Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln

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Bei allen Appellen zur Mäßigung scheint aber auch dieser angeblich so moderate Besatzer von Aufseß nicht frei von Herrenmenschenallüren gewesen zu sein. Joe Mière, damals 15 Jahre alt, berichtet von einer Begegnung und charakterisiert den Freiherrn ausgesprochen negativ. Mière arbeitet in einem Hotel, das deutschen Offizieren als Unterkunft dient. Er hat schwer zu tragen, als ihm von Aufseß begegnet: »We start to cart away the plates from the plant room which was at the back of the Hotel through a very narrow passage leading to the roadway. We had to wear gloves, because there was still acid dripping from the plates (…). On one trip I was half way down the long narrow passage when a German officer started to come in the passage from the roadway. He told me to go back so that he could pass up the passageway without the plates that were still dripping acid splashing his very highly polished boots. The plates were very heavy, so I did not feel like retreating back up the passage. I told him to pass me and I did try not to let the wet plates touch his boots but my hand slipped and one of the plates did touch his boots. He went mad, and like all the so-called master race, he started to shout in English, but mostly German. Curly came along (his mother was German so he spoke German like a native). He tried to calm the officer down who was still shouting and laying down the law to me. Curly translated what the officer was going on about. He told me that he would have me arrested the next time I caused any trouble and if his high boots were damaged I would have to pay for a new pair (…). Curly told me later (…) that the officer was Baron von Aufsess (…). I was only just over 15 years old at this date and thought what a bully this Baron was, and made a note in my mind to remember his face and keep out of his way.«104 Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte lässt sich heute nicht mehr überprüfen. Das Bild eines cholerischen Offiziers, der nicht zögert, einen Jugendlichen wegen einer Kleinigkeit mit seiner ungesetzlichen Machtfülle zu bedrohen, ist jedenfalls überaus unsympathisch und gegensätzlich zu dem Bild, um das von Aufseß nach 1945 so bemüht war. Die auch an anderer Stelle bezeugte Eitelkeit des Freiherrn wird in der Anekdote Mières allerdings deutlich illustriert. Auch eine weitere Begegnung Mières mit von Aufseß nimmt nicht für den Freiherrn ein: »The next time I saw this German baron was in January 1944 we were up Westmount and in passing helped an old couple to cut the branch off a pine tree. A German staff car pulled up and out came two officers, one of them was the German Baron von Aufsess. We made a run for it up towards the old football field. As we looked back we saw the Baron was taking the old couple’s identity cards away from them.«105

Manchmal muss der Freiherr einige Tage nach Paris reisen, um dort weitere Maßnahmen abzustimmen. In einem Brief berichtet er von einer neuntägigen Reise. Dieser undatierte und nicht namentlich markierte Brief zeigt ebenfalls eine inhaltliche Übereinstimmung mit Teilen der nationalsozialistischen Ideologie. Von Aufseß berichtet über die Tätigkeit der Résistance in Frankreich, aber auch von Treffen mit Kollaborateuren: »In verschiedenen groesseren Waldgebieten sind bereits Truppen gegen die von den Englaendern mit reichen Waffen ausgestatteten Banden eingesetzt. Die wenigen Mutigen unter den Franzosen, die sich in Tat und Wort fuer das neue Europa einsetzen, sehen ihr Leben vielfach von Terror bedroht. (…) Am letzten Tag vor der Rueckreise auf die Insel haben wir wieder die reizende Graefin du Cor (…) besucht, denn sie gehoert auch noch zu den wenigen, die an unsere Sache glauben und sich dafuer einsetzen.«106 Doch fern solcher Ausflüge nach Frankreich dominieren für von Aufseß Mangel und friedliche Abgelegenheit das Leben auf den Inseln: »Es gibt nichts, aber auch nichts zu kaufen. Die Insel wurde in der Anfangszeit der Besatzung völlig ausgepowert. Außer den Soldatenheimen kann man weder Cafés noch Restaurants besuchen. Die Zeitungen sind so alt, dass sie nicht mehr interessieren. Die Briefe brauchen je nach Schiff oft noch viel länger. Das Stückchen Wasser trennt wie zweitausend Kilometer. Die kleine Frontbuchhandlung ist am 1. Tag nach Ankunft einer Bücherkiste sofort ausverkauft. (…) Manchmal liegt tiefste Friedlichkeit und Krieg nebeneinander, wenn ich daran denke, wie in einem Gartenhäuslein mitten in einem blühenden Garten am Meer die ersparten Geldscheine eines Soldaten zum Trocknen ausgelegt wurden, der auf einem von den Engländern versenkten Urlauberschiff mit der gesamten Besatzung ertrunken war.«107

