Die Fallschirmjäger der Fremdenlegion

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Ein Schützengraben in Korsika

Die erste Begegnung zwischen Oberst Wabinski und mir fand gegen Ende 1987 statt. Das Regiment hielt ein Manöver oben in den Bergen Korsikas ab. Es herrschte ein Sauwetter, regnete, was der schwarzgraue Himmel hergab. Die Wolken klebten wie schwarze Trauben am Cappu Giovu, der über die Balagne zu wachen schien. Die Temperaturen waren auf den Nullpunkt gesunken. Ich lag in einem Schützenloch auf meiner vom Regen nassen Zeltbahn, als sich aus dem Nebel heraus plötzlich eine bullige Gestalt löste. Der Mann, es war Oberst Wabinski, ließ sich neben mir im Trockenen nieder, zog eine Thermosflasche aus einem kleinen Rucksack und schenkte Kaffee in einen Blechnapf, den er mir hinhielt. »Trink, Caporal!« Der Befehl eines Obersten des 2. REP wird nicht diskutiert, weder damals noch heute. Der Colonel persönlich inspizierte seine Manövertruppe. Zu sagen, ich war verblüfft, trifft nicht das Wort, das mir damals im Kopf rumging: Ich war schwer beeindruckt! Ein oder zwei Jahre später begegnete ich dem alten Oberst am Flughafen in Nizza wieder. Fast hätte ich ihn nicht erkannt. In Zivil sah er aus wie ein stattlicher Weinbauer, dem der Anzug nicht so recht passen wollte, nicht aber wie ein ehemaliger Stabsoffizier der Fremdenlegion. Es war schon etwas Ironie mit im Spiel, denn ausgerechnet von hier, von Nizza aus, startete im Jahr 1969 das Tschad-Abenteuer für Frankreichs Prestigeregiment. Und der „Weinbauer“ war Teil dieses Abenteuers. Und nicht der geringste.

Tschad - Faille Leclerc, Oktober 1970

Steht man auf dem Em-Koussi, dem höchsten Berg des Tschad im Südosten des Tibesti-Gebirges hoch oben im Norden des Landes, dann hat man, an einem schönen Tag, einen herrlichen Ausblick auf den Pass von Zouar. Zouar ist eine kleine Militärgarnison der Armée nationale tchadienne (ANT) unweit der Grenze zum Niger. Die Garnison besteht aus einem winzigen Außenposten, einer vier Kilometer entfernten Landepiste und einigen windschiefen Baracken. Die Landschaft rundherum ist rüde. Schroff abfallende Felsen, schwindelerregende Höhenzüge, tiefe, von Felsvorsprüngen verdeckte Täler, in die nie das Licht der Sonne fiel, wechseln sich ab mit schwarzen Vulkansimsen, hohen Plateaus, Sandsteintürmen, steilen Klippen und salzpfefferfarbenen Natronlöchern. Der Pass, auch „Faille Leclerc“ genannt, ist ein Durchlass, eingekeilt zwischen zwei emporragenden Felsen. Nur dieser Pass gibt den Weg in den Nordwesten des Landes frei. Wer in diese Gegend kommt, der hat etwas zu verbergen. Sicher war es die Mordlust, die eine Bande Toubous hierher verschlug. Seit Monaten schon verübten sie Anschläge auf die ANT. Erst dieser Tage hatte die reguläre Armee bei einem Hinterhalt elf Männer verloren. Die Soldaten wagten sich kaum mehr aus der Kaserne, verrammelten nachts Türen und Fenster und beteten, bald von hier verschwinden zu können. Am 22. Oktober rührte die französische Armee endlich die Kriegstrommeln. Die Operation Picardie-2 wurde in aller Eile beschlossen. Unverzüglich sollten Soldaten nach Zouar verlegen. Doch nicht irgendwelche Soldaten, sondern die Paras Legion. Capitaine Wabinskis Männer, um genauer zu sein. In einer in dieser Form noch nie durchgeführten Sturmlandung per Flugzeug sollte Wabinski den Militärposten aus der Umklammerung der Rebellen befreien. Eine nach der anderen hoben mehrere Nord Noratlas in Abéché ab. Sie flogen die fast 900 Kilometer im taktischen Tiefflug Richtung Zouar und landeten im Intervall auf der staubigen Piste. Die einzelnen Maschinen rollten noch, als die Legionäre, aufgeteilt in Kampfgruppen, die Waffe in der Hand und das schwere Gepäck auf dem Rücken heraussprangen und gefechtsmäßig den ihnen zugewiesenen Zielen entgegeneilten. Kaum hatte eine Maschine sich ihrer Last entledigt, hob sie bereits wieder ab, sodass die nächste anlanden konnte. Das perfekt getimte Spiel wiederholte sich so lange, bis die Kampfzüge Polge, Kreher und Brasseur am Boden und die Kompanie Wabinski komplett war.


