Operation Terra 2.0

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Operation Terra 2.0
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Operation Terra 2.0

Impressum

Was in Band 1 und 2 geschah …

Terra – Es ist (vielleicht) vollbracht!

Tiberia, KIN-Zeit 13.5.6.13.12, kurz vor Mitternacht

Tiberia, KIN-Zeit 13.5.6.13.12, unmittelbar vor Mitternacht

Tiberia, KIN-Zeit 13.5.6.13.12,

Terra, frühmorgens am Tag nach der »Himmelfahrt«

Tiberia, sechs KIN nach Rückkehr der Missionscrew

Terra, Zeit: 26. Oktober 2116 nach Christus, Montag

Terra, Zeit: 04. Dezember 2116 nach Christus, Freitag

Die erschütternde Odyssee der Menschheit wird sich fortsetzen

Eine Anmerkung zum Schluss

Anhang

Quellennachweise

Danksagungen

Die Autorin:

Operation Terra 2.0

3 | Schöne neue Welt?

Andrea Ross

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-035-4

E-Book-ISBN: 978-3-96752-535-9

Copyright (2019) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: XOXO Verlag

© Alexander Etz, Lemon Art Design www.lemonartdesign.com

© Lizenz Foto Umschlag: 123rf.com

Buchsatz: Alfons Th. Seeboth

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Was in Band 1 und 2 geschah …

Operation Terra 2.0 – Menschheit im Exil (1)

Die Evolutionsgeschichte des Menschen nahm einst auf dem Mars ihren Anfang, als dort die ersten Keime des Lebens durch einen Asteroideneinschlag angelangten und gediehen.

Über Jahrmillionen hinweg entwickelten sich aus diesen Einzellern hochintelligente, widerstandsfähige Hominiden, die ihre Welt zunehmend technisierten und damit allmählich den Respekt vor den Kräften der Natur verloren. Es handelte sich um einen schleichenden Prozess, in welchem sich die Menschen ihre Lebensgrundlage durch leichtsinnige Zerstörung der Umwelt nach und nach selbst entzogen.

Der ganze Planet geriet zunehmend zur lebensfeindlichen Zone, doch als man die Zusammenhänge endlich wahrhaben musste, war es längst zu spät. Die schützende Atmosphäre entwich in einem sich exponentiell beschleunigenden Prozess ins Weltall hinaus. Immer dünnere Luft erschwerte das Atmen und tödliche Krankheiten rafften Milliarden von Marsianern dahin. Die einstige Krone der Schöpfung musste hilflos mitansehen, wie widerstandsfähigere Spezies kampflos die Oberherrschaft über den Mars übernahmen.

Eines schicksalsträchtigen Tages machte die lebensbedrohliche Strahlung, die nun nahezu ungefiltert durch die marode Schutzhülle des Planeten dringen konnte, eine Existenz an der Oberfläche schließlich völlig unmöglich. Ein Häuflein Überlebender flüchtete sich in die weit verzweigten Lavaröhren jenes riesigen Schichtvulkans, welchen die irdischen Astronomen heutzutage Olympus Mons nennen.

Buchstäblich in letzter Sekunde vor einem drohenden Vulkanausbruch gelingt es einer relativ kleinen Anzahl von Menschen, ihrer sterbenden Welt zu entkommen. Zwei Raumschiffe brechen hastig auf, um anderswo den Grundstein für neue Zivilisationen zu legen.

Eines davon reist zum Nachbarplaneten Erde, welcher von den einstigen Marsianern »Terra« genannt wird. Die hoch entwickelten Neuankömmlinge verdrängen innerhalb kürzester Zeit die dort vorgefundenen Neandertaler-Hominiden. Sie verbreiten sich und ihre Lebensart in rasender Geschwindigkeit über den gesamten Planeten, dabei kommt es allerdings gelegentlich zur Vermischung der beiden Menschengattungen.

Das technisch modernere Generationenraumschiff fliegt mit zehnfacher Lichtgeschwindigkeit ins Sternbild Cygnus, das ca. 2.700 Lichtjahre vom Mars und seinem Sonnensystem entfernt liegt. Dort wartet ein erdähnlicher Planet auf Besiedlung, der nach seiner Entdeckerin Tiberia getauft wurde.

