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Armadale

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Mr. Brock stieß seinen Zögling gutmüthig mit seinem Stocke in die Rippen. »Geh zu Deiner Jacht zurück«, sagte er. »Das ganze Bißchen Klugheit, das Du in Deinem leichtsinnigen Kopfe besitzest, ist in Deinem Geschirrkasten an Bord geblieben. – Wie dies enden soll«, sprach der Pfarrer bei sich, sobald er allein war, »ist mir unbegreiflich. Ich wollte fast, ich hätte nie die Verantwortlichkeit für ihn auf mich genommen.«

Es vergingen drei Wochen, ehe der Fremde mit dem häßlichen Namen sich auf dem Wege der Genesung befand. Während dieses Zeitraumes hatte Allan sich regelmäßig in dem Wirthshause nach seinem Befinden erkundigt, und sobald es dem Kranken gestattet war, Besuche anzunehmen, war Allan der Erste, der an seinem Bette erschien. Bis dahin hatte Mr. Brock’s Zögling ein nicht mehr als natürliches Interesse an einem der wenigen romantischen Ereignisse seines einförmigen Landlebens gezeigt; er hatte keine Unvorsichtigkeit begangen und sich keinerlei Tadel zugezogen. Doch wie die Tage vergingen, wurden die Besuche des jungen Armadale in dem Wirthshause immer länger, und der Arzt, ein vorsichtiger ältlicher Mann, gab dem Pfarrer heimlich einen Wink, daß er sich ins Mittel lege. Mr. Brock folgte diesem Winke augenblicklich und machte die Entdeckung, daß Allan auf seine gewohnte unbekümmerte Weise seinen Eingebungen gefolgt war. Er hatte eine heftige Zuneigung zu dem von der Welt verlassenen Unterlehrer gefaßt und Ozias Midwinter den Vorschlag gemacht, sich unter dem neuen und interessanten Titel seines Busenfreundes für immer in der Nachbarschaft niederzulassen.

Ehe Mr. Brock in dieser Verlegenheit zu einem Entschlusse kommen konnte, erhielt er ein Billet von Allan’s Mutter, in welchem diese ihn bat, von seinem Privilegium als alter Freund Gebrauch zu machen und sie auf ihrem Krankenzimmer zu besuchen. Er fand Mrs. Armadale in einer heftigen nervösen Gemüthsbewegung, die ihr einzig und allein eine kürzlich gehabte Unterredung mit ihrem Sohne verursacht hatte. Allan hatte den ganzen Morgen bei ihr gesessen und von nichts Anderem als seinem neuen Freunde gesprochen. Der Mann mit dem entsetzlichen Namen, wie die arme Mrs. Armadale ihn nannte, hatte Allan auf eine merkwürdig neugierige Weise über ihn selbst und seine Familie ausgefragt, seine eigne Geschichte dagegen vollkommen in Dunkel gehüllt. In seinen früheren Lebensjahren war er ans Meer und ans Umher segeln gewöhnt gewesen. Dies hatte Allan unglücklicherweise entdeckt, und somit hatte sich alsbald ein Anknüpfungspunkt zu seiner Freundschaft gefunden. Mit einem unbarmherzigen Argwohne gegen den Fremden, der Mr. Brock als ziemlich unverständig erschien, flehte Mrs. Armadale den Pfarrer an, ohne einen Augenblick zu verlieren nach dem Wirthshause zu gehen und nicht eher zu ruhen, als bis er den Mann zu einer befriedigenden Auskunft über sich gebracht habe. »Lassen Sie sich alles über seine Eltern mittheilen!« rief sie in ihrer ungestümen Frauenweise »Vergewissern Sie sich, ehe Sie ihn verlassen, daß er kein Vagabond ist, der unter einem angenommenen Namen im Lande umherstreicht.«

»Meine liebe Lady«, erwiderte der Pfarrer, indem er gehorsam seinen Hut aufnahm, »wie sehr wir auch sonst in Ungewißheit über ihn sein mögen, so glaube ich doch wirklich, daß wir uns über den Namen des Mannes keine Zweifel zu machen brauchen. Denn derselbe ist in der That so außerordentlich häßlich, daß er echt sein muß. Kein Mensch würde bei gesundem Verstande einen solchen Namen wie Ozias Midwinter annehmen.«