Trotz der Verschärfung der Situation im Jahr 1944 findet der Freiherr auch jetzt noch Zeit für Frauen und Ausritte. Wenige Wochen nach der Landung der Alliierten in der Normandie, die das Ende des ›Dritten Reichs‹ einläutet, schreibt er am 30. Juli 1944 an eine Verehrerin und gibt dabei einen Eindruck von der sich zuspitzenden Situation: »Auf dem Pferd allein ist man ein wilder Naturbursche und die boesen Naechte werden dann abgeschuettelt. Ich habe mich gestern ueber manches vergraemt gehabt, aber heute bin ich wieder frisch und wohl. Es ist ein Kampf ununterbrochen mit der Verschlagenheit der Englaender, dem Egoismus der Truppe, der Kurzsichtigkeit und Denkfaulheit der ueberall vorherrschenden Mittelmaessigkeit, der Unzuverlaessigkeit aller Statistiken und bestehenden Zahlenreihen, der Fatalitaet der immer mehr sich verringernden Vorraete und der Unberechenbarkeit der Zukunft. (…) Wir haben uns gestern einmal abends im kleinen Kreis ueber unser voraussichtliches Weihnachten hier unterhalten ohne Kohle, ohne Licht, ohne Brot ohne Nachrichten usw. und wir haben dabei einen schaurigen Humor entwickelt. Der Krieg ist ja ein Feld fuer den Zynismus und was wir so am Rande der grossen Schlacht drueben alles hoeren beweist es taeglich.«108 Als von Aufseß diesen Brief schreibt, befindet sich seine Frau bereits im Gefängnis. Am 19. August 1944 wird Marilies von Aufseß wegen regimekritischer Äußerungen in Altaussee festgenommen.109 Nach dem Krieg wurde Marilies von Aufseß als ›politisch Verfolgte‹110 eingestuft. In der Chronik der Familie erinnert sich erneut Tochter Uta: »Meine etwas unvorsichtige Mutter hatte bald erkannt, was Hitler vorhatte und sprach mit allen Freunden und Bekannten recht unverblümt davon. Sie erzählte von den Briefen, die mein Vater von den englischen Kanalinseln sandte. Das sprach sich schnell herum. Eines Tages (…) tauchten zwei Gestapomänner in Ledermänteln auf und durchsuchten unser Haus. Meine Mutter versuchte noch in aller Eile, die Briefe aus England zu verstecken, was leider nicht gelang. Ich versteckte in meinem Eifer noch ½ Pfund Butter unter meinem Kopfkissen … wussten wir doch nicht, was diese Männer eigentlich wollten. Diese fackelten nicht lange, nahmen unsere Mutter in ihre Mitte und führten sie so durch das ganze Dorf ab. (…) 9 Monate saß unsere Mutter in Salzburg in einem Frauengefängnis. (…) Für uns Kinder war das keine schöne Zeit, da Mutter uns schon sehr früh beigebracht hatte, dass wir in der Schule nicht Heil-Hitler sagen müssten und die Nazis sowieso alles Ganoven wären. (…) Wir hörten nichts von ihr, bis in den letzten Kriegstagen die Gefängnisse geöffnet wurden und sie (…) nach Altaussee gebracht wurde.«111

Nicht mehr beweisbar ist die im Zuge des späteren Entnazifizierungsverfahrens aufgestellte Behauptung, Hans Max von Aufseß sei vom sogenannten »Volksgerichtshof« wegen der bei seiner Frau gefundenen regimekritischen Briefe angeklagt worden. Lediglich die abgeschnittene Lage der Kanalinseln habe ihm dabei das Leben gerettet. Eine gewisse Skepsis ist aber bei den so präzisen Erinnerungen einer bei Festnahme der Mutter Achtjährigen genauso angebracht wie bei den vielen, nach Kriegsende ähnlich erzählten Geschichten von vermeintlichem Widerstand und NS-Opposition.112

