Harka

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Alles war schnell zusammengepackt, denn die Jägerfamilien besaßen nicht viele Habseligkeiten. Die Frauen und Mädchen kletterten an den Zeltstangen hinauf und lösten die Sehnenstricke, die die Stangenspitzen zusammenhielten; bei dieser Arbeit half auch schon die zehnjährige Uinonah. Harka und seine Spielgefährten und Altersgenossen brachten die Pferde herbei. Den Lastpferden wurden die Rutschen angehängt. Zwischen je zwei Zeltstangen, die sich mit dem einen Ende über dem Pferderücken kreuzten und deren andere Enden nachschleiften, wurde eine Lederdecke gespannt; in diese Decke legte man die Habseligkeiten, dorthinein setzte man auch die Kinder, die schon zu groß waren, um noch von der Mutter auf dem Rücken getragen zu werden, und auch noch zu klein, um selbst zu reiten. Wagen besaßen die Indianer nicht, da sie keine Räder herstellten.

Harka und der neunjährige Harpstennah hatten schon eigene Pferde und schwärmten mit den berittenen Burschen und Kriegern um den sich bildenden langen Wanderzug. Die Frauen und Mädchen ritten die Lastpferde. An der Spitze des Wanderzuges fand sich Hawandschita ein, der über achtzig Jahre alte Zaubermann, dürr, sehnig, ein wenig gebückt stand er da. Ehe der Zug sich in Bewegung setzte, sprach er das uralte Morgengebet um »Nahrung und Frieden« für die ganze Schar.

Dann tat er den ersten Schritt, und Mattotaupa, der Kriegshäuptling, trieb seinen Scheckenhengst an, um vorauszureiten und den Zug durch den sturmverwehten Wald hindurch auf die Prärie zu geleiten.

Der Wanderzug musste den Fluss durchqueren, an dem die Jungen abends zuvor gespielt hatten. Hawandschita und Mattotaupa führten am Ufer ein Stück flussabwärts, um eine Furt in der Mittelrinne zu benutzen, die den Übergang erleichterte. Harka wusste, dass die Furt tausend Schritte abwärts lag, und da hier, noch in der Nähe des bisherigen Zeltlagers, kaum eine Gefahr drohen konnte und die Ordnung für die begleitenden Reiter daher nicht streng eingehalten wurde, ritt er mit Tschetan zusammen ein Stück voraus. Er fand den Platz, wo sich die Rinne verbreiterte und die Wasser seicht über den Sand fluteten. Hier hielten Harka und Tschetan an, warteten und schauten sich ein letztes Mal in dieser Gegend um, die sie seit früher Kindheit gut kannten und nun für lange Zeit, vielleicht für immer, verlassen sollten. Die neuen Jagdgründe, das Ziel der Wanderung, lagen mehrere Tagesritte weiter südlich.

Harkas Aufmerksamkeit richtete sich auf die Verwüstung, die der Sturm auch an den Flussufern angerichtet hatte. Das elastische Weidengesträuch war unversehrt geblieben, aber zwei junge Bäume, die sich auf Schwemmland angesiedelt hatten, waren entwurzelt, und das Wasser sammelte sich in der aufgerissenen Erde. An dieser Stelle blinkte etwas. Harka fiel das auf, und da er Zeit hatte, ritt er hin, um zu prüfen, was denn hier die milchig-blassen Sonnenstrahlen fing und zurückwarf. Er schaute vom Pferd herunter auf den ungewöhnlich glänzenden Gegenstand. Es schien ein kleiner Kiesel zu sein, aber er schimmerte gelb-rötlich, viel schöner als jeder andere, und Harka glitt von dem Pferd, das er sattellos ritt, und bückte sich, um den Fund näher zu betrachten. Es schien wirklich nichts weiter zu sein als ein ungewöhnlicher Stein, den das Wasser früher einmal mitgeführt, dann mit Sand und Erde bedeckt hatte und der jetzt unter den aufgerissenen Wurzeln wieder zutage gekommen war.

Harka wog ihn in der Hand und steckte ihn dann in einen Beutel am Gürtel, um ihn als Erinnerung mitzunehmen. Von dem Wert und der Bedeutung seines Fundes hatte er noch keine Ahnung.

Der Wanderzug näherte sich der Furt wie eine lange Schlange und gewann nach Überwindung einiger Hindernisse im Wald die freie Prärie.