Während auf Terra ein aggressives Revierund Verdrängungsverhalten zu ständigen Konflikten führt, entwickelt sich auf Tiberia dank des Fehlens konkurrierender Primaten und eines milden Klimas eine geradezu paradiesische Hochkultur. Es entsteht unter diesen günstigen Bedingungen neben einer ausgeklügelten Infrastruktur eine zwar ziemlich restriktive, aber gleichwohl stabile und hochfunktionale Gesellschaftsund Staatsform, die über viele Jahrtausende hinweg nahezu unverändert Bestand hat.

Voller Abscheu beobachten die Tiberianer, was auf Terra an ständigen Gewalttätigkeiten, bodenloser Ungerechtigkeit und sinnlosem Streben nach materiellen Gütern vor sich geht. Stellenweise sieht man sich genötigt, höchstpersönlich in den Verlauf der Geschichte einzugreifen, um das Schlimmste für die dort lebenden Menschen zu verhindern. Schließlich handelt es sich um marsianische Brüder und Schwester, die einst denselben Wurzeln entsprungen sind!

Was stets gut gemeint gewesen war, zeitigte leider oft unbeabsichtigte Nebenwirkungen: die Sache mit Moses zum Beispiel, der bei den Bewohnern Terras bloß zehn einfache Regeln für das friedliche Zusammenleben implementieren wollte.

Oder schlimmer noch: der gründlich misslungene Versuch, als am Modellbeispiel von Atlantis demonstriert werden sollte, wie eine intellektuelle Hochkultur entstehen kann, damit diese ihren Einwohnern anschließend ein relativ sorgenfreies Leben ermöglicht. Die Terraner schafften es zum Entsetzen der bald als »Götter« angesehenen Außerirdischen, jeden noch so ehrgeizigen Plan in Rekordzeit zu pervertieren und ins glatte Gegenteil zu verkehren.

Im Grunde hätten die Tiberianer nach dieser bitteren Erkenntnis einfach ihre halbherzigen Versuche einstellen und die Terraner guten Gewissens sich selbst und ihrem unausweichlichen Schicksal überlassen können. Wenn … ja, wenn da nicht zwischenzeitlich diverse Probleme auf dem eigenen Planeten aufgekeimt wären … !

Sobald Menschen auf zu engem Raum zusammenleben müssen und dadurch die Ressourcen knapp werden, sind Konflikte vorprogrammiert. Diese universelle Regel gilt sogar für die bestens strukturierte und kontrollierte Kultur auf Tiberia. Zunächst versucht man, die wachsende Unzufriedenheit in den Griff zu bekommen und verharmlost die sichtbaren Auswirkungen. Doch die gefährliche Spirale aus Ungehorsam, Aggression und stetiger Abnahme des Einsatzwillens in der Bevölkerung dreht sich immer schneller, droht eines Tages in zerstörerische Anarchie zu münden. Es kriselt und bröckelt an allen Ecken und Enden.

Die Obrigkeit ist gezwungen zu handeln, sofern sie die Kontrolle nicht verlieren will. Die Unruhestifter sollen Tiberia verlassen und nach Terra deportiert werden, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Das Problem dabei ist nur, dass man niemandem zumuten könnte, zwischen diesen emotional entarteten Hominiden zu siedeln … schon gar nicht freiwillig!

So entsteht nach endlosen Beratungen zwischen den Vordersten sämtlicher Sektionen und der Regentenfamilie Tiberias ein wahnwitziger Plan:

Noch ein allerletztes Mal soll auf Terra im richtigen Moment in die Geschichte eingegriffen werden, und das mittels einer sorgfältig durchdachten Zeitreise! Wenn der Hauptgrund für irdische Kriege schon in der latenten Aggressionsbereitschaft der dort lebenden Individuen sowie einer unterschiedlichen, meistens religionsoder kulturbedingten Weltanschauung zu sehen sind – bitte, dann muss man eben genau dort den Hebel zur Regulierung ansetzen!

Aufgrund des immensen Erfolgsdrucks setzen die Vordersten alles daran, die Operation Terra 2.0 getaufte Mission sorgfältig zu planen und deren handverlesene Teilnehmer intensiv auf ihre schwierige Aufgabe vorzubereiten. Zumindest in der Theorie scheint die Wahrscheinlichkeit hinreichend groß zu sein, dass der gewünschte Umdenkprozess auf Terra endlich in die Wege geleitet werden kann.

