Schneerose

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Schneerose
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Maya Shepherd

Schneerose

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Lia Green

Orlando Moundrell

Lia Green

Orlando Moundrell

Lindsay Sullivan

Mike Chapman

Mary Cromwell

Orlando Moundrell

Lia Green

Orlando Moundrell

Lia Green

Orlando Moundrell

Chasity Moundrell

Lia Green

Claudia le Boursier

Lia Green

Orlando Moundrell

Lia Green

Lindsay Sullivan

Vivienne Tussaud

Lia Green

Tru Wilson

Orlando Moundrell

Lia Green

Mary Cromwell

Tru Wilson

Orlando Moundrell

Lia Green

Mike Chapman

Mary Cromwell

Tru Wilson

Chasity Moundrell

33. Claudia le Boursier

Orlando Moundrell

Lia Green

Lindsay Sullivan

Mary Cromwell

Tru Wilson

Chasity Moundrell

Kain

Lia Green

Lilith

Lia Green

Quellenangaben

Das Copyright der Textauszüge aus Liedern liegt bei folgenden Rechteinhabern:

Ich danke…

Impressum neobooks

Prolog

Ihre Füße sind blutig und verbrannt von dem heiß glühenden Sand der Wüste. Die Sonne knallt auf ihren unbedeckten Kopf, sodass sich die Haut ihres nackten Körpers bereits zu schälen beginnt. Vor Wassermangel sind ihre Lippen gesprungen und aufgerissen. Sie wirkt dem Tode geweiht, doch der Schein trügt. Wie eine Schlange wirft sie nur ihre alte Haut ab, um in neuer Blüte wieder aufzuerstehen.

Aber selbst mit geschuppter Haut und kaum noch menschlichen Gesichtszügen würde ihr jeder Mann, der sie nur für den Bruchteil einer Sekunde erblickt, unwiderruflich verfallen. Einer Fata Morgana gleich würde er sich vor ihre verkohlten Füße werfen, bereit zu tun, was auch immer sie von ihm verlangt. Ohne wenn und aber. Doch sie würde nur an ihm vorbei gehen, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, während er vor Kummer und Sehnsucht nach ihr vergehen würde. Nicht ein Mann wird es je wieder wert sein, dass sie ihre blutroten Augen auf ihn richtet.

Verrat ist der treueste Begleiter des Mannes. Den Ersten verließ sie aus freien Stücken, weil er ihren Stolz brechen wollte, um sie sich zur willenlosen Sklavin zu machen. Der Zweite, der ohne sie nicht mehr über diese Welt wandeln würde, verstieß sie aus Angst ihr untertan zu sein. Sie nahm den Verlorenen auf, als er einsam war und gab ihm Nahrung, Wärme und Liebe. Eine Liebe, welche die Ewigkeit hätte überdauern können. Aber er zog die Unwürdigen ihr vor, weil er ihre Schönheit und Macht erkannte und wusste, dass er nie mit ihr gleichgestellt sein würde.

Es wäre ein Leichtes gewesen ihn auszulöschen, doch gebietet sie über die Zeit. Ihr Leben ist länger als das einer jeden anderen, warum sollte sie also sofort beenden, womit sie sich Jahrhunderte die Zeit vertreiben kann? Geduld ist eine Tugend über die nur die Wenigsten verfügen, doch sie kann warten. Sie wird sich im Verborgenen als stille Beobachterin halten, solange bis er anfängt sich in Sicherheit zu wiegen, denn vergessen könnte er sie nie. Niemand, der ihr je begegnet ist, könnte sie vergessen.

Getrieben von Hass setzt sie Tag und Nacht einen Schritt vor den anderen. Es bleibt ihr die Unendlichkeit, um ihre Rache zu planen. Und wenn sie dann eintritt, wird keiner sie erwarten, wodurch sie nur noch grausamer und erbarmungsloser sein wird.