Der starke Wind wehte von Nordosten; die Mähnen der Pferde und die Haare der Jungen flatterten. Von Südosten her schien die Sonne, der man entgegenreiten musste. Sie blendete in die Augen. Alle blinzelten und spähten in die große Weite des Graslandes hinaus. Am ersten Tag bewegte sich der Zug noch durch das allen bekannte Gelände; vom Dorf aus hatte man oft Streifzüge in die welligen Wiesen unternommen, um nach Büffelherden Ausschau zu halten. An diesem ersten Tage konnte auch kaum eine Gefahr drohen, denn der Zug befand sich noch in Jagdgründen, die unbestrittenes Revier der mächtigen Dakotastämme waren.

Das Wetter hellte sich gegen Mittag zusehends auf. Die milchige Atmosphäre wurde kristallklar, und der Nordostwind milderte sich zu einem Luftzug, der mit den vergilbten nassen Gräsern spielte. Harka bedauerte, dass die Präriehunde, diese kleinen Nagetiere, schlau genug waren, um immer rechtzeitig in ihren Erdlöchern zu verschwinden, wenn der Wanderzug sich ihrem Bau näherte. Er kam nicht dazu, den Pfeil auf sie anzulegen. Die Kinder in den Rutschen ärgerten sich, dass die langen Schweife der Pferde ihnen immer wieder über das Gesicht schlugen. Mit dumpfem Geräusch liefen die vielen unbeschlagenen Hufe über das Grasland. Eine breite Fährte, tage-, ja wochenlang lesbar, blieb hinter dem Wanderzug zurück. Hin und wieder dachte Harka noch an die Höhle am Waldhang, die nun schon weit hinter den Wandernden zurückgeblieben war. Niemand im Wanderzug konnte wissen oder auch nur ahnen, was jetzt bei der Höhle und im Wald vorging.

Die Bärenbande wanderte bis zum Abend. Da sich der Aufbruch am Morgen durch den Sturm verzögert hatte, war man bis Sonnenuntergang nicht mehr als fünfunddreißig Kilometer vorangekommen.

Die Krieger wählten einen möglichst praktischen Rastplatz. Rechter Hand erstreckte sich eine Bodenwelle, deren Hang sich zu einem Gewässer hin abflachte. Von den sich leicht zu dem Gewässer neigenden Wiesen hatte die Feuchtigkeit bereits abzusickern begonnen, so dass man die Zelte nicht auf allzu nassem Boden aufzuschlagen brauchte. Der kleine Präriebach löschte den Durst von Mensch und Tier. Holz war nicht vorhanden. Man sah davon ab, Feuer zu machen. Nur der ausgehöhlte, im Innern von einem nie verlöschenden Feuer kohlende Stamm wurde mit seiner Glut auch in dieser Nacht sorgfältig gehütet. Alte Männer hatten ihn auf der Wanderung mitgetragen. Es war seit unvordenklicher Zeit Sitte, das wertvolle Feuer, das fast wie ein Heiligtum gehalten wurde, auf diese mühsame Weise mitzuführen.

Die Rutschen wurden abgehängt und die Zelte aufgeschlagen. Wie die anderen, so schlug auch die Witwe des Weißen Büffel das gewohnte Zelt auf. Es war noch nicht darüber entschieden, welcher Familie sie mit ihrem Sohn zu Schutz und Nahrung zugeteilt werden sollte.

Alle Menschen waren müde und schliefen nach einem kleinen Imbiss in ihren Decken schnell ein. Die Pferde knabberten noch am halbverfaulten Wintergras und suchten die ersten grünen Spitzen, die aus dem Boden kamen. Die Hundemeute hatte sich friedlich zusammengefunden; die Tiere lagen dicht beieinander. Einer wärmte den anderen.

Der Himmel blieb klar, und obgleich der Wind sich gelegt hatte, war es in der Nacht bitter kalt. Einem großen Meer gleich, lief die Prärie in Wellen bis zum fernen Horizont.

Die Stunden vergingen.