»Sie haben vielleicht Recht und ich Unrecht; aber ich bitte Sie, gehen Sie zu ihm und schonen Sie ihn nicht, Mr. Brock! Wie können wir wissen, ob er sich nicht zu irgendeinem Zwecke bloß krank gestellt hat?«

Es war unnütz, ihr Vorstellungen zu machen. Der ganze Sanitätsrath hätte die Krankheit des Mannes bezeugen können und doch würde Mrs. Armadale in ihrem gegenwärtigen Gemüthszustande keinem einzigen seiner Mitglieder Glauben geschenkt haben. Mr. Brock schlug daher den verständigsten Weg ein, indem er nichts erwiderte, sondern sofort nach dem Wirthshause ging. Jedermann, der Ozias Midwinter zum ersten Mal sah, wie er sich jetzt von seiner Gehirnentzündung erholte, mußte bei seinem Anblicke zurückschrecken. Sein rasierter Kopf, um den er nachlässig ein altes gelbseidenes Taschentuch geschlungen, seine gelben, eingesunkenen Wangen; seine glänzenden, braunen Augen, die unnatürlich groß und wild erschienen; sein unordentlicher schwarzer Bart; seine langen, sehnigen, gelenkigen Finger, die durch die Krankheit so abgemagert waren, daß sie wie Krallen aussahen – alles dies zusammen war geeignet, den Pfarrer gleich zu Anfang seines Besuches außer Fassung zu bringen. Als er das erste Gefühl des Erstaunens überwunden hatte, war der zunächst folgende Eindruck kein angenehmer. Mr. Brock konnte sich nicht verhehlen, daß das Wesen dieses Mannes gegen ihn spreche. Man pflegt allgemein anzunehmen, ein ehrlicher Mann gebe sich als solcher dadurch zu erkennen, daß er, wenn er mit seinen Mitmenschen redet, ihnen gerade ins Gesicht blickt. Wenn dieser Mann wirklich ehrlich war, so zeigten seine Augen allerdings einen merkwürdigen Eigensinn, indem sie sich beständig abwandten und ihm dadurch jene Eigenschaft absprachen. Es mochte sein, daß dieselben unter einer nervösen Unruhe litten, die in seiner Organisation lag und sich bis in jede Fiber seines hageren, geschmeidigen Körpers erstreckte. Jede zufällige Bewegung der gelenkigen braunen Finger des Schullehrers und jede flüchtige Verzerrung seines abgezehrten gelben Gesichts verursachte dem Pfarrer in seiner gesunden angelsächsischen Haut einen Schauder. »Gott verzeih mir!« dachte Mr. Brock, im Geiste mit Allan und Allan’s Mutter beschäftigt, »ich wollte, ich sähe ein Mittel, um Mr. Ozias Midwinter wieder in die Welt hinaus zusenden!«

