Im Licht des Mondes

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Ich nicke, nehme die Dokumente entgegen und lese schnell die mir wichtigsten Punkte durch. Tatsächlich ist alles zusammengefasst wie zuvor vereinbart. Ich greife schon nach der auf dem Tisch stehenden Tintenfeder, als mir die erwähnte zusätzliche Klausel ins Auge fällt. Verpflichtung zur Mitgliedschaft der Bukischen Jünger. Was soll das denn sein? Ich arbeite mich durch die ersten Zeilen, als mich Frau Loire unterbricht.

„Wir sind sehr gläubig. Unser Kult ist Tradition und reicht tief in die Wurzeln unserer Vorfahren. Deswegen liegt es uns sehr am Herzen, diesen weiterzuleben. Das wiederum erfordert, dass wir unsere Mitarbeiter miteinbinden. Das fördert das Verständnis zueinander und ein besseres Miteinander. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass durch den Kult die Angestellten wie eine Familie untereinander sind. Ein gemeinsames Geheimnis und Interesse bindet aneinander. Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist unter unseren Bediensteten so stark wie nirgends sonst. Sie kennen in der Gegend noch niemanden, nehme ich an?“

„N-nein, das tue ich nicht“, gestehe ich und habe Probleme, ihre Worte zu ordnen. Darf so etwas in einem Arbeitsvertrag stehen? Eigentlich nicht. Zumindest habe ich nie davon gehört. Vielleicht ist das in Bayern üblich? Ich habe bereits gelesen, dass man in dieser Region gläubiger ist. Zugegebenermaßen ist mir die Religion recht herzlich egal. Ich bin nicht religiös. War ich noch nie. Von daher stört mich das Ganze weniger, doch ein bitterer Beigeschmack bleibt.

„Na wunderbar. Dann ist der Kult die Gelegenheit, gleich Bekanntschaften zu knüpfen.“

„Was genau muss man denn als Jünger tun?“, frage ich und versuche, meiner Stimme einen festen Klang zu verleihen und die Unsicherheit zu verbergen.

„Nur ein paar harmlose Rituale und Gebete für den Aufnahmezyklus. Ihre Kollegen werden Ihnen dabei helfen. Keinen Grund zur Beunruhigung. Danach nur die regelmäßige Teilnahme an den Messen. Natürlich sind Sie sowohl für die Rituale als auch für die Messen von Ihrer Arbeit befreit. Das versteht sich von selbst.“

Ich nicke gedankenverloren und überfliege den Text. Auf den ersten Blick kann ich nichts Seltsames entdecken, abgesehen davon, dass die Existenz der Kultklausel mir obskur erscheint. Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, dass Frau Loire ungeduldig mit den Fingernägeln auf der Tischplatte trommelt. Da ich sie nicht verärgern möchte und die Stelle unbedingt brauche, beeile ich mich, breche mittendrin ab und unterzeichne den Vertrag. Erfreut nimmt sie die Papiere an sich und reicht mir eine Kopie.

„Ich freue mich, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. In unserem Anwesen, in unserem Kult und unserer Familie. Meryl wird Ihnen Ihren Arbeitsplatz und alle weiteren, wichtigen Dinge zeigen.“

Ich stehe zeitgleich mit ihr auf und verbeuge mich geflissentlich.

„Vielen Dank.“

Sie nickt mir zufrieden zu und verlässt das Zimmer. Gleich darauf betritt Meryl den Raum, um mich herumzuführen.

„Glückwunsch. Dann zeige ich Ihnen mal den Rest des Anwesens. Bitte folgen Sie mir.“

Während ich den Vertrag verstaue, fällt mein Blick abermals auf die Kultklausel. Ganz wohl ist mir bei dem Gedanken nicht. Doch sei es drum. Ich habe keine andere Wahl und ein bisschen Religion kann nicht schaden. Entschlossen folge ich Meryl durch die Tür.

Kapitel 4

Kanji:

„Kein Wunder, dass der Laden hier wie ausgestorben ist. Solange wie man warten muss, verhungern alle, bevor sie was zu beißen bekommen“, knurre ich unwirsch und spiele ungeduldig mit der Servierte. „Wieso grinst du so?!“

Ich schaue genervt zu meinem Kumpel, dessen Grinsen daraufhin noch breiter wird.

„Jetzt entspann dich mal ein bisschen.“

„Entspannen? Der Laden ist eine Katastrophe! Komm schon, Mann!“, murre ich und schaue mich nach der Bedienung um, die damit beschäftigt ist, sich bloß nicht blicken zu lassen.

