Leben unter fremder Flagge

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Footing! Laufen war angesagt. Bereits nach ein paar Tagen auf der Farm liefen wir in den sogenannten Groupes des forces, d.h. es wurden drei verschiedene Laufgruppen zusammengestellt, denen jeder von uns, seinem Niveau entsprechend, zugeteilt wurde. Die Strecke war von der Distanz her für alle dieselbe, nur der Laufrhythmus war unterschiedlich.

Zurück vom Sport, ging es übergangslos zum Waffen- und Geräte-Empfang, danach: Duschen im Schweinsgalopp und wieder antreten. Am Kampfanzug befanden sich:

ANP (Gasmaske), Helm, Bidon (1,5-Liter-Wasserflasche), pelle-US (zusammenklappbarer Spaten), Bretelles (Koppeltragehilfe mit Magazintaschen und Waffenputzzeug für die FAMAS). Vor den Füßen abgestellt hatten wir den Rucksack oder die Musette (Kampftasche). Meist war auch schweres Gerät dabei wie etwa Stacheldrahtrollen, Schaufeln, Sandsäcke, Kollektivwaffen wie Maschinengewehre und Panzerfäuste oder auch Optik und Funkgeräte. Schreibzeug war immer am Mann, ebenso wie das Opinel und der Kompass. Dazu wurde auf der Schulter das Foulard getragen. Das Foulard war nichts anderes als ein Tuch, das durch seine Farbe die Kompaniezugehörigkeit klärte.8 Uhr 30 bis 12 Uhr 30 Ausbildung.

Waffenausbildung; Schießen; Gefechtsausbildung; Orientieren im Gelände; Funkausbildung. Ich erspare mir den Rest! Die Ausbildung war komplett, ging aber nicht in die Tiefe, da dies zu hundert Prozent in der Vollausbildung in den einzelnen Regimentern geschehen würde. Und immer wieder die Lieder, Traditionen, Disziplin, und die nicht wegzudenkenden Liegestütze!

12 Uhr 30 bis 14 Uhr Mittagspause.

Neunzig Minuten Mittagspause, das hieß fünfzehn Minuten essen, gefolgt von einer Stunde Marsch mit Gesang!

14 Uhr bis 18 Uhr

Ausbildung wie am Vormittag.

18 Uhr bis 20 Uhr

Abendbrot. Meist hatten wir hier die Gelegenheit, im Foyer, das sich in der Waffenkammer befand, Dinge wie Schokoladenriegel, Kuchen, Zigaretten, Getränke etc. zu kaufen.

20 Uhr bis 23 Uhr Ausbildung.

Erlernen der französischen Sprache; taktische Gefechtsausbildung; Hindernisbahn bei Nacht! Was wir oft machten, war das Anschleichen zu üben. Auf dem Bauch robbend, im Matsch und im Schnee, unter einem Stacheldrahtverhau hindurch. Lautlos, den anzugreifenden Feind fest im Auge, froren wir bis aufs Knochenmark, doch das gehörte zu unserem Metier dazu, so wie zu dem des Bäckers die Brötchen. Danach wurden die Waffen und das Gerät gereinigt und abgegeben. Es war inzwischen Mitternacht! Ging alles gut, war der Tag beendet. Hatten wir Pech, so etwa jede zweite Nacht, dann fand der Caporal de jour nach unserem Corvée quartier noch einen Zigarettenstummel am Boden. Dieser wurde dann offiziell beigesetzt, d.h. wir mussten ein Loch buddeln, zwei Meter lang, achtzig Zentimeter breit, eineinhalb Meter tief. Darin wurde die Kippe mit allen Ehren beerdigt. Zwischendrin wuschen wir Sport- und Kampfanzug. Mit der Hand, der Bürste und kaltem Wasser! Das Trockenkriegen war da immer so ’ne Sache. Vor dem Schlafengehen war der zweite Appell fällig. Wir schliefen meist schon im Stehen. Die Wache für das Camp stellten wir selber. War man für die Wache eingeteilt, blieb man am besten gleich auf, Hinlegen lohnte sich nicht mehr. Wie schon angesprochen, war die FAMAS unsere Standardwaffe.