Die Unterhaltung, die zwischen den beiden Männern stattfand, ward mit großer Behutsamkeit geführt. Mr. Brock ging sehr zartfühlend zu Werke, doch sah er sich, er mochte es anfangen wie er wollte, immer auf die höflichste Weise im Dunkeln gelassen. Der Mann wich von Anfang an mit einer wilden Scheu jeder Berührung des Geistlichen aus. Er machte den Anfang mit einer Angabe, der man bei seinem Anblicke unmöglich Glauben schenken konnte – er behauptete, er sei erst zwanzig Jahre alt. Alles, was in Bezug auf die Schule aus ihm herauszubringen war, beschränkte sich daraus, daß die bloße Erinnerung an dieselbe ihm ein Gräuel sei. Er habe die Stelle eines Unterlehrers nur zehn Tage innegehabt, als die ersten Anzeichen seiner Krankheit ihm seine Entlassung zuzogen. In welcher Weise er in das Feld gelangt sei, wo man ihn gefunden, vermöge er nicht zu sagen. Er erinnere sich, daß er in einer gewissen Absicht, auf die er sich jetzt nicht mehr besinnen könne, eine lange Reise auf der Eisenbahn zurückgelegt habe, und dann – er wisse nicht, ob den ganzen Tag oder die ganze Nacht der Küste zugewandert sei. Das Meer habe ihm im Sinne gelegen, als sein Verstand zu wanken angefangen. Schon als Knabe sei er auf dem Meere beschäftigt gewesen, habe aber später eine Stelle bei einem Buchhändler in einer Provinzialstadt angenommen. Nachdem er den Buchhändler wieder verlassen, habe er es in einer Schule versucht, und jetzt, da die Schule ihn verstoßen, müsse er etwas Anderes versuchen. Es sei einerlei, sagte er, was er versuche – es müsse stets früher oder später ein unglückliches Ende nehmen, wofür indessen Niemand zu tadeln sei als er selbst. Freunde, die ihm zu Hilfe kommen könnten, besitze er nicht, und er bitte, ihn zu entschuldigen, wenn er von seinen Verwandten nicht sprechen möge. Er wisse so wenig von ihnen, daß sie immerhin gestorben sein möchten, und ebenso sei er für sie todt. Es lasse sich nicht leugnen, daß dies für einen Menschen in seinem Alter ein trauriges Bekenntniß sei. Dasselbe könne ihm in der Meinung Anderer schaden – und nehme ohne Zweifel den Herrn, mit dem er sich in diesem Augenblicke zu unterhalten die Ehre habe, gegen ihn ein.

Diese seltsamen Antworten gab er in einem Tone und in einer Manier, die ebenso weit von aller Bitterkeit als von Gleichgültigkeit entfernt waren. Ozias Midwinter sprach in seinem zwanzigsten Jahre von seinem Leben, wie er etwa im siebzigsten hätte sprechen dürfen.

Zwei Umstände sprachen entschieden gegen das blinde Mißtrauen, das Mr. Brock in seiner Unschlüssigkeit gegen ihn hegte. Er hatte nämlich an eine Sparkasse in einem entlegenen Theile von England um sein Geld geschrieben und sodann mit demselben den Arzt und den Gastwirth bezahlt. Ein Mann von niedriger Sinnesart würde, nachdem er in dieser Weise gehandelt und seine Rechnungen bezahlt, seine Verpflichtungen gegen Andere leicht genommen haben. Ozias Midwinter aber sprach von seinen Verpflichtungen – und namentlich von seinen Verpflichtungen gegen Allan – mit einer Gluth der Dankbarkeit, die nicht allein überraschend, sondern förmlich peinlich anzuhören war. Er war förmlich erstaunt darüber, daß er in einem christlichen Lande mit der gewöhnlichsten christlichen Barmherzigkeit behandelt worden war, und sprach von der Art und Weise, in der Allan alle Verantwortlichkeit für die Kosten seines Obdachs, seiner Pflege und Wiederherstellung auf sich genommen, mit einem wilden Entzücken von Dankbarkeit und Erstaunen, das wie ein wahrer Blitz aus ihm hervorleuchtete »Gott sei mir gnädig!« rief der von der Welt verstoßene Unterlehrer, »seinesgleichen ist mir niemals vorgekommen; ich habe nie von seinesgleichen gehört!« Im nächsten Augenblicke aber war dieser eine Lichtstrahl, den er auf seine leidenschaftliche Natur hatte fallen lassen, wieder völlig erloschen. Seine unstäten Augen kehrten zu ihrem alten widerwärtigen Spiele zurück und wandten sich unruhig wieder von Mr. Brock ab; auch seine Stimme versank wieder in ihre unnatürliche Sicherheit und Ruhe des Tones. »Ich bitte Sie um Vergebung, Sir«, sagte er, »ich bin gewohnt gewesen, gehetzt und betrogen und ausgehungert zu werden. Alles Andere erscheint mir seltsam.« Halb angezogen, halb abgestoßen von dem Manne, bot Mr. Brock ihm zum Abschied die Hand; allein von einem plötzlichen Zweifel überfallen, zog er sie verlegen wieder zurück »Das war freundlich gemeint«, sagte Ozias Midwinter, seine eigenen Hände schnell entschlossen hinterrücks verschränkend. »Ich beklage mich nicht darüber, daß Sie sich eines Besseren besannen. Ein Mann, der keine befriedigende Auskunft über sich zu geben im Stande ist, ist nicht der Mann, dem ein Herr in Ihrer Stellung die Hand bieten kann.«

