Briefe über den Yoga

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Briefe über den Yoga
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Briefe

über

den

Yoga

Sri Aurobindo

Briefe über den Yoga

Gesamtausgabe

Sri Aurobindo


SRI AUROBINDO

DIGITAL EDITION


Copyright 2020

AURO MEDIA

Verlag und Fachbuchhandel

Wilfried Schuh

www.auro.media

www.sriaurobindo.center

eBook Design


SRI AUROBINDO DIGITAL EDITION

Deutschland, Berchtesgaden

Briefe über den YogaGesamtausgabe Sri Aurobindo Autorisierte deutsche Übersetzung: Elisabeth Beck 1. Aufl. 2020 ISBN 978-3-96387-058-3


© Fotos und Textauszüge Sri Aurobindos und der Mutter:

Sri Aurobindo Ashram Trust

Puducherry, Indien

InhaltsverzeichnisTitelseiteCopyrightI. INTEGRALER YOGA UND ANDERE WEGE1. Die supramentale Evolution2. Integraler Yoga und andere WegeShankara und MayavadaBuddhismusDie GitaTantrismus und OkkultismusVishnuismusIntegraler Yoga3. Religion, Moral, Idealismus und Yoga4. Vernunft, Wissenschaft und Yoga5. Die Ebenen und Teile des WesensBewusstseinSachchidanandaSupramental – ObermentalJivatman (Zentrales Wesen)Die Seele und das seelische WesenDas innere Wesen und das wahre WesenDas umhüllende (environmental) BewusstseinDas kosmische BewusstseinDas MentalDas vitale Wesen (Das Vital)Das Physische Bewusstsein, das Physische MentalDas Unterbewusste, das UnbewussteDie Zentren6. Die göttlichen und die feindlichen MächteDie GötterDie Asuras7. Der Sinn des Avatars8. Wiedergeburt9. Schicksal und freier Wille, Karma, Vererbung usw.Schicksal und freier WilleUnsichtbare KräfteDas OpferGewalt und Nicht-GewaltZeitgefühlGrößePflanzen und TiereHumorII. DIE SADHANA1. Das Ziel des Integralen Yoga2. Die synthetische Methode und der Integrale Yoga3. Die Grundvoraussetzungen des PfadesAllgemeinesWahrhaftigkeitStrebenGlaubeHingabe und BemühungGnadeGuruBeharrlichkeit4. Die Grundlage der SadhanaDas ruhige MentalStille, Ruhe und SchweigenFriedeGleichmut5. Sadhana durch ArbeitKarma-YogaDie Göttliche ArbeitDas doppelte Bewusstsein bei der ArbeitDas Sich-Öffnen für die KraftDas Wirken der Kraft bei der ArbeitDie Einmischung des MentalsDie Läuterung durch die ArbeitOrdnung und Disziplin bei der ArbeitDie richtige Handhabung der Dinge6. Sadhana durch MeditationMeditation und KonzentrationDer Samadhi-ZustandJapa und Mantra7. Sadhana durch Liebe und HingabeDie Göttliche und die menschliche LiebeBhakti und AnbetungBhakti-EmotionBhakti und Glaube8. Menschliche Beziehungen im YogaLiebe, Freundschaft und WohlwollenDer Umgang mit anderenDer Wunsch zu helfenVitaler Austausch9. Sadhana im Ashram und außerhalb des AshramsDer AshramDie Arbeit im AshramDie Sadhaks des AshramsRegel und Disziplin im AshramDie Rückkehr in das Welt-LebenSadhana im Leben der WeltIII. ERFAHRUNG UND VERWIRKLICHUNG1. Erfahrung und Verwirklichung2. Visionen und Symbole3. Erfahrungen des inneren und des kosmischen BewusstseinsIV. DIE UMWANDLUNG1. Die dreifache Umwandlung: die Seelische – die Spirituelle – die Supramentale2. Die Umwandlung des Mentals3. Die Umwandlung des Vitals4. Die Umwandlung des Physischen5. Die Umwandlung des Unterbewussten und Unbewussten6. Die Schwierigkeiten des Pfades7. Der Widerstand der feindlichen KräfteANHANGZu den Briefen Sri Aurobindos – Elisabeth BeckBriefwechsel mit Sri Aurobindo – NirodbaranErläuterungen zum GlossarGlossarZeittafelGuideCoverInhaltsverzeichnisStart

