Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln

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Es war reizend aber einfach vorgerichtet. Die [34] Extrasachen aus besonderen Schubladen, die es bei anderen Schwestern gibt und die man eigentlich nur mit schlechtem Gewissen gegenüber dem einfachen Soldaten annehmen kann, unterbleiben unangenehmerweise.51 Wir unterhielten uns vergnügt. Ich habe das stete Bestreben, in der Unterhaltung nie zu gewichtiges Ernstes zu sagen, mehr zu spielen und am liebsten ganz gegenwärtig und vergnügt zu sein. Es kommt mir nicht auf philosophische Gespräche als vielmehr auf eine phil. Einstellung an. Nun gibt es aber seltener Menschen, die einen im inneren Bestreben so ähnlich sind, daß man sich plötzlich mehr aufdeckt und bekennt. Wenn mich Heidi mit ihren blauen klaren Augen voll Sagens und träumerischen Ernsts etwas fragt, denn wäre mein Scherzen eine zu billige Antwort gewesen. Denn sie ist nicht ein Kind und nicht unreif in der Frage, die sie stellt, sondern eine geistige Per- [35] sönlichkeit steht dahinter und die gute Stirne, die feine Nase und die klaren Augen sind der Tempelsitz hiervon. Gleich reagiert sie auf die Antwort herrlich richtig und findet fehlende Worte und Vergleiche dazu. Ich komme manchmal nicht davon ab, sie gegenständlich als etwas ungeheuer richtig und Wohlgelungenes zu betrachten, an dem ich meine reine Freude habe, wie an einem edlen Kunstwerk. Nur lebt dies alles und erwidert und ist beweglich folgend und hat eine eigene Seele und seine Gefühle und Hoffnungen und Sorgen. Ja müßte meine seltsam starke Berührung durch sie nicht auch eine Erwiderung in ihr finden. Ich werde mich nie verraten und sie auch niemals ausfragen. Ich beherrsche meine Sinne und meine Worte so sehr wie sie die ihrigen. Ich liebe meine Frau und ich werde nie etwas zerstören oder auch nur stören, was [36] unsre Ehe oder die offene Zukunftsbahn von Heidi berühren würde.52 Beherrschte Leidenschaften sind Tugenden heißt es irgendwo.53 Jetzt, wo ich dieses nachsage komme ich mir unangenehm brav moralisch vor. Bin ich immer so beherrscht und müssen Leidenschaften sich immer gleich wie tobende Stiere gebärden? – Diese fürchte ich nicht, aber sind es nicht die stillen Passionen, die sich ansammeln und eines Tages überbrechen, die gefährlichen? –

Es sind nun schon wieder viel zu viel Tage verflossen, ohne daß ich zum Schreiben kam. Nie mehr kann ich alles so nachholen und ich versuche das Wesentliche nur noch nachzuholen.

Am Mittag vor der Abreise nach Paris fuhr ich mit Pelz zu Heidi hinaus, um [37] Bilder von ihr zu machen. Sie saß erst neben mir am Tisch und der gut gelaunte Pelz brachte an sich die besten Voraussetzungen, um bei aller Natürlichkeit die ersten Versuche zu machen. Aber welches sensible Geschöpf ist schon Heidi. Jeden Augenblick anders und von einer entzückenden Spanne vor jedem festhaltenden Blick der Kamera. Also gingen wir in das Freie. Aber nun durfte ich auch nicht mehr vom Photographieren reden, wenn es nicht den schönen Tag unter einen einzigen unbeliebten Zweck setzen sollte. Es war ein greller Sonnentag mit hellen weißen Wolken und einer weiten Fernsicht, ein frischer Wind blies aus dem Wasser, ein idealer Tag zum Photographieren. Heide nahm ihr klösterliches Häubchen ab und [38] nun flatterten ihr wild die gelockten dunklen Haare um den Kopf. Jeder Augenblick bot neue reizvolle Bilder. Ich war so entzückt von den entzückenden Bewegungen und dem Aussehen, daß meine Kamera nur schwer nachkommen konnte. Wenn mich bisher ihr Wesen stark angezogen hatte, so hat mich diesmal ihr Aussehen völlig betört. Nach lustigem Herumklettern über den senkrechten Küstenabfall zum Meer fuhren wir noch auf dem Meeresgrund 5 Seemeilen weit durch die Aubinsbucht54. Es war ein glücklich schöner Nachmittag voll Lebenslust, Freude und versteckter Verliebtheit.

