Philosophie der Wissenschaft

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Es ist sicher schon zu ahnen, dass für unser Wissen von der Welt die ‚Impressionen‘ besonders wichtig sein werden und nicht die ‚Ideen‘, die nur Abbilder davon darstellen. Aus der Perspektive der späteren Wissenschaftsphilosophie, in der die Frage nach dem Ursprung unseres Wissens in den Sinneswahrnehmungen (bei Hume also einer Art von ‚Impressionen‘) im 20. Jahrhundert noch sehr wichtig werden wird, ist es nun interessant, dass die ‚Impressionen‘ bei Hume von zweierlei Art sein können: einfach oder zusammengesetzt. Ein einfacher Eindruck wäre etwa: jetzt hier Rot. Aber für Hume können Eindrücke auch zusammengesetzt sein. Etwa können sich die Eindrücke aus verschiedenen Sinnen zu einem einheitlichen Eindruck verbinden. Das Rot aus dem visuellen Sinn etwa kann sich mit einem bestimmten Eindruck bei der Berührung des roten Gegenstandes verbinden, so dass etwa die glatte Haut einer Tomate zusammen mit ihrer roten Farbe einen zusammengesetzten Eindruck erzeugt.

Es gibt aber noch eine weitere Unterscheidung innerhalb der Impressionen, die für das Entstehen unseres Wissens wichtig ist. Es war schon deutlich, dass Impressionen im Sinne von Hume nicht einfach nur Sinneswahrnehmungen sind. Etwa stellen auch Gefühle und Wünsche in Humes Verständnis Impressionen dar. Deshalb muss er weiter unterscheiden zwischen ‚Originalimpressionen‘ (original impressions), die die Eindrücke aus den Sinnen und körperliche Empfindungen umfassen wie etwa Hunger, Schmerz oder Müdigkeit, und solchen Impressionen, die Hume als ‚secondary‘ bzw. ‚reflective‘ bezeichnet.

Die letzteren sind sekundär, weil sie auf den Originalimpressionen beruhen und ohne sie nicht erlebt werden können. Gemeint sind damit solche Gefühle, die wir nicht einfach aufgrund unserer körperlichen Beschaffenheit haben, wie etwa Schmerz oder Hunger, sondern erst dann, wenn wir auf Originalimpressionen (einschließlich Schmerz, Hunger oder auch Müdigkeit) reflektieren, d. h. uns auf sie zurückwenden in einem Akt der Selbstwahrnehmung. Sie entstehen also aus einem ersten Akt des Stellungnehmens, ohne dass hier schon rationale Erwägungen eine Rolle spielen müssten. Körperliche Eindrücke wie Schmerz oder Hunger können bekanntlich sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrufen, je nachdem, wie wir geneigt sind, damit umzugehen. Hume spricht hier von ‚Affekten‘ (passions) wie etwa Abneigung, Hoffnung, Furcht, Stolz, Liebe und Hass. Dieses Thema können wir in unserem Zusammenhang aber auf sich beruhen lassen, denn bei Hume führt es sehr bald in seine Moralphilosophie und damit aus der Philosophie des Wissens und Erkennens heraus.

Die Impressionen sind nach Hume nun die Grundlage für alles Erkennen, das zu einem Wissen von der Welt führt – also nicht nur sinnliche Wahrnehmungen, sondern auch originale körperliche Empfindungen wie Hunger, Schmerz oder Müdigkeit. Damit ist nicht gesagt, dass die Ideen keine Rolle spielen. Aber sie bleiben doch abhängig von den Impressionen, von denen sie nur Abbilder sind, und ein Abbild kann es natürlich nicht geben, ohne dass etwas schon Vorhandenes abgebildet wird, weshalb die Impressionen den originären Bezug zur Welt darstellen, wie sie in unserer Erkenntnis dargestellt werden kann. Erst dann können wir mithilfe der Einbildungskraft verschiedene Ideen zu sehr komplizierten zusammensetzen und uns etwa einen Kentaur vorstellen, also ein Pferd mit einem menschlichen Oberkörper, oder wir können Eindrücke und Ideen mithilfe unseres Erinnerungsvermögens ins Bewusstsein zurückrufen.

