Leben unter fremder Flagge

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Beiseiteschieben? Ja!

Vergessen? Niemals!

Es reicht ein Fingerschnippen, ein von einem wildfremden Menschen geflüstertes Wort in der Straßenbahn, der flüchtige Anblick eines Soldaten in Uniform, selbst aus der Ferne, und alles ist wieder da. Alles! Man ist wieder mittendrin. Ich wäre der glücklichste Mensch der Welt, wenn mir das gelingen könnte: Erlebtes erneut an den Tag zu bringen, um ein Lachen oder ein Nachdenken oder gar Tränen in die Gesichter einiger Leser zu zaubern. Möglicherweise sind es Tränen der Wut und der Trauer, weil ich längst Begrabenes an die Oberfläche bringe, sei es! Wenn ich einige Zeilen vorher von Personen und deren Anerkennung schrieb, dann hat das seine Gründe. Nirgendwo anders als in der Fremdenlegion war es mir vergönnt, Charaktere kennenzulernen, die mich derart positiv beeindruckt haben. Ob es nun der eine oder andere Offizier war, der mich durch seine natürliche Autorität, durch Kompetenz, Herzensgüte und auch durch seine gnadenlose Härte sofort an sich fesselte. Ob der Unteroffizier, dem „Angst“ ein Fremdwort war. Ob der Gefreite, der mit mir nachts durch die stillen, engen Gassen der Elendsviertel in N’Djamena, durch die heiteren Straßen Calvis oder durch die gefährlichen Quartiers Bacongo und Kouanga schlich, auf der Suche nach einer Bar, um dort für alles Geld der Welt einen letzten Drink mit mir zu nehmen, bevor die Stürme der Realität, der Einsätze oder der Ausbildung des kommenden Tages erneut über uns hinwegfegten: Chapeau, Hut ab! Das Potenzial wertvoller Menschen in der Fremdenlegion ist unerschöpflich. Zu dieser Erkenntnis kam ich sehr schnell. Das der Mitläufer und der unbedeutenden Personen ist wohl auch unerschöpflich, mahnt der Kritiker in mir. Doch auch diese entwickelten sich meist mit jedem Tag, den sie in der Legion verbrachten, zu interessanten Menschen. Das war und ist eine Frage der Zeit und des Umfeldes, wobei hier die Menschen, Ausbilder, Vorgesetzte, vor allem die schon älteren Unteroffiziere, eine enorme Rolle spielten. Es ist schon ein langer Prozess, in der Legion sich selbst und seinen Platz zu finden, doch das Umfeld ist günstig. Es wird kein Rassismus betrieben. Niemand wird aufgrund seines Aussehens, seiner Rasse, seiner Religion oder seiner Herkunft benachteiligt.

Was treibt einen Menschen, zur Legion zu gehen?

Die Gründe für einen solchen Wahnsinn variieren von Person zu Person. Meist ist der wahre Grund so tief in den dunklen Seelen der Einzelnen vergraben, dass es ein Leben bräuchte, eine passende Antwort darauf zu finden. Auf solche Fragen folgen meist Diskussionen, die niemals enden wollen und aus denen ich mich heraushalte, bei denen ich mich selbst im Stillen frage: Warum bin ich denn zur Legion? Im Februar 1985 hätte ich keine Antwort darauf gewusst. Ich hätte mich wortlos umgedreht und mir darüber nicht weiter den Kopf zerbrochen. Heute, mit etwas Abstand, habe ich mir selbst eine Antwort zusammengebastelt, mit der ich halbwegs zufrieden bin. Ich betone: Halbwegs! Was den Rest von diesem Halbwegs betrifft, so wage ich zu bezweifeln, dass ich je eine Antwort finden werde. Siebzehn Jahre in der Fremdenlegion! Kein Krieg dauert so lange, weder Hass noch Unvernunft, auch keine Besonnenheit und schon gar kein Zwang. Was war es dann? Sollte ich zunächst die Frage anders stellen: Warum bin ich nicht zur Fremdenlegion? Hier wird es übersichtlicher. Ich bin nicht zur Fremdenlegion, weil:

ich ein Verbrecher war. Dazu bin ich zu freiheitsliebend, zu ehrlich auch.