 

Der bedauernswerte Protagonist für die Mission ist schnell gefunden: Es handelt sich um einen Wissenschaftler namens Solaras. Dieser Mann, der in genetischer und charakterlicher Hinsicht über die passenden Eigenschaften verfügt, wird mittels fieser Erpressung durch seine Vorderste Alanna rekrutiert. Er hat nämlich gegen eherne Regeln der Gemeinschaft verstoßen und überdies nach einer Verkettung höchst unglücklicher Umstände eine junge Frau auf dem Gewissen. Wenn er sein eigenes Leben retten will, bleibt ihm nur die Entscheidung zur Teilnahme an der Mission – er hat keine wirklich freie Wahl und ist darüber natürlich alles andere als erfreut.

Noch bevor die Menschheit auf Terra ihre industrielle Revolution erlebt und vollends dem rücksichtslosen Kapitalismus erliegt, wird sie sich mit seiner Hilfe hoffentlich an eine sanftmütige, friedliche Form des Zusammenlebens gewöhnen. Solaras soll zu diesem Zweck eigens eine neue Denkweise ins Leben rufen, die hehre Werte wie Respekt vor dem Leben, Duldsamkeit, Liebe und Mitgefühl favorisiert, um die terrestrische Weltgeschichte nachhaltig zu verändern.

Dazu muss er allerdings zunächst wie ein ganz gewöhnlicher Junge in Judäa aufwachsen, damit er vorbehaltlos von seiner Umwelt akzeptiert wird. Man versetzt den jungen Erwachsenen mithilfe modernster Technik in ein vorgeburtliches Entwicklungsstadium zurück und gedenkt dieses tiberianische Ungeborene in den Unterleib einer einheimischen Terranerin einzusetzen, die unter dem schönen Namen Maria bekannt ist…

Um sicherzustellen, dass Solaras zuverlässig den vorgesehenen Weg einschlagen und am Ende selbstlos Frieden stiften wird, stellt man ihm ein spezialisiertes Einsatzteam zur Seite. Dieses soll unbemerkt aus einem felsigen Wüstenabschnitt heraus unterstützend mitwirken und im Notfall sofort eingreifen können.

Als Vermittlerin zwischen diesen tiberianischen Helfern und dem völlig ahnungslosen, über seine wahre Identität nicht informierten Solaras wird eine sorgfältig ausgewählte Dozentin aus der Sektion Ideologie eingesetzt, die in ihrer tiberianischen Heimat Kalmes genannt wird.

Die junge Frau reist der ersten Abordnung mit einem zweiten Raumschiff hinterher und wird den Zeittunnel zu einem späteren Zeitpunkt verlassen, nämlich dann, wenn Solaras auf Terra bereits ein Alter von 18 terrestrischen Jahren erreicht hat. Beide Missionare erhalten für die Dauer der Operation Terra 2.0 gängige irdische Namen aus der Region zugeteilt.

Jesus und Maria Magdalena sollen sich anfreunden und baldmöglichst gemeinsam auf revolutionären Pfaden wandeln – doch sie haben die Rechnung leider ohne den freien Willen der Terraner und Alannas nicht immer ganz ehrenwerte Absichten gemacht …

Operation Terra 2.0 – Verhängnisvoller Optimismus (2)

Im Jordanland angekommen, sorgt die Crew des tiberianischen Raumgleiters für einigen Wirbel. Die Landung in einer spärlich besiedelten Wüste verläuft nicht wie geplant, Improvisationstalent ist gefragt. Die technikverwöhnten Außerirdischen haben mit ihrem stark veränderten Alltag und den terrestrischen Kulturgepflogenheiten zu kämpfen. Es gilt, das mitgebrachte Ungeborene namens Jesus in den Unterleib der Terranerin Maria einzusetzen, ohne dass jemand aus der Bevölkerung dabei etwas Ungewöhnliches bemerkt. Leider geht so einiges schief und Mediziner Gabriel gilt den Terranern fortan als heiliger Himmelsbote, der Maria eine Jungfrauenempfängnis des Königs der Juden angekündigt haben soll.