2.2.2Abstrakte Ideen und das Prinzip der Assoziation

Natürlich war auch Hume bewusst, dass wir von Erkenntnis üblicherweise dann sprechen, wenn wir es mit einem wesentlich komplizierteren Wissen zu tun haben als es das ist, das wir durch sinnliche Wahrnehmungen oder durch originale körperliche Empfindungen gewinnen können. In der Regel sind in unserem Wissen ‚allgemeine‘ Ideen enthalten, die Hume auch als ‚abstract‘ bezeichnet, also etwa solche, die Begriffen wie ‚Tisch‘, ‚Farbe‘ oder ‚Katzen‘ entsprechen. Woher kommen solche Ideen? Damit stand Hume an einem entscheidenden Wendepunkt. Hätte er einen eigenen Ursprung solcher allgemeinen oder abstrakten Ideen zugegeben oder angenommen, so wäre er offenbar auf einen Anfang unseres Erkennens jenseits der Impressionen gekommen, zumindest hätte er noch über die Impressionen hinaus einen solchen Anfang annehmen müssen. Das wäre etwa über die Annahme angeborener Ideen möglich gewesen oder auch über eine eigenständige Existenz solcher Allgemeinbegriffe, und dann hätte er das Erkennen als eine Anpassung an diese ‚ideale‘ Existenz allgemeiner Ideen auffassen müssen. Wie auch immer, die Erfahrung wäre damit verlassen gewesen und Hume hätte kaum eine Rolle für die Philosophie der modernen Wissenschaft gespielt, die behauptet, sich über Kontaktstellen zur wirklichen Welt als die richtige Beschreibung dieser Welt erweisen zu können.

Hume bleibt jedoch bei seinem Empirismus, indem er die allgemeinen bzw. abstrakten Ideen auf konkrete Ideen zurückführt. Erinnern wir uns: Ideen sind bei Hume die ‚Abbilder‘ von Impressionen bzw. in der wörtlichen deutschen Entsprechung von ‚Eindrücken‘ wie wir sie durch unser Erinnerungsvermögen gewinnen oder sie durch unsere Einbildungskraft aus einfacheren Ideen zu komplexeren Ideen zusammensetzen können. Wir haben nicht nur den wirklichen Hunger, sondern können uns auch an Hunger erinnern, und wir können aus der Erinnerung an Menschen und Pferden die Idee eines Pferdekörpers mit menschlichem Oberkörper zusammensetzen, die wir dann als Kentaur bezeichnen.

Abstrakte Ideen sind uns nun gegeben, indem uns konkrete Ideen gegenwärtig sind. Die allgemeine/abstrakte Idee ‚Tisch‘ können wir haben, weil uns dabei ein konkreter Tisch in unserer Vorstellung gegenwärtig ist. Die allgemeine/abstrakte Idee ‚Katze‘ können wir haben, weil wir diese Idee mit der nicht allgemeinen oder abstrakten Idee von unserer Katze Lucy verbinden. Dass auch Lucy in Humes Begriffen eine ‚Idee‘ ist, hängt natürlich damit zusammen, dass er alle Reproduktionen von Impressionen als ‚Ideen‘ bezeichnet; und wenn wir jetzt gerade an die Katze Lucy denken, dann ist sie – nehmen wir das an – gerade nicht im Zimmer bzw. in unserem Gesichtskreis, d. h. sie ist gerade ein Bewusstseinsinhalt. Unsere abstrakten/allgemeinen Ideen sind stets mit solchen konkreten Ideen verbunden, die wir als ‚Prototypen‘ für jene Ideen auffassen können. Gibt es in unserem Bewusstsein keinen solchen Zusammenhang, so haben die allgemeinen/abstrakten Ideen überhaupt keine Bedeutung für unser Erkennen und sie führen nicht zu einem Wissen, das überhaupt als ein solches bezeichnet werden könnte.

Hume geht sogar noch einen Schritt weiter und beseitigt damit ein kleines Problem, das nach der gerade skizzierten Erklärung von allgemeinen/abstrakten Ideen noch geblieben wäre. Für viele abstrakten bzw. allgemeinen Ideen ist es nicht ganz einfach, sie mit nicht allgemeinen bzw. abstrakten Ideen so zu verbinden, dass die ersteren ihren Sinn aus den letzteren gewinnen können, wie die Idee ‚Farbe‘ durch die konkrete Idee ‚rot‘ und die Idee ‚Katze‘ durch die konkrete Idee ‚Katze Lucy‘. Was gilt etwa für die Idee ‚viereckig‘? Es gibt keine Fälle von ‚Viereckigkeit‘, so wie es Fälle von ‚Katzen‘ in Gestalt der Katze Lucy gibt und Fälle von Farbe wie etwa ‚rot‘. Aber Humes Auflösung dieses Problems lehnt sich an die schon genannte Abhängigkeit der allgemeinen/abstrakten von den konkreten Ideen an. Es gibt keine Eindrücke von ‚Viereckigkeit‘, aber es gibt Erinnerungen an viereckige Dinge. Die Idee ‚viereckig‘ haben wir also deshalb, weil wir uns an viereckige Dinge erinnern und etwas Gemeinsames in ihnen vergegenwärtigen, eben dass sie vier Ecken haben. Damit hat Hume auch bereits eine Theorie über das, was wir die ‚Bedeutung‘ von solchen Wörtern nennen können, mit denen wir etwas Allgemeines/Abstraktes bezeichnen. Ihre Bedeutung erhalten sie, weil wir dann, wenn wir sie hören, Ideen von konkreten Dingen in uns mit ihnen verbinden; der Ausdruck ‚Viereckigkeit‘ gewinnt seine Bedeutung also durch die Verbindung mit der Erinnerung an viereckige Dinge.