Sie wird seine widerwärtige Schöpfung zerstören bis nicht mal mehr eine von seinen Kreaturen übrig bleibt, denn sie sind schwach und ohne Hoffnung. Anders als ihre Kinder, die vor Schönheit und Stärke erstrahlen werden. Sie sollen die wahren Bewohner der Erde sein. Perfekt bis ins kleinste Detail, mit einem Kopf, der zum Denken und Herrschen, und nicht nur zur Zierde da ist.

Als ihre Füße endlich den Strand des roten Meeres erreichen, zischt das Wasser als es sie berührt. Es verbrennt auf ihrer heißen Haut wie auf glühenden Kohlen und umflutet sie mit einem dampfenden Nebelschleier, während sie weiter in die See tritt. Der Dunst breitet sich über den gesamten Strand aus. Erst als sie den Ozean wieder verlässt, lichtet sich der Nebel. Ihr Haar erstrahlt feuerrot in der untergehenden Sonne und bildet einen Kontrast zu ihren smaragdgrünen Augen. Verschwunden ist die schuppige, verbrannte Haut, an derer statt sich neue gebildet hat, welche weicher und straffer ist als die eines neugeborenen Babys.

Die Göttin des Lebens ist erwacht, so jung wie die Welt selbst und erst wenn die Erde zerbricht, wird sie aufhören zu sein.

Lia Green

Ganz klein hat sie sich auf dem harten Stuhl gemacht und richtet ihren Blick stur gerade aus. In ihrem rechten Ohr steckt ein Kopfhörer aus dem, nur für sie hörbar, die ersten Töne von Metallicas „Nothing else matters“ dringen. Mit dem linken Ohr sollte sie eigentlich der Predigt ihres Geschichtslehrers über die Auswirkungen des ersten Weltkriegs zuhören, doch stattdessen lauscht sie jeder anderen leise gezischten Stimme in dem viel zu vollen Klassenzimmer, nur nicht Mr. Attkins. Durch ihren Platz in der letzten Reihe sieht sie wenigstens wenn die anderen Schüler sich, wie sie glauben, unauffällig zu ihr umdrehen, um dann miteinander zu tuscheln. Auch wenn sie, dank der Musik, nicht jedes Wort ihrer Gespräche mitbekommt, spürt sie doch immer ihre gehässigen Blicke auf sich. Sie legen sich wie ein Seil eng um ihren Hals und umschließen ihn gerade so feste, dass es unangenehm drückt und sie manchmal, wenn es all zu schlimm ist, nach Luft schnappen lässt, aber nie feste genug, um sie umzubringen.

Es ist eine Last, die sie täglich aufs Neue dazu bringt, sich überwinden zu müssen in die Schule zu gehen. Einmal ist sie bereits wegen zu vieler Fehlstunden sitzen geblieben. Wenn sie dieses Schuljahr wieder nicht schafft, schmeißt sie die Scarborough Grammar School endgültig raus und wenn sie von der Schule fliegt, fliegt sie auch Zuhause raus. Da hat ihr Vater keine Zweifel dran gelassen. Es interessiert ihn nicht warum sie nicht hingeht, er verlangt nur, dass sie hingeht. Sie muss nicht mal gut sein, sondern soll nur bestehen. Oft sagt er, dass ihm seine Arbeit auch keinen Spaß machen würde, aber er trotzdem hingehen müsse. Doch das fällt Lia schwer zu glauben, wenn sie sieht, wie oft ihr Vater beruflich unterwegs ist. Die Stunden, die er in der Woche daheim verbringt, kann sie an einer Hand abzählen.

 

„Hast du ihre Augenringe gesehen?“, tönt es von der Bank vor ihr, wobei Tracy eine ihrer blonden Locken um ihre in grellem Pink lackierten Fingernägel wickelt. Eine Duftwolke ihres zu starken Parfüms weht zu Lia und lässt ihre Augen brennen.

