Harka

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Jäh brachen Harkas Gedanken und Wunschträume ab, als er, zwischen Gebüsch am Boden liegend, den ersten Blick auf die Bergquelle und den Steilhang warf, den das Wasser hinunterschoss.

Bei dem sprudelnden, hell plätschernden Wasser lag die mächtige Gestalt Mattotaupas; der Kopf war abwärts-, die Füße waren am Hang aufwärts gelagert, die Arme und Hände wirkten schlaff. Der Häuptling lag auf dem Gesicht.

Blut war nicht zu sehen, eine Verletzung – aus der gegebenen Entfernung – nicht zu bemerken. Das Messer steckte noch in der am Lederband getragenen Scheide. Harka spähte nach Spuren, aber sein Blick konnte keine finden.

Am liebsten wäre er sofort zum Vater hinuntergesprungen, denn es quälte ihn eine entsetzliche Angst, dass Mattotaupa tot sei. Aber Sonnenregen, der Harkas Empfindung verstand und vielleicht auch teilte, hielt den Knaben durch eine Berührung mit der Hand zurück und gab dann in der lautlosen Zeichensprache seine Anweisungen für Harka und den jungen Tschetan. Tschetan sollte an dem Beobachtungsplatz bleiben, während Sonnenregen und Harka von rechts und links, die Quelle im Kreis umgehend, das Terrain sondieren und sich bei dem Quellbach wieder treffen wollten.

Der elfjährige Harka hatte damit eine verantwortungsvolle Aufgabe, und er war sich bewusst, dass Sonnenregen auf ihn zählte wie auf einen Krieger. Dieses Vertrauen stärkte den Jungen, und der Anblick des Vaters, der ohnmächtig oder tot auf dem Waldboden lag, erbitterte ihn gegen den unbekannten Feind. Er empfand Spannung und zugleich jene Ruhe, wie sie der starke Mensch in dem Augenblick behält, in dem er einer Gefahr zu begegnen vollständig entschlossen ist.

Vorsichtig schlich der Indianerknabe von dem buschbewachsenen Felsvorsprung, der als Ausguck gedient hatte, waldabwärts, immer in Deckung gegen den freien Platz um die Quelle. Bald kroch, bald huschte er weiter, gedeckt von Stämmen und Stämmchen. Er trat auf keinen dürren Zweig, und er vermied es, einen Ast zu bewegen. Nicht ein Blatt sollte sich rühren und den unbekannten Feind aufmerksam machen. Vielhundertmal hatte Harka schon einen solchen Gang geübt, im Spiel mit den Altersgenossen, auf der Kleinwildjagd im Walde mit dem Vater. Ein Junge der Dakota machte eine strenge Schule durch, in der er alles für das Leben eines Jägers und Kriegers Notwendige lernte. Harka war der Anführer seiner Altersgenossen im Bunde der Jungen Hunde. Das war er geworden, nicht weil er der Sohn des Kriegshäuptlings war, sondern weil er sich umsichtig, entschlossen und gewandt zeigte. Darum vertraute ihm heute auch Sonnenregen, der Unterhäuptling, wie einem Mann.

Harka war am Waldrand ein gutes Stück abwärts gelangt, ohne dass sich bis dahin etwas ereignet hatte. Von seinen Gefährten nahm er nichts wahr, weder von Tschetan, der auf dem Fels oben in voller Deckung lag, noch von Sonnenregen, der, gleich Harka, auf der anderen Seite der Quelle durch den Wald schlich und einen weiteren Weg hatte als der Knabe, da er das Wasser erst von oben im Bogen umging.

Der Morgengesang der Vögel war längst verstummt, nur hin und wieder ertönte noch ein Zwitschern und Zirpen. Eine Eidechse lag auf besonntem Geröll und wärmte sich auf. Harka umging den Platz sorgfältig, um das Tier nicht zu beunruhigen. Eine Eidechse, die weghuschte, konnte einen Feind schon misstrauisch machen.

