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Severins Gang in die Finsternis

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IX

In der Nacht war der Sturm gekommen und lief brüllend die Straßen auf und nieder. Aus der Ebene hinter den Grenzgebirgen hatte er eine schwere und dunstige Wärme mitgebracht und klatschte das Schneewasser von den Dächern. Severin lag wachend in der Finsternis. Das Fieber trieb den Schweiß aus seinem Körper und erhitzte sein Blut. Das Fenster klapperte und manchmal kam ein dumpfes Geräusch von unten herauf, wenn das Haustor in den Angeln stöhnte. Der gelbe Blitz eines Wintergewitters erhellte für einen Augenblick das Zimmer und in seinem Lichte glaubte Severin plötzlich das Bild zu sehn, das über dem Kopfe Susannas in dem Laden des Buchhändlers hing. Nun wußte er, wo er den Baum schon einmal gesehn hatte. Bei dem Begräbnis Konrads war es gewesen: an der Friedhofsmauer auf dem Platze, der für die neuen Gräber bestimmt war. Severin hatte ihn immer angeschaut, während die Leute den Sarg in die Erde hoben und in dem kalten Lichte des Tages war er ihm sonderbar und grotesk erschienen.

Er zog die Decke zum Halse und ihn fror. Ein großer Kummer bedrückte ihn, über den er sich keine Rechenschaft zu geben vermochte. Er dachte an den törichten und grausamen Besuch am Tage vorher und daß er den Raben getötet hatte. Draußen schlug der Sturm das klirrende Glas der Laternen entzwei und fuhr gurgelnd in den Kamin.

Matt und verschlafen ging er am Morgen ins Bureau. Auf den Gassen stand das Wasser in breiten Pfützen und der Wind war noch immer sehr heftig. Der Hut flog ihm vom Kopfe und fiel in den Kot. Severin bückte sich und setzte ihn wieder auf. Von der Krempe rann ihm der kühle Schmutz in die Stirne, aber er kümmerte sich nicht darum. In den Vormittagsstunden, während er rechnete und schrieb, ging draußen von Zeit zu Zeit ein strichweiser Regen nieder und prasselte gegen die Scheiben. Severin stand auf und sah auf die nassen Steine im Hofe hinunter. Eine fade Übelkeit stieg ihm wie eine glatte Kugel in die Kehle. Früher als sonst ging er nach Hause und warf sich wieder auf sein Lager. Aber der Schlaf wollte nicht kommen. Wenn er die Augen schloß, hatte er das Empfinden, daß er stetig und unaufhaltsam in die Tiefe fiel.  Ein  stumpfer  Gedanke brannte beständig hinter seinen Schläfen, daß er entsetzt das Gesicht in die Kissen vergrub.

* * *

Der Wind hatte sich gelegt und es war beinahe schwül geworden. In der Stadt brach schon der Abend an und nur noch am Himmel zeichnete das entschwindende Licht schwarzblaue Ränder um die Wolken über den Häusern. Severin ging mit gesenktem Kopfe zwischen den Leuten. Eine maßlose Angst hing wie ein Gewicht an seinem Herzen und machte ihn taumeln. Ein schwerer Gegenstand drückte in der Tasche gegen seinen Leib und er umschloß ihn mit den Fingern. Es war ein großer und runder Stein, den er einmal in den Feldern aufgelesen und nach Hause genommen hatte.

Im Laden des Lazarus Kain brannte die Gasflamme über dem Pulte. Severin sah durch die Glastüre den kahlen und spitzigen Kopf des Buchhändlers. Eine Furche lief in der Mitte gegen die Stirne zu, als ob sich dort die Haut über einem gespaltenen Knochen spannte. Severin überlief es. Er suchte im Hintergrunde nach dem Bilde und erkannte mit einem starren und gequälten Lächeln den Baum, von dem er heute in der Nacht geträumt hatte.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter und als er sich umwandte, stand Susanna vor ihm.