Das Fusil d’assaut de la manufacture d’arme St.-Etienne war eine Waffe mit, wie ich später feststellte, schockierender Wirkung. Sie unterschied sich nicht allzu sehr von den anderen auf dem Markt befindlichen Sturmwaffen, sodass ich von technischen Erläuterungen absehe. Mir neu war die Tatsache, dass man die Auszieherkralle links oder rechts einbauen konnte, je nachdem, ob man Links- oder Rechtshänder war. Der Wangenschutz musste dementsprechend angepasst werden, dies geschah durch einen einfachen Handgriff. Das Geschoss hat, wie schon erwähnt, eine verheerende Wirkung. Beim Auftreffen auf ein Hindernis (Weichkörper) reagiert es, indem es ausweicht, sich dreht, bricht und sich den leichtesten Weg sucht. Und der führt meist spiralförmig durch den ganzen Körper. Ein Einschuss des Geschosses am Oberschenkel mit einem Austritt im Oberkörper oder umgekehrt ist keine Seltenheit: Bonjour les dégâts!

Bezüglich des Marsches Képi Blanc kann ich mich gut erinnern, dass eine Teilstrecke sich unendlich lange bergauf hinzog. Wir waren bis dahin flott marschiert und jeder von uns hatte Blasen an den Füßen. Der ständig fallende, kalte Regen machte uns zu schaffen, auf den Schultern zeigten sich die ersten, vom Rucksack wund gescheuerten Stellen. Plötzlich war mein Binôme an meiner Seite. Er hinkte und war am Ende seiner Kräfte. »Erdoğan macht schlapp!«, stöhnte er und marschierte stoisch mit gebeugtem Kopf neben mir her. Er wollte den Anschluss nicht verlieren, denn das hieße, sich im Laufschritt bergauf die Seele aus dem Leib zu rennen. Ich lief etwas langsamer und sah mich gleichzeitig um. Knapp zehn Meter hinter mir trottete Thompson in meinen Spuren. Er trug einen zweiten Rucksack. Den hatte er sich quer über die Schulter gelegt. Dass der Rucksack Erdoğan gehörte, sah ich am Namensschild.

»Wo ist der Türke?«, fragte ich.

Thompson, der nicht stehen blieb, um seinen Elan nicht zu verlieren, grinste im Vorbeigehen. »Ich hab dem Idioten gesagt, dass er vor dem Marsch in seine Stiefel pissen soll, damit das Leder geschmeidig wird. Er wollte nicht hören, typisch Türke halt. Dickköpfe, alles Dickköpfe!«

Als wir knapp eine Viertelstunde später auf dem Berg ankamen, stand der Zugführer am Wegrand. Er sah aus wie aus dem Ei gepellt. Die Enden seines Schnurrbarts wanden sich schwungvoll nach unten, vollführten am Unterkiefer einen eleganten Bogen und richteten sich an beiden Seiten der Nasenspitze wieder auf. Das Gesicht eine Maske, die Hände auf dem Rücken verschränkt, sah er uns scheinbar gleichgültig entgegen.

»Antreten!« Sein Befehl war kurz, knapp und ohne Widerruf.

Wir formierten uns rasch in einer Dreierreihe und nahmen Grundstellung ein. Nur mit Mühe gelang es uns, ruhig und gerade zu stehen.

Der Zugführer trat vor Thompson. »Wessen Sack ist das?«

»Das ist der Sack von Engagé volontaire Erdoğan, à vos ordres, mon Adjudant-chef!«

»Und wo ist Engagé volontaire Erdoğan?«

Sein Gesicht war nur eine Handbreit von dem Thompsons entfernt.

»Ich weiß es nicht, mon Adjudant-chef.«

Romero, so hieß der Zugführer, rümpfte die Nase.

»Du weißt es nicht!?«, sagte er gedehnt. »Sein Binôme? Hat Engagé volontaire Erdoğan auch so etwas wie einen Binôme?«

Er war inzwischen in die hinterste Reihe getreten und genau vor Erdoğans Binôme stehen geblieben. Dieser hatte dicken Schweiß auf der Stirn, Schweiß, der mit Anstrengung kein bisschen zu tun hatte. Er war kreidebleich.

»Weißt du etwa auch nicht, wo dein Binôme ist? Und warum trägst du nicht seinen Rucksack?«

»Ich …«

»Was bist du?«, unterbrach ihn Adjudant-chef Romero schroff. Er

spuckte aus und hielt ihm die geballte Faust unter die Nase. »Ich sage dir, was du bist. Eine schäbige Kanalratte, die ihren Freund im Stich lässt, das bist du! Wären wir an der Front, würde ich dich auf der Stelle erschießen! Euch alle! Und nun runter mit euch, in den Dreck. Ratten gehören in den Dreck!«

Während wir den Berg auf dem Bauch hinunterrobbten, hörten wir seine donnernde Stimme unheilvoll über unseren Köpfen.