Es war schon weit nach Mitternacht, als Harka auffuhr. Ein heller, durchdringender Ruf hatte ihn geweckt. Der Kriegsruf war es nicht gewesen. Den Kriegsruf kannte jedes Kind im Traum und im Schlaf, so oft wurde das schnelle Erwachen auf diesen Ruf hin, das Aufspringen, Zu-den-Waffen-Greifen geübt. Der Kriegsruf war es also nicht gewesen, aber ein Warnruf. Harka trug, wie der Vater, das Messer in der Scheide an einer Schnur um den Hals; er hatte die Waffe heute in der Nacht nicht abgelegt. Bogen und Pfeile hatte er sich neben das Lager geordnet, und als er jetzt aufsprang, hielt er sie auch schon in der Hand. Draußen war Unruhe. Die Hunde jaulten, zornig und ängstlich. Harka hörte das Gedränge und das Stampfen der Pferdeherde und lief aus dem Tipi. Mattotaupas Hengst, der vor dem Zelt angepflockt war, gebärdete sich wie toll und hätte sich gerne losgerissen.

»Bleib bei dem Mustang!«, rief der Häuptling seinem Jungen zu, und schon war er selbst in Richtung der Bodenwelle verschwunden, zu der die Wiesen westwärts anstiegen. Eine Anzahl Männer folgte ihm. Harka erkannte Sonnenregen und einige junge Burschen darunter, und er war sehr unzufrieden, dass er zurückbleiben und das Pferd beim Zelt hüten sollte, aber er musste gehorchen. Aus dem Verhalten der Pferde, der Hunde und der Männer schloss Harka, dass sich hungrige Wölfe herangeschlichen haben mussten. Es konnten nicht die kleinen scheuen Kojoten sein, mit denen hätte die Hundemeute kurzen Prozess gemacht. Angst hatten die halbwilden Hunde nur vor den großen, grauweißen Präriewölfen. Harka versuchte, den Mustang des Vaters an dem ledernen Zügel zu halten, der um den Unterkiefer des Tieres befestigt war, aber die Aufregung des Hengstes, der sich als Leittier der Herde fühlte, war derart, dass Harka weder Pflock noch Zügel traute und sich schnell auf den Rücken des Tieres schwang, um wenigstens dabei zu sein, wenn es ausbrach, und es noch zu lenken. Reiten lernten die Dakotajungen vom vierten Jahr an, und Harka hatte bei Tschetan und seinem Vater eine gute Lehre durchgemacht. Jetzt, mit elf Jahren, war er schon imstande, sich auf dem Rücken eines wild eingefangenen Tieres zu halten. Er kannte den Charakter des kräftigen und entschlossenen Mustangs, auf dem er jetzt saß, und verstand seine Regungen. Dem Tier musste zumute sein wie einem gefesselten Krieger, wenn Frauen und Kinder angegriffen wurden. Harka überlegte kurz und handelte dann kühn: Er kappte mit dem Messer die Lederschnur, die den Hengst festhielt, und ließ ihn zu der Pferdeherde galoppieren. Mit hingebungsvollem Zutrauen wurde der Hengst von den Tieren dort begrüßt.

Die Männer befanden sich unterdessen schon im Kampf mit den hungrigen Raubtieren. Weniger dem Spiel der nächtlichen Schatten als den Schreien, die von dem Höhenrücken her erklangen, entnahm der Junge, dass schon fünf Wölfe erlegt sein mussten. Die Hunde fassten mehr Mut; besonders die großen und starken unter ihnen stürzten vor und nahmen den Kampf mit auf. Harka leitete seinen Mustang mit vorsichtigem Schenkeldruck so, dass er die Pferdeherde ständig umkreiste.

 

Plötzlich wandte sich das Pferd und schlug mit den Hufen hoch aus, und Harka hatte in demselben Augenblick zwei glühende Raubtieraugen im Gras beobachtet. Er klammerte sich mit den Schenkeln fest an das Pferd, spannte den Bogen und legte einen Pfeil ein. Der Wolf, dessen Augen der Junge erkannt hatte, änderte seine Taktik. Er wollte den hufschlagenden Hengst umschleichen und in die Herde einbrechen. Den Tieren waren am Abend die Vorderbeine gefesselt worden, so dass sie nur kleine Schritte machen und des Nachts nicht in die Prärie ausbrechen konnten. Sie waren dadurch aber auch einem Raubtier hilflos ausgeliefert. Es entstand sofort eine furchtbare Verwirrung in der Herde. Harka verschoss vom Rücken des bockenden Tieres einen Pfeil nach der Stelle, an der sich der Wolf bewegte, musste aber sogleich erkennen, dass er nicht getroffen hatte. Das Raubtier sprang eine Stute an, und diese tat das Einzige, womit sie sich noch wehren konnte: Sie warf sich hin und wälzte sich. Der Hengst, auf dem Harka saß, schlug und biss in seinem Zorn wie ein Irrer um sich, dazu umbrandete den Jungen das Heulen der Hunde, das Schreien der Männer. Es war sehr dunkel, da die Anhöhe Schatten gegen das Mondlicht warf.