Im März 1945 enthebt Hüffmeier den ihm zu kritischen von Aufseß und versetzt ihn zur Nebenstelle nach Guernsey. Das Kriegsende und die Übergabe der Inseln an die englischen Sieger lässt die militärische Führung durch von Aufseß und damit durch den Leiter der Zivilverwaltung verkünden. In einer von zwei Versionen des letzten Bandes der Tagebücher reflektiert der Freiherr über die Jahre auf den Kanalinseln und die düstere Zukunft: »Über allem lag ein gnädiger Segen, auf den ich dankbar zurücksehe. (…) Fast trostlos sieht die Zukunft der Liebsten, der Heimat und der eigenen Person aus. Dennoch will ich mich nicht danieder beugen lassen, denn wenn mich schon der Krieg so gesund bewahrt hat, so werde ich schon langsam in Friedenzeiten (sic!) die Heimat die Liebsten und mich wieder hochbringen. Das ist die grosse Verpflichtung aus diesem wohlüberstandenen Krieg.«113

Nach der Befreiung der Kanalinseln gerät von Aufseß in Kriegsgefangenschaft. Folgt man Madeleine Bunting, die allerdings keinen Beleg für die Behauptung nennt, steht sein Name sogar auf der ›Central Registry of War Criminals and Security Suspects‹-Liste (CROWCASS) für Kriegsverbrecher, welche die Vereinten Nationen führen: »The Bailiffs of both Guernsey and Jersey were anxious that a small number of German officers in the islands’ military governments should be brought to trial for war crimes committed against islanders. They claimed there had been two war crimes: the deportation of islanders to German internment camps and the cutting back of civilian rations during the last year of Occupation. Evidence was collected, detailed physical descriptions of the alleged culprits were taken, and a list of about half a dozen names, including Baron von Aufsess and Oberst Knackfuss, was drawn up and registered with CROWCASS (…).«114 Die Ausbeutung der ausländischen Zwangsarbeiter scheinen die Bailiffs allerdings nicht als Kriegsverbrechen betrachtet zu haben. Auch die Verfolgung, Entrechtung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung, zu der die Inselbehörden Beihilfe geleistet haben, wird von ihnen nicht als Kriegsverbrechen angesehen.

 

Hans Max von Aufseß kommt am 10. Juni 1945 in das bekannte ›Camp 18 – Featherstone Park‹, das unweit des römerzeitlichen Hadrianswalls im nordenglischen Northumberland liegt.115 ›Camp 18‹ ist mit fast 5000 Inhaftierten, die große Mehrzahl davon Offiziere, eines der größten Kriegsgefangenenlager auf der britischen Insel. In diesem Lager werden überwiegend besonders überzeugte Nationalsozialisten gefangen gehalten. Eine Verfolgung wegen der von den Bailiffs geschilderten Kriegsverbrechen unterbleibt laut Bunting aber aus heute unbekannten Gründen: »No documents survive as to why the prosecutions were abandoned.«116

Von Aufseß schildert die Zeit der Kriegsgefangenschaft 1985 im Nachwort seiner englischen Tagebuchausgabe als behagliche Anekdote. Mit dem Bus fährt er täglich in das Örtchen Bardon Mill nahe der römischen Grenzfestung, kehrt in den Pub ›Fox and Hounds‹ ein, bevor er sich freiwillig seiner Arbeit in einem Landschaftsgarten widmet und dabei die Bekanntschaft eines singenden Postboten macht, die gänzlich ohne Worte auskommt. Der Freiherr hat das Talent, auch in schwierigen Momenten, das Sentiment zu entdecken und zu literarisieren: »But even this difficult period had in retrospect its humorous moments and compensating memories, such as my encounter with the local postman, a tough character. (…) At last my date of repatriation was announced and I caught the early bus to the village for the last time. My good hosts at the Fox and Hounds loaded me with gifts. There was also a packet of cigarettes left there for me by the postman! This time, I was resolved, I would certainly speak to him. But the postman was too clever for me. Why spoil a friendship with unnecessary talk? Instead he made a long and laborious detour. I saw him pass the distance but heard no song. What the words had been I shall never know, but perhaps after all the were meant to cheer me with some consolatory allusion to the hard lot of the soldier in a foreign land.«117

