Im Licht des Mondes

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Kapitel 8

Kanji:

„Du wirst sehen, das wird ganz lustig.“

„Mh… mal sehen“, ist Howards knappe und gemurrte Antwort. Damit gebe ich mich jedoch zufrieden. Ich bin heilfroh, dass wir uns einigen konnten. Er war nämlich nicht begeistert von meinem Vorschlag gewesen. Denn was ich nicht wusste und er mir vergessen hatte zu sagen, war, dass er jedes Jahr an Halloween mit seiner Schwester und Cousine in einem Club feiern geht. Er war einfach davon ausgegangen, dass ich nichts anderes vorhabe und mitgehe. Die Tatsache allein ärgert mich. Nachdem wir beide hitzig diskutiert hatten, weil keiner nachgeben wollte, haben wir uns dann auf einen Deal geeinigt. Wir gehen zuvor zu Link und Seiji, um gemütlich zu essen, einen oder zwei Filme zu schauen und etwas vorzuglühen – zumindest er, denn ich habe mich sogar zum Fahren angeboten, um ihn zu besänftigen – und danach düsen wir noch für ein paar Stunden in den Club zu seiner Schwester und Cousine. Zugegeben: Ich hege die kleine Hoffnung, dass es ihm so gut bei meinem Kumpel gefallen wird und er die Zeit vergisst, sodass er gar keine Lust mehr hat, zur Party zu fahren. Nicht ganz fair? Ich weiß, aber hoffen darf ich doch. Natürlich werde ich mich an unsere Abmachung halten, wenn er darauf besteht. Ich halte mich an Vereinbarungen und halbe halbe für jeden ist ein fairer Deal, aber mal schauen, vielleicht habe ich ja Glück.

Ich parke das Auto am Straßenrand, steige aus und führe Howard zum Zwei-Zimmer-Apartment meines Kumpels. Er erwartet uns bereits, weshalb ich nicht einmal dazu komme, auf die Klingel zu drücken. Kurz bevor ich den Knopf berühre, ertönt das Surren des Türöffners.

„Hat er uns gesehen?“ Howard schaut sich verwundert um und ich schmunzle.

„Bestimmt haben sie aus dem Fenster gesehen.“

Wir erklimmen im Nu den zweiten Stock, wo Link im Türrahmen angelehnt steht, die Arme lässig in den weit geschnittenen Stoffhosen vergraben. Auf seinem Gesicht zeichnet sich ein laszives Grinsen ab und mit dem offenen Hemd wirkt er mehr als nur appetitanregend. Das fällt nicht nur mir auf, sondern auch Howard, dessen anzügliches Lächeln ich aus meinen Augenwinkeln wahrnehme und ihm einen ermahnenden Stoß mit dem Ellenbogen in die Rippen verpasse.

„Ich nehme an, Seiji ist bereits hier oder wolltest du uns in dem Aufzug verführen?“

„Ja, er duscht gerade.“ Sein Grienen wird noch etwas breiter und ich erspare mir weitere Fragen und schlängle mich an ihm vorbei.

„Da ihr euch bereits kennt muss ich euch nicht mehr einander vorstellen.“

„Klar, ich war doch dabei, als du den armen Kerl hast auf der Tanzfläche stehen lassen.“

Die beiden begrüßen sich mit Handschlag, während ich schon meine Jacke und Schuhe ausziehe. Im nächsten Moment kommt Seiji aus der Dusche, ebenfalls im bequemen Outfit und mit noch feuchten Haaren. Sein Anblick entlockt mir ein leises Lachen. Diese bunte Wolle. Daran werde ich mich nie gewöhnen können.

„He, Kanji! Lange nicht mehr gesehen! Wie geht es dir?“, begrüßt er mich und nimmt mich flüchtig in den Arm.

„Ja, dürfte auf jeden Fall ein halbes Jahr her sein“, meine ich und klopfe ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Mir geht’s gut und dir, soweit ich sehe, auch?“

„He he, immer, wenn ich mein Babe in der Nähe habe.“

Link schleicht auf ihn zu wie eine Raubkatze und stiehlt ihm einen innigen Kuss von den Lippen, der mich fast neidisch macht.

„He, ist das eine Herausforderung für ein Kussduell?“ Howard schlingt von hinten seine Arme um meine Taille und zieht mich zu sich. Sein Mund benetzt meinen Hals mit feuchten Küssen und ich seufze wohlig auf.