Zwischen eitlem Machtgerangel unter den Crewmitgliedern und anderen unvorhergesehenen Schwierigkeiten laufen die Dinge zunehmend aus dem Ruder. Die Gegend ist von einem kriegstreiberischen Volk besetzt. Der Großteil der Bevölkerung fristet bettelarm ein karges Dasein, während sich die Herrscher dekadent im Luxus baden.

Ausgerechnet in diesem Spannungsfeld voller sozialer Ungerechtigkeit soll der künftige Messias aufwachsen und unbeirrbar seine Mission im Dienste der Menschheit durchziehen!

Währenddessen stellen auf dem fernen Planeten Tiberia zwei Geschichtsschreiber fest, dass die machtgeile Vorderste Alanna wohl seit längerer Zeit ein falsches Spiel betreibt. Doch diese gewiefte Schlange hat sich mittlerweile den zukünftigen Regenten Tiberias geangelt und wird schon bald vollständige Immunität genießen, wodurch sich gewisse Ungereimtheiten nicht mehr so leicht aufklären lassen.

Solaras alias Jesus wird geboren, bekommt Besuch von drei merkwürdigen Gestalten und muss sofort in Sicherheit gebracht werden, denn die Geburt eines so genannten Königs der Juden kann der herrschenden Dynastie natürlich nicht gelegen kommen.

Der Junge wächst als introvertierter Einzelgänger auf, vertritt zunehmend neuartige Ansichten zu Gott und der Welt. Als junger Erwachsener durchlebt er eine extrem revolutionäre Phase, die seine Eltern ängstigt. Häufig spricht er nebulös davon, sich eines Tages für seine Mitmenschen opfern zu müssen. Eines Tages ist es so weit: Jesus zieht predigend durch die Lande, schließt sich mit Gleichgesinnten zusammen und vollbringt Wunder am laufenden Band – nicht ahnend, dass Kalmes alias Maria Magdalena ihn tatkräftig mit technischen Geräten von Tiberia unterstützt.

Nach einigen Monaten Dauerstress zeigt Jesus erste Ermüdungserscheinungen, denn die Erwartungshaltung unter seinen Jüngern und in der Bevölkerung ist sehr hoch. Er muss fast nonstop Heilen, Taufen, Dämonen austreiben, für Speis und Trank sorgen – und den Menschen eindringlich vom Himmelreich predigen, um möglichst viele Schäfchen des Herrn vor dem herannahenden Endgericht zu erretten.

Mit seiner steigenden Popularität werden konkurrierende Wanderprediger, eifersüchtige Neider und überaus dogmatische Schriftgelehrte auf ihn aufmerksam, was ihn schnell in ungeahnte Kalamitäten bringt. Selbst in den eigenen Reihen wächst bei Einzelnen die Unzufriedenheit. Ein von Alanna eingeschleuster Verräter treibt eines Tages eifrig sein ruchloses Unwesen, fällt ihm zusätzlich in den Rücken.

Die Obrigkeit trachtet schließlich voller Arglist danach, den vom Volk geliebten Messias nach nicht einmal zwei Jahren des mildtätigen Wirkens aus dem Verkehr zu ziehen, bevor seine Philosophie größere Umwälzungen mit sich bringt.

Im prunkvollen Palast des Sanhedrins zu Jerusalem kommt es kurz vor dem Passahfest zu einer folgenschweren Entscheidung, welche alsbald durch die weltliche Gerichtsbarkeit vollzogen werden soll. Die tiberianische Crew hat indessen längst die Kontrolle verloren, muss tatenlos zusehen und den Ereignissen ihren geschichtsträchtigen Lauf lassen.

***

Liebe Leser,

im Anhang finden Sie ein Glossar, das auch eine Kurzanleitung für das verwendete KIN-Zeitsystem enthält. Wissenswertes über den Planeten Tiberia ist in Band 1 – Menschheit im Exil beschrieben. Jetzt wünsche ich Ihnen gute Unterhaltung beim Weiterlesen!

Ihre Autorin Andrea Ross

Terra – Es ist (vielleicht) vollbracht!

Kalmes alias Maria Magdalena wusste sich nicht mehr zu helfen. Seit ihr über alles geliebter Gefährte sich betend in sein Innerstes zurückgezogen hatte und während seiner Dauer-Meditationen kaum mehr ansprechbar erschien, blieb sie mit ihren Sorgen und Nöten weitgehend alleine.

