Das Biest in Dir

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»Hier muss irgendwo ein Nest sein«, zischte Darius, der nicht glauben konnte, dass sie es nun mit noch mehr Gegnern zu tun bekommen sollten. In dem Moment, da die Orks abgelenkt waren, nutzte er die Gunst des Augenblicks, packte Therry am Handgelenk, die die zwei Albenschwerter noch immer kampfbereit erhoben hatte, und zog sie eilig in Richtung des Waldes.

Als sie noch einmal zurückblickte, sah die junge Kriegerin, dass die Übermacht der Orks die albischen Soldaten gänzlich ausgelöscht hatte. Geschlossen stürmten sie nun auf das Portal zu und damit ihrem Anführer zu Hilfe, der trotz seiner Verletzung, die einem Menschen sicher das Leben gekostet hätte, unerbittlich um sich schlug. Das Letzte, was Therry noch sah, bevor sich das undurchdringliche Dickicht der Bäume wie ein Vorhang über das Kampfgeschehen legte, war der hasserfüllte Blick von Drug. Der Anführer der Orks sah ihr direkt in die Augen, während seine Axt tief in den Körper eines Albes fuhr und das schwarze Blut nach allen Seiten spritzen ließ.

Pahrafin hatte das Geschehen von seinem Zimmer aus beobachtet. Auch wenn ihm noch nicht gänzlich klar war, was Skal getan hatte, so konnte er sich das Wesentliche doch denken. Es frustrierte ihn zutiefst, dass der Mensch – zwar schwer verletzt, aber augenscheinlich noch am Leben – zusammen mit seinen beiden Helfern entkam. Gerade in diesem Moment konnte Pahrafin sehen, wie die drei hinter den ersten Bäumen jenseits der Lichtung verschwanden.

Hätte er einen Bogen zur Hand gehabt, wäre er ihnen vielleicht noch habhaft geworden. Doch im Moment gab es andere, dringlichere Probleme. Orks. Diese minderwertigen Kreaturen, die noch hassenswerter waren als Menschen, bedrohten seinen heiligen Tempel. Wenngleich er auch felsenfest davon ausging, dass keines dieser widerlichen Wesen in sein Innerstes vorzudringen vermochte, so war es dennoch ein Grund zur Sorge. Seine gesamte Wachmannschaft wurde zuerst von den drei Menschen aufgerieben und nun von den Schuppengesichtern gänzlich vernichtet. Jetzt mussten bereits die persönlichen Leibwächter von ihm und seinem Bruder den Eingang zum Tempel verteidigen.

Die zahlenmäßig überlegenen Orks hatten jedoch keine Chance, denn ihre Garde war aus einem anderen Holz geschnitzt als diese Unwürdigen, für deren Leichen Pahrafin nur Verachtung übrig hatte. Sie waren ihrer Aufgabe, den Tempel von Loës zu schützen, nicht gerecht geworden und verdienten deshalb den Tod. Unter anderen Umständen wäre es eine Tragödie gewesen, so viele der letzten verbliebenen Alben zu verlieren, aber nicht heute.

Heute war es endlich gelungen. Loës war zum ersten Mal wieder bei Bewusstsein. Er war zwar noch schwach und es würde einige Zeit dauern, bis der Gott der Alben wieder seine ursprüngliche Kraft zurückerlangt hatte, aber nun war ein Stein ins Rollen gebracht worden, der sich nicht mehr aufhalten ließ.

Das Zeitalter der Alben hatte begonnen.

Das Urteil der Götter

Da sie nicht wussten, ob und wann die Orks ihre Spur wieder aufnehmen würden, liefen sie den gesamten restlichen Tag hindurch. Die erste Zeit trug Darius seinen Meister wie einen Sack Mehl auf den Schultern. Als der gegen Abend das Bewusstsein zurückerlangte und auch wieder aus eigener Kraft laufen konnte, wechselten die beiden Schüler sich darin ab, ihn zu stützen. Aufgrund seiner gebrochenen Rippen hatte Skal jedoch noch immer Schwierigkeiten, vorwärtszukommen. Da sie sich im Laufschritt bewegten, wurde nicht gesprochen, um sich die Kräfte besser einteilen zu können. Dabei plagten sowohl Darius als auch Therry unzählige Fragen.