»Legionäre halten zusammen. Niemand bleibt zurück, niemals, hört ihr? NIEMALS! Es ist nicht damit getan, den Ehrenkodex der Legionäre auswendig zu lernen, leben müsst ihr ihn. Leeeeeben!«

Wir robbten so lange bergab, bis wir Löcher in den Hosen hatten und das Stöhnen einiger lauter war als die Stimme des Adjudant-chef. Erdoğan lag mit geschwollenen Knöcheln am Fuße des Berges. Der Zug war wieder vollzählig. An diesem Tag wäre uns das Essentiellste fast entgangen, oder um es deutlicher zu formulieren: Wir hatten etwas sehr Essentielles erfahren! Etwas, worauf die Stärke der Fremdenlegion basierte. Der Zusammenhalt, die Cohésion! Nie wieder, solange ich zurückdenken kann, ist uns so etwas noch mal passiert. Der Marsch Képi Blanc dauerte zwei Tage. Er führte uns auf einer Strecke von circa siebzig Kilometern zum Pont du garde in der Nähe von Nîmes. Diese Brücke, 50 v. Chr. von den Römern gebaut, war herrlich anzusehen. Der Anblick berührte uns, aber es gab nun Wichtigeres als diese römische Brücke. Wenn es etwas gab, das wir mit gierigen Blicken bedachten, ja richtiggehend verschlangen, dann war es das Képi Blanc! Endlich war es so weit. Die Zeremonie, die dem Marsch folgte, war schlicht und einfach, aber aufs Höchste dazu angetan, unseren Stolz offen zu zeigen. Ja, wir waren verdammt stolz, es bis hierher geschafft zu haben. Wir hatten Blasen und Schwielen an den Füßen und waren so ziemlich am Ende. Als wir losmarschiert sind, hegten wir Zweifel, vor unseren Augen jedoch lag immer das entfernte Ziel. Weder die willkürlichen Schikanen unserer Ausbilder noch die Kälte, die körperliche Pein oder die Erschöpfung hatten uns von diesem Ziel abgebracht. Ein Viertel der Legionäre, die mit uns auf die Farm gekommen waren, war desertiert, wir aber waren geblieben. Und nun wurden wir dafür belohnt. Fast euphorisch zitierten wir den Code d’honneur du légionnaire. Und dann eine laute Stimme.

»Coiffez vos képis blancs!«

Es war getan! Capitaine Hessler, für uns damals ein gottähnliches Wesen, drückte uns anschließend einzeln die Hand und hatte für jeden ein persönliches Wort übrig. Camerone stand vor der Tür. So waren wir die nächsten Tage mit dem Aufbau einer Kirmes beschäftigt. In dieser Zeit ließen die Ausbilder die Zügel ein klein wenig schleifen und das war nur gut so. Für den Leser, der nicht weiß, was Camerone für die Legion verkörpert, findet sich am Ende des Buches eine kurze Abhandlung darüber. Anm. d. Verf.: Gerne komme ich an dieser Stelle auf unseren Zugführer, Adjudant-chef Romero zurück. Weniger auf seine Person, sondern vielmehr auf den Status, den er innehatte. Romero war ein sogenannter „Cadre Blanc“. Bei Cadres Blancs handelte es sich um Offiziere oder Unteroffiziere, die aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten oder Spezialisierungen per Kommandierungsverfügung von ihrer Stammeinheit der regulären Armee abgestellt wurden und für unbestimmte Zeit (oder auf Dauer) in der Fremdenlegion dienten. Das beste Beispiel für Cadres Blancs in der Legion war die Aufstellung des 6. Régiment étranger du génie (6. REG, das spätere 1. REG). Das Regiment wurde genau in unsere Zeit hinein, im Jahr 1984 in Laudun (Frankreich / Gard), gegründet und war Teil der schnellen Eingreiftruppe, der Force d'action rapide (FAR). Die Männer? Legionäre, reine Sturm- oder Kampfpioniere! Da die Fremdenlegion mehr Erfahrung im Bereich „Génie bâtisseur“ (Baumeister Genie) hatte und etwas weniger in Sachen „kämpfende Pioniere“, benötigte sie für die Ausbildung ihrer Männer echte Spezialisten. Ins Regiment gerufene Cadres Blancs, ursprünglich Soldaten aus den Pionierregimentern der regulären Armee, also hochgradig kompetente Männer vom Fach, sollten es richten! Das Regiment, mit Hilfe der Cadres Blancs einmal einsatzbereit, kam sehr schnell dort zum Einsatz, wo es auch hingehörte: Ganz nach vorne an die Front! Tschad 1987 und 1988. Einsätze in Dschibuti, Pakistan und Guyana folgten. 1990 war das 6. REG komplett in Kuwait und im Irak im Einsatz, später dann in Kambodscha, in Somalia, in Bosnien und 1998 wieder im Tschad, im Wüstenfort Bardai. Die Aufträge des Regimentes waren vielfältig und dienten fast immer der unmittelbaren Unterstützung der Kampftruppe. Angefangen mit Sprengungen von Bunkern, dem schnellen Brückenbau (auch das Übersetzen über Flüsse per Brückenlegepanzer), weiter über die Minenräumung in Straßen- und Strandabschnitten oder die Vorbereitung der Truppe für den Orts- und Häuserkampf etc. … es war schon erstaunlich, was die Legionärspioniere Entscheidendes zu leisten vermochten. In ihren Einheiten bildeten sich auch sehr schnell die ersten Spezialzüge, wie etwa das Élément opérationnel de déminage et dépollution (EODD) oder das Détachement d'intervention opérationnelle subaquatique (DINOPS). Also auch Hut ab vor denen, die all das erst möglich gemacht hatten: den Cadres Blancs!

