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Armadale

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Es war ein so langer Sommertag und ich war meiner eigenen Gesellschaft so überdrüssig. Zuerst ging ich an meine Reisekoffer. Ich ordnete zunächst den großen Koffer, den ich meistens offen lasse, und dann ging ich an den kleinen, den ich stets verschließe.

Vom Einen zum Andern kam ich endlich zu dem Paket von Briefen am Boden des Koffers, den Briefen des Mannes, für den ich einst Alles geopfert und erduldet habe, des Mannes, der mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Wohl hundertmal habe ich seine Briefe verbrennen wollen, aber ich habe es nie gethan. Diesmal sagte ich blos: »Ich will seine Briefe nicht lesen!« Und dann las ich sie.

Der Schurke! Der falsche, feige, herzlose Schurke! Was habe ich noch mit seinen Briefen zu schaffen? O des Jammers, ein Weib zu sein! O der Schmach, daß unsere Erinnerung an einen Mann uns verlocken kann, wenn doch unsere Liebe zu ihm todt und dahin ist! Ich las die Briefe, ich fühlte mich so einsam und unglücklich, daß ich die Briefe las.

Ich kam zu dem letzten, dem Briefe, den er schrieb, um mich zu ermuthigen, als die fürchterliche Zeit immer näher und näher heranrückte, dem Briefe, der mich wieder neu belebte, als in der elften Stunde mein Entschluß wankend geworden war. Ich las ihn Zeile für Zeile und kam zu folgenden Worten:

»Mit derlei Albernheitem wie Du sie mir geschrieben, habe ich wirklich keine Nachsicht Du sagst, ich treibe Dich zu etwas an, das den Muth eines Weibes übersteigt. Thue ich das? Ich könnte Dich an eine Sammlung von Gerichtsverhandlungen in England sowohl als im Auslande beweisen, um Dir zu zeigen, daß Du völlig im Irrthume bist, aber eine solche Sammlung mag Dir. nicht erreichbar sein; deshalb verweise ich Dich auf einen Fall in der gestrigen Zeitung. Die Umstände sind gänzlich verschieden von den unserigen, allein das Beispiel von der Entschlossenheit eines Weibes ist Deiner Beachtung Werth.

Unter den Criminalberichten wirst Du den Fall einer Frau finden, die sich fälschlicherweise als die vermißte Wittwe des Kapitäns eines Handelsschiffs ausgab, den man ertrunken glaubte. Der Name ihres lebenden Gatten und der des Kapitäns dessen Taufname sowohl als sein Familienname ein sehr gewöhnlicher, waren zufälligerweise genau dieselben. Glückte der Betrug, so war Geld dadurch zu erlangen, dessen ihr Gatte, dem sie mit großer Hingebung zugethan war, aufs dringendste bedurfte. Die Frau nahm Alles auf sich. Ihr Gatte war krank und hiilflos und ward von den Gerichtsdienern gesucht. Die Umstände verhielten sich, wie Du selbst lesen kannst, alle zu ihren Gunsten und sie hatte sich dieselben so geschickt zu Nutze gemacht, daß die Rechtsgelehrten selbst eingestanden, es hätte ihr gelingen, müssen, wäre nicht der angeblich Ertrunkene plötzlich gesund und lebendig zum Vorschein gekommen, um sich ihr gerade im rechten Augenblicke gegenüberzustellen. Der Auftritt fand in einer Advocatenexpedition statt und ward im Gerichtssaale zur Evidenz gebracht. Die Frau war schön und der Seekapitän ein gutherziger Mensch. Wenn die Juristen es ihm gestattet, hätte er sie gern frei ausgehen lassen. Er sagte unter Anderm zu ihr: »Sie haben nicht erwartet, daß ein Ertrunkener frisch und lebendig wieder zum Vorschein kommen kann, nicht wahr Madame?« – »Es ist ein Glück für Sie«, erwiderte sie, »daß ich dies nicht erwartet. Sie sind dem Meere entwischt, mir wären Sie nicht entwischt.« – »Wie, was würden Sie gethan haben, wenn Sie gewußt, daß ich zurückkommen werde?« sagte der Seekapitän. Sie sah ihm fest ins Gesicht und erwiderte: »Ich würde Sie getödtet haben.« Da! Meinst Du, ein solches Weib würde mir geschrieben haben, ich treibe sie weiter, als sie Muth habe zu gehen? Noch dazu ein schönes Frauenzimmer, wie Du!«