ich ein überzeugter Soldat war. Was sicherlich den Leser überrascht, der erfährt, dass ich insgesamt 21 Jahre meines Lebens dem Soldatentum widmete und auch jetzt einen ähnlichen Beruf ausübe. Dafür war und bin ich allgemein zu friedfertig, auch zu rebellisch!

ich den Hang hatte, jemanden umzubringen. Ganz und gar nicht! Die Notwendigkeit, einen Gegner zu neutralisieren (irrtümlich von einigen Unwissenden als Hang bezeichnet), kam immer aus der tiefen Überzeugung und auch mit dem begründeten Wissen, dass nur durch das Außer-Gefecht-Setzen des Gegenübers das eigene Leben, das der Kameraden oder das Leben der anvertrauten Schützlinge gerettet werden konnte. Schien das eigene Leben belanglos, das der Kameraden war es nicht. Priorität hatten immer der Auftrag und das Leben des Schutzbefohlenen. Den anderen, „das Gegenüber“, zu neutralisieren war kein Hang oder ein Trieb, nein! Es handelte sich um eine humane und lebensnotwendige Handlung. Es war die Pflicht, ihm zuvorzukommen! Jeder Soldat weiß ein Lied davon zu singen, ein Zivilist wird es nicht begreifen.

ich in finanziellen Nöten war. Obwohl die Fremdenlegion ein Arbeitgeber ist, der für seine Soldaten sorgt, überdurchschnittlich, ja exzellent bezahlt, war das für mich kein Grund. Geld hatte ich immer genug, vor, während und nach meiner Legionszeit. Geld war weder Gradmesser meines Befindens noch Triebkraft, das „Weite“ zu suchen.

ich mich für irgendetwas bestrafen wollte. Ein Narr war ich nie!

Nun, warum bin ich zur Fremdenlegion?

Wahnsinn, Romantik gar? Obwohl das Wort Romantik in den Hochburgen der Fremdenlegion verpönt ist, kommen wir der Sache langsam auf die Spur.

Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens entgegentreten, als ein gesichertes Dasein zu führen; lieber die gespannte Erregung des eigenen Erfolges statt die dumpfe Ruhe Utopiens.“