Teil I

Sri Aurobindo

 

Das Göttliche gibt sich jenen, die sich rückhaltlos und in ihrem ganzen Wesen dem Göttlichen geben. Für sie die Ruhe, das Licht, die Macht, die Seligkeit, die Freiheit, die Weite, die Gipfel der Erkenntnis, die Meere des Ananda. — Sri Aurobindo

* * *

1. Kapitel
Die supramentale Evolution

Es gab Zeiten, in denen das Suchen nach spiritueller Verwirklichung zumindest in gewissen Zivilisationen intensiver und weiter verbreitet war als heutzutage oder als es allgemein in der Welt während der letzten Jahrhunderte gewesen ist. Die Kurve scheint jetzt den Beginn einer neuen Wende des Suchens zu bezeichnen, welches das in der Vergangenheit Erreichte zum Ausgangspunkt nimmt und dies auf eine größere Zukunft überträgt. Doch immer, selbst im vedischen Zeitalter oder in Ägypten, war spirituelle Vollendung oder okkultes Wissen den wenigen vorbehalten und nicht in der Masse der Menschheit verbreitet. Die Masse der Menschheit entwickelt sich langsam, sie enthält alle Stadien der Evolution vom materiellen und vitalen bis hin zum mentalen Menschen. Eine kleine Minderheit ist über die Schranken hinaus vorgestoßen, hat die Pforten zum okkulten und spirituellen Wissen geöffnet und die Aufwärtsbewegung der Evolution jenseits des mentalen Menschen in das spirituelle und supramentale Wesen vorbereitet. Es gab Zeiten, in denen diese Minderheit großen Einfluss ausübte – wie im vedischen Indien, in Ägypten oder gemäß der Überlieferung in Atlantis –, die Kultur eines Volkes bestimmte und ihm eine stark spirituelle und okkulte Prägung gab; in anderen Zeiten hielt diese Minderheit sich in ihren geheimen Schulen oder Orden abseits und beeinflusste nicht mehr unmittelbar eine Kultur, die in materielle Unwissenheit oder in Chaos und Finsternis gesunken war oder die harte äußere Aufklärung suchte, die spirituelles Wissen ablehnt.

Die Zyklen der Evolution sind immer aufwärts gerichtet, sie steigen jedoch nicht in gerader Linie auf. Man gewinnt daher den Eindruck einer Reihe von Aufwärts- und Abwärtsbewegungen, doch das Wesentliche, das eine Evolution erreicht, wird bewahrt und taucht in neuen Formen, die dem neuen Zeitalter entsprechen, wieder auf, selbst wenn es eine Zeitlang unsichtbar war. Die Schöpfung ist alle Stufen des Seins vom Supramental bis zur Materie herabgekommen und hat auf jeder eine Welt errichtet, eine Herrschaft, eine Ebene oder Ordnung, die jener Stufe entsprach. Bei der Erschaffung unserer stofflichen Welt stürzte dieses herabkommende Bewusstsein in eine scheinbare Unbewusstheit und tauchte aus dieser wieder empor, Stufe um Stufe, bis es seine höchsten spirituellen und supramentalen Höhen wiedergewinnen und deren Mächte hier in der Materie manifestieren wird. Doch ein verdecktes Bewusstsein wirkt sogar in der Unbewusstheit, und zwar gleichsam über eine involvierte und verborgene Intuition, die diesem Bewusstsein eigen ist. In jedem Stadium der Materie, in jedem Stadium des Lebens wirkt diese Intuition entsprechend dem jeweiligen Stadium; sie arbeitet sozusagen hinter dem Schleier und stützt und kräftigt die unmittelbaren Erfordernisse der schöpferischen Kraft. Es gibt eine Intuition in der Materie, die das Wirken der stofflichen Welt vom Elektron bis zur Sonne und den Planeten sowie deren Aufbau aufrechterhält. Es gibt eine Intuition im Leben, die auf ähnliche Weise das Spiel und die Entwicklung des Lebens in der Materie stützt und lenkt, bis es für die mentale Evolution bereit ist, deren Träger der Mensch ist. Auch im Menschen folgt die Schöpfung dem gleichen aufwärts gerichteten Vorgang – und die innere Intuition entfaltet sich seiner Entwicklungsstufe entsprechend. Selbst der präzise Intellekt des Wissenschaftlers, der dazu neigt, ein gesondertes Dasein oder die Überlegenheit der Intuition zu leugnen, kann nicht wirklich vorankommen, wenn hinter ihm nicht die mentale Intuition steht, die ihn befähigt, einen Schritt weiter zu gehen oder zu erspüren, was zu geschehen hat. Intuition steht also am Beginn der Dinge, in ihrer Mitte und an ihrem Ende.

