Mein Mund öffnet sich zwar, doch kein Ton kommt daraus hervor. Erst recht nicht, als ich Meryl und viele weitere Angestellte in derselben Kluft hinter ihm stehen sehe. In den Händen hat jeder Einzelne von ihnen eine entzündete Kerze.

Emanuel räuspert sich und verpasst mir einen leichten Stups.

 

„Bereit wofür?“, flüstere ich noch immer fassungslos und fühle mich, als wäre ich aus Versehen inmitten eines Theaterstücks gelandet, dessen Text und Handlung mir völlig unbekannt sind.

„Für das erste Ritual. Es ist Neumond. Die Zeit ist reif.“

Kurz gerate ich in Versuchung über seine Wortwahl zu lachen, doch die vielen Mienen, die mich todernst anblicken lassen mich im letzten Moment umschwenken. Die scheinen das mit ihrem Kult aber verdammt ernst zu nehmen, dafür dass alles angeblich so harmlos ist. Oder handelt es sich doch um einen Scherz und ich steige nicht dahinter? Hierfür ist die Stimmung jedoch zu angespannt. Sei es drum. Ich straffe meine Schultern und versuche gleichzeitig, die Angst abzuschütteln. Wovor sollte ich mich auch fürchten? Lächerlich.

„Ja, ich bin bereit.“

„Sehr gut. Wie ich sehe, hast du deine Wintersachen bereits an. Mehr benötigst du nicht. Bitte folge mir.“

Emanuel nickt mir zufrieden zu. Ich tue wie mir aufgetragen, und schließe mich der Gruppe an. Der Gärtner und ich bilden die Spitze, die anderen folgen uns und beginnen wieder leise vor sich hin zu singen. Ich muss wirklich mit mir kämpfen, um nicht zu grinsen oder gar loszuprusten. Das ist einfach zu verrückt. Ganz und gar nicht meine Welt.

Da Emanuel keine Anstalten machen wird, sich mit mir zu unterhalten und mit den anderen auch nichts anzufangen ist, nutze ich die Zeit, um mich umzusehen und die Landschaft zu genießen. Dicke Flocken fallen tanzend vom Abendhimmel herab und hüllen die Szenerie in ein atemberaubendes Weiß. In ein paar Stunden wird das gesamte Areal in eine glitzernde und majestätische Blässe gehüllt sein. Meine Haut beginnt voller Vorfreude zu kribbeln und ich fühle mich fast wie ein Kind, das sich auf seine Weihnachtsgeschenke freut. Ich kann nur hoffen, dass diese Zeremonie nicht allzu lange dauert und ich noch etwas von dem Abend habe.

Zu meiner Überraschung laufen wir nicht zum Anwesen, sondern biegen die Steigung nach links ab, die zum Marokkanischen Haus führt. Ich bin bereits die Tage ein paar Mal daran vorbei gelaufen. Da das kleine in Weiß, Rot und Gold gehaltene Gebäude allerdings abgeschlossen war und man nicht hineinsehen konnte, habe ich mich nicht weiter damit befasst. Wir erklimmen die wenigen Treppenstufen. Erst auf den zweiten Blick entdecke ich, dass das sperrige Gittertor dieses Mal nicht vorgezogen ist. Emanuel bleibt stehen und der Gesang hinter mir verstummt. Im nächsten Augenblick ist es gespenstisch still, sodass ich mir die Melodie fast schon wieder herbei sehne. Das Klackern des zierlichen Schlüssels im Schloss klingt unglaublich laut in meinen Ohren. Mit einer andächtigen Bewegung öffnet er die Tür, bleibt jedoch davor stehen, sodass ich keinen Blick ins Innere erhaschen kann. Langsam dreht er sich zu mir um und seine Augen bohren sich eindringlich in meine. Ich bin versucht, mich abzuwenden, denn die Massivität erdrückt mich, doch ich halte stand.

„Colin, hör mir jetzt bitte gut zu, denn ich werde mich nicht wiederholen.“

Benommen nicke ich und kann nicht verhindern, dass die Aufregung doch wieder die Oberhand über mich gewinnt. Die gesamte Stimmung ist so extrem seltsam. Ich kann damit nicht umgehen. Das macht mich noch verrückt.