In Windeseile und ohne auf Widerstand der Rebellen zu stoßen, wurde der Flughafen gesichert. Daraufhin stießen die Legionäre nach Zouar vor, wo sie von den Soldaten der ANT frenetisch als Befreier empfangen wurden. Im Nu wurde auch die Straße nach Faya-Largeau gesichert. Die für die Operation notwendige Militärkolonne konnte nun getrost auf dem Landweg nachrücken. Was die Legionäre nicht wussten, war, dass sie beobachtet wurden. Die Rebellen der zweiten Armee lagen rundherum auf den Bergkämmen und ließen sich keine ihrer Bewegungen entgehen. Es waren Toubou. Niemand wünschte sich einen Toubou als Gegner! Diese Krieger der Nord-Armee waren zähe Hunde. Sie kamen wochenlang mit einer Handvoll Datteln und etwas Kamelmilch aus und überwanden dabei Strecken, die in den Ohren eines Europäers höchst unwahrscheinlich klangen. Das Gewehr schien eine Verlängerung ihrer Arme zu sein, so zielsicher und behände gingen sie damit um. Der schlimmsten Folter begegneten sie mit Hochmut. Mit einem Hochmut, der die Franzosen in den Wahnsinn trieb. Und nun saßen sie da oben in ihren schattenverhangenen Grotten im Pass von Zouar und warteten mit brennender Ungeduld auf die Legionäre.

Bis jetzt ging alles glatt. Die Kompanie Wabinski musste keinen einzigen Schuss abgeben, weil der Gegner sich nicht gezeigt hatte. Solange man sie nicht in ihren Grotten behelligte, war ihnen scheinbar alles gleichgültig. So einfach konnte Krieg sein. Der zweite Teil der Operation sollte bald schon beginnen, doch wie der aussah, wusste im Augenblick nur Chef de Bataillon Dominique, der Mann also, der die Operation Picardie-2 leitete.

»Ich möchte, dass Sie Ihre Kompanie nach Einbruch der Dunkelheit durch den Pass von Zouar führen!«

Endlich war es heraus.

Wabinski hielt die Luft an. »Na, wenn’s weiter nichts ist!« Es klang ironisch, was dem Kommandanten Dominique nicht entging. Er quittierte es mit einem Lächeln und sprach weiter.

»Vermeiden Sie jeglichen Kontakt. Schleichen Sie sich an den Toubous vorbei und errichten Sie in seinem Rücken eine Art Auffanglinie. Wir greifen sie dann von hier aus an. Ihr Auftrag ist es, zu verhindern, dass die Toubous nach Libyen flüchten.«

»Verstanden, mon commandant«, nickte Wabinski, dessen Gesicht eine reglose Maske war. Er wusste, was dieser Befehl bedeutete. Zahlenmäßig waren die Toubous ihm weit überlegen, ihre Positionen vortrefflich gewählt. In Unterzahl dagegen anzurennen konnte keinem Chef behagen. Sollten die Toubous Wind davon bekommen, dass die Legionäre in den Pass stiegen, war der Auftrag ein Himmelfahrtskommando.

»Ach ja. Ich gebe Ihnen einen Zug der lokalen Armee mit«, schloss Dominique ab. »Es sind Soldaten aus der Region. Sie kennen den Pass wie ihre eigene Hosentasche. Im Morgengrauen müssen Sie und Ihre Legionäre Stellung bezogen haben, und nun gehen Sie. Viel Soldatenglück!«

Noch in der gleichen Nacht verließen die Späher der ANT ihre Positionen und verschwanden wie Schatten im Pass. Die Legionäre, Mörser und schwere MGs auf ihren Schultern, folgten ihnen völlig lautlos und klar zum Gefecht. Rauchen und Licht waren verboten. Alle Quellen, die auch nur das geringste Geräusch verursachen konnten, wie gegeneinanderschlagende Essgeschirre oder klappernde Bajonette, wurden mit Lappen und Tüchern umwickelt. Wabinski wollte nichts dem Zufall überlassen. Alles, was er wollte, war kämpfen, aber zu seinen Bedingungen.

Im Pass war es still. Dunkel, kalt und still!