„Oh je, ich glaube, wir essen jetzt lieber, sonst artet unser gemütlicher DVD Abend noch aus“, meint Link grinsend und läuft in die Küche, aus der ein verführerisches Duftgemisch aus Kürbissuppe und gefüllten Paprika strömt. Seiji folgt ihm prompt, ich bin allerdings nicht gewillt, mich aus der wohligen Umarmung meines Freundes zu lösen. Zumindest nicht so lange, bis sich sein knurrender Magen lautstark zu Wort meldet und er mich lachend hinterher schiebt.

Das Essen ist lecker und mehr als genug, Seiji und Link haben sich wirklich ins Zeug gelegt.

„Uff, wie viele Gäste habt ihr denn erwartet?“, hauche ich, als mein Kumpel nach dem Hauptgang noch eine riesige Schüssel mit der Süßspeise Blumenerde serviert.

„Tja, das muss alles weg. Vorher lassen wir euch nicht hier raus.“

„Wenn wir das alles verputzen, muss man uns rollen“, meint Howard und greift dennoch beherzt zu.

„Ihr seid echt verrückt.“

„Kanji, das nennt man Gastfreundschaft. Das liegt an meinen afrikanischen Genen. Da kannst du mit deiner kalten, englischen Art nicht mithalten.“

„He, ebenso wie du bin ich in Deutschland aufgewachsen. Das wiederum bedeutet, dass Deutsche auch nicht besser sind und damit kritisierst du sowohl Seiji als auch Howard“, kontere ich spaßig, woraufhin mir Link neckisch seine Zunge herausstreckt.

***

Ich weiß nicht wieso, aber Howard scheint irgendetwas nicht zu passen. Obwohl das Essen fantastisch war, sowohl Seiji als auch Link freundlich und die Atmosphäre komplett entspannt, ist er plötzlich distanziert. Ich kann nur hoffen, dass sich das noch legt, da es absolut keinen Grund für sein Verhalten gibt.

Wir haben es uns alle vier auf Links Couch gemütlich gemacht und ich bin im Kuschelmodus. Der Horrorstreifen selbst interessiert mich nicht wirklich – Horrorfilme sind okay, aber nichts, was mich fesselt. Als der Film endet, bin ich auf Howards Brust tiefenentspannt. Und auch er scheint gelassener geworden zu sein.

„Was schauen wir als nächstes? Jemand einen bestimmten Wunsch?“, fragt Link und richtet sich wohlig räkelnd auf.

„Wie wäre es vielleicht mit einem Klassiker? Freitag, der 13te oder so was in der Art?“ Seiji schaut fragend in die Runde und ich nicke.

„Können wir gerne machen …“

„Nein, wir gehen.“ Howards Worte lassen mich kurz erstarren. Sein Ernst? Langsam richte ich mich auf und sehe ihn an. Klar ist mir unsere Abmachung bewusst, aber wir haben noch nicht einmal Mitternacht. Einen Film hatte ich noch einkalkuliert, da er ja dann bis zum Frühstück durchfeiern möchte. Abgesehen von meiner Hoffnung, ihn zum Bleiben zu überreden.

„Jetzt schon? Einen Film können wir doch noch schauen.“

„Wir gehen“, murmelt er mürrisch und steht auf. Meine Gesichtszüge entgleisen und ich bin nicht fähig, den Blick von ihm abzuwenden oder aufzustehen.

„Wir können auch gerne einen anderen Film schauen oder was spielen“, unternimmt Link einen Kompromissversuch, der ebenfalls wie Seiji und ich von der barschen Reaktion meines Freundes geschockt zu sein scheint.

„Nein, danke. Wir gehen jetzt!“

Ich beiße mir auf die Zunge. Nicht nur, dass sein Verhalten dermaßen unangebracht ist, ich kann es mir nicht einmal erklären. Abgesehen davon ist es mir peinlich. Ich fühle mich bloßgestellt. Wären wir nicht zusammen in einem Auto gefahren, oder mit seinem Wagen da, dann würde ich hier bleiben und ihn heimschicken, doch so …

Ich schiele kurz zu meinen Freunden, die verdattert Howard ansehen. Seiji ist nicht oft hier und die wenige Zeit, die die beiden miteinander verbringen können, möchte ich ihnen nicht verderben. Die Reaktion meines Freundes treibt mich innerlich zur Weißglut, aber die zwei haben nichts damit zu tun. Ich kann jetzt keine Szene machen und ihnen den restlichen Abend verderben. Deswegen beiße ich mir auf die Zunge, schlucke meine Wut hinunter und zwinge mir ein Lächeln aufs Gesicht.