 

Mr. Brock verließ in gründlicher Verwirrung das Wirthshaus. Ehe er zu Mrs. Armadale zurückkehrte, ließ er ihren Sohn zu sich kommen. Es war ja Aussicht vorhanden, daß der Fremde seine Zunge in der Unterhaltung mit Allan nicht so strenge bewacht hatte; und bei Allan’s Offenheit stand es nicht zu befürchten, daß er dem Pfarrer irgendetwas verhehlen werde, das sich zwischen ihm und dem Fremden zugetragen.

Doch auch hier erzielte Mr. Brock’s Diplomatie keine großen Resultate. Sowie die Rede einmal auf Ozias Midwinter gekommen war, schwatzte Allan in seiner gewohnten leichten, unbekümmerten Weise von seinem neuen Freunde in einem Zuge. Doch hatte er wirklich nichts von Wichtigkeit mitzutheilen, denn er selbst hatte nichts Wichtiges erfahren. Sie hatten sich stundenlang vom Schiffbau und vom Segeln unterhalten, und Allan hatte manche nützliche Winke aufgefangen; insbesondere hatten sie sich mit einander über das ernste Ereigniß des bevorstehenden Von-Stapel-laufens der Jacht berathen. Bei andern Gelegenheiten waren sie auf andere Gegenstände abgeschweift, deren Allan sich im Augenblicke nicht zu erinnern vermochte. Aber hatte Midwinter im Flusse dieser freundschaftlichen Unterhaltungen nichts über seine Familie fallen lassen? Nichts, außer daß dieselbe nicht gut gegen ihn gehandelt – zum Henker mit seiner Familie! War er in Bezug auf seinen eigenthümlichen Namen irgendwie empfindlich? Nicht im geringsten; er war, als ein vernünftiger Bursche, seinem Freunde mit einem guten Beispiele vorangegangen, indem er selbst darüber lachte – zum Henker mit seinem Namen; derselbe war gut genug, sobald man sich einmal an ihn gewöhnt! Was hatte Allan an ihm gefunden, um eine so große Zuneigung zu ihm zu fassen? Allan hatte das an ihm gefunden, was er an andern Leuten zu finden nicht gewohnt war. Er glich den übrigen jungen Leuten in der Nachbarschaft nicht im mindesten. Alle diese Bursche waren nach demselben Muster zugeschnitten. Jeder Einzelne von ihnen war so gesund, muskulös, geräuschvoll, hartköpfig, reingewaschen und roh wie der Andere; sie tranken alle, Einer wie der Andere, dieselbe Quantität Bier, rauchten den ganzen Tag dieselben kurzen Thonpfeifen, ritten die besten Pferde, nahmen den besten Hund auf die Hühnerjagd und stellten Abends die beste Flasche Wein auf ihren Tisch; jeder Einzelne von ihnen nahm jeden Morgen sein kaltes Bad und rühmte sich dessen an frostigen Wintertagen; jeder von ihnen sah einen herrlichen Scherz im Schuldenmachen und hielt das Wetten bei Pferderennen für eine der verdienstvollsten Handlungen, deren ein menschliches Wesen fähig ist. Sie waren ohne Zweifel auf ihre Weise vortreffliche Leute; aber leider einander alle völlig gleich. Es sei ein wahres Glück, meinte Allan, einen Mann wie Midwinter zu finden, einen Mann, der nicht nach dem einförmigen Muster dieser Gegend zugeschnitten sei und dessen Art und Weise den einen großen Vorzug besaß, seine ihm eigenthümliche zu sein.