Aber wenn Humes Ausführungen sich auf den Anfang des Wissens und speziell des wissenschaftlichen Wissens beziehen, dann muss er zumindest noch eine Erklärung dafür haben, wie wir die einzelnen Perzeptionen (Bewusstseinsinhalte) so miteinander verbinden, dass (a) zusammengesetzte Eindrücke und (b) zusammengesetzte Ideen entstehen. Ohne solche Zusammensetzungen könnten wir nie und nimmer zu wissenschaftlichen Aussagen und Erkenntnissen gelangen, sondern müssten offenbar bei Eindrücken wie ‚rot‘ oder Ideen wie der der Erinnerung an ‚rot‘ bleiben. Wir hatten schon darauf hingewiesen, dass es im Bereich der Ideen die Einbildungskraft ist, mithilfe derer wir einzelne Ideen so zusammensetzen können, dass auch ein Bewusstseinsinhalt entstehen kann, den wir nicht zuvor als Eindruck – hier als sinnliche Wahrnehmung – hatten, was etwa für einen Kentaur gilt. Aber wir verbinden Ideen auch ohne dass wir dabei Phantasiebilder erzeugen müssten. Also muss Hume für den Anfang des Wissens auch noch angeben, wie wir das tun können, und dieses Verbinden wird eine wichtige Rolle für die Grundlage alles Wissens und aller Wissenschaft spielen.

Hume nennt diese Verbindungsprinzipien zwischen Ideen, mit deren Hilfe wir von sehr einfachen Perzeptionen (Bewusstseinsinhalten) zu überaus komplizierten gelangen können, ‚principles of association‘ – Assoziationsprinzipien. Sehen wir uns die drei Prinzipien an, die nach Hume unter diesen Begriff fallen. (a) Wir verbinden Ideen mithilfe der Ähnlichkeit (resemblance) zwischen ihnen. Das gilt etwa für einen Gegenstand und dem Bild dieses Gegenstandes. (b) Wir können Ideen aber auch dann verbinden, wenn zwischen ihnen eine raum-zeitliche Nähe besteht (contiguity). Das ist etwa dann der Fall, wenn wir einen Eindruck sehr oft dann hatten, wenn mit ihm ein anderer Eindruck entstand. Wenn wir oft genug gehört haben, dass auf einen Blitzschlag Donner folgt, dann verbinden wir Blitz und Donner zu einer einheitlichen Idee. (c) Es gibt nach Hume aber noch eine weitere Verbindung von Ideen durch Assoziation, und diese spezielle Verbindung wird uns weiter unten noch eingehender beschäftigen. Es handelt sich um die Verbindung durch Ursache und Wirkung (cause and effect). An dieser Stelle genügt es, wenn wir daran denken, dass wir Ideen oft dadurch verbinden, dass wir bei einer Idee ihre Ursache mit einer gewissen Automatik in unserem Bewusstsein enthalten finden. Etwa verbindet jemand jedes Mal, wenn er die kleine Beule in seinem eigenen Auto sieht, damit die Farbe des Autos, dessen Fahrer an dieser Beule schuld war.

 

