Leben unter fremder Flagge

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Alte Geister, die ich rief

King Khalid International Airport, Riyadh, Kingdom of Saudi Arabia, Mai 2005.

Der Flug AF-512 aus Paris hatte eine Stunde Verspätung. Noch vor einem Jahr hätte ich mir spätestens jetzt eine Zigarette angesteckt und genüsslich daran gezogen, doch das Rauchen hatte ich mir abgewöhnt. Möglicherweise erklärte das meine Nervosität. Das Thermometer in der Eingangshalle zeigte fünfundvierzig Grad Celsius, die Luft war zum Schneiden dick und ich wurde von einer regen Menschenmasse schier erdrückt. Filipinos, Pakistani und Inder saßen um ihre verschnürten Bündel herum am Boden, fieberten heftig miteinander diskutierend ihrer Heimat entgegen. Ich wartete auf zwei Männer. Oliver war einer davon. Wir hatten ihn damals, vor fast zwanzig Jahren, die „Wildgans“ genannt. Meine Unrast schwand, als ich ihn und Dorjek über weißem Marmor auf mich zukommen sah. Das breite Grinsen in Olivers Gesicht konnte die Gewissheit nicht beiseitefegen, dass die Wildgans wohl nie wieder so elegant abheben würde, wie sie das früher getan hatte. Oliver hatte gut und gerne vierzig Pfund zugenommen, seit ich ihn zum letzten Mal gesehen habe. Und er hinkte leicht. Sein Hund, schoss es mir durch den Kopf! Ich hatte von der Geschichte gehört.

»Oliver!«

Ich musste an mich halten, ihn nicht an meine Brust zu drücken. Oliver kam aus Schleswig-Holstein, war also ein echter Wikinger, und genauso sah er auch aus. Baumlang, blondes, ins Rot übergehendes, kurz geschorenes Haar und blaue, intelligente Augen, die unablässig nach möglichen Gefahren Ausschau hielten. Kurz stellte er mich Dorjek vor, einem, wie sich herausstellte, sympathischen Deutsch-Polen, der später auch für kurze Zeit unser stellvertretender Teamleiter sein sollte. Als wir ein paar Minuten darauf mit einem gepanzerten Toyota Geländewagen Richtung Riad Stadtmitte fuhren, gab ich beiden einen kurzen Abriss, was sie bei unserer Aufgabe erwarten würde.

»Wir bewachen den Botschafter der Delegation der Europäischen Kommission. Savage ist Ire. Die Botschaft liegt mitten in der Stadt, seine Residenz etwas außerhalb. Er hat eine Frau und zwei Kids. Nadja ist Marokkanerin, die Kinder, ein Mädchen und ein Junge, besuchen Privatschulen.« Ich überreichte jedem von ihnen eine Akte. »Ihr habt die Nacht, euch alles einzuverleiben. Wir fangen morgen in aller Frühe an.«

