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Armadale

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»Ich habe einen Sohn, Madame«, sagte er, sich bewußt werdend. daß die Wirthin ihn mit stummem und traurigem Erstaunen ansah. »Ich habe mein Möglichstes gethan, ihm in der Welt fortzuhelfen, aber er hat sich sehr schlecht gegen mich benommen.«

»Was Sie sagen!« erwiderte die Wirthin mit der Miene der größten Theilnahme. »Benahm sich schlecht gegen Sie, brach Ihnen fast das Herz, nicht wahr? Ah, früher oder später wird’s ihm kommen. Fürchten Sie nichts! Du sollst Vater und Mutter ehren, war nicht um nichts und wieder nichts auf Moses Steintafeln geschrieben, Mr. Bashwood. Wo mag er wohl sein, und was treibt er jetzt, Sir?«

Die Frage war fast dieselbe, die Midwinter an ihn gerichtet, als ihm die Geschichte erzählt worden war, und Mr. Bashwood beantwortete sie fast mit denselben Worten wie damals.

»Mein Sohn ist in London, Madame, soviel ich weiß. Als ich zuletzt von ihm hörte, war er in nicht sehr ehrenvoller Weise beschäftigt, bei dem geheimen Nachfragecomptoir —«

Bei diesen Worten hielt er plötzlich inne. Sein Gesicht erglühte, seine Augen leuchteten; er schob die Tasse von sich, die so eben für ihn gefüllt worden, und stand auf. Die Wirthin trat einen Schritt zurück. Im Gesichte ihres Miethsmannes lag etwas, was sie nie zuvor darin gesehen hatte.

»Ich hoffe, daß ich Sie nicht beleidigt habe, Sir«, sagte die Frau, ihre Fassung wiederfindend und mit einer Miene, als ob sie selbst auf den leisesten Wink bereit sei, sich beleidigt zu fühlen.

»Ganz im Gegentheil, Madame, ganz im Gegentheilt« erwiderte er mit eigenthümlicher Hast. »Ich habe so eben an etwas gedacht, etwas sehr Wichtiges. Ich muß hinaufgehen, ich habe einen Brief, ja, einen Brief zu schreiben. Ich werde dann wieder herunterkommen, um meinen Thee zu trinken, Madame. Verzeihen Sie, Madame, ich bin Ihnen sehr verbunden, Sie sind stets sehr gütig gegen mich gewesen, für jetzt will ich mich von Ihnen verabschieden, wenn Sie’s erlauben.« Und zum größten Erstaunen der Wirthin drückte er ihr herzlich die Hand und eilte zur Thür hinaus, Thee und Theetopf ihrem Schicksal überlassend.

Auf seinem Zimmer angelangt, schloß er sich dort ein. Eine kleine Weile blieb er, sich an dem Kammsimse festhaltend, stehen, bis er wieder zu Athem kam. Sobald er sich wieder rühren konnte, öffnete er das auf dem Tische stehende Schreibpult. »So diel scher’ ich mich um Euch, Mr. Pedgift und Sohn!« sagte er, mit den Fingern ein Schnippchen schlagend. »Ich habe auch einen Sohn.«

An der Thür ließ sich ein Klopfen hören, ein leises, rücksichtsvolles, vertrauliches Klopfen. Die besorgte Wirthin wollte wissen, ob Mr. Bashwood krank sei, und drückte zum zweiten Male ihre ernstliche Hoffnung aus, daß sie ihn nicht beleidigt habe.

»Nein, nein!« rief er ihr durch die geschlossene Thür zu. »Ich befinde mich ganz wohl, ich schreibe, Madame, ich schreibe; bitte, entschuldigen Sie mich. Sie ist eine gute Frau, sie ist eine vortreffliche Frau«, dachte er, als die Wirthin sich wieder entfernt hatte. »Ich will ihr ein kleines Geschenk machen. Ich fühle mich so verstört, daß ich ohne sie nimmer daran gedacht haben würde. Ach wenn nur mein Sohn noch auf jenem Comptoir ist! Ach wenn ich ihm nur einen Brief schreiben kann, der sein Mitleid für mich erweckt!«

Er ergriff die Feder und saß lange ängstlich nachsinnend da, ehe er sie zum Schreiben ansetzte Langsam und unter vielen Pausen zu wiederholtem Nachsinnen und mit mehr als gewohnter Sorgfalt, seine Schrift klar und leserlich zu machen, schrieb er dann folgende Zeilen:

»Mein lieber James! Wie ich fürchte, wirst Du erstaunt sein, meine Handschrift zusehen. Bitte, denke nicht, daß ich Dich um Geld bitten oder Dir Vorwürfe machen will, daß Du mich um Haus und Hof gebracht hast, als ich meine Bürgschaft für Dich einlösen mußte. Ich bin bereit und willig, das Geschehene zu verzeihen und Vergangenes zu vergessen.

