Das Biest in Dir

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Nächtliche Gefahren

Seinem guten Vorsatz folgend, entschied sich Darius nicht weiter mit Therry zu streiten und sammelte das Feuerholz. Als er sich missmutig daran machte, mit seinen Feuersteinen eine Glut zu entfachen, kehrte sie bereits mit je einem toten Kaninchen in der Hand aus dem Gebüsch des Waldrandes zurück. Die Tiere waren zwar noch jung und unter ihrem braunen Fell war nur wenig Fleisch, doch es war besser als nichts. Offenbar konnte Therry nicht nur große Reden schwingen, sondern auch Taten folgen lassen.

Da es langsam spät wurde und sie auch sonst nichts Besseres zu tun hatten, legten sich die beiden nach dem Essen zum Schlafen ans Feuer, nicht ohne vorher noch untereinander die Wachschichten aufzuteilen. Sie sprachen nicht viel mehr miteinander als unbedingt nötig, aber es war das erste Mal, dass Darius mit ihr übereinstimmte, denn ob es nun Alben gab oder nicht, es war gewiss eine gefährliche Gegend. Und so einigten sie sich, dass Darius Wache halten würde, bis der gerade aufgehende Mond im Zenit stand, dann würden sie sich abwechseln.

Die Nacht war noch relativ kühl und spätestens jetzt sah Darius die Sinnhaftigkeit des Feuers ein, das nicht nur gut gegen die Kälte war, sondern tatsächlich auch die Tiere des Waldes fernhielt, welche nach Sonnenuntergang ein solches Spektakel veranstalteten, dass einem angst und bange werden konnte. Neben dem Geschrei der Schwarzaffen und dem Fauchen von Kanimas, das an sich schon zu Recht gefährlich klang, waren auch andere Geräusche von Tieren zu hören, die Darius noch gar nicht kannte. So vernahm er ab und an einen Ton, ähnlich dem Zirpen einer Grille, nur sehr viel höher, vermischt mit dem Geräusch, das die Flügel einer Fliege machten, wenn sie einem zu nahe ans Ohr flog.

Therry hingegen schien das alles nicht fremd zu sein, denn bereits kurze Zeit nachdem sie sich auf ihrem Lager niedergelassen hatte, wurde ihr Atem langsam und gleichmäßig. Sie schien mit den Gefahren das nahe gelegenen Waldes wesentlich besser zurechtzukommen als er. Deshalb war Darius auch froh, als der Mond – den er in dieser bewölkten Nacht die meiste Zeit über nur am Himmel vermuten konnte – direkt über ihm stand. Nun konnte er Therry die Bürde des Wachehaltens übertragen und schlief nach einer Weile, in der er sich unzufrieden in seinem Schlafsack herumwälzte, tatsächlich ein.

Darius war, als hätte er sich eben erst hingelegt, als ihn etwas unsanft von der Seite her anstieß. Schlaftrunken blickte er sich nach dem Ruhestörer um, als sich plötzlich eine Hand um seinen Mund legte und ihn zuhielt. Mit einem Mal war er hellwach und wollte sich dem Angreifer stellen, der ihn so feige in der Nacht attackierte. Doch in dem Moment, da er nach der Hand greifen wollte, erkannte er, dass es Therry war, die ihn festhielt. Obwohl sie kein Wort sagte, schien sie sehr aufgeregt. Nachdem sie sich den Zeigefinger ihrer anderen Hand auf die Lippen gelegt und ihm damit deutlich gemacht hatte, dass er leise sein sollte, ließ sie ihn los. Schweigend deutete sie nach links. Erst jetzt fiel Darius auf, dass das Feuer nicht mehr brannte, sondern nur noch eine schwache Glut zwischen den Zweigen glomm. Anscheinend hatte sie in aller Eile Erde darauf geworfen.

Und dann sah er, weshalb Therry ihn aufgeweckt hatte. Keinen Steinwurf von ihrem Lager entfernt, ließen sich dunkle Schemen ausmachen, deren breite Silhouetten sich leicht von der nächtlichen Umgebung abhoben. Unwillkürlich musste Darius an schwarze Augen und mörderische Alben denken. Er war schon kurz davor, Therry darauf aufmerksam zu machen, dass er recht hatte und Alben sehr wohl existierten. Aber im letzten Moment entsann er sich anders. Zumal die Gestalten – es mussten zwölf bis fünfzehn sein – jetzt direkt auf sie zukamen.