Weiter las ich nicht. Als ich Zeile für Zeile bis zu diesen Worten gelesen, ward es mir plötzlich wie durch Blitzeshelle klar. In einer Sekunde sah ich es so deutlich, wie ich es jetzt sehe. Es ist fürchterlich, es ist unerhört, es ist verwegener als alles Verwegene, aber kann ich mich nur zu einer grausigen Nothwendigkeit stählen, so läßt sich’s thun. Ich kann mich als die reich versorgte Wittwe von Allan Armadale von Thorpe-Ambrose ausgeben, falls ich mit Sicherheit zu einer gegebenen Zeit auf Allan Armadale’s Tod rechnen darf.

Dies ist, mit deutlichen Worten, die fürchterliche Versuchung, der ich jetzt zu erliegen beginne. Sie ist in mehr als einer Hinsicht eine fürchterliche, denn sie ist aus jener andern Versuchung entsprungen, der ich ehedem erlag.

Ja, dort hat der Brief im Koffer gewartet, um einem Zwecke zu dienen, an den der Schurke, der ihn schrieb, niemals gedacht hat. Dort ist der Fall, wie er es nennt, nur citirt, um mich zu; höhnen, völlig verschieden von meinem eigenen derzeitigen Falle; dort hat er gelegen und gewartet und mir während aller Wechsel meines Lebens ausgelauert, bis er sich endlich meinem Falle angepaßt hat.

Das dürfte jedes Weib erschreckem und selbst dies ist noch nicht das Schlimmste. Die ganze Geschichte hat schon seit mehreren Tagen in meinem Tagebuche gestanden, ohne daß ich es gewahr geworden, bin. Jede müßige Idee, die mir entschlüpfte hat heimlich nach jener Richtung gewiesen. Und ich sah es nicht, ahnte es nicht eher, als bis der Brief da mir meine eigenen Gedanken in einem neuen Lichte zeigte, bis ich plötzlich in den besondern Umständen des Falles jenes Frauenzimmers den Schatten meiner eigenen Lage widergespiegelt sah.

Es läßt sich also machen, wenn ich nur der Nothwendigkeit ins Gesicht blicken kann. Es läßt sich machen, wenn ich zu einer bestimmten Zeit auf Allan Armadales Tod rechnen kann.

Außer diesem seinem Tode ist Alles leicht. Alle die Ereignisse, über die ich mich seit mehr als einer Woche fortwährend in blinder Wuth geärgert, haben sich – obgleich ich zu dumm war, dies einzusehen – sammt und sonders zu meinen Gunsten gestaltet, Ereignissg die mir immer besser den Weg zum Ziele bahnen.

Mit drei kühnen Schritten – nur dreien! – wäre dieses Ziel zu erreichen. Midwinter heirathet mich heimlich unter seinem wahren Namen – erster Schritt! Armadale verläßt Thorpe-Ambrose als unverheiratheter Mann und stirbt in der Ferne unter Fremden – zweiter Schritt!

Warum zaudere ich? Warum nicht auch den dritten und letzten Schritt nennen?

Ich will fortfahren. Der dritte und letzte Schritt ist, sobald sich die Nachricht von Armadale’s Tode hier in der Umgegend verbreitet hat, mein Auftreten als Armadale’s Wittwe, mit meinem Heirathsscheine in der Hand, um mein Anrecht geltend zu machen. Es ist so klar wie die Sonne um Mittag. Dank der vollkommenen Namengleichheit und Dank der Sorgfalt, womit diese geheim zu halten ist, kann ich die Gattin des schwarzen Allan Armadale werden, ohne daß außer ihm und mir irgend ein Mensch etwas davon weiß, und eben vermöge dieser Stellung kann ich die Rolle der Wittwe des blonden Armadale spielen und in der Gestalt meines Heirathsscheins den Beweis für meine Angabe beibringen, der den ungläubigsten Menschen Von der Welt überzeugen muß.

Und daß dies Alles in meinem Tagebuche gestanden haben mußl Daß ich wirklich diese Situation im Auge gehabt und dennoch zur Zeit nichts darin gesehen haben sollte als, wenn ich Midwinter heirathete, einen Grund meiner Einwilligung, unter dem angenommenen Namen meines Gatten in der Welt zu erscheinen!

Was schreckt mich ab? Die Furcht vor Hindernissen? Die Furcht vor Entdeckung?