Am Abend fuhr überraschend früh unser Boot aus.55 Es stürmte inzwischen [39] immer mehr und unser Vorpostenschiff begann bald mächtig zu schwanken. Schwester Elisabeth, die leibgewordene Pflichterfüllung und Tüchtigkeit, saß schweigend in sich gekrümmt und heftig mit sich kämpfend im Freien mit auf der Kommandobrücke. Ich wollte ihr etwas Ablenkendes sagen, aber leider wurde dies gerade zum Anlaß für die ausbrechende Übelkeit. Oberst Prahl56 mit seinen abstehenden Ohren und dem Wichtigtuergesicht des hochgekommenen Halbgebildeten redete große Töne von »meinem« Stab und »meiner« Batterie und »meiner« Stellung, weiter reicht es ja nicht bei ihm. Der Oberst hatte auch zwischen den Pausen des über Bord sich Aussprechens genügend mit sich zu tun. So konnte ich das [40] Meer genießen, die abziehenden sich überschlagenden Wellen beobachten und an den zauberhaften Nachmittag zurückdenken, in dem der hübscheste Mädchenkopf mit wirbelnden Haarlocken noch so frisch und anziehend darinstand.57

Nach fünfstündiger Überfahrt und vielem vorigem Lichtverständigen58 stiegen wir an Land und es erwartete uns in dem Küchennebenzimmer von Monsieur und Madame im Hotel Modern ein geradezu fantastisches Essen. Das Zimmer war gerade nur so groß, daß der große Tisch und die Stühle darum Platz hatten. An die bildlose Wand gedrängt, stand das größte Durcheinander von Kinderstühlen, Schuhen, [40] Strickzeug, Kartons u. s. w. herum. Der Raum war also ausschließlich für konzentriertes Essen gedacht. Der Hauptzug des alternden französischen Ehepaars nach gutem Essen war geradezu drastisch an dem riesengroßen Tisch in dem winzigen fenster- bilderlosen Zimmer verkörpert.

Die Reise nach Paris verging viel zu rasch. Die Sonne war durch Nebel hindurchgebrochen und nun glänzte alles saftig grün und golden feucht. Ich ging nicht mehr vom Fenster weg und genoß diese letzten schönen Herbsttage, die nirgends köstlicher als in Frankreich erschienen. Paris lag dagegen im dicken Dunst und wie wir die Wälder von Versailles59 verließen verschwand die Sonne.

[41] [1944]

5. 6. Nach vielen Monaten dahinfließender Zeit setze ich meine Aufzeichnungen fort:

Am frühen Sonntag Morgen geritten. Satan war herrlich geputzt und wie stolz darauf. Ich klatschte ihm liebevoll die edle Linie der Kammmähne und flüsterte ihm eigenerfundene Koseworte, die er so wenig verstand, wie ich sie hätte erklären können. Nach der Hindernisbahn lief ungerade, häßlich quer ein schwarzer Kater über die Bahn. Kurz drauf verlor Satan u. [unleserlich] einen Huf. Er hatte den Vorzug, ich verließ den Pulk und bummelte nun ganz für mich nach Hause. Man sieht immer mehr allein und führt mehr Zwiegespräche mit den Dingen.

[42]

11. 8. [1944]60

Ich mache mir innerlich Vorwürfe, so wenig Aufzeichnungen gemacht zu haben. Die Zeit ist äußerst spannend und Stoff in Überfülle in der Zwischenzeit angelaufen. Aber zur Entschuldigung dient, daß noch immer ein Briefverkehr möglich war. So habe ich die letzten Möglichkeiten so ausgiebig ausgenützt, daß schon zeitlich nichts für ein Tagebuch übrig blieb. Gestern ist St. Malo gefallen.61 So sind wir endgültig abgeschnitten.62 Bei dem äußerst klaren Tag sehen wir deutlich die Rauchwolken über der zerstörten Stadt. Gedenke, welche Herrlichkeit und Stolz einer alten Seestadt hier so bildlich in Rauch vergeht. Unsre Lage ist seltsam: Engländer und wir sind beide Gefangene. Auf der Karte anzusehen, liegen nur die kleinen Inseln unbedeutend weit mitten im englisch beherrschten Land. Der Schlachten- [43] lärm rückt von uns ab. Wir spaßen über die Vergeßlichkeit der Engländer, uns hier liegen zu lassen.63