„Sie sieht aus wie 40“, gibt Tracys Busenfreundin Sarah zurück und schielt dabei abfällig über ihre Schulter zu Lia, die schnell den Kopf senkt und so tut als würde sie sich auf ihre Notizen konzentrieren, obwohl ihr Blatt leer ist. Das Parfüm ist so stark, dass ihr Kopf zu schmerzen beginnt.

„Verdammter Psycho! Die Typen wollen die doch auch nur für das Eine!“, zischt Tracy mit einem herablassenden Lächeln und einem triumphierenden Blick auf Lia. Sie weiß ganz genau, dass Lia sie hören kann. Erst das gibt ihr den Kick.

Für einen Moment ist es still und Lia hofft bereits, dass es das für heute an Lästereien war während sie gegen das Engegefühl in ihrer Kehle anschluckt, doch da ergreift Sarah wieder das Wort. Verzweifelt hat sie die ganze Zeit nach einem Punkt gesucht mit dem sie Tracy erneut für sich begeistern kann.

„Guck mal wie rissig ihre Lippen sind, wer weiß was sie damit die halbe Nacht wieder gemacht hat. Was für eine Schlampe!“

Zufrieden stellt Sarah fest, dass es funktioniert hat. Tracy kichert.

„Mit der wollte doch eh keiner richtig zusammen sein. Die ist doch total verbraucht.“

„Wer weiß was man sich bei der für Krankheiten holt!“, stimmt Sarah sofort eifrig nickend zu.

Never cared for what they say

Never cared for games they play“

Es klingelt zur Pause. Während alle anderen erleichtert aufspringen und aus dem Klassenzimmer stürzen, bleibt Lia still sitzen. Erst als der Letzte ihrer Mitschüler den Raum verlässt, beginnt sie ihre Schulunterlagen unter dem strengen Blick von Mr. Attkins zusammenzupacken.

„Liandra, brauchen Sie wieder eine Extraeinladung?“, drängt der Lehrer sie mit seiner nörgelnden Stimme.

„Ich habe nur noch meine Notizen zu Ende geschrieben.“, nuschelt Lia leise vor sich hin, ohne Mr. Attkins dabei anzusehen.

„Das wage ich doch zu bezweifeln. Mit den Knöpfen in den Ohren bekommen sie doch gar nichts von meinem Unterricht mit.“ Er macht eine theatralische Pause und wartet darauf, dass Lia endlich ihre grünen Augen auf ihn richtet, damit er sich ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein kann.

„Ich erwarte nicht, dass Sie mein Unterricht interessiert, aber es wäre nett, wenn Sie aus Respekt mir gegenüber, wenigstens so tun würden. Wir wissen beide, dass Geschichte nicht gerade Ihr bestes Fach ist.“

„Ja, Mr. Attkins“, antwortet Lia kleinlaut und setzt ein entschuldigendes Lächeln auf, womit sie jedoch bei dem Lehrer auf Granit beißt.

„Mit so einer Einstellung sehe ich schwarz für die Versetzung.“

Lia nickt nur und eilt aus dem Zimmer, so schnell wie möglich weg von Mr. Attkins.

Auf dem Flur erwarten sie bereits ihre beiden besten Freunde Lindsay und Mike ungeduldig. Ursprünglich waren sie in einer Klasse, doch das hat sich geändert seit Lia letztes Jahr sitzen geblieben ist.

„Wenn du immer so lange brauchst, dann werden wir nie einen besseren Platz in der Cafeteria ergattern. Willst du für immer neben den Mülltonnen sitzen?!“, beschwert sich Lindsay bei ihr und läuft, ohne eine Antwort abzuwarten, mit eiligem Schritt voraus. Mike hingegen tätschelt Lia sanft die Schulter und mustert sie mit besorgtem Blick durch seine dicke Hornbrille.