Das ›Featherstone Park‹-Lager ist bekannt für sein ambitioniertes demokratisches Umerziehungsprogramm, das bei Hans Max von Aufseß erfolgreich gewesen zu sein scheint.118 Im Lager gibt es eine eigene Form der ›Lageruniversität‹, in der die Insassen in akademischen Kursen mit den Prinzipien der freiheitlichen Demokratie vertraut gemacht werden. Sogar Berufsabschlüsse können im Rahmen dieser ›Universität‹ erlangt werden.119 Zum Teil werden die Gefangenen von Briten unterrichtet, zum Teil unterrichten sie sich wechselseitig selbst, sobald ihre freiheitliche Gesinnung gesichert ist. Die Leitung des Lagers hat unter britischer Kontrolle der deutsche Generalleutnant Ferdinand Heim, der sich engagiert mit der Aufgabe der Demokratisierung der Gefangenen identifiziert. Hans Max von Aufseß nimmt an der ›Politischen Arbeitsgemeinschaft‹ im Lager teil und hält dort Vorträge und Vorlesungen. Vor seiner Entlassung aus Kriegsgefangenschaft ist der Freiherr sogar Leiter der Arbeitsgemeinschaft.120

Besonders zuverlässigen Gefangenen erlaubt die Lagerleitung Arbeiten außerhalb des Lagers, meist auf Bauernhöfen.121 Dass von Aufseß eine solche Arbeit in Bardon Mill erlaubt wird, zeigt, dass die Lagerleitung ihn als erfolgreich demokratisiert einschätzt. Am 10. Mai 1946 hält Hans Max von Aufseß vor der ›Politischen Arbeitsgemeinschaft‹ einen Vortrag über ›Die Überschätzung des Gebildeten‹, in dem er ein christlich grundiertes Programm von Schlichtheit und Herzensgüte zur Überwindung des vergifteten nationalsozialistischen Erbes entwirft: »Was unsere Lage schon hier und erst recht in der Heimat erfordert, ist nicht der sogenannte Gebildete. Wir werden ihn weniger gebrauchen denn je. Was wir brauchen ist die Schlichtheit und Echtheit guter Gedanken (…).«122 Am 1. August 1946 hält er einen Vortrag über ›Europa als Nation von Nationen‹ und bekennt sich dabei nun ganz anders als während der Besatzungszeit, als er noch eine deutsche Hegemonie in Europa wünschte, zur europäischen Idee: »Ich möchte von Mensch zu Mensch wirken und nur die Richtung eines Gedankens befördern, der von dem übertriebenen Nationalismus weg zu einem weiteren europäischen Denken führt. Wenn jeder in seinem Kreis weiter wirkt, auf seine Kameraden, auf seine Gemeinde, auf seine Partei, dass nichts gegen diesen guten Gedanken geschähe, so betreiben wir die [unleserlich] und fördern etwas, was mir die gesunde Entwicklung unserer deutschen Nation innerhalb der grösseren europäischen zu sein scheint.«123 Von Aufseß besucht im Lager Vorlesungen und hält dann sogar selbst Vorträge zum Thema ›Völkerrecht‹, in die er seine Erfahrungen als Jurist und Inselverwalter einfließen lässt.124

Die sehr engagiert um die politische Bildung ihrer Insassen bemühten Lagerleiter um Generalleutnant Heim ermöglichen den deutschen Gefangenen auch die Gestaltung einer Lagerzeitung, die den Titel ›Die Zeit am Tyne – Stimme Kriegsgefangener Deutscher‹ trägt.125 Hier erscheint in Ausgabe Nr. 5 vom 15. Oktober 1946 ein Beitrag des Freiherrn von Aufseß mit dem Titel ›Widersprueche unserer Zeit‹. Darin äußert er sich in einer Mischung aus grundsätzlich konservativ-christlichem Menschenbild und einem kommunitär verstandenem Sozialismus: »Allen Widersprüchen liegt wohl der Hauptwiderspruch zugrunde, dass die Menschheit im Genusse des technischen Fortschritts entscheidend gehindert ist durch das Zurückbleiben des menschlichen und völkerverbindenden Fortschrittes, also durch die Unfähigkeit der Lösung durch einen aufbauenden Weltsozialismus und eine überstaatliche Lösung. (…) Der Mensch muss (…) zurückfinden aus dem technisierten Massenmenschen in das, was er immer war. Wenn er sich in dem Neuen zurechtfinden will, muss er im echten und wahren Menschentum verbleiben.«126