Vormittags bei Oberst Heine64 im stickigen Bunker. 1400 Marineleute haben uns als zusätzliche Esser von St. Malo beglückt. Sie hätten dort dem schwer kämpfenden Heer lieber helfen sollen. Aber man soll nicht inselhaft egoistisch sein. Die wären schon tot oder in Gefangenschaft und dürfen nun hier in den Straßen scharwenzelnd ihr Leben genießen. Gefangene Amerikaner sind auch gekommen. Man möchte mehr von ihnen wissen. Mit welchen Überzeugungen kämpfen sie [44] eigentlich in Europa. Vorläufig scheinen sie nur anmaßend nach mehr u. besseren Zigaretten und nach Süßigkeiten zu verlangen, die wir alle längst nicht mehr haben. Einer hat das ganze Gesicht von einem Flammenwerfer verbrannt und rechts u. links in der Schulter Durchschüsse. Rührend wie der Feind durchgepflegt wird. Er wird am Ende durchkommen.65

6 Propaganda Leute der Marine sind gleichzeitig mitgekommen und stellen sich dem Festungskommandanten vor. Sie wollen Dienststelle aufmachen und große Berichterstattung hier aufziehen. Ich wüßte nicht, was auf unsrer rettungslos belagerten Festung überflüssiger wäre. [45]

Delikate Frage der Zuteilung der letzten Gasspeicherung für Volksküche und für Zeitung. Sonderführer Hohl66 (nomina sunt omina)67 giftet in Propaganda und verhindert objektives Abwägen. Ich spüre dahinter den tiefen Konflikt, der mit dem Attentat auf den Führer durch das Volk geht. Jedes Maß und jede Vernunft wird als reaktionär verdächtigt. Es genügt nicht mehr, gut deutsch zu denken. Der Galgen steht als Verzerrung über allen und besonders über dem Adel.

Ersten Reichweitenbericht für die belagerten Festungen übergeben. Auskommen bis Ende Dezember, danach große Not unabwendbar. Eigenartig klares Erkennen, der Lebensbedürfnisse und Leistungsfähigkeit eines Landes. [46]

Mittag am Strand. Die Holzrippe eines Schiffes halbverkohlt wurde angeschwemmt. Großes Interesse der Kinder, die darum herumspielen. Bestätigt mir bildlich den oft gefühlten Gedanken, daß Krieg ein böses Kinderspiel und Bubenstück. Liebe am Zerstören und Zerstörten Soldaten und Kindern im gleichen Maße liegend.

Lese zur Zeit Hans Jünger »Blätter und Steine«68. Anregender Gedankenreichtum.

Besuche Kriegsgerichtsrat Dr. H.69 Ein kluger juristischer Kopf, aber trocken und etwas Hämisches im ausgezehrten Gesicht. In der Rechtsfindung stimme ich mit ihm überein nicht aber im Strafmaß. Hier gehört ein Bogen Herz, Gemüt u. warmer Humor dazu, um für das Befremdliche der Abgleichung von verbotenen Handlungen mit Wochen u. [47] Monaten von Gefängnis dennoch eine Lebensnähe zu bewahren. Wir achten uns beide gegenseitig, wenngleich jeder im andern gerade dort Schwächen sieht, die dieser für seine Stärke hält.