Wo sind die Hindernisse? Wo ist die Gefahr einer Entdeckung?

In der ganzen Nachbarschaft hat man mich im Verdacht, daß ich allerlei Ränke schmiede, um Mrs. Armadale von Thorpe-Ambrose zu werden. Ich bin die einzige Person, welche die Richtung seiner Neigung wirklich kennt. Bis jetzt weiß noch keine Seele etwas von seinen Morgenzusammenkünften mit Miß Milroy. Ist es nothwendig, sie zu trennen, kann ich dies zu jeder Zeit vermittelst eines anonymen Briefes an den Major bewirken. Ist es ferner nothwendig, Armadale aus Thorpe-Ambrose zu entfernen, so kann ich dies in drei Tagen bewerkstelligen. Als ich ihn das letzte Mal sprach, hat er mir mit eigenem Munde gesagt, er würde ans Ende der Welt gehen, um sich wieder mit Midwinter zu versöhnen, wenn Midwinter dazu bereit sei. Ich brauche Midwinter nur zu befehlen, von London aus an ihn zu schreiben und um Versöhnung zu bitten, und Midwinter würde mir gehorchen und Armadale würde nach London reisen. So ist mir gleich anfangs jede Schwierigkeit leicht gemacht. Mit jeder spätern kann ich allein fertig werden. Bei dem ganzen Wagnisse, wie verzweifelt es – immer aussehen mag, daß ich mich für die Wittwe des einen Mannes ausgeben will, während ich die Gattin eines andern bin. ist nichts zweimal in Erwägung zu ziehen als die eine gräßliche Nothwendigkeit von Armadales Tode.

Sein Tod! Für jedes andere Weib dürfte dies eine fürchterliche Nothwendigkeit sein, aber ist es das, sollte es das wohl für mich sein?

Ich hasse ihn um seiner Mutter willen; ich hasse ihn um seiner selbst willen. Ich hasse ihn, weil er hinter meinem Rücken nach London gereist ist, um sich nach mir zu erkundigen. Ich hasse ihn, weil er mich aus meiner Stelle vertrieben hat, ehe ich diese noch aufgeben wollte. Ich hasse ihn, weil er alle meine Hoffnung auf eine Heirath mit ihm zerstört und mich hilflos in ein elendes Leben zurückstößt. Aber o! nach Allem, was ich bereits früher gethan habe, wie kann ich es? Wie kann ich es?

Das Mädchen, das sich zwischen uns gedrängt hat, das ihn mir entrissen, das mich noch heute öffentlich beschimpft hat – wie sie, die ihr Herz an ihn gehangen hat, es fühlen würde, wenn er stürbe! Welche Rache an ihr, wenn ich es thäte! Und wenn ich als Armadale’s Wittwe empfangen würde, welch ein Triumph für mich! Triumph! Mehr als ein Triumph – meine Rettung. Ein Name und eine Stellung, die unangreifbar sind und in denen ich mich vor meiner Vergangenheit verstecken kann! Comfort, Luxus, Reichthum! Ein sicheres Einkommen von zwölfhundert Pfund das Jahr, das mir nach dem gerichtlich gemachten Testamente zufällt und durch nichts zu bestreiten und anzugreifen ist! Noch nie habe ich zwölfhundert Pfund das Jahr gehabt. In meiner glücklichsten Zeit hatte ich noch nicht die Hälfte dieser Summe für mich. Was besitze ich jetzt? In der ganzen Welt nur fünf Pfund und für die nächste Woche die Aussicht aufs Schuldgefängniß.

 

Aber! o nach Allem, was ich schon früher gethan habe, wie kann ich es? Wie kann ich es?

Manche Frauen an meiner Stelle und mit meinen Erinnerungen würden anders darüber denken. Manche würde sagen: »Das zweite Mal ist’s leichter als das erste. Warum kann ich’s nicht? Warum kann ich’s nicht?«

O du Teufel, der du mich verfuchst – ist kein Engel in der Nähe, der zwischen heute und morgen ein Hinderniß aufrichten könnte. das mich abbrächte an meinem Vorhaben?