Wohin sie liefen, wussten die drei längst nicht mehr, da sie bei ihrer übereilten Flucht den schmalen Waldweg, auf dem sie zum Tempel gekommen waren, nicht wieder gefunden hatten. Anfangs hatte Therry noch versucht, sich am Stand der Sonne zu orientieren, doch je weiter sie sich von der Lichtung entfernt hatten, desto dichter wurde das Blätterdach und machte eine Bestimmung der Himmelsrichtung unmöglich.

Erst als die Nacht hereinbrach und es für ein Weitergehen zu gefährlich wurde, da man in der Dunkelheit leicht über eine Wurzel stolpern und sich das Genick brechen konnte, rastete die kleine Gruppe. Die zweite Nacht in Folge mussten sie aus Angst vor Verfolgern auf ein wärmendes Feuer verzichten und erneut war das Einzige, was sie in den Magen bekamen, ein paar Wurzeln und eine Handvoll Beeren, die sie im Laufen geerntet hatten. Skal, der hart im Nehmen war, hatte sich inzwischen wieder weitestgehend erholt. Seine Rippenbrüche zwangen ihn dazu, in aufrechter Position still gegen einen Baum gelehnt zu sitzen. Behutsam richtete er seine gebrochenen Nase mit einem Tuch, dass er in einer nahen Pfütze angefeuchtet hatte.

»Was ist mit meiner Meisterin?«, platzte es aus schließlich aus Therry heraus.

»Therry, es tut mir unendlich leid, dir das sagen zu müssen, doch Irys ist tot«, erklärte er betreten, woraufhin sie nur ungläubig den Kopf schüttelte.

Darius wollte ihr tröstend den Arm um die Schulter legen, doch sie stieß ihn von sich, ohne dabei Skal aus den Augen zu lassen. »Das hast du vorhin schon gesagt, aber ich kann das einfach nicht glauben ... Wie ...?«, sie unterbrach sich und in den Augen der jungen Frau standen Tränen. »Vielleicht ist sie doch noch am Leben. Vielleicht konnte sie fliehen, so wie ...«

»Nein«, unterbrach Skal sie so sanft wie möglich und schüttelte leicht mit dem Kopf. »Ich habe ihre Leiche mit eigenen Augen gesehen. Und ihr beide habt ein Recht zu erfahren, was in dem Tempel geschehen ist. Ich werde euch erklären, wie es dazu kommen konnte.« Bevor er weitersprach, schwieg Skal einen Moment und schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Eigentlich hatte ich vor, mit Darius im Albewald eine Lektion des Überlebens in unwirtlicher Umgebung durchzunehmen. Aber das änderte sich als wir auf dich und deine Meisterin trafen. Irys wurde vom Hohen Rat zum Albewald gesandt, um dort Gerüchten auf den Grund zu gehen. Gerüchten wonach einige überlebende Alben des Großen Krieges vor zweihundert Jahren in einem geheimen Tempel ihren Gott, Loës, wieder zurück ins Leben rufen wollten.«

»Sind das immer noch dieselben Alben wie damals oder deren Nachfahren?«, unterbrach Darius seinen Meister mit gesenkter Stimme.

»Ich vermute, sowohl als auch. Die Alben gehören, genau wie die Elfen und Zwerge, zu den alten Rassen von Epsor und somit zu den langlebigen Geschöpfen. Das heißt, dass sie zwar im Gegensatz zu den Göttern nicht unvergänglich sind, aber sie sterben nicht infolge von Alterserscheinungen oder Krankheit, so wie wir. Ich gehe jedoch davon aus, dass viele von ihnen erst nach Kriegsende geboren wurden. Schließlich galt ihre Rasse als untergegangen und wahrscheinlich hat nur eine Handvoll überlebt.

Als Irys und ich den Tempel entdeckten, gingen wir nicht sofort hinein, sondern untersuchten zuerst die nähere Umgebung. Ein wenig abseits von der Lichtung konnten wir im Wald ein kleines Dorf der Alben ausmachen. Sie scheinen dort, unentdeckt vom Rest der Welt, die Zeit überdauert zu haben. Ihr Zahl ließ ich nur schwer abschätzen, da der Wald so dicht war, dass man kaum einen Steinwurf weit sehen konnte. Aber wir haben ihre Behausungen in einem weiten Bogen umrundet. Viel mehr als fünfhundert können es kaum sein.«

Als Skal zu Ende gesprochen hatte, herrschte ringsum Totenstille. Selbst die Tiere des Waldes schienen für einen Moment aufgehört zu haben, das immerwährende Spiel des Fressens und gefressen Werdens zu spielen. Darius war der Erste, der das Schweigen durchbrach.