Diesen Satz von Albert Schweitzer finde ich wahnsinnig interessant. Warum? Weil ich mich total damit identifizieren kann. Ein Leben in steter Sicherheit zu führen, war für meine Begriffe nicht nur langweilig, sondern auch wertlos. Und noch ein berühmter Satz hatte es mir angetan. Er stammt von keinem Minderen als Philip Rosenthal, dem Porzellan-König und späteren SPD-Bundestagsabgeordneten aus Selb. Seine Eltern waren reich, er selbst studierte in Oxford und machte seinen Master of Arts in Philosophie, Politik und Wirtschaftswissenschaften. Jeder sagte ihm eine brillante Zukunft voraus, und was macht er? Richtig! Er geht in die Fremdenlegion! Rosenthal sagte: Wenn man mich fragt, wo ich in meinem Leben am meisten gelernt habe, antworte ich – nicht nur im Spaß: in Oxford und in der Fremdenlegion. Aber ich bin nicht sicher, ob ich nicht in der Legion mehr gelernt habe als in Oxford! Seinen eigenen Worten nach hatte der spätere Industrielle im letzten Jahr an der University of Oxford nur einen Wunsch. Er wollte heraus aus dem Glashaus, das ihm vor den rauen Winden des Lebens fast vollkommenen Schutz bot! Und er betonte eindringlich, dass er kein Dauerbewohner in einem Narrenparadies mehr sein wollte, der nie einen Blick von dem ergatterte, wie das Leben ohne die Behaglichkeit und ohne die gesellschaftliche Stellung aussieht, Dinge also, die man immer als selbstverständlich hingenommen hat (Philip Rosenthal – Einmal Legionär). Die Worte sprechen Bände, sie verraten eine tiefere Sinnsuche. Philip Rosenthal trat der Legion im Jahr 1939 bei, ich knapp fünfzig Jahre später. So grundverschieden das persönliche Umfeld Rosenthal/Gast und der weltgeschichtliche Kontext damals/heute auch sind, umso ähnlicher die Motive für diesen Schritt. Nun wird es Menschen geben, die empört schreien: Aber dieser Rosenthal war doch ein Deserteur, Gast aber blieb der Legion treu! Das ist zutreffend. Aber Rosenthal war einer von uns. Er war Legionär. In seiner Seele ist er das bis zu seinem Tode auch geblieben, nur das zählt. Deserteure gab es immer. Im Jahr 2009 zum Beispiel hatte die Legion etwa 250 Soldaten, die sich unerlaubt von der Truppe entfernten. Nach genau sechs Tagen Abwesenheit werden sie zum Deserteur erklärt, alle Bankkonten sofort gesperrt, die Polizei informiert. Zu meiner Zeit war es üblich, dass fast jeder Legionär einmal „verschwand“. Die meisten kamen jedoch wieder, gingen für dreißig Tage in den Bau und die Sache war Schnee von gestern: Keiner sprach mehr darüber! Das war überhaupt das Gute, diese direkte Art, Probleme ruck, zuck – und ohne nachtragend zu sein – zu „händeln“. So erinnere ich mich an einen Hauptmann (Capitaine Martin) in Französisch Guyana, der den Legionären lieber eine saftige Ohrfeige verpasste, als sie ins Legionsgefängnis zu stecken. Der Vorteil? Keinen Eintrag ins Carnet de Chanson (Strafregister). Letzteres blieb weiß. Auch heute desertiert etwa jeder dritte Legionär einmal während seiner Karriere und meistens hat die „befehlswidrige Entfernung von der Truppe“ mit der Legion am allerwenigsten zu tun. Oft steckt der verdammte „Cafard“ dahinter, ein „Blues“, eine Frau, eine Flasche zu viel, ein Chagrin d’amour (Liebeskummer). Für mich war die Fremdenlegion sprichwörtlich die Brücke dazu, in die Fremde zu kommen. Andere Kulturen kennenzulernen, Abenteuer zu erleben, etwas zu tun, das niemand, den ich kannte, auch nur in Erwägung gezogen hätte. Darum ging es mir. Das Unbekannte reizte mich, die Gefahren. Ich hatte dieses rätselhafte Verlangen, an meine Grenzen zu gehen. Auch zu erleben, was es heißt, Leid zu ertragen, zu hungern, zu dursten, zu frieren und mir die Haut von den Füßen zu marschieren. Eins vorweg: Die Legion hat mich in meinen Erwartungen nicht enttäuscht! Und dann war da noch etwas, man mag es mir glauben oder nicht. Das Wort Fremdenlegion selbst. Es zog mich magisch an. Auch heute noch läuft es mir eiskalt und brühend heiß den Rücken hinunter, wenn ich „Légion étrangère“ höre, denke, lese oder mich nur daran erinnere. Heute, mit fünfzig, ist die Versuchung, noch einmal diese Abenteuer zu erleben, wieder die Stimme meiner Chefs zu hören, wenn sie laut und fordernd sagen „… en avant la Légion“, genauso verlockend wie damals. Im September 2002 zum Beispiel, ich war seit acht Monaten Zivilist, erfuhr ich aus inoffiziellen Quellen vom Krieg in der Elfenbeinküste. Es war wie ein Schock: Ich bekam eine Gänsehaut. Meine Kompanie – ich kannte noch jeden einzelnen Mann – war in vorderster Front im Einsatz, und ich kämpfte mit den alltäglichen, mitunter banalen und absurden Problemen eines bodenständigen Familienvaters. An diesem Tag sah ich immer wieder zum Telefon, gleichwohl wusste ich, dass meine Jungs auch ohne mich gut klarkamen. Natürlich würde niemand mich anrufen, aber es war eine bizarre, unwirkliche Situation.