»Was’n das?«, hörte er eine tiefe, kehlige Stimme dümmlich in die Nacht hinein fragen. Offenbar hatten sie das nur notdürftig erstickte Lagerfeuer bemerkt.

»Is’ da wer?«, meldete sich jetzt ein anderer, und da sie ohnehin bereits entdeckt waren, sah Darius keinen Sinn mehr darin, leise zu sein und die unausweichliche Konfrontation hinauszuzögern. Vielleicht, so dachte er, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, waren die Fremden ihnen ja gar nicht feindlich gesonnen. War es nicht viel wahrscheinlicher, auf harmlose Wanderer zu treffen, denn auf Alben?

Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Denn sowie Darius mit einem Gruß auf sich aufmerksam gemacht hatte, ließen die Unbekannten ein freudiges Grölen verlauten und einer brüllte: »Auf ihn!«

»Na toll!«, fauchte Therry ihn wütend an, während sie nach ihrem Schwert griff, um sich auf die unerwarteten Gegner zu stürzen. Darius war froh, dass Skal ihm seine Waffe vor seinem Aufbruch in den Wald wieder zurückgegeben hatte, doch gegen diese Übermacht würde sie ihm wohl kaum etwas nützen.

Die Gedanken des jungen Mannes überschlugen sich förmlich. Was sollten sie tun? Einen Kampf könnten die beiden unmöglich gewinnen und für eine Flucht waren ihnen die Gegner bereits zu nahe. Trotzdem hätte er lieber Fersengeld gegeben und gehofft, dass sie ihre Angreifer im Schutz der Dunkelheit abhängen konnten. Doch diese Möglichkeit war bereits verstrichen, denn schon kreuzte Therry mit dem ersten ihrer Widersacher die Klingen. Für einen kurzen Moment hielt Darius immer noch an dem Gedanken fest, sich einfach umzudrehen und abzuhauen. Sollte diese Nervensäge doch sehen, wo sie blieb. Aber bereits eine Lidschlag später verwarf er den feigen Gedanken wieder. Schließlich hätte sie sich ja auch einfach aus dem Staub machen können, als sie die Fremden bemerkt und er noch geschlafen hatte.

Außerdem war er es gewesen, der die finsteren Gestalten endgültig auf sie aufmerksam gemacht hatte. Somit brachte Darius es einfach nicht über sich, Therry bei dem Kampf gegen die Übermacht von Gegnern sich selbst überlassen. Mit dem Gedanken, dass das alles kein gutes Ende nehmen würde, stürzte er sich in den Kampf.

Als Darius mit seinem Schwert auf den ersten Gegner einhieb, stellte er urplötzlich und mit schreckgeweiteten Augen fest, dass er keinen Menschen vor sich hatte. Erst vor Kurzem hatte er die grüngeschuppte Haut, den mächtigen Kiefer mit den hervorstehenden Hauern und den muskulösen Körper gesehen. Bei der Kreatur, die sich ihm in dem Weg stellte, handelte es sich um einen Ork. Sicherlich nicht dasselbe Exemplar, welches er in dem Gefangenentransport der Zwerge vor zwei Tagen gesehen hatte und das ihm damals noch leidgetan hatte, aber genau sagen ließ sich das nicht.

Wie Darius feststellte, sahen die Gefährten der Kreatur, ebenfalls alles grobschlächtige Orks, genauso aus. Tiefe Furchen durchzogen ihre, von lederner Haut bespannten Gesichter. Für das menschliche Auge ließ sich in der Dunkelheit kaum ein Unterschied zwischen den Monstren feststellen, was sie nur noch bedrohlicher wirken ließ. In jedem einzelnen der vom Mondlicht nur schwach beleuchteten, gelben Augenpaare war die unverhohlene Blutgier deutlich zu lesen.

Jegliches Mitleid, das Darius für diese, seiner Meinung nach zutiefst missverstandenen, Geschöpfe bisher empfunden hatte, löste sich in Luft auf, als sein Schwert auf das der ersten Bestie stieß. Der Ork schien den Schlag mühelos zu parieren, denn er ließ ein grausames Lachen hören, dass sich mehr wie das Bellen eines Hundes anhörte. Als die nach Dung stinkende und von Warzen übersäte Kreatur ihrerseits zum Schlag ausholte, hatte Darius, der gerade noch rechtzeitig das Schwert heben konnte, das Gefühl, sein Arm würde durch das Schultergelenk gedrückt und gleich aus dem Rücken wieder austreten. Die Kreaturen sahen nicht nur gemein aus, sie hatten auch eine unglaubliche Kraft. Schon waren zwei weitere Gegner heran und Darius, der aus dem Augenwinkel sah, wie Therry einem riesigen Ork die Klinge in den Bauch rammte und beinahe im selben Moment vom Körperstoß eines weiteren von den Beinen gerissen wurde, erkannte, dass es nun vorbei war. Der Kampf war verloren, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte.