„Ich gebe zu, wir warten bereits ein Weilchen, doch ich bin mir sicher, dass unser Essen bald fertig ist. Wir haben doch noch Zeit, also kein Grund zur Eile.“ Er hebt seinen Arm und deutet mit dem Zeigefinger auf die Armbanduhr.

„Sag das mal den Opfern, die Besuch von nem räudigen Dämon erhalten, der sich ihr Leben schnappt!“

„Keine Sorge, wir werden pünktlich mit der Arbeit beginnen.“

Ich schnaufe auf und mache eine abwinkende Begegnung. Klar, weiß ich, dass er recht hat. Trotzdem habe ich Hunger.

„Kannst du bitte aufhören, mich anzugrinsen?!“

„Okay, okay. Moment.“ Link schließt die Augen und atmet übertrieben tief durch. Ich bin mir sicher, dass er das macht, um mich zu ärgern. Allerdings kann ich es ihm nicht lange krummnehmen. Wir kennen uns bereits seit der Ausbildung zum Anwärter. Er war mein Wunschpartner gewesen und ich bin bis heute überglücklich, dass es funktioniert hat. Kaum zu glauben, dass dies nun schon acht Jahre her ist. Wohl könnten wir unterschiedlicher nicht sein, doch vielleicht ist es gerade das, warum wir uns perfekt ergänzen.

„So, besser?“ Zwar ist das lästige Grinsen aus seinem Gesicht gewichen, doch ein Schmunzeln umspielt noch immer die dünnen Lippen.

„Du treibst mich zur Weißglut, weißt du das?“

„Wenn nicht ich, wer denn dann?“

„Das Leben könnte so einfach sein, wenn man als Anwärter allein arbeiten könnte“, gebe ich spitz zurück und schaue ihn auffordernd an. Prompt ernte ich einen Tritt an mein Schienbein.

„Du würdest dich ohne mich ganz schön langweilen, mein lieber Klaudius.“

„Argh! Lass das!“ Ich raufe mir die Haare und schaue mich kurz um. Allerdings ist meine Sorge, dass jemand unser Geplänkel mitbekommen könnte, umsonst. Die wenigen Gäste in dem Restaurant sind selber in hitzige Diskussionen vertieft.

„Was denn? Du sollst deine Herkunft nicht leugnen“, kalauert mein Kumpel und wieder schleicht sich dieses fiese Grinsen auf sein Gesicht.

„Was hat denn meine Herkunft bitteschön mit meinem furchtbaren Namen zu tun?“

„Er ist ein Teil deiner selbst und untrennbar damit verwoben.“

„Ach? Fang jetzt bloß nicht damit an, dass du mich beim richtigen Namen rufen möchtest.“

„Wieso nicht?“

Jetzt bin ich es, der unter dem Tisch nach ihm tritt.

„Das weißt du ganz genau! Mein Namen ist wohl eher eine Bestrafung meiner Alten damals. Als hätten sie vorhergesehen, dass ich nicht auf Frauen stehen werde und sie keine Enkelkinder bekommen werden. Abgesehen davon, hatten wir einen Deal“, erinnere ich ihn an unsere getroffene Abmachung. „Du nennst mich bei meinen Spitznamen und ich dich bei deinem.“

Seine Augen funkeln belustigt auf. Er verschränkt die Arme vor der Brust und lässt sich langsam in die Stuhllehne sinken.

„Also du kannst mich ruhig bei meinem vollständigen Namen nennen.“

„Sehr witzig, du Schlaumeier! Als ob den hier jemand aussprechen kann!“

„Das ist dann wohl nicht mein Problem“, gibt er lachend zurück und wischt sich die Tränen weg.

Ich mustere ihn schweigend. Er sieht wirklich süß aus, wenn er sich vor Lachen kugelt. Hätte er keinen langjährigen Freund und wären wir nicht Anwärterpartner, wäre er durchaus mein Beuteschema. Die ebenholzschwarzen Haare, welche ihm widerspenstig ins Gesicht fallen und immer wieder seine schmalen, schwarzen Augen zu verdecken versuchen. Die nougatbraune Haut und dann erst dieser Körper. Makellos. Zum Anbeißen.

„Wo genau kommst du nochmal her?“

„Wir kennen uns schon so lange. Das solltest du nun wirklich wissen“, gibt er zwinkernd zurück und spielt an seinem Ohrring am linken Ohr.