»Hier möchte ich nicht begraben liegen!« Es war Leutnant Polge. Er hatte sich neben Capitaine Wabinski niedergelassen und starrte regungslos in den dunklen Pass hinunter. Irgendetwas lauerte da vorne, doch er konnte das unbestimmte Gefühl, das ihn überkam, nicht mit Worten beschreiben.

»Ich weiß, was Sie meinen«, kam Wabinski ihm zuvor. »Aber was immer auch im Pass auf uns wartet, wir kriegen es bald raus. Sagen Sie Ihren Männern, sie sollen ab jetzt doppelte Wachsamkeit walten lassen.«

Der Leutnant nickte und verschwand. Einer nach dem anderen durchquerten die Kampfzüge vom Feind unbemerkt die tiefe Schlucht und gingen nördlich des Passes in Stellung. Gerade noch müde und verschwitzt, kroch nun die eisige Kälte in die Knochen der Legionäre. Sie waren plötzlich hellwach, doch der Abschnitt schien ruhig. Der erste Schuss fiel genau in dem Augenblick, in dem die ersten Sonnenstrahlen an ihren Kampfuniformen leckten. Sergent-chef Himmer vom Zug Polge bäumte sich auf und fluchte lautlos. Blut strömte aus einer hässlichen Wunde an seinem Arm und tropfte zu Boden.

Die Toubous waren erwacht!

Es gab kein Geschrei. Nur ihre Schüsse fielen mit einer erschreckenden Präzision. Sie nahmen sich alle Zeit der Welt, bevor sie am Abzug drückten, auch weil sie wussten, dass Munition etwas sehr Wertvolles war. Das galt besonders hier oben in den Bergen. Ihr privilegiertes Ziel waren die Gruppen- und Zugführer, die Funker, die MG-Schützen und Sanitäter. Obwohl die Legionäre das Feuer sofort erwiderten, gab es innerhalb der ersten Minuten bereits einige Verletzte in ihren Reihen. Capitaine Wabinski sah auf die Uhr. Vergeblich warteten er und seine Männer auf eine Fallschirmjägerkompanie der ANT. Diese sollte mit Hubschraubern anlanden und den Toubous in den Rücken fallen, damit die Legionäre bei erstem Tageslicht ihre Manöver durchführen konnten.

Als die Hubschrauber zu hören waren, fluchte Wabinski.

»Die Piloten müssen besoffen sein!«

Der Legionär, der neben ihm lag, konnte sich ein Lachen gerade noch so verkneifen.

»Klingt, als landen sie in Mongo«, sagte er und streckte mit einem schnellen Schuss einen unvorsichtig gewordenen Toubou nieder.

 

»Einer weniger, mon Capitaine.«

»Tot? «

»Kopfschuss«, bestätigte der Legionär.

Die Kompanie der ANT wurde viel zu weit vom Ziel entfernt angelandet. Es war absehbar, dass sie, der Sonne auf Gedeih und Verderb ausgesetzt, den ganzen Tag benötigen würde, um im schwierigen Gelände ihre geplante Ausgangsstellung zu beziehen. Den Legionären gelang es unterdessen nicht, die Toubous, die aus Grotten heraus das gesamte Gelände kontrollierten, zu übertölpeln. Ihre Lage wurde immer prekärer. Das änderte sich auch nicht, als die Toubous die Grotten verließen, um sich auf einem benachbarten Plateau in eine bessere Position zu bringen. Den Legionären wurden Munition und Wasser knapp. Die Sonne trug das ihre dazu bei, dass die Moral ihre ersten Kämpfe focht. Bevor die Nacht hereinbrach, heckte Capitaine Wabinski einen verwegenen Plan aus. Die Züge Polge und Brasseur sollten zurück in den Pass eilen, die Hänge auf der Südseite erklimmen und die Wüstenkrieger damit aus der Reserve locken. Es begann zu dunkeln, als der Zug Brasseur sich sammelte.

»Wir lassen alles zurück, was schwer ist und uns hinderlich sein kann!«

Leutnant Brasseur sah seine Legionäre der Reihe nach an. »Wer ein Handicap hat oder verletzt ist, bleibt hier.« Sein Blick blieb auf Hamann hängen. Der Deutsche wäre längst schon Unteroffizier, hätte er seinen Vorgesetzten gegenüber nicht immer so eine vorlaute Klappe.