„War wieder irgendetwas mit den anderen?“

Zur Antwort schüttelt Lia mit hängenden Schultern den Kopf. Es ist jeden Tag irgendetwas und Mike weiß das, weshalb er ihr nun ein aufmunterndes Lächeln schenkt.

„Jetzt ist erst einmal Pause und dann hast du den halben Tag auch schon geschafft.“

Lia versucht sein Lächeln zu erwidern, doch ihr Gesicht gleicht eher einer schaurigen Maske von Halloween.

Wie Lindsay bereits befürchtet hatte, ist es in der Cafeteria bereits so voll, dass fast alle Tische besetzt sind. Während Lia in den Gängen der Schule noch trödelte, hat sie es nun eilig zu ihrem Stammtisch zu kommen. Der Tisch ist eigentlich nur für zwei Personen gedacht und befindet sich in der hintersten Ecke des Raumes, direkt hinter den Mülltonnen, weshalb dort sonst niemand sitzen möchte. Es ist der Platz für die ewigen Loser. Lia stört es nicht dort zu sitzen, solange man sie dann in Ruhe lässt, doch Lindsay hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben irgendwann einen Tisch an den Fenstern zu ergattern.

Schnell häuft sich Lia einen großen Schöpfer einer Masse, die als Kartoffelgratin betitelt ist, auf ihren Teller. Zusammen mit ihrer geliebten Cola Lemon zahlt sie das Essen an der Kasse. Noch ein Vorteil, wenn man so spät kommt: Die Kassen sind frei und sie muss sich nicht in eine Schlange stellen, in der sie erneut Opfer der Launen ihrer Mitschüler werden könnte. Zielstrebig und ohne den Kopf zu heben, steuert sie auf ihren Tisch zu. Dabei versucht sie ihre Ohren vor dem Gegröle der anderen zu verschließen. Bloß nicht beachten. Bloß nicht verunsichern lassen. Ruhig bleiben. So ist sie die Erste, die sich an dem Tisch einfindet. Erleichtert, ohne weitere Vorkommnisse, ihren Platz erreicht zu haben, dreht sie sich nach ihren Freunden um und sieht nur noch wie Mike über das ausgestellte Bein eines Jungen namens Bradley stolpert. Der Milchshake von Mikes Tablette ergießt sich über den Fußboden, während Mike seine dicke Brille von der Nase rutscht und er zu Boden stürzt, mitten hinein in die rosa Pfütze. Der Raum ist erfüllt von schadenfrohem Gelächter, während Mike knallrot im Gesicht wird und hilflos den Boden nach seiner Brille abtastet, ohne die er blind wie ein Maulwurf ist. Obwohl bei Lia bereits der Angstschweiß ausbricht, flitzt sie zu Mike und fischt seine Brille aus der Milchshakebrühe, während Lindsay Mike zu ihrem Tisch geleitet. Gerade als Lia sich wieder aufrichten will, baut sich Bradley mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen vor ihr auf. Lia schluckt schwer und ahnt bereits böses.

„Green, meine Hose hat einen Spritzer abbekommen. Willst du ihn nicht weglutschen? Hab mir sagen lassen, dass du darin wohl Übung hast.“ Obwohl die Menge bereits am kichern und johlen ist, meint Bradley noch eins oben drauf setzen zu müssen. „Oder machst du es nur mit Lehrern für bessere Noten? Wir wissen doch alle warum du immer als Letztes die Klasse verlässt.“

Am liebsten würde Lia ihm sein falsches Grinsen aus dem Gesicht schlagen, doch stattdessen dreht sie sich nur um und rennt zu ihrem Platz bei den Mülltonnen. Es spielt keine Rolle, dass ihre Noten so schlecht sind, dass Bradleys Behauptung nicht stimmen kann. Niemand interessiert sich für die Wahrheit, sie amüsieren sich nur gerne auf ihre Kosten. Die einen aus purer Freude, die anderen, um nicht selbst Opfer von Tracys oder Bradleys Schikanen zu werden.