„Du wirst dich allein in das Marokkanische Haus begeben. Deine Aufgabe besteht darin, nicht einzuschlafen. Meryl, Charlie und ich sind deine Mentoren und werden dir helfen, wach zu bleiben. Des Weiteren werden wir Wache halten und dir zwei Mahlzeiten am Tag bringen. Jeweils zur Mittagsstunde und um Mitternacht. Vor dem Essen musst du deine Gebete laut und deutlich aufsagen, die du dir verinnerlicht hast. Die Dauer des Rituals beträgt eine Woche und beginnt ab sofort.“

Abermals nicke ich, aber seine Worte kommen nicht gleich bei mir an. Oder kann ich ihn nur nicht verstehen? Hat er tatsächlich gesagt, dass die gesamte Prozedur eine ganze Woche gehen soll? Was ist mit meiner Arbeit? Mein Kopf beginnt zu schwirren. Emanuel scheint aus mir lesen zu können wie aus einem offenen Buch.

„Mach dir keine Sorgen. Die Herrschaften Loire wissen Bescheid. Du bist natürlich für die Dauer des Rituals von der Buchhaltung befreit.“

Er nickt mir zu und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. Das beruhigt mich ein bisschen. Ich atme tief durch und trete in das Marokkanische Haus ein. Das prunkvolle Innere erschlägt mich fast mit seiner orientalischen Pracht aus Blau, Rot und Gold. Ich kann mich nicht entscheiden, wo ich zuerst hinsehen soll. Wände, Fußboden, Säule und Decke – alles ist über und über mit Zierrat und edlen Mustern bedeckt. Mein Auge ist überfordert. Halt suchend krallt sich mein Blick an einer Art Altar fest, der reich mit exotischen Pflanzen und Blumen geziert ist. Davor liegt eine dicke Wolldecke, wohl mein einziger Komfort in dieser Behausung. Ein Kissen oder gar eine Schlafstätte suche ich vergebens. Ein dumpfes Geräusch lässt mich zusammen fahren. Schnell wirble ich herum und stelle fest, dass die Tür geschlossen wurde. Ich bin allein. An der Decke hängt ein bunter Kronleuchter und flutet den Raum in helles Licht, wahrscheinlich um ein Einschlafen zu verhindern. Ich seufze. So hatte ich mir meinen Abend wahrlich nicht vorgestellt. Eine ganze Woche hier drin. Eingesperrt. Allein. Bereits der Gedanke lässt mich frösteln. Und da stellt sich noch ein weiteres Problem, wenn ich sieben Tage hierbleiben soll: die Toilette. Mit einem flauen Gefühl im Magen mache ich mich auf die Suche. Da das Gebäude nicht sehr groß ist, werde ich in einer der wenigen Nischen schnell fündig. Ein winziges WC, jedoch keine einzige Waschmöglichkeit. Ich laufe die Räumlichkeiten noch drei weitere Male ab und werde nicht fündig.

„Das kann ja heiter weiter …“, nuschle ich und versuche mich auf die auswendig gelernten Gebete zurückzubesinnen. Ohne eingebildet zu klingen, aber ich hatte schon immer ein recht gutes Gedächtnis, sodass mir das Auswendiglernen von Gedichten und Ähnlichem nie sonderlich schwergefallen ist. Das kommt mir nun zu Gute. Ich hoffe nur, dass ich die Gebete auch zusammen bekomme, wenn ich eine Woche lang nicht schlafen darf. Ist das überhaupt möglich? Sieben Tage ohne Nachtruhe? Mir graut davor. Um dem Vergessen der Gebete etwas vorzubeugen und mich selbst zu beschäftigen, gehe ich die Verse im Stillen noch mal durch und hoffe, dass ich diese furchtbaren Tage schnell und so gut wie nur möglich überstehe.