Was tust du hier? – fragte sie und ihre erloschenen Augen drohten. Ihre Gestalt wuchs groß und gebieterisch in der Dämmerung, und Severin sah voll Grauen, daß sie ein Kind erwartete.

Susanna! – flüsterte er.

Zum ersten Male seit Wochen fiel ein Licht in seine nackte Seele. Die Finsternis in ihm zerflatterte und er erschrak.

Warum bin ich hierhergekommen? – dachte er bei sich. Es war still und einsam in der fahlen Gasse und er fürchtete sich vor dem Gesichte der Jüdin. Die Hand, mit der er den Feldstein umkrampfte, fing an zu zittern und sein Blut blieb stehn.

Ich bin doch kein Mörder – sagte er laut und in derselben Sekunde sah er sich selbst in einem unsichtbaren Spiegel, von Lastern entstellt, die ihn erstickten, mit Geschwüren besät, in denen die Verhängnisse wucherten.

Jesus! – rief er und seine Stimme verriet es ihm, daß er gekommen war, um den alten Kain zu erschlagen.

Jesus!

Der Schrei war so furchtbar, daß Susanna erblaßte. Eine Ohnmacht verfinsterte ihre Gedanken und sie sah nur undeutlich und mit stockendem Herzen, wie Severin die Gasse entlang in die Dunkelheit lief.

* * *

Es war schon spät und der Mond stand weiß und ruhig über den Türmen. Die Wolken hatten sich verzogen und es war kühler und klar geworden. Severin ging unter den Bäumen des Belvederes und atmete die feuchte Luft, in der er schon den Geruch des kommenden Frühlings spürte. Unter ihm lag die Stadt im Tale. Hie und da brannten noch ein paar Lichter wie die Augen eines schläfrigen Tieres in der Ferne. Severin erfaßte ein Schauer. Er dachte an die Tausende, die da unten gleich ihm ratlos in einem trüben Leben versanken. Die Erinnerung an die Menschen überwältigte ihn, die ihm begegnet waren und die einer wie der andere sich selbst verloren. Karla, die sich verzweifelt an schleichende Schmerzen wegwarf, Konrad, über dessen Grabe die Erde noch locker war und Susanna, die nun ein Kind von ihm im Hasse gegen den Vater gebären würde. Eine Traurigkeit ohnegleichen zermarterte ihn. Er spähte in den Schatten der Häuser hinunter und sah seine eigene Gestalt, von den Rätseln der Liebe und des Todes vermummt, ruhelos in den Gassen, wo Mordgedanken aus dem steinernen Pflaster aufstiegen und sein Herz verblendeten. Er weinte und seine Tränen waren scharf und verzehrend wie Essig. Er stieß sich die Stirne an einem Baumstamm wund und biß mit den Zähnen in seine Rinde. Die Schauer der Verlassenheit kamen und er sehnte sich nach einem Gesicht, an das er das seine lehnen konnte.

Auf einmal war es ihm, als ob ihn im Dunkeln zwei Augen anblickten, die er lange vergessen hatte. Eine wunderschöne und gute Stimme wachte in seinem Gedächtnis auf und tröstete ihn. Er kehrte um und schritt den Weg hinunter zur Brücke.

* * *

Das Fenster der kleinen Stube auf dem Altstädter Ringplatze war noch hell. Es war immer das letzte in dem großen Hause, das erst spät nach den anderen dunkel wurde. Während der Schlaf vor den Schwellen kauerte und die Fledermäuse an der Uhr des Rathauses vorüberflogen, war Zdenka noch wach und ging erst zu Bette, wenn sie vom Denken müde geworden war und wenn die Lampe zu blinzeln anfing.

Severin war die Treppen heraufgestiegen und wartete vor der Türe. Er pochte und wollte rufen, aber seine Stimme gehorchte ihm nicht.

Severin!