Lia setzt sich mit dem Rücken zu den anderen und versucht ihre Atmung zu regulieren. Normalerweise würde sie sich jetzt wieder ihre Kopfhörer in die Ohren stecken und die Musik auf volle Lautstärke drehen, doch das geht jetzt nicht, wenn Mike und Lindsay dabei sind. Also versucht sie die Stimmen aus ihrem Kopf zu vertreiben, indem sie sich voll und ganz auf ihre Freunde konzentriert. Mikes perlgrüne Hose der Schuluniform ist übersät von hellrosa Spritzern, die er bereits mit einer Serviette erfolglos zu entfernen versucht. Sein Gewische und Gereibe macht die Sauerei nur noch schlimmer und so ergreift Lia seine Hand, um dem Ganzen Einhalt zu gebieten.

„Lass! Es tut mir leid!“, sagt sie, wie schon so oft zuvor. Mike wäre mit seiner übergroßen Brille, dem wirren Haar und seiner ungewöhnlichen Vorliebe für klassische Musik sicher auch ohne sie nicht der beliebteste Junge der Schule. Aber sie weiß, dass die Hänseleien erst durch die Freundschaft zu ihr so richtig eskaliert sind und Mike weiß das auch, obwohl er es immer beharrlich abstreitet, so auch jetzt.

„Es ist doch nicht deine Schuld, dass das alles so hirnlose Idioten sind. Mach dir darüber bloß keinen Kopf.“

Lindsay sieht das Ganze jedoch etwas anderes. Mit prüfendem Blick mustert sie Lia über ihren Salatteller hinweg durch die schwarzen Fransen ihres Ponys.

„Du siehst fertig aus. Warst du letzte Nacht wieder unterwegs?“

Diese Frage stellt ihr Lindsay mindestens einmal die Woche, meist jedoch öfter und zu ihrer Schande muss Lia sie jedes Mal bejahen.

„Wann wirst du endlich lernen, dass man unter der Woche nicht feiern geht, wenn man am nächsten Tag Schule hat?!“, fragt sie vorwurfsvoll und klingt dabei wie die fürsorgliche Mutter, die Lia niemals hatte. In Erwartung der nächsten Frage, zuckt Lia nur mit den Schultern und stochert geistesabwesend in der gelbbeige Masse auf ihrem Teller herum.

„Bist du alleine nach Hause gegangen?“

Lia schüttelt den Kopf und spürt wie Mike neben ihr scharf die Luft einzieht.

„Weißt du wenigstens seinen Namen?“, will Lindsay empört wissen und steckt sich kopfschüttelnd ein Stück Gurke in den dunkelviolett geschminkten Mund. Es ist nicht das erste Mal, dass Lia sich für ihr Verhalten schämt und immer wieder nimmt sie sich vor, nie wieder unter der Woche aus zu gehen, am besten nie wieder überhaupt feiern zu gehen und vor allem nie wieder einen fremden Mann mit nach Hause zu nehmen oder gar mutterseelenallein mit zu ihm nach Hause zu gehen. Doch nicht einmal hat sie es bisher geschafft sich an ihre Vorsätze zu halten. So albern wie es auch klingt, fühlt es sich fast wie ein Zwang an. Sie kann nicht anders, aber dann denkt sie sich jedes Mal, dass sie sich vielleicht nur noch nicht genug Mühe gegeben hat. Obwohl sie selbst nicht einmal weiß, warum sie es immer wieder tut, denn es macht ihr nicht mal Spaß, ganz abgesehen von den Quälereien in der Schule, die sie sich damit einhandelt.

„Ich brauche einfach die Ablenkung“, gibt sie jedoch trotzig an Lindsay gewandt zurück. Das hört sich immer noch besser an als zu behaupten, dass man keine Kontrolle über den eigenen Körper hätte.