Jetzt würde er niemals ein Iatas werden, der für das Gute kämpfte, um damit all die Fehltritte auszugleichen, die er in seinem Leben begangen hatte. Doch genau in diesem Moment der Ausweglosigkeit ergriff irgendetwas von ihm Besitz. Mit einem Mal nahm Darius alles nur noch ganz verschwommen und unecht wahr. Es war, als steuerte jemand anderes seinen Körper. Alles lief wie von selbst ab.

»Ich schlitz dich auf, wie ‘n Steppenkriecher!«, grölte der Ork, der ihm am nächsten stand. Doch bevor er seine schartige Klinge auf Darius niederfahren ließ, stach der ihm kurzerhand in den Fuß, indem er sein Schwert schnellstmöglich nach unten stieß. Der hünenhafte Koloss stolperte mit einem Schmerzenslaut nach hinten, der sich anhörte wie das Quieken einer verängstigten Sau. Doch Darius setzte ihm sogleich mit einem Angriffsschrei, welcher auf ihn selbst so wirkte, als käme er von ganz weit weg, nach und köpfte die Bestie mit einem Streich.

Dem nächsten Ork schenkte er noch nicht einmal die Aufmerksamkeit seiner Klinge, sondern trat ihm nur mit voller Wucht gegen den Wanst, sodass auch dieser nach hinten wegtaumelte und Darius den Platz gab, den er brauchte, um mit seinem Schwert in einem weiten Bogen auszuholen. Einen Lidschlag später nahm seine Waffe ein weiteres Leben, indem sie den Kopf einer der Kreaturen bis zum Schlüsselbein teilte.

Dem gerade ausgeführten Schwertstich eines anderen Orks wich Darius geschickt aus und erkannte mit Schrecken, wie zwei der verbliebenen Gegner, die mit dem Rücken zu ihm standen, ihre Äxte stetig auf die am Boden liegende Therry niederfahren ließen. Bisher hatte sie es wie durch ein Wunder geschafft, jeden der Schläge abzufälschen. Doch wie lange das noch so bleiben würde, war mehr als fraglich.

 

Hauend und stechend bahnte Darius sich den Weg zu ihr und mehr als einmal fand sein Schwert dabei mit tödlicher Genauigkeit sein Ziel. Die gegnerischen Attacken schienen ihm indes nichts anhaben zu können, zumal sie mit einem Mal unnatürlich langsam, ja beinahe schon lächerlich wirkten. Während er sich durch die Menge der Angreifer bewegte, die mittlerweile schon fast um die Hälfte geschrumpft war, fügten ihm die Echsenmänner nicht einen einzigen Kratzer zu. Dafür spritzte das grüne Orkblut nur so nach allen Seiten.

Als Darius direkt hinter den beiden war, die auf die am Boden liegende Therry einhackten und vom Sterben ihrer Artgenossen nichts mitbekamen, sprang er dem einen aus vollem Lauf in die Kniekehle. Gleichzeitig ließ er dem anderen, noch in der Flugphase, sein Schwert waagerecht und mit der ganzen Länge der Schneide wuchtig gegen den Rücken fahren.

»Darius?«, hörte er Therry wie durch einen Schleier erschöpft und ungläubig, während sie sich mühsam wieder aufrichtete.

Indes stieß einer der Orks, der seine Kameraden noch gut um Haupteslänge überragte und aus einem Schnitt am Hals blutete, ein animalisches Brüllen aus woraufhin sie sich zum Rückzug wandten. Allerdings nicht geordnet, sondern wild und in panischer Furcht vor dem Menschen, der unter ihnen gewütet hatte, wie ein rasender Troll.

Kurz bevor sie in der Dunkelheit verschwunden waren, drehte sich der Große im Laufen noch einmal um, funkelte die beiden wütend aus seinen Reptilienaugen an und grunzte: »Das werdet ihr noch bereuen, das schwöre ich!«

Als sich die Monstren entfernt hatten, konnte sich auch Darius langsam beruhigen und begann wieder alles normal wahrzunehmen.