Sie hatte den Riegel zurückgeschoben und stand jetzt glühend und verwirrt im Lichte. Die blonden Haare fielen offen auf ihr Kleid und sie preßte die Hände gegen die Brust. Ihr schmales Gesicht war lieblich, als sie ihm den Mund zum Küssen bot.

Ich wußte, daß du wieder kommst; und ich habe auf dich gewartet –

Er kniete vor ihr und streichelte ihre Hände. Ihm war zumute, wie einem Kind, das sich verlaufen hat und nun endlich daheim ist.

Ich liebe dich – sagte er und wußte, daß es nun endlich die Wahrheit sei. Und dann rief er ihren Namen, zärtlich und feierlich wie noch nie:

Zdenka! Zdenka!

Hand in Hand traten sie zum Fenster und sahen in die Nacht hinaus. Das Gröhlen der Betrunkenen lärmte in den Gassen und der Mondschein glänzte in den Fensterscheiben. Über den Dächern der Stadt hing er wie eine Flamme und hüllte sie in einen weißen Rauch. Severin fühlte, wie etwas Wunderbares geschah, das süßer und gewaltiger war wie die Abenteuer des Buches aus den böhmischen Kriegen. Er neigte sich zu Zdenka und suchte ihren Mund; und als er sie küßte, klang ein Getöse aus der Mondnacht in das Zimmer herein, ein grollender Schlag, als ob die Erde zerbrochen wäre.

Auf der Moldau hatte der Eisgang begonnen.

Zweites Buch
Die »Spinne«

I

Langsam war wieder der Sommer gekommen. Unmerklich ging eine Woche nach der andern an dem Leben Severins vorbei, ohne sein Herz aus der Erschöpfung aufzurütteln, in die es seit dem Ende des Winters geraten war. An dem Abende, wo er in Not und Tränen in der Stube Zdenkas weilte, glaubte er nicht mehr an den Frieden. Und nun war eine wundersame Stille in ihm, die seine Sinne schärfte und in der er lächelnd wie ein Mensch nach einer schweren Krankheit ging. Eine zärtliche Aufmerksamkeit wachte in ihm auf, mit der er die Welt und ihre tausend Kleinigkeiten wie ein Fremder betrachtete, dem alles neu war und der immerwährend staunte. Der Morgen weckte ihn täglich aus einem langen und gleichmäßigen Schlaf und die Sonne stieg heiß und glänzend in sein Fenster, wenn er die Augen öffnete und sie geblendet wieder schloß; oder der warme Regen pochte an die Wand seines Zimmers, der die Luft draußen mit süßen Dämpfen füllte und den er so liebte.

Mit Zdenka war er jetzt immer beisammen.

Er fürchtete sich, so oft ihn die Erinnerung an den Winter überraschte und seine Liebe suchte bei ihr um Hilfe. Mit einer kindlichen Andacht genoß er ihre Gemeinschaft, die sie wieder wie früher an den Sonntagen zu den Erholungsplätzen der Stadt und der Vorstädte führte. In den Biergärten saßen sie mitsammen bei den Konzerten der Militärkapellen, die nacheinander Stücke aus Verdi und Wagner, Wiener Operettenschlager und den Traum eines Reservisten spielten. Die Blätter der Kastanienbäume spannen ein grünes Oberlicht in der Höhe und warfen schaukelnde Sonnenflecken auf die Tischtücher, an denen noch die Feuchtigkeit und der Geruch der Wäschekammern haftete. Severin sah Zdenka in das schöne Gesicht und führte mit der Trägheit des Rekonvaleszenten die Zigarette zum Munde. Die Stimmen der Leute, die an den Nebentischen schwätzten, taten ihm wohl. Aus den Bruchstücken der Gespräche, die zu ihm drangen, sprach das geregelte, behaglich erstickte Tempo eines Lebens zu ihm, an das er sich beglückt verlor.

