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Severins Gang in die Finsternis

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VI

Severin zählte nicht mehr die Zeit, seitdem Mylada seine Geliebte geworden war. In einem einzigen, alles überflutenden, bunten und brennenden Blendwerk vergingen ihm die Tage. Alles was früher eine Bedeutung für ihn hatte, was ihn verstimmte und erregte, verschwand aus seinem Leben, als ob es niemals darin gewesen wäre. Mit der sorglosen Sicherheit des Schlafwandlers kam er den Beschäftigungen nach, die sein Dasein umfriedeten. Er tat seine Arbeit im Bureau, ohne den Druck zu empfinden, der sonst immer auf diesen Stunden lastete. Er fühlte nicht mehr den bösen und heimtückischen Haß in den Dingen, die ihn früher beleidigten und er hatte nur Raum in sich für die grenzenlosen Schwelgereien seiner Liebe. Niemals hatte er geglaubt, daß ein Weib es vermöchte, was er jetzt täglich an sich erfuhr. Die Abgründe einer Glückseligkeit öffneten sich vor ihm, in der er mit wilden und verirrten Sinnen und einer gelähmten Seele untersank.

Mylada verstand seinen Körper. Mit der klugen und hellsichtigen Verderbtheit ihrer erfahrenen Jugend begriff sie sein Wesen und machte sich den Launen untertan, die sie darin entdeckte. Sie fand die Schlupfwinkel seiner Begierden und ging ihnen bis zu den Wurzeln seiner Nerven nach. Sie lehrte ihn die bizarren und zügellosen Spiele der Liebe kennen und ihre Zärtlichkeit berauschte ihn. Ihre Küsse waren erfinderisch und das Glück, das sie ihm bereiteten, war eine sündhafte und verzweifelte Lustbarkeit. Oft, wenn sie an seinem Halse hing und eine wollüstige Wolke ihre Augen verdeckte, verlor er das Gedächtnis der Gegenwart. Das Zimmer, in dem sie weilten, kam ihm fremd und wunderlich vor und die Lampe vor seinem Bette gab ein absonderliches Licht. Er sah die Funken hinter den Lidern Myladas tanzen und eine goldene Welle löschte in seinem Gehirn die Gedanken aus.

Ihr schwacher und zerbrechlicher Leib hatte eine ungeahnte Kraft der Liebe in sich. Es war eine Leidenschaft in ihr, die sich schrankenlos verschenkte, die sich an Severin hing und ihn erschöpfte. Die Frauen waren für ihn immer eine Enttäuschung gewesen. In den Abenteuern mit ihnen hatte die große und zwingende Gewalt gefehlt, die hinreißen und gebieten konnte, die unwiderstehlich und tödlich war. Jetzt brach zum ersten Male der Blitz in sein Leben, der es zerstieß und erhellte. Zuweilen kam ungewollt eine Erinnerung an ihn heran und das Bildnis Zdenkas erschien ihm und bettelte. Wenn er des Nachts aus dem Schlafe fuhr und die Dunkelheit betrachtete, kam es zu ihm und wollte ihn retten. Der Glanz ihrer blonden Haare verfing sich dann noch einmal in seinem Herzen und von fernher läutete ihre Stimme wie eine Glocke. Aber der nächste Tag führte ihn wieder mit Mylada zusammen und an ihrem Munde vergaß er die Welt.

Wenn der Nachmittag kam und die Oktoberschatten an den Wänden zerstäubten, saß er zu Hause und wartete. Die Geräusche der Straße klangen undeutlich und verändert von unten herauf und die vorüberfahrenden Wagen erschütterten die Dielen. Manchmal blieb ein Sausen und Stampfen in seinem Kopfe, das ihn erschreckte und das er nicht loswerden konnte. Er hielt sich die Ohren mit den Händen zu und merkte, daß es von innen kam und daß der Lärm in ihm war. Eine angstvolle Bangigkeit wühlte in seinen Gedärmen. Bis dann die Klingel ging und Mylada in sein Zimmer trat und den Mantel öffnete.