„Okay, schade. Link, Seiji, was bekommt ihr fürs Essen? Können wir kurz die Abrechnung machen?“

Mein Kumpel winkt ab und schüttelt den Kopf.

„Unsinn. Ich habe euch eingeladen. Du bezahlst einfach das nächste Mal, wenn wir beide wieder Essen gehen und wir sind quitt.“

„Sicher?“

„Klar. Du kennst mich. Ich kann viel essen.“

Ich grinse schief. Da hat er allerdings recht. Ich frage mich nur, wieso bei ihm nichts ansetzt. Seine Figur erscheint so perfekt. Kein überflüssiges Fettpölsterchen – faszinierend.

„Danke.“ Ich ziehe sowohl Link als auch Seiji in eine kurze Abschiedsumarmung, wobei mir mein Kumpel vielsagend auf die Schulter klopft.

„Auch von mir danke für die Einladung“, fügt Howard hinzu und reicht beiden flüchtig die Hand.

Ich verfluche ihn stumm und wir verlassen die Wohnung und steigen in mein Auto. Wortlos starte ich den Wagen und fahre los. Die nächsten zehn Minuten sitzen wir schweigend nebeneinander und ich grüble über sein seltsames Verhalten nach. Was sollte die Szene? Ich habe nichts gegen dominante Kerle, aber ich lasse mich nicht herumkommandieren. Wo kämen wir denn da hin? Wenn er nicht einen verdammt guten Grund dafür hat, dann …

Ich atme tief durch und versuche, meinen Zorn unter Kontrolle zu bekommen. Mir ist bewusst, dass ich wahrscheinlich unfair reagiere. Immerhin hatten wir abgemacht, nicht ewig zu bleiben, doch die Stimmung war gut und es war bequem gewesen. Ach verdammt! Ich komme einfach nicht drüber weg. Zu allem Unglück ist auch noch ein dichter Nebel aufgezogen, der die Landstraße einhüllt wie eine Waffel in Puderzucker. Ich bin kein unsicherer Autofahrer, doch wenn sich die Sicht auf fünf Meter beschränkt finde selbst ich das Fahren nicht angenehm.

„Du müsstest die Adresse des Clubs noch im Navi eingeben. Ich kenne ihn nicht und weiß nicht, wo ich hin muss“, unterbreche ich die Stille und versuche, einen ruhigen Ton zu bewahren.

„Nein, nicht nötig. Fahren wir einfach zu dir.“

Ich glaube, ich höre nicht recht. Müsste ich nicht so angestrengt auf die Straße schauen, würde ich ihn vernichtend anstarren.

 

„Wie? Möchtest du nicht mehr in den Club?“

„Nein, nicht wirklich. Ich möchte lieber zu dir.“ Er reibt sich müde übers Gesicht und grinst mich schief an, was ich aus meinen Augenwinkeln wahrnehme. Wieder kämpft sich mein ungebändigter Frust nach oben und ist kurz davor, vulkanartig auszubrechen.

„Wieso das auf einmal?!“

„Ich habe einfach keine Lust mehr und wenn du ehrlich bist, bist du auch nicht sonderlich scharf darauf.“

„Aber wenn du keinen Bock mehr hast feiern zu gehen, wieso konnten wir dann nicht länger bei Link und Seiji bleiben? Hat es dir denn nicht gefallen?“

„Doch, das schon. Es war ganz okay.“

„Aber? Wieso wolltest du unbedingt gehen?!“

„Ich bin einfach müde und ich hatte das Gefühl auf der Couch gleich einzuschlafen.“

Ich warte darauf, dass er fortfährt, doch das tut er nicht. Ist das alles? Ich versteh das verfluchte Problem nicht!

„Und was ist daran so schlimm?“

„Ich wollte nicht, dass sie mich schlafen sehen. Das ist peinlich.“

„Es hätte niemanden interessiert oder gestört!“ Ich kann nicht sagen, wie gerne ich das Lenkrad herumreißen würde, um wieder zurückzufahren.

„Doch hätte es. Mich. Ich kenne sie praktisch gar nicht. Es wäre mir unangenehm.“

Ich schlucke schwer. Der Typ bringt mich gerade zur Weißglut. In meinem Brustkorb explodieren lauter kleine Sprengkörper.