Im Gefangenenlager erscheint 1946 ein ›Leitfaden Staatsbürgerkunde‹127, an dem von Aufseß nach eigener Aussage mitgearbeitet hat. Allerdings sind die Beiträge nicht namentlich gekennzeichnet, sodass der Anteil des Freiherrn nicht genau benannt werden kann. Im Vorwort stehen aber Auffassungen, die inhaltlich und stilistisch durchaus von ihm stammen könnten. Über die Absicht des Leitfadens ist dort zu lesen: »(…) das Vakuum auszufüllen, das in unserer Erziehung dadurch entstanden war, dass man den jungen Menschen wohl Trigonometrie und griechische Prosa lehrte, nicht aber die Gleichungen seiner Stellung innerhalb der Gesellschaft.«128

In einem Visitationsbericht des Lagers vom 20. Dezember 1946 heißt es über den Freiherrn: »The leading spirit in political work is Aufsess.«129 Seine Wandlung und seine große prodemokratische Aktivität in englischer Kriegsgefangenschaft steht damit außer jedem Zweifel.

Hans Max von Aufseß wird am 14. Februar 1947 aus ›Camp 18 – Featherstone Park‹ entlassen und kommt so nach fast zwei Jahren wieder zurück in die Heimat.130 Zuvor bescheinigt ihm die Lagerleitung in Person noch einmal seine großen Leistungen bei der politischen Bildungsarbeit im Lager: »(…) he assisted very successfully by his willingness especially to help young and still hesitating Ps.o.W. [Prisoners of War] (…) His influence on denazification in this camp was very great.«131

Als von Aufseß im März 1947 auf der Rückreise in den Bunkern des zerstörten Bahnhofs von Hannover erschütternde Bilder der von Krieg, Flucht und Bomben verwirrten, traumatisierten Menschen sieht, bestärkt ihn das in seinen guten Absichten, am Aufbau eines besseren Deutschlands mitwirken zu wollen: »Es ist eine Trift von Vertriebenen und ein grosser Schmelztiegel erschütterter und durcheinandergeworfener Menschen. Aber gerade darin liegt auch etwas Hoffnungsfrohes in dieser Herausgerissenheit der Menschen (…) Als Künstler möchte man diesen selben Menschen einen ergreifenden, ja, einen erschütternden Film drehen, als Missionar (…) möchte man seinen Glauben frisch auspflanzen. Aber auch als politisch verantwortlich eingestellter Mensch möchte man glauben, dass aus diesem Schmelztiegel Deutschland endlich etwas besseres Neues geschmiedet werden kann, indem man die Hoffnungslosen wegführt aus dem Verfolgungswahn der letzten Jahrzehnte und sie bereit macht für das Denken in einer friedlichen europäischen Gemeinschaft.«132

Nach der Rückkehr aus Kriegsgefangenschaft gelingt Hans Max Freiherr von Aufseß wie vielen ehemaligen Funktionsträgern des ›Dritten Reichs‹ die Integration in die junge bundesrepublikanische Gesellschaft. Er ist zunächst bis 1960 Anwalt am Oberlandesgericht Bamberg, verwaltet die heimatlichen Güter, engagiert sich im Gemeinderat von Oberaufseß und im Kreistag von Ebermannstadt, bevor er 1960 Generaldirektor der Herzoglich Coburg’schen Güter wird.133 Diese Stellung hat Hans Max von Aufseß bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1975 inne. Abschließend widmet er sich der Verwaltung der von Aufseß’schen Güter und der schon früher begonnenen Schriftstellerei. Er beschäftigt sich dabei in zahlreichen Aufsätzen und Büchern vor allem mit der fränkischen Heimat, die in einem zuweilen altväterlichen, meist aber nonchalant-eleganten Ton, dem immer wieder antimodernistisch-gegenwartskritische Nebenbemerkungen beigefügt werden, gepriesen und gespiegelt wird.