»Rentnerjob«, meinte Oliver sarkastisch. Es war eine Anspielung darauf, dass wir aufgrund unserer Zeit bei der Fremdenlegion bereits eine monatliche Pension bezogen. So gesehen stimmte seine Aussage, doch ich fühlte mich ganz und gar nicht als Oldie. Körperlich und geistig war ich noch genauso fit wie vor zehn Jahren. Natürlich entbehrte der neue Job jeglicher Dynamik und jeglicher Aktion. Der Nervenkitzel fehlte! Oliver und ich hatten jahrelang in der Armee gedient, die, allen anderen Formationen voraus, den Anspruch erhob, Dynamik, Effizienz und die Aktion der Sturmtruppen ohne Wenn und Aber zu vereinen. Um es salopp auszudrücken: Ran an den Feind, drauf und drüber! Kein Dumpfbacken- und Möchtegerngehabe, sondern an den Feind herangetragene Fähigkeiten, erworben im Einsatz und während einer langen, technisch und taktisch hervorragend geführten Ausbildung. Alles, was nach unserem Ausscheiden aus der Fremdenlegion beruflich folgte, war von daher gesehen etwas eintönig und trocken. Dieser Job konnte also nur Zwischenstation für weitere Horizonte sein. Auch Dorjek machte ein langes Gesicht. Wenn er auch kein Legionär gewesen war, so doch ein Mann der Tat. Auf den Spitzen seiner Stiefel in seinem Gepäck befand sich immer noch Staub aus Bagdad, und vielleicht auch ein paar Tropfen Blut. Alle drei wussten wir, dass Riad im Augenblick immer noch ein heißes Pflaster war, doch nicht mehr ganz so gefährlich wie noch vor zwei Jahren. Damals, zwischen den Jahren 2002 und 2004, jagte eine Attentatswelle die nächste. Nur einen Katzensprung von unserer Unterkunft entfernt wurde am 22. Mai 2003 der deutsche Küchenchef Hermann Dengl ermordet, hinterhältig niedergestreckt mit sechs Schüssen in den Rücken. Angeblich nur aus dem Grund, weil er ein Ungläubiger aus dem Westen war. Nur ein paar Monate später wurde der Körper des US-Bürgers Paul Johnson (Hubschrauber-Ingenieur des Lockheed Martin Corps / Wartung von Apache Helikoptern) gefunden. Mudschaheddin der AQAP (al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel) hatten ihn entführt und vor laufender Kamera enthauptet. Seinen Kopf hatten sie im nördlichen Riad in den Kühlschrank einer Villa gelegt. Ich weise auch auf das Attentat auf das US-Konsulat in Dschidda hin. Erst im Dezember hatte al-Qaida in seinem Krieg „gegen die Kreuzritter und die Juden“ in der Hafenstadt versucht, das Konsulat zu stürmen. Dabei kamen neun Menschen ums Leben, darunter vier Kameraden aus der Sicherheitsbranche. Die Liste dieser Verbrechen gestaltete sich unendlich lang. Das vornehmliche Ziel der Banditen? Westliche Ausländer und Einrichtungen oder den USA wohlgesonnene Häupter! Wir waren gewarnt, hatten später auch alle Hände voll zu tun, als im September 2005 „dieser Däne“ doch ernsthaft meinte, mit einer Mohammed-Karikatur einen großen Coup in der westlichen Welt zu landen. Angerichtet hat er damit nur weltweite Unruhen und Unheil. Alleine für all die Toten, unter Christen, Juden und Muslimen, Opfer der Unbedachtheit eines Einzelnen, müsste man ihn schon zur Rechenschaft ziehen.

Dennoch sollte die Langeweile unser ärgster Feind sein. Da ich schon etwas länger im Land weilte, hatte ich mich darauf eingestellt. Um diesem unscheinbaren, jedoch heimtückischen Feind „Langeweile“ auszuweichen, hatte ich mich Hals über Kopf in diverse Zeitvertreibe gestürzt. In meiner Freizeit trieb ich Sport bis an die Grenze des Vertretbaren und war – vor allem nachts – viel unterwegs bei sogenannten „Recces“, den Erkundungsfahrten. Martin, unser britischer Teamchef (er starb im Jahr 2016 in Afghanistan), erwartete von uns, dass wir die Stadt in- und auswendig kannten. Das war kein leichtes Unterfangen, denn Riad hatte knappe drei Millionen Einwohner. Die Innenstadt war ein Labyrinth hunderter namenloser Gassen. Die Verkehrs- und Namensschilder der kleineren Straßen, der Spaliere und Gässchen, waren meist nur mit arabischer Schrift gekennzeichnet. Um etwas Überblick zu bekommen, hatte ich mir einen Arabischlehrer genommen. Ahmed, einst Lehrer an der amerikanischen Botschaft in Riad, war ein alternder Ägypter: Eine Informationsquelle mehr für mich, denn er verkörperte den Finger am Puls des Mannes auf der Straße! Es kam vor, dass ich mir einen Bart wachsen ließ, meine ältesten Klamotten anzog und mich in Al-Batha, dem alten Riad, unter Inder und Pakistani mischte. Nicht weit entfernt von Al-Batha, in Al-Dirah (gesprochen Ad-dirah), war auch der Platz zu finden, an dem die allwöchentlichen Hinrichtungen stattfanden. Den Verurteilten wurde vor neugierigem Publikum und in aller Öffentlichkeit mit einem langen Schwert der Kopf abgeschlagen. Ich überlegte lange Zeit, ob ich mir das anschauen sollte, entschied jedoch, dass diese Menschen auch ohne einen Zuschauer mehr dem Tod ins Auge schauen konnten. Von Freunden, die es mit ansahen, ließ ich mir hinterher sagen, dass dies ein schneller und gnädiger Tod sei. Nicht zu vergleichen zumindest mit dem abscheulichen Tod, hervorgerufen durch diese gräulichen Todesspritzen oder durch den elektrischen Stuhl in den USA. Einige Wochen nach Olivers Ankunft in Riad rief Martin mich in sein Büro.