Er liebte alles, was zu ihr gehörte. Jedes Kleid, das sie auf ihrem glühenden Körper trug, wurde ihm zum Fetisch. In den Maschen des Schleiers, den sie einmal in seiner Wohnung zurückgelassen hatte, suchte er ihren Atem zu erwecken und der Duft der Handschuhe, die er ihr stahl, tröstete ihn in den Stunden, wo er sie nicht besaß. Wenn sie mit grausam tändelnden Fingern sich vor ihm entkleidete, dann warf ihn das Verhängnis vor ihre Füße, dem er nicht mehr entrinnen konnte und vor dem er in die Knie fiel. Schluchzend, von einer überirdischen Seligkeit gepeinigt, berührte er ihr Hemd mit den Lippen.

Er wußte, daß er Zdenka endgültig und für immer geopfert hatte, als er sie um Myladas willen verließ. Aber es war zu spät für die Umkehr und es war ein leerer und gespenstischer Gedanke für ihn, daß es eine Zeit gegeben, die nicht bis zum Rande von der Liebe voll war, die ihn verzehrte. Oft, wenn er sie in die Arme schloß und wenn sie sich wie ein ungebärdiges Kind auf seinem Schoße zusammenrollte, dann schauten ihn die Augen der Nonne unter ihren Wimpern an, die er im Sommer auf ihrem Kirchgang begleitet hatte. Er erzählte ihr seine Begegnung und daß er sie lächeln gesehn, als er an ihrer Seite das Gegrüßet seist du Regina! betete. Mylada lachte und begann von ihrer Schwester zu sprechen, die schon seit Jahren tot war und nannte ihn einen Geisterseher. Aber Severin ließ es sich nicht nehmen und blieb bei seiner Geschichte. Klar und wirklich stand das weiße Gesicht des jungen Weibes vor seiner Seele und in seinem Innern glomm das schwüle Feuer unheiliger Wünsche weiter, an dem er sich damals entzündet hatte.

Mylada ließ ihm seine Phantasien. Mit dem reizbaren Instinkt, mit dem sie die Männer beherrschte, erkannte sie bald, daß sich hier eine Quelle neuer und komplizierter Genüsse verbarg, die sie ausgraben mußte, um sie zu verkosten. Einmal kam sie später als sonst, als schon die Dämmerung des Herbstabends sein Zimmer verdüsterte. Fiebernd, von der Erwartung zerstört, öffnete er die Türe. Und vor ihm stand wortlos und ruhig, die frommen Hände über der Brust gekreuzt, die junge Nonne, wie er sie einmal unter den Ufer-Akazien gesehn hatte. Die Kutte floß weit und faltig über ihre Glieder und unter der schwarzen Haube glänzten die Sternenaugen.

Regina! stammelte er.

Da fiel sie ihn mit einem Jauchzen an und ihre Lippen saugten sich in seinen Mund. An ihren Küssen erst erkannte er Mylada. Er riß das rauhe Kleid entzwei, unter dem ihr Fleisch wie eine matte und schöne Seide schimmerte. Er nahm sie um den Gürtel und trug sie auf sein Bett.

Regina! Regina!

Und ein wunderbares und überlebensgroßes Glück rann ihm wie siedendes Metall ins Blut und brannte in sein armes, von der Liebe bewältigtes Herz eine süße, korallenrote Narbe.