Konkrete politische Aussagen stehen hinter allgemeinen Betrachtungen und einem Schwelgen in unproblematischeren deutschen Vergangenheiten zurück. So veröffentlicht er z. B. 1966 eine Kurzbiographie Ulrich von Huttens, den er anerkennend einen ›Publizisten und Partisan‹ nennt, nachdem er nur elf Jahre vorher jeden ›Partisanen‹ auf den Kanalinseln bekämpft hätte.134 Wenn sich von Aufseß an wenigen Stellen über die Zeit des Nationalsozialismus äußert, tut er dies im typischen widersprüchlichen Gestus seiner Generation – er war zwar dabei, aber für nichts verantwortlich. In einem 1986 erschienenen Essay ›Der Konformismus‹ bemüht von Aufseß millionenfach wiederholte deutsche Entschuldigungsmuster: »Auch mit dem Mitläufertum aus der Nazizeit hat er [der Konformismus, d. Vf.] nichts gemein, denn diese Einstellung kam unter dem massiven Druck eines totalitären Regimes zustande. Es gab nur die Alternative, Mitläufer zu sein oder in das Konzentrationslager zu kommen.«135 In einem mit leichter Hand ansprechend illustrierten Bildband über das alte und neue Nürnberg des Jahres 1963 formuliert von Aufseß über den Nationalsozialismus, seinen ehemaligen Parteivorsitzenden Hitler und die Nürnberger Reichsparteitage Sätze, die aus der Feder eines ehemaligen NSDAP-Mitglieds erstaunen: »So kann es nur als einer der vielen Irrtümer Hitlers bedauert werden, daß dieser fatale Halbgebildete und größte Scharlatan aller Zeiten, in Schändung des Gastrechts, das einst den deutschen Kaisern dort gewährt worden ist, und in Verkennung des fürsichtigen Altnürnberger Stadtgeistes der Mäßigung, seine Paraden und Mammutgebäude der überschwänglichen Hybris dorthin verlegte. Er hat aus Nürnberg, dem einstigen Hort der segensreichen Kleinodien einen Ort des unseligen Drittreichsgrößenwahns gemacht. Nürnberg mußte als Stadt der Reichsparteitage mit der tiefsten Demütigung seiner Geschichte am Ende des Krieges dafür bezahlen.«136 Um 1965 veröffentlicht von Aufseß ein Büchlein über die Stadt Coburg, die bereits 1929 von der NSDAP regiert wurde und daher im ›Dritten Reich‹ den Titel ›Erste Stadt des Nationalsozialismus‹ tragen durfte.137 Die Jahre 1933 bis 1945 finden in diesem Buch mit keinem Wort Erwähnung.

Seine eigene ambivalente Vergangenheit thematisiert von Aufseß in seinen literarischen Werken mit einer bemerkenswerten Mischung aus Offenheit und Verharmlosung. Einerseits hat er den Mut, im Jahr 1985 das Tagebuch eines Besatzungsoffiziers der englischen Öffentlichkeit vorzustellen, andererseits steht er nur ansatzweise zu seiner Rolle als Diener einer menschenverachtenden Diktatur. Im Vorwort schildert er sich vielmehr als fairen Vermittler zwischen ›guten‹ Besatzern und ›guten‹ Besetzten, die gemeinsam alle unvermeidbaren Schwierigkeiten des Krieges meistern konnten. Gewisse Härten der Deutschen, 1945 noch als Kriegsverbrechen verurteilt, verschweigt er dabei nicht: »Food and fuel reserves for the troops and the civilian population were sufficient for only a limited period, which could be prolonged only by the small gains from intensified agriculture and ever more frequent reductions in rations. This created tensions and gave rise to special problems, inherent in the situation between occupiers and occupied, of a magnitude which could not have been for[e]seen and which seemed impossible to overcome. Yet, they were overcome, by agreement between the occupying forces and the island governments. In these small islands agreement between nations was actually put into practice.«138 Kritische Nachfragen, die nach der Veröffentlichung der ›Diaries‹ aus England an ihn gestellt werden, beantwortet von Aufseß nicht, wie Joe Mière mit deutlicher Verbitterung berichtet: »The diary starts in August 1944 when at this date the Germans were on the way out. I did write to him but he never had the decency to reply. I wrote again asking him to publish his diary from 1939 when the Germans were on the top. Again no reply. I think he would not dare publish a diary from 1939 because, like a lot of top German officers, they were all for their beloved Fuehrer in those days when he was winning the war. But as the end was in sight, they changed horses.«139

 