»Fahr bitte zum Flughafen, wir bekommen Verstärkung!«

Er reichte mir den Personalbogen über den Tisch. »Vielleicht kennst du ihn ja. Angeblich war er in der Legion. Sein Name ist Fratelli. Ange Fratelli (Name geändert)!«

Ange. Donnerwetter! Und ob ich ihn kannte! Ange war im Milieu bekannt wie ein bunter Hund. Wir hatten zusammen in Französisch Guyana gedient. Nach seinem Ausscheiden aus der Fremdenlegion hatte er sich dazu entschlossen, einen Schritt weiter zu gehen. Er tat sich mit den ganz Großen des „internationalen Sicherheitsgewerbes“ zusammen und machte sich in diesem Milieu sehr schnell einen Namen. Mir war es ein Rätsel, was Ange hier zu suchen hatte. Jede Sicherheitsfirma im Irak hätte das Doppelte bezahlt, um ihn zu bekommen; als Teamleiter, versteht sich. Er war vom Fach. Ein absoluter Profi. Jemand „sans peur et sans reproche“! Einer also, dem Angst ein Fremdwort war und der fehlerfrei, methodisch und präzise arbeitete. Ich stand erneut in der Eingangshalle am Flughafen, doch diesmal mit einer dumpfen Vorahnung. Ange war ein Korse, wie er im Buche stand. Hochgewachsen, dunkles Haar, dunkle Augen und mit tiefen Falten auf der Stirn, kam er mir lachend entgegen.

»Schön, dich zu sehen, Thomas!«

Ohne zu zögern, ergriff ich seine Hand und schüttelte sie kräftig.

»Ange. Welcher Wind treibt dich hierher? Hat man dir etwa nicht gesagt, dass sogar Grobiane wie du hier Anzug und Krawatte tragen müssen?«

Ein schnippisches Grinsen erschien im erdbraunen Gesicht.

»Ich habe dich beobachtet!«, sagte er betont langsam. Eine Note in seiner Stimme gefiel mir gar nicht.

Etwas verwirrt sah ich auf die Uhr. »Wenn wir nicht gleich losfahren, geraten wir in die Rushhour. Dann ist auf Riads Straßen die Hölle los. Du solltest etwas schlafen, denn deine Arbeit beginnt mit der Frühschicht, das heißt genau in vier Stunden.«

Ohne auf meinen Kommentar einzugehen, sagte er: »Es war das erste Mal, dass wir auf verschiedenen Seiten kämpften, Tom! Wir lagen alle da oben, haben gewartet, bis sie euch endlich abzogen.«

Ich konnte mich nicht mehr verstellen und so tun, als ahnte ich nicht, wovon er sprach. Die Neugier brachte mich schier um.

»Du warst in Brazzaville?«

»Und ob ich dort war. Wären nicht die Legionäre vom 2. REP gewesen, und du mittendrin, wer weiß. Vielleicht hätte ›le Vieux‹ uns früher losgelassen.«

 

Anm. d. Verf.: Wen er damit meinte, war in unseren Kreisen kein Geheimnis. Le Vieux nannten wir den ins Alter gekommenen Söldnerführer Gilbert Bourgeaud alias Bob Denard. Ja, er war noch aktiv, hörte erst auf, es zu sein, als er im Oktober 2007 verstarb.

Er brauchte mir auch kein Bild davon zu malen, was geschehen wäre, wenn es zu einer frühzeitigen Konfrontation gekommen wäre. Sie waren gekommen, um einen „Kandidaten“ in eine bessere Position zu bringen. Eine Horde Profis! Alles, was Rang und Namen hatte, lag damals in den Wäldern westlich von Brazzaville, und wir hatten nichts davon geahnt.