 

Abends die Verhandlungsberichte über Generalfeldmarschall v. Witzleben u. s. w.70 gelesen, die zum Tod durch Erhängen verurteilt wurden. Verhandlungsführung des Vorsitzenden71 entspricht nicht der sonst an höchsten deutschen Gerichten üblichen objektiven Sprache. Entweder hat Propaganda die Verhandlung in ihre Sprache übersetzt oder es sind die Formen, die man von einem hohen Gericht verlangt, durch den Zeitgeist abhanden gekommen. [48]

Es ist zu befürchten, daß dieser Prozeß die letzten Sympathien des Auslandes für das neue Deutschland genommen hat.72

11. 8. [1944]73

Ich schreibe am Abend am Fenster meines Büros. Habe weiten Überblick über das Meer. Die Bäume leuchten grüngolden in der Abendsonne. Von Malo kommt ununterbrochenes dumpfes Geschützgrollen herüber. Manchmal wackelt das ganze Gebäude und Türen schlagen. Es wird der Endkampf um die Küstenforts und Dünen sein. Dann wird der Krieg von uns weit weggehen, bis wir in einem Nachholen selbst daran kommen werden.

Empfinde den Abend viel schöner, als meine innere Stimmung. Er ist so einer [49] der von mir so geliebten Augustabende, an dem ich wohl sonst mit der liebsten Frau zu Hause innig glücklich gewesen wäre. Es waren zu viel Anfechtungen und Anforderungen. Früh Sof. [Sonderführer] Hohl mit seiner Zeitung.

Mittags verlangt Heider74 wegen Entweichen eines englischen Strafgefangenen75 Bestrafung der Zivilbevölkerung durch Schließen des Strandes. Ich bin über die Absurdität dieser Forderung zunächst zu sehr empört. Ärgere mich danach über mich selbst. Irgendwelche freilich angemessenen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung wegen des Verbor- [50] genhaltens einer ganzen Menge von uns gesuchter Personen müssen wohl ergriffen werden. Doch ist es im Augenblick unsrer hoffnungslosen Lage ein gefährlicher Fehdehandschuh, der einmal hingeworfen sofort vielfach aufgegriffen werden wird. Wo liegt das Maß zwischen zu großer Strenge u. Schwäche? Niemand kann mich hier darüber beraten. Auerbach und General sind nicht da. Es kann nur das richtig sein, was ich in mir selber finde. Dabei ist es aber von vornherein klar, daß es keine ideale Lösung gibt.

[51]

Nachmittags im Kino. Ein Film mit Luise Ulrich76 nach dem Ibsen-Stück Nora77. Luise Ulrich packt mich immer ganz. Eigenes fernes Eheglück wird weh wach. Über dem Trennungsschmerz ruht sonst der Alltagsstaub u. deckt ihn zu. Aber deswegen ist er immer da und wird nicht heilen, nicht in 10 Jahren Gefangenschaft und nicht beim Sterben in einem fernen Land.

Es beschleichen einen melancholische Gedanken bei diesem untätigen Zusehen, wie die Schlinge der Gefangenschaft um uns gezogen wurde und es kein Aus [52] mehr geben wird. Gar nicht zu denken an die Familie in einer Niederlage, denn aus dieser flössen 1000 Leiden, wie nur einem siechen Körper in alle Adern.

12. 08. [1944]

Am Badestrand herrscht noch völliges Einvernehmen zwischen den deutschen Soldaten und den englischen Mädchen. Wenn es nur verborgen genug geschieht, gibt sich jedes Mädchen mit wenigen Ausnahmen ihm auch hin. Die Engländerin ist auffallend klar, mühelos und schnell in Liebesdingen. Während die Französin immer noch mehr ihre Person dabei einsetzt und das Spiel auch geistig getrieben haben will, ist es bei der Engländerin eine erstaunlich nüchterne Körpersache. Es ist nicht zu verkennen, daß in dieser geschwinden, mühelosen Art des Lie- [53] bens eine gewisse Helle, eine Geradheit, Aufrichtigkeit, Unverdecktheit und ein Freisein von Schwüle und Zwielicht liegt. Wenn die Französin nach langem Kuß ein Wort oder eine Verszeile über die Liebe findet oder singt, die Engländerin lacht gewiß über das lange Verküssen. Auch die Deutsche, wie schwer gefühlsam, schweigend ist sie dennoch und wie innig und zärtlich auch.

Ich möchte es nicht vermissen dieses langsame Auf- und Zueinanderdämmern zweier Seelen, die Unwissenheit, das zaghafte Ahnen, das Geheime, Fremde, Zarte im Sichbegegnen, dem Zauber inniger Berührungen und die goldenen Reize inniger Schüchternheiten verhaltener Scham. Wo ist dagegen der Gewinn zu [54] schnellen Sichfindens, zu frühen Erkennens und zu aufgedeckter Sinnlichkeit.