»Was zum Henker war das?«, keuchte Therry verständnislos. Ihre Brust hob und senkte sich ich rascher Folge.

»Was?«, fragte Darius ebenso atemlos und wanke leicht. Ihm wurde schwindlig und er wollte sich, ungeachtet des grünen Lebenssaftes, der wie eine zweite Haut an ihm klebte, erschöpft auf sein Lager niederlassen. Zu seinem Erstaunen musste er feststellen, dass sowohl sein Schlaf- als auch sein Rucksack nicht mehr da waren.

»Mach dich nicht über mich lustig, Darius. Du weißt genau, was ich meine. Wie konntest du all diese Orks in die Flucht schlagen?«, fragte Therry wütend.

»Weiß ich doch nicht!«, schrie Darius sie an, der mittlerweile vor lauter Kopfschmerzen auf die Knie gesunken war und sich die Hände gegen die Schläfen presste. In diesem Moment erkannte auch Therry, dass irgendetwas mit ihm nicht in Ordnung war.

»Alles klar?«, fragte sie vorsichtig und berührte Darius leicht an der Schulter, um ihn umzudrehen. Doch in diesem Moment erbrach er sich geräuschvoll auf den Boden.

»Alles ... alles in ... Ordnung«, keuchte Darius. »Wir ... wir sollten verschwinden, bevor sie mit Verstärkung wieder zurückkommen.«

»Ähh ... ja«, entgegnete Therry völlig perplex. »Fehlt dir was?«

»Nur meine Sachen. Keine Ahnung, warum sie die mitgenommen haben. Besonders wertvoll war nichts davon«, antwortete der Iatas-Anwärter, während er unbeholfen aufzustehen versuchte.

»Das hab ich nicht gemeint«, sagte sie besorgt und blickte unentschlossen auf ihren Gefährten hinab, dem noch immer Speichelfäden aus dem Mund hingen. »Bist du verletzt worden?«

»Nein ... nein, mir geht es gut«, sprach Darius und versuchte die Situation mit einem Lächeln herunterzuspielen. »Hast du eine Ahnung, was die von uns wollten?«

»Ich denke mal, sie sind nur zufällig auf uns gestoßen«, meinte Therry und verkniff es sich, Darius dafür zu kritisieren, dass er es gewesen war, der die Orks erst auf sie aufmerksam gemacht hatte. »Sie haben vermutlich kurzerhand beschlossen, uns ausrauben und umzubringen. Und nach deiner Attacke haben sie sich eben genommen, was in Greifweite war«, schlussfolgerte die junge Frau, während sie Darius wieder auf die Beine half. Einige Augenblicke später setzten die zwei sich in Bewegung, um den von Leichen übersäten Kampfplatz so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.

»Was mich jedoch wieder zu meiner ursprünglichen Frage führt: Was war das? Wie hast du gelernt, so gut zu kämpfen?«, fragte Therry erneut nach einigen Schritten, als Darius sich wieder so weit zusammennehmen konnte, dass ihm das Laufen auch ohne ihre Hilfe wieder möglich war.

»Das war nicht ich«, entgegnete er ruhig. »Ich weiß, wie komisch das klingt, aber irgendetwas in mir hat die Kontrolle übernommen. Kannst du dir das erklären?«

»Nein ... keine Ahnung«, entgegnete Therry verblüfft. »Wir könnten höchstens morgen unsere Meister danach fragen. Oh verdammt, wir sollten doch auf sie warten.«

»Willst du wieder zurück und warten, bis die Orks noch mal kommen?«, fragte Darius sarkastisch.

»Nein, natürlich nicht. Aber ich will auch nicht, dass unsere Meister in Gefahr geraten«

»Die können auf sich selber aufpassen und morgen wird uns schon etwas einfallen. Jetzt möchte ich mich nur noch hinlegen. Ich bin fix und fertig«, stöhnte Darius, womit er auch Therry aus der Seele sprach, die ihre zahlreichen Schrammen und Kratzer im Gehen notdürftig verband.

Zu allem Überfluss schoben sich nun noch mehr Wolken vor den Mond, der in der Nacht ihre einzige Lichtquelle war und dafür sorgte, dass sie auf dem unebenen Untergrund nicht stolperten und sich die Beine brachen. Schließlich begann es auch noch zu regnen. Kein einfacher Regen, sondern ein wahrer Wolkenbruch, bei dem sich jeder eiskalte Tropfen wie ein Nadelstich auf den geschundenen Körpern der beiden anfühlte.