Brazzaville!

Ich verband den Namen dieser Stadt im Herzen Schwarzafrikas mit einem persönlichen Misserfolg. Oh ja, ich erinnerte mich an jene Nacht und an die Ereignisse in der Avenue Schoelcher, unweit vom Centre culturel français. Es war am 07. Juni 1997. In dieser Nacht wehte der Wind des Todes durch die Straßen Brazzavilles. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen.

»Sag dem Sergent-chef, er soll Gefechtsbereitschaft herstellen und den Zug antreten lassen. Ich bin beim Capitaine zur Befehlsausgabe!«

Ribeiro, ein Spanier, der zugleich Sergent de jour (Unteroffizier, verantwortlich für den geregelten Tagesablauf) war, witterte Aktion. Er sprang sofort auf. »Oui, Chef, mais…«

»Kein Aber«, befahl ich. »Das Lotterleben ist vorbei, mach schon!«

Er bewegte sich keinen Zentimeter vom Fleck. Verärgert und etwas irritiert sah ich zu ihm auf. Ribeiro war mein verlässlichster Gruppenführer. Er war gewissenhaft, loyal und pflichtbewusst und hatte, wie fast alle meiner Soldaten, die Feuertaufe längst hinter sich. Ich war stolz, ihn in meinen Reihen zu haben, hütete mich aber, ihm das zu oft zu sagen. Er benötigte hin und wieder eine starke Hand, die sein südländisches Temperament zügelte.

»Chef. Geht es endlich los?«

Ich atmete laut und tief aus. »Ja, Ribeiro«, sagte ich nachdenklich. »Es sieht so aus!«

Während ich in Windeseile meine Kampfstiefel schnürte, dachte ich an die vergangenen Jahre und war zufrieden. Was ich in der Legion bis zu diesem Zeitpunkt geschafft hatte, war, wie ein Offizier sich ausdrücken würde, ein „Parcours sans faute“, eine fehlerfreie Laufbahn. Vom einfachen Legionär, der dreimal am Tag Toiletten geputzt hatte, bis zum Zugführer, dem zweiundvierzig hartgesottene Legionäre hierher nach Afrika folgten: Ja, das konnte sich sehen lassen! Zugführer in der Fremdenlegion – ein Traum war für mich in Erfüllung gegangen. Es gab auf der ganzen Welt keine höhere Auszeichnung für einen wie mich. Doch diese Traumkarriere neigte sich, ohne dass ich es ahnte, bereits dem Ende zu.

FEBRUAR 1985

Mordanschlag auf Rüstungsmanager: Bei einem Attentat von Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) in Gauting bei München stirbt am 1. Februar 1985 der Chef des Luftfahrtunternehmens Motoren- und Turbinen-Union, Ernst Zimmermann.

Hochzeit von O. J. Simpson und Nicole Brown Simpson.

Madonna ist mit „Like A Virgin“ in den Top Charts.

In Kambodscha erobern die vietnamesischen Besatzungstruppen das Hauptquartier der Roten Khmer.

Der längste und aufwendigste Titelkampf in der Geschichte der Schachweltmeisterschaften zwischen Anatolij Karpow und Herausforderer Garri Kasparow wird nach über fünf Monaten und 48 Partien abgebrochen und annulliert.

Die erste Folge des Dreiteilers „Das Boot“ nach dem Roman von Lothar-Günther Buchheim, wird von der ARD ausgestrahlt.

Am 07. Februar 1863 beginnt für die Fremdenlegion das mexikanische Abenteuer. Zwei Bataillone gehen an der algerischen Küste, in Oran, an Bord eines Schiffes, das sie nach Vera Cruz bringt. Ihr erster ernst zu nehmender Feind hieß Vomito Negro: Das Gelbfieber!

Erste Schritte

“„Quand on a bouffé son pognon. Ou gâché pour un coup d’cochon.

Toute sa carrière. On prend ses godasses sur son dos. Et l’on file au fond d’un paquebot aux Légionnaires“ Aux Légionnaires.