Harka sprang ab. Er konnte dies wagen, weil er wusste, dass der Leithengst die gefesselte Herde nicht verlassen würde. Da er Pfeil und Bogen nicht vertraute, hängte er den Bogen rasch wieder über die Schulter und nahm das Messer zur Hand. Der Wolf wollte sich eben am Hals der Stute festbeißen und war blind für alles andere. Der Junge kam heran, und mit einem kräftigen und gut gezielten Stoß stieß er das Messer dem Wolf bis zum Heft in den Hals.

Er riss das Messer aus dem Körper des verendenden Tieres und stieß einen Siegesruf aus. Aber in diesem Augenblick wäre es ihm selbst fast ebenso ergangen wie dem getöteten Wolf. Er war wie berauscht von seinem Sieg und ließ einen Moment in seiner Aufmerksamkeit nach, und da musste er auch schon mit Schrecken begreifen, dass er sich einem ganzen Rudel der Raubtiere gegenüber befand. Blitzartig wurde ihm die Lage klar. Das große Rudel hatte sich geteilt; eine Gruppe hatte von der Anhöhe her einen leichten Angriff geführt, der den Wölfen zwar Verluste brachte, aber Männer und Hunde auch ganz und gar nach dieser Seite hin beschäftigte. Unterdessen war ein anderer Teil des Rudels im Halbkreis herumgeschlichen, um überraschend in die Pferdeherde einzubrechen. Bei den Pferden waren nachts immer Wachen aufgestellt. Harka hatte am Abend die Einteilung mit angehört und wusste, dass um diese Stunde die jungen Burschen Tschetan und Schonka bei den Mustangs sein mussten. Sie waren aber beide nicht da. Sicher hatten sie sich verführen lassen, wegzulaufen und bei der Anhöhe gegen die Wölfe zu kämpfen!

Harka schrie laut warnend. Drei der Wölfe hatten sich schon auf ein Pferd gestürzt und zerrissen es. Es war durchaus nicht sicher, dass die Raubtiere den Jungen, der nach »Mensch« und daher für sie gefährlich roch, überhaupt angreifen würden; sie hatten andere, hilflose Beute genug vor sich. Aber da war ein Wolf, größer als die anderen; wahrscheinlich der Anführer des Rudels, und dieser setzte auf Harka an. Der Junge konnte sich nur noch dadurch retten, dass er auf das Pferd des Vaters sprang, das soeben doch in Todesangst von der Herde wegbrach.

Nach knapp fünfzig Metern gelang es dem jungen Reiter, das Tier zu wenden, das nach dem ersten Augenblick eines panischen Schreckens selbst wieder zu der bedrohten Herde zurückstrebte, wahrscheinlich, um sie auf der Flucht mitzuziehen. Als Harka Zeltlager und Pferde wieder erblickte, begriff er sofort, was dort geschah. Viele Männer und Burschen, selbst Frauen und Mädchen waren herbeigeeilt, schnitten die Fesseln der Pferde durch und sprangen auf, um die Tiere vor den Wölfen zu retten und ihre Flucht zu lenken. Von den Raubtieren, die sich an den niedergerissenen Pferden festgebissen hatten, wurden viele getötet, mit allen Waffen, die eben zur Hand waren.

Harka durfte das Pferd des Vaters jetzt nicht mehr verlassen. Das Tier wollte offensichtlich die anderen zur Flucht auffordern, und Harka gab dem scheinbar nach. Einige berittene und einige ledige Tiere folgten, und es gelang den Reitern, eine regellose Flucht zu verhindern. In weitem Bogen galoppierte das Pferderudel über die nächtliche einsame Prärie wieder zum Zeltlager zurück.

Die Wölfe hatten schon das Weite gesucht, so dass die Pferde sich nicht vor der Rückkehr scheuten.

Aber wie sah es beim Lager aus! Die erste Helle, die den Sonnenaufgang ankündigte, ließ schon alles deutlich erkennen. Zwölf Pferde waren von den Wölfen totgebissen, zum Teil zerfleischt. Neun weitere Pferde waren so schwer verletzt, dass die Männer sie töten mussten. Fünfzehn Tiere fehlten, sie mussten ausgebrochen und entflohen sein. Die Bärenbande hatte über einhundertfünfzig Pferde besessen, fast jedes vierte war verloren, das war ein schwerer Verlust, besonders während des Wanderzuges.