Bis jetzt hatte der Knabe keinerlei Spur von einem Menschen entdeckt, der gekommen oder gegangen wäre. Mit gleichbleibender Vorsicht schlich er weiter und kam endlich dem reißenden Bach nahe, dem Abfluss der Quelle am Hang. Harka lugte zwischen Bäumen und Gesträuch nach dem Wasser. Die Wellen sprangen über glatt gescheuerten Boden und gewaschene Steine; sie fingen das Licht, glitzerten und wurden wieder dunkel wie Walderde und grünes Moos. Oben von der Quelle und tiefer unten von einem kleinen Wasserfall her rauschte es kräftig; dazwischen gluckerte und gurgelte es um ein paar Steine. Harka kannte dieses Wasser von seinen Streifzügen mit den Jungen Hunden. Er wusste genau, wie der Bach verlief und wo der Wildwechsel war.

Nichts schien sich verändert zu haben, nirgends war eine verdächtige Spur zu sehen. Harka schaute aufmerksam umher. Hier am Bach sollte er sich mit Sonnenregen treffen.

Zwischen dem Gesträuch am anderen Bachufer erschien das Gesicht des älteren Indianers. Harka und er schauten sich an, und jeder entnahm dem Blick des anderen, dass keiner etwas Auffallendes entdeckt hatte. Sonnenregen bedeutete Harka durch eine leise Kopfbewegung, dass er, auf seiner Uferseite bleibend, aufwärts zur Quelle schleichen sollte. Dann verschwand das Gesicht des Sonnenregen wieder, und wenn Harka nicht gewusst hätte, dass der Krieger am jenseitigen Ufer aufwärts schlich, er würde nichts davon wahrgenommen haben. Vielleicht war der unbekannte Feind ebenso geschickt und bewegte sich irgendwo im Walde, ohne dass die Indianer ihn entdeckten? Harkas Spannung steigerte sich immer mehr, je näher er dem Platz kam, an dem sein Vater lag. Der Ohnmächtige oder Tote befand sich auf der Uferseite, an der der Knabe mit noch zunehmender Behutsamkeit aufwärts kroch.

Harka erreichte eine Stelle, von der aus er die Quelle und den Vater aus der Nähe sehen konnte, während er selbst hinter Zweigen und einem kleineren Steinblock gut versteckt blieb. Dabei machte er eine überraschende Entdeckung, und Freude erfüllte ihn. Mattotaupa lebte! Er bewegte seine Augen. Während seine Stirn zur Erde gewandt blieb, blickte er vorsichtig zu seinem Jungen hinüber, den er im Versteck bemerkt haben musste.

Harka rührte sich nicht. Er suchte nur mit den Augen die Umgebung und die Gestalt des Vaters ab, jedem Fingerbreit widmete er einige Zeit seine Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich verhielt sich Sonnenregen ebenso, denn von ihm war noch nichts wahrzunehmen, obgleich er am jenseitigen Bachufer längst ebenso weit gelangt sein musste wie Harka am diesseitigen.

Alle suchten mit den Augen und lauerten mit dem Gehör, Tschetan oben auf dem Fels, Harka und Sonnenregen im Wald am Bach und offenbar auch Mattotaupa selbst, der wach, aber regungslos liegen blieb.

Die Sonne schien hell auf die kleine Lichtung an der Quelle. Zwei Bienen summten umher, die ersten ihrer Art nach der Schneeschmelze. Sie mussten hungrig sein wie die Menschen, die auch die Wintervorräte aufgezehrt hatten. Die Bienen suchten nach Nektar, die Dakota nach Büffeln, aber noch hatte weder Tier noch Mensch gefunden, was er zum Leben brauchte.

Die ungestört summenden Bienen, eine Spinne, die über trockene Steine am Wasser kroch, ein Vogel, der herabflatterte und am Bach nippte, bewiesen, dass die vier Indianer sich ruhig genug verhielten, um die Tiere nicht scheu werden zu lassen. Gab es noch einen anderen Menschen, der sich auch so still verhielt? Das war immer wieder die Frage.