„Irgendwo aus Afrika …“

„Falsch. Deutschland, aber meine Eltern stammen aus Tanzania.“

„Sag ich doch“, murmle ich und nestle weiter an der Servierte herum. „Wie heißt du nochmal?“ Sein Name ist nicht nur unaussprechlich, sondern auch sehr lang. Ich kann ihn mir einfach nicht merken. Wenn er doch ebenso meinen Geburtsnamen vergessen würde. Leider tut er mir den Gefallen nicht. Anders als ich hatte nicht er sich den Spitznamen ausgesucht, sondern seine Freunde unter anderem ich. Mein Mundwinkel zuckt leicht nach oben, als ich ihn nochmal mustere. Der Name Link passt einfach perfekt. Nicht nur, dass er es wunderbar versteht, als Vermittler zwischen Leuten zu fungieren, er sieht auch dem elfischen Helden aus der Spielreihe Zelda sehr ähnlich. Ich kann nicht sagen, was genau an ihm an den Elfen erinnert, zumal er auch 1,70 groß ist, aber der Vergleich schleicht sich dem Betrachter jedes Mal in den Sinn.

„Das tut nichts zur Sache. Du vergisst ihn ohnehin wieder. Jetzt mal ernsthaft: es ist nicht nur der lahme Service hier, der dich ärgert. Das Hauptproblem liegt ganz woanders, oder? Also, was ist passiert?“

Ich seufze. Da hat er mich wieder mal durchschaut. Eigentlich gelingt ihm das immer. Keine Ahnung wie er das macht.

„Bin ich mal wieder so unerträglich?“

„Mh … ich würde sagen, du liegst auf der Skala momentan bei kleiner Kotzbrocken.“

Er zwinkert mir auffordernd zu und ich nicke.

„Okay, ich bin tierisch von Howard genervt“, gebe ich ohne Umschweife zu. Wozu auch? Mit Link konnte ich schon immer über alles reden. Er kennt mich besser wie kein anderer. Mein Kumpel zieht fragend eine Braue in die Höhe.

„Jetzt schon? Das ging aber schnell. Ihr seid gerade mal ein paar Tage zusammen, oder? Vor fast zwei Wochen ...“

„Ja, nicht mal ganz zwei Wochen ist es her, dass ich ihn in der Disco übersehen habe. Wahrscheinlich ein Zeichen“, murmle ich bissig und knülle die billige Papierserviette endgültig zusammen.

„Ach herrje. Was hat der gute Kerl denn verbrochen?“ Link schenkt mir ein verschmitztes Lächeln. Ich rolle mit den Augen. Mir ist klar, worauf er anspielt. Ja, ich weiß, dass nicht jeder mit meiner offenen Art und meinem hitzigen Temperament umgehen kann. Ich habe dadurch bereits einige Beziehungen in den Sand gesetzt. Trotzdem: Anfangs halte ich mich damit immer zurück, egal wie schwer es mir fällt, denn ich möchte meine Partner nicht sofort überrollen, sondern langsam daran gewöhnen und bei Howard habe ich mich bisher gänzlich zurückgehalten. Okay, ich muss gestehen, dass ich in der Vergangenheit schon öfter nach den ersten Tagen dachte, die Beziehung hätte keinen Sinn. Aber hey – letztendlich hatte ich immer recht!

 

„Er nervt“, antworte ich knapp, nachdem sich mein Kumpel ungeduldig räuspert.

„Und mit was?“

„Ach … er weiß immer alles besser!“

„Da kenne ich noch jemanden.“

„LINK!“

Er beginnt schallend zu lachen und entlockt mir ein Schmunzeln.

„Idiot.“ Ich schnipse den Serviettenklumpen zu ihm und schüttle lächelnd den Kopf.

„Sorry, konnt ich mir jetzt wirklich nicht verkneifen.“ Abermals wischt sich mein Freund die Tränen aus den Augen, bevor seine Gesichtszüge wieder ernster werden. „So, jetzt aber ernsthaft. Du hast bestimmt Beispiele?“

Oh ja, die habe ich. Da brauche ich nicht lange zu überlegen.

„Nehmen wir gerade gestern. Wir sind über den Jahrmarkt geschlendert und er hat sich darüber aufgeregt, dass lang angestellte Leute in seiner Firma dasselbe verdienen können wie Studierte. Sprich: wenn jemand schon über zwanzig Jahre im Unternehmen arbeitet kann er eventuell dasselbe Gehalt beziehen wie ein frisch fertiger Student auf derselben Position.“

Link verzieht grübelnd die Stirn in Falten.