Man führte die Tiere zusammen, und zwar am anderen Lagerende, weil der Blutgeruch sie doch noch verstörte, und machte sie wieder fest. Die Frauen holten das Fleisch der toten Tiere. Hawandschita und Mattotaupa verteilten es gerecht auf alle Zelte nach der Zahl der Esser. Kleine Stücke wurden von den Hungrigen gleich roh verzehrt.

Harka hatte den Hengst des Vaters wieder vor dem Zelt angepflockt und ging jetzt umher, um die toten Wölfe zu besehen und die Spuren der nächtlichen Ereignisse zu verfolgen. Er fand den Wolf, den er getötet hatte, und schnitt sich die Ohren als Siegeszeichen ab. Harpstennah, der jüngere Bruder, stand bewundernd dabei. Harka winkte ihm mitzukommen. Er erklärte dem Neunjährigen die Fährten und den Verlauf des Kampfes, damit er etwas lernen konnte. Immer wieder beschaute Harka die erlegten Wölfe. Das große Tier, das er in dem gefährlichsten Augenblick des Kampfes in der Nähe gesehen hatte, war nicht dabei. Harka ging mit dem Bruder vorsichtig das Gelände nach den Wolfsspuren ab. Er konnte die Fährte des großen Wolfes herauskennen. Dieser hatte kräftigere Pfoten und rannte in größeren Sätzen als die anderen. Er war entkommen.

»Dieser Wolf ist ein großer Häuptling unter den Wölfen«, erklärte Harka Harpstennah. »Wir haben an den Fährten gesehen, wie er sein Rudel herangeführt und wie er es geteilt hat, um uns zu überlisten. Viele Wölfe sind getötet worden, aber die anderen sind satt, obgleich es keine Büffel gibt.«

Die Jungen gingen nach ihrem Streifzug zu dem väterlichen Tipi zurück. Im Zelt fanden sie Tschetan und Schonka, die sehr beschämt vor Mattotaupa standen. Harka wäre am liebsten mit Harpstennah zusammen sofort wieder hinausgegangen, denn er wollte nicht, dass der jüngere Bruder mit anhörte, wenn Tschetan, Harkas großer Freund, getadelt wurde. Aber schon war es zu spät, Harpstennah war bereits zur Mutter in den Hintergrund des Zeltes gelaufen, und so blieb auch Harka stehen und hörte sich alles mit an.

»Ihr beiden habt gehandelt wie kleine Mädchen, die sich nicht beherrschen können«, sagte der Kriegshäuptling eben zu den beiden Burschen, und das war die härteste Zurechtweisung, die er aussprechen konnte. »Ihr habt die Pferde verlassen, um Wolfsohren zu erbeuten. Was dann geschehen ist, wisst ihr. Die Krieger der Bärenbande sind der Meinung, dass ihr die Ohren der getöteten Wölfe nicht tragen dürft.«

Harka schämte sich tief für seinen Freund Tschetan. Was für eine Schande! Tschetan musste sehr mutige und gut überlegte Taten vollbringen, um eine solche Schande wieder auszulöschen. Natürlich galt das auch für Schonka, aber an Schonka dachte Harka nicht. Er wandte sich ab, als ob er nichts gesehen oder gehört hätte. Er wollte Tschetan ersparen, vor einem elfjährigen Jungen gedemütigt worden zu sein.

Blass, mit verbissenen Lippen, verließen die beiden Burschen den Häuptling, der ihnen das gesagt hatte, was sie sich nun selbst Tag und Nacht sagen mussten, bis sie die Scharte wieder ausgewetzt hatten.

Mattotaupa gab den Befehl zum Aufbruch.

Die dreißig Zelte wurden abgeschlagen. Eine Anzahl Kinder musste bei den Müttern aufsitzen oder sich mit einem Platz in einer Rutsche bescheiden, da man nicht mehr genug Pferde hatte. Ein paar Frauen gingen zu Fuß wie Hawandschita.

Harka, der Wolfstöter, konnte aber wieder seinen munteren Schecken besteigen und wie die Krieger in der langen Reihe neben den Lasttieren herreiten.

Einer allein

An dem Morgen, an dem die Bärenbande vom Wüten des Sturmes überrascht worden war und ihren Aufbruch um einige Stunden hatte verschieben müssen, ging ohne ihr Wissen in der Höhle oben am Felshang etwas vor.