„Dann gib mir jetzt bitte die Adresse für den Club.“

„Ich habe bereits gesagt, dass ich keine Lust mehr darauf habe. Ich will lieber noch etwas mit dir allein sein.“

Ich knirsche mit den Zähnen und ohrfeige ihn in Gedanken tausendfach, als er mir plötzlich ins Lenkrad greift und es mit einem Schrei herumzieht.

„Achtung!“

Keine Ahnung, wo der Fahrradfahrer gerade mitten auf der Straße aufgetaucht ist, aber beinahe hätte er sein ganz eigenes, persönliches Halloweenerlebnis gehabt. Eventuell sein letztes und das meinetwegen.

„Alles okay?“, holt mich Howards Stimme in die Wirklichkeit zurück.

„J-ja“, stottere ich fassungslos, den Blick stur auf die Fahrbahn gerichtet, während ich mit reduzierter Geschwindigkeit die Landstraße entlang fahre. „Das wäre beinahe schief gegangen … das nenne ich mal ein eindrucksvolles Halloween.“

„Es ist doch alles gut gegangen. Es sah nicht einmal danach aus, als hätte er etwas bemerkt.“

„Und wenn schon … das ist dein Verdienst. Ich hätte ihn überrollt“, presse ich hervor und kämpfe noch immer gegen den Schock an, der nicht mehr aus meinem Körper weichen möchte. Auch wenn sich eine Stimme in meinem Hinterkopf meldet, die mir besagt, dass Howard ebenfalls Schuld hat, denn immerhin bringt er mich momentan zur Weißglut. Und wäre er nicht so stur gewesen, dann wären wir noch bei Link und Seiji. Auf der anderen Seite weiß ich, dass das Unsinn ist und ich versuche, die Stimme zum Schweigen zu bringen.

„Hast du aber nicht“, redet er beschwichtigend auf mich ein und ich beschließe, ihm zu verzeihen und mich voll und ganz einer sicheren Rückfahrt zu widmen.

***

Die restliche Rückfahrt verlief schweigend. Der Fast-Unfall hängt mir noch immer nach, selbst zwei Stunden später. Ich habe Howard tatsächlich nicht mehr dazu überreden können, zur Party zu fahren. Einerseits war ich froh darüber, denn ich möchte jetzt nicht mehr unbedingt ins Auto steigen. Andererseits bin ich nach wie vor frustriert, dass er mich vor Link und Seiji hat auflaufen lassen.

Nun liegen wir schmusend auf meiner breiten Couch und ich habe große Mühe, den Herrn im Zaum zu halten, der plötzlich gar nicht mehr so müde ist. Ich mag jetzt einfach nicht auf Tuchfühlung gehen, nicht nachdem der ganze Abend derart abrupt abgestürzt ist. Abgesehen davon lässt mein Stolz das nicht zu. Meint er echt, er kann sich alles erlauben? Mich vor meinen Freunden anschnauzen und herumkommandieren, sich nicht an den Deal halten und mir stattdessen an die Wäsche gehen? Denkste! Nicht mit mir! Deswegen ist zwar fummeln und küssen erlaubt, doch die Hände haben gefälligst über der Hose zu bleiben. Und ja, selbst wenn er mich an meinen empfindlichsten Stellen berührt und mir einen Schauer verursacht – ich habe keine Lust und das wird sich auch nicht ändern.

Howards Frust und Ungeduld wird mit jedem Wegschieben und Korrigieren seiner Hände deutlicher. Das wiederum freut mich. Meine Lippen fühlen sich wund an und ich spüre langsam die Müdigkeit aufsteigen. Ich sehne mich nach Ruhe und während er weiterhin versucht, sich erneut an meinen Hosenbund vorzuarbeiten schiele ich zur Uhr. Es ist mittlerweile fast zwei Uhr morgens. Ich kann mein Bett förmlich aus dem Schlafzimmer schreien hören.

„Davon dass du müde bist, merke ich nichts“, murmle ich in sein Haar, während er über meinen Hals leckt. Er murmelt eine unverständliche Antwort und fährt mit seiner Bearbeitung fort. Erst als ich ihn sanft, aber bestimmt von mir drücke, unterbricht er sein Tun mit einem protestierenden Knurren.

„Howard, ich bin wirklich müde.“ Ich umschließe sein Gesicht mit meinen Händen und schaue ihm schläfrig in die Augen. Die Enttäuschung ist ihm deutlich anzusehen.