Ich werde darunter erliegen, ich werde erliegen, wenn ich noch länger darüber schreibe oder daran denke! Ich will das Buch schließen und wieder ausgehen. Ich will irgend eine gewöhnliche Person mitnehmen und mich von gewöhnlichen Dingen mit ihr unterhalten. Ich will die Hauswirthin und ihre Kinder mitnehmen. Wir wollen an irgend einen öffentlichen Vergnügungsort gehen. Es ist eine Schaubude in der Stadt, wo es etwas zu sehen gibt, ich weiß nicht was, dorthin will ich sie führen. Ich bin kein bösherziges Frauenzimmer, wenn ich nur will, und die Hauswirthin ist wirklich freundlich gegen mich gewesen. Ich könnte doch sicherlich mein Gemüth ein wenig beschäftigen, wenn ich sähe, wie sie und die Kinder sich ergötzen.

Vor einer Minute machte ich dieses Buch zu, wie ich es beschlossen hatte, und jetzt habe ich es wieder geöffnet und weiß nicht warum. Ich glaube, ich werde verrückt. Mir ist, als ob ich etwas aus meinem Geiste verloren hätte; mir ist, als müßte ich es hier wiederfinden.

Ich habe es gefunden! Midwinter!!!

Ist es möglich, daß ich mich seit einer Stunde mit den Gründen dafür und dawider habe beschäftigen, einmal über das andere Midwinter’s Namen schreiben, ernstlich daran denken können, ihn zu heirathen, ohne mich ein einziges Mal daran zu erinnern, daß, selbst wenn jedes andere Hinderniß aus dem Wege geräumt wäre, wenn der Augenblick käme, er allein mir zum unübersteiglichen Hinderniß werden würde? Hat die Anstrengung, die es mich gekostet, der Nothwendigkeit von Armadale’s Tode ins Antlitz zu sehen, mich in solchem Grade in Anspruch genommen? Wahrscheinlich. Sonst kann ich eine an mir so erstaunliche Vergessenheit nicht erklären.

Soll ich bleiben und die Sache durchdenken, wie ich alles Uebrige durchdacht habe? Soll ich mich mit der Frage aufhalten, ob Midwintey wenn der Augenblick käme, wirklich ein so unübersteigliches Hinderniß sein würde, wie es augenblicklich den Anschein hat? Nein! Wozu noch daran denken? Ich habe mich entschlossen, der Versuchung zu widerstehen. Ich habe beschlossen, meiner Wirthin und ihren Kindern ein Vergnügen zu machen. Ich habe beschlossen, mein Tagebuch zuzumachen und zugemacht soll es werden.

Sechs Uhr. Das Geplapper der Wirthin ist unerträglich; ihre Kinder bringen mich von Sinnen. Ich habe sie verlassen, um zurückzueilen und noch vor Abgang der Post eine Zeile an Mrs. Oldershaw zu schreiben.

Die Furcht, daß ich der Versuchung erliegen werde, bemächtigt sich meiner immer mehr. Ich will es mir unmöglich zu machen suchen, meinem eigenen Willen zu folgen. Zum ersten Male, seit ich sie kenne, soll Mutter Oldershaw meine Retterin sein. Sie droht mir, wenn ich meinen Wechsel nicht einlösen kann, mit Einsperrung Nun, sie soll mich einsperren. In meinem gegenwärtigen Gemüthszustande kann mir nichts Besseres geschehen, als daß ich aus Thorpe-Ambrose hinweggeholt werde, ob mir’s nun gefällt oder nicht. Ich will schreiben, daß ich hier zu finden bin. Ich will ihr mit deutlichen Worten sagen, daß sie mir keinen bessern Dienst leisten kann, als wenn sie mich einsperrt!

Sieben Uhr. Der Brief ist zur Post. Ich begann mich ein wenig ruhiger zu fühlen, als die Kinder kamen, mir für das ihnen geschenkte Vergnügen zu danken. Eins ist ein Mädchen und dies warf meine ganze Fassung über den Haufen. Sie ist ein dreistes Kind, und ihr Haar gleicht dem meinigen. Sie sagte: »Ich werde aussehen, wie Sie, wenn ich groß werde, nicht wahr?« Ihre blödsinnige Mutter sagte: »Bitte, entschuldigen Sie sie, Miß«, und führte sie lachend aus dem Zimmer. Wie ich! Ich behaupte nicht, daß ich das Kind lieb habe, aber man denke nur, daß es mir ähnlich ist!

Sonnabend Morgen. Diesmal habe ich wohl gethan, nach meinem Impulse zu handeln und an Mrs. Oldershaw zu schreiben, wie ich es gethan. Das einzige neue Ereigniß, das sich zugetragen, ist abermals ein Ereigniß, das mir zu statten kommt.