***

Mir ist kalt. Und ich meine nicht einfach ein bisschen, sondern richtig. Ich habe das Gefühl zu erfrieren. Müde und hungrig laufe ich auf und ab, die Decke fest um mich geschlungen. Wärmend puste ich in mir in die Hände, doch der Erfolg bleibt aus. Bisher sind zwei Tage vergangen. Ich stinke und fühle mich unwohl. Auf meinen Zähnen hat sich ein ekliger Belag gebildet. Ich triefe vor Dreck und ich sehne mich nach frischer Luft. Einem Bett. Schlaf. Oh wie sehr lechze ich danach zu träumen. Die Müdigkeit zerrt an meinen Knochen und ich bin auch fast ein paar Mal eingenickt, doch Emanuel, Charlie und Meryl scheinen mich irgendwie zu beobachten und schrecken mich jedes Mal wieder auf. Entweder haben die Wände Augen oder es sind irgendwo Kameras versteckt. Ich weiß nicht, wie ich das mindestens fünf weitere Tage durchstehen soll. Jede einzelne Sekunde zieht sich zu einem einzigen Albtraum.

Es klopft an die Tür und sogleich höre ich den Schlüssel im Schloss, bevor die Tür leise aufschwingt. Meryl tritt ein, in ihrer Hand das gewohnte Tablett mit einer großen Karaffe mit warmen Wasser und einer Schale dampfenden Haferschleims. Noch vor drei Tagen hätte mich keiner dazu bewegen können, das anzurühren. Nun erscheint es mir wie das reinste Ambrosia. Mein Magen meldet sich grummelnd zu Wort, während meine Kollegin schweigend an mir vorbeigeht, das Tablett auf dem Altar abstellt und wortlos verschwindet. So lief das bisher immer. Außer wenn ich am Einschlafen bin, wechselt keiner ein Wort mit mir. Eine Gefangenschaft könnte kaum schlimmer sein. Ich warte, bis sie die Tür wieder verschlossen hat, und setze mich vor den gedeckten Altar. Bevor ich den warmen Brei hinunterschlingen kann, muss ich allerdings das Gebet aufsagen. Ich merke bereits jetzt die deutlichen Spuren der Erschöpfung, die mir das Erinnern erheblich erschweren. Tief Luft holend sammle ich meine Kräfte, bevor ich beginne.

„Dich, große und mächtige Buki, Beherrscherin aller Geister, flehe ich an! Oh große Buki, dir weihe ich meine Seele, mein Herz, meine Eingeweide, meine Hände, meine Beine, meine Seufzer, mein ganzes Dasein und Wesen. Oh große Buki, sei mir huldreich und gnädig.“

Hungrig mache ich mich über den wärmenden Haferschleim her und frage mich im Stillen nicht das erste Mal, in was für einen Mist ich da nur hineingeraten bin und wie ich das Ganze durchstehen soll. Allerdings brauche ich die Stelle und die Wohnung. Die Erkenntnis zieht mich herunter in einem schwarzen Sog. Ich bin ausgeliefert. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das Ritual durchzuziehen und zu hoffen, dass es damit beendet ist und nicht noch mehr grauenhafte Zeremonien auf mich warten. So viel zu Emanuels Aussage, die Riten wären langweilig, harmlos und unspektakulär. Anscheinend ist das Ansichtssache.

Kapitel 12

Kanji:

„Was die von uns wollen?“ Ich gähne ausgiebig und strecke meine müden Knochen, dass es kracht. Link zuckt mit einem Schmunzeln die Schultern.

„Keine Ahnung. Hast du wieder Mist gebaut?“

„Ey! Wann hab ich denn das letzte Mal was verbockt?!“

„Na ja, du weißt öfter nicht, wann es besser ist zu schweigen und ich darf dich dann wieder raushauen, wenn dein Mundwerk schneller war als dein Verstand.“

„Pfh… also echt!“, entgegne ich mit einem weiteren Gähnen und kann mich wohl glücklich schätzen, dass er immerhin meinen Verstand nicht anzweifelt.

„Wahrscheinlich geht es um unsere Versetzung“, stimmt er mich mit einem Zwinkern versöhnlich.

„Was gibt es denn da noch zu klären? Die Versetzung wurde doch genehmigt?“

„Zum einen wurde sie nur von unserem Orden genehmigt. Dort wo wir hinmöchten, brauchen wir auch nochmal explizit eine Annahmebescheinigung. Und zweitens wäre zu klären, wann wir gehen können.“

Okay, Letzteres erscheint mir logisch, aber der erste Punkt? Geht viel mehr Bürokratie überhaupt noch? Lieber nicht weiter darüber nachdenken. Wenn die alten Tattergreise etwas verehren, dann ist es ihr Papierkram.