»Wolltest du uns was sagen, Hamann?«

»Nun ja, wenn Sie mich schon fragen, mon lieutenant. Ich hab Durchfall, und zwar im Fünf-Minuten-Takt. Wenn mir das im Pass passiert, dann gute Nacht. Die Toubous riechen die Kacke auf einen Kilometer. Unser Auftrag wäre verpatzt.«

Die Legionäre, die um den Leutnant herumsaßen, grinsten.

»Guter Versuch«, antwortete der Leutnant. »Aber du kommst mit. Wenn das hier fertig ist, besorgen wir dir Windeln, sonst noch was?«

Hamann schüttelte den Kopf. Er hatte soeben eine Wette verloren. Kurz vor Mitternacht war er der Erste, der den Pass betrat. Ihn einmal durchquert, kletterten die Legionäre den steilen Südhang hoch und warteten, bis das erste Tageslicht ihnen eine bessere Sicht erlaubte.

Caporal Hamann, der ganz vorne lag, sah den Feind zuerst. Sofort legte er den Finger an seinen Mund und ballte die erhobene Faust. Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis auch der letzte Schütze begriff, was vor sich ging. Vor ihren Augen, nur hundert Meter entfernt, lagen die Scharfschützen der Toubous. Sie hatten nichts bemerkt, starrten angestrengt in die entgegengesetzte Richtung.

»Wie hat der Alte das nur gerochen?«

»Schnauze, Hamann. Von links nach rechts nimmt jeder einen ins Visier, Feuer frei auf mein Kommando!«

Nach der ersten Salve gingen die Legionäre zum Angriff auf den völlig überraschten Feind über. Die Rebellen fielen, tot oder verwundet. Obwohl das Manöver aus der Luft von einer H-34 Pirate, ausgestattet mit einer Bordkanone 20 mm, unterstützt wurde, hatten auch die beiden Legionärs-Züge Verluste. Dauriac und Escobar sowie der Sergent-chef Kuckelkorn wurden im Feindfeuer schwer verletzt. Ludwig Kuckelkorn war ein erfahrener Kommando-Soldat, der erst im Jahr 1967 seinen Freifallerlehrgang absolviert hatte. Hier verwundet zu werden und seine Kameraden alleine weiterkämpfen zu lassen, schmeckte ihm gar nicht. Tags darauf wurden die letzten Feindelemente in den Grotten bei Goubone in unmittelbarer Nähe von Bardai aufgespürt, doch ihnen gelang die Flucht. Dabei ließen sie wichtige Dokumente und einen Teil ihrer schweren Waffen zurück. Danach herrschte einige Zeit lang Stille am Pass. Im November 1970 kam es zu einem letzten Einsatz. In der Region um Fada ereigneten sich teilweise schwere Gefechte, bei denen zwei Legionäre ihr Leben ließen. Zwölf Legionäre wurden verletzt. Die Gefechte bei Fada setzten den vorläufigen Schlusspunkt hinter die Abenteuer des 2. REP im Tschad. Das Regiment hatte insgesamt sieben Tote zu beklagen. Etwa hundert Legionäre wurden während des Einsatzes evakuiert. Entweder waren sie verletzt oder sie hatten sich eine im Land grassierende Virushepatitis eingefangen. Am 20. Dezember 1970 bestiegen die Paras die Maschinen, die sie nach Korsika, in ihre schöne Garnison in der Balagne zurückbrachten: Auftrag ausgeführt!


Rückkehr des 2. REP in den Tschad, im Dezember des Jahres 1990. Lybische Gefangene werden abtransportiert.