Major Milroy hat auf Armadales Brief, in dem dieser ihn um Erlaubniß gebeten, nach dem Parkhäuschen kommen und sich rechtfertigen zu dürfen, geantwortet. Seine Tochter las die Antwort schweigend, als Armadale ihr dieselbe heute Morgen bei ihrer heimlichen Zusammenkunst im Park überreichte. Daraus aber unterhielten sie sich laut genug darüber, daß ich sie hören konnte. Der Major bleibt bei dem von ihm eingeschlagenen Verfahren. Er sagt, er habe sich seine Ansicht über Armadales Betragen nicht nach gewöhnlichen Gerüchten, sondern nach Armadales eigenen Briefen gebildet und sehe keinen Grund, die Meinung zu ändern, zu der er am Schlusse ihrer Correspondenz gelangt sei.

Dieser kleine Umstand war mir entfallen, wie ich bekennen muß. Die Sache hätte ein sehr fatales Ende für mich nehmen können. Hätte Major Milroy weniger hartnäckig an seiner Meinung festgehalten, so hätte Armadale sich rechtfertigen können; die Verlobung wäre anerkannt und damit all meinem Einflusse auf die Sache ein Ziel gesetzt worden. So aber müssen sie ihr Verhältnis; nach wie vor streng geheim halten, und Miß Milroy, die sich seit dem Gewitter nie wieder in die Nähe des Herrnhauses gewagt hat, wird sich jetzt weniger denn je dorthin wagen. Sobald es mir beliebt, kann ich das Pärchen trennen – durch eine anonyme Zeile an den Major kann ich sie trennen, sobald es mir beliebt!

Nachdem sie über den Brief gesprochen, begannen sie sich über das zu unterhalten, was sie zunächst thun sollten. Wie sich bald herausstellte, führte des Majors Strenge das gewohnte Resultat herbei. Armadale kam wieder auf eine Entführung zurück, und diesmal hörte sie ihn an. Alles vereinigt sich, sie dazu zu treiben. Ihre Garderobe ist beinahe fertig, und die Sommerferien der Pensionsschule, die man für sie gewählt hat, gehen mit nächster Woche zu Ende. Als ich sie verließ, hatten sie beschlossen. sich am nächsten Montag wieder am selben Orte einzufrnden und dann das Weitere zu verabreden.

Die letzten Worte, die ich ihn sagen hörte, ehe ich fortging, ergriffen mich ein wenig. Er sagte: »Eine Schwierigkeit wenigstens existirt für uns nicht, Neelie. Geld habe ich genug« Und dann küßte er sie. Der Weg zu seinem Tode erschien mir ebener, als er von seinem Gelde sprach und sie küßte.

Einige Stunden sind verstrichen, und je mehr ich daran denke, desto mehr fürchte ich mich vor der öden Zwischenzeit, die bis zu dem Augenblicke vergehen muß, wo Mrs. Oldershaw das Gesetz zu Hilfe ruft und mich vor mir selbst schützt. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich heute Morgen zu Hause geblieben. Aber wie konnte ich dies? Nach der Beschimpfung, die ich gestern von ihr erlitten, zuckte es mir in allen Gliedern, zu kommen und sie anzusehen.

Heute, Sonntag, Montag, Dienstag. Sie können nicht eher als Mittwoch kommen, mich festzunehmen. Und meine armseligen fünf Pfund schmelzen auf vier zusammen! Und er sagte ihr, Geld habe er genug! Und sie erröthete und zitterte, als er sie küßte! Es dürfte besser für ihn und für sie und für mich gewesen sein, wäre mein Wechsel schon gestern fällig gewesen und hätte »ich mich heute bereits in den Händen der Gerichtsdiener befunden.

Gesetzt, ich besäße die Mittel, mit dem nächsten Zuge Thorpe-Ambrose zu verlassen, ins Ausland zu reisen und mich unter neuen Menschen in neue Interessen zu vertiefen, könnte ich dies nicht lieber thun, anstatt noch ferner an den Weg zu seinem Tode zu denken, der alles Andere glatt und leicht machen soll?