»Aber trotzdem sind das doch bei Weitem nicht genug, um damit einen Krieg auszulösen, geschweige denn ihn zu gewinnen, nicht wahr?«

»Nein, aber das ist auch nicht das eigentliche Problem«, entgegnete Skal düster. »Habt ihr schon einmal etwas vom Urteil der Götter gehört?« Therry nickte wortlos und Darius, der sich wieder einmal wie ein Dummkopf vorkam, verneinte.

»Jedes Volk glaubt an die Existenz einer höheren Macht. Bei uns Menschen ist es Otairio, der große Schöpfer. Die Zwerge glauben an Boringars, der die Schätze aus dem Erdinneren schürft und die Elfen haben Sylfone, Göttin der Kunst, der Schönheit und des Lebens. Selbst niedere Wesen wie die Orks haben etwas, woran sie glauben, auch wenn dieses feige und abergläubische Pack häufig auf das Wohlwollen von gleich mehreren höheren Wesen setzt. Nicht selten verehren die einzelnen Stämme sogar ihre toten Häuptlinge als Götter.

Beim Volk der Alben heißt diese Gottheit Loës. Er ist der Grausamste von allen und selbst garstige Völker wie die Orks oder Trolle fürchten ihn. Die Legende besagt, dass die anderen Götter die Bosheit von Loës über alle Maßen fürchteten. So sehr, dass sie sich in alter Zeit – noch lange vor dem Großen Krieg oder bevor es auch nur das Bündnis der Zivilisierten Völker gab – vereint haben, um ihn zu verbannen. Da selbst ein Gott nicht mächtig genug ist, einen anderen zu töten, sollte Loës für alle Zeit, fernab von ihnen, den Rest der Ewigkeit in einem dunklen Loch verbringen, welches Boringars mit seiner riesigen Spitzhacke geschlagen hatte und in das Otairio ihn hineinstieß. Anschließend legte Sylfone einen Zauberbann auf die Stelle, an der Loës lebendig begraben war. Auf dass er niemals mehr herauskommen möge.«

Skal sah die anderen beiden durchdringend an, bevor er mit ernster Stimme weitersprach. »Dies war das Urteil der Götter. Und seit diesem Tag, so sagt man, ist es das innigste Ziel von Loës, wieder zurückzukehren und die Welt mit Chaos und Schrecken zu überziehen, um sich für diese Schmach zu rächen.«

»An diesen Unsinn glaubst du?«, fragte Darius mit zweifelnder Stimme, nachdem Skal geendet hatte. Obschon er die Götter der anderen Völker zwar nicht kannte, so war ihm doch zumindest Otairio ein Begriff – auch wenn er nicht wirklich an ihn glaubte. Für Darius existierte seit jeher immer nur das, was er auch sehen und anfassen konnte.

 

»Ob man an die Götter glaubt oder nicht, spielt keine Rolle«, fuhr Skal unbeeindruckt fort. »Ich persönlich halte die Ereignisse von damals für eine Erfindung von Gelehrten. Aber Tatsache ist, dass die Alben alles daran setzen, Loës wiedererstarken zu lassen. Zu meinem Bedauern muss ich eingestehen, dass sie es vermutlich bereits geschafft haben oder im besten Fall unmittelbar davor stehen.«

»Was macht dich da so sicher?«, fragte Therry knapp, die die ganze Zeit über aufmerksam zugehört, jedoch nichts gesagt hatte. Skal sah sie einen Moment lang durchdringend an, bevor er ihr antwortete und schien dabei jedes seiner Worte genau abzuwägen.

»Als Irys und ich ins Innere des Tempels eindrangen, entdeckten wir einen Zeremoniensaal, in dessen Mitte sich ein steinerner Altar befand, vermutlich zu Opferzwecken. Mir war das Beweis genug, doch Irys wurde neugierig. Sie entdeckte immer noch einen weiteren geheimnisvollen Raum und noch eine Abzweigung. So gerieten wir immer tiefer in das Gemäuer. Schließlich gelang es uns im letzten Moment in eine Kammer zu schleichen, kurz bevor zwei Priester sie betraten, sodass wir ihr Gespräch belauschen konnten.