* * *

Die Nächte, die auf diese Nachmittage folgten, verbrachte Severin von nun an in der »Spinne«. Abgesondert von den übrigen, saß er auf seinem Platz und sah den Gästen zu, die sich um Mylada bemühten. Sie hatte für jeden ein Wort, ein Aufleuchten der Stimme, ein halblautes Versprechen, das jeder für sich allein zu besitzen glaubte und das die Wangen eines jeden mit einer verschwiegenen Röte färbte. Zwischendurch aber flog ihr Blick zu Severin hinüber und wenn sie an ihm vorüberging, streifte sie mit den Fingern über sein Haar. Sie sah ihn an, wenn sie die Lieder sang, die er liebte und in denen die Musik seiner Kindheit mitklang. Auch sie besaß die wiegende und schwärmerische Anmut der slavischen Frauen, die ihn bei Zdenka bestochen hatte. Aber in ihr war eine gefährliche Behendigkeit, eine listige Sentimentalität, die an der Oberfläche haftete und die ihr Wesen nicht enträtselte. Severin trank den tiefroten Wein, den Karla ihm eingoß und rührte sich nicht. Er nahm keinen Anteil an der Fröhlichkeit, die sich an ihn drängte und sie erweckte ihn nicht aus seinem Versunkensein. Mitten in der exaltierten Tollheit der andern war er mit Mylada allein und er dachte heimlich an die Stunde, wo sie ihm wieder gehören würde.

Es war schon hell, wenn er am frühen Morgen sein Glas austrank und auf die Straße trat. Ein Mann mit einer Stange über den Schultern ging vor ihm her und drehte die letzten Laternen aus. Eine Truppe geschwätziger Weiber kam ihm entgegen, die große Körbe auf dem Rücken schleppten. Es waren die Händlerinnen, die das Gemüse auf den Frühmarkt trugen. Ohne sich erst auszukleiden, legte er sich zu Hause zum Schlafe nieder.

Einmal, als sich wieder bei Tagesanbruch die Türe des Weinhauses hinter ihm verriegelte, stand Nathan Meyer neben ihm. Sein dünner Mund verzog sich höhnisch, als er Severin begrüßte und mit ihm noch ein Stück weit durch die Gasse ging. Er räusperte sich unruhig und schüttelte den Kopf beim Abschied.

Sie ist ein Luder! – sagte er mehrmals durch die Zähne und Severin wußte nicht, ob darin Freude oder eine Warnung lag.

Mit einer sonderbaren, fast väterlichen Miene sah ihm der Russe in die Augen.

Sie ist ein Luder, Severin: – – Glauben Sie mir, – sie ist ein Luder!

VII

Wie eine Stichflamme, die jählings in die Höhe fährt und die Brandnacht schrecklich erleuchtet, war die Liebe zu Mylada in das Leben Severins gekommen. Ein furchtbares und einsames Grauen umfing ihn nun, als sie sich von ihm abwandte und ihn nach einigen Wochen einer selbstvergessenen und eigenwilligen Laune wieder den frostigen Schatten überließ. Er vermochte es nicht zu glauben, daß er wieder allein war. Die Glut hatte seine Seele wie ein taubes Gehäuse ausgehöhlt und er verstand es nicht, daß nur die Asche davon übriggeblieben war und der Schmerz vereiterter und häßlich flackernder Wunden. Mit der Raserei des Verlorenen bäumte er sich gegen das Schicksal.

Jeden Tag wartete er in seinem Zimmer auf ihren Besuch. Der Zeiger der Stockuhr ging knackend an den Viertelstunden vorbei und es wurde spät. Mylada kam nicht mehr. Er schlug mit dem Gesichte auf die Erde und aus dem entstellten Munde floß der Speichel und das Blut und durchnäßte den Teppich.

Abends in der Weinstube packte er ihren Arm. Er grub seine Nägel bis auf den Knochen, daß sie schwankend nach Hilfe schrie und mit wütenden Bissen sein Handgelenk zerfleischte. Endlich riß sie sich los.

Ich will nicht mehr! Es ist zu Ende!

Von Ekel geschüttelt, floh er auf die Gasse. Ein Luftstoß entführte ihm den Hut, aber er beachtete es nicht. Barhäuptig, vom Jammer vernichtet, lief er durch die Nacht und das Entsetzen kam riesengroß hinter ihm her und er konnte ihm nicht entweichen. Die Uniform eines Schutzmannes blinkte neben ihm auf und eine befehlende Stimme rief ihn an. Severin antwortete mit einem Fluche und rannte weiter.