Dschibuti

Fährt man mit dem Schiff von Norden kommend durch den Suezkanal, dann gelangt man ins Rote Meer. Vorbei an Ägypten und Eritrea, an Saudi-Arabien und am Jemen, stößt der Reisende an die Pforten des Bab-el-Mandeb. In Fahrtrichtung vorne rechts, also ungefähr im Süden, wacht der Ras Siyyan und gleich dahinter, einmal durch eine der beiden Engen hindurch, werden kleine Hügel sichtbar, die, so denkt man, vom Nebel umhüllt auf dem Wasser tanzen. Es sind die „Sieben Brüder“, die Shawabi-Inseln im Indischen Ozean. Rechts davon, immer noch in Fahrtrichtung gesehen, liegt Dschibuti. Gefühlt herrscht hier das ganze Jahr über Sommer, ja es ist eine der heißesten Regionen der Erde. Dschibuti ist ein kleines Land von großem strategischem Interesse. Seit 1962, Datum, an dem die 13. Halbbrigade der Legion an der Französischen Somaliküste ihre Quartiere aufgeschlagen hat, durchqueren Fremdenlegionäre die Wüsten bei Dikhil, Ali Sabieh, Tadjoura, Holl-Holl, Oueah und Obock. Kennen und lieben gelernt habe ich das Land und seine Menschen im Jahr 1988. Ich kann mich ganz genau an den Tag erinnern, an dem ich zum ersten Mal in meinem Leben nach Dschibuti kam. Es war der 2. Dezember 1988. Kaum hatten unsere Füße den Boden des kleinen Landes im Afar-Dreieck berührt, legten wir auch schon die Fallschirme an, um über der Gagade-Wüste abzuspringen. Ein zweitägiges Manöver sollte folgen. Das war damals so üblich. In der Transall herrschten Temperaturen um die 40 Grad Celsius. Den Schirm auf dem Rücken, das schwere Sprunggepäck zu meinen Füßen, saß mir ein Elsässer gegenüber. Es waren die raren Momente, in denen ich mich mit jemandem unterhalten konnte, der deutsch sprach. Es gab damals höchstens fünf oder sechs Deutsche im Regiment und eben eine Handvoll Elsässer. Dem war nicht immer so gewesen. Als Oberstleutnant Caillaud der Truppe im Jahr 1965 ihren wahren Charakter einhauchte, indem er die einzelnen Kompanien in den verschiedenen Kampfdomänen spezialisierte, waren es wesentlich mehr. Damals, kaum vier Jahre nach dem Algerienkrieg, gab es von den Anciens „gefühlte“ zwanzig Deutsche in jeder Kompanie. Erst danach ging die Kurve signifikant nach unten. Deutsche repräsentieren heute etwa nur noch zwei Prozent der Gesamtstärke der Legion. Konversationen auf Deutsch hatten also Seltenheitswert. Wir sprachen über die fünf Legionäre, die in einem Hubschrauberunfall unweit von hier im Mai 1976 in Holl-Holl ums Leben gekommen waren. Und wir redeten natürlich über den „Hadschi“ Hassan Gouled Aptidon, den ewigen Präsidenten Dschibutis, und nicht zuletzt auch über die Geiselnahme von Gladbeck. Zwei völlig durchgedrehte Geiselnehmer hatten Deutschland tagelang in Atem gehalten, nachdem sie, am 16. August 1988, einen Bus mit 32 Fahrgästen in ihre Gewalt gebracht hatten. Das Stichwort Geiselnahme war gefallen, und natürlich dauerte es nicht lange, bis das nächste fiel: Loyada! Plötzlich waren wir auch schon mitten drin im Geschehen.

Countdown in Loyada. Februar 1976

Nous sommes les hommes des troupes d’assaut.

Soldats de la vieille Légion.

Demain brandissant nos drapeaux.

En vainqueurs nous défilerons.

Nous n'avons pas seulement des armes.

Mais le diable marche avec nous,

ha , ha , ha , ha , ha , ha , ha , car nos aines de la Légion ,

Se battant là-bas, nous emboîtons le pas.

Wir sind Männer der Sturmtruppen.

Soldaten der alten Legion.

Morgen schwingen unsere Fahnen.

Wir werden als Gewinner marschieren.

Wir haben nicht nur unsere Waffen.

Denn auch der Teufel marschiert mit uns.

Ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, denn unsere Vorgänger kämpfen dort.

Wir folgen Ihren Spuren.