 

Nach Camerone ging die Ausbildung weiter. Sporttests waren angesagt. Diesmal war es konkret: Test Cooper; la Corde (Erklimmen des Seiles von sechs Metern Höhe, ohne dass dabei die Beine benutzt werden dürfen); vier Klimmzüge, vierzig Sit-ups, zwanzig Pompes und neunzig Meter mit einem Sandsack rennen. Alles auf Zeit, versteht sich. Hinzu fügte sich der 8000 TAP, der Achtkilometerlauf im Kampfanzug, mit Rucksack, Helm und Waffe. Man bereitete uns auf den Raid vor, auf das Erlangen des CTE-00, des Certificat technique élémentaire. Die beiden Nullen bedeuten in diesem Fall: Infanterie légère / leichte Infanterie. Von uns wurde jeden Tag mehr erwartet, aber wir verlangten auch nach mehr. So durften wir nun Wache in der Kaserne Lapasset schieben. Mit Waffe und dem schneeweißen Képi auf dem Kopf. Die Komposition der Wache ist kein Geheimnis, sie variiert jedoch von Garnison zu Garnison. Meist war sie wie folgt: Ein Sergent als Chef de poste (wachhabender Unteroffizier); zwei Caporals als Grades de relève (Stellvertreter des wachhabenden Unteroffiziers und verantwortlich für die Wachablösung); ein Clairon (Trompetenspieler) und sechs oder acht Legionäre als Wachposten tagsüber, die nachts durch den Renfort de nuit (Wachverstärkung bei Eintritt der Dunkelheit) verstärkt wurden. Der Wachanzug bestand aus dem weißen Képi mit schwarzer Jugulaire; sandfarbener Hose und Hemd mit den grün-roten Épaulettes de tradition; Ordensspangen, Medaillen und Spezialistenabzeichen, wenn vorhanden; dem Regimentsabzeichen la Pucelle und dem Abzeichen des zugehörigen Truppenteiles. Letzteres illustrierte sich durch ein simples Abzeichen aus Stoff, das sich, von den Fransen der Épaulettes halb verdeckt, auf dem Ärmel befand. Die Cravate verte (die man nur zum Winterwachanzug unter dem Blouson sowie zum kleinen Dienstanzug trug) war mit äußerster Sorgfalt gebunden. Am Bund, zwischen Hose und Hemd bzw. dem Blouson wurde der Ceinture bleue geschlungen, darüber kam ein olivfarbenes Koppel mit einer Magazintasche. Das Bajonett trug man links an der Koppel. Seine Schneide verlief genau längs der Hosenfalte. Die Hosenbeine wurden mit Gummis bis über die erste Schnalle der auf Hochglanz polierten Kampfstiefel gezogen und dort eingehakt. Dieser Anzug war ein Aushängeschild des Zuges, des Zugführers und nicht zuletzt der Legion. Eine Falte an einer Stelle, wo keine hingehörte, zog die sofortige Bestrafung nach sich. Man hatte die FAMAS mit aufgepflanztem Bajonett mit den Riemen vor die Brust geschnallt, Kanone nach links. Die Wache dauerte vierundzwanzig Stunden. Tagsüber, in den Pausen, war Hinsetzen verboten, da der Anzug optischen Schaden nehmen konnte. Erst nachts, mit dem Eintreffen des Renfort de nuit, konnten wir etwas entspannen, weil wir dann auch den Paradeanzug gegen den Kampfanzug eintauschen durften. Die vier Monate in Castelnaudary resümierten sich also durch folgende Schwerpunkte:

Ärztliche und sportliche Tests.