Wenn Du noch bei dem geheimen Nachfragecomptoir angestellt bist, liegt es in Deiner Macht, mir einen großen Dienst zu leisten. Ich bin in großer Sorge und Unruhe um eine Person, an der ich Interesse nehme. Es ist dies eine Dame. Bitte, spotte nicht, daß ich dies bekenne, wenn Du irgend umhin kannst. Hättest Du eine Vorstellung von dem, was ich leide, so würdest Du gewiß mich eher bemitleiden als verspotten.

Ich würde mich auf Einzelheiten einlassen, doch ich kenne Deine Ungeduld und fürchte sie zu erregen. Vielleicht wird es genügen, wenn ich sage, ich habe Grund zu glauben, daß die Vergangenheit der Dame keine sehr ehrenvolle gewesen ist, und daß ich ein großes, ein unbeschreiblich großes Interesse daran nehme, zu erfahren, welcher Art ihre Lebensweise in Wirklichkeit gewesen, daß ich auch diese Aufklärung innerhalb vierzehn Tagen zu erlangen wünsche.

Obgleich mir von der Geschäftspraxis in einem Comptoir wie dem Deinigen wenig oder nichts bekannt ist, kann ich doch leicht begreifen, daß ohne die gegenwärtige Adresse der Dame nichts auszurichten ist. Leider ist mir dieselbe noch nicht bekannt. Ich weiß nur, daß sie heute in Begleitung eines Herrn nach der Hauptstadt gereist ist, in dessen Diensten ich stehe und der, wie ich vermuthe, ehe noch viele Tage vergehen, um Geld an mich schreiben wird.

Ist dieser Umstand von einer Beschaffenheit, uns nützen zu können? Ich wage mich des Wortes »uns« zu bedienen, weil ich bereits aus Deinen freundlichen Rath und Beistand rechne, mein lieber Sohn. Laß Dich durch etwaige Kosten nicht abschrecken, ich habe ein Weniges erspart und das soll Dir ganz zur Verfügung stehen. Bitte, schreibe mir mit umgehender Post! Wenn Du nur Dein Möglichstes thun willst, um der fürchterlichen, Ungewißheit ein Ziel zu setzen, die mich jetzt quält, so wirst Du dadurch all den Kummer wieder gut machen, den Du mir in der Vergangenheit verursacht hast, und außerdem zu ewigem Danke verpflichten

Deinen Dich liebenden Vater
Felix Bashwood.«

Nach einer kleinen Pause, während welcher er sich die Augen getrocknet, fügte Mr. Bashwood seine Adresse und das Datum hinzu und adressirte den Brief an seinen Sohn auf dem »Geheimen Nachfragecomptoir, Shadyside-Place, London«. Darauf machte er sich sofort auf, den Brief selbst auf die Post zu tragen. Es war dies am Montag, und wurde die Antwort umgehend gesandt, so mußte sie am Mittwoch Morgen eintreffen.

Den dazwischenliegenden Tag, den Dienstag, brachte Mr. Bashwood in seiner Expedition im Herrnhause zu. Er hatte einen doppelten Beweggrund, sich so sehr als möglich in die mannichfachen Beschäftigungen zu vertiefen, die mit der Gutsverwaltung in Verbindung standen. Erstens half unausgesetzte Beschäftigung ihm die verzehrende Ungeduld zügeln, mit der er dem folgenden Tage entgegensah, und zweitens würde er, je mehr er in den Verwaltungsgeschäften vorarbeitete, um so ungehinderter seinen Sohn in London aufsuchen können, ohne durch offene Vernachlässigung der ihm anvertrauten Interessen Verdacht auf sich zu lenken.