La Légion marche - Lied des 2. REP

In der gesamten Region am Horn von Afrika war der Teufel los. Es war noch nicht mal zwei Jahre her, dass im benachbarten Äthiopien Mengistu Haile Mariam den wiedergekehrten Messias und Kaiser Haile Selassie gestürzt und seinen Leichnam unter einer Toilette hatte einmauern lassen. In Eritrea und Ogaden tobten grausame Abspaltungskriege. Im heutigen Dschibuti sympathisierte das Afarvolk, auch Danakil genannt, mit Frankreich und mit Äthiopien, während die Issa, ein Clan der Somali, ihre Seelen an Somalia verkauften. Die militanten Somalier hatten es schon immer auf das kleine Land der Hirten, der Milch und der Schafe abgesehen. Das nicht zuletzt auch wegen des strategisch optimal gelegenen Hafens. In Dschibuti Stadt patrouillierten zu dieser Zeit Legionäre der dreizehnten Halbbrigade und der zweiten Kompanie des 2. REP. Letztere waren seit Ende November in dem Land, das Frankreich bisher noch nicht in die Unabhängigkeit entlassen hatte. Man suchte nach Waffenverstecken und nach Militanten einer Rebellen-Organisation. Eben aus diesem Grund wurde auch Balbala, ein Slumviertel zu Füßen des Leuchtturms Farah Had, periodisch von Dschibutis Armee mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht. Fremdenlegionäre standen Gewehr bei Fuß bereit, um dieses Stadtviertel auf der Suche nach Terroristen zu durchkämmen. Balbala war ein Ort, an dem selbst der Teufel nicht begraben werden möchte. Hier lebten Zehntausende von Menschen dicht an dicht zusammengepfercht in Hütten aus Wellblech und aus Karton und inmitten von Schmutz, Müll, stinkenden Abwässern und übel riechenden Fäkalien. Von hier aus wehte der unheilvolle Wind der Rebellion der Front de libération de la Côte des Somalis (FLCS). Diese radikale Gruppe hatte ihr Hauptquartier in Mogadischu. Ihr erklärtes Ziel? Die sofortige Unabhängigkeit für Dschibuti oder dessen Integration in einen großen Somalia-Staat. Und die Freilassung aller inhaftierten Partisanen. Am 3. Februar 1976 brachten vier mit Handgranaten, Sterling-MPs und Sturmgewehren-44 bewaffnete Terroristen der FLCS gewaltsam einen Bus unter ihre Kontrolle. Es war ein Schulbus mit insgesamt zweiunddreißig Insassen an Bord. Darunter einunddreißig Kinder von französischen, in Dschibuti stationierten Militärs sowie der Fahrer, Jean-Michel Dupont, ein junger wehrpflichtiger Soldat. Das Ganze geschah kurz nach 7 Uhr unweit der Luftwaffenbasis 188 „Colonel Émile Massart“. Mit den sechs- bis zwölfjährigen Kindern als Geiseln machten sich die Rebellen Richtung somalische Grenze, kaum zwanzig Kilometer weiter entfernt, auf. Unterwegs stießen sie auf einen Checkpoint der Gendarmerie. Die Stadt Dschibuti war zu der Zeit eine einzige Festung. Um diese herum befanden sich an allen aus der Stadt führenden Straßen massive, sperrige Checkpoints. Jeder einzelne bestand aus mehreren Reihen Stacheldraht links und rechts der Passage, sowie aus einer beweglichen Barriere in der Mitte. Unmittelbar daneben, am Straßenrand, waren Wachhäuser, in denen bewaffnete Gendarmen ihren Dienst taten. Genau auf einen solchen Posten, der die Straße Richtung Arta, einem vierzig Kilometer von hier entfernten Bergdorf, kontrollierte, raste der Bus mit voller Geschwindigkeit zu. Einer der Terroristen hielt dem Fahrer die Kanone seiner MP-44 in den Nacken.

»Wir sind uns beide einig, dass du nicht anhältst?«

»Was soll ich tun?«

»Fahr einfach weiter, ramm diese verdammte Barriere.«

»Auch wenn sie auf uns feuern?«, fragte der Fahrer.

Der Druck in seinem Nacken verstärkte sich.

»Du hast die Wahl. Entweder du tust, was ich sage, oder ich puste dir das Hirn aus deinem Schädel.«

Jean-Michel Dupont war ein mutiger junger Mann. Doch auch er wollte nicht sterben. Nicht an diesem Tag, nicht in Dschibuti. Nur einige Sekunden später rammte sein Bus die Barriere mit voller Wucht. Auf Sichtweite daneben standen Legionäre, die sich auf einen Einsatz in Balbala vorbereiteten. Die Rebellen eröffneten sofort das Feuer auf sie. Der Bus jedoch raste im Höchsttempo weiter und bog dann ab, zunächst in Richtung Doraleh. Von dort aus jagte er mit unvermindertem Tempo nach Osten, hin zur Grenze nach Somalia. Der Grenzposten war derweil bereits alarmiert worden. Die Gendarmen, es waren sieben Mann, zwei Franzosen und vier Afrikaner, hatten über Funk den Befehl erhalten, den Bus zu stoppen. Um das zu bewerkstelligen, stellten sie ihren Geländewagen quer über die Straße. Es war ein bulliges Allradfahrzeug. Der Bus musste anhalten, und genauso geschah es.

 

Die Lage war ernst. General Brasart, Oberbefehlshaber der in Dschibuti stationierten Truppen, alarmierte noch in der gleichen Stunde alle Einheiten, darunter die dreizehnte Halbbrigade und die zweite Kompanie des 2. REP, die sich auf einer sogenannten compagnie tournante am Horn Afrikas befand. Brasart wusste, was er mit den Paras Legion für einen Joker parat hatte. Er war selbst ein alter Fallschirmjäger. Als solcher hatte er 1945 Kommandoaktionen in Laos angeführt und war dabei mehrmals schwer verwundet worden.