„Ich verstehe nicht, das ist doch gut.“

„Eben! Das ist genau meine Meinung, doch Howard findet das unfair. Für ihn zählt Berufserfahrung nicht ganz so viel, als wenn jemand sich durch ein langjähriges und kostspieliges Studium hat quälen müssen! Ich finde die Einstellung zum kotzen!“

„Verstehe ich, dennoch hoffe ich, du hast ihm das anders rüber gebracht?“

„Ja, ich meinte, dass ich seine Einstellung nicht teile und ebenfalls nicht studiert habe.“

„Und?“

„Seine Antwort lautete: Das hast du dir selbst rausgesucht.“

Link zieht scharf die Luft ein und verkneift sich ein erneutes Lachen.

„Das ist nicht witzig!“

„Nein, sorry. Ich kann mir die Situation nur gerade bildhaft vorstellen. Wie du neben ihm herläufst und vor Wut bebst.“

„Darauf kannst du aber wetten …“

„Okay, dann habt ihr eben unterschiedliche Meinungen, was dieses Thema angeht. Wenn das jedoch der einzige Grund …“

„Ist es nicht“, unterbreche ich ihn schnell. „Stell dir vor, der Herr schämt sich sogar seinen Freunden zu erzählen, wie wir uns kennengelernt haben.“

Mein Kumpel zuckt nur gelassen mit den Schultern.

„Du musst zugeben, er kommt bei eurem Kennenlernen nicht besonders cool rüber. Ich kenne ihn jetzt nicht richtig, aber ich vermute mal, dass es ihm peinlich ist.“

„Was ist denn daran peinlich? Wenn dann müsste ich derjenige sein, der vor Scham im Boden versinkt. Doch davon abgesehen gibt es da noch etwas, was mich viel mehr stört.“

„Jetzt bin ich aber neugierig.“

„Wann nicht?“ Ich griene ihn vielsagend an und er hebt ergebend die Hände.

„Touché.“

„Seine Familie ist echt strange. Und das wirklich ausnahmslos alle. Die einzige, die einigermaßen nett war, war seine Tante. Seine Mutter ist voll abweisend zu mir und wollte partout kein Wort mit mir wechseln. Mir kam es vor, als wäre sie mir aus dem Weg gegangen. Und wie sie mich angesehen hat …“

„Vielleicht braucht sie ein bisschen Zeit sich an dich zu gewöhnen. Wie lange ist Howard bereits geoutet? Hat er normalerweise Durchgangsverkehr in Sachen Liebe oder …“

„Keine Ahnung“, gestehe ich nachdenklich und zucke mit den Schultern. „Wobei … laut seiner Schwester hatte er nicht so viele Freunde bisher mitgebracht. Also eher weniger und dementsprechend müsste er schon länger geoutet sein.“

„Vielleicht ist es ja wie bei deinen Eltern“, meint Link und nimmt einen Schluck Wasser aus seinem Glas. „Sie wissen es auch, akzeptieren es offensichtlich und hoffen dennoch, dass es sich dabei nur um eine längere Phase handelt.“

Bei dem Gedanken an meine Alten muss ich grinsen. Sie hatten mein Outing damals nicht richtig ernst genommen und mich regelmäßig gefragt, ob ich wieder bei Sinnen wäre.

„Schon, allerdings habe ich den Vorteil, dass meine Eltern weit weg wohnen. Zudem habe ich den Beginn meiner Ausbildung genutzt und bin ziemlich schnell ausgezogen. Dennoch: seine Schwester ist total selbstüberzeugt und muss jedem ihre Meinung auf die Nase binden. Sie findet es selbstverständlich, dass er alles bezahlt, wenn sie zusammen weg sind.“

„Wenn er es sich gefallen lässt …“

„Und dann ist da noch seine Cousine“, unterbreche ich ihn, bevor er versucht, mich umzustimmen. „Sie ist eigentlich die sympathischste, aber erstens beobachtet sie ihren Cousin wohl gern durchs Fenster und zweitens vergöttert sie ihn für meinen Geschmack etwas zu sehr.“

„Du willst mir jetzt nicht erzählen, dass sie in ihn verliebt ist, oder?“

„Oh doch, genau das. Du müsstest mal sehen, wie sie ihn anstarrt. Das ist mehr als offensichtlich.“ Ich schnippe bei der Erinnerung genervt gegen die Gabel.