 

Was hat mir das Leben in der Legion gebracht?

Im Gegensatz zu dem Warum gibt es hier keine Gräber dunkler Seelen. Die Antwort liegt auf der Hand. Ich hab mich selbst gefunden. Heute weiß ich die alltäglichen Kleinigkeiten besser zu schätzen. Der vorzüglich gedeckte Frühstückstisch zum Beispiel. Für viele Menschen in Europa oder anderswo ist er Normalität. Für mich jedoch stellt er ein kleines Wunder, einen Tresor dar. Ein Schluck kühles Wasser, wenn der Durst schreit, banal? Ich denke, nein; ich weiß, dass er kostbarer ist als ein Lottogewinn! Menschen nach der „Optik“, nach ihrem Aussehen zu beurteilen, ist das Schlimmste, was man tun kann. Auch das brachte die Legion mir bei. Es kommt nicht darauf an, wie jemand aussieht, wo er herkommt, welche Kleider er trägt oder wie er sozial aufgestellt ist, sondern was alleine zählt, ist, wer er wirklich ist. Der Mensch zählt. Es zu halten, wie Antoine de Saint-Exupéry es brillant auf den Punkt bringt: »On ne voit bien qu'avec le cœur. L'essentiel est invisible pour les yeux.« Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist unsichtbar für die Augen – das ist für mich ein Leitsatz geworden. Leider, so stelle ich in unserer Zeit jeden Tag erstaunt und entmutigt fest, handeln viele Menschen in Europa nicht danach. Das Flüchtlingsdrama 2015 trug nicht dazu bei, dass die Verständigung der Länder untereinander besser wurde. Viele sehen nur „die Anderen“, kaum aber „die Menschen!“ und so geht die Menschlichkeit dahin. Die Worte „geht nicht“, „unmöglich“ haben für mich ihren Sinn verloren, weil die Fremdenlegion mich täglich gelehrt hat, dass es immer ein Voran gibt, dass „alles“ zu schaffen ist. Auf den Willen kommt es an, denn er versetzt Berge. Ich habe gelernt, über den Tellerrand zu schauen, und es mir verboten, zu essen, wenn neben mir jemand hungert. Durch meine Reisen mit der Legion in fern liegende, fremde Länder ist mir bewusst geworden, dass, besonders in Europa, viele Menschen im Überfluss leben. Täglich gebärden sie sich so, als stünde ihnen dieser Überfluss zu. Oft sind es dieselben Menschen, die nicht begreifen wollen, dass nicht weit weg von uns – und oft gar mitten unter uns – Trauer, Leid und Armut herrschen. Es sind diejenigen, die ihre Augen und Türen (und ihre Herzen) verschließen vor all dem Elend, das uns umgibt. Ich habe gelernt zu teilen, mit wenig auszukommen, habe die tiefe Bedeutung des Wortes Toleranz erfahren. Im Schweiß des Angesichtes, im Schmerz, im Hunger und im Durst und auch im Feindfeuer erfuhr ich, dass die Interessen des Einzelnen immer erst hinter den Bedürfnissen der Gemeinschaft kommen. Mir das in der Praxis einzuverleiben war ein enormer Schritt in Richtung Menschwerdung. Keine Universität der Welt hätte mir ein umfassenderes Wissen (Wissen um die Menschen, Wissen um das „Humane“ an sich) und bessere Werte vermitteln können als die Schule Fremdenlegion. Ich habe auch erfahren, dass das Leben sehr schnell zu Ende sein kann, weiß nunmehr, dass ich jeden Tag erleben will, als sei er mein letzter. Und genau das taten wir damals schon. Wir, die Legionäre. Oft frage ich mich, wo ich jetzt wäre, wenn ich, anstatt der Legion beizutreten, in Deutschland geblieben wäre. Ich denke, ich wäre in der grauen Masse der Allerweltsmenschen untergegangen, die niemals erfahren würden, dass sie Essenzielles verpasst haben. Heute laufe ich mit hoch erhobenem Kopf einher. Meinen Preis dafür habe ich doch zahlen müssen. Der Legion den Rücken zugewandt, stellte ich nämlich mit Schrecken fest, dass in meiner Seele ein rastloses Monster schläft. Ein harmloses zwar, aber immerhin. Auf der Brust dieses Ungeheuers stand in grün-roten Buchstaben: „Einmal Legionär, immer Legionär!“ Nur ein klischeebehafteter Spruch? Von wegen! Man kann nicht 17 Jahre in der Legion gedient haben, nach Deutschland oder anderswohin zurückkehren, und das war’s dann. Meine Familie hat mitunter viel damit zu tun, dieses Monster – ist es einmal erwacht – zu besänftigen. Mal gelingt es ihr, mal nicht. Schafft sie es nicht, kommt es vor, dass ich meinen Rucksack packe und, sei es im tiefsten Winter und für zwei, drei Tage, nur mit meinem Hund in die anliegenden Wälder verschwinde. Auf meiner Schulter sitzt dann ein kleiner Teufel, der mich berät. Im Wald wird das Zelt aufgeschlagen, ein Feuer gemacht und eine Flasche Rotwein geköpft, trocken, s’il vous plaît. Das Ziel ist immer, mit einem Lächeln drei Tage später wieder daheim zu erscheinen. Hungrig, unrasiert und nachdenklich, aber glücklich und mit dem Wissen, dem „Teufel Legion“ wieder mal keins ausgewischt zu haben, bis zum nächsten, wohl auch vergeblichen Versuch. Doch das wird seltener, obwohl es sicher nie aufhört. Und immer diese impertinenten Fragen.