Selbst ihre tiberianischen Missionskollegen ließen die ehemalige Dozentin für Ideologie neuerdings schmählich im Stich, offenbar weil die hochtrabend Operation Terra 2.0 benannte Mission total ihrer Kontrolle entglitten war. Sie harrten einfach untätig der Dinge, die da kommen mochten.

Trotzdem, Maria benötigte nun dringend einige Informationen aus dem nahezu allwissenden Bordcomputersystem des Raumgleiters. Alle Welt sprach derzeit in freudiger Erwartung über das bevorstehende Passahfest, und sie als Außerirdische wusste noch nicht einmal genau, worum es sich bei dieser jüdischen Festwoche handelte.

Jesus hatte zwar um diese Jahreszeit stets ungesäuertes Brot gegessen, besonders ausgiebig gebetet und dasselbe Gebaren auch bei seinen Jüngern vorausgesetzt; hätte sie jedoch neugierig nach dem Grund gefragt, wäre dies zumindest dem noch immer eifersüchtigen Simon Petrus verdächtig vorgekommen. Er nutzte jede Gelegenheit, um sie beim Meister anzuschwärzen. Eine angeblich gläubige Jüdin, die nicht einmal um althergebrachte Riten wusste? Ein gefundenes Fressen zum Lästern!

Das Passah-Fest … Was war der Anlass dafür, wie liefen die traditionellen Festivitäten in der großen Stadt Jerusalem mit ihren unzähligen Einwohnern ab? Und wieso glaubte Jesus fest daran, dass er diese vermaledeiten sieben Tage bestimmt nicht überleben werde?

Die als Jüdin verkleidete Tiberianerin zwang sich seufzend, ihren Blick von Jesus‘ versteinerter Gestalt loszueisen. Er war ohnehin nur körperlich anwesend und würde es sicher nicht einmal bemerken, wenn sie sich jetzt aus seinem Dunstkreis entfernte. Deprimiert folgte sie einem staubigen Feldweg, hinaus aus jenem immergrünen Pinienhain, in welchem Jesus seit ein paar Tagen mit seinen engsten Anhängern lagerte.

Die Natur hatte sich nach einem kräftigen Regenguss ihr schönstes Gewand übergestreift. Der Frühling war ins Land gezogen, und mit ihm ein Teppich aus kleinen Blütenkelchen in Gelb, Weiß und Lila. Die Vögel jubilierten unter dem einzigartig blauen Himmel des Mittelmeerraumes, überall begegnete man gut gelaunten Menschen.

Doch für Maria Magdalena lag ein hässlicher Grauschleier über dieser heiteren Herrlichkeit, der ihr sogar den strahlenden Sonnenschein vergällte. Als hätte man ihr eine dunkel getönte Glasglocke übergestülpt, konnte sie die frisch erwachte Schönheit ihrer Umgebung nur erahnen, selbst aber nicht mit Leib und Seele daran teilhaben.

Jene unheimliche Düsternis stammte aus Marias liebendem Herz, das sich vor lauter Sorge um das Leben ihres Gefährten wundgescheuert hatte. Die Zukunftsangst überschwemmte ihr Bewusstsein mit lähmender Tristesse, die sogar banale Pflichten des Alltags zur Bürde geraten ließ. Spürte sie etwa schon körperlich, dass ein unrühmliches Ende der Mission bevorstand?

Mittlerweile hatte sich die dunkelhaarige Tiberianerin weit genug vom Lager entfernt, um sich unbeobachtet wähnen zu können. Kein Mensch durfte auch nur ansatzweise bemerken, was sie hier klammheimlich zu tun beabsichtigte.

Behutsam nahm Maria Magdalena den winzigen, mit bloßem Auge kaum sichtbaren Augor vom Halsausschnitt ihres Gewandes ab, um ihn vorsichtig an einem Zweig des vor ihr stehenden Wacholderbusches festzuklammern. Diese tiberianischen Vollignoranten sollten ruhig live und in Farbe mitbekommen, wie verhärmt ihre sturmerprobte Frau Kollegin wegen jenes riesengroßen Problems aussah!

Sie positionierte sich, warf ihr verschwitztes Haar über die Schultern nach hinten. Dann setzte sie mit weit aufgerissenen Augen den vielleicht wichtigsten Appell ihres bisherigen Lebens ab und hoffte inständig, dass er Gehör finden und vor allem eine baldige Reaktion hervorrufen möge.