Am Dienstag, gegen Nachmittag, fanden unbestimmte Gerüchte daß sich im Parkhäuschen etwas ereignet habe, durch Major Milroy’s Leute den Weg zur Dienerschaft des Herrnhauses und suchten vermittelst dieses letzteren Kanals Mr. Bashwood’s Aufmerksamkeit zu erregen, die jedoch unerschütterlich auf andere Dinge gerichtet blieb. Der Major und Miß Neelie waren, so hieß es, zu geheimnißvoller Besprechung mit einander eingeschlossen gewesen, und Miß Neelie’s Gesicht hatte am Schlusse der Unterredung deutliche Spuren von Thränen gezeugt. Dies hatte sich am Montag Nachmittag begeben und am folgenden Tage, dem gegenwärtigen Dienstage, hatte der Major den ganzen Haushalt durch die kurze Ankündigung in Erstaunen gesetzt, daß seine Tochter der Seeluft bedürfe und er selbst sie mit dem nächsten Zuge nach Lowestoft zu begleiten gedenke. Sie waren zusammen abgereist, beide sehr ernst und schweigsam, dem Anscheine nach aber nichtsdestoweniger im besten Vernehmen mit einander. Die Meinung im Herrnhause schrieb diese häusliche Umwälzung den Gerüchten zu, die über Allan und Miß Gwilt im Umlauf waren. Das Publikum im Parkhäuschen verwarf aber diese Lösung des Geheimnisses aus praktischen Gründen. Miß Neelie war vom Montag Nachmittag bis zum Dienstag Morgen, wo ihr Vater mit ihr abreiste, allein in ihrem Zimmer eingeschlossen geblieben. Während dieser Zeit war der Major nicht aus dem Hause gegangen und hatte Niemand gesprochen. Und Mrs. Milroy hatte, sowie ihre neue Wärterin den Versuch gemacht, ihr den neuesten Stadtskandal mitzutheilen, bei der ersten Nennung von Miß Gwilt’s Namen der Dienerin die Lippen geschlossen, indem sie einen ihrer fürchterlichen Wuthanfälle bekommen hatte. Natürlich mußte etwas, vorgefallen sein, das Major Milroy veranlaßt, so plötzlich mit seiner Tochter abzureisen, aber dieses Etwas war sicherlich nicht Mr. Armadale’s empörendes Durchgehen mit Miß Gwilt.

Der Nachmittag verging, der Abend verging, und es geschah weiter nichts als das Familienereignis im Parkhäuschen. Nichts fiel vor, denn nach der Natur der Dinge konnte gar nichts der Art vorfallen, was die Täuschung auf die Miß Gwilt gerechnet hatte, die Täuschung, die jetzt ganz Thorpe-Ambrose mit Mr. Bashwood theilte, daß sie nämlich als Allan’s künftige Gattin heimlich mit Allan nach London gereist sei, hätte beseitigen können.

Am Mittwoch früh, als der Briefträger in die Straße einbog, in der Mr. Bashwood wohnte, begegnete er diesem selbst, der in seiner Begierde zu erfahren, ob ein Brief für ihn da sei, ohne seinen Hut aus dem Hause gekommen war. In der That war ein Brief für ihn da, der Brief, den er von seinem landstreicherischen Sohne ersehnt hatte.

Der jüngere Bashwood beantwortete seines Vaters Flehen um Hilfe, nachdem er zuvor seinen Vater lebenslänglich zu Grunde gerichtet hatte, in folgenden Ausdrücken:

»Shadyside-Place,
Dienstag den 29. Juli.

Mein lieber Alter! Wir haben auf unserm Comptoir einige Praxis in Geheimnissen, allein das Geheimniß Deines Briefes geht ganz über meine Begriffe. Speculirst Du etwa auf die interessanten verborgenen Schwächen eines reizenden Weibes? Oder gedenkst Du, nach Deinen ehelichen Erfahrungen, wirklich in Deinen Jahren noch daran, mich mit einer Stiefmutter zu beschenken? Was es auch sei, ich gebe Dir mein Wort, daß Dein Brief mich interessiert.

 

Ich scherze nicht, obwohl es nicht leicht ist, der Versuchung dazu zu widerstehen. Im Gegentheil, ich habe Dir bereits eine Viertelstunde meiner kostbaren Zeit geopfert. Der Ort, von dem Du Deinen Brief datierst, schien mir bekannt. Ich sah in unserm Memorandumbuche nach und fand, daß ich vor nicht langer Zeit nach Thorpe-Ambrose gesandt worden war, um heimliche Nachforschungen anzustellen. Meine Auftraggeberin war eine lebhafte alte Dame, die zu pfiffig war, um uns ihren richtigen Namen und Wohnort anzugeben. Wie sich’s von selbst verstand, machten wir uns unverzüglich ans Werk und erfuhren richtig, wer sie war. Sie heißt Mr. Oldershaw, und gedenkst Du sie zu meiner Stiefmutter zu machen, so rathe ich Dir aufrichtig, Dir’s noch einmal zu überlegen, ehe Du sie mit dem Namen Bashwood beglückst.