Alles Säufer, Verbrecher, Söldner, Homosexuelle?

Bitte vergessen Sie das!

Säufer? Ivrognes?

Viele, die mit solch unsinnigen Kritiken um sich werfen, vergessen – oder wissen nicht –, dass Legionäre oft tage-, wochen-, ja monatelang im Einsatz oder im Gelände bei der Ausbildung sind. Im Einsatz wird nicht getrunken und bei der Ausbildung nur dann, wenn es grünes Licht von oben gibt. Wenn ein Legionär, der lange Wochen im Einsatz war, harte Entbehrungen hinter sich gebracht hat und mitunter sein Leben riskierte, mal einen über den Durst trinkt: ein Säufer? Mit Sicherheit nicht, aber lassen wir’s dabei.

Verbrecher oder, wie Capitaine Borelli sagen würde: »Ramassis d’étrangers sans honneurs et sans foi!?« Ein Haufen Fremder ohne Ehre und ohne Glauben? Schon möglich, aber was ist denn ein Verbrecher? Wenn ein Mann sein Land verließ, weil ihm dort alles zu viel wurde mit Frau und Kind (und Hund)? Weil Schulden ihn plagten, Langeweile ihn tötete und andere mit dem Finger auf ihn zeigten, weil er nicht in die Form passte, in die man ihn zwängen wollte? Gut, dann besteht die Legion unter Umständen nur aus Verbrechern! Wenn man unter „Verbrecher“ jedoch jemanden versteht, der ein Kapitalverbrechen begangen hat, sprich Mord, Totschlag etc., so hat dieser nicht die geringste Chance, in der Legion anzuheuern, kurz: Solche Verbrecher nimmt die Legion nicht mehr.

Die Legion ist keine Zufluchtsstätte für Verbrecher!

Die Fremdenlegion von heute ist modern und hoch flexibel. Sie sucht den Soldaten, der, intelligent und selbstbewusst, mit der steigenden Flut und den damit verbundenen Anforderungen, die höchst technische Waffen, Instrumente, Fahrzeuge und andere Materialien stellen, problemlos klarkommt. Sie hält vor allem nach Männern Ausschau, die eines nie aus dem Auge verlieren: Es ist der Mensch, der zählt! Jeder einzelne Legionär zählt, ist wichtig, hat seine Stärken und Schwächen; und noch wichtiger: Er hat seinen Platz!