Doch die Intuition zeigt ihre eigentliche Gestalt erst dann, wenn man über den mentalen Bereich hinausgeht und den spirituellen erreicht, denn allein dort tritt sie voll in Erscheinung und enthüllt ihre wahre und vollkommene Natur. Hand in Hand mit der mentalen Evolution hat der Beginn einer anderen Evolution stattgefunden, die das spirituelle und supramentale Wesen vorbereitet. Diese weist zwei Richtungen auf, einmal die Entdeckung der okkulten Kräfte, die in der Natur verborgen sind sowie der geheimen Ebenen und Welten, die uns von der Welt der Materie verdeckt werden; und zum anderen die Entdeckung der Seele des Menschen und seines spirituellen Selbstes. Wenn die Überlieferung von Atlantis stimmt, fand dort eine Entwicklung statt, die das höchste okkulte Wissen erreichte, doch nicht darüber hinauszugehen vermochte. Aus dem Indien der vedischen Zeiten ist uns die andere Richtung der Verwirklichung überliefert, nämlich die der spirituellen Selbst-Entdeckung; okkultes Wissen war auch dort vorhanden, doch wurde es als etwas Untergeordnetes betrachtet. Wir können sagen, dass in Indien zuerst die Intuition herrschte, bevor das intellektuelle Mental sich in einer späteren Philosophie und Wissenschaft entfaltete. Die Masse der Menschen lebte zu jener Zeit offensichtlich völlig auf der materiellen Ebene, sie betete die Gottheiten der stofflichen Natur an und erbat sich von ihnen ganz und gar materielle Dinge. Den vedischen Mystikern hingegen wurden kraft ihres Strebens die Dinge dahinter durch eine Macht innerer Schau, inneren Hörens und innerer Erfahrung enthüllt, was jedoch nur einer begrenzten Zahl von Sehern und Weisen vorbehalten war und sorgsam vor der Masse der Menschheit verborgen gehalten wurde – der Mystiker bestand immer auf Geheimhaltung. Wir können dieses Blühen der Intuition auf der spirituellen Ebene durchaus einem jähen Wiederauftauchen der wesentlichen Errungenschaften eines vorangegangenen Zyklus zuschreiben, die von diesem herabkamen. Wenn wir die spirituelle Geschichte Indiens untersuchen, erkennen wir, dass, nachdem diese Höhe erreicht war, ein Abstieg stattfand, der jede niedrigere Stufe des bereits entwickelten Bewusstseins aufzunehmen und sie mit dem Spirituellen am Gipfel zu verbinden suchte. Dem vedischen Zeitalter folgte eine große Blüte des Intellektes und der Philosophie, die sich die spirituelle Wahrheit zur Grundlage machten und versuchten, diese von neuem zu erreichen, zwar nicht wie die vedischen Seher durch direkte Intuition oder über einen okkulten Vorgang, sondern durch die Macht des reflektierenden, spekulativen logischen Denkens des Mentals; zur gleichen Zeit wurden Yogasysteme entwickelt, die das denkende Mental als Instrument zur Erreichung der spirituellen Verwirklichung gebrauchten und gleichzeitig dieses Mental selbst spiritualisierten. Anschließend folgte eine Ära der Entfaltung von Philosophien und Yogasystemen, die mehr und mehr das emotionale und ästhetische Wesen als Instrumente spiritueller Verwirklichung benutzten und die emotionale Ebene im Menschen über Herz und Gefühl spiritualisierten. Dies wurde von tantrischen und anderen Vorgängen begleitet, die den mentalen Willen, den Lebenswillen, den Willen der Empfindungen aufnahmen und diese sowohl zu Instrumenten als auch zum eigentlichen Bereich der Spiritualisierung machten. Im Hatha-Yoga und den verschiedenen Versuchen, den Körper zu vergöttlichen, gibt es ebenfalls eine Richtung, die im Hinblick auf die lebende Materie zu der gleichen Verwirklichung zu gelangen sucht; doch dies harrt noch der Entdeckung der wahren, charakteristischen Methode, der Entdeckung der Macht des Spirits im Körper. Wir können daher sagen, dass das universale Bewusstsein nach seinem Herabkommen in die Materie die Evolution in zwei Richtungen lenkte, eine des Anstiegs zur Entdeckung des Selbstes und Spirits, die andere des Abstiegs durch die bereits entwickelten Ebenen des Mentals, des Lebens und des Körpers, um das spirituelle Bewusstsein auch in diese herabzubringen und hiermit eine geheime Absicht in der Schöpfung des materiellen Universums zu erfüllen. Unser Yoga ist in seinem Prinzip ein Aufnehmen, ein Zusammenfassen, ein Vollenden dieses Vorgangs – ein Bestreben, sich zu den höchsten supramentalen Ebenen zu erheben und ihr Bewusstsein und ihre Macht in das Mental, das Leben und den Körper zu bringen.