„Andere suchen sich deshalb ein Hobby und gehen nach der Schule schwimmen oder spielen in einer Band. Das ist wohl für dich zu banal. Du musst immer etwas Besonderes sein, dass du uns damit mit in den Dreck ziehst, ist dir egal!“, schimpft Lindsay aufgebracht und spricht damit nur aus, was Lia bereits weiß. Es gibt nichts, was sie noch zu ihrer Entschuldigung sagen könnte, denn es ist alles bedeutungslos, wenn sie es nicht endlich schafft sich zu ändern. Bei dem Blick in Mikes, von der Brille vergrößerten, traurigen Hundeaugen schnüren ihr die Schuldgefühle fast den Hals zu.

„Warum suchst du dir nicht einfach einen netten Jungen, der es auch ernst mit dir meint?“

Lia seufzt. „Das möchte ich wirklich keinem antun.“

„Mit ihren ständigen Eskapaden hat sie sich auch jede Chance ernst genommen zu werden, verbaut.“, mischt sich Lindsay ein und sendet Mike über den Tisch hinweg einen gereizten Blick entgegen.

„Quatsch! Es gibt jede Menge Jungen, die gerne mit ihr zusammen wären und nur zu schüchtern sind, um es zu sagen.“, er wendet sich an Lia und legt dabei vertraulich seine Hand auf die ihre.

„Du bist toll und wer dich wirklich kennt, weiß das auch! Und wer das nicht sieht, der hat dich auch gar nicht verdient!“

Gerührt von Mikes Worten senkt sie verlegen den Blick. So ist Mike. Gutmütig und treu, aber zum Glück nicht ihr Typ, denn sie würde ihm das Herz brechen, noch mehr als sie es ohne hin schon tut. Verärgert schnaubt Lindsay auf. Ihr Blick starrt hasserfüllt auf ihre übereinandergeschlagenen Hände.

„Ich wünschte jemand würde so etwas Mal zu mir sagen, aber wahrscheinlich muss sich ein Mädchen erst wie eine Schlampe benehmen, um die Aufmerksamkeit eines Typen zu erregen!“

Ihr Getränk schwappt über als sie wütend ihren Stuhl vom Tisch stößt und verärgert die Cafeteria verlässt. Mike blickt ihr besorgt nach, ohne den wahren Grund für ihren Ausraster zu erkennen. Stattdessen wendet er seine volle Aufmerksamkeit wieder Lia zu, die wie ein Häufchen Elend am Tisch kauert.

„Ich weiß, sie meint es nicht so…“, sagt sie schnell als sie Mikes Blick sieht und sofort weiß, dass er diesen Satz jetzt sonst bringen würde. Und vielleicht meint es Lindsay auch wirklich nicht so, aber das Problem ist, dass sie Recht hat. Es ist egal, wie sie sich benimmt und mit wie vielen Männern sie schläft, Mike wird sie immer toll finden. Doch anstatt sich darüber zu freuen, bereitet es Lia nur ein schlechtes Gewissen.

 

Den Rest der Pause schwärmt ihr Mike von einem Konzert eines Pianisten vor, dessen Namen Lia noch nie gehört hat und auch sofort wieder vergisst. Mikes Worte rauschen an ihren Ohren nur so vorbei, während sie sich innerlich auf die Qualen der nächsten Stunden vorzubereiten versucht. Als es zum Ende der Pause klingelt, schreckt sie aus ihren Gedanken hoch, nur um festzustellen, dass sie nicht einen Bissen ihres Essens angerührt hat. Nur ihre Cola Lemon ist bis auf den letzten Rest geleert. Schweren Herzen verabschiedet sie sich von Mike vor der Cafeteria, da er im Gegensatz zu ihr nun mit Lindsay Chemie Unterricht in den Laboren hat. Lia muss also alleine den Rückweg zu den Klassenräumen antreten. Schnell steckt sie sich wieder ihre Kopfhörer in die Ohren, um sich von Metallica beschallen zu lassen. Hauptsache laut genug, um nichts von den fiesen Gesprächen der anderen mitzubekommen.