 

In den Feldern hinter der Vorstadt blieb er stehn. Der Atem quoll ihm röchelnd aus der Kehle, seine Adern klopften und drohten seinen Hals zu zersprengen. Er riß sich den Kragen auf und allmählich gelang es ihm wieder, sich zu besinnen. Die Wolken, die über den Himmel trieben, zerteilten sich für eine Weile und entblößten den Mond. Severin erkannte die Landschaft. Ein verfallenes Gehöft erhob sich in der Nähe, das schon seit langem niemand mehr bewohnte. Im Sommer nächtigten die Stromer zwischen den zerspaltenen Mauern und bei Tage suchten noch manchmal die Lumpensammler in dem alten Kehricht nach Schätzen.

Ein paar Schritte weiter mündete der Fußweg auf der Landstraße ein. Der Neubau der großen Fabriken ragte an ihrem Rande und dahinter begannen die Friedhöfe. Seit dem Tode des Doktor Konrad war Severin nicht in dieser Gegend gewesen. Seine Gedanken gingen über die Tage hin, die seit dem Begräbnis verflossen waren und fanden sich zerstückelt und erschreckt in der Wirklichkeit zurecht. Der Mond verschwand und über den Feldern ballte sich die Finsternis. Severin lief weiter. Immer mehr entfernte er sich von der Stadt und kehrte ihren trüben Lichtern den Rücken zu. Der Nachtwind kämmte seine Haare und griff ihm durch das offene Hemd an seine nackte Brust. Sein Blut wurde ruhiger und stürmte nicht mehr. Hinter dem Gittertore des Kirchhofs stand der Baum neben dem Grabe Konrads, der ihn einmal bis in den Schlaf verfolgt hatte. Severin lachte, als er vorüberkam. Er nahm eine Scholle von der Erde auf und warf sie über die Mauer.

Eine furchtsame Müdigkeit fesselte seine Füße. Er dachte an das Gehöft an der Straße. Wenn er sich dort bis zum Morgen verkroch, mußte er nicht mehr in die Stadt zurück und er wollte schlafen. Es fiel ihm ein, daß sich erst kürzlich die Zeitungen mit dem Bauernhofe beschäftigt hatten. Ein Selbstmord war dort geschehn und man fand die Leiche eines Offiziers zwischen dem alten Schutte. Severin hatte ihn gekannt; es war ein Stammgast aus der »Spinne«. Er erinnerte sich an den Abend, als Karla die Nachricht von seinem Tode in die Weinstube brachte. Damals kümmerte er sich nicht darum, weil ihn die Liebe zerwühlte und ihm Augen und Ohren verschloß. Jetzt sah er deutlich den Zusammenhang. Ein trostloser, mit Geschwüren beladener Haß brach in ihm auf; er hob die Hand und drohte mit der Faust in die Dunkelheit.

* * *

Die Zeit, die dieser Nacht nachfolgte, brachte Severin den Niederbruch. Die zähe Lebenskraft, die er besaß und die allen Ausschweifungen und Krisen standgehalten hatte, zerbrach und zerbröckelte unter der Gewalt einer hoffnungslosen Traurigkeit. Er meldete sich krank und ging nicht mehr in sein Bureau. Es war ihm unmöglich, etwas zu tun und zu denken, das nicht zu der selbstquälerischen Lust in einer Beziehung stand, mit der er seinen Schmerz genoß und immer wieder von Anbeginn erneuerte. Ein unbarmherziger und verwahrloster Zorn überfiel ihn nach Stunden einer in sich gekehrten Teilnahmslosigkeit. Dann trat ihm der Schaum vor die Lippen und er erstickte seine gräßlichen Schreie in den Kissen des Bettes. Mit den geballten Händen zerschlug er das Glas des Spiegels, das ihm seine zerrissene Stirne und seine vom Wachen getöteten Augen zeigte. Er ging den Leuten aus dem Wege, die ihn auf der Straße ansahn und sich vorsichtig nach ihm umwandten, wenn sie sein graues Gesicht mit den verquollenen Tränensäcken erkannten.