»Balthasar, Gabriel … es ist mir inzwischen vollkommen egal, wer im Camp gerade lauschen und zusehen mag … wir sind ernsthaft in Gefahr! Ich kann beim besten Willen nicht ermessen, weshalb sich nach meinem letzten Bericht niemand von euch gemeldet hat.

Habt ihr denn den bitteren Ernst der Lage nicht erkannt? Seid ihr überhaupt noch am Leben, oder allesamt bei einem Räuberangriff oder einem sonstigen Desaster umgekommen? Habt ihr euch womöglich gar, ohne uns mitzunehmen, feige durch Raum und Zeit nach Hause verflüchtigt?

Entschuldigt bitte, dass ich hier ein wenig süffisant werde, doch ich weiß mir keinen Reim auf eure Untätigkeit, ja, Gleichgültigkeit mehr zu machen! Lässt es euch denn wirklich völlig kalt, dass man unserem Solaras eifrig nach dem Leben trachtet? Jemand muss endlich ins Geschehen eingreifen, bevor es zu spät sein könnte! Ehrlich gesagt, traue ich nicht einmal seinen Jüngern vorbehaltlos über den Weg.

Versteht mich bloß nicht falsch. Ich tue, was in meiner Macht steht. Es liegt in meiner Verantwortung, für seine Sicherheit zu sorgen. Mir fehlen leider jedoch immens wichtige Informationen, die mich wenigstens befähigen würden, mein Handeln umsichtig danach auszurichten.

 

Wie gefährlich kann solch ein Passahfest für ihn werden? Mir ist aufgefallen, dass die römischen Truppen erheblich verstärkt wurden. Sie sollen offenbar Aufstände und Unruhen in der jüdischen Bevölkerung verhindern oder Prozessionen bewachen. Irgendetwas in dieser Art.

Na gut, in Wirklichkeit habe ich keine blasse Ahnung davon, wieso die bis an die Zähne bewaffneten Einheiten hier in derartigen Massen antreten, das räume ich gerne ein. Gerade deswegen bin ich ja so nervös! Ihr müsst bedenken, dass Jesus und sein Gefolge seit einiger Zeit durchaus als lästige Unruhestifter angesehen werden.

Daher meine Frage: Worauf soll ich während der Feierlichkeiten achten, worum geht es bei diesem ominösen Passah eigentlich überhaupt? Mehrmals habe ich das Wort »opfern« aufgeschnappt, was mir natürlich arges Kopfzerbrechen bereitet.

Also, ganz wichtig: Wer oder was wird bei diesem Kult geopfert? Doch hoffentlich keine Menschen? Auf Terra weiß man nie! Es scheint sich jedenfalls um uralte Rituale zu handeln; unser Bordcomputer müsste somit hierüber einiges an wertvollen Auskünften parat haben. Diese Details brauche ich jetzt so schnell wie möglich!

Schickt mir schleunigst jemanden zur Verstärkung hierher, sonst kann ich für nichts garantieren. Am besten Gabriel, denn der bleibt auch in stressigen Situationen ruhig und war mir stets ein besonnener Ratgeber, auch wenn ich zu meinem nachträglichen Bedauern nicht immer gleich auf ihn gehört habe.

Ihr findet mich – respektive uns – am Fuße des sogenannten Ölbergs, denn da wollen wir für die kommenden Tage bleiben, um dem Massenauflauf in Jerusalem tunlichst zu entkommen. Jesus ist dort nach ein paar fragwürdigen Aktionen nämlich nicht mehr gerne gesehen und meidet deswegen insbesondere die Innenstadt und den Tempelbereich.

Ich hinterlasse am Wegesrand ein Zeichen in Form gekreuzter Stöcke, damit ihr wisst, wo ihr querfeldein abbiegen müsst, um geradewegs auf unser Lager zu treffen. Es liegt am Rande eines Gartens, denn man Gethsemane nennt.

Gebt euch einfach als gläubige Anhänger von Jesus aus, als hungrige Passah-Pilger oder meinetwegen auch als potentielle Täuflinge. Damit könnt ihr euer ungebetenes Eintreffen unauffällig kaschieren, denn es kommt häufiger vor, dass vollkommen Fremde Jesus‘ unmittelbare Nähe suchen.