 

Der Sommer hatte die Stadt in diesem Jahre, wie es ihm schien, ganz besonders verwandelt. Er spürte ihren Blutlauf noch immer im eigenen Leibe, aber es ängstigte ihn nicht mehr. An den Nachmittagen, bevor er Zdenka aus dem Kontor abholte, ging er durch die sonnigen Gassen. Er sah den Männern zu, die das Pflaster besprengten und freute sich, wenn aus den schadhaften Wasserschläuchen kleine Fontänen aufsprangen oder wenn sich hinter den zerstäubten Tropfen ein farbiger Regenbogen entzündete. Am Franzenskai blühten die Akazien. Severin setzte sich auf eine Bank am Rande des Ufers. Unter ihm floß die Moldau und ein Segelboot trieb langsam den Mühlen zu. Ein Schwarm von abenteuerlichen Wolken zog über den Himmel und bedeckte zeitweilig die Sonne.

Severin kannte dieses Bild aus seiner Knabenzeit. Damals hatte er manchmal mit dem Vater unter den Akazien des Kais auf die Tante Regina gewartet. Eine muffige Erinnerung dämmerte schläfrig in seinem Gehirn und das finstere Zimmer im Erdgeschosse tauchte wieder vor ihm auf, das die Tante mit dem alten Fräulein bewohnte. Dort war er immer gerne zu Besuche gewesen. Hinter den weißen Tüllvorhängen des Fensters hing ein Wetterhäuschen und vor seiner Türe stand ein Männchen mit einem Regenschirm aus rotem Blech. Das alte Fräulein war krank, und der Krebs fraß an ihrem gebrechlichen Körper. Auf dem Bethlehemsplatze hatte sie eine kleine Trafik gepachtet, eine hölzerne Bude im Winkel der Häuser, wo sie den Tag über Zigarren verkaufte. In der Wohnstube, die sie mit der Tante Regina teilte, war beständig ein seltsames Gemisch von Gerüchen nach Kellerluft und verdorrten Fronleichnamskränzen, nach Weihrauch und dem trockenen Duft der Tabakvorräte. Für Severin hatte das alles einen besonderen, von kindischen Ahnungen durchzitterten Reiz. Aus dem Zimmer der Tante, das mit Heiligenbildern und geweihten Kerzen, mit zerlesenen Gesangsbüchern und Korallenkreuzen gefüllt war, nahm seine Seele die erste Inbrunst mit nach Hause, von der seine Kindheit heimgesucht wurde.

Ein wenig von dieser Inbrunst regte sich wieder in Severin. Er sah die Kleinseite am jenseitigen Ufer des Flusses und die Karlsbrücke, über die die Ordenspriester in langen Röcken paarweise wie Schüler gingen. Etwas von der Stimmung der Nepomuktage war noch in der Luft zurückgeblieben, die ruhig über das Wasser strich und die welken Blüten der Moldauakazien vor seine Füße kehrte. Auf der Brücke stand noch das Holzgerüst mit den gläsernen Lampen vor der Statue des Märtyrers, wo die Landleute aus den Dörfern alljährlich zusammenkamen, um ihren Schutzpatron zu verehren. Severin gedachte der fieberhaften Erwartung, die das Fest des böhmischen Heiligen in seine Kindheit getragen hatte. Am Vorabende des Johannistages war er mit dem Vater zum Ufer gepilgert, wo sich die Menschen schon seit Stunden stauten. Beim Einbruche der Dunkelheit wurde hier ein Feuerwerk abgebrannt und die dünnen Raketen stiegen mit leisem Geknatter senkrecht zum Himmel. Unten schwammen die lichterbehängten Boote auf dem Flusse, und vor dem Altare des heiligen Nepomuk beteten die Bauern auf der Brücke.