Aufseß’ »Kleine Fibel der Politik«, 1949

In einem weiteren Essay berichtet von Aufseß, wie er nach 33 Jahren 1978 erneut die Kanalinseln besucht. Er verschweigt dabei seine Funktion als ehemaliger Besatzer nicht, verweigert aber auch hier eine offene Auseinandersetzung mit den Schattenseiten der Zeit, sondern flüchtet in eine unbelastete vorgeschichtliche Vergangenheit. Er besucht die Museen zur Besatzungszeit: »Da ich es weder erhebend noch schaurig empfand, in den häßlichen unterirdischen Betonbunkern Hitler, Göring etc., Wachspuppen von zwei deutschen Landsern, Uniformstücke, Waffen, vergilbte Dokumente und Urkunden, also die eigene Vergangenheit der Besatzungsjahre gegen Eintrittsgeld zu besichtigen, habe ich mich umso intensiver dem Glanzstück der vorgeschichtlichen Dolmenbauer zugewendet.«140 Anschaulicher könnten die Verdrängungsmuster der deutschen Kriegsgeneration nicht formuliert werden!

Von Aufseß ist nach dem Krieg eine wichtige und bundesweit gut vernetzte Persönlichkeit in Franken, die ihre Beziehungen auch einsetzt. So entwirft er 1949 eine ›Kleine Fibel der Politik‹, die bei der ›Bundeszentrale für Heimatdienst‹ – der heutigen ›Bundeszentrale für politische Bildung‹ – erscheinen soll, von deren Leiter aber, dem im Nationalsozialismus verfolgten Dr. Paul Franken, abgelehnt wird. Der Freiherr will mit der Fibel in wohl aufrichtiger Weise einen Beitrag zur politischen Bildung leisten. Doch ist die Schrift in Diktion und Inhalt stellenweise diskussionswürdig, z. B. wenn er Opfer und Täter in eine Reihe stellt: »Wenn wir schreien, die Kapitalisten, die Freimaurer, die Juden oder die Nazis sind an allem schuld, sind wir nicht anders als die Primitiven, die das Wasser peitschen, wenn der Sturm ihre zu schwachen Boote verschlang.«141 Insgesamt ist die Fibel aber von den Werten der freiheitlich-westlichen Demokratie durchdrungen. Grundrechte wie Freiheit, Versammlungsrecht, freie Meinungsäußerung, Rechtsstaatlichkeit werden vom Autor besonders betont. Hans Max von Aufseß ist in ›Camp 18‹ glaubwürdig zum Demokraten bekehrt worden. So äußert er sich z. B. deutlich zum Einparteienstaat und Totalitarismus: »Die Einpartei kann sich nur durch Liquidierung der Gegner und Intoleranz aufrechterhalten.«142

Die Kritik Frankens ist dennoch deutlich: »(…) der Text ist an vielen Stellen inhaltlich und sprachlich so wenig treffsicher, dass vermutlich auch durch umfassende Reparaturen das Ganze nicht mehr zu retten ist.«143 Die Ablehnung seiner Fibel ist dem verärgerten von Aufseß allerdings Grund, sich an den Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler (FDP) zu wenden, den ehemaligen Leiter des Oberlandesgerichts Bamberg und daher ein alter Bekannter des Freiherrn. Von Aufseß gibt dem Minister sein Antwortschreiben an Franken zur Kenntnis. Er schreibt in selbstbewusstem Duktus am 26. Januar 1953 an Franken: »Der Autor wäre wohl nicht dazu gekommen die Fibel zu schreiben, wenn nicht sein lehrbuchartiger ›Leitfaden der Politik‹ in 30 000 Exemplaren für die Kriegsgefangenen in England gedruckt worden wäre, weil er für besonders verständlich und klar formuliert angesehen wurde. (…).«144 Dehler antwortet am 28. Januar 1953 an von Aufseß: »Ihr Schreiben an Herrn Direktor Franken hat mir große Freude gemacht. Es ist köstlich, wie diese Bürokraten immer daneben greifen. Ich verspreche Ihnen, niemals dieser Krankheit zu erliegen.«145 Die Zeichnungen in der Fibel, die immerhin auch Frankens Anerkennung finden, stammen von Günther Behnisch, dem später mit der Gestaltung des Münchner Olympiageländes berühmt gewordenen Architekten. Behnisch war auch Kriegsgefangener in England und möglicherweise daher mit von Aufseß bekannt.