Denkt mir unbedingt daran, bei der Wanderung keinerlei Lebensmittel oder Geschirrteile mitzuführen; ich weiß nicht sicher, was in diesen Tagen erlaubt ist und was als nicht koscher gilt. Schon kleinste Fehler könnten uns auffliegen lassen oder in die Kritik bringen.

Ich flehe euch ein letztes Mal an … helft uns doch endlich

*

Der Statthalter Pontius Pilatus drehte sich erfreut um, als er das dezente Klingeln von schweren Ohrgehängen vernahm. Ein sehr vertrautes Geräusch, denn so hörte es sich an, wenn seine Ehefrau Claudia reich behängt des Weges kam. Ihr schulterlanger Ohrschmuck im byzantinischen Stil, den er ihr vor kurzem verehrt hatte, pendelte beim Gehen stetig gegen die designgleiche Halskette aus purem Gold.

»Sei gegrüßt, meine Liebe! Was führt dich um diese Tageszeit zu mir? Verschaffen dir deine Damen heute nicht genügend Kurzweil, oder verspürst du Sehnsucht nach deinem Gatten?«, fragte er gut gelaunt.

Claudia Procula lächelte kokett, lehnte sich anmutig gegen eine Marmorsäule. »Beides ist richtig! Darüber hinaus hätte ich ein Anliegen an dich, oder vielmehr zunächst einmal eine Frage … aber du darfst mir bitte nicht böse sein!«

Der einflussreiche Römer schüttelte missbilligend den Kopf, umfasste ihre auffallend schmale Wespentaille.

»Wie sollte ich der schönsten Frau des gesamten römischen Reiches jemals böse sein können? Setz dich doch zu mir, und dann freimütig heraus damit!«, schmeichelte er und taxierte Claudias vollschlanke Sanduhr-Figur mit einem begehrlichen Blick. Wie gerne wäre er einfach über sie hergefallen! Doch das musste warten.

Claudias weibliche Rundungen saßen wohlproportioniert an den richtigen Stellen, was durch den semitransparenten, weich drapierten Stoff ihres lavendelblauen Kleides vorteilhaft unterstrichen wurde. Nur ein doppelreihiger Flechtgürtel aus weichem Leder hielt die textile Pracht am Körper zusammen.

Pontius Pilatus konnte sich kaum sattsehen, auch wenn er schon seit Jahren mit dieser Frau verheiratet war. Keine seiner zahlreichen Konkubinen konnte ihr optisch das Wasser reichen, nicht einmal die blutjungen Dinger aus den nördlichen Provinzen! Jedenfalls galt das bestimmt noch für die kommende Dekade, bevor seine Blume den vorgezeichneten Weg alles Irdischen gehen und zu welken anfangen würde.

Die schöne Römerin schnurrte wie ein Kätzchen, schwebte leichtfüßig zur nächstgelegenen Kline und ließ sich dekorativ niedersinken. Dann schnippte sie gekonnt mit den Fingern, um einen der dunkelhäutigen Diener herbeizurufen.

»Bring uns Wein und Wasser, wir sind durstig!«

Eilfertig führte der Mann den Befehl seiner Herrin aus, und schon verbarg er sich mitsamt seinen Karaffen wieder devot hinter einem schweren Samtvorhang, als wäre er dort niemals hervorgekommen.

Pontius setzte sich seiner Frau diagonal gegenüber, wo er sie in voller Schönheit betrachten konnte. Wie begehrenswert dieses Abbild der Venus doch war, ganz anders als diese dürren Kleiderständer!

»Komm, lass mich nicht länger warten! Was liegt meinem erlesenen Juwel auf der Seele? Womit kann ich meinem Vögelchen eine Freude machen? Ich lege dir die gesamte Welt zu Füßen, falls dir danach ist!«, protzte er eine Spur zu schwülstig. Die Angesprochene zögerte ein bisschen, begann zu schwitzen. Drehte verlegen eine ihrer gelockten Haarsträhnen um den Zeigefinger. Auf ihrer hohen Stirn bildete sich sogar eine kleine Sorgenfalte, was bei dieser Frohnatur eher selten vorkam. Sie entschloss sich jedoch mutig, ihre Bedenken abzustreifen und einfach ohne Umschweife zu fragen.