Aufenthalt auf der Farm Bel Air.

Eine solide Ausbildung.

Der Marsch Képi Blanc.

Der Raid, der Drei-Tage-Marsch mit dem CTE-00 am Ende.

Das CTE-00 bestand aus verschiedenen Ateliers, bei denen wir all das in den vier Monaten Erlernte wiedergeben mussten. Während des mehrtägigen, gefechtsmäßigen Raids wurden uns auch immer wieder Hinterhalte gestellt, um unsere Reaktionen zu testen. Was mir persönlich sehr intensiv in Erinnerung blieb, waren einige sternklare Nächte, in denen unsere Gruppe am Lagerfeuer saß und wir Biwak-Lieder sangen. Der Rauch von Holzfeuer weckt auch heute noch Sehnsüchte in mir und ich muss zusehen, dass es mich nicht noch mal in die Fremde zieht! Am Ende des CTE gab es Beurteilungen. Da ich als Bester abschnitt, durfte ich mir das Regiment aussuchen, in dem ich dienen wollte. Alle meine Kameraden drängten mich, ins 2. REP zu gehen. Das elitäre 2. REP versprach scharfe Einsätze, Medaillen und einen „Rhythmus Infernale“. Ich teilte diese Euphorie nicht, denn mich zog es in ein Überseeregiment, ich hatte somit die Qual der Wahl. Dschibuti, Französisch Guyana, Tahiti oder gar Mayotte? Das 5. RE in Tahiti schloss ich von vorneherein aus, weil dort keine reinen Kampftruppen stationiert waren. Dito, was Mayotte anging. Dschibuti, mit der 13. DBLE, war nicht zuletzt dafür bekannt, dass man einen schönen Batzen Geld verdienen konnte, doch ich verabscheute die Idee, hauptsächlich des Geldes wegen zu dienen. Und so entschied ich mich letzten Endes für Guyana. Es war eine Entscheidung, die ich nie bereuen sollte. Meinen treuen Gefährten Thompson verlor ich aus den Augen. Ich nehme an, er ist schon kurz nach der Ausbildung desertiert.

JULI 1985

Tod Heinrich Bölls.

Der irische Rockmusiker Bob Geldof veranstaltet zeitgleich in London und Philadelphia das Marathon-Konzert Live Aid für die Hungernden in Afrika.

Der Franzose Bernard Hinault gewinnt die 72. Tour de France.

Willkür in Südafrika: Die südafrikanische Regierung verhängt am 20. Juli 1985 über 36 Provinzen den Ausnahmezustand, um der Unruhe unter der schwarzen Bevölkerungsmehrheit Herr zu werden. Die Behörden des Apartheid-Regimes können Festnahmen und Wohnungsdurchsuchungen ohne richterlichen Befehl vornehmen sowie unliebsame Nachrichten in Presse, Radio und Fernsehen zensieren.

Florida: In Küstengewässern entdecken US-Profitaucher das Wrack einer 1622 gesunkenen spanischen Galeere, deren Ladung auf 400 Millionen Dollar geschätzt wird.

Am 1. Juli 1945 wird aus dem RMLE (Régiment de Marche de la Légion étrangère) das 3. REI (siehe folgende Seiten) ins Leben gerufen.

In der Hölle Guyanas

3. Régiment étranger d’infanterie, Französisch Guyana

Um Begriffe wie Waffenbrüderschaft, Korpsgeist und Zusammenhalt deuten zu können, muss man wie wir Guyana mehrere Wochen lang von Ost nach West zu Fuß durchquert haben, nass bis auf die Knochen vom ersten bis zum letzten Tag, nur der Marschkompasszahl folgend und als einzige Verbindung zur „Zivilisation“ eine „eigenwillige“, vom Geländerelief abhängige Funkverbindung. General Pierre Chavancy