Nachdem die Paras Legion von der Situation unterrichtet waren, verlegte eine Gruppe Legionäre unter dem Befehl von Capitaine Soubirou sofort mit einem Puma Hubschrauber nach Loyada, dem Dorf in der Nähe des Grenzpostens. Sie umzingelten den entführten Bus so diskret wie nur möglich. Hier erfuhr der Offizier von den Forderungen der Kidnapper. Frankreich, und das wusste Soubirou, ist bislang nur selten auf Forderungen von Terroristen eingegangen, und das Signal, das aus Paris kam, sprach eine allzu deutliche Sprache: Es stand außer Frage, dass der Bus mit den Kindern an Bord die Grenze nach Somalia überschritt! Dass die Situation ganz im Argen lag, stellte sich in dem Moment heraus, in dem die Soldaten Truppenbewegungen auf der anderen Seite der Grenze ausmachten. Mit einem herkömmlichen „coup de force“, da waren sich alle Verantwortlichen einig, konnte mehr Schaden angerichtet werden, als gut war, doch alle diplomatischen Varianten waren ausgespielt. Verhandlungen mit den Geiselnehmern, die fast den ganzen Morgen andauerten, brachten nicht den gewünschten Erfolg.

Im Élysée-Palast in Paris überlegte man lange Zeit, welche Optionen es gab, den Terroristen zu begegnen. Giscard d'Estaing, Frankreichs Staatspräsident, hörte seelenruhig allen Beratern zu und traf dann spontan eine Entscheidung. Seine Wahl fiel auf eine bis dato fast unbekannte Polizeieinheit: die GIGN! Man konnte die Einheit in etwa mit der deutschen GSG-9 vergleichen. Leutnant Christian Prouteau, der Chef dieser exzellenten Truppe, hatte seine Männer unter den besten Anwärtern ausgesucht, die Frankreich zu bieten hatte. Vor allem ihre Schießtechnik revolutionierte und überzeugte die Welt der Spezialeinheiten restlos. Die „Super-Cops“ trafen mit ihren Repetier-Scharfschützengewehren auch auf größere Distanz ganz frech ins Schwarze. Unterdessen war die Zahl der Terroristen tatsächlich angestiegen. Es waren nun fünf bewaffnete Männer im Bus. Somalische Grenzsoldaten erschienen und legten sich jenseits der Grenze auf die Lauer. Doch auch diesseits rückte Verstärkung an. Ein Aufklärungs- Escadron der dreizehnten Halbbrigade der Legion brachte ihre Panzerwagen, die automitrailleuse légère, kurz AML, in Stellung, doch dabei blieb es nicht. Sollte die Lage total eskalieren und die somalische Armee mit „schwerem Material“ anrücken oder gar eine Grenzverletzung in Betracht ziehen, dann mussten ebensolche Kaliber bereitstehen. Es war also nur ganz normal, dass am Einsatz auch ein Escadron des 5. RIAOM teilnahm. Ihre Kampfpanzer vom Typ AMX-13 besetzten fast lautlos Stellungen in etwa tausend Metern Entfernung zur Grenze. Dort harrten sie der Dinge. Bevor die Nacht fiel, wurde Jehanne Bru, eine Sozialarbeiterin, die alle Kinder im Bus sehr gut kannte, benachrichtigt. Sie sollte den Jungen und Mädchen beistehen. Die Terroristen gaben ihr grünes Licht. Capitaine Soubirou hatte ihr geraten, die Kinder im Bus in Deckung zu bringen, sollte auch nur ein einziger Schuss fallen. »Hinlegen. Am besten Gesicht nach unten, die Hände im Genick verschränkt. Bringen Sie das hin?« Jehanne gefiel dieser hochgewachsenene Offizier. Endlich mal einer, dachte sie, der direkt sagt, um was es geht. »Muss ich wohl!« Obwohl sie vor Angst am liebsten laut geschrien hätte, lächelte sie tapfer und bestieg das Fahrzeug, das sie zum Bus brachte.