Der Pfarrer verschob alle ferneren Vorstellungen bis zu einer passenderen Gelegenheit und kehrte zu Mrs. Armadale zurück. Er konnte sich nicht verhehlen, daß eigentlich Allan’s Mutter diejenige« Person sei, die für Allan’s unkluges Benehmen gegen den Fremden verantwortlich war. Denn hätte der junge Bursche etwas weniger von den kleinen Gutsherrschaften der Umgegend und dafür etwas mehr von der großen Außenwelt in der Heimath und im Auslande gesehen, so würde das Vergnügen, das er in Ozias Midwinters Gesellschaft fand, vielleicht ein geringeres gewesen sein.

In dem Bewußtsein des unbefriedigenden Resultats seines Besuches im Wirthshause war Mr. Brock, als er sich abermals mit Mrs. Armadale allein befand, ein wenig besorgt über die Aufnahme, die sein Bericht finden würde. Seine Ahnungen bestätigten sich bald. Wie er die Sache immer zu beschönigen versuchte, Mrs. Armadale hielt sich an das eine verdächtige Factum, daß der Unterlehrer ein so entschlossenes Schweigen über sich selbst bewahrte – ein Factum, das sie ihrer Ansicht nach zu den strengsten Maßregeln berechtigte, um ihren Sohn von ihm zu trennen. Für den Fall, daß der Pfarrer sich weigere, sich ferner in die Sache zu mischen, erklärte sie, selbst an Ozias Midwinter schreiben zu wollen. Mr. Brock’s Gegenvorstellungen reizten sie in dem Grade, daß sie ihn durch die Erwähnung jenes verbotenen Gegenstandes überraschte, indem sie ihn an die Unterhaltung erinnerte, die vor fünf Jahren zwischen ihnen stattgefunden hatte, als er jene Annonce in der Zeitung entdeckt gehabt. Sie erklärte mit großer Heftigkeit, daß, was immer dagegen zusprechen scheine, der in der Annonce aufgerufene Landstreicher Armadale vielleicht derselbe Landstreicher sei, der sich jetzt unter dem Namen Ozias Midwinter in der Dorfschenke aufhalte. Der Pfarrer wiederholte vergebens seine Ueberzeugung, daß dieser Name der aller unwahrscheinlichste sei, den ein Mensch, und zumal ein junger Mensch, annehmen würde. Nichts vermochte Mrs. Armadale zu beruhigen, als absolute Ergebung in ihren Willen. Da er die Folgen befürchtete, wenn er sich ihr bei ihrem gegenwärtigen schwachen Gesundheitszustande noch ferner widersetzte und außerdem eine ernstliche Veruneinigung zwischen Mutter und Sohn besorgte, falls Erstere sich persönlich in die Sache mischte, so unterzog Mr. Brock sich der Aufgabe, Midwinter nochmals auszusuchen und ihm ganz offen zu erklären, daß er entweder eine befriedigende Auskunft über sich geben oder seinen vertrauten Umgang mit Allan abbrechen müsse. Die einzigen Gegenbedingungen, die Mr. Brock dafür Mrs. Armadale auferlegte, waren erstens, daß sie geduldig warten solle, bis der Arzt erklärt haben werde, daß der Mann so weit wiederhergestellt sei, um seine Reise fortzusetzen, und zweitens, daß sie den Gegenstand inzwischen in keiner Weise gegen ihren Sohn erwähne.

Nach Verlauf einer Woche war Midwinter wohl genug, um sich von Allan in dem Ponywagen des Wirthshauses ausfahren lassen zu können; und nach zehn Tagen erklärte der Arzt gegen Mr. Brock, daß Midwinter’s Zustand ihm erlaube, weiter zu reisen. An jenem zehnten Tage begegnete Mr. Brock Allan mit seinem neuen Freunde in einer der landeinwärts führenden Allem, wo sie die letzten Strahlen der Wintersonne genossen. Er wartete, bis die Beiden von einander geschieden waren, und folgte dann dem Unterlehrer auf seinem Heimwege nach dem Wirthshause.