Severin war schon seit Jahren in keiner Kirche gewesen. Die Glut seiner Jugend hatte sich in blinden und lässigen Schwärmereien verbraucht. Aus der Müdigkeit, die ihn hielt und von der er sich absichtslos von einem Tag in den anderen tragen ließ, kam nun die alte und lange vergessene Sehnsucht seiner Knabenseele herauf. Die Nachmittagssonne hatte aus dem Dufte der Akazien und dem Atem des Flusses einen warmen Dunst gekocht, dessen leise Fäulnis ihn erregte. Auf dem Gehsteig des Ufers ging eine Waisenschule spazieren und die gleichgekleideten Mädchen unterhielten sich flüsternd. Eine vermummte Nonne geleitete sie und ihre jungen Augen sahen unter der Kapuze einen Augenblick lang zu Severin herüber. Es waren graue und fromme Augen, mit einem Stern in der Mitte, so wie Tante Regina sie gehabt hatte.

Unschlüssig stand er auf und suchte in den Taschen seines Rockes nach einer Zigarette. Ihm gegenüber glänzte die Firmatafel der Bibelgesellschaft im Licht. Vor vielen Jahren hatte er hier einmal in den Schulferien für billiges Geld eine heilige Schrift gekauft. Er behielt sie nicht lange; sie ging ihm verloren, wie die meisten Bücher, die er besaß. Er dachte nur daran, weil er heute wieder den Wunsch nach den schweren, vom Alter nachgedunkelten Berichten der Testamente und nach der hellen Weisheit der Evangelisten spürte.

Vor dem Monumente des Kaisers Franz spielten die Kinder im Sande. Ein weißbärtiger Greis mit einem grünen Augenschirm und einer verbogenen Brille bot klebrige Zuckerstangen feil und Brezeln mit Salz und Mohn. Severin kaufte den Rest seiner Ware und verteilte ihn unter die Kinder. Der Alte trug vergnügt den leeren Korb nach Hause; die Dienstmädchen auf den Bänken rückten zusammen und kicherten.

Eine weiche und beseligende Ergriffenheit nahm von Severin Besitz, die mit den lange verblaßten Dingen seiner Schulzeit verwoben war. Seine Gedanken tasteten vorsichtig in diese Welt zurück, in den naiven Zauber der Schulkapelle, zu dem scheuen Gefühl, wenn er die kühlen Kommuniontücher mit den Fingerspitzen berührte. Die Musik der Maiandachten fing an in seinem Innern zu klingen, wenn die Orgel sich mit dem Gesange der Marienlieder vereinigte und draußen, wo der Lindenbaum vor dem geöffneten Kirchenfenster wuchs, laut und mit bebender Kehle ein Vogel zwitscherte.

Er war über die Brücke gegangen und hatte das goldene Kruzifix mit dem Hute gegrüßt. Unversehens stand er vor dem Portal der Niklaskirche. Ihre grüne Kuppel funkelte über den Dächern, und auf den Stufen vor dem Tore lag grell und brennend das Licht. Severin trat ein. Aus dem farbigen Dunkel sahn ihn die steinernen Gesichter der Bischöfe an und seine Schritte widerhallten an den Säulen. Die Kirche war leer, nur eine schwarze Frau kniete unweit der Türe. Sie wandte sich um, als er eintrat und er erkannte die Nonne vom Ufer. Ihr Gesicht war weiß und unter der Kapuze brannten die Augen. Severin kniete neben ihr und betete laut: Gegrüßet seist du Regina! Und es war ihm, als ob über ihren Mund hinter den gefalteten Händen ein erschrockenes Lächeln ginge.

II

Karla hatte gemeinsam mit ihrem neuen Freunde eine Weinstube in der inneren Stadt errichtet. Neben der deutschen Universität, wo die Studenten mit den bunten Mützen vor dem riesigen Holztore standen, begann das Gassengewinkel. Aus den niedrigen Einfahrten der Durchhäuser kam ein kühler Hauch und vor den Gewölben der Kaufleute roch es nach feuchtem Filz und vermodertem Leder. Auch reisende Händler nächtigten hier manchmal unter den Laubengängen des Grünmarktes, die mit Schwämmen und frischen Beeren in die Stadt gekommen waren und hier mit ihren Körben den Morgen erwarteten. Bei Tag war da ein reges Leben. Auf den schmalen Fußsteigen drängten sich die Menschen, die Trödler riefen mit singender Stimme ihre Waren aus und die Fuhrwerke rasselten über das holprige Pflaster. In der Nacht verkroch sich der Lärm hinter die trüben Scheiben der kleinen Tanzlokale, nur zuweilen kam eine bezechte Gesellschaft des Weges oder ein Wachmann schlichtete, von einem Kreise von Neugierigen umgeben, eine betrunkene Schlägerei.