Alles habe ich leider nicht verstanden, aber das, was ich heraushören konnte, klang sehr zuversichtlich bezüglich der Auferweckung von Loës. Doch nach kurzer Zeit schon entdeckten uns die beiden. Einen konnte ich außer Gefecht setzen, aber der andere schrie und alarmierte die Wachen. Anfangs waren wir noch davon überzeugt, die Sache im Griff zu haben, doch es wurden immer mehr. Für jeden Alb, den wir erschlugen, traten zwei neue an seine Stelle. Wir mussten uns das Unausweichliche eingestehen, nämlich dass wir nicht beide lebendig aus dieser Anlage würden entkommen können.

Ich wollte, dass Irys sich selbst rettete, doch sie hatte bereits eine tiefe Wunde am Bein und konnte deshalb nicht schnell genug laufen. Sie schrie, dass ich fliehen solle, während sie die Alben aufhielte. Ihre letzten Worte waren: ›Kümmere dich um Therry‹.« Skal unterbrach sich, als Therry den Blick abwandte und sich zur Seite drehte. Darius indessen entging trotz der Dunkelheit nicht, dass ihr in stummer Trauer die Tränen über das Gesicht rollten.

Als Therry sich ihm wieder zugewandt hatte, fuhr Skal mit bedrückter Stimme fort: »Damit wenigstens einer von uns beiden durchkam, rannte ich so schnell ich konnte aus dem Raum und stieß dabei noch einige nachrückende Angreifer um. Doch kurz bevor ich um die Ecke bog, hörte ich ihren Schrei. Ich wandte mich noch einmal um und sah gerade noch Irys’ Körper, der im Fallen von mehreren Schwertern der Alben durchbohrt wurde.«

Keuchend schlug Therry sich die Hände vors Gesicht und Darius legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. Diesmal ließ sie ihn gewähren.

»Irgendwie«, setzte Skal nach einer kurzen Pause fort, während der er Therry mitleidig ansah, »gelang es mir, sie in dem Labyrinth von Gängen abzuhängen und mehr durch Glück oder Zufall fand ich den Ausgang wieder. Den Rest der Geschichte kennt ihr ja. Ich wollte nicht noch einmal das Risiko eingehen entdeckt zu werden.« Er blickte Darius verzeihend an.

»Deshalb habe ich die Priester vor dem Gebäude ohne Vorwarnung getötet. Damit Irys nicht für umsonst gestorben ist, ist es nun von höchster Wichtigkeit, dass wir sofort nach Baknakaï zurückkehren und dem Hohen Rat Bericht erstatten. Wir müssen den Orden darüber in Kenntnis setzen, dass wir es womöglich mit der Rückkehr von Loës und damit wohl mit der größten Katastrophe seit Menschengedenken zu tun haben. Denn wenn der Albengott tatsächlich wiedererstarkt ist, dann haben wir ein größeres Problem als nur einen Krieg. Dann steht das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel.«

Skals Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, denn sowohl Darius als auch Therry nickten ihm fest entschlossen zu.

»Therry, ich kann deinen Schmerz sehr gut nachempfinden. Vermutlich besser als du glaubst, denn ich habe vor Kurzen selbst meinen Schüler verloren. Ich weiß, dass ich weder deine Meistern für dich ersetzen kann, noch wird der Hohe Rat mir einen zweiten Schüler neben Darius erlauben. Aber es war Irys’ letzter Wille und ich werde alles tun, um ihn zu erfüllen. Was meinst du, willst du meine Schülerin werden?« Die Tränen, die vorhin noch in den Augen der jungen Frau standen, waren weggewischt und einem grimmigen Gesichtsausdruck gewichen.

»Ja«, antwortete Therry bestimmt, während sie Skals ausgestreckte Hand ergriff. »Aber ich habe eine Bedingung. Ihr zwei müsst mir helfen, die Mörder meiner Meisterin zu töten.«

»Das würde ich nur zu gern«, sagte Skal und auch Darius, der ebenso angesprochen war, nickte. »Aber ich war zu weit weg und es ging alles so schnell, außerdem sieht für uns Menschen der eine Alb aus wie der andere. Ich glaube nicht, dass ich sie wiedererkennen würde, zudem bin ich sicher, dass die Orks sie ...« Doch Therry unterbrach ihn barsch und mit einem irren Gesichtsausdruck, der zu ihrem schönen Gesicht so wenig passte, wie die Sonne zur Nacht.