Harka überlegte, warum sein Vater so merkwürdig auf dem Boden lag, mit dem Kopf abwärts, die Arme gespreizt, als ob er gestürzt sei. Der Junge prüfte genau die Lage der Steine. Mattotaupa musste gestürzt sein. Die Spuren waren selbst für ein Jägerauge aus nächster Nähe kaum zu erkennen. Harka nahm an, dass der Vater am Bach gestanden hatte, etwas unterhalb der Quelle, so weit unterhalb, dass sich der Kopf in Höhe der Quelle selbst befand. Ein leichter Zeheneindruck im Sand verriet den Standplatz. Mattotaupa hatte so gestanden, dass er Fels und Quelle den Rücken drehte. Er hatte bachabwärts geschaut, sicher nur für einen Augenblick oder weil irgendetwas unten im Wald seine Aufmerksamkeit erregt hatte, vielleicht ein Geräusch. Als Harka den Vater vor Stunden verlassen hatte, hatte er noch wahrgenommen, wie dieser sich verbarg, um die Quelle unbemerkt zu beobachten. Warum war er aus seinem Versteck hervorgekommen? Das konnte der Knabe sich nicht erklären. Der Vater schien auch nicht verwundet zu sein. Sein brauner Rücken, die bärenfettglänzende Haut, die unempfindlich gegen Kälte und Nässe war, spiegelte in der Sonne; das blauschwarze Haar war glatt gescheitelt. Unversehrt war die Schlangenhaut, die als Stirnband diente. Unversehrt hingen die beiden schönen Federn des Kriegsadlers am Hinterkopf. Die hellledernen Gamaschenhosen, die Mokassins waren nicht beschmutzt; das Messer war in der Scheide, das Lasso lag zur Hand. Das einzige, was Harkas Verdacht erregte, war ein seltsamer Stein, der nicht weit von Mattotaupa lag. Er glich nicht den Kieseln, die das Wasser rundgewaschen hatte, sondern war eckig und bizarr geformt. Seine Oberfläche war rauh wie die der kleinen Steinpyramiden, die in der Höhle, vom Boden aufwachsend, das Vorwärtskommen so schwer gemacht hatten.

Mattotaupa bewegte sich plötzlich. Mit der Geschwindigkeit einer flüchtenden Eidechse glitt er von seinem Platze weg und hinter Steinblock und Gebüsch zu Harka. Wortlos warteten dann beide. Sie brauchten ihre Gedanken nicht auszutauschen. Es war klar, dass Sonnenregen den Vorgang vom anderen Ufer her beobachtet haben musste und so rasch, wie es unbemerkt möglich war, herüberkommen würde.

Nach kurzem erfüllte sich diese Erwartung. Sonnenregen kroch heran, Mattotaupa und Harka rückten zusammen, und eng aneinandergedrängt beobachteten die drei vom selben Versteck aus die Quelle. Dort ging etwas vor, was ihre Aufmerksamkeit und ihr Erstaunen erregte. Der Quellstrahl wurde unruhig, schwächer, zerteilter, als ob er im Innern des Berges ein Hindernis für sein Hervorbrechen gefunden habe. Dann schoss er plötzlich mit verdoppelter Gewalt hervor und schleuderte dabei zwei faustgroße Steine mit, von denen der eine auf das Kieselgeröll polterte, der zweite gegen einen Stamm schlug. Harka sah die beiden Steine, vom Bachwasser übersprüht, liegen. Sie waren ebenso spitzig und sonderbar geformt wie der erste, der seinen Verdacht erregt hatte.

Mattotaupa, Sonnenregen und Harka schauten sich fragend an. Die beiden Männer begannen in der Zeichensprache miteinander zu sprechen.

 

»Das ist kein Mensch, der diese Steine schleudert«, sagte Mattotaupa.

»Das Wasser ist Zauberwasser«, antwortete Sonnenregen. Die Männer hielten die Hand bergend vor den Mund, und Harka tat nach ihrem Beispiel.

Mattotaupa begann, sich vom Bach weg in den Wald zurückzuziehen, die beiden anderen folgten ihm. Als sie eine gewisse Entfernung vom Bach gewonnen hatten, so dass man ein leises Wort dort nicht mehr hören konnte, begann Mattotaupa flüsternd zu berichten, was geschehen war, als er allein an der Quelle gewacht hatte.