Tief drinnen im Berg, in völliger undurchdringlicher Finsternis, beklommen von stickiger Luft, rührte sich ein Mensch. Seine Lederjoppe, seine Lederhosen, seine nackten Füße, das Haar waren triefend nass. Er hockte in der Einbuchtung eines fast senkrecht ansteigenden Höhlenarmes, keuchte und tastete hastig an den Rändern seines unbequemen Sitzplatzes umher. Der Kopf dröhnte ihm von dem Rauschen des Wassers, das wenige Meter tiefer mit reißender Gewalt durch die Höhlungen des Berges schoss. Diesem unterirdischen Bach war er soeben entkommen; er wusste selbst noch nicht recht, wie. Aber er war wieder bei sich, er konnte wieder atmen. Alles tat ihm weh, Kopf, Schultern, Knie. Das reißende Wasser hatte mit ihm gespielt wie mit einem Stein, ihn gegen Felswände geworfen, in Tiefen aufprallen lassen. Seine Büchse war verloren, sein Hut war verloren, das Messer war verloren, das Feuerzeug war nass. Er hatte nichts mehr als das kümmerliche Leben und die triefenden Kleider am Leib, und das im Innern des Bergs und ohne die geringste Vorstellung davon, wie er zu einem Höhlenausgang gelangen könne.

Er zwang sich, ruhig zu atmen und zu überlegen.

Das Wasser hatte ihn abwärtsgerissen, also befand sich die Öffnung, durch die er eingestiegen war, irgendwo über ihm. Auf direktem Wege konnte er nicht mehr dahin gelangen, denn bachaufwärts, über den unterirdischen Wasserfall hinweg, nach oben zu kommen war ausgeschlossen. Es blieb ihm von seinem jetzigen Platz aus überhaupt nur eines übrig, nämlich in dem Höhlenarm, in dem er sich befand, aufwärts zu klettern und zu sehen, ob dieser Höhlengang oder eine Abzweigung davon irgendwohin weiterführte. Das waren keine rosigen Aussichten, und er war sehr müde, aber er hatte auch keine Lebensmittel bei sich, und wenn es überhaupt noch eine Hoffnung für ihn gab, so musste er sich unverzüglich auf den gefährlichen Weg machen. Verdursten würde er vorläufig nicht, denn er hatte Wasser mehr als genug geschluckt.

Mit seinen Händen und den nackten Füßen tastete und suchte er erneut, und dann begann er, sich rechts und links gegen die Wände des engen Höhlenarmes zu stemmen und langsam, langsam aufwärtszuschieben. Diese Art des Kletterns war recht anstrengend. Er hatte keine Vorstellung davon, ob es Tag oder Nacht sei oder welche Zeit bei seinen Anstrengungen verging. Auch hätte er nicht genau zu sagen gewusst, wieviel Höhe er gewann. Aber dass es aufwärtsging, war sicher, und allmählich ließ die Steigung nach, und er konnte etwas leichter vorankommen.

Das gab ihm neuen Mut. Er riss alle Kraft zusammen und kletterte stetig weiter. Als der Höhlengang, in dem er sich befand, sich gabelte, war er in großer Verlegenheit, nach welcher Richtung er weiterklettern sollte. Schließlich tat er, was natürlich war: Er wählte den Gang, der ein wenig breiter und in dem es leichter war, voranzukommen. Geplagt von der Angst, dass der Gang irgendwo ausweglos enden könne, kroch er weiter und weiter. Sein Herz klopfte, und obgleich er triefnass war, schwitzte er.

Plötzlich überwältigte ihn die Hoffnung so heftig, dass sie wie ein starker Schrecken wirkte. Er glaubte einen Lichtschimmer wahrgenommen zu haben und hielt rasch die Hand vor die Augen, um diese dann nochmals zu öffnen und sich zu überzeugen, ob er träume oder nicht. Nein, er träumte nicht. In einem schwachen Schimmer erkannte er die Felsen und seine eigene Hand. Er wollte schon vorwärtsstürmen, soweit die Enge des Höhlenarmes eine schnellere Bewegung erlaubte, da stockten ihm die Füße und die Hände. Das war kein Tageslicht, was er sah – das war ein Feuerschein.

Ein Feuerschein in dieser Höhle!

Er rührte sich gar nicht mehr, sondern starrte nur auf die rätselhafte Helligkeit. Es war ihm auch, als ob er ein Geräusch vernehme. War hier noch ein Mensch? Sollte das möglich sein? Er versuchte, nicht einmal den Atem hören zu lassen.