2.2.3Wahrnehmungen und die Gewissheit der Wissenschaft

Was hat David Hume damit erreicht in Bezug auf dasjenige Wissen, das als wissenschaftlich bezeichnet werden kann und von dem wir in der Regel annehmen, dass es besser sei als alles andere Wissen, vielleicht auch, dass es sowieso das einzige Wissen sei, das diesen Namen überhaupt verdient? Zunächst hat er eine Methode gefunden, mit der sich sinnvolle von sinnlosen Begriffen unterscheiden lassen. Wir müssen uns dazu nur an den Grundsatz erinnern, dass Ideen im Sinne Humes stets Abbilder von Eindrücken sind, d. h. von Impressionen, also von Bewusstseinsinhalten, die ursprünglich vorhanden sind, was sie durch ihre unmittelbare und lebhafte Gegenwart anzeigen. Das können Gefühle oder Wünsche sein, die für die praktische Philosophie wichtig sind. Für die Konzeption des Wissens aber sind die Sinneswahrnehmungen entscheidend. Sie können einfach oder zusammengesetzt sein, und sie können rein sinnlich bleiben, oder wir können uns sinnlich auf sie richten bzw. auf sie zurückkommen und haben dann reflexive Impressionen. Wir können die Einbildungskraft und die Erinnerung auf solche Impressionen anwenden, so dass wir zu Ideen kommen, die im Grunde so etwas wie Kopien von Impressionen sind. Solche Ideen können wir dann in unserem Bewusstsein zusammensetzen bzw. assoziieren, was mithilfe sehr sinnennaher Prozesse geschieht wie Ähnlichkeit, raum-zeitliche Nähe oder Ursache/Wirkung. Und damit können wir im Ausgang von Impressionen schließlich zu abstrakten bzw. allgemeinen Ideen kommen.

Solange wir in den Grenzen dieser Vorgänge bleiben, haben unsere Begriffe ein Fundament in den Ursprüngen unseres Wissens. Sobald wir diese Vorgänge jedoch überschreiten, überschreiten wir auch die Grenzen des uns möglichen Wissens. Das gilt auch für solche Begriffe, mit denen wir uns auf allgemeine bzw. abstrakte Ideen beziehen. Sie sind sinnvoll, solange sie uns mithilfe von konkreten Ideen gegenwärtig sind; und d. h., dass Ideen so etwas wie Kopien von Eindrücken sind, solange sie einen Bezug auf sinnliche Eindrücke behalten, da nur diese für das Wissen von Bedeutung sind. Auf eine kurze Formel gebracht: sinnliche Eindrücke (Impressionen) + einige fundamentale Verbindungen zwischen ihnen in unserem Bewusstsein = Wissen; alles darüber hinaus ist kein Wissen.

Wir sollten in Zusammenhang mit der Begründung des Wissens als Wissen aufgrund von Erfahrung und sinnlicher Wahrnehmung allerdings nicht vergessen, was das für die Gewissheit bedeutet, die wir unserem Wissen von der Welt zuschreiben können. Gerade wegen dieser Begründung des Wissens als Erfahrungswissen kann uns die Wissenschaft kein wirklich gewisses Wissen von der Welt zur Verfügung stellen. Ihr Wissen ist nie ‚notwendig‘, denn im Prinzip ist stets auch das Gegenteil möglich. Ein ‚notwendiges‘ und absolut gewisses Wissen können wir nur außerhalb unserer Erfahrung von der Welt gewinnen. Das ist nur in der Mathematik möglich, wo wir Vorstellungsbeziehungen (in Humes Sprache: relations of ideas) ‚demonstrieren‘ können, was letztlich nichts anderes heißt, als dass wir solche Urteile bilden, bei denen wir nur das aus den Begriffen herausholen, was wir zuvor in sie hineingesteckt hatten – wir bilden sog. ‚analytische‘ Urteile.

Was wir in der Wissenschaft erreichen können, ist kein Wissen in diesem Sinne (das Hume im engeren Sinne als ‚knowledge‘ bezeichnet). Wissenschaftliches Wissen bietet uns nur eine Gewissheit auf der Grundlage von ‚Beweis‘ (proof) oder von ‚Wahrscheinlichkeit‘. Der Beweis liefert uns nur ein Wissen von Zusammenhängen, die prinzipiell auch anders sein könnten – obwohl sie es nicht sind. Und nun ist es für Hume und für alles, was auf dieser Grundlage für die Philosophie der Wissenschaft und damit auch für die der Philosophie eigene Reflexion auf die Wissenschaft folgt, von großer Bedeutung, wie Hume solche ‚Beweise‘ auffasst. Der Ansatz dazu ist aber schon in dem angelegt, was wir über Humes Sicht auf die Grundlagen des Wissens über die Welt ausgeführt hatten. Wir hatten gesehen, dass diese Grundlagen in den sinnlichen Impressionen und deren ‚Kopien‘ in der Erinnerung bzw. in ihren ‚kreativen Kopien‘ mithilfe der Einbildungskraft liegen, also in den Ideen, deren Originale letztlich auf die sinnliche Wahrnehmung führen, jedenfalls im Falle von theoretischer (und nicht praktischer) Erkenntnis über die Welt (und nicht über das richtige Handeln).