»Wisst«, sagte er, »nachdem Harka mich verlassen hatte, lag ich versteckt und beobachtete die Quelle. Einmal hörte ich weiter unten im Wald ein Reh. Wir haben Hunger im Dorf. Ich wollte mich aufmachen, um es mit dem Messer zu erlegen, und ich gestehe, ich war zu schnell, ich verließ mein Versteck, um von der Lichtung aus besser zu lauschen und sprungbereit zu sein. Nicht länger als du brauchst, um das Auge mit dem Lid zu bedecken, stand ich mit dem Rücken gegen die Quelle. Da fühlte ich einen Schlag gegen den Hinterkopf; ich sah nichts mehr, wusste aber noch von mir. Ich stürzte.«

Mattotaupa machte eine Pause.

»Ein Stein hatte dich getroffen?«, fragte Sonnenregen.

»So war es. Er liegt noch am Bach. Habt ihr ihn nicht gesehen? Es ist kein Kiesel.«

»Ich habe ihn gesehen«, sagte Harka.

»Bald wurde es mir wieder licht vor den Augen«, erzählte Mattotaupa weiter. »Aber ich wusste nicht, wie der Stein durch die Luft hatte fliegen können und ob nicht ein Feind ihn geworfen hatte. Wenn es ein Feind war, der ihn geworfen hatte, wollte ich ihn überlisten. Ich blieb reglos liegen, damit er mich für tot halten sollte. Wenn er kam, um meinen Skalp zu holen, wollte ich aufspringen und ihn töten.

Aber es ist kein Feind gekommen. Ihr seid gekommen.«

»Ja«, antwortete Sonnenregen nur und überlegte dann lange. Endlich nahm er wieder das Wort. »Es ist eine Zauberhöhle, und es ist Zauberwasser«, sprach er dann und legte großes Gewicht auf jedes Wort. »Hawandschita, unser Zaubermann, hat das ganze Dorf gewarnt. Es war nicht gut, Mattotaupa, dass du in der Nacht vor unserer Wanderung zu der Zauberhöhle gegangen bist und einen Knaben mitgenommen hast. Der Zaubergeist hat dich noch einmal gewarnt. Es kann auch sein, dass dies für uns alle ein böses Zeichen ist.«

Harka sah, wie dem Vater das Blut aus dem Gesicht wich, so dass seine braune Haut einen grauen Schimmer bekam. »Ein böses Zeichen? Wofür?«, fragte Mattotaupa mit einer Stimme, die so wenig Klang hatte wie ein gesprungener Krug.

»Ein böses Zeichen dafür, dass wir uns in große Gefahr begeben, wenn wir mit unseren wenigen Männern in neue Jagdgründe ziehen.«

Mattotaupa runzelte die Stirn. »Die Büffelherden scheinen ihre Wege geändert zu haben. Wir wollen nicht verhungern.«

Sonnenregen vermied es, dem Häuptling ins Gesicht zu sehen. »Also gehen wir«, sagte er nur noch.

Die Männer wollten sich in Bewegung setzen, da machte Harka ein bittendes Zeichen mit der Hand.

»Du willst noch etwas sagen?«, fragte ihn der Vater.

»Die Spur, Vater! Ich habe in der Nacht eine Fußspur gesehen, die Spur eines fremden Fußes, du weißt es, und Sonnenregen weiß es auch.«

»Wir können auf dem Rückweg noch einmal suchen«, entschied Mattotaupa nach einigem Zögern.

Sonnenregen stimmte nur ungern zu. Aber er wollte sich auch nicht weigern. So riefen die Männer Tschetan von seinem Ausguck herbei; sie riefen nicht seinen Namen, sondern gaben ein dreimaliges Zeichen mit einer Vogelstimme. Zu viert machten sie sich dann auf den Weg nach jenem Platz im Wald, an dem Harka in der Nacht gewartet und den Fußabdruck gesehen hatte.