Ist es nicht Mrs. Oldershaw, so kann ich für jetzt nichts weiter thun, als Dir sagen, wie es Dir vielleicht gelingt, die Adresse der unbekannten Dame zu erfahren. Komme, sowie Du den erwarteten Brief von dem Herrn erhalten, mit dem sie fortgelaufen sein soll – ich hoffe um Deinetwillen, daß er kein schöner junger Mann ist – nach London und suche mich hier auf. Ich will Dir Jemand mitgeben, der Dir behilflich ist, sein Hotel oder seine Wohnung zu beobachten, und wenn er mit der Dame oder die Dame mit ihm irgendwie verkehrt, so magst Du Dich von dem Augenblicke an ihrer Adresse versichert halten. Laß mich sie nur einmal identificiren und wissen, wer sie ist, und Du sollst alle ihre charmanten kleinen Geheimnisse so klar und deutlich vor Dir sehen wie dieses Blatt Papier, auf dem Dein liebevoller Sohn jetzt an Dich schreibt.

Noch ein Wort in Bezug auf die Bedingungen. Ich bin ebenso sehr geneigt wie Du, wieder auf freundschaftlichem Fuße mit Dir zu stehen, doch kann ich, wiewohl ich zugebe, daß Du einst etwas durch mich verloren hast, unmöglich durch Dich verlieren. Es muß feststehen, daß Du für alle Ausgaben der Nachforschungen verantwortlich bist. Ist Deine Dame zu schlau oder zu hübsch, als daß man einen Mann gegen sie anwenden könnte, so müßten wir eine der zu diesem Comptoir gehörigen Frauen verwenden. Das wird Fiakerlohn, Briefmarken, Billets zu öffentlichen Vergnügungsorten, falls sie hierzu neigt, Schillinge für Kirchstuhlschließerinnen kosten, wenn sie in Frömmigkeit macht und unsere Leute mit in die Kirchen nimmt, um beliebte Prediger zu hören, und so weiter. Meine eigenen Dienste sollst Du gratis haben; aber außerdem kann ich nicht noch durch Dich verlieren. Behalte nur dies im Auge, und Du sollst haben, was Du verlangst. Das Geschehene sei geschehen und die Vergangenheit vergessen.

Dein zärtlicher Sohn

James Bashwood.«

In seinem Entzücken, endlich Hilfe nahe zu sehen, drückte der Vater den abscheulichen Brief des Sohnes an die Lippen. »Mein guter Junge!« murmelte er liebevoll. »Mein lieber, guter Junge!«

Er legte den Brief nieder und versank in neues Nachdenken. Die nächste Frage war die sehr ernstliche betreffs der Zeit. Mr. Pedgift hatte ihm gesagt, Miß Gwilt könne in vierzehn Tagen verheirathet sein. Ein Tag von diesen vierzehn war bereits verstrichen und ein zweiter dem Ende nahe. Ungeduldig schlug er mit der Hand auf den Tisch, indem er dachte, wie bald der Geldmangel Allan wohl von London an ihn zu schreiben nöthigen werde. »Morgen vielleicht?« fragte er sich. »Oder übermorgen?«

Der folgende Tag verging und es kam nichts. Der nächste Tag kam und brachte den Brief. Derselbe handelte von Geschäften, wie er erwartet hatte, und forderte Geld, wie er ebenfalls erwartete, und am Schlusse in einer Nachschrift war die Adresse hinzugefügt, worauf der Brief mit den Worten: »Sie mögen bis auf weitere Nachricht darauf rechnen, daß ich hier bleibe«, schloß./p

Bashwood that einen tiefen Athemzug der Erleichterung und beschäftigte sich, obschon bis zum nächsten Zuge nach London noch zwei Stunden vergehen mußten, augenblicklich mit dem Einpacken seiner Reisetasche. Das Letzte, was er in diese hineinthat, war die blaue Atlascravatte. »Sie liebt bunte Farben«, sagte er, »und sie soll mich doch noch darin zusehen bekommen!«

Viertes Kapitel

»All-Saints-Terrace, New-Road, London.
Montag Abend, den 28. Juli.

Ich bin so müde, daß ich mich kaum aufrecht halten kann, aber in meiner kritischen Lage darf ich mich nicht auf mein Gedächtniß verlassen. Ehe ich mich schlafen lege, muß ich meinen gewohnten Bericht über die Ereignisse des Tages niederschreiben.