Der Zustand der gegenwärtigen Zivilisation die materialistisch ist mit einem nach außen gerichteten Intellekt und Lebens bestreben – das, was du als so schmerzhaft empfindest –, ist ein Übergang, doch einer, der vielleicht unvermeidlich war. Denn wenn die Spiritualisierung des Mentals, des Lebens und des Körpers, wenn die bewusste Gegenwart des Spirit, selbst im physischen Bewusstsein und im stofflichen Körper das zu erreichende Ziel ist, dann musste vielleicht ein Zeitalter kommen das die Materie und das physische Leben in den Vordergrund stellt und sich dem Bestreben des Intellektes widmet, die Wahrheit des materiellen Daseins zu entdecken. Auf der einen Seite hat es, indem es alles bis hin zum Verstand materialisierte, eine für den spirituell Suchenden äußerst schwierige Situation geschaffen – diejenige, von der du sprichst –, anderseits aber hat es dem Leben in der Materie eine Bedeutung gegeben, die ihm die Spiritualität der Vergangenheit zu versagen geneigt war. In gewisser Weise machte es deren Spiritualisierung zum Erfordernis für den spirituell Suchenden und stützte so die absteigende Bewegung des sich entfaltenden spirituellen Bewusstseins in der Erd-Natur. Mehr als dies können wir allerdings nicht in Anspruch nehmen. Die bewusste Auswirkung dieses Zeitalters war eher, das spirituelle Element der Menschheit zu ersticken und beinahe auszulöschen. Allein durch die göttliche Handhabung der aufeinander wirkenden Gegensätze und durch eine Hilfe von oben wird es ein spirituelles Ergebnis zeitigen.