Zu viert suchten sie, ohne eine Fährte zu finden. Allerdings, Harka war der Einzige, der ganz entschlossen und sehr genau suchte, und er glaubte, dass die Männer und Tschetan, verwirrt durch das Geschehene, die Suche zu früh abbrachen. Aber er war nur ein Knabe, und es war genug, dass er einmal seine Meinung hatte sagen dürfen. Ein zweites Mal würden ihm die Häuptlinge nicht das Wort gegeben haben. So blieb ihm nichts anderes übrig, als nach der bis dahin vergeblichen Umschau dem Vater und seinen Begleitern zurück ins Dorf zu folgen.

Kampf mit Wölfen

Es war dem Jungen seltsam zumute, als er wieder zu dem väterlichen Zelt kam, aber er ließ sich äußerlich nichts von seinen erregten Gedanken und Gefühlen anmerken. Die Mutter rief ihn zum Essen. Sie röstete den Hasen über dem Feuer in der Zeltmitte, und Harka setzte sich mit dem jüngeren Bruder und der Schwester, mit der Mutter und der Großmutter zusammen. Das röstende Fleisch duftete köstlich, und vor dem Zelt lauerten die halbwilden Hunde und schnüffelten sehnsüchtig. Als das Fleisch gar war, nahm jeder sein Messer – auch Harkas jüngere Geschwister besaßen schon ein eigenes – und eine irdene Schüssel. Die Großmutter wählte sich den Hasenkopf, die Mutter und das kleine Mädchen Uinonah erhielten je einen Vorderlauf, die beiden Jungen Harka und Harpstennah je einen Schlegel. Das Rückenstück blieb für den Vater, der jetzt nicht im Zelt anwesend war und nach der Sitte des Stammes auch nicht mit Frauen und Kindern zusammen aß.

Nach der Mahlzeit traf Harka sich mit Tschetan. Er hätte gern mit dem älteren Freund über die Ereignisse gesprochen; am liebsten wäre er nochmals in den Wald gelaufen, um nach Fährten bei dem Höhleneingang zu suchen! Ein Mensch konnte unmöglich spurlos kommen und gehen. Aber da Tschetan nicht mehr von der Sache sprach, wagte auch Harka es nicht, seine eigene Meinung offen zu vertreten. Er schwieg über das, was er dachte, doch er blieb voll Unruhe. Um sich nichts anmerken zu lassen und auch um sich selbst über seine Unruhe hinwegzutäuschen, rief er eine ganze Rotte Junger Hunde zusammen. Sie rannten miteinander hinunter zu dem Fluss am Fuße des Berges. Dort spielten die Knaben, tauchten rasch in das eiskalte Wasser unter, schwammen ein Stück. Die Jungen waren sehr abgehärtet. Wer empfindlich war, starb bei dem rauhen Leben in der Wildnis früh, und die Kinder, die herangewachsen waren, konnten schon viel vertragen.

Harka bemerkte, dass auch Schonka, der Sohn des Weißen Büffel, durch den Wald zu dem Fluss herankam. Er beschloss, ihm einen Streich zu spielen, und versteckte sich hinter einem Weidengebüsch, bei dem Schonka das Ufer erreichen musste, wenn er seinen Weg nicht änderte. Es wurde schon dämmrig. In schimmerndem Rosa leuchteten Wolken und Wasser, die Blätter spielten zwischen Abendschein und wachsenden Schatten. Schonka kam arglos zum Ufer. Er war breit und kräftig gebaut. In seinem jungen Gesicht lag schon ein Anflug von Verbissenheit, der sich verhärtete, sobald es schien, dass Schonka von seinen Altersgenossen und den Jüngeren nicht so geachtet wurde, wie er es verlangte. Niemand wusste eigentlich, warum sein Ansehen nicht uneingeschränkt war, denn er blieb in den Übungen der Burschen, im Wettreiten, im Steinwerfen, im Schwimmen, nicht hinter den anderen zurück. Aber es gab einen, der ihn übertraf, obgleich er jünger war: Harka Steinhart Nachtauge. Dieser genoss noch größere Achtung, und das beeinträchtigte das Ansehen Schonkas bei den Jungen und Mädchen.