„Dann mal auf in den Kampf“, murmle ich lustlos und halten meinem Partner die Tür zum Korridor auf. Er beginnt amüsiert zu lachen.

„So schlimm wird es schon nicht werden. Aber sag mal, hat sich Howard nochmal bei dir gemeldet?“

Ich schnaufe hörbar. Es ist mittlerweile eine Woche her, dass ich ihn in der verfänglichen Situation mit seiner Cousine erwischt und Schluss gemacht habe. Für mich war die Sache gegessen, doch nicht für meinen Ex. Der schrieb mir immer wieder Nachrichten. Natürlich habe ich mit Link darüber gesprochen. Ich rede über alles mit ihm. Er ist wie mein Bruder. Es gibt niemand, dem ich mehr vertraue.

„Ja, nicht nur einmal. Er hat mich derart genervt, dass ich seine Nummer letztendlich geblockt habe.“

„Du bist eiskalt!“ Link lacht und versetzt mir einen Stoß.

„Von wegen eiskalt. Du brauchst mir nicht erzählen, dass du dir seelenruhig alle Vorwürfe von ihm durchlesen würdest. Ich hab mir jetzt X-Mal anhören können, dass ich alles missverstanden habe und grausam bin, da ich der Beziehung keine Chance gebe und wohl nur mit seinen Gefühlen gespielt habe.“

„Oha … was habe ich nur für einen gefühllosen Partner an meiner Seite?“

„So sieht es aus. Bereit?“ Ich schaue ihn auffordernd an, als wir an der Bürotür des Ältesten ankommen.

„Wie du bereits sagtest: auf in den Kampf.“

Ich zeige ihm kurz den Mittelfinger und klopfe an. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit bis von drinnen endlich die Aufforderung zum Eintreten ertönt. Dass sich die alten Mönche aber auch jedes Mal dramatisch viel Zeit lassen müssen als befände sich das gesamte Universum in einer endlosen Schleife.

Die Höflichkeiten und Begrüßungsfloskeln überlasse ich Link. Das liegt mir nicht und ich möchte die obere Geistlichkeit keinesfalls gegen uns aufbringen, wo wir die endgültige Versetzungsbestätigung noch nicht haben. Wer weiß, auf was für Ideen die Kuttenpupser kommen. Pater Benedikt bittet uns, uns zu setzen, und wir folgen der Einladung schweigend.

„Ihr habt euch also entschlossen, unseren Sitz zu verlassen“, beginnt er das Gespräch und schaut fragend von Link zu mir. Wir nicken gleichzeitig und warten darauf, dass er fortfährt. Wie nicht anders zu erwarten, lässt er sich dafür eine Menge Zeit.

 

„Seid ihr euch auch sicher?“

„Ja, das sind wir, euer Ehrwürden. Wir lieben Würzburg und der Abschied fällt uns nicht leicht, dennoch haben Kanji und ich das Gefühl, weiterziehen zu müssen. Uns neuen Herausforderungen zu stellen.“

Der Alte lässt die Worte sacken und nickt nachdenklich.

„Eine wahrlich gute Antwort. Ihr seid zwei sehr geschickte Anwärter und werdet der Marienfeste fehlen.“

Ich versuche, mir ein schiefes Grinsen zu verkneifen. Hätte er die Jagd des vierbeinigen Fellknäuels mitbekommen, würde er das gewiss nicht sagen.

„Wie ich sehe, habt ihr euch für den Orden im Ettal entschieden. Darf ich euch nach euren Beweggründen fragen?“

Zu meinem Entsetzen fällt sein Blick auf mich. Was sage ich denn jetzt? Ach herrje, das kann ja nur in die Hose gehen. Wieso eigentlich noch das unnötige Geschwätz? Kann er nicht einfach sagen, ob wir angenommen wurden und wann wir versetzt werden? Ätzend. Ich öffne den Mund, um etwas zu erwidern, da ich jedoch keinen Plan habe, was ich von mir geben soll, entweicht mir nur ein dümmliches Ähm.