Alle Phasen menschlicher Geschichte kann man als Entwicklungsstufen des Erd-Bewusstseins betrachten, und jede dieser Phasen hat ihre Aufgabe und ihren Sinn. Und auch diese materialistisch intellektuelle Phase musste kommen und hatte ohne Zweifel ihren Zweck und ihre Bedeutung. Man könnte sogar der Ansicht sein, eines ihrer Ziele sei der Versuch gewesen, zu erkunden, wie weit und wohin menschliches Bewusstsein durch eine intellektuelle und äußere Kontrolle der Natur allein mit physischen und intellektuellen Mitteln gelangen kann, ohne ein höheres Bewusstsein und Wissen einzusetzen; oder auch, dass sie [die materialistische Phase] durch ihren Widerstand dazu beitragen möge, das spirituelle Bewusstsein, das hinter all dem Wandel wächst, hervorzulocken, damit es die Herrschaft über die Materie wage und sie zum Göttlichen wende, so wie es die Tantriker und Vaishnavas mit der emotionalen und niederen vitalen Natur zu tun versuchten, da sie sich mit der vedantischen Hinwendung des Mentals zum Höchsten nicht zufrieden gaben. Doch es fällt nicht leicht, mehr als dies anzunehmen oder gar zu glauben, dieser Materialismus als solcher sei etwas Spirituelles, oder der dunkle, verworrene und gewalttätige Zustand des heutigen Europas sei eine unerlässliche Vorbereitung für die Herabkunft des Spirits gewesen. Diese Finsternis und Gewalttätigkeit, die sogar ein Licht wie das des geistigen Idealismus und das Verlangen nach Harmonie, die sich bereits im Mental der Menschheit erfolgreich gefestigt hatten, zu zerstören vermögen, werden offensichtlich durch das Herabkommen wilder und dunkler vitaler Mächte verursacht, welche die menschliche Welt für sich zu besitzen suchen und nicht einem spirituellen Zweck überlassen wollen. Es ist richtig, einige Okkultisten sagten solch ein Herabstürzen asurischer Kräfte aus den dunkleren vitalen Welten voraus, und zwar als ein erstes Ergebnis jenes Druckes, den das Göttliche Herabkommen in diesem vitalen Bereich verursachte; es wurde jedoch als eine Gegebenheit des Kampfes angesehen und nicht als etwas, das zum Göttlichen Sieg verhelfen würde. Das Durchwühlen der Materie durch den Versuch des menschlichen Verstandes, die stoffliche Natur zu erobern und diese für seine Zwecke zu benützen, mag eine gewisse Passivität und Trägheit brechen, doch geschieht dies für materielle Zwecke in rajasischem Geist und unter Leugnung der Spiritualität als geistiger Grundlage. Solch ein,Versuch kann oder scheint tatsächlich in Chaos und Auflösung zu enden, während neue Versuche der Erschaffung und Wiederherstellung die dunkle Starrheit der stofflichen Natur mit einem Wiederauftauchen der barbarischen Rohheit und Gewalttätigkeit einer halbtierischen vitalen Natur verbinden. Wie sollen spirituelle Kräfte mit all dem fertig werden oder aus diesem Aufwühlen der Energien des stofflichen Universums Nutzen ziehen? Der Weg des Spirits ist ein Weg des Friedens und Lichtes, der Harmonie; wenn er kämpfen muss, dann allein, weil Kräfte vorhanden sind, die entweder das spirituelle Licht auslöschen oder es behindern wollen. In der spirituellen Wandlung muss die Trägheit durch göttlichen Frieden und göttliche Ruhe ersetzt werden, die rajasisch aufgewühlte Energie durch eine ruhige und machtvolle, eine reine und befreite Dynamik, während das Mental für das Wirken eines höheren Wissens-Lichtes plastisch bleiben muss. Wie will die Aktivität des Materialismus eine derartige Wandlung bewirken?

 

Materialismus kann in seiner Basis schwerlich spirituell sein, da seine grundlegende Methode, etwas durchzuführen, genau das Gegenteil des spirituellen Weges ist. Spiritualismus wirkt von innen nach außen, die Art des Materialismus hingegen ist es, von außen nach innen zu wirken. Er macht das Innere grundsätzlich zum Ergebnis des Äußeren, zu einer Erscheinungsform der Materie und nach dieser Auffassung arbeitet er. Er versucht, die Menschheit durch äußere Mittel zu „vervollkommnen“, und eine seiner Hauptbestrebungen ist, eine vollkommene soziale Maschinerie zu schaffen, welche die Menschen erzieht und sie verpflichtet, so zu sein, wie sie sein sollten. Das spirituelle Ideal ist es, das Ego im Göttlichen zu verlieren; dies wird dort durch die Opferung des einzelnen an den Militär- und Industriestaat ersetzt. Wo ist hierin irgendwelche Spiritualität zu finden? Spiritualität kann allein erreicht werden durch ein Öffnen des Mentals, des Vitals und des Physischen gegenüber der innersten Seele, dem höheren Selbst, dem Göttlichen und indem diese sich spirituellen Kräften unterordnen und zu Instrumenten des inneren Lichtes, des höheren Wissens und der höheren Macht werden. Andere Dinge, mentale, ästhetische, vitale, werden oft fälschlich als „Spiritualität“ bezeichnet, doch sie entbehren deren essentiellen Charakter, ohne den das Wort keine wahre Bedeutung hat.

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Sobald ein Druck auf die vitale Welt ausgeübt wird, verursacht durch eine sich vorbereitende Herabkünfte von oben, wird aus dieser Vital-Welt häufig etwas in die menschliche Welt geschleudert. Die vitale Welt ist sehr groß und überschreitet in ihrem Ausmaß bei weitem die menschliche. Sie übt ihre Herrschaft jedoch meist über einen Einfluss aus, nicht über eine Herabkunft. Natürlich ist das Bestreben dieses Teils der vitalen Welt immer darauf gerichtet, die Menschheit unter ihrem Einfluss zu halten und das höhere Licht abzuwehren.