Welche ‚Beweise‘ sind auf dieser Grundlage möglich? Natürlich nur solche, die sich auf Verbindungen zwischen Ideen und damit wiederum auf Zusammenhänge zwischen sinnlichen Wahrnehmungen stützen können. Genau das führt Hume zu seiner Auffassung von wissenschaftlichem Wissen auf der Grundlage von ‚Beweisen‘. Als Beweise können danach nur immer wieder auf gleiche Weise gemachte Erfahrungen von Zusammenhängen zwischen unseren Erfahrungen dienen. Beweise sind also Erfahrungen von Regelmäßigkeiten. Humes Standardbeispiel dafür ist der Aufgang der Sonne am Morgen. Dass die Sonne morgen aufgehen wird, können wir nicht in dem Sinne wissen, wie dies für die Analyse von ‚Vorstellungsbeziehungen‘ gilt, also nicht in einem ‚notwendigen‘ Sinne wie etwa für den Zusammenhang, dass die Winkelsumme des Dreiecks 180 Grad ausmacht. Aber wir können einen ‚Beweis‘ dafür führen, weil wir eine solche Kenntnis durch die lange Erfahrung besitzen, dass die Sonne immer am Morgen aufgeht. Damit ist der Bereich des (nicht-analytischen) Wissens über die Welt aber auch schon erschöpft.

Über die ‚Regelmäßigkeiten‘ hinaus gibt es nur noch Gründe für solche Gewissheiten, die wir als Wahrscheinlichkeit ansehen können. Dies lässt sich in manchen Fällen mit mathematischen Mitteln angeben, so wie dies für die Wahrscheinlichkeit gilt, dass beim Würfeln eine bestimmte Zahl erreicht wird. In anderen Fällen gibt es aber auch das, was Hume als ‚Wahrscheinlichkeit der Ursachen‘ (probability of causes) bezeichnet, etwa in solchen Fällen, in denen der Eintritt der Wirkungen von Ursachen von anderen Bedingungen bzw. Ursachen abhängig ist, so dass allein durch das Auftreten einer bestimmten Ursache noch nicht entschieden ist, dass es zur erwarteten Wirkung kommt, obwohl man dafür eine gewisse Wahrscheinlichkeit annehmen kann.

Hier könnte man die Frage stellen, ob die von Hume beschriebene Wissenschaft denn so etwas wie ein vernünftiges Unternehmen ist. Was ist das, die ‚Vernunft‘? Für David Hume ist vernünftig genau das Vorgehen, das wir soeben beschrieben haben. Man könnte also sagen, es handelt sich um die Fähigkeit, die per Reflexion erkannten grundlegenden Strukturen des uns möglichen Erkennens möglichst optimal einzusetzen. Optimal ist der Einsatz dann, wenn wir durch die Verbindung von Eindrücken und Ideen (also in Bezug auf das theoretische Wissen stets im Ausgang von sinnlichen Wahrnehmungen) zu solchen Regelmäßigkeiten oder wenigstens Wahrscheinlichkeiten gelangen, die besonders haltbar oder lebensfähig sind. Hume beschrieb diese Verbindungen von Perzeptionen, die Ergebnisse der vernünftigen Suche nach Wissen sind, mit Ausdrücken wie ‚permanent‘, ‚irresistible‘ oder ‚universal‘ – also dauerhaft, unwiderstehlich und allgemein. Wenn Verbindungen mit solchen Eigenschaften gefunden werden, dann bezeichnen wir sie gewöhnlich als ‚wahr‘.

Wie gelangen wir also zu solchen Erkenntnissen über die Welt, die wir als ‚wahr‘ auffassen können? Wir gehen auf der Grundlage von Erfahrungen vor, d. h. auf empirischem Wege. Wir gehen von Bewusstseinsinhalten aus, die zunächst ‚Eindrücke‘ (impressions) sind und die in unserer Erinnerung und mithilfe unserer Einbildungskraft zu ‚Ideen‘ werden. Solche ‚Ideen‘ verbinden wir mithilfe von Assoziationsprinzipien wie Ähnlichkeit, raum-zeitliche Nähe oder Ursache/Wirkung zu komplizierteren Aussagen über die Welt. Auf diese Weise können wir auch abstrakte/allgemeine Begriffe bilden, die sich auf entsprechende Ideen beziehen, aber nur solange wir den Zusammenhang mit konkreten Ideen, also letztlich mit Eindrücken aus der sinnlichen Wahrnehmung behalten. Damit erlangen wir die Fähigkeit, Beweise für Erkenntnisse auf der Grundlage von Regelmäßigkeiten in unserer Erfahrung der Welt zu finden. Dass wir solche Beweise gefunden haben, zeigt sich aber wiederum in unseren Bewusstseinsinhalten. Wir sind von einer Erkenntnis überzeugt, wenn wir sie mit besonderer ‚Lebhaftigkeit‘ in unserem Bewusstsein vorfinden, so dass sie uns als dauerhaft und unwiderstehlich gilt. Hume schrak nicht davor zurück, dieses Bewusstsein eines ‚Geltens‘ als einen ‚belief‘ zu bezeichnen – als einen Glauben also.

