Bomba im Herzen Afrikas

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2 Die Stimme Simbas

Die Warnung wäre nicht notwendig gewesen, denn im gleichen Augenblick zerriss ein wildes Brüllen die Stille über dem Urwaldteich.

Bomba fuhr herum. Keine zehn Meter von ihnen entfernt war eine gelbbraune Gestalt im Schilfdickicht aufgetaucht. Der Leib des Raubtieres presste sich dicht gegen den Boden, der Schweif peitschte durch die Schilfstängel, und der gewaltige Rachen öffnete sich zu einem grimmigen Fauchen. Der Blick der bernsteingelben Augen war mit gefährlicher Ruhe auf die Menschen gerichtet. Wenn der Löwe sich fürchtete, so war davon jedenfalls nichts zu sehen.

Auf den ersten Blick erkannt Bomba, dass es der Löwe war, den er in der vergangenen Nacht mit dem Speer verwundet hatte. An der Schulter des Tieres war deutlich der Riss zu sehen, den sein Speer geschlagen hatte. Die Wunde mochte schmerzhaft sein, aber sie hatte den Löwen keineswegs geschwächt, und sie behinderte ihn gar nicht. Es war deutlich zu sehen, wie die mächtigen Muskelstränge unter dem Fell an der verwundeten Schulter ebenso geschmeidig spielten wie an der gesunden Schulter und an den Flanken.

Hinter Bombas Rücken war ein Felsblock, und Wafi rief furchtsam:

„Lauf hinter den Felsen, Herr, und wirf den Speer von dort.“

Aber Bomba gab keine Antwort und hielt den Blick fest auf den Löwen gerichtet. Es war merkwürdig: einen Moment lang schien der Blick dieser klaren, braunen Augen den Löwen zu verwirren. Er blinzelte und zögerte. Doch dann kroch er näher an die Stelle heran, von wo ihn der Sprung bis zu dem Felsen tragen konnte.

Gibo und Wafi hatten inzwischen hinter dem Steinblock Schutz gesucht und beobachteten atemlos die gefährliche Szene. Ihnen schien es so, als hätte Bomba eine seltsame Lähmung befallen. Warum warf er den Speer nicht? Der Körper des Löwen bot ein gutes und nahes Ziel. Hatte ihn etwa der bernsteingelbe Blick der Raubkatze verzaubert?

„Wirf den Speer, Bomba! Wirf!“, riefen sie beide zugleich. Doch Bomba blieb reglos stehen — und dann sprang der Löwe. Der zusammengekrümmte Körper streckte sich plötzlich zu einem mächtigen Sprung. Das Ganze spielte sich so schnell ab, dass weder Gibo noch Wafi später sagen konnten, wann Bomba sich zur Seite schnellte, um dem Sprung zu entgehen. Das Schaftende des Speeres hatte er in einem Spalt des Felsens festgeklemmt, und erst im letzten Sekundenbruchteil ließ er den Speer los.

Bomba brauchte ihn nicht zu schleudern. Mit der ganzen Wucht seines schweren Körpers und dem Schwung des Sprunges wurde der Löwe gegen die tödliche Speerspitze geworfen. Das scharfe Metall drang durch seine Brust und tief in den Körper hinein.

Das Brüllen und der Todeskampf des Löwen ließen den Boden rings um den Tümpel erbeben. Bomba war weiter zurückgewichen, um den wild um sich schlagenden Pranken zu entgehen, und jetzt wagten sich auch Gibo und Wafi wieder hinter dem Felsen hervor.

Als die Zuckungen des Löwen schwächer wurden und der schwere Kopf zur Seite sank, trat Gibo näher an den großen Körper heran und setzte einen Fuß auf die Flanke, in der noch ein letzter Rest von Lebenskraft bebte.

„Man könnte meinen, du hast den Löwen erlegt“, brummte Wafi, der insgeheim doch Gibos Mut bewunderte. Für ihn war immer noch der beste Löwe ein toter Löwe, und dieser dort bewegte sich ganz offensichtlich noch.

„Bomba hat sein Versprechen gehalten“, sagte Gibo prahlerisch. „Du siehst, Wafi —“

Im nächsten Augenblick sprang er mit einem gewaltigen Satz zur Seite, denn die Flanke auf der sein Fuß gestanden hatte, war von einem letzten starken Zucken erschüttert worden. Jetzt war Simba, der Löwe, wirklich tot.