Ich war 23 Jahre alt, als ich in die Fremdenlegion eintrat. Wir schrieben den 4. Februar 1985. Das ist lange her, doch ich erinnere mich daran, als wäre es gestern erst gewesen. Direkt aus meiner Heimat Oberfranken kommend, stand ich an diesem regnerischen Montag in aller Frühe vor der Türe des Rekrutierungsbüros der Legion in der Rue d’Ostende in Straßburg. Mein Blick fiel auf das grün-rote Schild mit der Aufschrift Poste d’information de la Légion étrangère – Quartier Lecourbe. Während ich es, der Kälte und dem Regen schutzlos ausgeliefert, betrachtete, ließ ich mein Leben Revue passieren. Meine Kindheit war kein Zuckerschlecken. Als uneheliches Kind einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters hat man es in einem sittenstrengen, konservativen und von Vorurteilen geprägten Deutschland eben nicht leicht. Vor allem nicht auf dem Land. Im Rahmen der Familie fühlte ich mich stets geborgen, auf der Straße jedoch lauerte die Bosheit an jeder Ecke. Nicht selten musste ich mit den Fäusten um meine Integrität, um etwas Frieden kämpfen. Auch meine Jugend und das Heranreifen zum jungen Mann waren nicht so prägend und genial, als dass ich nun, meine Entscheidung getroffen, großes Bedauern mit mir herumtrug. Im Gegenteil: Mich hielt nichts! Und jetzt, vor diesem Schild und nass wie ein Pudel, suchte ich bei mir nach Anzeichen von Zweifeln, von Angst. Umsonst allerdings. Ich war fest entschlossen, diesen Schritt zu wagen, den Blick zurück gab es nicht. Ich wusste kaum etwas über die Fremdenlegion, doch einer Sache war ich mir sicher. Wenn die Zeit gekommen war, den Vertrag zu unterschreiben, würde meine Hand nicht zittern. Eine geleistete Unterschrift verband ich mit einem gegebenen Wort. Dabei war es mir von vorneherein egal, was man von mir erwartete. Strapazen scheute ich nicht. Und sollte man mich in eine Kampfeinheit eingliedern und mein Leben aufgrund dessen nur noch die Hälfte wert sein: Sei es! Gespannt wie ein Flitzebogen klopfte ich an der Türe und wartete, dass jemand öffnete. Der Mann, der schließlich vor mir stand, trug Uniform und es war nicht etwa ein muskelbepackter Riese mit Narben im Gesicht, sondern ein normaler Typ, groß, hager, sympathisch. Er hatte buschige Augenbrauen und einen Salz-Pfeffer-Bart. Die erste Musterung, dachte ich, als sein Blick mich förmlich durchbohrte: abschätzend, nicht geringschätzig! Er trug eine Sportjacke über seiner kakifarbenen Uniform, sodass ich die Dienstgradabzeichen nicht gleich erkennen konnte. Vom Leben schlau geworden, tat ich vorsichtigerweise so, als stünde ein General vor mir!

»Du willst in die Fremdenlegion?« Mit Daumen und Zeigefinger zwirbelte er die Bartspitzen durcheinander, schien nicht auf eine Antwort zu warten. »Na dann komm rein.« Sein Deutsch klang perfekt. Mit dem Kopf wies er auf einen kurzen Flur, an dessen Ende sich eine Art Wartesaal befand. »Du findest da drin was zum Schmökern. Es sind Broschüren über die Legion. Sieh dir alles gut an. Wenn du in einer Stunde immer noch hier rumtrödelst, muss ich davon ausgehen, dass du es ernst meinst.«