Frierend, aufgeweicht bis auf die Haut und am Rande ihrer Kräfte erreichten sie schließlich eine kleine Höhle. Es war wenig mehr als eine schmaler Spalt zwischen zwei Felsen am Rande des Waldes. Aber der erdige Untergrund war eben und trocken. Auf ein Feuer verzichteten sie geflissentlich, aus Angst von den rachsüchtigen Orks entdeckt zu werden. Brennbares Holz hätten sie jedoch ohnehin nicht gefunden.

Zitternd vor Kälte lehnte Darius sich mit dem Rücken an den moosüberzogenen Stein. Zeitgleich kroch Therry, die nicht weniger vom Regen durchnässt war, müde unter den wärmenden Stoff ihres Schlafsackes. Dabei war ihr egal, dass er voller grünem, nach rostigem Metall stinkenden Orkblut war.

»Na komm schon«, sagte sie, ohne die Augen zu öffnen, während sie ihr Nachtlager zurückschlug. »Bei dem Geklapper deiner Zähne kann ja kein Mensch schlafen.« Als Darius sich frierend zu ihr legte – das nasse Obergewand hatte er, genau wie sie, abgelegt – empfand er für die kleine Nervensäge, wie er sie noch vor wenigen Stunden genannt hatte, zum ersten Mal etwas anderes als Abneigung. Er begehrte sie nicht, obwohl das in dieser Situation gewiss nicht unnormal gewesen wäre, zumal Therry ein hübsches Mädchen war. Nein, er spürte zum ersten Mal so etwas wie Freundschaft für sie, was er ihr aber nicht unbedingt gleich auf die Nase binden musste.

»Erzähl das bloß niemandem«, knurrte er deshalb kaltschnäuzig.

»Und du lass ja deine Hände bei dir«, entgegnete sie ihm, nicht weniger abweisend und dreht sich auf die Seite.

»Darius ... danke. Wenn du mir vorhin nicht geholfen hättest, wäre ich jetzt tot«, fügte Therry nach einigen Momenten des Schweigens hinzu. Als Antwort erhielt sie jedoch nur ein Grunzen. Darius war bereits eingeschlafen.

Sorgen

Als sie am nächsten Morgen erwachten, froh im Schlaf nicht erneut von den nächtlichen Angreifern heimgesucht worden zu sein, stand die Sonne bereits fast im Zenit. Der Kampf mit den Orks und die anschließende Suche nach einem sicheren Schlafplatz hatten Darius und Therry so sehr erschöpft, dass sie nicht nur auf Wachschichten verzichtet, sondern beinahe den gesamten Vormittag verschlafen hatten. Die Regenwolken waren über Nacht zwar verschwunden und ließen die wärmenden Sonnenstrahlen den Boden erreichen, aber Grund zur Freude war das nicht. Denn sie waren, wie Therry Darius mitteilte, als sie ihn mit einem unsanften Rippenstoß weckte, bereits viel zu spät dran.

»Was, wenn unsere Meister am Treffpunkt warten und wir nicht da sind?«, fragte sie besorgt.

»Dann werden sie warten, bis wir zurück sind. Oder glaubst du, sie sehen das verlassene Lager und gehen wieder?«, entgegnete ihr Darius noch im Halbschlaf, um sie zu beruhigen. Allerdings erreichte er damit das genaue Gegenteil.

»Du hast recht. Sie werden die toten Orks sehen und vermuten, dass wir entführt wurden. Dann werden sie gehen, um uns zu suchen und wir verfehlen sie«, meinte Therry leicht hysterisch, während sie die Höhle verließen, welche bei Tag noch um einiges kleiner wirkte als es in der vergangenen Nacht der Fall gewesen war.

»Das glaube ich nicht«, widersprach Darius und wirkte zuversichtlich. »Sie werden unseren Fußspuren bis zu dieser Höhle folgen. Siehst du, durch den Regen der letzten Nacht sind sie im Schlamm ganz leicht auszumachen.«

»Das stimmt.« Therry knirschte mit den Zähnen. »Aber wenn Irys und Skal unsere Fußspuren finden, dann gilt dasselbe auch für die Orks.« Das ließ sich nicht von der Hand weisen und versetzte selbst dem unerschütterlichen Optimismus von Darius einen tiefen Riss. Obwohl er Therry spätestens seit ihrem Abenteuer der letzten Nacht deutlich besser leiden konnte, störten ihn ihre neunmalklugen Äußerungen noch immer. Auch wenn sie meist im Recht war.