„Ich sehe, du kannst gut springen, Freund Gibo.“ Wafi gluckste vor Vergnügen. „Wolltest du mir das zeigen?“

Gibo errötete unter der braunen Haut, während Bomba ruhig an den toten Körper herantrat und seinen Speer aus der Brust des Tieres zog.

„Es ist immer besser, vorsichtig zu sein“, verteidigte sich Gibo und hob den Blick.

Im nächsten Moment verzerrte sich sein Gesichtsausdruck zu einer Grimasse des Erschreckens.

„Aufgepasst, Herr!“ schrie er.

Durch das Unterholz kam eine Gruppe von Kriegern auf die Lichtung gestürmt.

3 Die bemalten Jäger

Bomba fuhr herum und hob instinktiv den Speer. Wafi folgte seinem Beispiel, und Gibo riss sein langes Buschmesser aus dem Gürtel.

Wer waren diese seltsam aussehenden Krieger?

Für kurze Zeit standen sich die beiden Gruppen wie erstarrt gegenüber, und Bomba versuchte, die Absichten dieser fremdartigen Männer zu erkennen. Plötzlich senkte er den Speer und wandte sich an seine beiden Gefährten.

„Ich glaube nicht, dass diese Männer gegen uns kämpfen wollen“, raunte er ihnen zu. „Aber wir müssen vorsichtig sein. Noch einmal sollen uns keine Kannibalen mit gespielter Freundlichkeit überlisten, um uns in ihre Gewalt zu bekommen. Behaltet die Männer scharf im Auge, aber droht nicht mit den Waffen. Wenn wir in Frieden mit ihnen auskommen können, dann wäre es umso besser für uns, denn sie sind weit in der Überzahl.“

Inzwischen begannen die fremden Krieger näherzurücken, ohne dabei aber drohende oder feindselige Gesten zu machen. Die Gesichter der Männer waren mit dicken weißen und gelben Streifen bemalt, aber unter dieser schauerlichen Bemalung grinsten sie breit. Schließlich trat ein Mann vor, der nach seiner ganzen Haltung und dem besonderen Schmuck, den er trug, ein Häuptling sein musste. Er hob die rechte Hand mit der Handfläche nach außen, und bei diesem Anblick atmete Wafi erleichtert auf. Der Fremde hatte sie mit der Geste der Freundschaft und des Friedens begrüßt.

Bomba erwiderte langsam die Geste, und sein Blick glitt dabei aufmerksam über die Gesichter der Männer. Es mochten etwa vierzig Krieger sein. Nicht nur das Gesicht, sondern auch die Brust war bei jedem mit breiten Streifen weißer und ockergelber Farbe beschmiert. Die dunklen Körper mit der merkwürdigen Zebrabemalung bildeten einen unheimlichen Kontrast zu dem ruhigen, schimmernden Grün des Dschungels, und das war wohl auch die Wirkung, die diese Kriegsbemalung erzielen sollte. Alle Feinde sollten schon von dem Anblick der fremden Krieger eingeschüchtert werden.

Die Bewaffnung der Krieger bestand nur aus Speeren und aus Messern, die in den Gürteln am Lendentuch steckten.

„Es müssen die ‚Bemalten Jäger’ sein, von denen Azande, der Häuptling der Pygmäen, schon gesprochen hat“, sagte Bomba zu seinen Begleitern. „Wir werden also nicht kämpfen müssen, denn Azandes Freunde werden auch unsere Freunde werden.“

Der Häuptling trat noch einen weiteren Schritt vor. Alles das schien zu einem Zeremoniell zu gehören, wie es bei der Begrüßung von Fremden üblich war. Er wiederholte noch einmal die Geste der Freundschaft und begann dann in einem Dialekt zu sprechen, der dem der Pygmäen verwandt war und den Bomba schon verstehen konnte.

„Lowando und seine Krieger kommen in Frieden“, sagte er. „Sie planen nichts Böses gegen den weißen Fremden und seine Begleiter. Aus dem Busch haben wir alle den Kampf des Weißen mit dem Löwen mit angesehen, und unsere Herzen sind voll Bewunderung. Wir wären froh, wenn der Weiße ein Angehöriger unseres Stammes wäre, denn kein Tier hassen wir so sehr wie den Löwen.“

Bomba lächelte.