Ich denke an die Rückkehr zur eigenen Frau und zu den Kindern. Ich spüre dabei vorausahnend wie jedes Wort, jeder Blick und jede Bewegung zu einer Quelle der Freude werden wird, wie alles an die Heiligkeit der ersten Ehe erinnern wird, wie sich darin das Einmalige, das für alle Zeiten Bedeutende ausdrücken muß, das durch den Alltag webt, und wie hinter den Schmerzen das Glück des Lebens in einer neuen Tiefe aufleuchtet.

13. 08. [1944]

Lange Besprechung bei Oberst Heine. Es ist ein vornehmer alter Herr, bescheiden und auf Form bedacht, aber auch militärisch, über- [55] vorsichtig, gehemmt und tiffelig78. Schon wie sein Kopf so steif zwischen dem hohen Kragen sitzt, macht er den Eindruck des Steifen, Unbeweglichen. Seine mangelnde Frische und Elastizität hat aber den Vorzug, daß er nicht unbedacht handelt. Für die Militärverwaltung ist das aber wichtiger als Überheblichkeit, Anmaßung und Darauflosgehen. Oberstleutnant Lindner79 ein gutmütiger ostelbischer Riese mit riesigem runden Schädel und winzigen Äuglein. Er leistet im Grunde nichts, ist ganz auf seine Mitarbeiter angewiesen. Dafür wiederholt er und schreit so laut bei Besprechungen das, was er gerade einmal begriffen hat. Er überschreit seine Bedeutungs- [56] losigkeit.

Delikate Angelegenheit der Sühnemaßnahmen gegen Bevölkerung besprochen wegen Verborgenhaltens von Entwichenen. Bin als einziger für Zurückhaltung. Dürfen nicht wegen ein paar wertloser Entwichener den Fehdehandschuh hinwerfen, der vielfach in dieser Lage aufgegriffen werden würde. Wir verbrauchen unsere Mittel vorzeitig für Lappalien.

Mittags kam Sanitätskompagnie wieder mit Pferden an den Strand. Zuerst ritt ich mit Toni, einem zierlichen kleinen Pferd, beim Galopp wie ein Eselchen. Danach kam der Schimmel Froni, ein wildes unbändiges Mädchen, das nie müd wird und nur immer losschießen möchte. Ich ritt mit ihr in der Badehose ohne Sattel und beherrschte sie schwer aber doch vollkommen. Ein herrliches [57] Gefühl, so ein wildes Pferd und den Strand in Kilometerlänge vor sich, dazwischen ritt ich mit Froni immer wieder in das Meer hinein. Sie schwamm weit in das Tiefe hinaus und ich saß dabei auf ihrem Rücken u. gab ihr weite Zügel. Manchmal kamen furchterregende große Wellen und dann kamen ihre Lefzen unter Wasser und nur die geblähten Nüstern schauten noch wie eine Nilpferdschnauze heraus. Aber schon schnob sie ihren Brustkasten tief voll Luft, daß es sie wieder hoch heraushob. Sie öffnete nun das Maul mit offensichtlich schlechtem Geschmack, machte lange Zähne. Es war doch etwas Meerwasser eingedrungen, das ihr nicht gut geschmeckt [58] hatte. Ein paarmal nahm ich kleine Buben mit auf das Pferd, die glühend begeistert waren. Aber Froni ist zu gefährlich, für solche Wagnisse. Wir beide Froni und ich waren allgemeine Sensation am Strand. Bleul80 erzählte mir nachher den Eindruck. Sie fragten »who is it« und es wußten genug, daß es der »Baron« war. (Nach Schopenhauer ergab sich somit ein doppelter Genuß an dem, was einer an sich selbst hat, und an dem, was einer vorstellt für andere.81 So habe ich mich in der eigenen Bewegungslust u. Freude am Pferd und in der Vorstellung eines kühnen Reiters der anderen ausgelebt.)