Mein Regiment, mein Heimatland. Mein’ Mutter hab ich nie gekannt. Mein Vater starb schon früh im Feld, ja Feld. Ich bin allein auf dieser Welt.“ Anne Marie du 3. REI. (Propagandalied „Regimentsmarie“, Erster Weltkrieg, Deutschland)


Eingang ins Quartier Forget – Hochburg der Dschungelkämpfer des 3. REI

Juli 1985. Man hatte uns in Aubagne mit Zivilkleidung ausgestattet, die wohl noch aus der Zeit des Algerienkrieges stammte. Ich trug einen dunkelbraunen Anzug, dessen viel zu lange und weite Hose wie ein Segel im Wind um meine Beine schlotterte. Die Ärmel wiederum waren zu kurz. Johansson, einen Zwei-Meter-Hünen aus Schweden, hatten sie aus Verzweiflung in einen Sportanzug gezwängt: Auch der größte Anzug wollte ihm nicht passen! Es war schon was dran, wenn manche behaupteten, dass ein Soldat in Zivil eine schlechte Figur abgibt. Von Paris Charles de Gaulle ging es in einem Nonstop-Flug zehn Stunden lang nach Martinique, wo, während eines kurzen Zwischenstopps, die Maschine aufgetankt wurde. Danach flogen wir weiter nach Cayenne Rochambeau. Das Erste, was ich spürte, als sich die Türen des Flugzeuges öffneten, war diese drückende Schwüle. Die Luft stand und die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass man um jedes Quäntchen Sauerstoff kämpfen musste. Vom Flugzeug aus hatte ich das Land – ein immenser grüner Teppich – ziemlich flach in Erinnerung. Ein Trugschluss, wie ich später feststellen musste. Als wir Richtung Kourou fuhren, kamen wir an der Europarakete Ariane vorbei. Auftrag der Ariane war es, Satelliten in den Transferorbit zu bringen, was immer genau das auch heißen mochte.


Die Europarakete ARIANE in Kourou, Französisch Guyana

Ich habe mir sagen lassen, dass die Lage des Weltallbahnhofs direkt in der Nähe des Äquators den Flug beziehungsweise den Start der Ariane besonders begünstigte, und hier wären wir schon bei einer der besonders schwierigen Hauptaufgaben des 3. REI. Der Bewachung der Weltraum-Europarakete Ariane! Die „Opération Titan“ zielt darauf ab, unsere europäische Trägerrakete ARIANE und die dazugehörigen Einrichtungen (das CSG, Centre Spatial Guyanais / Guyanas Weltraum-Zentrum) vor Angriffen von außen zu schützen. Und die anderen Aufträge? Auf dem Grund der Flüsse im inneren des Landes gab es Gold. Und es gab Diamanten, Zucker, Kaffee, Maniok, diverse Edelhölzer und Pfeffer. Der Tier- und Fischreichtum war unerhört ergiebig. Voller Interesse lugten die Anrainerstaaten Surinam und Brasilien sowie Mafioso-Vereinigungen, Schmuggel übelster Sorte und illegale Goldgräber auf den kleinen Staat Guyane.

Anm. d. Verf: Bereits im Jahr 1887 sagte der französische Professor für Geografie und Südamerikaforscher Henri Anatole Coudreau: „In der Region des Tumuc-Humac Massivs (im Süden Guyanas) gibt es ausreichende Goldvorkommen, die eine reiche Ausbeute versprechen.“ Außerdem, so meinte er weiter, gebe es Kakao und Kautschuk. Eine Kolonisierung des Landes würde sich also bestens lohnen! Vor Coudreau war es der Entdeckungsreisende Jules Crevaux, der 1877 im Süden Guyanas nach dem El Dorado suchte. Tausende von Menschen kamen wohl ums Leben, weil sie, alleine auf den Flüssen oder zu Fuß im Urwald, wie besessen dieser letzten Bastion für Träumer hinterherjagten.


Kaum Licht, kein Wind, schweres Gepäck, Hitze, Schlangen und Moskitos: Adieu, altes Europa, am Ende der Welt gehen wir ans Limit.

 

Um ihr Begehren in Schach zu halten, galt und gilt es, die Grenzen ständig zu überwachen. Diese Grenzen bestehen im Osten und im Westen auf natürliche Weise aus den Flüssen Oyapock (Oiapoque) und Maroni. Im Süden gibt es die sogenannte grüne Grenze. Dort ist der Grenzverlauf zwischen Brasilien und Guyana nur schwer nachzuvollziehen. Als Anhaltspunkt gilt das sagenumwobene Tumuc-Humac Massiv, und für die Verfeinerung sorgten die Grenzsteine. Grenzsteine indes gibt es nur sieben. Sie zu finden war eine unserer schwierigsten Aufgaben. Mannshoch, von einem leicht zu übersehenden, bröckelnden Grau, hatte der Dschungel sie sich völlig einverleibt.