Bis hierher hat es den Anschein, als ob die Wendung, die das Schicksal zu meinen Gunsten genommen – und es ließ sich Zeit, ehe es sich zu dieser Wendung entschloß! – andauern wollte. Es gelang mir, Armadale dazu zu zwingen – der Mensch war durch nichts Geringeres als Zwang zu bewegen – mit mir allein in einem Wagen von Thorpe-Ambrose nach London zu reisen, und zwar angesichts all der Leute, die auf dem Perron standen. Eine förmliche Versammlung von Leuten; die in kleinlichem Klatsch machen, stand da beisammen, die uns grob anstierten und offenbar ihre Schlüsse zogen. Ich müßte mich sehr in Thorpe-Ambrose getäuscht haben, wenn der ganze Ort nicht in diesem Augenblicke von Mr. Armadale und Miß Gwilt voll ist.

Während der ersten halben Stunde unserer Fahrt hatte ich einige Noth mit ihm. Der Schaffner – der vortreffliche Mann, ich war ihm so dankbar! – hatte uns, offenbar in Erwartung eines Trinkgeldes am Ende der Reise, allein mit einander eingeschlossen. Armadale war argwöhnisch gegen mich und ließ dies deutlich merken. Nach und nach aber zähmte ich mein wildes Thier, theils indem ich keine Neugier über den Zweck seiner Reise nach der Stadt verrieth, theils indem ich sein Interesse für seinen Freund Midwinter erweckte, wobei ich namentlich die Gelegenheit hervorhob, die sich jetzt zu einer Versöhnung zwischen ihnen darböte. Bei diesem Gegenstande verweilte ich, bis es mir gelungen war, seine Zunge zu lösen, und er mich unterhalten mußte, wie es einem Herrn gebührt, der die Ehre genießt, eine Dame auf einer Eisenbahnfahrt zu begleiten.

Sein Kopf, der so wenig zu fassen vermag, war von seiner eigenen und Miß Milroy’s Angelegenheiten voll. Nicht mit Worten läßt sich beschreiben, welche Unbeholfenheit er zeigte, als er von sich selbst zu schwatzen suchte, ohne mich ins Vertrauen zu ziehen oder Miß Milroys Namen, auszusprechen Er unterrichtete mich, daß er in einer Angelegenheit von unbeschreiblicher Wichtigkeit für ihn nach London reise. Dieselbe sei für jetzt noch ein Geheimiiiß, doch hoffe er mir dasselbe bald vertrauen zu dürfen; diese Sache lasse ihn bereits die Verleumdungen, die in Thorpe-Ambrose über ihn in Umlauf gesetzt worden, von ganz anderer Seite betrachten; er sei zu glücklich, um sich darum zu kümmern, was die Klätscher jetzt von ihm sagten, und werde ihnen bald den Mund schließen, in einer neuen Rolle auftretend, die sie alle überraschen werde. In dieser Weise faselte er fort, fest überzeugt, daß ich vollkommen im Unklaren sei. Es war schwer, nicht zu lachen, als ich an meinen anonymen Brief dachte, Or an den Major unterwegs war; doch es gelang mir, wenngleich nur mit großer Mühe, mich zu bemeistern. Im Laufe der Fahrt überfiel mich eine fürchterliche Aufregung; ich glaube, die Sache wuchs mir über den Kopf. Da war ich nun mit ihm allein und plauderte aufs harmloseste und unbefangenste mit dem Menschen, dessen Leben ich, sobald der Augenblick dazu gekommen, aus meinem Pfade hinwegzuräumen gedenke, wie ich wohl einen Flecken aus einem Kleide vertilgen würde. Die Gemüthsbewegung machte mein Blut sieden und trieb es mir in die Wangen. Ein paarmal ertappte ich mich darauf, daß ich weit lauter lachte, als ich es hätte thun sollen, und lange, ehe wir in London anlangten, hielt ich es für gerathen, mein Gesicht hinter dem Schleier zu verstecken.

Als wir in London ausstiegen, hatte ich keine Mühe, ihn zu bewegen, mich im Fiaker nach dem Hotel zu begleiten, wo Midwinter logierte. Er war voller Begierde, sich mit seinem lieben Freunde auszusöhnen, namentlich, wie ich nicht bezweifle, weil er den Beistand dieses lieben Freundes zu seinem heimlichen davonlaufen mit Miß Milroy bedarf. Die wahre Schwierigkeit lag natürlich in Midwinter selbst. Meine unvorbereitete Abreise nach London hatte mir keine Zeit gelassen, an ihn zu schreiben und seine abergläubische Ueberzeugung zu bekämpfen, daß es besser sei, wenn er und sein Freund von einander geschieden blieben. Ich hielt es deshalb für gerathen, Armadale im Fiaker vor dem Hotel warten zu lassen und allein einzutreten, um Midwinter auf ihn vorzubereiten.