Wohl möglich. Aber wo soll das Geld herkommen? Vor ein paar Tagen hatte ich doch eine Idee, wie ich es mir verschaffen könne? Ja, jene erbärmliche Idee, Armadale um Hülfe zu bitten! Nun, ich will einmal kleinlich handeln. Ich will ihm die Gelegenheit geben, einen großmüthigen Gebrauch von jener wohlgefüllten Börse zu machen, die ihm unter den gegenwärtigen Umständen solchen Trost gewährt. Wenn er mir in meiner jetzigen großen Noth Geld liehe, das würde mein Herz für jeden Mann erweichen, und wenn Armadale mir Geld liebe, so dürfte dies mein Herz auch für ihn erweichen. Wann soll ich zu ihm gehen? Sogleich! Ich will mir keine Zeit lassen, um die Erniedrigung zu empfinden und andern Sinnes zu werden.«

Drei Uhr.Ich merke mir die Stunde. Er hat selbst sein Urtheil gesprochen. Er hat mich insultirt.

Ha! Ich habe es einmal pon Miß Milroh erlitten und jetzt zum zweiten Male von Armadale selbst. Eine Beleidigung, eine unverkennbare, unbarmherzige, berechnete Beleidigung am hellen lichten Tage!

Ich war durch die Stadt gegangen und so eben auf dem Fahrwege angelangt, der nach dem Gutshause führt, als ich Armadale in geringer Entfernung mir entgegenkommen sah. Er schritt schnell daher, offenbar in eigenen Geschäften nach der Stadt eilend. Sowie er meiner ansichtig wurde, blieb er stehen, erröthete, nahm seinen Hut ab, zögerte und bog in einen Rabenweg hinter ihm ein, von dem ich zufälligerweise weiß, daß er ihn in eine seinem Wege direct entgegengesetzte Richtung führte. Sein Benehmen sagte deutlich, wie mit Worten: »Miß Milroy könnte es erfahren; ich darf mich nicht der Gefahr aussetzen, daß man mich mit Ihnen sprechen sieht» Die Plänner haben mich herzlos behandelt; die Männer haben mir harte Dinge gesagt und angethan, aber noch keiner hat mich behandelt, als ob ich die Pest hätte und sogar die Luft um mich her durch meine Gegenwart verunreinig wäre!

Weiter sage ich nichts. Als er von mir fort jenen Nebenweg hinabging, schritt er seinem Tode entgegen. Ich habe an Midwinter geschrieben, mich nächste Woche in London zu erwarten und sich bald nach meiner Ankunft zu unserer Heirath bereit zuhalten.

Vier Uhr. Vor einer halben Stunde schon setzte ich meinen Hut auf, meinen Brief an Midwinter selbst auf die Post zu tragen. Und da bin ich noch immer in meinem Zimmer, während mein Gemüth von Zweifeln gemartert wird und der Brief noch auf dem Tische liegt.

Armadale hat mit den Zweifeln, die mich jetzt plagen, nichts zu schaffen. Midwinter ist es, der mich zögern laßt. Kann ich den ersten der drei Schritte, die mich zum Ziele führen sollen, thun, ohne mit gewohnter Vorsicht die Folgen in Erwägung zu ziehen? Kann ich Midwinter heirathen, ohne vorher zu wissen, wie ich dem Hindernisse, das mein Gatte bietet, begegnen soll, wenn die Zeit kommt, die mich aus der Gattin des lebenden Armadale in die Wittwe des todten Armadale verwandeln soll?

Warum kann ich nicht daran denken, wenn ich doch weiß, daß ich daran denken muß? Warum kann ich dies nicht ebenso fest ins Auge fassen, wie ich es sonst mit allem Andern gethan habe? Ich fühle seine Küsse auf meinen Lippen, ich fühle seine Thränen auf meinem Busen, ich fühle mich wieder von seinen Armen umschlungen. Er ist weit entfernt in London und dennoch hier und will mich nicht daran denken lassen.

Warum kann ich nicht etwas warten? Warum kann ich mir nicht von der Zeit helfen lassen? Der Zeit? Es ist Sonnabend! Wozu sollte ich wohl daran denken, wenn ich nicht will? Heute geht keine Post nach London. Ich muß warten. Selbst wenn ich den Brief auf die Post gäbe, würde er doch nicht abgehen. Außerdem höre ich vielleicht morgen von Mrs. Oldershaw. Wohl sollte ich warten, bis ich von Mrs. Oldershaw gehört habe. Ich kann mich nicht als frei betrachten, bis ich weiß, was Mrs. Oldershaw zu thun gedenkt. Nothwendig muß ich bis morgen warten. Ich will meinen Hut abnehmen und den Brief in mein Pult schließen.