So fand ihn Nathan Meyer eines Abends vor der »Spinne«. Er starrte in den Lichtkreis der Türlampe und seine Zähne schlugen aneinander, als Nathan auf ihn zukam und seine Hand auf seine Schulter legte.

Gehn Sie nicht mehr da hinein! sagte er.

Seine Stimme war weich und es klang jener zärtliche und bestimmte Grundton darin, mit dem die Erwachsenen zu den Kindern reden.

Gehn Sie nie wieder da hinein, Severin!

Dann faßte er ihn unter den Arm und führte ihn die Treppen hinauf in seine Stube. Severin folgte ihm, ohne sich zu sträuben.

Was wollen Sie von mir, Nathan? – fragte er nur und sein geschwächter Körper lehnte sich an die große Gestalt des Mannes.

Nathan Meyer schraubte die Lampe auf und rückte seinem Gaste einen Stuhl zurecht. Er stellte eine Schachtel mit den langen und schmächtigen Zigaretten vor ihn hin, die er aus seiner Heimat bezog und die er selbst unaufhörlich eine an der andern entzündete.

Rauchen Sie!

Und dann begann er mit langen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehn. Severin saß und hörte ihm zu. Es war dasselbe, was er schon damals im Kaffeehause erfahren hatte. In kurzen, von der Erregung zerhackten Sätzen predigte der Russe den Krieg gegen die Welt. Aber es war noch etwas anderes, was sich in seinen Worten verriet, eine freundschaftliche Anteilnahme, eine ungeschminkte Besorgnis, die ihn aus seinem Munde sonderbar berührte und die er sich nicht zu erklären wußte.

Was wollen Sie von mir? – fragte er noch einmal.

Nathan Meyer blieb vor ihm stehn.

Ich habe Sie gern, Severin!

Er neigte sich lächelnd vor.

Sie gehören zu uns! Sie gehören zur Gilde!

Zur Gilde? – Was ist das?

Aber er erhielt keine Antwort auf seine Frage. Nathan klapperte mit dem Schlüsselbunde und schloß den Schreibtisch auf.

Sie können unterdessen die Dinger da besichtigen, während ich unten eine Flasche Wein besorge. – Aber geben Sie acht mit Ihrer Zigarette!

Severin erhob sich und zog neugierig die schwere Lade auf. Nathan Meyer hatte ihn allein gelassen und ein merkwürdiges Gefühl überkam ihn in dem Zimmer, wo die Bücherregale die Wände bis zur Decke verkleideten und der Lampenschein auf den alten Möbeln flimmerte. In der Truhe ruhten wohlverwahrt eiserne Sprengbomben in allen Formen, kugelförmige Handgranaten, eirunde und viereckige Büchsen mit weißen Zündschnuren nebeneinander.

Severin stand mit gebeugtem Rücken vor der geöffneten Lade. Ein hellroter, wollüstig schleppender Gedanke ging durch sein Gehirn und seine Hände stießen schlotternd gegen die Manschette. Wählerisch prüfte er ein jedes Stück mit den Augen. Ein mittelgroßes, wunderlich gestaltetes Ding lag wie ein schwarzes Herz zwischen den andern. Severin nahm es und schob es in die Tasche.

Nun? – meinte Meyer, als er mit zwei Gläsern und einer gefüllten Karaffe wieder ins Zimmer trat.

Ein Spielzeug für Kinder! murmelte er verächtlich, als Severin stillschwieg und sperrte den Schreibtisch ab.

Kommen Sie, wir wollen ein Glas auf die Gilde trinken!

VIII

Nach Wochen einer grausam verlorenen Einsamkeit konnte Severin sein Verlangen, Mylada wieder zu sehn, nicht mehr bezähmen. Die blutleeren Gespinste, die seine Phantasie ihm vorgaukelte und die er im Schatten der Nächte verfolgte, führten ihn immer wieder zu der Stelle hin, wo das Licht der Weinstube wie ein großes und blendendes Rad auf die Gasse fiel. Nathans Mahnung fand keinen Widerhall mehr in seiner Seele. Geduckt vor Scham und von Sehnsucht verwüstet, fand er sich eines Abends wieder in der »Spinne« ein.