Söldner? Mercenaires?

Mit Vehemenz nein! Wer die Legion nicht kennt, begegnet ihr zunächst mit Misstrauen. Das habe ich selbst oft so erlebt. Man verbindet den Namen Fremdenlegion mit Schrecken, teils mit roher Gewalt, mit einem gewissen Söldnerwesen und mit Männern, die im Zivilleben versagt haben. Und man meint, die Legion würde im Verborgenen stets ihr eigenes Süppchen garen. Nun, all das ist falsch, zumindest zum größten Teil. Der Legionär ist und war als Soldat immer Teil der regulären Armee Frankreichs. Den Ruf, ein Söldner zu sein, verdankt er den Menschen, die das eben gerne so sehen möchten. Und das verdankt er auch der Tatsache, dass er hauptsächlich fernab des europäischen Festlandes eingesetzt wurde. Dort also, wo niemand ihm über die Schulter blicken, man nur spekulieren konnte, was er denn so trieb. Sein Wirken und Handeln sah man de facto nie, also war es per se schlecht. Je weiter weg von den Medien und vom „Vieille Europe“, vom alten Europa, umso besser war es für ihn. Söldner (namentliche Beispiele könnte ich ein Dutzend aufzählen) haben alle eines gemeinsam. Sie sind unmenschlich und brutal. Diese scheußlichen Attribute sind nicht die von professionellen Kämpfern. Ihnen fehlt jegliche Disziplin, die letztendlich einen guten Soldaten ausmacht. Verherrlicht und bewundert werden solche Männer von uns Legionären jedenfalls nicht. Im Gegenteil! Es gab und gibt zu viele angebliche Söldner, die in der Legion nie auch nur fähig gewesen wären, einen Trupp zum Reinigen der Toiletten zu führen, weil ihnen selbst dazu die natürliche Autorität fehlte. Gewalt ist keine Autorität, sondern Schwäche! Generell darf man einen Söldner nicht mit einem Fremdenlegionär vergleichen. Ein Soldat (so auch der Legionär) ist ein professioneller Fachmann, dessen Metier technische, intellektuelle und körperliche Kompetenz erfordert. Und das auf vielschichtigen Ebenen. Es genügt nicht, sich einen Titel zu verpassen, aus dem Hinterhalt Menschen zu erschießen, sich jeden Abend zu betrinken und dann, mit der Waffe in der Hand, die Welt neu zu erfinden. Viele Söldner, streng genommen die Mehrheit von ihnen, können eindeutig in den Topf „extrem rechts“ oder „Rassist“ geworfen werden. Von beiden Faktoren, Inkompetenz und Rassismus, nehmen wir, die echten Fremdenlegionäre, mit Verlaub, ganz großen Abstand. Wir sind Profis und kein schießwütiger Haufen oder gar eine Horde wilder Outlaws. Eine eiserne Disziplin, Honneur und Fidélité, das alles gibt es bei den Söldnern nicht wirklich. Genau auf diesen drei Werten aber basiert die Stärke der Fremdenlegion. Ich fühlte mich nie als Söldner. Die Fremdenlegion ist Teil der französischen Streitkräfte, basta. Ob jemand das wahrhaben will oder nicht. Die feine Nuance ist: „Wir aber sind Legionäre … auch basta!“

Anm. d. Verf.: Wie immer, so gibt es auch hier Ausnahmen. Persönlich kannte ich durchaus Söldner, die exzellente Soldaten, gute Kameraden und, was man nie vermuten würde, auch humane Krieger waren (sofern humane Krieger existieren). Das trifft fast zu hundert Prozent auf all diejenigen zu, die vorher in der Legion eine harte Schule nach dem Ehrenkodex, dem Code d'honneur du légionnaire, durchlaufen haben.