»Ich spreche von allen Alben. Einschließlich Loës.« Ihre Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. »Ich will sie alle bluten sehen.«

Skal und Darius sahen sich kurz an, dann nickten sie und alle drei legten ihre Hände übereinander, um den Schwur zu besiegeln.

Rückkehr nach Baknakaï

»Ich glaub, ich hab den Weg.« Bereits im frühen Morgengrauen, als noch kaum ein Sonnenstrahl das Blätterdach des Albewaldes durchdrang, teilte sich die Gruppe der (angehenden) Iatas auf. Getrennt machten sie sich auf die Suche nach dem schmalen Trampelpfad, der ihr einziger Fixpunkt in dem ansonsten überall gleich aussehenden und jegliche Orientierung unmöglich machenden Wald war. Therry, die gerade aus einem Gebüsch zu ihrem Treffpunkt gestolpert kam und deren Gesicht und Hände von kleinen Kratzern übersät waren, machte einen glücklichen Eindruck.

»Anscheinend sind wir die ganze Zeit nur ein paar hundert Schritte abseits des Weges in die richtige Richtung gelaufen«, fuhr sie fort, während sie ihre Kleidung von kleinen Zweigen und Dornen befreite. »Bis zum Mittag müssten wir diesen verdammten Wald hinter uns gelassen haben.«

»Ob das von Vorteil ist?«, entgegnete ihr Darius nachdenklich, der sich soeben bewusst wurde, dass auch er einige unfreiwillige Begleiter in Form von Gestrüpp und Käfern an seiner Kleidung trug. »Sobald wir den Wald verlassen haben, sind wir für die Orks auf weiter Fläche hin sichtbar.«

»Und was willst du stattdessen tun? Irgendwie müssen wir schließlich nach Baknakaï kommen, sonst wäre Irys ganz für umsonst gestorben«, meinte Therry vorwurfsvoll. Darius, dem erst jetzt auffiel, bei ihr einen empfindlichen Nerv getroffen zu haben, stimmte schnell zu, als in diesem Moment auch Skal aus dem Unterholz auftauchte. Seine Rippenbrüche machten ihm zwar noch immer zu schaffen, aber er gab sein bestes, sich nichts anmerken zu lassen.

Tatsächlich gelangten sie, gerade als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, auf die erste größere Fläche, die frei von Bäumen war und damit das Ende dieses verfluchten Waldes einläutete. Nur wenig später kamen die drei an ihrem ursprünglichen Lager vorbei, wo noch immer die erschlagenen Orks von vor zwei Tagen lagen. Mittlerweile ging ein noch bestialischerer Gestank von ihnen aus als es zu Lebzeiten der Fall gewesen war und fingerdicke Fliegen taten sich an ihnen gütlich. Auch ihre schweinsgesichtigen Kameraden mussten zwischenzeitlich Einzug gehalten haben, da den Toten die Waffen und mancherorts auch einige der Kleidungsstücke fehlten. Von Leichenbestattung schienen sie jedoch nicht viel zu halten.

Als sie die toten Bestien passierten, berichtete Therry Skal von den ungeheueren Kräften, die Darius freizusetzen imstande war und damit sowohl sein Leben als auch das ihre vor den Monstren gerettet hatte. Darius, der sich nur noch verschwommen an die Szenerie erinnern konnte, schwieg etwas peinlich berührt zu diesem Thema. Skal allerdings schien es brennend zu interessieren, obwohl er keineswegs überrascht wirkte. Irgendetwas schien er über ihn zu wissen und Darius fiel mit einem Mal wieder ein, was Therry gesagt hatte. Nämlich, dass es gar keine Iatas-Schamanen gab, von denen ihn doch angeblich einer auserkoren hatte. Doch wann immer er Skal darauf ansprechen wollte, wechselte der geschickt das Thema.

»Dieses Mal werden wir einen anderen Weg nehmen«, entschied Skal, als Darius ihn zum wiederholten Male fragte. »Nur zwei Wegstunden von hier gibt es einen Bauernhof, dort werden wir uns Pferde besorgen. Könnt ihr reiten?«, fügte er nach einer kurzen Pause mit Blick auf seine beiden Schüler hinzu. Darius, der längst nicht mehr zählen konnte wie viele Pferde er gemansam mit Ryu gestohlen hatte, bejahte knapp. Therry hingegen schien sich jedoch allein schon über die bloße Frage zu brüskieren.