Einen „Borne“ (Grenzstein) haben wir schon gefunden: ohne GPS! Von links nach rechts – ein Ungar, ein Brite, ein Italiener, ein Kanadier und ein Franzose: Fünf Legionäre, eine Familie, ein Auftrag!

Das Kartenmaterial war veraltet, ungenau. Wir marschierten nur nach dem Azimut (Marschkompasszahl). Die im Gelände zurückgelegte Distanz berechneten wir an Hand der Schrittzahl oder mit dem Topofil. Eine Abweichung von einem Grad in der Richtung oder um hundert Meter in der Distanz, und das Suchen begann. Gab es Fehler in der Richtung sowie auch in der Distanz: Gute Nacht, bis zum nächsten Mal! Global Positioning System (GPS) hatten wir noch lange nicht. Das Quartier Forget, 1985 von drei Seiten total vom Amazonas-Regenwald umgeben, war wie die Kaserne Lapasset recht klein. Unmittelbar hinter dem Eingangstor, den Poste de police (Wachgebäude) links lassend, saß auf einem mit Gras bewachsenen Hügel eine Statue aus Bronze. Sie zeigte einen Soldaten aus der Zeit des frühen Tonkin-Kriegs (ab November 1883). In der Rechten hielt er ein Gewehr, während seine Linke auf dem Knie ruhte. Sein Tropenhelm glitzerte golden in der Sonne und er hatte den Kopf Richtung Cayenne gedreht. Nachdenklich starrte er so in die Ferne. Diesem Soldaten hatten die Taulards, die Knastbrüder des Regimentes, den Beinamen Manolito verpasst. Die hier stationierten Einheiten waren: Eine Compagnie de commandement et de soutien (CCS) – Stabs- und Versorgungskompanie. Die zweite und dritte Kampfkompanie. Die Compagnie d’équipement (CE) – Pionierkompanie mit schwerem Gerät, das hauptsächlich zum Straßenbau geeignet war. In der CCS befand sich die sogenannte Cellule Forêt, die Zelle oder Abteilung Urwald. Sie war das Kernstück dieses Regimentes. Diese Zelle war verantwortlich für die gesamte den Dschungel betreffende Ausbildung:

die Kurzlehrgänge, genannt Stages brousses (Einführungslehrgänge, die den Neuankömmling mit den Lebensbedingungen im Urwald vertraut machten)

die Dschungelkampf-Ausbildung für die Kampfkompanien

Lehrgänge für das Überleben und das Orientieren im Amazonas-Regenwald sowie

die Ausbildung in all diesen Domänen für die Offiziere der renommierten Offiziersschule Saint-Cyr.

Des Weiteren führte das Regiment Lehrgänge für Spezialeinheiten aus aller Welt durch. Ob GIGN, Commandos marine fr., Ledernacken (Marines), US Special Forces, Navy SEALs, später auch KSK etc., alle mussten in den sauren Apfel beißen. Diese Ausbildungen wurden anfangs in den Dschungelcamps Fabert und Mattei durchgeführt. Diese beiden Camps lagen mitten im Dschungel. Es waren dunkle Orte fernab jeglicher Zivilisation! Erst als so nach und nach das Camp Szuts in Regina fertiggestellt war, fanden dort im Rahmen des Centre d’entrâinement à la forêt equatoriale (CEFE) – Ausbildungszentrum für das Umfeld Urwald am Äquator – alle weiteren Ausbildungen statt. Die Dschungelkampfschule CEFE wurde 1986, ein Jahr nach meiner Ankunft, offiziell gegründet. Damals stand eine neue Ära bevor. Mitverantwortlich für das CEFE war ein junger, sympathischer und stets Pfeife rauchender Hauptmann der Cellule forêt. Sagte ich, dass diese Zelle das Kernstück des Regimentes war, so stimmte dies für die höhere Hierarchie, für Planung und Befehlsgebung. Die Durchführung der in kühlen, sterilen und angenehmen Büros geplanten Aktionen fand jedoch etwa 135 Kilometer weiter nordöstlich in Regina statt. Dort im Camp Szuts‘ war nichts kühl und angenehm und steril. Hier wehte der Wind der kompromisslosen Rauheit, aber auch der Wind aller Abenteuer dieser Erde. Entweder man war mit Herz und Seele bei der Sache, dazu gehörten auch ein gestählter Körper, ein scharfer Verstand, eine große Portion Wille und die Liebe zum Urwald, oder man zog den Kürzeren. Das Camp in Regina war benannt nach einem Unteroffizier der Legion, dem Adjudant Szuts. Szuts, ein Ungar, trat im Jahr 1946 ein. Er wurde später ins 3. REI versetzt und starb während eines Einsatzes in Algerien. In den Anfängen war Camp Szuts die Hochburg der Compagnie d’équipement (CE), der Pionierkompanie. Ab 1986 hat das CEFE hier seine Zelte aufgeschlagen.