Er brachte es nicht mehr über sich, den letzten und bittersten Stachel seines Leidens länger zu entbehren. Mylada sah über ihn hinweg, wie über einen fremden und unbekannten Gast. Aber an ihrer Stimme, die sich lüstern bog, an ihren Augen mit der goldenen Arglist in den Pupillen, entfachte er das Gedächtnis an ihre Leidenschaft und ihre böse und verderbliche Liebe. Er rief jene Stunde in seine Erinnerung zurück, wo sie als Nonne verkleidet zu ihm gekommen war. Er schauerte und seufzte unter ihren Küssen und hielt entzückt den Spuk in seinen Armen, der ihn einmal im Sommer unter den Akazien verwirrt hatte.

Nun saß er mit aufgestützten Armen unter den anderen. Zwischen den vorgehaltenen Fingern hindurch sah er Mylada mit den Männern scherzen und fand die Linien ihres Leibes unter dem Gewand. Der Buchhändler Lazarus schaukelte sie auf den Knien. Sein Kahlkopf drängte sich an ihre Brüste, und Severin sah die Furchen seiner Schädelknochen unter der gespannten Haut. Der Abend kam ihm in den Sinn, wo er mit dem Feldstein bewaffnet durch die Stadt gelaufen war, um einen Menschen zu töten. Mylada spielte mit dem Barte, der ungepflegt und schütter von den schlaffen Kiefern des Alten hing, und in ihren hellen Augen ging die Wolke auf, die er darin kannte. Ein widerwärtiges Gefühl rutschte ihm wie eine schleimige Faust durch die Kehle. Er trank sein Glas leer und ging auf die Gasse.

* * *

Draußen breitete sich der tiefe und unausschöpfliche Nachthimmel des Winters über die Stadt. Es war nirgends ein Stern zu sehn und der abziehende Herbst schleifte eine klebrige, naßkalte Schleppe von Dünsten hinter sich her und fegte damit das Pflaster. Bei der Maschine eines fahrenden Teekochers blakte ein winziges Lämpchen; zwei Dirnen mit Federhüten und hellgelben Sommermänteln nahmen dort eine hastige Mahlzeit ein und unterhielten sich lachend. Severin trat hinzu und kaufte ein paar Zigaretten. Eines der Mädchen sprach ihn an und bettelte um ein Zwanzighellerstück. Er griff in die Tasche und reichte ihr eine Handvoll Silbermünzen.

Eine gleichgültige und verschlossene Herbheit hatte sich seiner bemächtigt. Er wußte nicht, wohin er gehn und was er beginnen solle. Aus dem teppichbelegten Hausflur einer Bar schlug ihm ein warmer Fuselgeruch ins Gesicht, und der Portier legte grüßend die Hand an die Mütze. Severin gedachte der Jahre, wo er sein Leben in solchen Lokalen verschlagen hatte. Ein bohrender Wunsch nach dieser Zeit übermannte ihn. Damals besaß er eine Zufluchtstätte. In der Dürftigkeit und in der Enge seines Daseins war er nicht allein; einfältige Begierden leisteten ihm Gesellschaft, weinerliche Ahnungen von der Größe und der Irrsal der Welt. Jetzt wußte er es besser. Zerstört und beschmutzt, verbraucht und entkräftet ging er im Unrat zugrunde, weil ihm ein Animiermädchen den Laufpaß gegeben hatte.

Jetzt konnte er auch das Wort verstehn, das Nathan Meyer im Munde führte. Es gab welche, für die der Glanz des Lebens nur ein Trugfeuer war. Höhnische mit unseligen Händen, Parias, die eine hündische Angst durch die Straßen hetzte, Mörder und Gezeichnete. Das war die Gilde, zu der auch Severin gehörte.