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Die vitale Herabkunft kann die supramentale nicht verhindern – um so viel weniger können es die betroffenen Völker mit Hilfe ihrer materiellen Macht, da die supramentale Herabkunft in erster Linie eine spirituelle Tatsache ist, die ihre notwendigen äußeren Folgen zeitigen wird. Vitale Herabkünfte fälschten in der Vergangenheit das erscheinende Licht, wie es in der Geschichte der Christenheit der Fall war, wo sie von der Lehre Besitz ergriffen, diese entstellten und jeglicher umfassenden Erfüllung beraubten. Doch ist das Supramental ein Licht, das nicht entstellt werden kann, wenn es in seiner eigenen Macht, in seiner eigenen Gegenwart kommt. Wenn es sich jedoch fern hält und niederen Mächten des Bewusstseins erlaubt, eine verminderte und bereits entstellte Wahrheit zu gebrauchen, können vitale Kräfte das Wissen ergreifen und es für eigene Zwecke benützen.

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Alles, was du sagst, läuft letzten Endes auf die Tatsache hinaus, dass dies eine Welt langsamer Evolution ist, in welcher der Mensch aus dem Tier auftauchte – mit dem er immer noch verhaftet ist –, in der das Licht aus der Dunkelheit und ein höheres Bewusstsein aus einer zunächst toten, dann ringenden und gestörten Unbewusstheit hervorbrach. Ein spirituelles Bewusstsein ist im Begriff aufzutauchen, und über dieses spirituelle Bewusstsein vermag man dem Göttlichen zu begegnen. Religionen, voll von vitalem und mentalem, vermischtem, wirrem und unwissendem Stoff, können nur einen flüchtigen Eindruck des Göttlichen vermitteln. Der positivistische Verstand mit seinen Zweifeln, der sich an die Dinge hält, wie sie sind, und der an nichts, was sein könnte oder sein wird, zu glauben vermag, kann zu keinerlei Schau gelangen. Spiritualität ist ein neues Bewusstsein, das sich entwickeln muss und das sich entwickelt. Es versteht sich von selbst, dass zu Beginn und auf lange Zeit nur wenige das volle Licht empfangen werden. Eine größere Anzahl, doch verglichen mit der Masse der Menschheit auch nur wenige, wird es teilweise erlangen. Aber das, was von den wenigen erreicht wurde, kann in einem bestimmten Stadium der Evolution vollendet und verallgemeinert werden – und dies versuchen wir zu tun. Doch wenn dieses größere Bewusstsein des Lichtes, des Friedens, der Freude gewonnen werden soll, geschieht es nicht durch Zweifel oder Skeptizismus, die sich nur auf das Vorhandene berufen können und den Standpunkt vertreten: „Es ist unmöglich – was in der Vergangenheit nicht war, kann auch in der Zukunft nicht besser verwirklicht werden“. Ein Glaube, ein Wille oder zumindest ein beharrliches Verlangen und Streben sind erforderlich – das Gefühl, dass ich mich mit dem und nur mit dem allein zufrieden geben werde, und das Drängen danach, das nicht enden wird, bis es geschehen ist. Daher ist ein Geist des Skeptizismus und der Verneinung ein Hindernis, da er dem Zustandekommen jener Voraussetzungen im Wege steht, unter denen die spirituelle Erfahrung sich entfalten kann.

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Die Herabkunft des Supramentals ist ein langwieriger Vorgang oder zumindest ein Vorgang mit langer Vorbereitung, und man kann lediglich sagen, dass die Arbeit manchmal mit starkem Druck auf die Vollendung hin vonstatten geht und manchmal durch Dinge verzögert wird, die sich aus der Tiefe erheben und mit denen man sich auseinandersetzen muss, bevor ein weiterer Fortschritt möglich wird. Der Vorgang ist ein spirituell-evolutionärer, der sich auf einen kurzen Zeitraum konzentriert; es könnte nur dann auf andere Weise geschehen (was die Menschheit als einen übernatürlichen Eingriff ansehen würde), wenn das menschliche Mental flexibler und weniger seiner Unwissenheit verhaftet wäre. Wir stellen uns vor, dass es [das Supramental] sich zuerst in einigen wenigen manifestieren und dann ausbreiten muss. Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass es die Erde in einem einzigen Augenblick überwältigt. Daher ist es nicht ratsam, zu viel zu diskutieren, was es tun wird und wie es geschieht; denn dies sind Dinge, die das Supramental selbst festlegt, da es aus der ihm innewohnenden Göttlichen Wahrheit handelt. Das Mental darf nicht versuchen, ein Schema aufzustellen, nach dem der Vorgang ablaufen wird. Eine Befreiung von der unterbewussten Unwissenheit und von Krankheit sowie die Verlängerung des Lebens nach Wunsch und eine Veränderung der Körperfunktionen gehören zu den höchsten Elementen einer supramentalen Wandlung; die Einzelheiten jedoch müssen der supramentalen Energie zur Ausarbeitung gemäß der Wahrheit ihrer eigenen Natur überlassen werden.