Dieser war glücklicherweise nicht aussgangen. Sein Jubel darüber, daß er mich schon einige Tage früher sah, als er erwartet, hatte, so muß ich annehmen, etwas Ansteckendes Bah! Meinem eigenen Tagebuche darf ich schon die Wahrheit bekennen! Aus einen Augenblick vergaß selbst ich ebenso vollständig wie er die ganze Welt außer uns beiden. Mir wars, als sei ich wieder sechzehn Jahre alt, bis ich mich plötzlich des Burschen unten im Fiaker erinnerte; da war ich auf der Stelle wieder fünfunddreißig.

Sein Gesicht veränderte sich, als er hörte, wer unten sei und was ich von ihm verlange; er sah nicht zornig, sondern vielmehr bekümmert aus. Doch gab er bald nicht etwa meinen Ueberzeugungsgründen, denn solche bot ich ihm gar nicht, sondern meinen Bitten nach. Seine alte Liebe zu seinem Freunde mochte möglicherweise dazu beitragen» daß er sich gegen seinen Willen überreden ließ; meine Ansicht ist indeß die, daß ihn hauptsächlich seine Liebe zu mir bestimmte.

Ich wartete in seinem Wohnzimmer, während er nach dem Fiaker hinunterging; deshalb weiß ich nichts von dem, was zwischen ihnen geschah, als sie einander wiedersahen. Aber welch ein Unterschied zwischen den Beiden, als sie zusammen zu mir hinaufkamen. Beide waren sie bewegt, doch in so verschiedener Weise! Der verhaßte Armadale so laut und plump und roh, der liebe, liebenswürdige Midwinter so blaß und ruhig, mit so sanfter Stimme, wenn er sprach, und solcher Zärtlichkeit im Blick, wenn dieser sich mir zuwandte. Armadale übersah mich so vollkommen, als ob ich gar nicht ins Zimmer gewesen wäre. Er dagegen wandte sich in der Unterhaltung fortwährend zu mir; er blickte, wie ich in meinem Winkel dasaß und sie beobachtete, beständig nach mir hin, um zu sehen, was ich dächte; er wollte mich durchaus nach meiner Wohnung begleiten, um mir alle Mühe mit dem Fiakerkutscher und dem Gepäck abzunehmen. Als ich dies dankend ausschlug, zeigte sich in Armadales Gesicht eine unverhohlene Zufriedenheit über die Aussicht, seinen Freund, sobald ich den Rücken gewendet, für sich haben zu können. Als ich fortging, saß er mit seinen weit vor sich auf dem Tische hingespreizten Armen da und schrieb einen Brief (ohne Zweifel an Miß Milroy) und schrie dem Kellner zu, daß er ein Schlafzimmer im Hotel zu haben wünsche. Natürlich hatte ich darauf gerechnet, daß er in demselben Gasthofe bleiben, in dem er seinen Freund finden würde. Es freute mich, meine Erwartungen sich erfüllen zu sehen und zu wissen, daß ich ihn jetzt so gut wie unter meiner Aufsicht habe.

Nachdem ich Midwinter versprochen, ihn wissen zu lassen, wo er mich morgen sehen könne, fuhr ich im Fiaker fort, um mir allein eine Wohnung zu suchen.

Nach einiger Mühe ist es mir geglückt, mir in diesem Hause, wo die Leute mir alle fremd sind, ein erträgliches Wohn- nebst Schlafzimmer zu verschaffen. Nachdem ich die Miethe auf eine Woche vorausbezahlt, denn ich zog dies natürlich etwaigen Erkundigungen über mich vor, finde ich, daß mir gerade noch drei Schillinge und neun Pence übrig bleiben. Unmöglich kann ich Midwinter um Geld bitten, da er schon Mrs. Oldershaw’s Wechsel gezahlt hat. Ich muß morgen meine Uhr und Kette versetzen; ich brauche ja nicht mehr, als was ich auf vierzehn Tage bedarf. Bis dahin oder schon früher wird Midwinter mich geheirathet haben.

Den 29. Juli. Zwei Uhr. Heute ganz früh ließ ich Midwinter durch eine Zeile wissen, daß er mich heute Nachmittag um drei Uhr hier treffen werde. Darauf widmete ich den Vormittag zwei Geschäften. Das erste verdient kaum erwähnt zu werden, es bestand nur im Versetzen meiner Uhr und Kette. Ich erhielt mehr dafür, als ich erwartet hatte, und mehr, selbst wenn ich mir inzwischen eine kleine wohlfeile Sommergarderobe kaufe, als ich aller Wahrscheinlichkeit nach bis zum Hochzeitstage werde ausgeben müssen.