Auf den herrlichen tiefblauen Nachmittag folgte ein ebenso wunderbarer Abend. Ich [59] besuchte in meinem zweiten Bungalow das dem jungen englischen Paar geliehene Häuschen. Spielte seit langem einmal wieder Violine, brachte Tim herrliche Knochen eines rabbit mit und kehrte müd und ausgebrannt von Sonne schließlich an mein Abendfenster im Büro zurück. Es war eine selten schöne letzte Abendstimmung mit tiefroten Wolken. An diesem Abend ist in St. Malo drüben der letzte Widerstand erloschen.

14. 08. [1944]

Wenn man an die Lieben zu Hause denkt – und wie oft geht einem das in der weiten Abgeschnittenheit jetzt – so entdeckt man, wie sehr zu ihnen allen ein Stück Landschaft und Natur [60] gehört, was wir Deutschen für ein naturverbundenes Volk sind. Mama gehört in eine Enge überreich blühender Gärten. Ein Blumenparadies darf nicht weit sein. Es muß geschützt vor Winden, von Mauern und Hecken umgeben die Blumen in ihrer kleinen Welt mit ganzer Pracht aufleuchten lassen. Der Garten in Oberaufseß entspricht in seiner Abgeschlossenheit von Mauern und hohen Bäumen weitgehend diesem Bild. Es entsteht dadurch das Glück einer Weltabgeschlossenheit und innigen Freude am Kleinen und einer höheren Empfindlichkeit gegen alles von Außen Kommende. Wie anders dagegen meine Frau. Sie liebt die Weite, den Anstieg [61] auf hohe Berge, das Liegen vor weiter Sonne, den weiten großzügigen Park. All dies macht ein Stück ihres eigenen feinen Wesens aus und es hat so unendlich viel des Schönen, Großen, Kühnen und wieder des Lieblichen und des Vielseitigen darin seinen rechten Platz. Zu Herbert82 gehört das kleine pfälzische Städtchen mit seinem Selbstbewußtsein und engem wohlgehüteten Stolz. Ich bin überall da zu Hause, wo alte kraftstrotzende Bäume wachsen können und sie ihre starke Persönlichkeit vor den lichten Himmel stellen.

Die Nacht war sehr unruhig. Ein Geleit nach Gy83 muß in eine Seeschlacht verwick- [62] elt worden sein84. Alle Lazarette sind schon mit Verwundeten aus St. Malo gefüllt.85 Flieger flogen so tief über uns, daß ich den Atem anhielt, ob nicht etwas geschähe und sie im nächsten Augenblick in den Hausgiebel hineinschössen. Es waren ausnahmsweise einmal wieder deutsche und sie haben die Nachschubwege der Amerikaner bombardiert.

15. 8. [1944]

Ein Buch Churchills über seine großen Zeitgenossen in die Hand bekommen.86 Zuerst das Kapitel über Hitler gelesen, das im Jahr 1935 abgeschlossen ist. Ich habe mir mehr persönliche Kritik erwartet, während das Buch Hitler in die ablaufenden Geschehnisse hineinstellt und daraus allgemeine Schlüsse zieht. Ich neige zu der Ansicht, daß die Persönlichkeit H’s. [63] als Thema zu einem Buch gar nicht so anziehend sein kann, nicht entfernt wie die Napoleons oder gar Bismarck. Es fehlt in seinem Leben zu sehr das Private. Seine Eigenschaften sind weniger kompliziert und vielseitig, als vielmehr plump, ungeistig, einseitig, ausgerichtet und von Willensenergien wie von hartangezogenen Federn geglättet. Es wird vielmehr die Zeit selbst um ihn sein, die interessiert. Sie hat ihn einmal gerufen. Sie forderte den dynamischsten aller Menschen heraus, um den verfahrenen Karren herauszuziehen. Wenn aber die wilde Kraft nicht einhält, immer weiter zerrt und sich nicht wandelt, so muß sie anecken und schließlich zu- [64] grunde gehen.87 »Nur wer sich wandeln kann, dem gehört die Zukunft« sagt einmal Stefan George88. Das aber kann Hitler nicht. Er bleibt maßlos in seinem Glauben und Wollen. Er opfert damit von Stalingrad begonnen eine Armee und Division nach der anderen dahin.89 Auch wir hier in unsrer fatalen Lage auf der weitum abgeschnittenen Insel sind ein Opfer dieses Sichnichtwandelnkönnens, dieses Starrsinns und der zu späten Einsichten.