„Kann ich dich nicht irgendwie wieder aufwecken?“, nuschelt er und lässt seine Hand spielerisch über meinen Hosenbund wandern. Ich schüttle den Kopf und er muss einsehen, dass sein Vorhaben nicht fruchtet. Vielleicht ticke ich etwas anders als der normale Mann, doch wenn ich sauer bin, bin ich sauer und wenn ich schlafen möchte, möchte ich schlafen. Nicht mehr und nicht weniger. Da könnte eine Herde nackter Models an mir vorbeirennen und es würde mich nicht interessieren. Wobei … bei einem guten George Clooney Double würde ich es mir durchaus überlegen.

„Warum bist du denn auf einmal so wach? Bist du wirklich wieder fit?“

„Ja, irgendwie schon“, gibt er mir schief grinsend zur Antwort, nichtsahnend, dass er damit sein Schicksal für heute besiegelt. Wäre er schlaftrunken gewesen, hätte ich mich nicht getraut, ihn rauszuwerfen und heimzuschicken, doch unter diesen Umständen ist er durchaus fähig noch Auto zu fahren.

„Sorry, aber ich möchte echt in mein Bett und würde dich rausschmeißen.“

Seine Gesichtszüge entgleisen und ich muss mich zusammenreißen, um nicht in Gelächter auszubrechen und ernst zu bleiben. Enttäuschung pur bei Howard. Tja so kann’s gehen, selber schuld.

„Dein Ernst? Und wenn wir …?“

„Nein, tut mir leid, aber es ist besser, wenn du gehst“, unterbreche ich ihn mit einem Gähnen, worauf er sich murrend erhebt und seine Sachen zusammen sucht. Als guter Freund helfe ich ihm natürlich dabei. Ich möchte ja nicht, dass der arme Kerl etwas vergisst und wieder umdrehen muss. Das kann ich ihm nicht zumuten.

„Meldest du dich, wenn du daheim angekommen bist?“, frage ich und hauche ihm einen Abschiedskuss auf die Lippen. Er seufzt und zieht mich zu einem längeren Kuss zu sich, den ich träge erwidere. Aus dem Schlafzimmer höre ich mein Bett eine einlullende Melodie summen.

„Bist du da überhaupt noch wach?“

„Ich versuche es?“, gebe ich mit einem Lächeln zurück.

„Okay, mach ich. Dann schlaf gut.“

„Du dann auch – aber natürlich erst, wenn du daheim bist.“

Er starrt nochmal sehnsüchtig in mein Schlafzimmer und macht Anstalten, zu widersprechen. Flink hauche ich ihm abermals ein Kuss auf den Mund, bevor er einen Ton herausbringen kann, schiebe ihn nach draußen und schließe die Tür. Sein frustrierter Blick ist mir natürlich nicht entgangen. Tja, Pech gehabt. Die Nacht hätte auch anders enden können, doch so nicht. Räkelnd mache ich mich auf den Weg ins Badezimmer und danach in mein kuscheliges Bett.

Kapitel 9

Colin:

Oh Mann. Ehrlich gesagt, bin ich – Colin Morninquest – frustriert. Und das kommt wahrlich nicht oft vor. Ich bin zwar öfter nachdenklich und zur Zeit auch sehr oft traurig, doch nun bin ich wirklich enttäuscht. Das liegt nicht an meiner Arbeit direkt, Buchhaltung ist zwar nicht das spannendste Gebiet, doch mir hat das Buchen und Kontieren schon immer Spaß gemacht. Ich finde es beruhigend, alles zu ordnen und ins Reine zu bringen. Seltsam? Kann sein, aber ich steh dazu. Doch das ist nicht das Problem. Nein, Emanuel bereitet mir Kopfzerbrechen. Seit dem Abend im Stronger und das ist jetzt bereits drei Tage her, haben wir uns nicht mehr unterhalten. Zwar haben wir uns beim Vorbeigehen gesehen und gegrüßt, aber mehr war nicht drin. Bin ich albern, wenn ich mir Gedanken über den Kuss mache? Wahrscheinlich hat es ihm nichts bedeutet. Es war einfach nur der Moment, er war gut gelaunt und in Partystimmung und ich war eben verfügbar … Ich weiß auch nicht. Ich benehme mich völlig idiotisch. Womöglich möchte ich zu viel zu schnell. Abgesehen davon weiß ich nicht einmal, ob ich etwas für ihn empfinde. Klar, er ist heiß. Verdammt heiß. Diese Muskeln, die grünen Augen und sein Blick … wer könnte da schon widerstehen? Und vermutlich ist genau das das Problem. Es scheint zu stimmen, was man sagt: Die Jungen müssen sich heutzutage erst einmal die Hörner abstoßen. Vielleicht wäre das bei mir auch der Fall gewesen, wenn ich später geboren worden wäre. Kann, wäre, hätte – egal. Fakt ist, ich sollte endlich meinen Kopf freibekommen und mich nicht an jeden Strohhalm klammern wie ein Ertrinkender. Wenn mich einer retten kann, dann bin ich das selbst. Und trotzdem … warum tut Emanuel jetzt so, als wäre nichts passiert? War es für ihn womöglich nicht von Bedeutung? Und wieso bekomme ich diesen blöden Kuss nicht mehr aus dem Kopf? Warum habe ich mich überhaupt darauf eingelassen? Das ganze Gefühlschaos nervt und macht mich kaputt. Was ich brauche, ist ein Ausschaltknopf. Zumindest für einige Zeit. Das würde alles einfacher machen. Seufzend räume ich meinen Arbeitsplatz auf. Der tägliche Spaziergang und etwas frische Luft werden mir guttun.