 

Das zweite Geschäft war von weit ernsterer Beschaffenheit. Es führte mich nach einer Advocatenexpedition.

Ich wußte gestern Abend sehr wohl, obgleich ich zu müde war, es in meinem Tagebuche zu bemerken, daß ich Midwinter unmöglich heute Morgen werde sehen können, ohne in unserer gegenwärtigen Beziehung zu einander mir wenigstens den Anschein zu geben, als ob ich ihn über mich und meine Verhältnisse ins Vertrauen zöge. Einen einzigen Punkt ausgenommen, den ich ja nicht aus dem Auge verlieren darf, hindert mich durchaus nichts daran, meine Erfindungsgabe auszubeuten und ihm irgend eine beliebige Geschichte aufzutischen, denn bis jetzt habe ich noch Niemand irgend welche Geschichte erzählt. Was die Milroys betrifft, so konnte ich sie, da ich ihnen die übliche Empfehlung gebracht, glücklicherweise hinsichtlich aller Dinge, die sich ausschließlich auf mich bezogen, mir fern halten, und Midwinter begab sich nach London, ehe es möglich war, den Gegenstand zur Sprache zu bringen. Endlich, als ich auf der Rampe vor seinem Hause meine Aussöhnung mit Armadale bewerkstelligte, hatte dieser die wahnsinnige Großmuth, keinerlei Erklärung oder Vertheidigung meines Charakters von mir zu verlangen. Nachdem ich mein Bedauern darüber ausgedrückt, daß ich meine Selbstbeherrschung verloren und Miß Milroy gedroht, und dann seine Versicherung erhalten hatte, daß Milroy nie daran gedacht, mir ein Unrecht zuzufügen, war er viel zu großmüthig um ein Wort über meine eigenen Angelegenheiten anhören zu wollen. So, bin ich in keiner Weise durch frühere selbst gemachte Angaben gebunden und darf somit irgend eine mir beliebige Geschichte erfinden, mit Berücksichtigung des einen Punktes, dessen ich so eben gedacht. Die Rolle, in der ich in Thorpe-Ambrose auftrat, muß ich, welche sonstigen Erdichtungen ich mir auch gestatte, beibehalten, denn bei der Anrüchigkeit, die meinem andern Namen anhaftet, bleibt mir nichts Anderes übrig, als Midwinter unter meinem Mädchennamen Miß Gwilt zu heirathen.

Diese Erwägung führte mich zum Advocaten. Ich fühlte, daß ich mich, ehe ich Midwinter wiedersähe, darüber unterrichten müsse, welche unangenehmen Folgen es nach sich ziehen könne, wenn ich, eine Wittwe, mich verheirathete, ohne meinen Wittwennamen anzugeben.

Da mir kein anderer Sachwalter bekannt war, dem ich mich anvertrauen durfte, ging ich dreist zu dem Advocaten, der mein Interesse zu jener fürchterlichen Zeit meiner Vergangenheit vertreten hatte, an die zu denken ich mehr als je zu schaudern Grund habe. Er war erstaunt und, wie ich deutlich sehen konnte, nichts weniger als angenehm überrascht, mich zu sehen. Kaum hatte ich die Lippen geöffnet, als er schon sagte, er hoffe, ich sei nicht gekommen, um ihn nochmals (mit großem Nachdruck auf diesem Wort) für mich selbst zu Rathe zu ziehen. Ich benutzte den Wink und richtete die Frage, die mich zu ihm geführt, im Interesse jener bei solchen Gelegenheiten so bequemen Person einer abwesenden Freundin an ihn. Natürlich durchschaute dies der Advocat sofort, aber war schlau genug, sich meine Freundin seinerseits zu Nutze zu machen. Aus Höflichkeit für eine Dame, sagte er, die durch mich repräsentiert werde, wolle er die Frage beantworten; doch müsse er dabei die Bedingung stellen, daß diese Berathung mit ihm durch Stellvertretung nicht weiter bekannt gegeben würde.

Ich ging die Bedingung ein, denn ich achtete ihn wirklich um der schlauen Art und Weise willen, in der er mich fern zu halten wußte, ohne die gebührende Höflichkeit gegen eine Dame zu verlegen. In zwei Minuten hörte ich, was er zu sagen hatte, begriff es ohne Mühe und verließ ihn wieder.