„Es ist wahr: der Löwe ist kein Freund des Menschen. Seine Pranken sind ohne Erbarmen, und sein Biss bedeutet Tod und Verderben. Aber Simba, der Löwe, ist tapfer. Er ergreift nicht die Flucht wie der feige Schakal. Und es ist gut, gegen einen tapferen Feind zu kämpfen.“

Der fremde Häuptling blickte Bomba neugierig an.

„Ich habe von meinem Freund Azande, dem Häuptling der Pygmäen, von dem tapferen, weißen Jungen gehört, der viele Tage mit ihrem Stamm gezogen ist. Bist du Bomba — der Dschungelboy?“

Der Junge nickte.

„Dann haben also die kleinen Krieger nicht übertrieben“, fuhr der Häuptling fort. „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie tapfer Bomba ist.“

„Ich habe von Azande auch schon viel von den Ruhmestaten der ‚Bemalten Jäger’ gehört“, erwiderte Bomba, der genau wusste, wie sehr jede Schmeichelei diesen primitiven Menschen ins Herz drang. „Azande hat mir erzählt, dass die ‚Bemalten Jäger’ den gefürchteten Löwen allein mit dem Speer angreifen und dabei keine Furcht zeigen.“

Lowando grinste geschmeichelt.

„Es ist so, wie du sagst, Bomba. Auch wir fürchten den Löwen nicht, und wir freuen uns umso mehr, einen tapferen Jäger getroffen zu haben, der nicht wie die anderen Weißen aus der Ferne mit den Donner und Feuer speienden Gewehren auf Simba Jagd macht.“

Durch diesen Austausch von Komplimenten, die auf beiden Seiten ehrlich gemeint waren, war der Rest von gefährlicher Spannung gewichen, der noch zwischen den beiden Gruppen geschwebt hatte. Lowando befahl seinen Unterhäuptlingen, ein Mahl vorzubereiten. In kurzer Zeit war alles fertig, und alle aßen einträchtig miteinander.

Allerdings schienen Wafi und Gibo einen Rest von Misstrauen nicht ablegen zu können. Sie waren im Dschungel aufgewachsen, wo man jeden Fremden zuerst für einen Feind hielt und wo Feindschaft auch viel häufiger zu erwarten war als Freundschaft. Sie blieben also weiterhin wachsam, wenn sie sich auch nach außen hin freundlich benahmen.

„Wir wären eine leichte Beute für sie, wenn sie sich gegen uns wenden sollten“, murmelte Wafi seinem Gefährten zu. „Und was wäre dann?“

„Es ist wahr“, raunte Gibo. „Aber Bomba wird auch daran gedacht haben.“

Dieser Gedanke schien ihn so zu trösten, dass er mit verdoppeltem Appetit ein großes Stück saftige Antilopenlende vertilgte. Bomba aß am Lagerfeuer des Häuptlings mit und hörte höflich zu, wenn Lowando mit seinen Unterhäuptlingen sprach, und er gab angemessene Antworten, wenn der Häuptling sich an ihn wandte. Während er aber dasaß und sich das Mahl schmecken ließ, dachte er daran, welche Bedeutung dieses Zusammentreffen für sein weiteres Schicksal und vor allen Dingen für die Suche nach seinem Vater haben mochte.

 

Es schien, als hätte ihm das Glück einen Helfer zugeführt. Dieses Zusammentreffen hätte kaum unter günstigeren Umständen erfolgen können. Sein Mut und seine Geschicklichkeit hatten zweifellos großen Eindruck auf die primitiven Jäger gemacht. Keine menschliche Eigenschaft wurde nämlich von diesen Eingeborenen so hoch eingeschätzt wie Mut und List. Der Eindruck musste umso tiefer sein, als sie diese Jagdszene ganz zufällig beobachtet hatten und wussten, dass Bomba von ihrer Anwesenheit keine Ahnung gehabt hatte. Er hatte also bestimmt nicht aus Ruhmsucht oder Geltungsbedürfnis so gehandelt.

Bomba musste jetzt mit einem Anflug von Bitterkeit daran denken, dass er nicht immer so viel Glück gehabt hatte. Bei der Suche nach seinem Vater war er in einem Kampf mit feindlichen Kriegern durch einen heimtückischen Keulenschlag auf den Hinterkopf niedergestreckt worden, und als er nach vielen Stunden aus der Ohnmacht erwachte, waren die Kannibalen, die seinen Vater gefangen hielten, schon weitergezogen. Damals hatte ihn Azande, der Häuptling der Pygmäen, mit der Zusicherung getröstet, er werde versuchen, die Hilfe der ‚Bemalten Jäger’ für ihn zu gewinnen. Aber zu jener Zeit hatte Bomba nicht so recht an dieses Versprechen geglaubt.