Ich schließe mein Büro ab und verlasse den Hauptsitz der Loires. Nach ein paar Metern, als ich gerade dabei bin, endlich mein Gedankenkarussell zu entwirren, höre ich eine vertraute Stimme hinter mir.

„Colin! Colin, Moment.“

Ich bleibe stehen und warte bis Emanuel zu mir aufgeschlossen hat. So viel zum Klären meiner Gedanken. Jetzt beginnt das Ganze von vorne.

„Du machst Feierabend?“

„Ja, reicht für heute. Und wie schaut es mit dir aus?“

„He he, leider noch nicht. Nur eine kurze Pause. Ich denke, so zwei Stunden muss ich noch ran. Hast du dann Zeit? Ich würde dir gerne was vorbeibringen.“

Überrascht sehe ich ihn an und warte darauf, dass er fortfährt. Seine Antwort ist ein breites Grinsen. Gerade als ich nachhaken möchte, rückt er mit der Sprache heraus.

„Bist du bereit in den Inner Circle von den Bukischen Jüngern einzutreten?“

Meine Augen weiten sich und ich verharre in der Bewegung.

„Dann geht das mit dem Kult jetzt los?“

„Ja, die Zeit ist gekommen. Schon bald bist du ein vollwertiges Mitglied. Aber dafür musst du auch ein bisschen was tun.“

Aha, also doch. Lauernd sehe ich ihn an. Ich bin gespannt, was von mir erwartet wird. Zu meiner Überraschung beginnt er herzhaft zu lachen.

„Mensch Colin, du siehst mich an, als würden wir als Gegenleistung einen Finger von dir verlangen.“

„Tut ihr nicht?“, gebe ich schmunzelnd zurück, worauf er richtig losprustet und mir auf die Schulter schlägt.

„Nein, so etwas tun wir nun wirklich nicht. Aber ich werde dir nachher etwas Fleißarbeit vorbeibringen, falls du da bist. Oder hast du andere Pläne?“

„Nein, ich bin daheim.“

„Gut, dann schau ich in ein paar Stunden vorbei.“

„Du verrätst mir nicht, um was es sich handelt, oder?“ Ich ahne die Antwort zwar bereits, denn so gut kenne ich ihn mittlerweile, dennoch riskiere ich die Frage.

„Natürlich nicht“, bestätigt er mir meine Vermutung mit einem breiten Grinsen. „Dann bis später. Ich mach mich mal ran, umso früher bin ich fertig.“

„Alles klar, bis dann.“

Ich nicke ihm kurz zu und drehe mich um, als er mich am Handgelenk ergreift und schwungvoll zu sich herumwirbelt. Den Halt verlierend fliege ich ihm entgegen und finde mich plötzlich in seinen Armen wieder.

„Hey, was …?“

Sein Mund verschließt den meinen, sodass meine Worte verstummen. So schnell die Aktion begann, so schnell ist sie auch wieder vorüber. Lasziv leckt er sich über die Lippen und zwinkert mir zu.

„Ich wollte mich nur anständig verabschieden.“

 

Mit diesen Worten dreht er sich um und lässt mich verwirrt zurück.

***

„Was soll ich damit?“, frage ich stirnrunzelnd und nehme das Blatt entgegen, während ich ihn eintreten lasse.

„Das ist deine Fleißarbeit für das Ritual. Die Zeilen musst du auswendig lernen.“

Skeptisch lese ich mir die Verse durch. Ernsthaft?