Schonka hatte das Weidengebüsch erreicht, ohne Harka zu bemerken. Dieser fasste nach Schonkas linkem Fuß und riss ihn aus dem Halt. Schonka, völlig überrumpelt, klatschte bäuchlings ins Wasser. Ein lautes Gebrüll der Knabenhorde belohnte Harkas Erfolg. Harka selbst sprang mit ein paar Sätzen über Steine und einen alten Baumstamm zur Flussmitte, wo das Wasser in einer tiefen Rinne schnell flutete. Mit einem schrillen Ruf verhöhnte er Schonka, der eben triefend wieder auftauchte und sofort auf den Knaben losrannte. Harka ließ ihn bis auf Armlänge herankommen, dann schoss er wie ein Hecht in die Flussrinne und schwamm unter Wasser abwärts.

Schonka folgte ihm nicht. Er blieb stehen und beobachtete, wo Harka auftauchen würde; einen Stein nahm er als Wurfwaffe zur Hand.

Harka spürte, dass er fast zu viel gewagt hatte. Das Wasser war, von der Schneeschmelze gespeist, von beißender Kälte, und dem jungen Schwimmer begannen Hände und Füße abzusterben. Er wollte durchaus unter Wasser bleiben, bis er die nächste Biegung gewann und hinter einem großen Felsblock, von Schonka ungesehen, die Flussrinne verlassen konnte. Er fühlte, wie ihm die Kälte ans Herz ging und die gefährliche verführerische Müdigkeit über ihn kam, die die Energie lähmt und den Übergang zur Ohnmacht angenehm wie das Einschlafen erscheinen lässt. Aber die Vorstellung, wie lächerlich es sei, bei einem Spiel umzukommen, spornte ihn von neuem an, und er schwamm mit aller Anstrengung noch ein Stück, bis er wahrnahm, dass er die Biegung gewonnen hatte. Da fasste er Grund, kroch schnell aus dem Wasser und duckte sich, nass und vor Kälte schnatternd, hinter den Felsblock. Er konnte Schonka sehen, der langsam über Sand und Geröllstreifen flussabwärts ging, den Stein noch in der Hand. Oben am Fluss hatte die Horde der Jungen Hunde alle Spiele abgebrochen, um Schonka und seinen Kampf mit Harka zu beobachten. Einige rannten am Ufer abwärts, sie wollten in der Nähe sein.

Schonka steuerte direkt auf den Felsblock zu, hinter dem Harka hockte. Vielleicht wollte er von diesem Block Ausschau halten. Harka zog den Kopf ein und schmiegte sich dicht am Boden an den Fels. Er konnte Schonka nicht mehr sehen, umso aufmerksamer lauschte er.

Es wurde rasch dunkel, schon blinkten die ersten Sterne auf.

Harka bemerkte, wie der andere sich auf den Block schwang. Das war der Augenblick, auf den er gewartet hatte. Er schnellte hoch, sprang auf den Block, warf sich auf den überraschten Schonka und brachte ihn zu Fall. Beide stürzten von dem Felsblock in den Flusssand. Harka riss dem Gegner die Krähenfeder vom Schopf und jagte mit einem lauten Siegesruf in den Wald. Ein verdoppeltes Triumphgebrüll der Jungen Hunde belohnte diesen endgültigen Sieg ihres Anführers über den älteren Burschen.

Zwischen den Bäumen begegnete Harka seinem Freund Tschetan, der ihn mit den drei jungen »Rabenbrüdern« zusammen laut lachend und sehr lobend begrüßte.

Unterdessen hatte sich Schonka erhoben. Mit gespielt verächtlicher Haltung gegenüber der Knabenhorde verließ er den Schauplatz seiner Niederlage. In seinem Innern brannte die Wut, dass er unterlegen war. Über den Grund seines Versagens war er sich selbst nicht ganz klar. Er war stark, auch schnell. Wenn er Harka fassen konnte, hatte der Junge nichts zu lachen. Aber immer wieder überlistete ihn der jüngere. Harka war mit seinen Gedanken rascher als Schonka, und darum konnte er auch rascher und überraschender handeln. Er konnte besser kombinieren. Meist erriet er, was Schonka in einer gegebenen Situation tun würde, aber Schonka konnte nie berechnen, wie Harka sich verhalten werde.