Was macht nun die empirische Wissenschaft aus, von der wir eine Erkenntnis über die Welt beziehen können, die als ‚wahr‘ bezeichnet werden kann? Stellt sich in ihr die Welt selbst so dar, wie sie immer und ewig ist, ohne dass Menschen von ihr irgendeine Erkenntnis besitzen? Übersetzt sich in der empirischen Wissenschaft also die Welt, wie sie unabhängig von uns ist, in unsere Sprache(n) und enthüllt sich in ihrer Wahrheit? Macht uns die empirische Wissenschaft also den Blickwinkel aus dem Auge Gottes zugänglich, der alles sieht und alles weiß? Finden wir mit ihrer Hilfe zu den Gedanken Gottes, bevor er die Welt erschaffen hat? Nach der Wissenschaftsphilosophie des Begründers des Empirismus verhält es sich offenbar keineswegs so. Als Wissenschaftler gehen wir mit dem Material um, das wir in der Form von Bewusstseinsinhalten vorfinden, wobei besonders diejenigen ‚Impressionen‘ wichtig sind, die wir als sinnliche Wahrnehmungen bezeichnen können. Dieses Material reproduzieren wir in unserem Bewusstsein und stellen in ihm Verbindungen her, denen wir in manchen Fällen eine Gewissheit zuschreiben können, deren Formen sich in unserem Bewusstsein vorfinden.

Worauf beruht die empirische Wissenschaft also? In einer bestimmten Weise auf einem ‚Glauben‘. Allerdings sollten wir darunter hier nicht ein System religiöser Überzeugungen verstehen. Gemeint ist ein bestimmter ‚Modus‘, in dem wir uns auf Verbindungen von Bewusstseinsinhalten beziehen, die wir als Erkenntnisse über die Welt auffassen. Zu dieser Auffassung gehört ein Stellungnehmen und ein Bewusstsein, das sich nicht grundsätzlich von dem ‚Modus‘ unterscheidet, in dem wir umfassende Deutungssysteme der Welt akzeptieren, wie wir sie etwa in den Religionen vorfinden. Das heißt natürlich nicht, dass Hume der Meinung war, die Wissenschaft sei so etwas wie eine Religion. Aber auf ihre Wahrheit verlassen wir uns doch auf der Grundlage eines Bewusstseins, das sich nicht grundsätzlich von dem Bewusstsein unterscheidet, mit dem wir religiöse Gewissheiten akzeptieren.

Heißt das, dass wir nichts wissen können? Natürlich war Hume nicht dieser Meinung. Aber seine Reflexion auf das uns mögliche Wissen über die Welt brachte ihn zu der Einsicht, dass ein vernünftiger Begriff von Wissen und Vernunft nicht auf einer Vorstellung von der Annäherung an den Blick Gottes aufbauen kann und ebenso wenig auf dem Gedanken, in unserem Wissen stelle sich die Welt ein für alle Mal unabänderlich und vollständig selbst dar. Wir wissen etwas von der Welt, indem wir unsere Eindrücke und Ideen benutzen und Verbindungen zwischen ihnen herstellen. Auf diese Weise kommen wir zu Urteilen über die Welt, an denen wir festhalten, bis bessere Verbindungen zwischen unseren Eindrücken und Ideen gefunden werden, oder bis andere Menschen uns davon überzeugt haben, dass andere Zusammenhänge eine größere Plausibilität besitzen, so dass wir dann besser an diese glauben und uns auf sie verlassen. Die ‚Welt selbst‘ kommt darin überhaupt nicht vor. Wir brauchen sie auch nicht, um zu verlässlichen Urteilen über die Regelmäßigkeiten in der Welt zu gelangen. Für die Praxis reicht die empirische Wissenschaft allemal aus.