„Na ja, wie alt ist sie? Eine kleine Schwärmerei in jungen Jahren, das kann schon mal vorkommen“, unternimmt Link einen Beschwichtigungsversuch. Jedoch kann er mich damit nicht beruhigen. Er war nicht dabei und hat nicht gesehen, was ich gesehen habe. Denn leider hege ich noch einen weiteren Verdacht, der tief in meinem Innern erwacht ist und mit jedem Tag, an dem ich darüber nachdenke, wächst und seine Wurzeln schlägt.

„Ich bin mir nicht sicher, ob da nicht mal ein bisschen mehr zwischen den beiden war.“

Link lässt das Glas wieder sinken, das er sich gerade an die Lippen geführt hat. Seine Gesichtszüge entgleisen und er blickt mich ungläubig an.

„Das … wie kommst du darauf?“

„Ich weiß nicht. Es ist so ein Gefühl.“

„Kanji, ich denke, du bist momentan einfach etwas angespannt. Hast du ihn mal darauf angesprochen?“

„Nein. Was soll ich ihn denn fragen? Ob er bemerkt hat, dass seine Cousine ein Auge auf ihn geworfen hat?“

„Warum nicht? Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen.“

„Du bist lustig. So viel zum Thema das Temperament zügeln und meine Partner langsam darauf vorzubereiten und sie nicht auf einmal damit zu überrollen.“

Mein Kumpel schenkt mir ein schiefes Grinsen. Er verkneift sich seinen Kommentar, da die Bedienung tatsächlich an unseren Tisch schlurft und uns mit übertriebener Freundlichkeit endlich das Essen serviert. Sie hat es kaum abgestellt, als wir auch schon hungrig über unsere Pasta herfallen. Mein Magen vollführt Freudensprünge und der Geschmack ist nicht übel, allerdings entschuldigt er nicht die lange Wartezeit. Für einige Minuten genießen wir schweigend unser Essen.

„Um auf das eigentliche Thema nochmal zurückzukommen“, greift Link den Gesprächsfaden wieder auf, „wenn das mit Howard und dir vielleicht doch nichts ist, ich kenne da jemanden, den ich dir gerne vorstellen würde.“

Ich unterbreche in meiner Bewegung und lasse die volle Gabel abrupt in der Luft hängen. Der Schalk springt ihm fast aus dem Gesicht. Da kann jetzt einfach nichts Gescheites kommen. Trotzdem: Ich bin neugierig.

„Und das wäre?“

„Sein Name ist Trower. Er ist fünf Jahre jünger und Single.“

„Stopp. Ist das nicht der Bruder deines Mackers?“

„Nicht Macker, sondern Freund und der hat einen Namen: Seiji.“

„Okay, okay“, ich hebe abwehrend die Arme. Klar weiß ich wie Links Lover heißt, immerhin ist er schon jahrelang mit ihm zusammen, was ich sehr beneide. Trotzdem macht es einfach immer wieder aufs Neue Spaß, ihn damit aufzuziehen. „Also der Bruder von Seiji?“

„Ja, ich denke, ihr solltet euch mal kennenlernen.“

Ich kann nicht verhindern, dass mein Mund sich zu einem schiefen Grinsen formt.

„Die beiden sehen sich ähnlich? Hast du ein Bild?“

Mein Kumpel seufzt und schüttelt den Kopf.

„Wenn du jetzt wieder auf die roten Haare anspielst …“

„Falsch. Es dreht sich um die sowohl rotgefärbten als auch rosagefärbten Haare“, korrigiere ich ihn und beginne leicht zu kichern. Keine Ahnung, wie sich jemand freiwillig diese schneidende Farbkombi zulegen kann, aber bei Seiji ist das der Fall.

„Sein Bruder hat nicht nur rot und rosagefärbte Haare. Ein Teil ist auch noch naturfarben braun.“

„Oh, das macht Sinn“, bekomme ich gerade noch raus, bevor ich lauthals loszuprusten beginne.

„He! So schlimm ist das nicht. Ich gebe zu, es ist nicht alltäglich, aber gegen den Strom ist gut – waren das nicht deine Worte?“

„Aber nicht, wenn du mich mit jemand verkuppeln möchtest, der aussieht wie eine Kreuzung aus Erdbeere und Tomate.“

Jetzt bin ich es, dem die Tränen vor Lachen kommen. Für einen Moment verzieht mein Kumpel verärgert das Gesicht, doch es dauert nicht lange, bis er verschmitzt zu lächeln beginnt.