»Irys hat mich bereits seit zwei Jahren unterrichtet und mein gesamtes vorheriges Leben habe ich in der Kaserne von Baknakaï verbracht«, verkündete sie nicht ohne Stolz. »Natürlich kann ich reiten!« Skal und Darius tauschten einen kurzen Blick und der Iatas-Meister verkniff sich eine Spitze, die ihm auf der Zunge lag.

Wie vorhergesagt erreichte das Dreiergespann gegen Nachmittag den Bauernhof, doch da ihr Geld nur für zwei Pferde reichte, mussten sich Darius und Therry das größere der Tiere teilen. Skal, dessen Rippenbrüche ihn bei jeder Bewegung sichtlich schmerzten, schaffe es nur unter Anstrengung, sich auf den Rücken eines kleinen Wallachs zu hieven.

Sie rasteten nur, wenn die Pferde zu erschöpft waren, um weiterzulaufen oder wenn es dunkel wurde. Skal wollte trotz seiner Verletzung keine Zeit verlieren, denn jede Stunde, die der Hohe Rat es versäumte zu handeln, war eine weitere Stunde, die Loës nutzen konnte, um Kräfte zu sammeln. Noch, da war sich Skal sicher, würden sie nicht ausreichen, um nach dem Äonen andauernden Nichtstun, zu dem er verdammt gewesen war, Epsor in Finsternis zu hüllen. Aber als Gott, der er nun einmal war, würde er rasch wiedererstarken.

Nach nur zwei Tagesritten und viel zu kurzen Nächten erreichten sie die Kasernenburg Baknakaï. Die Festung ragte wie ein Bollwerk der Sicherheit und Hoffnung vor ihnen auf und keiner der drei hätte es geglaubt, wenn man ihnen bei ihrem letzten Besuch gesagt hätte, was sie alles erleben sollten, bevor sie das nächste Mal durch die großen, eichernen Tore schreiten würden. Skal fiel auf, um wie viel gereifter und erfahrener sein Schüler geworden war, seit sie sich hier vor wenigen Tagen das erste Mal getroffen hatten.

»Ihr beide wartet hier«, sagte Skal an seine Begleiter gewandt, nachdem sie die große Eingangshalle betreten hatten. »Ich werde allein beim Hohen Rat vorsprechen.«

»Wir kommen auf jeden Fall mit!«, entgegnete Therry und ihre Stimme hallte unter der großen Kuppel wider. »Schließlich war es meine Meisterin, die den Alben zum Opfer fiel.«

»Ich kann dich gut verstehen«, begann Skal zu erklären. »Aber der Hohe Rat empfängt nicht jeden. Nur ein Iatas-Meister darf vor den Großmeistern sprechen ... Ich weiß, wie sinnlos das ist«, fügte er rasch hinzu, als er sah, dass Darius sich ebenfalls empört dazu äußern wollte. »Es ist jedoch von höchster Wichtigkeit, dass der Rat sofort erfährt, was vorgefallen ist. Wir haben keine Zeit, uns darüber zu streiten, weshalb ihr kein Recht habt, eure Schilderungen vorzutragen.«

Mit mahlenden Kiefern blickten Darius und Therry Skal nach, wie er die breite Treppe hinaufschritt. Erst jetzt bemerkte Darius, dass sie nicht allein waren. Farjez, den er schon bei seinem letzten Besuch an genau derselben Stelle hatte stehen sehen, näherte sich ihnen mit lautosen Schritten.

»Darf ich den werten Iatas-Anwärtern etwas zu Essen anbieten?«, meldete er sich mit vornehmer, leicht krächzender Stimme. Darius fiel erst jetzt auf, wie hungrig und erschöpft er war. Therry schien es nicht anders zu gehen. So ließen sie sich von dem alten Mann in einen Raum geleiten, der, wie Darius vermutete, wohl der Speisesaal war. Bei seinem letzten Aufenthalt hatte er wenig mehr als den Eingangsbereich und sein kleines Schlafzimmer zu Gesicht bekommen. Irgendwie hatte er sich alles etwas prunkvoller vorgestellt. Doch die Wände waren kahl, es hingen weder Bilder noch Waffen oder Banner an ihnen. Der Speisesaal war keine Festtagshalle mit Kaminen und Tanzfläche, so wie er es aus den Geschichten von Burgen kannte, die er als kleiner Junge immer gern gehört hatte.