Keiner der beiden fühlte sich besonders wohl dabei, als sie ihren Spuren in die entgegengesetzte Richtung folgten. Jeden Moment rechneten sie mit einem erneuten Angriff der Orks, die sicherlich unter zahlreicher Verstärkung auf der Suche nach ihnen waren, um sich für den Blutzoll der letzten Nacht zu rächen. Darius hätte es nicht zugegeben, aber es stimmte, dass ihre Fußabdrücke im weichen Schlamm selbst für einen weniger erfahrenen Spurenleser nur allzu deutlich erkennbar waren. Ihm war letzte Nacht, benebelt wie er vom Kampf gewesen war, gar nicht aufgefallen, wie weit sie gelaufen waren.

Der Magen hing ihnen bereits in den Kniekehlen, da weder Therry noch er in der Hektik nach dem Aufstehen etwas zu sich genommen hatten. Doch solange wie sie sich nicht beschwerte und nach einer Rast verlangte, wollte Darius ihr in nichts nachstehen.

Irgendwie hatte er die ganze Zeit über das Gefühl, sich ihr gegenüber keine Schwäche eingestehen zu dürfen. Lag es vielleicht daran, dass er sie als Konkurrenz in seiner Ausbildung zum Iatas sah? Zumal sie ihm gegenüber ja bereits zwei Jahre Vorsprung hatte. Oder wollte er sie einfach nur beeindrucken? Als hätte Therry seine Gedanken gelesen, drehte sie sich auf einmal um und sprach: »Ich war gestern Nacht ziemlich beeindruckt von dir.«

»Was?«, fragte Darius, der sich ertappt fühlte, vollkommen perplex.

»Dein Kampf gegen die Orks.« Therry sah ihn stirnrunzelnd an. »Du kannst dir wirklich nicht erklären, wie du das gemacht hast? Ich meine, du hast nicht einfach nur gut gekämpft, du warst meisterhaft. So etwas habe ich noch nie gesehen, selbst die Kampfkünste von Meisterin Irys sehen dagegen alt aus.«

»Keine Ahnung wie das passiert ist«, entgegnete Darius wahrheitsgemäß. »Wie gesagt, es war als hätte irgendetwas in mir die Kontrolle übernommen. Das ist mir bisher erst einmal passiert. Bei einem Übungskampf mit Skal. Aber damals hatte ich irgendwie noch das Gefühl, mich wenigstens ein bisschen im Griff zu haben, gestern war es jedoch viel stärker.«

»Und zuvor ist dir so etwas noch nie passiert?«

»Nein. Obwohl, jetzt, wo ich darüber nachdenke. Mein Bruder, Ryu, der mich aufgezogen hat und eigentlich besser kennt als jeder andere, hat oft gesagt, dass ich in Stresssituationen meist sehr gelassen und instinktiv richtig handele. Vielleicht habe ich ja ein Talent dafür, dass ich bei Gefahr über mich selbst hinauswachse. Klingt das abwegig?«

»Eigentlich nicht«, antwortete Therry nachdenklich. »Ich habe schon mal davon gehört, dass es Menschen geben soll, die so etwas in sich haben. Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb Skal dich als seinen Schüler aufgenommen hat. Vermutlich hat er dieses Talent in dir erkannt.«

»Nein, das ist nicht der Grund«, entgegnete Darius kopfschüttelnd. »Ein Schamane der Iatas hat mich auserwählt.«

»Ein was?« Therry stutzte. »Es gibt überhaupt keine Schamanen bei den Iatas. Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt?«, fragte sie und konnte sich ein Lachen nur schwer verkneifen.

»Na Aaron und Ramir, die beiden Iatas, die mich zu meinem Meister gebracht haben«, antwortete Darius kleinlaut und kam sich blöd dabei vor, seine Unwissenheit so zur Schau gestellt zu haben.