Die Herabkunft des Supramentals ist eine unvermeidliche Notwendigkeit in der Logik der Dinge und daher sicher. Die Menschen verstehen nicht, was das Supramental ist, oder erkennen nicht die Bedeutung, die das Auftauchen von Bewusstsein in einer Welt unbewusster Materie hatte, und sind daher unfähig, diese Unausweichlichkeit zu begreifen. Ich glaube, ein zufälliger Beobachter, insofern es einen gegeben hätte in jener Zeit der unerbittlichen Herrschaft unbelebter Materie am Beginn der Erde, hätte die Vorhersage, dass Leben aus dieser Welt von toter Erde, Steinen und Mineralen auftauchen würde, als Absurdität oder Phantasterei angesehen. Später hätte er den gleichen Fehler begangen und das Auftauchen des Denkens und Verstandes aus einer tierischen Welt als Absurdität und Phantasterei betrachtet. Genau so ist es jetzt mit dem Erscheinen des Supramentals in der strauchelnden Mentalität dieser Welt menschlichen Bewusstseins und ihrer urteilenden Unwissenheit.

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Es ist durchaus möglich, dass es Zeitspannen der Harmonie auf verschiedenen, nicht-supramentalen Ebenen gegeben hat, die später eine Unterbrechung erfuhren. Doch dies kann nur eine Phase oder ein Augenblick des Verweilens gewesen sein in der Kurve der spirituellen Evolution, die sich aus dem Unbewussten erhebt.

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Was wir meinen ist das Göttliche in seiner essentiellen Manifestation, das sich uns als Licht und Bewusstsein enthüllt, als Macht, Liebe und Schönheit. Doch in seiner tatsächlichen kosmischen Manifestation kann der Höchste, da er das Unendliche und durch keine Begrenzung gebunden ist, in Sich, in seinem Bewusstsein der unzähligen Möglichkeiten etwas manifestieren, das das Gegenteil seiner selbst zu sein scheint, etwas, in dem es Dunkelheit, Unbewusstheit, Trägheit, Gefühllosigkeit, Disharmonie und Auflösung geben kann. Dies ist es, was wir auf dem Grunde der stofflichen Welt sehen und was man heutzutage als das Unbewusste bezeichnet – der Ozean des Unbewussten im Rigveda, in dem der Eine verborgen war und sich in Gestalt dieses Universums erhob – oder, wie es manchmal genannt wird, das Nicht-Sein, asat. Die Unwissenheit, Kennzeichen unseres Mentals und Lebens, ist das Ergebnis dieses Ursprungs im Unbewussten. Darüber hinaus erheben sich in der Evolution aus dem unbewussten Dasein Mächte und Wesen die daran interessiert sind, alle Verneinungen des Göttlichen aufrechtzuerhalten, Irrtum und Unbewusstheit, Schmerz und Leiden, Finsternis und Tod, Schwäche und Krankheit, Disharmonie und Böses. Von dorther rührt die Entstellung unserer Schöpfung, ihre Unfähigkeit, die wahre Essenz des Göttlichen zu enthüllen. Und doch ist in diesem ureigentlichen Fundament der Evolution alles Göttliche involviert und drängt danach, sich zu entfalten: Licht, Bewusstheit, Macht, Vollendung, Schönheit, Liebe. Denn im Unbewussten als solchem und hinter den Entstellungen der Unwissenheit ist das Göttliche Bewusstsein verborgen und wirkt und muss mehr und mehr hervortreten und schließlich seine Verhüllungen abwerfen. Daher wird gesagt, die Welt sei dazu ausersehen, das Göttliche auszudrücken.