„Die bergige Landschaft schien uns interessant“, kommt mir Link zu Hilfe und ich lasse mich entspannt in den Stuhl zurücksinken. „Zumal soll es im Ettal sehr viele Barackendörfer im Umkreis geben. Wir dachten, dass unsere Dienste dort am meisten benötigt würden.“

„Ich verstehe. Auch wenn das bedeuten würde, dass ihr nicht hauptsächlich für die Jagd eingesetzt werden würdet?“

Das lässt mich aufhorchen. Bevor ich jedoch nachhaken kann, kommt mir mein Partner zuvor.

„Natürlich. Für welche Art der Arbeit auch immer. Wir helfen wo wir können und wo wir gebraucht werden.“

Pater Benedikt mustert Link eindringlich. Der weicht dem Blick des Priesters nicht aus und verzieht keine Miene. Das ist eine Gabe, für die ich ihn ehrlich bewundere. Er vertritt seine Meinung ohne mit der Wimper zu zucken, lässt sich nicht verunsichern oder aus der Ruhe bringen und bleibt dennoch höflich. Der Mönch nickt schließlich und tätigt ein paar Notizen.

„Der Antrag ist genehmigt. Unsere Brüder im Ettal freuen sich, euch in zwei Wochen begrüßen zu dürfen. Mir ist bewusst, dass die Zeit sehr knapp ist, aber ihr braucht euch nicht um viel zu kümmern. Im Ettal wohnen die meisten beziehungsweise die wenigen Anwärter im Kloster. Natürlich könnt ihr euch noch eine eigene Unterkunft suchen, wenn ihr das möchtet. Schaut es euch am besten an. Ihr werdet selbstverständlich ab sofort bis zum Arbeitsbeginn im neuen Sitz von der Arbeit freigestellt, um eure restlichen Angelegenheiten wie zum Beispiel das Kündigen eurer Wohnung zu regeln. Die Unterlagen zu Ansprechpartnern und vielem mehr erhaltet ihr in den nächsten Tagen.“

„Vielen Dank. Wir wissen das zu würdigen.“

Wir stehen auf und wenden uns ab. Ich strecke bereits meine Hand nach der Türklinke aus, um endlich aus dem Verhör zu entkommen, als der Geistliche sich nochmal zu Wort meldet.

„Herr Duncalf, Herr Kisuda – enttäuscht uns nicht.“

„Wir werden unser Bestes geben“, verspricht Link und ich verkneife mir meinen bissigen Kommentar. Schnell verlassen wir das Zimmer und ich seufze auf, als die Tür knackend zufällt. Mein Partner schenkt mir ein schiefes Grinsen und klopft mir aufmunternd auf die Schulter.

„Na, war doch gar nicht so übel.“

„Willst du mich verkackalbern? Der Alte spinnt doch! Enttäuscht uns nicht ... Als ob wir nur herumlungern wollten! Dann könnten wir ja genauso gut in Würzburg bleiben wie all die anderen!“

„Ha ha, ich weiß und ich denke, das ist auch bekannt. Lass uns jetzt nicht weiter darüber nachdenken, sondern lieber anfangen zu packen. Und dann ziehen wir hier nochmal richtig um die Häuser. Was meinst du?“

Ich grinse schief.

„Hört sich gut an. Auf geht’s!“

Kapitel 13

Colin:

Wie viel Tage sind inzwischen vergangen? Ist es Nacht oder Tag? Mein zitternder Körper fühlt sich taub an vor Kälte. Ich liege auf dem Boden und habe die Decke fest um mich geschlungen. Keine Ahnung wie lange ich hier bereits schlotternd verharre, geschlafen habe ich allerdings nicht. Ich wünschte, ich hätte. Jedes Mal, wenn ich kurz davor war, endlich ins Reich der Träume zu finden, wurde ich von meinen Kollegen durchgeschüttelt. Wie lange geht dieses Ritual noch? Ist es ein Spiel? Verrückt. Die ganze Prozedur ist krank.