 

»Ein Meister«, begann Therry zu erklären, »sucht sich seinen Schüler stets selbst aus und das dauert für gewöhnlich sehr lange. Auf keinen Fall aber wird er sich einen zuweisen lassen. Das ist jedenfalls sehr merkwürdig, du solltest Skal mal danach fragen.«

»Wie war das eigentlich bei dir?«, wollte Darius wissen, um das Thema zu wechseln. »Wie hast du zu deiner Meisterin gefunden?«

»Eigentlich fand sie mich. Darum geht es ja. Ich bin in Baknakaï aufgewachsen, meine Eltern habe ich nie kennengelernt, und auch dort konnte mir keiner etwas über sie sagen. Schon von klein auf war mein ganzes Leben von schweißtreibenden Übungen erfüllt gewesen. Solange ich mich zurückerinnern kann, wurde ich – wenn zu Beginn auch spielerisch – immer gedrillt und dazu getrieben, mich zu steigern. Bis eines Tages, ich muss wohl elf oder zwölf Jahre alt gewesen sein, Irys nach Baknakaï kam. Sie hat mich lange beobachtet und vielen Prüfungen unterzogen. Als ich vierzehn war, nahm sie mich dann als Schülerin auf.«

In diesem Moment gingen die beiden um eine sanfte Biegung, hinter der ihr abgebrochenes Lager zum Vorschein kam. Sie erwarten beinahe schon, eine wütende Meute Orks zu sehen oder wenigstens ihre Meister, die sorgenvoll auf sie warteten. Aber da war nichts. Nichts, außer den erschlagenen Exemplaren der letzten Nacht, die in ihrem grünen, geronnenem Blut um das mittlerweile vollends erloschene Lagerfeuer herum lagen.

»Und jetzt?«, fragte Darius ratlos. Er hatte zwar mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass rein gar nichts passierte.

»Warten wir?«, meinte Therry selbst nicht recht überzeugt. »Oder gehen wir Irys und Skal schon entgegen?«

»Nein«, erwiderte Darius entschieden. »Skal hat gesagt, dass wir auf jeden Fall hier warten sollen. Sie werden sicherlich bald zurück sein.«

»Hier können wir aber nicht bleiben«, sagte Therry, während sie sich unwohl nach allen Seiten umsah. »Wenn ich ein rachsüchtiger Ork wäre, würde ich zuerst dorthin zurückkehren, wo ich meine Feinde das letzte Mal gesehen hätte.«

»Das ist doch vollkommen unlogisch«, blaffte Darius sie an. »Hier sind wir doch schon einmal auf sie getroffen, deshalb ist das der sicherste Ort von allen. Keiner rechnet damit, dass wir noch einmal hierher zurückkommen.«

»Orks denken aber nicht logisch!«, fauchte Therry. »Selbst wenn sie nur zurückkommen, um ihre Toten zu bestatten ... oder sie zu fressen, was weiß ich, was die mit denen machen. Aber sicher kommen sie genau hierher zurück. Deshalb bin ich dafür, in den Wald zu gehen und nach Irys und Skal zu suchen. Du kannst ja von mir aus hier auf die Orks warten. Vielleicht entwickelst du ja wieder übermenschliche Kräfte und kannst sie in die Flucht schlagen, aber darauf will ich mich nicht verlassen.«

»Na gut«, versuchte Darius sie zu beruhigen, als er merkte, wie sehr sie sich in Rage geredet hatte. In einer beschwichtigenden Geste hob der angehende Iatas beide Handflächen, während er sich darum bemühte, keine Reaktion auf den forschen Ton seiner Weggefährtin zu zeigen, sondern ihn auf die Sorge um ihre Meisterin schob. Auch er hatte Angst um Skal, weshalb ihm ihr Vorschlag gar nicht so abwegig erschien.

»Machen wir einen Kompromiss. Wir klettern auf einen der Bäume.« Mit einem beiläufigen Kopfnicken deutete Darius in Richtung des Waldrandes. »Hinter dem dichten Blätterdach können uns die Orks nicht sehen, und wenn Irys und Skal bis heute Nachmittag nicht zurück sind, machen wir uns auf die Suche nach ihnen.«

Damit schien Therry leben zu können, obwohl sie nicht gerade glücklich dabei wirkte. Sie hätte es zwar nie zugegeben, aber alleine in den Albewald zu gehen, behagte ihr ganz und gar nicht. So war sie einverstanden, zumal Darius zustimmte, sie anschließend zu begleiten. Das Versprechen, welches er Skal gegeben hatte, nämlich sofort nach Baknakaï zurückzukehren, falls ihre Wiederkehr ausbleiben sollte, verdrängte er geflissentlich. Gehorsam hatte noch nie zu seinen Tugenden gezählt. Wohl aber Kameradschaftlichkeit und Hilfsbereitschaft.