Er hatte es immer gefühlt, schon damals, wie er als Knabe in dem wilden Buche las und nach Abenteuern hungerte. In den blassen Flammen seiner wurmstichigen Jugend war immer ein rötlicher Rauch gewesen, der aus den schlimmen Verstecken seines Herzens kam. Das Glück der andern war ihm ein kindisches Bilderrätsel. Planlos hatte er mit dem Schicksal gespielt und war an seinen armseligen Mausefallen vorbeigestolpert, ohne sich zu verletzen.

Er sah auf und merkte, daß er im Kreise beständig denselben Weg gegangen war. Das Lämpchen des Teekochers glomm vor ihm in der kleinen Laterne, und die weiße Schürze des Mannes leuchtete in der Finsternis. Severin unterdrückte ein Schluchzen. Der da hatte ein Heim und das Kerzenstümpchen in dem zerbrochenen Glase brannte in einem friedfertigen Licht.

Und er? Und Severin?

Tief, in der innersten Seele spürte er einen Schmerz. Ein süßes, unter Scherben und Kehricht vergrabenes Frauenbild hob das vergrämte Antlitz zu ihm. Aber er warf den Kopf in den Nacken und wollte es nicht sehn.

Oder doch? War es möglich? –

Eine linde und beschämende Schwäche löste seine Glieder. Vor den Torstufen eines Hauseingangs sank er in die Knie und kühlte seine Stirne an den Steinen. Er faltete die Hände und schloß die Augen, und gerade über ihm in dem schmalen Ausschnitt, den die Gasse für den Himmel frei ließ, kam ein schüchterner Stern zum Vorschein und strahlte.

* * *

Eine dünne, lichtgraue Helle kündigte den Morgen an, als Severin sich aufraffte und die Richtung gegen den Altstädter Ring einschlug. Die bunten Straßenplakate zeigten schon ihre flüchtigen Umrisse an den Wänden, und der Mann mit der Teemaschine rüstete sich zur Heimfahrt. Vor der Ringapotheke lehnte ein Frauenzimmer mit übernächtigen Augen und zog an der Glocke.

Der Hausbesorger hielt ihm verschlafen die verschwitzte Hand entgegen und nickte zufrieden, als er den späten Besucher erkannte. Severin gab ihm ein Geldstück und stieg die Treppen zu Zdenkas Wohnung hinauf. Eine endlose Pause setzte sein Herz zu schlagen aus, bevor er an die Türe pochte.

Ein Geräusch ward drinnen vernehmbar.

Ist jemand hier? – fragte eine Stimme.

Ich bin es – Severin!

Die Türe öffnete sich und eine heiße Hand führte ihn in das Zimmer. Die Petroleumlampe mit dem grünen Schirme qualmte auf dem Tische. Zdenka war im Hemd. Das Haar fiel ihr in blonden Ringen auf den Hals und sie zitterte vor Kälte.

Warum kommst du zu mir? – fragte sie ruhig.

 

Severin nahm den Hut ab und hielt ihn in den Händen. Er schaute sich um und umfaßte die Stube mit einem langen, abschiednehmenden Blicke. Das Frühlicht rann durch die Fenstervorhänge herein und machte den Schein der Lampe klein und ärmlich. Neben dem Bette stand der Schrank, in dem Zdenka die Kleider und die Wäsche aufbewahrte. Die violette Porzellanvase auf der Truhe hatte einen Sprung und von dem Henkel war die Farbe losgegangen. Ein vertrockneter Blumenstrauß stak darin, den sie einmal im Sommer miteinander im Walde gepflückt hatten.

Zdenka sah ihn an und wartete. Das Hemd glitt über ihre nackte Brust und sie zog frierend die Schultern zusammen. Mit einer eingelernten und mechanischen Bewegung streckte er die Arme aus. Aber er ließ sie wieder sinken.

Warum bist du gekommen? – –

Da kehrte er sich um und ging zur Türe hinaus.