Bevor Hans Max von Aufseß allerdings seine schon skizzierte Rolle als anerkanntes Mitglied der westdeutschen Gesellschaft und landesweit bekannter Heimatschriftsteller einnehmen kann, muss er, wie jedes ehemalige NSDAP-Mitglied und trotz seiner schon im Kriegsgefangenenlager hinlänglich nachgewiesenen politischen Wandlung, im Rahmen der ›Entnazifizierung‹ von Mai bis November 1947 ein Spruchkammerverfahren durchlaufen. Sein Verfahren findet vor der Spruchkammer Naila in der amerikanischen Besatzungszone statt. Aufgrund der Aktenlage wird von Aufseß als ›Minderbelasteter‹ angeklagt.146 Wie Millionen anderen ehemaligen Parteimitgliedern auch gelingt es von Aufseß jedoch mit Hilfe sogenannter ›Persilscheine‹ – eidesstattlicher Erklärungen von Freunden und Kollegen über die Unbedenklichkeit des Angeklagten –, als ›Entlasteter‹ eingestuft zu werden. Die Begründung des Urteils folgt vollständig den Aussagen der Zeugen und des Freiherrn, der als Jurist seine Verteidigungsschrift selbst erstellt.147 Darüber, dass ›Persilscheine‹ zum gegenseitigen Nutzen der Beteiligten ausgestellt wurden und man in ihnen nur selten die reine Wahrheit finden kann, herrscht in der historischen Forschung heute Konsens.148 Das bedeutet keineswegs, dass von Aufseß zu Unrecht freigesprochen wurde, aber eine vollständige Entlastung nach heutigen juristischen Maßstäben ist das Urteil der Spruchkammer auch nicht. So sind deren Mitglieder nicht immer juristisch vorgebildet und vor allem sind sie in hohem Maße auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Aussagen der Angeklagten und ihrer Zeugen angewiesen. Viele Behauptungen lassen sich in den Wirren der Zeit nach Kriegsende nicht überprüfen. Seine Tätigkeit bei der Spionageabwehr in Paris z. B. verschweigt von Aufseß und es liegen keine Dokumente vor, die dieses Verschweigen genauer erklären könnten. Wie glaubhaft die Aussagen des Freiherrn über seinen Parteieintritt sind, die er in der Verteidigungsschrift vom 5. Mai 1947 anführt, können die Mitglieder der Spruchkammer schlichtweg nicht überprüfen. Es ähnelt allerdings zahllosen vergleichbaren Erklärungen anderer ehemaliger ›Parteigenossen‹. Betrachtet man die private wie berufliche Situation des Freiherrn im Jahr 1933, sind seine Ausführungen zumindest nicht unplausibel: »Im Frühjahr 1933 habe ich das grosse juristische Staatsexamen gemacht und mich zu gleicher Zeit verlobt. Ich stand also gerade vor dem Aufbau meiner Existenz. Um Politik hatte ich mich bis dahin (…) nicht gekümmert. Ich wurde daher von der Entwicklung überrumpelt. Ich liess mich daher mit mehreren anderen Kameraden zusammen von einem Herrn des Prüfungsausschusses überzeugen, dass wir als zukünftige Staatsbeamte (…), die Pflicht hätten, in die Partei einzutreten. (…) Meine Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus beruhte damals weder auf eigenem Urteil noch auf Kenntnis des Ideengutes (…). Mit den Millionen anderen im In- und Ausland erlag ich einer gewissen initialen Verführung teils durch die geschickte damals noch nicht durchschaute propagandistische Aufmachung, teils durch den allgemeinen Überdruss an dem unerfreulichen Parteigehader.«149 Sein Schuldeingeständnis am Ende der Verteidigungsschrift wirkt allerdings vor dem Hintergrund seiner Mitarbeit bei der ›Politischen Arbeitsgemeinschaft‹ im Lager aufrichtig: »Ich empfinde es heute als Schuld, nicht dass ich zur Partei eingetreten bin, denn damit wollte ich nichts Schlechtes fördern. Meine Schuld sehe ich vielmehr darin, dass ich mich früher nicht um Politik gekümmert habe und damit mitgeholfen habe, das Feld den Verantwortungslosen zu räumen.«150