Sonntag Morgen. Ich kann nicht länger widerstehen! Die Umstände überwältigen mich. Sie kommen immer dichter und drängen mich alle nach derselben Richtung.

Ich habe die Antwort von Mutter Oldershaw. Das elende Geschöpf schmeichelt und kriecht vor mir. Ich sehe so deutlich, als wenn sie es eingestanden hätte, daß sie mich im Verdacht hat, mir meinen Erfolg in Thorpe-Ambrose ohne ihren Beistand sichern zu wollen. Da sie sieht, daß sie mit Drohungen nichts bei mir ausrichtet, so versucht sie es jetzt mit Schmeicheleien. Ich bin wieder ihre Herzens-Lydia! Es hat sie förmlich verletzt, daß ich glauben könne, sie wolle wirklich ihre Busenfreundin einsperren lassen, und erbittet es sich als eine persönliche Gunst, daß ich meinen Wechsel prolongire!

 

Ich wiederhole es, kein sterbliches Wesen vermöchte dem zu widerstehen! Einmal über das andere habe ich der Versuchung aus dem Wege zu gehen versucht, und einmal über das andere werde ich durch die Umstände wieder zu ihr zurückgetrieben. Ich kann den Kampf nicht länger fortsetzen Die Post, die heute Abend die Briefe abholt, soll auch den meinigen an Midwinter mitnehmen.

Heute Abend! Lasse ich mir Zeit bis heute Abend, so kann sich wieder etwas ereignen. Lasse ich mir bis heute Abend Zeit, so werde ich vielleicht wieder wankend. Ich bin der Qual der Unschlssigkeit überdrüssig. Ich muß und will mir für die Gegenwart Erleichterung verschaffen, was dies auch immer für die Zukunft kosten möge! Mein Brief an Midwinter wird mich verrckt machen, wenn er mich noch länger aus meinem Schreibpulte anstiert In zehn Minuten kann ich ihn auf die Post geben, und ich will’s!

Es ist geschehen. Der erste der drei Schritte, die mich dem Ziele zuführen, ist gethan. Mein Gemüth ist ruhiger – der Brief liegt auf der Post.

Morgen wird Midwinter ihn erhalten. Vor dem Ende der Woche muß man Armadale öffentlich Thore-Ambrose verlassen sehen und zwar in meiner Begleitung.

Habe ich mir die Folgen meiner Heirath mit Midwinter vergegenwärtigt? Nein!

Doch ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht daran denken! Habe ich nicht meinen freien Willen? Und kann ich nicht an etwas Anderes denken, wenn mir’s beliebt?

Da ist der speichelleckerische Brief der Mutter Iesabe. Das ist etwas Anderes für meine Gedanken. Ich will ihn beantworten. Ich bin in der Laune, um an Mutter Iesabel zu schreiben.«

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Schluß des Briefes von Miß Gwilt an Mrs. Oldershaw:

»Als ich abbrach, sagte ich Dir, daß ich zuvor mein Tagebuch befragen wolle, ob ich Dir mit Sicherheit anvertrauen könne, was ich jetzt zu thun im Sinne habe. Nun, ich habe es befragt, und mein Tagebuch antwortet: »Sage ihr nichts!« Unter diesen Umständen schließe ich meinen Brief mit meinen. besten Entschuldigungem daß ich Dich im Dunkeln lassen muß.

Vermuthlich werde ich binnen kurzem in London sein und Dir vielleicht dann mnsdlich mittheilen, was mir zu schreiben nicht sicher scheint. Doch mache ich Dir keine Versprechungen! Es kommt Alles drauf an, wie ich mich zur Zeit gegen Dich gestimmt fühle. Ich bezweifle Deine Verschwiegenheit nicht, aber ich bin mir (unter gewissen Verhältnissen) Deines Muthes nicht sicher.

L. G.

N. S. Besten Dank für Deine Erlaubniß, meinen Wechsel Verlängern zu dürfen. Ich schlage dies indessen aus. Das Geld wird bereit sein, sowie der Wechsel fällig ist. Ich habe einen Freund in London, der ihn bezahlen wird, wenn ich ihn darum ersuche. MöchtestDu wissen, wer dieser Freund ist? Du wirst noch wegen verschiedener anderer Dinge neugierig sein, Mrs. Oldershow, ehe noch viele Wochen über Deinem Haupte und dem meinigen dahingegangen sind.

Ende des vierten Bandes