Was die Homosexualität anbelangt, so ist sie mir in all den Jahren nie begegnet. Mit Sicherheit kann ich aber sagen, dass es, wenn überhaupt, nur Einzelfälle gab und dass die Legion vermutlich weniger mit diesem Phänomen kämpfen musste als andere Einheiten. Tatsächlich, und jetzt kommen diese Nuancen, von denen ich sprach, unterscheidet sich die Legion sehr von anderen Truppenteilen. Traditionen spielen hier eine enorme Rolle. Die Lieder, les Chants Légion, mal tief, schwer und süß wie die Sünde, mal sarkastisch, dann wieder herzerfrischend, meist immer mit einer zweiten oder auch dritten Stimme. Der bedächtige Gleichschritt, achtundachtzig Pas (Schritt) pro Minute. Le Code d’honneur du légionnaire, der Ehrenkodex (siehe Anhang). La Ceinture bleue (blauer Gürtel der Parade- und Wachuniform). „La Cravate verte“ (grüne Krawatte) und das Képi Blanc (das weiße Käppi). „La Grenade à sept flammes“ (Granate mit sieben Flammen, übernommen vom Vorgängerregiment, dem Regiment Hohenlohe), „Camerone“ (siehe Anhang) sowie unzählige andere Besonderheiten machen die Legion aus. Die Art und Weise, zu rekrutieren, ist einzigartig auf dieser Welt. Beeindruckend ist der unerschütterliche Zusammenhalt der Truppe, diese „Cohésion“, die den Unterschied ausmacht, wenn es hart auf hart kommt. Die Legion kommt nicht und setzt sich ins gemachte Nest, sie verändert. Sie verändert zum Besseren! Ich habe es nie anders gesehen oder anders getan, und wenn es nur das Weiß-Anmalen einiger Steine mitten in der Wüste war, das auch seinen Sinn und Zweck erfüllte. Das Gefühl, angekommen zu sein, Mitglied einer Familie sein zu dürfen. … Legio Patria Nostra … (aus dem Lateinischen: Die Legion ist unser Vaterland). Das waren und sind nicht nur Worte. Und schrieb man nicht schon allzu oft, … wenn ein Legionär stirbt, wen kümmert das schon? Es ist schon mehr als nur ein bisschen Wahrheit an all dem. L’amour du travail bien fait? Das beste Beispiel, das mir spontan in den Sinn kommt, ist Folgendes. Im Mai 1997 in Kongo Brazzaville sagte unser Regimentskommandeur vor allen Offizieren und Unteroffizieren des Regiments einen Satz, der mich wieder einmal beeindruckte und auch bestätigte – und das, obwohl er fast obszön klingt.

Wenn Paris entscheidet, dass wir (das 2. REP) in den Krieg ziehen, sind wir die verdammt besten Soldaten der Welt. Und wenn sie (die in Paris) entscheiden, dass wir sämtliche Scheißhäuser von Paris putzen sollen … sind wir die verdammt besten Scheißhausputzer der Welt, und danach gibt es keine Stadt auf diesem Planeten mehr, deren Scheißhäuser sauberer sind.“

 

Was er damit zur Sprache bringen wollte, das dürfte klar sein. Es ist unwesentlich, mit welchen Aufgaben man Einheiten der Fremdenlegion konfrontiert (zwischen wichtig oder unwichtig sollen Andere entscheiden). Die Legion derweil wird immer an ihre Grenzen gehen, um diese Aufgaben par excellence zu erfüllen. Jedem der an sie herangetragenen Aufträge schenkt sie höchste Aufmerksamkeit, und sicherlich trägt das dazu bei, sie von anderen Einheiten grundsätzlich zu unterscheiden. Es gibt weder niedere Aufgaben noch unwichtige Aufträge!

Warum schrieb ich dieses Buch?