Eine feurige Bogenlampe hing vor dem Weinhause in der schwarzen Gasse. Wenn man aus den schlecht beleuchteten Häusern um die Ecke trat, stach einem das Licht in die Augen und durch die Türe klang das gedämpfte Spiel des Klaviers. Bei der Ausstattung der Räume hatte Karla den fruchtbaren und eleganten Geschmack des jungen Nikolaus zu Rate gezogen, den man auch jede Nacht unter ihren Gästen sah. Sie selbst hatte dann durch zügellose Dissonanzen eine aufreizende und besondere Schönheit in das Ganze gebracht, die ihrem Wesen entsprach und die sie nicht missen mochte. Zwar schüttelte Nikolaus nachdenklich den Kopf, als er zum ersten Male das Zimmer betrat. Der tiefe Ton der Tapeten ertrank in dem scharlachfarbenen Brande der Portieren, und über den geliebten schwarzblauen Samt der Tischläufer und Diwandecken hatte die Laune Karlas ein unruhiges und bizarres, blutrotes Herzmuster gestickt. Aber das ungeschulte Temperament, das hier zu Worte gekommen war, riß mit und bezwang. Und wenn Karla am Abende in einem zigeunerhaft wilden Gesellschaftskleide, das ihre schöne Brust und ihre Arme zeigte, das eigenwillige Haar durch eine Kette gefesselt, im Lichte der elektrischen Lampen stand, dann quoll der Wein süßer in die geschliffenen Kelche, und in der Musik war ein wunderbarer und betörender Klang.

Aber das Entzückendste, das die Leute anzog und lockte, war Mylada. Irgendwo hatte Karla dieses Mädchen entdeckt, dessen Herkunft niemand kannte und die niemals zuvor in Prag gesehen worden war. Jetzt saß sie jeden Abend in der Weinstube und ihr mageres Gesicht wurde nicht röter vom Trinken. Sie trug ein einfaches und grünes Kleid, das ihren Leib wie ein dünnes Hemd umhüllte und ihre kleinen und spitzigen Brüste sehen ließ. In wenigen Wochen hatten sich alle Männer in sie verliebt. Sie hatte eine Art, der niemand widerstand, die die Schweigsamsten zum Reden verführte und die Verschlossensten gewann. Ihre hellen Augen, die sich beim Sprechen manchmal umwölkten, konnten den Schwerfälligen bestechen, den Kapriziösen berauschen, den Lasterhaften überwältigen. Sie war ein neuer und aufrührerischer Trick in dem trägen Nachtleben der Stadt. Karla hatte sie als Sängerin engagiert und hie und da sang sie vor den Gästen mit heller Stimme zur Klavierbegleitung ein Lied. Deutsche Chansons, die in den Tingel-Tangeln gerade aktuell waren, tschechische Volksweisen, wie sie die Burschen vor den Türen der Vorstadt am Abende auf der Mundharmonika bliesen. Aber der Reiz ihrer Person hatte nichts mit diesen Liedern zu tun.