„Sind das … Gebete?“

„Genau.“

„Wozu?“

„Die musst du im Ritual vortragen und zwar auswendig.“

„Und wann genau ist das Ritual?“ Dumme Frage. Noch während ich sie stelle, weiß ich, dass er sie mir nicht beantworten wird.

„Lass dich überraschen. Du solltest sie auf jeden Fall schnell verinnerlichen. Die Gebete und die Zeremonie an für sich, dienen dazu, deinen Geist und dein Herz zu fester Entschlossenheit zu stählen.“

Ich ziehe argwöhnisch meine Brauen in die Höhe und ernte ein Grienen.

„Hast du das jetzt irgendwo auswendig gelernt?“

„Hat man das so eindeutig gehört? Die weisen und gehobenen Worte könnten ja auch von mir stammen.“

„Ach?“ Ich beginne zu schmunzeln und er hebt spielerisch drohend den Zeigefinger.

„Hey, also bitte. Was willst du mir damit sagen? In mir stecken viele Dinge und verborgene Talente, die du noch nicht kennst.“

Mit einem anzüglichen Grinsen tritt er einen Schritt auf mich zu und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ich bin wie elektrisiert. Kaum fähig, mich zu bewegen. Mein Kopf ist in dem Moment wie leergefegt. Wie macht er das nur?

„Du siehst nicht gerade aus, als würdest du mir glauben“, flüstert er mir ins Ohr und mein Körper reagiert mit einer Gänsehaut. „Dann sollte ich dich wohl von meinen außergewöhnlichen Fähigkeiten überzeugen.“

Seine Lippen legen sich abermals auf meine und er schiebt mich rückwärts zum Bett. Ehe ich mich versehe, landen wir beide auf der Matratze und lassen unsere Hände den Körper des jeweils anderen erkunden. Ich fühle mich gefangen in der Hitze des Gefechts und bin doch zwiegespalten. Meine Haut schreit förmlich ja, aber mein Verstand stutzt. Warum das der Fall ist? Ganz einfach: Shuzee schiebt sich immer wieder in meine Gedanken. Und so blöd und unglücklich das jetzt in der Situation kommen mag, denn ich finde Emanuel wirklich interessant, doch ich kann mich einfach nicht fallen lassen. Nicht nur meine kürzliche Beziehung, sondern auch der Fakt, das der junge Gärtner und ich uns fast täglich über den Weg laufen könnte ein Problem werden, falls die Liebelei nach hinten losgeht. Wahrscheinlich mache ich mir zu viele Gedanken und meine Hüfte drückt sich sehnsüchtig an seine, doch ich unterbreche den Kuss und schiebe ihn vorsichtig mit den Händen zurück. Verdattert über meine gespaltene Reaktion starrt er mich an, bewegt sich allerdings nicht von mir runter.

„Was ist?“, fragt er atemlos und sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen – was wiederum Schwachsinn ist, dennoch kann ich es nicht abstellen.

„Sorry, ich kann nicht … das geht mir alles etwas zu schnell“, bringe ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich hervor, worauf er den Kopf leicht schief legt.

„Zu schnell? Aber es gefällt dir, oder?“ Er unterstreicht seine Worte, indem er seinen Unterkörper verführerisch gegen meinen drückt und sich unsere Erektionen aufreizend aneinander reiben. Ein sehnsüchtiges Seufzen entrinnt meinen Lippen und mein Körper straft mich für meine Vernunft, aber es wäre einfach nicht richtig.

„Schon … das ist nicht das Problem“, gestehe ich und wünschte, er würde von mir runtergehen und mich von der Situation erlösen, denn ich habe Angst, doch schwach zu werden.

„Was ist es dann?“

„Ich habe erst eine längere Beziehung hinter mir und bin noch nicht über ihn hinweg“, verrate ich gerade heraus. „Ich kann jetzt nicht … ich würde schon gerne, aber ich kann nicht.“

Emanuels Gesichtszüge werden ernst. Trotzdem rührt er sich zu meinem Leidwesen keinen Millimeter.

„Okay, das verstehe ich sogar, auch wenn ich es natürlich schade finde.“ Er betrachtet mich eine Weile nachdenklich und ich bin am überlegen, wie ich ihm freundlich klar mache, dass er von mir runtergehen soll. Plötzlich umspielt ein schelmisches Grinsen seine Lippen. „Und wenn ich dir verspreche, nicht mit dir zu schlafen?“

Wie meint er das denn jetzt? Und wieso macht er dann keine Anstalten, aufzustehen?