Und jetzt hatte er ohne jede Mühe selbst diese möglichen Verbündeten gefunden und zugleich einen ausgezeichneten Eindruck auf sie gemacht. Als Lowando nun vorschlug, dass der weiße Junge ein Blutsbruder des Stammes werden sollte, war Bomba natürlich sehr erfreut.

„Unser Stamm wird Bomba in seine Reihen aufnehmen“, versprach Lowando. „Unsere Jäger werden stolz auf den neuen Stammesbruder sein, wenn sie erfahren, wie Bomba den Löwen besiegt hat.“

„Deine Worte sind gut, Lowando“, erwiderte Bomba nach einer angemessenen Frist des Nachdenkens. „Aber ich will ehrlich sein und dir sagen, dass ich nicht lange die Gastfreundschaft deines Stammes genießen kann. Meine Heimat ist jenseits des großen Wassers, und dort wartet auch meine Mutter auf meine Heimkehr.“

„Es soll so sein, wie Bomba es will“, sagte Lowando sofort. „Wenn Bombas Götter ihn über das große Wasser zurückrufen, dann kann er gehen, wann es ihm beliebt. Aber bis zu diesem Zeitpunkt wird er bei uns bleiben und uns auf vielen Löwenjagden begleiten.“

Bomba forschte eindringlich im Gesicht des Häuptlings. Die letzten Worte hatten besonders grimmig geklungen.

„Du bist ein großer Feind der Löwen, Lowando“, sagte er nachdenklich. „Hast du einen besonderen Grund dafür?“

Der Häuptling runzelte die Stirn und nickte.

„Dort, wo unser Stamm lebt, sind die Löwen sehr zahlreich. Sie überfallen unsere Herden und schleppen die fettesten Tiere fort. Aber nicht genug damit: sie überfallen auch Frauen und Mädchen, wenn sie am Fluss Wasser holen, und sie schleichen sogar nachts in unsere Dörfer und fallen in den Hütten auch schlafende Männer an. Sie mögen verflucht sein!“ Er machte eine heftige Gebärde und zog etwas aus seinem Beutel. „Schau! Das sind die Ohren von zwei Löwen, die wir gestern mit den Speeren erlegt haben. Wir sind auf der Fährte der Löwen in dieses Dschungelgebiet gekommen. Es ist Sitte unseres Stammes, für jeden getöteten Krieger zwei vom Geschlecht seines Mörders zu erlegen. Wir bringen also jetzt die Ohren der beiden Löwen zurück, damit der ganze Stamm weiß, dass wir unseren Bruder wirklich gerächt haben.“

„Dein Volk kann stolz auf dich sein, Lowando“, sagte Bomba. „Es ist gut, im Dschungel tapfer zu sein, denn nicht nur der Löwe ist dort der Feind des Menschen. Es gibt noch andere Feinde.“

„Richtig.“ Lowando nickte grimmig. „Es gibt die Schlangen, die mit ihrem Giftbiss einen Mann töten können. Es gibt die Leoparden und Panther, die wilden Hunde, die Krokodile und das gewaltige Nashorn. Es gibt die wilden Büffel und die bösartigen Gorillas. Und es gibt noch einen gefährlicheren Feind — “

Der Häuptling zögerte.

„Wer ist das?“ fragte Bomba.

„Die blutdürstigen Kannibalen, die Menschenfleisch verzehren.“

Jetzt endlich hatte Bomba das Gespräch zu einem wichtigen Punkt gelenkt.

„Sind die Kannibalen auch schon über deinen Stamm hergefallen, Lowando?“ fragte er.

„Ja. Und Sie sind schlimmer auf ihren zwei Beinen wie die Löwen auf ihren vier. Sie schleichen nachts an unsere Dörfer heran und brennen und morden. Dann schleppen sie auch noch Gefangene mit sich fort, um sie — wie die wilden Tiere — zu fressen. Die Kannibalen sind den Göttern verhasst, und deshalb wird auch zwischen unserem Stamme und ihnen ewiger Krieg herrschen.“

Bomba schwieg eine Weile, ehe er die nächsten bedeutsamen Sätze sprach.