Drill mit Spezialkräften aus Venezuela

Die CE war eine Einheit, bestehend hauptsächlich aus Pionieren und später dann, als CEA ab 1986, ein Mix aus Pionier- und Luftabwehr-Soldaten. Die Pioniere trugen alle einen langen Vollbart. Ich kannte sie als robuste Männer, die alle positiven Eigenschaften eines Fremdenlegionärs vereinten. Sie standen damals am Scheideweg zwischen althergebracht und modern, zwischen altem Pioniergeist und gegenwärtiger Technik der modernen Konstruktion, wobei: Der alte Pioniergeist und die althergebrachten Methoden dieser Truppe haben sich mit Sicherheit bewährt, moderne Konstruktionsverfahren aber, wie fein ausgeklügelt sie auch sein mochten, verloren im Umfeld Dschungel oftmals ihren Wert und ihren Sinn. Als ich in Guyana ankam, bauten die Legionspioniere eine Straße von Regina nach Saint-Georges, mitten durch den Urwald. Saint-Georges war ein kleiner Ort, nur einen Steinwurf von der brasilianischen Grenze entfernt. Die Straße von Cayenne bis runter an die brasilianische Grenze hingegen war fast fertig. Es war ein abenteuerliches Unternehmen, bei dem so manch eine Träne und noch mehr Blut geflossen ist. Als die Legionäre in Guyana ankamen, fanden sie ein Gräuel aus Urwald und Sumpf vor. Es war ein wildes, fast undurchdringliches Land. Bevor sie also die Waffe in die Hand nahmen, musste dieses Land gebändigt werden. Die Männer krempelten die Ärmel hoch und bauten die Route de l’est. Dieses Unternehmen kostete mehreren Legionären das Leben: Malaria, Schlangenbisse, Hitzschlag! Zwischen 1973 und 2013 verloren insgesamt fünfzig Legionäre des 3. REI ihr Leben.


Eine sechs Meter lange Anakonda. Der Autor ist der Dritte von links.

Wenn die Pionierkompanie in Dreierreihe geschlossen durch das Quartier Forget marschierte und ihr Lied „en Algérie“ erklang, war die Luft wie elektrisch aufgeladen. Es war Knistern pur‘! Alle Fenster öffneten sich, jeder legte die Arbeit nieder, um sie singen zu hören. Noch heute läuft es mir eiskalt und siedend heiß den Rücken hinunter, wenn ich die tiefen, rauen Stimmen vernehme. Bravo, dort marschiert die Seele der Legion, dachte ich jedes Mal! Ein Zug der Pionierkompanie war die Section d’autodéfense anti-aérienne (SADA). Ihr Auftrag war die Flugabwehr. Mit ihren 20-mm-Flugabwehrkanonen und später auch mit den Mistral Boden-Luft-Raketen kurzer Reichweite hielten sie den Himmel über der Ariane feindfrei. Es handelte sich dabei um das System SATCP (Sol-air à très courte portée / Luft-Boden-Flugabwehrrakete, montiert auf dem leichten Aufklärungsfahrzeug VLRA). Doch diese Phase kam erst viel später. Ich rede hier von der Entwicklung der Einheit, wie sie teilweise stattfand, als ich das Regiment längst wieder verlassen hatte. Die Kampfkompanien Zwei und Drei verbrachten die meiste Zeit im Dschungel. Wenn ich mein Beispiel anführen darf: Ich verbrachte nicht weniger als 425 Tage im Urwald. Die Aufträge im Busch waren mannigfaltig. Entweder waren es die Missions Fluviales oder die Missions Profondes.



Urwald, Urwald, Urwald, soweit das Auge reicht! Am Fuße des Tumuc-Humac. Wer sich hier verirrt, ist verloren.