So kurz sie gewesen, hatte die Besprechung doch hingereicht, mich von alledem zu unterrichten, was ich gern wissen wollte. Ich riskiere nichts, wenn ich Midwinter unter meinem Mädchennamen heirathe und meinen Wittwennamen verschweige. Die Heirath ist insofern völlig gültig, als sie nur ungültig gemacht werden kann, wenn mein Mann den Betrug entdeckt und noch während meiner Lebenszeit gerichtliche Schritte thut, die Heirath für null und nichtig zu erklären. So lautete die Antwort des Advocaten in seinen eigenen Worten. Sie befreit mich sofort, in dieser Beziehung wenigstens, von aller Sorge für die Zukunft. Der einzige Betrug, den mein Gatte je entdecken wird, und zwar nur dann, wenn er zufällig zur Stelle ist, ist der, welcher mir Stellung und Einkünfte von Armadale’s Wittwe verleiht, und bis dahin werde ich selbst seine Heirath für immer ungültig gemacht haben.

Halb drei! In einer halben Stunde wird Midwinter hier sein. Ich muß meinen Spiegel fragen, wie ich aussehe. Ich muß meine Erfindungsgabe auffrischen und meine kleine Familiengeschichte erdichten. Bin ich ängstlich dabei? Die Stelle, wo ehedem mein Herz zu sein pflegte, zittert mir etwas – mit fünfunddreißig Jahren und nach einem Leben, wie das meinige gewesen ist!

Sechs Uhr. So eben ist er fortgegangen. Der Tag unserer Heirath ist bereits festgesetzt.

Ich habe zu ruhen und mich zu sammeln versucht, allein ich kann nicht ruhen. Ich kehre zu diesen Blättern zurück. Seit Midwinter hier war, ist Vieles passirt, was mich nahe angeht und deshalb hier verzeichnet werden muß.

Ich will mit dem anfangen, woran ich am wenigsten gern denken mag, um desto schneller darüber hinwegzukommen, mit dem erbärmlichen Lügengewebe, das ich ihm über meine häuslichen Leiden zurecht gemacht habe.

Was ist nur das Geheimniß der Macht, die dieser Mensch über mich besitzt? Wie kommt es, daß er mich so verändert, daß ich mich selbst nicht mehr kenne? Gestern im Eisenbahnwaggon mit Armadale war ich noch ganz ich selbst. Sicherlich war es doch etwas Schauerliches, während jener ganzen Reise mit jenem lebendigen Menschen zu plaudern und das beständige Bewußtsein zu haben, daß ich seine Wittwe werden will, und dennoch war ich nichts weiter als aufgeregt. Während der langen Stunden schauderte ich keinen Augenblick zurück, mit Armadale zu sprechen, und die erste erbärmliche kleine Unwahrheit, die ich Midwinter sagte, machte mich innerlich erstarren, als ich sah, daß er sie glaubte! Ich fühlte ein fürchterliches hysterisches Würgen im Halse, als er mich bat, nicht von meinen Leiden zu sprechen. Und einmal – mir graust, wenn ich daran denke – einmal, als er sagte: »Wenn es möglich wäre, daß ich Dich noch inniger lieben könnte, so würde ich dies jetzt thun«, war ich kein Haarbreit davon entfernt, mich selbst zu verrathen. Ich war auf dem Punkte, auszurufen: »Lügen! Nichts als Lügen! Ich bin ein Teufel in Frauengestalt! Heirathe das jämmerlichste Geschöpf, das in den Straßen umherschleicht, und Du wirst immer noch ein besseres Weib heirathen, als ich bin!« Ja, so erschütterte es mich, als ich seine Augen feucht werden sah und seine Stimme beben hörte, während ich ihn belog. Hunderte von schönem, Hunderte von gescheidtern Männern habe ich gesehen. Was kann dieser Mensch in mir erweckt haben? Ist es Liebe? Ich glaubte geliebt zu haben, um niemals wieder zu lieben. Oder liebt ein Weib etwa nicht, wenn es die Härte eines Mannes ins Wasser treibt? Zu solcher Verzweiflung hat mich einst ein Mann getrieben. Kam all mein damaliges Elend von etwas, das nicht Liebe war? Habe ich bis zu meinem fünfunddreißigsten Jahre gelebt, um erst jetzt zu erfahren, was wirklich Liebe ist? Jetzt, wo es zu spät ist? Lächerlich! Und wozu nützt übrigens das Fragen? Was weiß ich davon? Was weiß überhaupt je ein Weib davon? Je mehr wir darüber nachsinnen, desto mehr täuschen wir uns. Ich wollte, ich wäre als ein Thier in die Welt gekommen. Dann wäre meine Schönheit mir vielleicht von einigem Nutzen gewesen, sie hätte mir vielleicht einen guten Herrn verschafft.