„Ich habe Lowandos Worte gehört“, sagte er schließlich gemessen. „Und ich bin froh, dass die ‚Bemalten Jäger“ ebenso denken wie ich. Auch ich bin ein Feind der Krieger, die Menschenfleisch essen.“

„Haben sie deinen Stamm angegriffen?“, fragte Lowando.

Bomba lächelte unmerklich über die naive Frage.

„Ja, Lowando, sie haben einen Mann meines Stammes mit sich geschleppt, wenn du es so nennen willst. Sie haben meinen Vater in ihrer Gewalt, und ich bin über das Meer gekommen, um ihn aus der Gefangenschaft zu befreien.“

„Das ist schlimm“, sagte Lowando düster. „Aber woher weißt du, dass dein Vater noch am Leben ist?“

„Ich weiß es nicht genau. Aber als die Tage des großen Regens vorbei waren, habe ich meinen Vater noch gesehen. Ich wurde verwundet, als ich an der Seite von Azandes Kriegern gegen die Kannibalen kämpfte. Das war vor dem letzten Vollmond. Ich weiß nun nicht, ob mein Vater immer noch lebt.“

Die letzten Worte hatte er mit leiser, bewegter Stimme gesprochen, und der Häuptling legte ihm tröstend die Hand auf den Arm.

„Dann brauchst du noch nichts zu befürchten, Bomba. Wenn die Kannibalen deinen Vater bisher nicht getötet haben, muss es einen bestimmten Grund dafür geben, und sie werden ihn deshalb auch noch länger leben lassen. Vielleicht halten sie ihn für einen Zauberer, dessen Tod Unheil über ihr Volk bringen würde. Wenn du unser Blutsbruder wirst, können wir dir vielleicht helfen, deinen Vater zu befreien.“

„Du glaubst, dass das möglich ist?“, fragte Bomba hoffnungsvoll.

„Ich glaube es“, erwiderte Lowando vorsichtig. „Aber darüber muss der große Häuptling Mogolu zusammen mit den Ältesten des Stammes entscheiden. Noch in dieser Nacht wirst du Blutsbruder der ‚Bemalten Jäger’ werden, Bomba. Das kann ich selbst bestimmen. Aber ob meine Krieger mit dir nach deinem Vater suchen können, das muss Mogolu entscheiden.“

„Und wie werde ich in den Stamm der ‚Bemalten Jäger’ aufgenommen?“ fragte Bomba.

„Heute Nacht wird der Löwentanz abgehalten“, erklärte Lowando feierlich. „Und dann wird Bomba die Probe der ‚Drei Nächte’ bestehen müssen, ehe er ein volles Mitglied unseres Stammes werden kann.“

„Die Probe der ‚Drei Nächte‘?“, fragte Bomba verwundert. „Was soll das bedeuten?“

„Das wirst du heute Nacht erfahren“, erwiderte Lowando geheimnisvoll. „Es ist eine Probe, der sich alle unterziehen müssen, wenn sie zu uns gehören wollen. Ich warne dich Bomba: es wird schwer für dich sein.“

„Mag es sein, wie es will!“, rief Bomba. „Es gibt nichts, was ich nicht auf mich nehmen würde, um meinen Vater zu finden.“

4 Die Probe der Drei Nächte

An diesem Abend bereiteten sich die ‚Bemalten Jäger“, die manchmal auch ‚Löwenjäger“ genannt wurden, auf das große Fest vor. Sie nannten es das ‚Fest des Löwentanzes‘. Die Erlegung eines Löwen war für sie ein wichtiges Ereignis, das durch eine feierliche Zeremonie gewürdigt werden musste.

Der tote Löwe lag noch dort, wo Bomba ihn erlegt hatte. Sobald die Dunkelheit sich über den Dschungel senkte, setzten sich die ‚Bemalten Jäger“ um die tote Raubkatze. Es war eine seltsame Zeremonie, die zuerst in tiefstem Schweigen begann. Lange Zeit saßen die Jäger stumm da, und nur die Laute des Dschungels drangen durch die Stille. Hin und wieder war das verstohlene Rascheln eines Tieres zu hören, das heimlich zur Tränke schlich und dann von der Witterung der Menschen wieder vertrieben wurde, oder der heisere Schrei einer jagenden Raubkatze.