2.2.4Ein Beispiel: Hume und das newtonsche Gravitationsgesetz

Was ergibt sich auf der Grundlage von Humes Empirismus für Newtons Gravitationsgesetz? Zur Erinnerung: die Gravitationskraft zwischen zwei Massen ist proportional zum Produkt der beiden Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes der beiden Massen voneinander, und sie wird durch eine der Größe nach bekannte Gravitationskonstante bestimmt. Nach heutigem Wissensstand handelt es sich um den Spezialfall einer allgemeineren Theorie, die eine allgemeinere Beschreibung der Gravitationskraft mithilfe der allgemeinen Relativitätstheorie vornimmt; nichtsdestoweniger ist sie für praktische Zwecke eine Näherung für schwache Gravitationsfelder. Es handelt sich um eine Regelmäßigkeit, die Isaac Newton aufgrund von Beobachtungen gefunden hat – mit Hume gesprochen: aufgrund von Perzeptionen (Bewusstseinsinhalten) zunächst in der Gestalt von Impressionen (sinnlichen Wahrnehmungen) im Verlaufe von Messungen sowie in der Gestalt von ‚Ideen‘, also Reproduktionen solcher Wahrnehmungen in der Erinnerung und in der Einbildungskraft. Newton verband dann Perzeptionen miteinander, wie dies nach den genannten Assoziations-gesetzen natürlich erscheint, also mithilfe von Ähnlichkeit, raum-zeitlicher Nähe und Ursache-Wirkungs-Verbindungen. Die Ursache für die Stärke der Gravitationskraft ergab sich danach als dargestellt durch die beiden Massen und durch deren Abstand sowie durch die Gravitationskonstante.

 

Hat das newtonsche Gravitationsgesetz irgendetwas mit der Welt an sich zu tun, wenn wir Humes Empirismus in der Wissenschaftsphilosophie folgen? Enthält es die Behauptung, genau so verhalte sich die Welt, unabhängig davon, ob es Menschen gibt, die so etwas wie dieses Gravitationsgesetz kennen, oder ob es keine Menschen gibt? Hat es irgendetwas mit einer Sicht aus der Perspektive Gottes zu tun und beschreibt es in diesem Sinne eine ‚objektive‘ Welt? Kommen wir damit also einer Einsicht in die Gedanken Gottes ein kleines Stück näher? Mitnichten! Solche Behauptungen und Phantasievorstellungen kommen in diesem Gesetz überhaupt nicht vor. Es beschreibt lediglich, wie sich Bewusstseinsinhalte zueinander verhalten, d. h. wie sie sich verbinden, und zwar so, dass sich eine Regelmäßigkeit von Bewusstseinsinhalten ergibt. Immer wenn eine Messung vorgenommen wird, d. h. sinnliche Perzeptionen in originaler Form (also Eindrücke, oder im Original: impressions) in das Bewusstsein von Isaac Newton eintraten, dann zeigte sich das gleiche Ergebnis, d. h. es ergab sich diese und keine andere Verbindung zwischen ihnen.

Ist das newtonsche Gravitationsgesetz deshalb ‚vernünftig‘? Nein – wenn wir uns unter ‚Vernunft‘ ein Denken vorstellen, das aus sich heraus (und ohne Beteiligung von Impressionen) zu Erkenntnissen oder sogar Einsichten über die Welt kommen kann. Nein – wenn wir uns die Vernunft als ein Vermögen vorstellen, das jenseits menschlicher Bewusstseinsinhalte und ihrer Verbindungen und Regelmäßigkeiten den Blick auf die ‚Welt an sich‘ richten kann und uns auf diese Weise ‚notwendige‘ Gesetze über sie liefert, die gelten ohne Abhängigkeit davon, welche Bewusstseinsinhalte in Menschen vorkommen und welche Verbindungen und Regelmäßigkeiten zwischen ihnen wiederum als Bewusstseinsinhalte auftreten. Ja – wenn wir Humes Begriff der Vernunft heranziehen.

Dann nämlich ist die Vernunft einfach die Fähigkeit, unsere Urteile (wie etwa das newtonsche Gravitationsgesetz) mit den Beziehungen unter unseren Perzeptionen (relations of ideas) in Übereinstimmung zu bringen, d. h. solche Urteile zu fällen, die mit unseren Bewusstseinsinhalten übereinstimmen und dies so, dass wir annehmen können, diese Verbindungen zwischen unseren Perzeptionen beziehen sich auf ‚Tatsachen‘ (matters of fact). Dies ist dann der Fall, wenn sich solche Verbindungen aus der Erfahrung ergeben und zwar so, dass wir dafür einen ‚Beweis‘ (proof) finden. Der ‚Beweis‘ aber liegt in der Regelmäßigkeit der Verbindungen zwischen Impressionen bzw. Ideen über längere Erfahrungszeiträume. Damit erreichen wir zwar nicht das Wissen, das analytisch in der Mathematik möglich ist, aber doch immerhin den Ausschluss faktischen Zweifels aufgrund der Erfahrung einer Regelmäßigkeit.