»Sage mir bitte, ob es wahr ist, dass der Sanhedrin ein Todesurteil über einen jüdischen Prediger gefasst hat, welches du in Kürze zu vollstrecken hast? Die Leute erzählen sich empört davon – und manch ein gläubiger Bewohner Jerusalems befürchtet gar, aufgrund seiner treuen Gefolgschaft gleich zusammen mit seinem Meister hingerichtet zu werden!«

Der Statthalter musste herzhaft lachen.

»Nanu? Seit wann interessiert sich meine Frau für das Schicksal hakennasiger Eiferer aus Galiläa? Nun, dieser Jesus von Nazareth soll ja bei den Leuten recht charismatisch herüberkommen, dabei ist er vermutlich nicht mehr als ein besonders aufsässiger Jude!«, scherzte Pontius Pilatus ziemlich respektlos und verdrehte die Augen.

Claudia wirkte indes überhaupt nicht amüsiert; eher wie jemand, der auf der Hut ist und seine Worte aus Gründen der Diplomatie sehr genau abwägen muss.

»So entspricht das Gerücht also der Wahrheit. Das hatte ich befürchtet! Pontius … du bist doch keine hilflose Marionette dieser selbstherrlichen Tempelhüter, nicht wahr? Wir Römer sind schließlich eine legitimierte Besatzungsmacht und nicht bloß willige Erfüllungsgehilfen für eitle Schriftgelehrte aus dieser reichlich provinziellen Region.

Wenn du nun beispielsweise das Ersuchen um Jesus‘ Kreuzigung ablehnen würdest, dann müsste der Vorsitzende Kaiphas deine Entscheidung sicherlich zähneknirschend hinnehmen, meinst du nicht auch?«

Pontius Pilatus stutzte, zog ein säuerliches Gesicht.

»Seit wann mischst du dich in die Politik oder meine ureigenen Entscheidungen ein? Ich hätte gerne eine Erklärung dafür, weshalb du dich dermaßen hartnäckig für irgendeinen dahergelaufenen Rabbi einsetzt! Hat er dich etwa verführt? Ist dies dein Beweggrund?«

Jetzt musste auch Claudia wider Willen lachen. Sie und der

Messias … völlig unvorstellbar!

»Aber nein, wo denkst du hin! Es ist nur so, dass ich zufällig einer seiner Reden gelauscht habe, als ich mit meinen Damen auf dem Markt zugange war. Wir haben beim Seidenhändler nach edlen Stoffen gesehen, als er wenige Meter entfernt plötzlich mit einer wunderschönen Stimme zu predigen begann. Die anderen Frauen sind neugierig hingelaufen – und ich folgte ihnen, wollte nicht alleine am Stand zurückbleiben.

Was er da mit leuchtenden Augen erzählte, erschien mir gar nicht so verkehrt zu sein. Jesus sprach unter anderem davon, dass man seine Mitmenschen lieben und ihnen besser alle Fehler verzeihen solle, damit man selbst ebenfalls Vergebung finden könne.

Es ist doch wahr, Pontius! Wenn die Menschen etwas rücksichtsvoller miteinander umgehen würden, so wäre das Leben weit weniger anstrengend und gefährlich!«, philosophierte die Römerin gestikulierend.

»Aha! Dann muss er dich mit seinen rührseligen Theorien ziemlich nachhaltig beeindruckt haben, wenn du mir das noch Tage danach so enthusiastisch herüberbringst. Ihr Frauen seid manchmal eben etwas arg unbedarft und glaubt blauäugig, die Welt ließe sich gewaltlos, mithilfe von großartigen Worten und Vernunft, regieren.

Doch bedenke: Ohne den Einsatz brutaler Gewalt wäre Rom im Laufe der Zeit wohl kaum zu einer imperialen Großmacht geworden – und wir beide würden in der Toskana Schafe züchten, anstatt hier mit allem Komfort zu residieren!

Du bist mit deinen pazifistischen Ansichten zwar mächtig auf dem Holzweg, meine Liebe, aber ich nehme dir deine Sentimentalität nicht übel! Es birgt gewisse Vorteile, wenn ein Weib sanftmütig veranlagt ist«, spottete Pontius überheblich.