Nach langer Zeit begann dumpf eine Trommel zu tönen. Die Laute fielen wie schwere, langsame Tropfen in die Dunkelheit. Tom — tom — tom — tom —

Ganz allmählich steigerte sich das Tempo der Schläge. Unmerklich fingen die Oberkörper der ‚Bemalten Jäger’ an, sich hin und her zu wiegen, und ihre Augen begannen vor innerer Erregung zu glühen. Dann sprang einer in gebeugter Haltung auf und eröffnete mit rhythmischen Gesten den Tanz. Das war zugleich das Signal für alle anderen, ihm zu folgen. Im Takt der Trommelschläge stampften’ die nackten Füße auf den Boden, und in einem seltsamen, wiegenden Hüfttanz umkreisten die Männer den erlegten Löwen.

Bomba erkannte, dass man von ihm und seinen Gefährten ebenfalls die Teilnahme am Tanz erwartete. Sie beobachteten also zuerst die Bewegungen der Männer und ahmten sie dann nach, so gut sie es konnten. Schneller und schneller wirbelte der Kreis der Tanzenden herum. Die ‚Bemalten Jäger‘ stimmten dazu einen monotonen Gesang im Rhythmus der Trommelschläge an. Soviel Bomba davon verstehen konnte, rühmten sie in diesem Gesang ihren eigenen Mut und ihre Geschicklichkeit, die es ihnen ermöglichten, so gefährliche Bestien wie den Löwen zu erlegen.

Schließlich stürzte einer der Jäger vor und stieß die Speerspitze in den Körper des toten Löwen. Die anderen folgten seinem Beispiel, bis der Kadaver dem Körper eines riesigen Stachelschweines ähnelte. Dann wurde das Tempo des Tanzes langsamer und langsamer, und einer nach dem anderen ließen sich die Krieger wieder auf ihre Plätze sinken.

Als der Tanz zu Ende war, stand Lowando auf und wandte sich an Bomba.

„Bomba ist ein großer Jäger“, begann er feierlich. „Wir wollen Bomba gern in unseren Stamm aufnehmen, denn er hat Simba, den Löwen, besiegt, und er ist daher berechtigt, einer der Unseren zu werden. Ehe Bomba jedoch in den Stamm eintritt, muss er den Eid der Blutsbruderschaft leisten und sich der Prüfung der ‚Drei Nächte‘ unterwerfen.“

„Ich werde es tun“, sagte Bomba ernst. „Sage mir, was ich zu tun habe, Lowando, und ich werde es ausführen.“

„Zuerst wirst du den Eid der Blutsbruderschaft leisten. Dann feiern wir ein großes Fest. Du wirst gut essen, damit du stark genug bist, die Prüfung der Drei Nächte zu bestehen.“

„Drei Nächte bedeuten für Bomba nichts“, prahlte Gibo. „Er fürchtet die Prüfung nicht.“

Lowando lächelte mit einer Spur von Überlegenheit.

„Warte es ab, Fremder. Du wirst es erfahren, was diese Prüfung bedeutet.“

Der Häuptling winkte Uwalla heran, einen der Unterführer. Als der Mann kam, sagte Lowando, Bomba solle neben ihn treten. Der Häuptling selbst entfernte sich und kehrte gleich darauf mit einem blitzenden Messer zurück.

Gibos Misstrauen erwachte wieder, als er diese merkwürdigen Vorbereitungen sah, und er gab Bomba ein verstohlenes Zeichen. Aber der Junge winkte ab. Er konnte sich auf seine Menschenkenntnis verlassen, und er wusste, dass Lowando keinen bösartigen Trick versuchen würde.

Der Häuptling trat heran, und Uwalla streckte stumm seinen rechten Arm vor. Mit der Spitze des scharfen Messers ritzte Lowando leicht die Haut des Mannes, so dass das Blut hervorquoll; dann tat er dasselbe bei Bomba. Nun trat er zurück und schwang das Messer.

„Jeder von euch soll jetzt das Blut des anderen trinken. Auf diese Weise werdet ihr Brüder. Und wer einen von uns zum Bruder hat, ist unser Bruder.“

Uwalla ergriff Bombas Arm und saugte einen Augenblick lang das Blut aus dem Schnitt. Bomba musste wohl oder übel die gleiche Prozedur vornehmen, wenn es ihm auch nicht ganz angenehm war. Als er es getan hatte, trat der Häuptling wieder vor und rief:

„Du bist jetzt unser Bruder, aber erst dann, wenn du auch die Probe der ‚Drei Nächte‘ bestanden hast, wirst du es für alle Zeiten sein. Wenn du dabei versagst oder Furcht verrätst, werden wir dich tüten — denn niemand aus unserer Bruderschaft darf Furcht zeigen und am Leben bleiben.“