Des Pfarrers Entschluß, gerade heraus und ohne Mitleid zu sprechen, war in Gefahr, wankend zu werden, als er dem freundlosen Manne näher kam und sah, wie schwach noch immer sein Gang war, wie lose sein Rock an ihm herabhing und wie schwer er sich auf seinen Stock stützte. In seinem humanen Widerstreben, die entscheidenden Worte zu früh zu sprechen, versuchte Mr. Brock zuerst ein kleines Kompliment über seine ausgedehnten Kenntnisse auf die sich aus den beiden Büchern, dem Bande von Sophocles und dem von Goethe, schließen lasse, welche man in seiner Handtasche gefunden, und frug ihn, wie lange er schon mit der deutschen und der griechischen Sprache vertraut sei. Midwinters feines Ohr entdeckte etwas ungewöhnliches in Mr. Brocks Stimme. Er wandte sich in dem sinkenden Abendlichte um und schaute dem Pfarrer plötzlich mißtrauisch ins Gesicht.

»Sie wünschen mir etwas zu sagen«, erwiderte er, »und es ist etwas Anderes als das, wovon Sie jetzt reden.«

Es blieb Mr. Brock nichts weiter übrig, als auf die Herausforderung einzugehen. Sehr zartfühlend und mit vielen einleitenden Worten, die der Andere mit ununterbrochenem Schweigen anhörte, näherte Mr. Brock sich dem Gegenstande. Doch lange, ehe er denselben erreicht, lange bevor ein Mann von gewöhnlichem Ernpfindungsvermögen etwas von dem Kommenden geahnt haben würde, stand Ozias Midwinter in der Allee still und sagte dem Pfarrer, er brauche nicht weiterzureden.

»Ich verstehe Sie, Sir«, sagte der Schullehrer. Mrs. Armadale hat eine bestimmte Stellung in der Welt; Mr. Armadale hat nichts zu verheimlichen, nichts, dessen er sich zu schämen braucht. Ich stimme mit Ihnen überein, daß ich kein passender Gefährte für ihn bin. Die beste Art und Weise, in der ich ihm für seine Güte gegen mich danken kann, besteht darin, daß ich dieselbe nicht mißbrauche. Sie dürfen sich darauf verlassen, daß ich diesen Ort morgen früh verlassen werde.«

Er sprach kein Wort weiter und wollte kein Wort weiter hören. Mit einer Selbstbeherrschung, die bei seinem Alter und seinem Temperament ans Wunderbare grenzte, nahm er höflich den Hut ab, verbeugte sich und kehrte allein nachdem Wirthshause zurück.

Mr. Brock schlief diese Nacht nur schlecht. Der Erfolg der Unterredung in der Allee hatte das Problem über Ozias Midwinter unlösbarer als je gemacht.

Früh am nächsten Morgen ward dem Pfarrer ein Brief aus dem Wirthshause gebracht und der Bote meldete, daß der fremde Herr abgereist sei. Der Brief enthielt eine unversiegelte Einlage an Allan und ersuchte Allan’s Erzieher, dieselbe, nachdem er selbst sie gelesen, nach seinem eignen Gutdünken entweder an den Adressaten abzugeben oder zu vernichten. Die Einlage war von einer überraschenden Kürze; sie ent hielt nicht mehr als ein Dutzend Worte: »Tadeln Sie Mr. Brock nicht; Mr. Brock hat Recht. Ich danke Ihnen; leben Sie wohl! – O. M.«

Der Pfarrer beförderte das Billet selbstverständlich an seine Bestimmung und schrieb zugleich ein paar Zeilen an Mrs. Armadale, um sie durch die Nachricht von der Abreise des Schullehrers zu beruhigen. Dann wartete er, nicht eben in besonderer Gemüthsruhe, den Besuch seines Zöglings ab, den dieser ihm nach dem Empfange des Billets höchst wahrscheinlich machen würde. Dem Benehmen Midwinter’s mochte vielleicht ein tieferes Motiv zu Grunde liegen – vielleicht auch nicht; doch war es unmöglich zu leugnen, daß sein bisheriges Verhalten der Art gewesen sei, um den Argwohn des Pfarrers als unbegründet erscheinen zu lassen und Allan’s gute Meinung von ihm zu rechtfertigen.