„Schon verstanden, ich hab’s versucht.“

„Danke, ich weiß, du meinst es nur gut, aber ich habe an Trower echt kein Interesse. Abgesehen davon kann ich Verkupplungsgeschichten nicht ab. Wahrscheinlich muss ich nur ein paar Nächte drüber schlafen und einen klaren Kopf bekommen, bevor ich Howard auf das Thema anstoße.“

„Okay, verstehe. Halt mich auf dem Laufenden.“

„Sowieso.“

Wir schlingen den Rest unserer Pasta hinunter und lassen uns gesättigt ins Polster zurücksinken.

„Meinst du, die brauchen für die Rechnung genauso lange, wie fürs Essen?“

Link zuckt gelassen mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Wie ich allerdings bereits sagte: wir sind in der Zeit, also chill.“

„Ja, ja …“ Ich verdrehe die Augen. Seine Ruhe und Gelassenheit ist manchmal einfach nicht auszuhalten.

„Mal was anderes: was hältst du grundsätzlich eigentlich von einer Versetzung? Ich meine, Würzburg ist so gut wie hundert Prozent Dämonenfrei und auch die Umgebung ist gut gesichert. Wie wäre es mit einer neuen Herausforderung?“

Ich denke kurz über seine Worte nach und leere mein Glas mit einem Schluck.

„Klar, warum nicht. Langsam beginne auch ich mich zu langweilen. Würzburg ist voll von Wächtern. Die Mönche sind bereits dabei und versetzen ein Wächterduo nach dem anderen.“

„Okay, dann können wir über einen Versetzungsantrag nachdenken?“

„Meinetwegen können wir ihn auch gleich ausfüllen. Hast du ein besonderes Ziel im Auge?“

„Willst du nicht noch ein bisschen warten? Ich meine, immerhin könnte das mit Howard doch klappen. Gib ihm ne Chance und schau erstmal, was daraus wird. Dann sehen wir weiter.“

„Quark. Wenn das mit Howard was Ernstes wird, dann klappt das auch mit etwas Distanz. Verrat mir lieber, welches Gebiet du ins Auge gefasst hast. Ich kenne dich lange genug um zu wissen, dass du nicht ohne Grund fragst.“

Er nickt und senkt leicht den Kopf. Ich bin mir nicht sicher, aber wird er gerade rot? Oh weiha. Ich kann mir denken, was jetzt kommt.

„Nun ja, ich würde die Gelegenheit nutzen und versuchen, näher in eine Richtung mit Seiji zu kommen, damit wir nicht so weit voneinander entfernt sind. Irgendwann würden wir uns schon gerne öfter sehen oder zusammenziehen …“

„Klar, verständlich. Also? Welche Richtung darf es denn sein? Ich bin für alles offen, solange es nicht der Chiemsee ist“, ermuntere ich ihn und meine es durchaus ernst. Ich erkunde gerne neue Landschaften und grundsätzlich habe ich keine bestimmte Richtung im Auge. Jedoch geht mir das Messer in der Tasche auf, wenn ich an den neu errichteten Orden am Chiemsee denke. Da bringen mich keine zehn Pferde hin. Link errät meine Gedanken und grinst.

„Wegen Rayek und Reico, oder? Was hast du nur gegen die zwei? Du kennst sie doch gar nicht.“

„Ja, brauche und möchte ich auch nicht! Wer kann schon zwei Grünschnäbel leiden, die wegen eines Glückstreffers gehiped werden? Es ist nicht fair, dass dem Junggemüse alles in den Schoß fällt. Gerade mal die Ausbildung gemeistert und sofort auf Platz zwei der Top Anwärter gelandet! Wie lange sind wir jetzt bereits dabei? Und dann auch noch Rayek, der Menschenmuffel. Wieso grinst du denn jetzt wieder? Das ist nicht lustig! Regt dich das denn nicht auf?“

Link kichert vor sich hin, während ich versuche, meinen Ärger hinunterzuschlucken.

 

„Nein, ich gönne es ihnen. Von dem was man gehört hat, haben sie sehr viele Dämonen vernichtet und dort aufgeräumt. Zumal haben sie den Ort entdeckt. Der Ruhm steht ihnen zu. Egal ob nun, jung oder alt, Muffel, Menschenfreund, Glückstreffer oder was auch immer. Leistung ist Leistung.“

„Pfh …“ Ich verschränke die Arme vor der Brust und grummle vor mich hin. Im Grunde genommen weiß ich, dass mein Zorn unbegründet ist und auf Eifersucht beruht. Es ist dumm, aber ich missgönne es den jungen Gören dennoch.