„Mein Herr weiß nicht, was das Wort Furcht bedeutet!“, rief Gibo. „Hat er nicht allein den Löwen mit dem Speer erlegt? Bomba ist ein großer Jäger und fürchtet weder den Löwen noch Lowando.“

 

„Sei ruhig, oder wir schicken dich allein aus, damit du einen Löwen erlegst“, sagte Lowando. „Würde dir das gefallen?“

„Ich bin kein Löwenjäger“, erwiderte Gibo hastig. „Ich folge nur immer Bomba, wohin er auch geht.“

Der Häuptling brummte geringschätzig irgend etwas vor sich hin und gab dann das Zeichen zum Beginn des Festmahles.

Schon am Nachmittag hatte ein Streiftrupp der ‚Bemalten Jäger‘ zwei Antilopen erlegt, und die saftigen Bratenstücke rösteten bereits am Spieß über einem großen Feuer. Als Lowando jetzt das Zeichen gab, wurden die Bratenstücke an den Spießen zum Kreis der Krieger getragen, und jeder schnitt sich ein Stück ab. Auf den Fersen kauernd, begannen sie dann alle eifrig zu essen.

Auch die drei Dschungelgefährten griffen zu, aber sie konnten bei weitem nicht mit den ‚Bemalten Jägern’ Schritt halten. Wie durch Zauberei waren die beiden Antilopen innerhalb weniger Minuten verschwunden, und nur noch jämmerliche Knochenreste deuteten auf das leckere Mahl hin.

Man hätte glauben können, die Männer wollten nach einem so ausgiebigen Essen rasten. Aber kaum war das letzte Stück Braten verschwunden, als auch die Tänze schon wieder begannen.

Bomba und seine beiden Gefährten nahmen eine Weile an dem Tanz teil, aber schließlich setzten sie sich in einen stillen Winkel und begnügten sich damit, den wilden Sprüngen der Löwenjäger zuzuschauen.

„Was mag nur diese Probe der Drei Nächte sein, von der die Jäger immer sprechen?“, raunte Wafi dem Jungen zu.

„Ich weiß es nicht, aber ich werde es noch herausfinden“, erwiderte Bomba. „Da kommt ja schon Lowando. Vielleicht erklärt er es uns jetzt.“

„Warum tanzt unser Bruder nicht mit uns?“, fragte Lowando und kauerte sich neben ihn.

„Ich kenne noch nicht alle Gebräuche deines Stammes“, erwiderte Bomba. „Darum beobachte ich, damit ich möglichst viel sehe und lerne.“

Der Häuptling nickte zufrieden.

„Das ist gut. Und es ist besser für unseren neuen Bruder, wenn er rastet. Denn morgen Nacht beginnen die Proben, die seinen Mut beweisen sollen.“

„Was muss ich in diesen Nächten tun?“, fragte der Junge nach einer angemessenen Pause, denn er wollte nicht, dass ihn Lowando für neugierig hielt.

„Wir glauben, dass unser neuer Bruder ein tapferes Herz hat. Aber wir müssen dessen sicher sein, ehe er in die Bruderschaft aufgenommen werden kann. Alle, die dieser Bruderschaft beitreten, müssen drei Nächte allein im Dschungel zubringen nur mit einem Speer als Schutz. Was dem Prüfling auch entgegentritt — und wenn es ein Löwe ist — er darf nicht davonlaufen oder auf einen Baum klettern, sondern er muss auf der Stelle kämpfen, wo er steht.“

„Wenn aber drei Löwen zu gleicher Zeit kommen, so dass er keine Hoffnung hat?“, fragte Gibo.

Der Häuptling zuckte mit den breiten Schultern.

„Dann kann er kämpfend sterben oder fliehen. Wenn er aber flieht, wird er kein Mitglied unserer Bruderschaft.“

Bomba blickte Lowando ruhig in die Augen.

„Ich glaube, ich werde nicht fliehen“, sagte er leise. „Ich habe viele Feinde im Dschungel, aber ich habe auch Freunde dort, und es erschreckt mich nicht, nachts mit den Tieren des Dschungels allein zu sein.“

„Das Herz meines jungen Bruders ist stark“, erwiderte Lowando. „Aber in drei Nächten wird der ganze Stamm wissen, ob ihn die Götter schützen und ob sie ihm genug Mut und Kraft geben, allen Gefahren des Dschungels zu trotzen. Wir werden uns jetzt zur Ruhe legen, und morgen, wenn die Sonne untergeht, werden wir dich für die Proben vorbereiten.“

Gleich darauf beendeten die Jäger ihren Tanz. Nachdem Wachtposten bestimmt worden waren, streckten sich alle anderen am Boden aus, und bald lag das ganze Lager in tiefem Schlaf.