 

Dann starrten sie einander an.

Er erkannte zwei Finger, die einen kleinen brennenden Span hielten, und im flackernden Schein sah er ein Gesicht, ob alt oder jung, wusste er nicht, aber es war das Gesicht eines Menschen, eines Mannes, und der andere schien nicht weniger verblüfft zu sein als er selbst.

»Donnerschlag, verdammt!«, sagte der andere. In der Höhle klangen die Stimmen seltsam.

»Verdammt!«, antwortete der Triefnasse.

»Also verflucht noch mal, wo kommst du denn her, du schwarzhaariger Regenwurm?«

»Aus dem Wasser, Mann. Geht’s hier raus?«

»Wenn ich Lust habe, dich rauszulassen – ja.«

Der kleine Span verlosch wieder. Der andere hatte ein Messer, das war noch zu sehen gewesen. Jetzt war es wieder vollständig finster, fürchterlich finster.

»Warum solltest du mich nicht rauslassen?« Die Frage klang heiser vor Erregung.

»Was habe ich davon, dich hier rauszulassen, du verdammter Schleicher und Höhlenkriecher, du Wassermolch? Was hast du hier zu suchen?«

In der Dunkelheit wirkte die starke und scharfe Stimme noch schärfer und drohender. Der Mensch war nicht mehr zu sehen, aber die Erinnerung daran, dass er ein Messer hatte, blieb, und diese Stimme, diese Stimme da, die war nicht gut.

»Hab nicht gewusst, dass das deine Höhle ist«, sagte der Triefnasse ausweichend.

»Aber jetzt weißt du’s! Was hast du hier gesucht?«

»Hier gesucht – gar nichts.«

»Lüge nicht so elend, du Dreckschnauze. Ich denke, dein Leben ist dir lieb. Gold hast du gesucht! Wo hast du’s?«

»Ich habe nichts ... nichts ...«

»Wo hast du’s gesehen?«

»Nichts hab ich gefunden ...«

»Na warte, ich werde dir beibringen, die Wahrheit zu sagen. Gehab dich wohl! Ich gehe. Denke aber nicht, du kannst einfach hinter mir herlaufen. Das kostet dich das Leben. Bleib, wo du bist, und verrecke. Wohl bekomm’s!«

Der andere schien sich zurückzuziehen.

»Mann, Mann, hab doch Erbarmen! Ich habe nichts, ich habe nichts gesehen, ich will alles sagen, alles tun!«

»Ein Dummkopf bist du. Komm! Du wirst mir alles gestehen!«

»Alles, alles ...«

Der andere lachte hässlich. »Also komm!« Er wendete im engen Gang mit Mühe, dann kletterten und krochen die beiden hintereinander. Der Weg schien lang, sehr lang. Endlich wurde ein Schimmer sichtbar, der wirklich von dem Tageslicht stammte. Der Triefnasse stieß einen Freudenschrei aus. »Halt das Maul, du Idiot, im Wald sind Dakota.«

»Ich weiß, lieber Himmel, ich bin still.«

»Mir egal, ob dir der Himmel lieb ist, aber wenn du nicht sofort in die Hölle kommen willst, sei ruhig.«

Der Triefnasse kroch aus der Höhlenöffnung, die von Baumwurzeln umklammert und von Zweigen verhängt war. Völlig erschöpft warf er sich auf den Waldboden.

Dabei spürte er den kritischen Blick des anderen und zitterte.

»So, da liegst du, hilflos wie so’n abgehäuteter Büffel. Willst du mir endlich sagen, was du hier gesucht hast?«

Dem Triefnassen kamen die Tränen der Angst und der Wut. »Gold – aber es ist nichts damit.«

»Gold! – Wer hat dich denn geheißen, hier Gold zu suchen? He?«

»Ach, ’s war so ein Gerücht – und das Geschäft ging nicht gut.«

»Was für ein Geschäft?«

»Mit Pelzen und Branntwein.«

»Wärest du dabei geblieben, das ist was für solche Dummköpfe wie dich! Wo hast du denn alle deine Zähne gelassen? He?«

»In Minnesota, Sir, bei den Dakota. Voriges Jahr.«

»Bin kein Sir, du Hohlkopf.«

Der Triefnasse fasste sich und setzte sich auf. Etwas ruhiger geworden, betrachtete er sein Gegenüber. Der andere war ein junger Bursche, sicher nicht älter als zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre, rötlichblond, mit einem wettergegerbten, hageren, starkknochigen Gesicht. Um den Mund lag ein böser Zug. Der Triefnasse beschloss, sich weiterhin sehr in Acht zu nehmen. Nach seinem missglückten Höhlenabenteuer wollte er nicht noch zu guter Letzt das Leben einbüßen.