Die Regelmäßigkeit in der Verbindung zwischen unseren Impressionen und Ideen lässt unsere Zweifel schwinden, und in einem solchen Fall sprechen wir von Verbindungen, für die uns ein Beweis zur Verfügung steht. Anders gesagt: unsere Perzeptionsbeziehungen fassen wir als Beschreibungen von Tatsachen auf, wenn wir einen Beweis durch eine ausreichende Regelmäßigkeit des Auftretens entsprechender Zusammenhänge liefern können. Der Weg von den Bewusstseinsinhalten zu unserem Wissen über Tatsachen führt also über den Beweis, der in der Wahrnehmung der festen Regelmäßigkeit zwischen dem Auftreten von Bewusstseinsinhalten fundiert ist und damit letztlich von Impressionen – von sinnlichen Eindrücken – abhängt. Genau darauf beruht nach Humes Wissenschaftsphilosophie der Beweis für das newtonsche Gravitationsgesetz – in einer solchen Regelmäßigkeit, die es für uns ‚unvernünftig‘ erscheinen lässt, daran zu zweifeln, dass sich die Gravitationskraft genau so errechnen lassen wird, wie das eben dieses Gesetz zum Ausdruck bringt.

Wir können es ‚beobachten‘, indem wir messen, d. h. durch Instrumente solche Impressionen gewinnen, deren Verbindungen sich regelmäßig wieder herstellen lassen. Jedes Mal, wenn wir dies tun, stellen wir fest, dass der Betrag der Gravitationskraft proportional zum Produkt der beiden Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat ihres Abstandes voneinander ist. Diese Idee wird deshalb schließlich besonders ‚lebhaft‘ perzipiert und wir verbinden ein besonderes Gefühl mit ihr, das Hume als ‚Glaube‘ (belief) bezeichnet. Also können wir uns auch so ausdrücken: die ‚Vernunft‘ bzw. die ‚Wahrheit‘ des newtonschen Gravitationsgesetzes besteht nicht in seiner ‚Übereinstimmung‘ mit einer ‚impressionsunabhängig‘ beschreibbaren Wirklichkeit oder Welt ‚an sich‘, sondern sie besteht in der festen Regelmäßigkeit von Impressionen und Ideen, die uns ein besonderes ‚Gefühl‘ vermittelt, das sich als ‚Glaubensüberzeugung‘ bezeichnen lässt.

Ist das newtonsche Gravitationsgesetz deshalb falsch oder von minderem wissenschaftlichen Wert? Keineswegs! Die durch die moderne Atomphysik entwickelte Einschränkung seiner Geltung im Sinne eines Spezialfalles ist selbst eine ‚Regelmäßigkeit‘ auf der Grundlage empirischer Forschung, d. h. sie ist auf der gleichen Grundlage entstanden wie das Gesetz selbst. So sind die Grundlagen unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse eben, wenn wir dem Empiristen David Hume folgen. Wir haben keine andere Art, zu Erkenntnissen über die Welt zu gelangen, als über die Feststellung von Regelmäßigkeiten in unseren Bewusstseinsinhalten, die uns schließlich so sicher werden, dass wir geradezu daran ‚glauben‘.

Auf der Grundlage von Humes Wissenschaftsphilosophie lassen sich allerdings einige Vorstellungen aus der Popular-Wissenschaft und besonders aus der Popular-Physik korrigieren, die bisweilen auch Wissenschaftler selbst hegen, wenn sie nicht gerade mit Wissenschaft beschäftigt sind. Etwa kann man bisweilen lesen, die Gravitation ‚bewirke‘, dass sich Körper wechselseitig anziehen. Natürlich ‚bewirkt‘ die Gravitation nichts, sondern sie ist die Erscheinung, dass sich Körper wechselseitig annähern. Das bedeutet auch, dass die populäre – und nicht nur popularwissenschaftliche – Redeweise von der Gravitation als ‚Kraft‘ mit Vorsicht verwendet werden muss. Nach Hume ist eine Ausdrucksweise von einem ‚etwas‘, das die beobachtbaren Zusammenhänge hervorbringt, die wir als Gravitation kennen, völlig sinnfrei. Auf wissenschaftlicher Grundlage können wir nur sagen, dass über lange Zeit fortgesetzte Beobachtungen vieler Menschen darin übereinstimmen, dass sich Körper (physikalisch: Massen) wechselseitig aufeinander zubewegen. Hier eine ‚Kraft‘ am Werke zu sehen, ist dann metaphysischer Humbug, wenn wir damit eine Substanz meinen, die etwas ‚bewirkt‘. Wir können aber so reden, wenn wir mit einem Ausdruck wie ‚Kraft‘ oder ‚Gravitationskraft‘ genau das Phänomen meinen, das wir beobachtet haben.