Ausschlaggebend für mich war die unbestechliche Logik meiner Frau. Wir unterhielten uns über die Fremdenlegion – was Seltenheitswert hatte – und ihr fiel auf, wie extrem ich alles Erlebte banalisierte. Und dann kam ihr Satz: „Was dir banal erscheint, ist für andere ohne Zweifel außergewöhnlich spannend!“ Diese Aussage beschäftigte mich und bewirkte, was ich rundweg ausgeschlossen, ja für unmöglich gehalten hatte. Der Wunsch, meine Erfahrungen und Erlebnisse niederzuschreiben, wuchs von Minute zu Minute. Das Resultat liegt vor Ihnen. Zum Abschluss dieses Vorwortes noch eine Angelegenheit, die mir persönlich sehr am Herzen liegt. Im Jahr 2006 stieß ich im Internet zufälligerweise auf einen Artikel, der von einem UN-Beobachter verfasst wurde. Darin empörte sich dieser Unwissende über sogenannte Killereinheiten wie, ich zitiere: die 82. Airborne-Division und die französische Fremdenlegion. Es ging in dem Artikel um Missbrauch, Korruption, Vergewaltigungen oder Misshandlungen der Schutzbefohlenen und sogar um deren willkürliche Tötung im Rahmen humanitärer Einsätze. Ich zitiere weiter:

Wenn ein Einsatz nicht der Kriegführung, sondern der humanitären Hilfe dienen soll, dann darf man keine „Killereinheiten“ entsenden. Die französische Fremdenlegion oder die 82. Luftlandedivision der USA sind harte bis brutale Kampftruppen, die in humanitärem Kontext völlig fehl am Platz sind.

Wie von selbst versteht es sich, dass ich diesen Mann sofort per Mail kontaktierte. Ich schrieb Folgendes: Guten Tag, Herr Unbekannt (wobei mir sein Name natürlich geläufig war). Ich bin durch Zufall auf folgende Zeilen gestoßen (Text s.o.), die, soviel ich weiß, von Ihrer Hand stammen. Wer so etwas Absurdes schreibt, brilliert nicht durch Wissen um das Thema. Oder er ist sehr schlecht informiert. Wahrscheinlich beides. Humanitäre Einsätze hatten wir, die Sie uns unwissend Killereinheiten nennen, oft, ein Auflisten halte ich an dieser Stelle für überflüssig. Jeder dieser Einsätze wurde brillant gemeistert. Bei all diesen Interventionen hat die Fremdenlegion zahlreiche Leben gerettet. Sie half Menschen, die in Nöten waren. Sie bot ihnen Obdach, Nahrung, Medikamente und Schutz, stellte sich bravourös, vorbildlich und uneigennützig in den Dienst aller Leidtragenden. Keine andere Eliteeinheit – und ich kenne sie alle – hätte diesen humanitären Aufgaben besser und gleichzeitig effizienter gerecht werden können. Nie werden Sie eine Einheit finden, die disziplinierter und mit einer größeren Portion Altruismus ihren jeweiligen Auftrag wahrnimmt als die Fremdenlegion. Egal ob der Einsatz der Kriegsführung dient oder ob es ein humanitärer Einsatz ist, für uns war es immer selbstverständlich, dass wir unser Leben aufs Spiel setzten. So oder so! Ich habe andere Einheiten gesehen, die Geld annahmen, von Menschen in Not. Ich sah Einheiten, die für horrende Preise Armeerationen an hungernde Menschen verkauften, um sich zu bereichern. Ich sah Einheiten, die ganz gerne vernunftwidrige Kollateralschäden von großem Ausmaß hinnahmen, nur um selbst mit heiler Haut davonzukommen. All dies gab es bei der Fremdenlegion und in meiner Zeit nie und wird es auch zukünftig nie geben! Ja, ich denke, Sie sollten sich besser informieren! Mit freundlichen Grüßen: Fremdenlegionär Thomas Gast. Dass eine Antwort auf mein Schreiben seinerseits ausblieb, muss hier nicht ausdrücklich erwähnt werden. Auch wenn es einigen Herrschaften nicht passt: In den Kellern der Fremdenlegion lohnt sich ein Stöbern nicht, es liegen dort keine verscharrten Skelette. Danke, Legion.