»’s war nur so ein Gerücht«, knüpfte er wieder an. »Unbestimmt wie so’n Wind, der nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht, aber um die Black Hills herum sollte es sein, dass was gefunden worden wäre, aber gesehen habe ich wiederum keinen, der was hatte. Aber bei dem verdammten Dakota-Aufstand vergangenes Jahr haben sie mir in Minnesota meine Bude kaputt gemacht und meine guten Zähne ausgeschlagen ... und so wollte ich sehen ... na ja ...«

»… ob die Dakota hier friedlicher sind? Kann dich warnen, mein Bester. Sie haben einen Vertrag gemacht, dass das Land hier für ewige Zeiten ihnen allein gehört, und wenn du dich als Weißer blicken lässt, werden sie dich ganz gemütlich martern und dich ohne Gewissensbisse zu Tode rösten. Und dein Skalp weht an der Stange.«

»Habe nicht die Absicht, ihnen ins Garn zu laufen.«

»Absicht oder nicht, du warst schon beinahe in ihren Fängen. Wo hast du denn deine Schaftstiefel gelassen, he?«

»Schaftstiefel?«

»Stell dich nicht dumm, das mag ich nicht leiden, das hält mich nur unnütz auf. Du bist da unten im Wald deutlich und breit auf Moospolster getrampelt.«

Der Triefnasse erschrak. »Eine Spur hab ich gemacht?«

»Eine wahre Elefantenspur, mein Bester. Und dann bist du in das Höhlenloch geklettert?«

»Ja ...«

»Und da ist dir keiner begegnet? Außer mir zum Schluss?«

»Doch ...«

»Ein Glück, dass du es zugibst. Wie war denn das?«

»Weiß auch nicht genau – schauderhaft war’s. Ich wollte den Wasserarm hoch – riss mich das Wasser wieder runter. Ich wollte mich festhalten, kriegte in der Finsternis einen Menschen zu fassen – na ja –, aber der Kerl wollte nicht mit und gab mir einen Fußtritt, der nicht mehr feierlich war ... da sauste ich mit dem Wasserfall ab.«

»Aha ... hmhm ... haha ... nicht übel ... und komisch. Jedenfalls geb ich dir den einen guten Rat, mein Lieber: Verschwinde aus der Gegend, aber mit der Geschwindigkeit eines Mustangs!«

»Ich weiß nicht, ob ich noch ein Pferd habe.«

»Aber ich weiß es, ich hab’s nämlich. Das besteigst du und gehst los, und wenn du dich noch ein einziges Mal in diesen Wäldern hier blicken lässt, bist du eine Leiche! Verstanden? Das hier ist mein Revier.«

»Hab verstanden. Dein Revier.«

»Ich bin schlauer als du, merkst du das?«

»Ja.«

»Also richte dich danach. Ich gebe dir dein Pferd zurück, ist ’ne Schindmähre, die ich nicht brauche, und du machst dich auf den Weg ... wie heißt du?«

»Ben.«

»Soll ich dir ein gutes Geschäft sagen?«

Ben atmete tief und schaute den anderen aus den Augenwinkeln dankbar an. »Sag’s.«

»Reite zum Niobrara runter, mach dort ’ne Bude auf. Das ist ’ne Gegend, die Zukunft hat. Ich sorge dir für die erste Kundschaft, damit du wieder auf die Beine kommst. Pulver und Blei müssen immer da sein und Schnaps ... dann kommen die Jäger, die Indianer und die Felle ganz von selbst.«

»Aber die Indianer ...«

»Du bist ein Idiot, hab ich dir schon mal gesagt. Du kannst nicht hier in ihren Prärien und Wäldern rumschnüffeln, wenn sie selber hungern – du jedenfalls nicht –, aber wenn du ihnen Pulver und Blei verkaufst ...«

»Jajajaja ... aber das geht alles etwas schnell ...«

»Bei mir geht immer alles schnell, das Leben und das Sterben, merk dir das. Also bist du einverstanden?«

»Ich will’s versuchen.«