Zu starkes Wollen, sich nicht Bescheidenkönnen das ist aber weder weise noch christlich und es steht nur einem Halbgott und einer königlichen Figur zu, wie sie der junge Alexander90 im höch- [65] sten Maß war. Sie steht nicht einem Emporkömmling, dem Weltkriegsgefreiten und dem Anstreicher aus Böhmen91, so viel fatale Zauberkraft auch in seiner Persönlichkeit liegt.

Französisches Buch über Histoires drôlatres von Monfigny92 gelesen. Leichtestes erotisches Geplauder mit erdachtem und gestelltem Ausgang. Erinnert an Boccaccio93.

Vom Bathing Pool bis zu meinem Bungalow geschwommen. Weit im Meer draußen gegen leichten Ostwind, der kurze Wellen in das Gesicht schlug. Angenehmes Vertrauen auf Körperkraft im weiten Element [66] draußen.

Kinder bauen Sandburgen vor das hereinkommende Meer, die von Wasser bestürmt und schließlich zerstört werden. Am aufregendsten der Augenblick, in dem die Sanddämme noch halten und man bereits in einer trockenen Insel im Meer rings steht.

 

Schwerstes Bombardement auf St. Malo. Die Insel zittert wie von Erdbeben. Erstaunlich langer Widerstand in dieser Hölle.

Heute 2te Invasion in Südfrankreich.94 Man ist gar nicht mehr entsprechend beeindruckt. Das allge- [67] meine Zurück und Abwärts schon zur Gewohnheit geworden.

Polizeibesprechung, mit untergeordneten Problemen zeigt Friedlichkeit auf dieser Insel und rechtfertigt mich innerlich, daß alle überreizte Provozierung wegen Lappalien nicht am Platze ist. Besprechung mit Bailiff über Lichteinschränkung, Austausch von ziv. Schlachtpferden gegen bessere Truppenpferde usw.

16. 8. [1944]

In Sof95 Wölcken96 steht ein klares Beispiel des Intellektuellen vor mir. Er ist sehr belesen und beschlagen auf allen Gebieten. Hat überviele Ansichten, aber kein Urteil. Sein Verstand gleicht einer ausgezeichne- [68] ten Spieldose, die oben auf seinem unbeteiligten Körper sitzt. Es ist keinerlei Verbindung zwischen Verstand und Gefühl, wo doch nur beide im ständigen Kampf untereinander die Persönlichkeit bilden. Physiognomisch und körperbaucharakterlich drückt sich das gleich aus. Eine hohe Stirn, ziemlich uninteressant gewölbt. Ihre Spannung liegt über der Nasenwurzel und den scharfbebrillten Augen. Betonung also auf dem kritischen, beobachtenden, nicht schöpferischen, philosophischen Denken. Die Backen sind kindlich dick gefüllt, ein Zeichen für mangelnde seelische Durchlebtheit. Der Körper, der an sich wohl gebaut ist, hat [69] völlig schlaksige unharmonische Bewegungen. Auch er ist von nichts Geistigem oder Persönlichem angehalten oder geführt. Seine Neigung ist Büchersammeln. Sein Verhältnis zum Buch ist stärker als zu allem Lebenden, wie zu Frauen, Hunden oder Natur. Seiner Freundin, die seine starke Eitelkeit befriedigt, liest er am liebsten Bücherstellen vor, natürlich nur englische, denn zu seiner nun mal etwas charakterlosen Art gehört es, daß er restlos in das gegnerische englische Lager gehört und im Grunde nur alles Englische bewundert und das Deutsche verachtet. Da wir [70] ihm dies vielfach vorgehalten haben, hat er eine aus seinem Mund paradox klingende Dialektik entwickelt, die ihn immer gleichsam als Deutschfreund beweisen soll. Er ist kein durchhaltender Arbeiter, hat oft schon den Beruf gewechselt und war nach einem Jahr in Schottland als Lektor zuletzt Buchhändler in München. Seine Dinge sind ausgeklügelt und übergescheit. Dabei ist nicht zu verkennen, daß manchmal auch sehr Gutes herauskommt. Seine geistige Beweglichkeit hebt die Dinge gleichsam auf verschiedene Stühle und läßt sie von vielen Seiten sehen. Es spricht hervorragend englisch und besitzt eine [71] Fertigkeit, selbst erst halbausgesprochene Gedanken u. Ideen sofort in ihre Vollständigkeit zu übersetzen. So ist er mehr ein gutes Instrument als ein guter Mitarbeiter und mehr ein Nachschlagwerk als ein Berater.