*

Die Sonne stand am nächsten Tage bereits hoch am Himmel, als Lowandos ,Bemalte Jäger’ sich gähnend erhoben und die Arbeiten des Tages in Angriff nahmen. Von den Tänzen der vergangenen Nacht schien den meisten noch eine gehörige Müdigkeit in den Gliedern zu stecken, und sie bewegten sich träge und mürrisch durch das Lager.

Als Gibo erwachte, fiel sein erster Blick auf die bemalten Gesichter der neuen Freunde, und er erschrak. Es dauerte eine Weile, ehe er sich die Geschehnisse des vergangenen Tages ins Gedächtnis zurückrufen konnte. Dann fiel ihm ein, was Bomba bevorstand, und er wandte sich zu dem Jungen um, der sich ebenfalls schon aufgerichtet hatte.

„Ich habe Angst um dich, Bomba“, murmelte Gibo. „In der Nacht ist der Dschungel von jagenden Dämonen belebt, die unter den Bäumen umherfliegen. Wie willst du gegen diese Dämonen kämpfen, die unverwundbar sind?“

„Du weißt, dass ich nicht an deine Dämonen glaube“, erwiderte Bomba kurz. „Viel mehr Sorgen machen mir die Schlangen oder die Löwen, die nachts kaum zu erkennen sind, die aber selber so gut im Dunkeln sehen können.“

„Lass mich mitkommen, Herr“, bat Wafi. „Ich bin nicht gern in der Nacht im Dschungel, aber wenn du sterben musst, dann will ich mit dir sterben.“

Bomba lächelte.

„Lowando hat bestimmt, dass ich allein die Probe bestehen muss; also kann ich dich nicht mitnehmen, Wafi. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Der Dschungel war viele Jahre lang meine Heimat, und warum sollte mir hier mehr passieren als im südamerikanischen Urwald?“

Wafi war noch nicht ganz überzeugt, aber er wusste nicht, was er noch erwidern sollte, und deshalb schüttelte er nur brummend den Kopf. Gibo jedoch rief:

„Aber was geschieht, Herr, wenn in diesen Nächten —“

Weiter kam er nicht, denn Bomba unterbrach ihn mit einer raschen Handbewegung, als er sah, dass eine Gruppe der ‚Bemalten Jäger’ auf sie zukam.

„Ruhig jetzt. Die Männer wollen mich für die Probe vorbereiten. Ihr müsst jetzt still sein, denn wir dürfen die ‚Bemalten Jäger’ nicht erzürnen. Ich brauche ihre Hilfe, um meinen Vater zu finden.“

Einige der Jäger trugen Töpfe mit verschiedenen Farben, und sie begannen jetzt Bombas Gesicht und Brust mit den breiten Streifen zu ‚verzieren’, die sie selbst trugen. Der Häuptling stand dabei und murmelte Beschwörungsformeln, die den Prüfling während dieser Zeremonie vor den gefährlichen Einflüssen der Dämonen bewahren sollten. Als die Jäger ihr Werk vollendet hatten, war Bomba so schauerlich bemalt, dass ihn selbst seine Freunde nicht wiedererkannt hätten.

Die waffentragenden Jäger umkreisten ihn jetzt — langsam und mit feierlichen Gesängen. Als der Ritualtanz beendet war, trat Uwalla vor und überreichte Bomba einen Speer, dessen Schaft ebenso bemalt war, wie sein Körper.

„Bruder, nimm den Speer und schlage mit ihm jeden Angriff ab“, sagte er feierlich. „Kehre gesund von der Probe der ‚Drei Nächte‘ zurück. Uwallas Herz begleitet dich und wünscht dir Glück.“

„Ich danke dir, Bruder“, erwiderte Bomba, als er den schweren Speer übernahm. „Ich werde mich bemühen, eurer Bruderschaft der ‚Bemalten Jäger’ würdig zu sein.“

Die Männer nickten beifällig. Dann brach die Gruppe auf, um Bomba zu der Stelle zu führen, die für die Prüfung ausgewählt worden war.

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