„Keine Sorge. Ich möchte nicht an den Chiemsee. Vielmehr zieht es mich in Richtung München, Ettal oder Umgebung. Seiji hat sich in der Region an einigen Stellen beworben und ich denke, seine Chancen stehen gut. Was meinst du?“

„Ich bin dafür. Lass es uns versuchen. Immerhin kann ich nicht mit dir zusammenarbeiten, wenn du Liebeskummer hast.“

„Wie bitte?“

Mit einem breiten Grinsen nehme ich zur Kenntnis, dass er eine Braue in die Höhe zieht und mich misstrauisch beäugt. Da muss ich einfach noch etwas hinterherschießen.

„Ja, du bist dann unerträglich.“

Schnell springe ich vom Tisch auf und sprinte in Richtung Kasse, wo ich die Rechnung begleiche und nach draußen fliehe, gefolgt von meinem drohenden Partner.

„Das kriegst du noch zurück – das ist dir klar, oder?“ Er boxt mir spielerisch in die Seite.

„Ich wäre enttäuscht wenn nicht.“ Ich zwinkere ihm zu und strecke mich genüsslich. „Dann lass uns mal mit der Arbeit beginnen und nach ein paar Dämonen Ausschau halten.“

Kapitel 5

Colin:

Endlich Feierabend! Ich atme die kalte Luft tief ein und schlinge den Schal noch etwas höher um meinen Hals. Es war eine gute Idee gewesen, mir neue Wintersachen zu kaufen. Ich bin die Kälte nicht gewohnt und dennoch: Ich kann mich an den Bergen einfach nicht satt sehen, obwohl ich bereits eine Woche hier bin. Und dann dieses Anwesen! Ein Traum. Mit schnellen Schritten laufe ich an der Wasserparterre entlang und steige die Treppenstufen zum Venustempel empor. Das Bild, das sich mir von oben bietet, ist atemberaubend. Ein märchenhaftes Herrenhaus liegt direkt vor mir, als hätte es nur auf mich gewartet, um sich in seiner gesamten Pracht zu zeigen. Die Sonne kämpft sich mit einzelnen Strahlen durch die dicke Wolkendecke empor und taucht die Landschaft in ein mystisches Licht. Leichte Nebel- und Dunstschwaden verschönern das Bild und ich fühle mich für einen Moment in eine andere Zeit versetzt. Fantastisch. Rätselhaft. Voller Magie.

Ich verharre ein paar Minuten und genieße die Aussicht, bis ich mich losreißen kann und den schmalen Pfad in den Wald hinein schlendere. Das ist mein tägliches Ritual nach der Arbeit geworden. Die frische Bergluft klärt meinen Geist und lässt mich abschalten. Alle belastenden Gedanken wirbeln mir durch den Kopf und werden ausgeschieden. Befreiend. So auch heute.

Ich habe mich mittlerweile ganz gut eingelebt. Die Arbeit geht mir relativ leicht von der Hand, auch wenn sie sehr viel umfangreicher als bei meiner vorherigen Stelle ist. Zum Glück hat mein Vorgänger ein ausgiebig detailliertes Protokoll über sein Tun hinterlassen. So war das Einlesen trotz fehlender Einarbeitung kein Problem. Keine Ahnung, warum die Anstellung freigeworden ist, wie lange sie schon unbesetzt oder wo mein Vorgänger jetzt ist. Ich habe bisher nichts in Erfahrung bringen können. Die Herrschaften Loire habe ich seit dem ersten Arbeitstag nicht mehr gesehen und die Angestellten sind recht verschlossen. Selbst Meryl ist reserviert. Private Gespräche scheinen mit ihr undenkbar. Zwar ist sie freundlich und hilfsbereit, aber sehr distanziert. Überhaupt konnte ich seit meiner Ankunft keinen Anschluss finden. Seltsam, wenn ich bedenke, dass ich diese sonderbare Klausel bezüglich der religiösen Zugehörigkeit des Kultes unterschreiben musste. Meinte Frau Loire nicht, dass ich dadurch sofort bei meinen Kollegen akzeptiert werden würde? Zusammenhalt, Freunde, wie eine Familie … waren das nicht ihre Worte?