„Colin, bist du wach?!“ Emanuels mahnende Stimme dringt an mein Ohr und ich stöhne verzweifelt auf. Ich will nur, dass es endet. Egal wie. Wie konnte ich mich nur auf so einen Unsinn einlassen? Nie im Leben hätte ich gedacht, dass die Arbeit mit einem Sektenbeitritt verbunden sein würde. Natürlich habe ich bereits von Sekten gehört, aber das alles erschien mir weit weg, als könnte es mich nie betreffen.

„Colin!“

„Ja, ich bin wach. Ich bin wach. Ich bin wach“, murmle ich immer wieder vor mich hin, was ihm als Antwort nicht zu genügen scheint.

„Steh auf! Mach die Augen auf!“

Tränen der Verzweiflung und des Frusts fließen über meine Wangen. Ich kämpfe mich erschöpft auf die Knie und richte mich mit Hilfe der stützenden Wand auf. Wie lange ich dafür brauche? Kann ich nicht sagen. Ich bin überrascht genug, dass ich es überhaupt schaffe, mich auf meine Beine zu kämpfen. Sie fühlen sich an wie Wackelpudding und es fällt mir schwer, den Halt zu bewahren. Ablenken. Ich muss mich irgendwie wach halten. Einschlafen werden sie mich ohnehin nicht lassen. Kann ich das Ganze nicht abbrechen? Ist das die Arbeitsstelle wirklich wert? Doch selbst wenn sie sich darauf einlassen, diesen verfluchten Unsinn vorzeitig zu beenden bin ich mir nicht sicher, wie sie reagieren werden. Vor einem Rauswurf fürchte ich mich seltsamerweise nicht mehr. Das muss an meinem benebelten Zustand liegen. Nein, vielmehr graut es mir davor, zu was diese Leute noch fähig sind. Vielleicht ist das Unsinn. Kann sein, dass ich jetzt völlig paranoid werde, aber ich kann einfach nicht mehr klar denken. Mein gesamter Körper schreit vor Schmerz und vor Müdigkeit auf. Ich fühle mich, als würde mir der letzte Funke an Kraft mit aller Gewalt herausgerissen werden.

Meine Augen versuchen, sich krampfhaft auf einen Punkt an der Wand zu fixieren. Zu meinem Entsetzen fängt diese an zu rotieren. Ich blinzle ein paar Mal hintereinander, doch die Muster bleiben partout nicht stehen. Sie tanzen miteinander, verfließen zu einer Einheit und verharren dennoch nie still. Ein irres Lachen hallt durch den Raum und lässt mich erschauern. Ich sehe mich um, kann jedoch niemanden entdecken. Mit Erschrecken stelle ich fest, dass ich derjenige bin, der dieses unheimliche Gelächter ausstößt. Ist es soweit? Verliere ich meinen Verstand? Befinde ich mich gegebenenfalls nicht nur in einem nicht enden wollenden Albtraum? Bin ich nicht fähig aufzuwachen? Was passiert hier? Und noch wichtiger: Was geschieht hier mit mir? Zum ersten Mal bin ich froh, keinen Spiegel griffbereit zu haben. Das Bild, das sich mir bieten würde, gäbe mir den Rest.

Meine Gedanken überschlagen sich, hören nicht auf sich zu drehen, ebenso wie die Wandtafeln vor mir. Ich fühle mich plötzlich im eigenen Kopf gefangen – in einem Kreisel aus Gedanken, der einfach nicht enden will.

„Bitte, bitte, hol mich einfach nur einer raus …“, flüstere ich und schließe meine Lider wider der Forderung von Emanuel, die Augen offen zu halten. Doch ich ertrage die schlingernden Wandmuster nicht mehr. Diese bunten Farben. Die grotesken Fratzen, die sich daraus bilden. Ein erneuter Schüttelfrost lässt mich erbeben und ich sinke langsam, aber unaufhaltsam auf den Boden.

„Colin. Colin“, höre ich eine Stimme meinen Namen rufen. Zuerst denke ich an die nervigen Kollegen, doch dann fällt mir auf, dass ich sie nicht zuordnen kann. Grübelnd ziehe ich die Stirn in Falten, nicht fähig, genug Kraft aufzubringen, um meine Lider zu öffnen.

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