„Was meinst du?“

„Ich möchte dich lediglich etwas verwöhnen. Ist das okay?“

Verwirrt schaue ich in seine hypnotisierenden, dunkelgrünen Augen. Selbst wenn ich ernsthaft widersprechen wollte, könnte ich es jetzt nicht. Verdammt, mir ist echt nicht mehr zu helfen. Ein Blick in dieses Smaragdgrün und alle meine guten Vorsätze ertrinken auf der Stelle. Ich erkenne mich selbst nicht mehr wieder. Und dennoch ist da dieses warnende Gefühl tief in meinem Innern, das ich mir nicht erklären kann.

„J-ja, ich denke schon …“

Er beginnt über das ganze Gesicht zu strahlen und seine Augen funkeln verheißungsvoll.

„Dann lehn dich zurück und ich werde dir einen Blow Job verpassen, der dich deinen bescheuerten Ex gänzlich vergessen lässt.“ Mit diesen Worten fahren seine Hände unter meinen Pullover über den Oberkörper und ein wohliger Schauer lässt mich erzittern. Ich lasse mich ins Kissen zurücksinken, als seine Zungenspitze über mein Brustbein tanzt und spielerische Kreise auf meiner Haut zeichnet. Nur wenige Minuten später arbeitet er sich zum Hosenbund hinunter, um mich von seinen verborgenen Talenten zu überzeugen. Und ich muss gestehen: Er ist richtig gut. So soll er tatsächlich recht behalten und Shuzee verschwindet für den restlichen Abend aus meinen Gedanken.

Kapitel 10

Kanji:

So kann es nicht weitergehen. Seit Halloween ist der Wurm drin. Wir haben uns nicht mehr getroffen, sondern nur noch über das Handy kommuniziert. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er sauer ist. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass ich ihn rausgeworfen habe. Dennoch: Es war zu hundert Prozent richtig und ich würde es wieder tun. Soll er ruhig angepisst sein, ich bin auch wütend! Ich habe auf eine Entschuldigung für seinen Tonfall vor meinen Freunden gewartet, doch die blieb aus. Per Handy drucksen wir beide nur herum und kommen nicht zum Punkt. So praktisch ich die Smart- und I-Phones finde, sie erschweren die Kommunikation im Endeffekt gewaltig, denn man versteht sich sehr oft falsch.

Jedenfalls ist das der Grund, warum ich mich spontan entschlossen habe, nach der Arbeit bei Howard vorbeizufahren. Ich habe mit Link vorher darüber gesprochen und auch er hielt es für eine gute Idee. Allerdings muss man dazu sagen, dass es Howard sowohl bei meinem Kumpel als auch bei Seiji total verkackt hat. Sein Auftritt an Halloween hat gesessen.

Ich parke mein Auto am Straßenrand und stelle überrascht fest, dass das Hoftor offen ist. Nun gut, so erspare ich mir das Klingeln. Ich bin nicht scharf darauf, seiner Schwester oder gar der Mutter zu begegnen. Mit schnellen Schritten laufe ich auf den Gebäudekomplex zu, doch überlege es mir nochmal anders und beschließe, es Audrie gleichzutun. Mal schauen, welchen Blick sie durch das Fenster erhaschen konnte. Da ich ein ganzes Stück größer bin, als sie, muss ich mich nicht auf die Zehenspitzen stellen und sehe durch das Glas. Von dem Blickwinkel aus, konnte sie uns perfekt auf der Couch rummachen sehen. Na toll. Was jedoch noch viel schlimmer ist, ist die eindeutige Szene, die sich gerade innen abspielt. Audrie und Howard stehen sich gegenüber, eng umschlungen, und tauschen Speichel aus. Meine Kinnlade klappt entgeistert nach unten. Ich kann einfach nicht glauben, was ich da sehe. Eine unbändige Wut erwacht in mir und schlägt hohe Wellen. Dieser blöde Arsch! Das kann ja wohl nicht wahr sein. Wie Panne ist das denn?!

Wütend klopfe ich gegen das Fenster. Die beiden fahren erschrocken auseinander und wirbeln herum. Als Howard mich erblickt wird er totenblass und Audrie dreht sich schnell von mir weg. Ein sarkastisches Grinsen bildet sich um meine Mundwinkel. Das reicht mir als Reaktion der zwei Inzestturteltäubchen. Schweigen sagt in solchen Fällen mehr als tausend Worte. Ich drehe mich um, um den Schauplatz der Tragödie zu verlassen, habe das offene Hoftor fast erreicht, als die Haustür schwungvoll aufgerissen wird.