Der Morgen verstrich und der junge Armadale ließ sich nicht sehen. Nachdem Mr. Brock ihn vergebens in dem Hofe gesucht, wo der Bau der Jacht vor sich ging, begab er sich nach Mrs. Armadale’s Hause und erfuhr dort von dem Stubenmädchen Dinge, die seine Schritte sofort nach dem Wirthshause lenken. Der Wirth bekannte augenblicklich die Wahrheit; der junge Mr. Armadale sei mit einem offenen Briefe in der Hand zu ihm gekommen und habe darauf bestanden, daß man ihn von dem Wege unterrichte, den sein Freund eingeschlagen. Der junge Herr sei sehr aufgebracht gewesen, und das Stubenmädchen, welches die Gäste bediente, habe einfältiger weise noch eines Umstandes erwähnt, welcher Oel in die Flamme gegossen. Sie habe nämlich erklärt, daß sie gehört, wie Mr. Midwinter nach seiner Heimkehr sich in sein Zimmer eingeschlossen habe und in ein heftiges Weinen ausgebrochen sei. Dieser unbedeutende Umstand habe dem jungen Mr. Armadale die Gluth ins Gesicht getrieben; er habe getobt und geflucht, sei nach dem Stalle gestürzt, habe den Stallknecht gezwungen, ihm ein Pferd zu satteln, und sei im vollen Galopp auf dem Wege davon geritten, den Ozias Midwinter eingeschlagen hatte.

Nachdem Mr. Brock dem Wirth ans Herz gelegt, Allan’s Benehmen geheim zu halten, falls von Mrs. Armadales Dienerschaft Jemand nach dem Wirthshause käme, begab er sich wieder nach Hause und erwartete voll ängstlicher Besorgniß, was der Tag mit sich bringen werde.

Zu seiner unaussprechlichen Erleichterung erschien sein Zögling spät am Nachmittage auf der Pfarrei. Allan verrieth in seinem Gesicht und seiner Stimme eine trotzige Entschlossenheit, die sein alter Freund bisher nie an ihm bemerkt hatte. Ohne Mr. Brocks Frage abzuwarten, erzählte er seine Geschichte in seiner gewohnten offenen Weise. Er hatte Midwinter auf der Landstraße eingeholt und, nachdem er vergebens versucht, zuerst ihn zum Umkehren zu bewegen, und dann, zu erfahren, wohin er gehe, hatte er gedroht, ihn den ganzen Tag begleiten zu wollen, und ihm dadurch das Bekenntniß abgezwungen, daß er sein Glück zunächst in London zu versuchen beabsichtige. Nachdem er einmal soviel erreicht, hatte Allan darauf bestanden, daß sein Freund ihm seine Londoner Adresse mittheile. Dieser hatte ihn angefleht, nicht weiter in ihn zu dringen; allein Allan hatte sich dessen ungeachtet nicht abweisen lassen und endlich seinem Freunde die Adresse dadurch abgetrotzt; daß er an dessen Dankbarkeit appelliert hatte, wofür er ihn später um Verzeihung gebeten, da er sich seines Benehmens sogleich geschämt »Ich habe den armen Burschen lieb und will ihn daher nicht aufgeben«, sagte Allan zum Schlusse, indem er mit geballter Faust auf den Tisch des Pfarrers schlug. »Fürchten Sie nicht, daß ich meiner Mutter Verdruß machen werde; ich überlasse es Ihnen, Mr. Brock, mit ihr darüber zu reden, wann und wie Sie wollen, für jetzt will ich nur noch Eins hinzufügen und der Sache damit ein Ende machen: Die Adresse befindet sich hier in mein Taschenbuch eingetragen, und hier stehe ich, für diesmal fest in einem Entschlusse. Ich will Ihnen und meiner Mutter Zeit geben, sich die Sache zu überlegen; nach Ablauf dieser Frist aber will ich, falls mein Freund Midwinter nicht zu mir kommt, zu meinem Freunde Midwinter gehen!«

 

Und dabei blieb es für den Augenblick. Dies also war die Folge davon, daß man den unglücklichen Unterlehrer abermals in die Welt hinausgestoßen hatte.