Diese eine Stunde, nicht dazu angetan, meine Ungeduld zu zügeln, dauerte mir viel zu lange. Natürlich war ich nervös und stellte mir tausenderlei Fragen, doch die Wissbegierde, zu erfahren, was als Nächstes geschehen würde, war weitaus größer als irgendwelche Zweifel. Zunächst jedoch geschah überhaupt nichts. Mir wurde ein Zimmer zugewiesen, in dem sechs Betten, ein Tisch und einige Stühle standen. Anscheinend war ich der einzige Anwärter an diesem Tag, denn ich sah weder Gepäck noch Bettzeug. Die dunkelgrauen Spinde aus Metall waren leer. Ich hatte mir, wie bereits erwähnt, viele Fragen gestellt. Unter anderem auch diese: Würde die Legion Unterschiede zwischen den Freiwilligen machen, die bereits in einer anderen Armee gedient, und denen, die noch nie eine Waffe in der Hand gehalten hatten? Oder schmissen sie hier alle in einen Topf? Von 1979 bis 1984 war ich Soldat auf Zeit (SaZ-4). Anfangs im Fsch/Jg/Btl/252 und später, nach der Umgliederung auf die Heeresstruktur Vier, im Fsch/Jg/Btl/253. Diese exzellenten Einheiten der Schwarzwaldbrigade hatten ihre Garnison in Nagold. Neben Einzelkämpfer- (im Sauwald), Absetzer- und Freifallerlehrgang an der Luftlande- und Lufttransport-Schule Altenstadt hatte ich diverse andere Ausbildungen hinter mich gebracht. Darunter auch den Lade- und Verlastelehrgang (ebenfalls an der LL/LTS); Sperren und Sprengen an der Pionierschule in München; Schießlehrer für Handfeuerwaffen und PzAbw- Handwaffen an der Infanterie-Schule Hammelburg (Kampftruppenschule -1); einen französischen Kommandolehrgang im Centre d’entraînement commando in Breisach etc. Gab mir das einen Vorteil gegenüber anderen Kandidaten? Einen Teil der Antwort erhielt ich prompt am nächsten Tag. »Vergiss, wer du warst oder was du bisher getan hast. Ab heute bist du Legionär«, sagte mir der Mann vom Vortag, ein Caporal-chef, wie ich inzwischen in Erfahrung gebracht hatte.


Dreißig Jahre danach, vor derselben Türe. Hier, im Rekrutierungsbüro der Legion, dem Poste d information de la Légion étrangère (PILE) Strasbourg, hat alles begonnen.

Er erwähnte es in einem Tonfall, der mir eine enorme Last von den Schultern nahm. Ich war auf alles gefasst, nur nicht auf das. Den Worten Ab heute bist du Legionär entnahm ich: Du bist willkommen! Da steckte Wärme dahinter und für diese Art Wärme war ich sensibel, auch weil sie mir die Zweifel nahm. Dass meine militärische Vorgeschichte durchaus von Nutzen war, erfuhr ich erst viel später, als es darum ging, sich in die Ränge der Unteroffiziere zu boxen. Nicht mit Fäusten, aber mit Wissen, mit Autorität und Cleverness. Dieser erste Tag war bedeutsam. Jedem von uns, wir waren mittlerweile vier, wurden die Haare geschnitten: „Boule a zéro“. Theoretisch hieß das „Glatze total“, in der Praxis aber blieben doch zwei Millimeter übrig. Fragebogen wurden ausgefüllt und die (Vor-)Verträge unterschrieben. Es war ein normaler Vertrag, in dem ich mich dazu verpflichtete, fünf Jahre in der Legion zu dienen. Ich überflog ihn – und unterzeichnete. Vielleicht gab es in diesem Vertrag eine Klausel, die besagte, dass man nach einer gewissen Probezeit die Legion wieder verlassen konnte. Wir wurden jedoch nicht ausdrücklich darauf hingewiesen.

Anm. d. Verf.: Wie sieht das heute aus? Im Falle des ersten Vertrages (in jedem Fall fünf Jahre) gibt es durchaus eine Probezeit. Nur dass man die Kandidaten von heute darauf explizit hinweist. Sie beträgt sechs Monate und kann einmal erneuert werden. Der Bewerber hat jederzeit die Möglichkeit, sich, Kopf oben, aus der Affäre zu ziehen und aus dem laufenden Vertrag auszusteigen.

Für mich spielte das damals aber keine Rolle. Man hatte mich nicht abgewiesen, darauf kam es an. Meinen nagelneuen Reisepass und die Klamotten, die ich hier abgeben musste, sah ich lange Jahre nicht wieder, doch auch das war mir einerlei. Zwei Tage später saßen wir im Zug, der uns nach Marseille brachte. Vom Bahnhof Saint-Charles ging es auf LKWs weiter Richtung Aubagne.