 

Die Wirklichkeit sah anders aus. Lange Holztafeln und ebenso lange wie zerschlissene Bänke. Der Boden zeigte Spuren von ungezählten Abnutzungen und unter der hohen Decke hatten sich Generationen von Spinnen im Laufe der Jahre ihr eigenes Reich gewoben. Alles war sehr einfach und karg gehalten. Zu essen gab es auch keine Lammkeulen und Räucherwürste, sondern lediglich Brot mit etwas Käse und Wasser. Therry, die den Großteil ihres Lebens hier verbracht hatte, schien das alles völlig normal zu finden und amüsierte sich über Darius, dem seine Enttäuschung offenbar deutlich anzusehen war.

»Du hast wohl was anderes erwartet?«, fragte sie kichernd.

»Irgendwie schon«, antwortete er verlegen. »Ich dachte immer, Leute, die in Burgen wohnen, leben besser als die einfachen Menschen.«

»Fürsten vielleicht, aber wir sind Iatas«, erklärte Therry lächelnd. »Bereits in unserer Grundausbildung werden wir an ein einfaches Leben gewöhnt.«

Das leuchtete Darius ein und zum ersten Mal fühlte er sich Therry gegenüber nicht im Nachteil, denn das einfache Leben war er durchaus gewohnt. »Was glaubst du, wird jetzt passieren?«, fragte er sie, während er sich eine Scheibe des trockenen Körnerbrotes zum Mund führte.

»Keine Ahnung. Ich denke, der Hohe Rat wird seine Truppen ausschicken, um den Tempel von Loës zu zerstören«, antwortete Therry nachdenklich.

»Nein, ich meine mit uns. Glaubst du, sie werden uns auch zurück in den Albewald schicken? Als Führer zu diesem Tempel sozusagen? Schließlich sind wir drei die Einzigen, die schon einmal dort waren.«

»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, gab Therry zu. »Aber ich hätte nichts dagegen, schließlich haben wir mit diesen Missgeburten noch eine Rechnung offen.« Dabei tätschelte sie vielsagend ihre beiden Albenklingen, die sie noch immer bei sich trug.

»Was denkst du, wer gewonnen hat?«, fragte Darius nach einer Weile und kaute lustlos auf dem bescheidenen Mahl herum, das ihm lediglich der Hunger hineintrieb. »Ich meine, als wir in den Wald geflohen sind, glaubst du die Orks haben die Alben besiegt?«

»Ich weiß nicht genau«, entgegnete Therry, nachdem sie einen Moment nachgedacht hatte. »Die Orks waren ziemlich zahlreich und sie hatten die erste Angriffswelle der Alben bereits vollständig ausgelöscht. Andererseits kann man unmöglich sagen, wie viele der Schwarzaugen noch im Inneren des Tempels gelauert haben. Aber wenn man davon ausgeht, dass in der näheren Umgebung noch mehrere hundert Alben leben, wie Skal gesagt hat, dann schätze ich, dass die Orks keine Chance hatten. Obwohl der Große wahnsinnig zäh gewirkt hat.«

Skal hastete die Stufen hinauf zur Versammlungshalle. Es war ihm egal, ob der Rat gerade tagte oder ob wegen ihm sämtliche Mitglieder aus ihren Betten gerissen wurden. Auf Annehmlichkeiten wie Etikette konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Die Wachen waren zwar nicht gerade erfreut über sein eindringen, da sie Skal aber kannten, ließen sie ihn unter scharfen Blicken passieren. Mit einem letzten Rest von Anstand klopfte der Iatas noch an die Pforte des Sitzungssaals, bevor er sie unaufgefordert öffnete. Der Rat der zwölf Großmeister schien gerade eine hitzige Debatte zu führen, jedenfalls bis Skal unsanft die Türen aufstieß und damit alle Blicke der Anwesenden auf sich zog.

»Skal, was tust du denn hier? Ich dachte, du hättest Baknakaï bereits vor Tagen mit deinem Schüler verlassen?« Die Worte des an der Stirnseite der langen Tafel sitzenden Mannes waren scharf wie eine Rasierklinge und Skal wusste, dass sie, auch wenn sie wie eine Frage klangen, eher einem Vorwurf gleichkamen. Bevor er antworten konnte, mischte sich ein weiterer Großmeister ein – der einzig andere Mensch im Hohen Rat neben Asthirad, welcher Skal soeben getadelt hatte.