Als sie den Flur betritt, wimmelt es nur so von Schülern, sodass sie sich weit weg von ihrer Klasse an die Wand lehnt und ihren Blick in eine Kopie des Gemäldes „Der Schrei“ von Edward Munch vertieft. Wie gerne würde sie auch, wie die Gestalt auf dem Bild, einfach laut aufschreien, doch ihre Stimme bleibt stumm.

Langsam leert sich der Flur, bis nur noch ihre Klasse übrig bleibt und die anderen sie am Ende des Flurs entdecken. Lia verdammt die blöde Lehrerin, die es nicht mal schafft mitten am Tag pünktlich zum Unterricht zu erscheinen. Mit trockener Kehle, dreht sie die Lautstärke ihres Mp3-Players runter, um nicht von einem Angriff der anderen überrascht zu werden. Sie muss immer auf der Hut sein und das geht nicht, wenn sie die anderen nicht hören kann. Die ersten abfälligen Blicke spürt sie bereits auf sich und ihre Hände fangen an sich zu verkrampfen, als Bradley und Tracy samt ihrem Gefolge auf sie zu treten.

„Du hältst dich wohl für was Besseres oder warum stehst du so weit von uns entfernt?“, will Tracy mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme wissen. Ihre Locken legen sich wie zischelnde Schlangen um ihren Kopf, während sich ihr Blick in Lias zu Boden gerichtetes Gesicht bohrt.

„Oder hast du etwa Angst vor uns?“, verhöhnt Bradley sie und lehnt sich direkt neben sie an die Wand. Sein Augenmerk ist ganz auf Lia gerichtet, wie ein Raubtier auf seine sich bereits windende Beute.

„Mein Bruder hat dich letzte Nacht in einem Club gesehen…Er meint du wärst direkt mit drei Typen auf der Toilette verschwunden.“

„Schlampe!“, zischt Sarah sofort gehässig und blickt nach Anerkennung suchend zu Tracy, doch diese betrachtet verbittert Bradley.

Ein anzügliches Grinsen huscht über sein Gesicht, während sein Blick unverhohlen über Lias Körper gleitet. Sie verdammt den knielangen Rock und die enganliegende weiße Bluse der Schuluniform. Sie hat schon so oft die zuständige Lehrerin gebeten die Kleidung mehrere Nummern größer zu bekommen, doch die Dame weigerte sich bisher beharrlich.

Tracy missfällt die Begierde in Bradleys Augen. „Wie dumm sie doch ist, nicht mal Geld dafür zu nehmen. So oft wie sie es treibt, könnte sie ein Vermögen machen.“

„Vielleicht hat sie nur noch niemand auf die Idee gebracht.“, entgegnet Bradley und rückt noch näher auf Lia zu, die vor ihm wie ein verängstigtes Reh zurückweicht.

„Also ich würde ihr nicht mehr wie nen Zehner geben.“, meint der dicke Phil, der in Wirklichkeit sein ganzes Geld dafür hergeben würde nur um eine Frau mal nicht nur auf den Bildschirm seines PCs nackt zu sehen.

„Du tust ihr Unrecht, Phil. Wen wundert es auch. Jeder weiß, dass du keine Ahnung von Frauen hast, die nicht aus Gummi sind…“

Die Umherstehenden verfallen in ein synchrones, aufgesetztes Lachen, so wie Bradley es von ihnen erwartet. Nur Tracy verschränkt genervt die Arme vor der Brust. Da beugt sich Bradley plötzlich vor, sodass ihn nur Zentimeter von Lias Gesicht trennen. Mit seiner Hand fährt er über ihr blondes Haar, welches sie in einem Pferdeschwanz streng nach hinten gebunden trägt. Nur eine einzelne Strähne fällt in einer sanften Welle über ihr von dunklen Augenringen gezeichnetes Gesicht. Als Lia den Kopf wegdrehen will, packt Bradley sie grob am Kinn und dreht es gewaltsam zu sich.