»Mut hat sie!« Von seinem Beobachtungsposten aus sah Sergent-chef Jorand, ein alter Hase unter den Paras Legion, wie Jehanne Bru resolut den Bus bestieg. Er kannte nicht viele Frauen, denen er das zugetraut hätte. Jehanne war nun ein Faustpfand mehr für die Banditen. Jorand sollte beim Sturm auf den Grenzposten einen Halbzug anführen. Natürlich war auch ihm nicht ganz wohl bei dem Gedanken an die Kinder und die Frau im Bus, aber eines wusste er sehr genau. Es gab keine Soldaten auf der Welt, mit denen er lieber hier wäre als mit seinen Legionären. In Calvi hatten sie eine sehr harte Ausbildung erfahren. Sicher, sie konnten die Soldaten aller anderen Armeen gnadenlos unter den Tisch saufen. Sicher war aber auch, dass sie mit einem Sack auf dem Rücken alle anderen in Grund und Boden marschieren und es im Gefecht mit jedem Gegner aufnehmen konnten. Er vertraute ihnen blind. Mitten in der Nacht trafen die neun Männer der GIGN in Dschibuti ein. Ein Jeep und ein VLRA, beide fuhren mit Blackout Tarnlicht, brachten sie direkt zu einer Lageeinweisung unweit des Einsatzortes. Im olivgrünen, nach außen gut abgedunkelten OPS-Zelt herrschte eine gespannte Atmosphäre. Dazu war es stickig heiß und es roch nach Tabakqualm und Schweiß. Die Einweisung erfolgte im Beisein aller Offiziere der an der Operation teilnehmenden Einheiten. Als die kleine GIGN-Truppe hinter Leutnant Prouteau das Zelt betrat, bedachte man sie mit missmutigen Blicken. Prouteau und seine Männer hatten etwas längere Haare und sie trugen verdreckte Kampfuniformen. Ihr Fahrzeug war unterwegs im Schlamm stecken geblieben und sie hatten es bei völliger Dunkelheit mit vereinten Kräften herausziehen müssen. Prouteau trug Brille. Das ging gar nicht. Bei den meisten Soldaten war sie verpönt. Wer eine aufhatte, war höchstens eines: untauglich und geeignet für die Ausmusterung! In den Augen der anwesenden Militärs war diese GIGN ein Haufen Hippies. Das zumindest konnte man den Blicken entnehmen, die sie der Gruppe zuwarfen. Als der General seine Einweisung beendet hatte, wandte er sich an Leutnant Prouteau.

»Wie wollen Sie vorgehen?« Seine Stimme klang aggressiv. Er hatte das Détachement einer modernen und schlagkräftigen Eliteeinheit erwartet, doch nicht eine Bande Lustig, wie man im Legions-Militärjargon Menschen nannte, die man nicht ernst nahm. Und genau so eine stand seiner Meinung nach gerade vor ihm.

Prouteau, der etwas Zeit gehabt hatte, sich im Gelände umzusehen, schien sich seiner Sache sicher. »Wenn alles so läuft, wie ich es mir erhoffe, dann kommen meine Männer bis auf etwa 200 Meter ungesehen an den Bus ran, möglicherweise näher. Und zwar genau bis hierher.«

Er wies mit seinem Finger auf eine Karte, die hinter General Brasart an der Pinnwand hing.

»Auf diese Entfernung treffen wir die Köpfe der Banditen. Fünf Terroristen, das macht fünf Schüsse, vielleicht sechs, mal sehen. Das Signal zur Feuereröffnung gebe ich. Niemand anders!«

Einer der Offiziere lachte. Der General glaubte, sich verhört zu haben. Er riss die Augen weit auf. Noch nie hatte ein einfacher Leutnant so unverschämt offen mit ihm gesprochen, aber: Noch nie allerdings hatte er von so einem verwegenen Plan gehört.

»Sie vergessen«, sagte er aufgebracht, »dass das hier kein Alleingang der GIGN ist. Und was den Befehl zur Feuereröffnung angeht, der kommt, wenn schon, dann aus Paris. Ich gebe ihn dann an Sie weiter, und Sie führen meine Befehle aus.«

»Meine Schützen«, erwiderte Prouteau gelassen, »melden mir, wenn sie ihr Ziel im Fadenkreuz haben und es bekämpfen können. Und zwar alle gleichzeitig. Wie oft dies der Fall sein wird, darüber will ich nicht mal nachdenken. Vielleicht nie, vielleicht ein-, zwei oder dreimal an einem Tag, und das dann auch nur für eine, zwei oder drei Sekunden. Sobald sich nämlich einer der Terroristen bückt oder sich in allerletzter Sekunde wegdreht oder gar ganz aus dem Blickfeld verschwindet, beginnt das ganze Spiel von vorne.«