»Sag nicht, dass du schon wieder einen Schüler verloren hast.« Skal spürte siedend heiße Wut in sich aufsteigen, als er von eben jenem Mann so unerwartet an Cedryk erinnert wurde, der ihn schon bei seinem letzten Vorsprechen im Rat angegriffen hatte. Doch er kämpfte sie nieder und indem er so tat als hätte er ihn nicht gehört, richtete Skal sich an Asthirad.

»Ich entschuldige mich für die Unterbrechung und mein unangekündigtes Eintreten, doch ich habe Neuigkeiten für den Hohen Rat, die von entscheidender Wichtigkeit sind. Dinge sind geschehen, die nicht nur den Orden der Iatas, sondern die gesamte Welt bedrohen.«

»Dann sprich sie aus«, maulte ein Elf auf der linken Seite der Tafel, der so groß und hager war, dass man meinen könnte, er würde nicht am Tisch sitzen, sondern stehen. Ganz der Art seines Volkes entsprechend blickte er desinteressiert drein und mühte sich, keine Miene zu verziehen.

»Es ist wahr,«, fuhr Skal unbeirrt fort, »dass ich gemeinsam mit Darius Baknakaï verlassen habe. Wir machten uns in Richtung des Albewaldes auf, um dort seine Ausbildung zu beginnen. Kaum, dass wir angekommen waren, trafen wir dort auf Irys mit ihrer Schülerin, die in eurem Auftrag unterwegs war.« Einige der Ratsmitglieder nickten leicht mit dem Kopf, andere wiederum zeigten keinerlei Regung. »Ich begleitete sie bei ihrem Unterfangen und muss zu meinem Bedauern berichten, dass zum einen die Befürchtungen des Rates über die Rückkehr des Albengottes Loës wahr sind.«

Skal hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, als einige Ratsmitglieder bereits entsetzt aufsprangen. Vier oder fünf von ihnen begannen wild zu gestikulieren, die anderen flüsterten aufgeregt mit ihrem Sitznachbarn. Es war ein solches Durcheinander, dass seine nächsten Worte in dem Trubel unterzugehen schienen.

»Des Weiteren habe ich leider zu berichten, dass Meisterin Irys diese Entdeckung nicht überlebt hat.« Asthirad, der in seinem thronähnlichen Stuhl saß, schien außer Skal der Einzige im Saal, der nicht im heillosen Chaos versunken war. Selbst die Wachen, die außer zum Ankündigen von Besuchern ein absolutes Redeverbot während den Sitzungen hatten, tuschelten miteinander. Es dauerte einige Zeit, bis wieder für Ruhe gesorgt werden konnte, denn alle redeten gleichzeitig auf Skal ein. Der wollte zwar bereitwillig Auskunft geben, doch verstand er nie auch nur die Hälfte einer Frage. Erst als der Vorsitzende des Rates mit seinem Hammer mehrmals auf die fein gearbeitete Tischplatte geschlagen und diese damit zum Erbeben gebracht hatte, kehrte wieder so etwas wie Ruhe und Normalität ein.

»Bist du absolut sicher?«, fragte er, nachdem auch das letzte Ratsmitglied verstummt war.

»Ich habe Loës nicht selbst gesehen, falls Ihr das meint«, antwortete Skal wahrheitsgemäß. »Aber da war mitten im Wald ein Tempel, in dessen Nähe sich ein Dorf der Alben befand. Irys und ich konnten in dem Bauwerk, das einzig zu Loës Ehren errichtet zu sein schien, ein Gespräch zwischen zwei Priestern belauschen, wonach eindeutig hervorging, dass der Dunkle Gott wieder auferstanden ist oder zumindest unmittelbar davor steht.«

»Gut«, murmelte der Wortführer, mehr zu sich selbst als zu den Versammelten und starrte dabei vor sich auf die Tischplatte. »Dann hat es nun also begonnen.« Etwas lauter und an die Mitglieder des Rates gerichtet meinte er: »Das, was wir schon seit geraumer Zeit befürchtet haben und vor dem wir die Augen viel zu lange verschlossen gehalten haben, ist nun eingetroffen. Es ist von höchster Priorität, dass wir jetzt schnell handeln. Nur wenn wir das Böse im Keim ersticken, haben die Zivilisierten Völker von Epsor noch eine Chance, weiterhin in Frieden leben zu können, ohne einen zweiten Großen Krieg fürchten zu müssen.«

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