Ein ungeahnter Zulauf brachte das Weinlokal Karlas in Mode. Eine schrille Lustigkeit tobte hier in den Nachtstunden bis früh, schrie und stampfte und lachte aus vollem Halse. Draußen auf der Gasse, wo das Bogenlicht brannte, blieben die Passanten stehn und drückten sich neidisch in den Schatten. Der süßliche Elan der Wiener Musik rief sie zurück, wenn sie vorübergegangen waren und legte den Türgriff in ihre Hände. Die Lebensfreude, die drinnen im Walzertakte lärmte, krallte sich um die Einsamen und zog sie in den Lichtkreis der Lampe. Auch von den früheren Bekannten Karlas, die seit dem Tode Doktor Konrads nicht mehr zusammengekommen waren, fanden sich viele ein. Die blonde Ruschena kam und brachte einen dicken, blatternarbigen Maler mit. Sie saß in einer Ecke, schlürfte den sauern österreichischen Wein, den er spendierte und sah mit einem faden Lächeln in die Luft. Erst gegen Mitternacht erschien gewöhnlich Nikolaus. Er kam im Frack und seidener Weste von einem Abendbesuche, und Karla stellte den weißgekapselten Sekt für ihn in den Kühler.

Es war nach einem heißen Tage, als Severin mit Zdenka die erste Visite in der schwarzen Gasse machten. Über der Stadt zog unwillig ein Gewitter auf und sie waren beide müde. Zdenka hatte Hunger und Durst und da schlug Severin vor, einmal zu Karla zu gehn. Er hatte ihre Inserate in den Zeitungen gelesen und hatte auch im Bureau von Mylada sprechen gehört. Es war noch zeitlich am Abend und die Weinstube war leer. Nur der alte Lazarus hockte zusammengekauert in einem Winkel und war betrunken. Er erkannte Severin und begrüßte ihn winkend. Neben ihm saß Mylada in ihrem grünen Kleide und hörte geduldig seinen Gesprächen zu. Ihre hellen Augen schauten mit ruhiger Neugier zu Zdenka hinüber und streiften auch ihren Begleiter mit einem kurzen Blick. Severin sah ihr gebannt in das kleine und magere Gesicht. Ein erschrockenes Widerstreben hatte ihn gefaßt, als er beim Eintreten den Buchhändler erblickte. Jetzt saß er still und verwandelt auf seinem Platze und fühlte ungläubig den Stoß, der sein Blut beklommen und schwer zum Herzen trieb, während er Mylada betrachtete. Ein sonderbarer, ihm seltsam vertrauter Ausdruck in ihren Augen gab ihm zu raten. Zdenka verstummte verlegen, als sie die Falte auf seiner Stirne bemerkte und wagte es nicht, ihn zu stören. Erst als Karla in das Zimmer trat und ihm erfreut die Hände schüttelte, wachte er auf und besann sich. Sie setzte sich neben ihn auf den Diwan und begann flüsternd von Lazarus zu sprechen. Jeden Abend, wenn er sein Geschäft gesperrt hatte, kam er zu ihr und betrank sich. Aber er blieb nicht lange. Wenn sich nach dem Theater die ersten Gäste versammelten, ging er nach Hause.

Und Karla erzählte, wie er manchmal in der Betrunkenheit sinnlose Reden führe und weine:

Oft schlägt er mit den Armen um sich wie ein Vogel, der zu fliegen versucht und krächzt wie ein Rabe. Und dann schreit er wieder nach seiner Tochter – – –

 

Severin wurde bleich. Wie eine Vision sah er den Abend vor sich, wo die Jüdin ihm in der dunklen Gasse begegnet war und ihn verjagte. Er erinnerte sich nicht mehr an ihre Worte; aber er sah ihren Leib, den die Mutterschaft entstellte und zitterte. Er stand auf und ging zu dem Berauschten hin.

Guten Abend, Lazarus! – sagte er – Wie geht es Susanna?

Seine Stimme klang spröde vor Angst und er wunderte sich in demselben Augenblicke, daß er den Mut hatte, zu fragen.

Der Alte stierte in den Wein, ohne den Kopf zu rühren.

Heute ist sie aus dem Findelhause zurückgekommen – –

Und nach einer langen Pause, während die drei Frauen einander ansahen und den Atem verhielten:

Aber das Kind ist tot, Herr Severin, – – – mausetot – – –

Und Lazarus lachte, daß ihm die Tränen über die knochigen Backen liefen.