Ich seufze leise. Ob es an mir liegt? Ich bin zuerst immer etwas introvertiert und schüchtern, wenn ich neu bin. Um aufzutauen brauche ich meine Zeit. Grundsätzlich nichts Schlimmes. Zwar etwas hinderlich, um neue Kontakte zu knüpfen, aber bisher hat es immer irgendwie geklappt. Einen Freund oder gute Bekanntschaft hatte ich eigentlich überall, doch hier sieht die Sache etwas anders aus. Könnte es sein, dass es an der bayrischen Art liegt? Ich war noch nie zuvor in Bayern und der Umgang der Leute erscheint mir anders. Vielleicht benötigen auch sie einige Zeit, um Neuankömmlingen gegenüber redseliger und offener zu werden. Ich sollte mich mehr in Geduld üben. Trotzdem fällt es mir schwer, jeden Abend allein zu verbringen. Ich fühle mich ausgeschlossen. Mir fehlt der Austausch. Vertraute Gespräche. Körpernähe. Shuzee …

Verdammt. Er ist der Letzte, an den ich jetzt denken sollte. Ich schließe meine Lider und klatsche mir mit den Handflächen auf die Wangen. Das hilft etwas. Als ich meine Augen wieder öffne, fällt mir auf, dass ich geradewegs auf eine Sackgasse zulaufe. Ein großes Gitter ragt vor mir in die Höhe und verhindert ein Weitergehen. Das grünliche Tor ist eingerahmt von einer dicken Mauer. Vorsichtig betätige ich die Klinke. Nichts. Wie bereits geahnt ist der Durchgang verschlossen. Neugierig spähe ich durch die metallenen Stäbe, doch außer weiteren Bäumen kann ich nichts erkennen. Ob es sich einfach um einen anderen Zugang zum Anwesen handelt? Oder gehört das Grundstück dahinter auch noch dazu? Nachdenklich lasse ich meine Finger über das Gitter gleiten.

„Möchtest du hindurch?“

Ich zucke erschrocken zusammen, als die männliche Stimme hinter mir ertönt. Langsam drehe ich mich um und sehe dem jungen Gärtner in die Augen, der mir schon beim Herumführen aufgefallen ist. Peinlich. Was sucht er hier?

„Ich … ähm … gehört das Grundstück dahinter auch zum Anwesen?“, stottere ich peinlich berührt und streiche mir meine Haare aus dem Gesicht, darauf bemüht, ihn nicht allzu sehr anzustarren. Grinsend stellt er sich neben mich und wirft einen Blick durch das Tor.

„Sicher. Das gehört alles den Loires.“

„Wieso ist das Tor abgeschlossen?“

Er wirft mir einen misstrauischen Blick zu und ich könnte mir im selben Moment in den Hintern beißen. Natürlich muss ihm meine Frage komisch erscheinen.

„Also ... weil man über das gesamte Anwesen spazieren kann, ohne auf verschlossene Pforten zu treffen und das hier, naja … es ist abgesperrt.“

Das Misstrauen weicht und lässt ein strahlendes Lächeln zurück, das mein Herz zum Taumeln bringt, sodass es stolpert. Ich muss mich zusammenreißen. So etwas will ich jetzt wahrlich nicht fühlen.

„Nun, man nennt es auch das Verbotene Tor. Dahinter befindet sich ein privater Bereich für besondere Zeremonien.“

„Zeremonien?“, wiederhole ich argwöhnisch und der Gärtner schenkt mir ein Zwinkern.

„Ja, religiöse Feiern und Rituale. Enttäuschend langweilig und harmlos. Hast du etwas Zeit? Ich bin gerade mit der Arbeit fertig. Wenn du magst könnten wir ja ein bisschen über Linderhof schlendern und uns unterhalten.“

Hat mein Herz vorhin noch gestrauchelt, vollführt es nun einen Freudensprung nach dem anderen. Sprachlos und mit weit aufgerissenen Augen sehe ich ihn an, unfähig einen Ton über die Lippen zu bringen. Glück, so gleißend hell, dass mir schwindelig wird, flutet meinen Körper.

„Ähm, das ist natürlich nur ein Angebot. Du musst es nicht annehmen, falls du nicht möchtest.“ Mit einem verlegenen Lachen kratzt er sich am Nacken.

„Doch … ich … gerne“, platzt es aus mir heraus und ich fühle mich wahnsinnig unbeholfen und tollpatschig. Dabei bin ich der Ältere von uns beiden. Sollte ich da nicht auch der Besonnenere sein? Doch die Freude überlagert meine Vernunft.

Er beginnt breit zu grinsen und streckt mir seine Hand einladend entgegen.

„Wir wurden uns noch nicht richtig vorgestellt. Ich bin Emanuel.“

„Colin, freut mich.“ Ich erwidere seinen festen Händedruck und komme nicht umhin, die rauen, starken Hände von ihm zu bewundern.