Deine Bemerkung über die supramentale Evolution ist richtig, mit Ausnahme der Schlussfolgerung, die Menschheit würde als Ganzes supramental werden. Es ist wahrscheinlicher, dass das supramentale Prinzip sich durch eine Herabkunft festigen wird, genau wie sich das mentale Prinzip durch das Auftreten des denkenden Mentals und Menschen im Erdenleben festigte. Es wird ein Geschlecht supramentaler Wesen auf Erden geben, genau wie es jetzt ein Geschlecht mentaler Wesen gibt. Dem Menschen werden größere Möglichkeiten offen stehen, sich zu denjenigen Ebenen zu erheben, die zwischen seinem Mental und dem Supramental liegen, sowie deren Mächte in seinem Leben wirksam zu machen, was zu einer großen Veränderung der Menschheit auf Erden führen wird. Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass die mentale Sprosse aus der aufsteigenden Leiter verschwinden wird, denn das Fortbestehen einer mentalen Rasse wird notwendig sein, damit sie eine Stufe zwischen dem Vital und dem Supramental für die evolutionäre Bewegung des Spirits abgebe.

Solch ein Herabkommen höherer Wesen kann man sich, wie du annimmst, als Teil des Wandlungsprozesses vorstellen. Doch die hauptsächliche Veränderung wird in dem Auftreten des supramentalen Wesens bestehen und in der Errichtung einer supramentalen Natur auf Erden – genau wie einst ein mentales Wesen erschien und eine mentale Natur sich während des letzten Stadiums der Evolution ordnete. Ich ziehe es vor, nicht mehr über die Herabkunft höherer Wesen zu sprechen, denn nach meiner Erfahrung führt dies zu einem leeren und oft egoistischen Romantizismus, der die Aufmerksamkeit von der wirklichen Arbeit ablenkt, der Verwirklichung des Göttlichen und der Umwandlung der menschlichen Natur.

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Was wir tun, ob und wann wir Erfolg haben – es wird ein Anfang sein und keine Vollendung. Es ist die Gründung eines neuen Bewusstseins auf Erden, eines Bewusstseins mit unendlichen Möglichkeiten der Manifestation. Das ewige Fortschreiten liegt in der Manifestation, und jenseits von ihr gibt es keinen Fortschritt.

Wenn das Ziel die Erlösung der Seele von der physischen Hülle wäre, bestünde die Notwendigkeit einer Supramentalisierung nicht. Spirituelle mukti und nirvana genügten. Wäre es das Ziel, sich zu überstofflichen Ebenen zu erheben, bestünde ebenfalls die Notwendigkeit einer Supramentalisierung nicht. Man kann einen Himmel durch die Hingabe an den Gott jenes Himmels erreichen. Doch dies ist kein Fortschritt. Die anderen Welten sind fixierte Welten und jede ist auf ihre eigene Art, auf ihren Typ festgelegt. Die Evolution aber findet auf Erden statt, daher ist die Erde der eigentliche Bereich des Fortschritts. Die Wesen der anderen Welten schreiten nicht von einer Welt zur anderen fort. Sie bleiben auf ihren eigenen Typ fixiert.

Der rein monistische Vedanta-Anhänger sagt, alles sei Brahman, das Leben sei ein Traum, eine Unwirklichkeit, nur Brahman existiere. Man erlangt nirvana oder mukti und lebt dann so lange, bis der Körper abfällt – danach gibt es nichts Derartiges wie Leben.

Sie [die Anhänger des Vedanta] glauben an keine Umwandlung, da sie Mental, Leben und Körper als Unwissenheit betrachten, als Illusion – die einzige Wirklichkeit für sie ist das eigenschaftslose, beziehungslose Selbst oder Brahman. Leben aber hat Bezug; im reinen Selbst schwindet alles Leben und jeder Bezug. Worin bestünde der Nutzen oder die Möglichkeit, eine Illusion umzuwandeln, die niemals etwas anderes sein könnte als Illusion (wie umgewandelt auch immer)? Es gibt für sie nichts Derartiges wie ein „nirvanisches Leben“. Nur einige Yogasysteme zielen auf eine gewisse Umwandlung, doch nicht auf die der Unwissenheit in das Wissen. Die Ideale sind verschieden – manchmal ist das Ziel göttliches Wissen, göttliche Macht oder auch göttliche Reinheit, ethische Vollkommenheit oder göttliche Liebe.