Schon malte Darius sich aus, wie er seinem Meister in der Stunde finsterster Not zu Hilfe eilen würde, um ihn im Kampf gegen schwarzäugige oder grüngeschuppte Bestien beizustehen. Therry dabei an seiner Seite zu wissen, beruhigte ihn ungemein. Auch wenn er das niemals zugeben würde. Sie hatte sich im gestrigen Kampf mit den Orks wacker geschlagen und wenn man sie erst einmal näher kennengelernt hatte, war sie gar nicht so unausstehlich wie auf den ersten Blick.

So kletterten die beiden auf eine nahe gelegene Gelbborke am Rande des Waldes. Die knorrigen Äste des Baumes wiesen schon wenige Schritte über dem Boden einen vertrauenerweckenden Umfang auf. In gut fünf Mannslängen Höhe – Therry brauchte aufgrund ihrer Körpergröße ein wenig Hilfe beim Klettern – hatten sie einen guten Blick auf das Lager. Ohne Schwierigkeiten würden sie jeden, der sich näherte, egal ob Freund oder Feind, sofort sehen, ohne selbst dabei entdeckt zu werden.

Ihr einziges Problem war jetzt die Langeweile, denn weder Darius noch Therry waren besonders geduldig. Gegen die Mittagszeit hielt der Jüngling das Herumsitzen auf dem Ast, der bereits nach kurzer Zeit das Sitzfleisch quälte, nicht mehr aus. Da er seit gestern noch immer nichts in den Magen bekommen hatte, entschloss er sich kurzerhand etwas zu Essen zu suchen.

Doch obwohl Darius eigentlich ein ganz passabler Jäger und Spurenleser war, war es ihm nicht vergönnt, eine fleischige Beilage zu den Schmarotzerbeeren und Dolchwurzeln zu fangen, die er an der Baumgrenze des Waldes erntete. Möglicherweise lag es auch daran – und er schämte sich fast, es sich einzugestehen –, dass er sich nicht weit genug in den Forst hinein traute. Ja, er blieb nur am Rand des Dickichts, weil er Angst hatte.

Angst vor der Dunkelheit, vor den hoch aufragenden Bäumen, in denen sich der Blick verlor und durch die man keinen Steinwurf weit sehen konnte. Angst vor den Geräuschen des Waldes, der sich so von dem unterschied, welcher direkt vor seinem Dorf lag und in dem er unbesorgt viele Stunden seines jungen Lebens mit Spielen und Herumtollen verbracht hatte. Darius war froh als er endlich wieder beim Baum ankam, auf dem Therry bereits ungeduldig wartete. Zu seiner Erleichterung sprach sie genau diese Ängste an und zeigte ihm damit, dass er nicht allein war.

»Da bist du ja endlich, ich hab mir schon Sorgen gemacht.«

»Sind Irys und Skal aufgetaucht?«, fragte Darius überflüssigerweise.

»Nein und ich mache mir langsam wirklich Sorgen, dass ihnen etwas zugestoßen sein könnte. Darius, ich hab ein ganz komisches Gefühl, wir müssen jetzt aufbrechen, bevor es zu spät ist. Ich kann es nicht erklären, aber dieser Wald hat irgendetwas Bedrohliches. Wir müssen unseren Meistern helfen, ehe es zu spät für sie ist.« Therry sagte das mit einer solchen Gewissheit, dass Darius ihr nicht widersprach. Und spätestens jetzt verwarf er den Gedanken, nach Baknakaï zurückzukehren, um dort Meldung zu machen, endgültig.

»Einverstanden, lass uns gehen«, erwiderte er deshalb grimmig nickend. Ihr karges Mahl verspeisten die beiden noch im Gehen, denn auf einmal waren sie von einer tiefen Unruhe erfüllt. Weder wussten sie, wohin sie sich zu wenden hatten, noch was sie im Inneren des Albewaldes erwarteten würde.

Obwohl die Sonne hoch am Himmel stand, drang fast kein Licht durch das dichte Blätterdach auf den Waldboden. Nach einiger Zeit – es ließ sich unmöglich sagen, wie weit sie gegangen waren – lichtete sich das Geäst ein wenig. Das dichte Gestrüpp, durch das sie sich bisher gekämpft hatten, machte einem schmalen Trampelpfad Platz, welcher dem Flusslauf eines kleinen Baches folgte. Auf dem schmalen Streifen kahler, platt getretener Erde kamen die beiden ungleich besser voran und legten so ein gutes Stück des Weges zurück, von dem sie immer noch nicht wussten, wohin er sie führen würde.