Ganz anders dagegen ist Sof Bleul. Er macht zunächst mit seinen engen bebrillten Augen und seinem strengen Ausdruck mit der hasenhaft vorstehenden Oberlippe den Eindruck eines humorlosen Schullehrers. Er ist von Beruf auch Studienrat und hat etwas Schulmeisterliches an sich, was [72] überall eine sichere Art ist, um zunächst Abneigung zu erwecken. Bei näherem Kennenlernen und in seiner Arbeit zeigen sich aber mehr Vorzüge als Nachteile. Seine pedantische Sturheit ist im Gesamteinsatz einer Verwaltung unbedingt notwendig. Da gibt es Preisdurchrechnungen, unklare Statistiken, verwickelte Lappalien. Hierfür ist der Ansatz eines bissigen nicht nachlassenden Mannes geradezu wunderbar. Sind dagegen Dinge mit der leichten Hand und einem gewissen Scharm und Witz besser zu lösen, so nur nicht ihn dafür einsetzen. Persönlich ist er sehr gefällig und innerlich anhänglich u. verbunden weil ich zu den wenigen gehöre, die seine Vorzüge aner- [73] kennen und einen freundschaftlichen Kontakt über vieles gemeinsames Baden mit ihm halte. Auch dabei zeigen sich bei ihm plötzlich leichtere und liebenswürdigere Seiten. Die durch seine Lehrtätigkeit im Ausland gewonnene größere Beweglichkeit kommt dann vorteilhaft heraus. So lohnt es, zu ihm nett zu sein, weil hinter dem äußerlich und anfänglich zu leicht abstoßenden Schulmeister ein umgänglicher Mensch hervorkommt. Er hat einen leidenschaftlichen Hang zu Sonnenbädern u. kann den Stolz des braunsten Mannes der Insel für sich in Anspruch nehmen. [74]

Seine braunen Körperfarben sind so tief, daß selbst der bei der stark ausgeprägten Eßlust nicht vermeidbare embonpoint97 nicht so auffällt. Seine Art zu Mädchen ist ein wenig eigenartig. Er schnalzt gern mit dem Daumen und hat eine Weise des Nachblickens, die etwas Kompromittierendes hat u. aus südlicheren Landstrichen genommen scheint.

17. 8. [1944]

Am Morgen bei den herrlichen Augusttagen erfaßt mich immer wieder ein wehmütiger Schmerz nach den Lieben zu Hause. M. ist nun einmal meine einzige große Liebe im Leben und ich bejahe sie mit meinem ganzen Wesen. Zur Zeit bedrückt mich noch weniger die Sorge um [75] ihr materielles Ergehen als die Sorge um ihre Seele, um dies schwertragende Wort zu gebrauchen. Ich habe die Anwesenheit der Schwiegermutter schon einmal mit einem Katalysator verglichen, der den Anstoß zu einer völligen seelischen Umbildung gibt. Bei der Anwesenheit Mamis98 wird aus ihrer Milde und Heiterkeit Widerspruchsgeist und Gereiztheit. Die gerade feine Stirn faltet sich in hundert Runzeln und der ganze Ausdruck verändert sich zum Nachteil. Was aber eine Frau jung erhält, ist nur eine schöne Seele. Die wird ihr aber genommen. So fürchte ich, daß meine Frau von dieser Seite alt u. abgebraucht wird in der langen Trennungszeit, die noch bevorstehen könnte. Sie wird [76] vermehrt in das übergesellige Leben Altaussees flüchten. Wenn ich zurückkomme wird nicht mehr die alte Zärtlichkeit und Innigkeit da sein. Um dies fürchte ich am meisten.

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