„Schaut euch nur diese Lippen an. So voll und das von Natur aus. Nicht wie bei unserer lieben Sarah vom Onkel Doktor gemacht. Miss Green kann damit sicher so manchen Mann um den Verstand bringen, nicht wahr?!“

Er wartet jedoch nicht wirklich auf eine Antwort von Lia, sondern drückt seine Hand grob gegen ihren Busen, während Lias Brustkorb sich vor Angst zitternd hebt und senkt. Ohne sich zu wehren, steht sie nur da und erträgt Bradleys Demütigungen. Wie das Reh im Licht des Autoscheinwerfers, das unfähig ist davon zu rennen. Ihre Mitschüler sind plötzlich ganz still geworden und beobachten die Szene schweigend.

„Hab’s ich doch gewusst. Das ist mehr als eine Hand voll. Ich habe ein Gespür für Granaten. Von mir würdest du zweihundert kriegen.“

Sein verlangendes Grinsen löst sich in Luft auf, als seine Hand plötzlich von Lias Brust geschlagen wird.

„Ich mach es dir für einen Fuffie, Bradley. Direkt hier oder bist du etwa zu feige?“, ertönt Trus Stimme und ehe Bradley auch nur die Zeit bekommt etwas zu erwidern, geht sie bereits vor ihm auf die Knie und macht sich an dem Reißverschluss seiner Hose zu schaffen. Überrumpelt stolpert Bradley vor ihr zurück, während die anderen zu grinsen anfangen.

„Du wirst doch etwa nicht kneifen wollen? Hast du Angst, dass alle sehen wie winzig dein angeblich gigantischer Schwanz wirklich ist?!“

Das grunzende Lachen von Phil ertönt, der dafür sofort einen bösen Blick von Bradley erntet.

„Du hast doch keine Ahnung wovon du redest, Fledermaus. Mit dir würde ich in hundert Jahren nichts anfangen.“, erwidert Bradley abweisend und strafft seine Schultern, um Tru nun Parole bieten zu können. Diese lässt sich von ihm jedoch nicht im Geringsten einschüchtern. Als sie aufsteht und sich vor Bradley aufbaut, der nur wenige Zentimeter größer als sie ist, erscheint sie Lia unwahrscheinlich stark, so als ob sie sich von nichts und niemandem unterkriegen lassen würde. In dem Moment biegt endlich ihre Mathelehrerin, beladen mit einem Haufen Blätter, in den Flur ein. Die Show ist beendet. Bradley wirft Tru noch einen letzten abfälligen Blick, zu bevor er sich mit seinen Untertanen in Richtung Klassenraum begibt.

Tru dreht sich nun zu Lia um und lässt ihre warmen braunen Augen vorsichtig über Lias Gesicht gleiten.

„Alles okay?“

Lia strafft den grünen Blazer der Schuluniform. „Danke für deine Hilfe.“

Tru macht eine wegwerfende Handbewegung und lächelt für einen Moment schief, nur um dann wieder Lia mit ernstem Gesicht anzusehen.

„Du musst zurückschlagen!“

Unbeholfen zuckt Lia mit den Schultern. „Ich hab doch keine Chance gegen eine ganze Gruppe.“

„Dann musst du eben umso härter zuschlagen. Wenn du dich nicht wehrst, lassen sie dich nie in Ruhe!“

Hinter Tru betritt Lia als Letzte das Klassenzimmer und verbarrikadiert sich erneut mit Musik in den Ohren in der hintersten Reihe, während Tru ganz vorne sitzt und gedankenverloren aus dem Fenster blickt. In der Klassenarbeit hat Lia mal wieder eine 5. Mr. Attkins hat Recht, es sieht schlecht aus für die Versetzung.