Langsam ging Schonka um das Zeltdorf herum. Er brütete darüber, wie er sein Ansehen wiederherstellen und Harka einen Denkzettel geben könne. Die Vorstellung, dass man eine Scharte auswetzen müsse, war unter der Jugend des Indianerdorfes selbstverständlich.

Nach langem Nachdenken kam Schonka zu dem Entschluss, an diesem Abend nichts mehr zu unternehmen. Er wollte warten, es musste sich eine Gelegenheit finden, sein Vorhaben auszuführen. Missmutig ging er in das väterliche Zelt.

Dort fand er noch alles so vor, wie es gewesen war, als Harka vormittags von den Ereignissen in der Höhle berichtet hatte. Weißer Büffel lag fiebernd auf seinem Lager. Die Mutter kam jetzt aus dem Hintergrund herbei und flüsterte mit dem Sohn. Sie war voll Angst, dass Weißer Büffel sterben werde. Sollte sie noch einmal den Zaubermann um Hilfe bitten, der schon in der vergangenen Nacht nicht hatte helfen können? Oder vielleicht war ein Dampfbad im Schwitzzelt gut? Oder sie würde zu Untschida gehen, der Mutter Mattotaupas, die von allen Frauen im Dorf die heilenden Kräuter am besten kannte und als »Geheimnisfrau« selbst bei den Kriegern in hohem Ansehen stand.

Schonka wollte nichts von Untschida hören, die zu dem Zelte Mattotaupas und Harkas gehörte, gegen den er heute mehr als je eine Abneigung empfand. Der Zauberer im Nachbarzelt war dem Burschen selbst unheimlich. Aber ein Dampfbad konnte dem kranken Vater guttun. Schonka hatte wie die Mutter Angst davor, dass der Vater sterben würde. Schonka war fünfzehn Jahre alt, er wurde schon auf die Büffeljagd mitgenommen, aber ein Krieger war er noch nicht, und vermochte er die Mutter und sich selbst allein zu ernähren? Das würde schwerhalten. Wenn der Vater starb, musste Schonka mit der Mutter in ein anderes Zelt ziehen und einen anderen Vater haben. Vor alldem graute ihm, und weil er vor dem Leben ohne Vater Angst hatte, hatte er Angst um das Leben des Vaters. Ein Dampfbad würde dem Kranken sicher guttun.

 

Er wickelte den Kranken in eine Büffelhautdecke, und die Mutter lief schon voraus zum Schwitzzelt. Sie wollte nachsehen, ob die Heizsteine noch warm waren. Vorsorglich legte sie sie nochmals in die Glut. Als sie heiß genug waren, um Wasser darauf verzischen zu lassen, holte sie mit dem Sohn zusammen den Weißen Büffel. Sie setzten den Kranken in das Schwitzzelt, und die Frau goss Wasser auf die Heizsteine, so dass das ganze Zelt mit Dampf erfüllt wurde. Als Weißer Büffel der Schweiß am ganzen Körper ausbrach, wurde er von Schonka und der Frau zum Fluss gebracht, um im kalten Wasser unterzutauchen. Das war die altgewohnte Art, an Rheumatismus oder Fieber Erkrankte zu behandeln. Weißer Büffel schauerte zusammen, und als Schonka und seine Mutter ihn aus dem Wasser hoben, legte sich sein Körper schlaff auf ihre Arme, und mit einem krampfartigen Erschrecken begriff Schonka, dass sein Vater tot war.

Der Atem stockte dem Burschen noch, als er den Toten mit der Mutter zusammen wieder zum Zelt brachte. Die Frau suchte mit dem Jungen zusammen starke gegabelte Stöcke hervor und rammte sie vor dem Zelt in die Erde. Den Leichnam schnürte sie fest in eine der Lederdecken ein und hing ihn am Kopf- und Fußende an die Stöcke. Es war Sitte, dass ein Toter die Erde nicht mehr berühren sollte.

Dann stimmte die Frau die Klagegesänge an, die das ganze Dorf aufhorchen ließen und wach hielten. Mit langgezogenem Jaulen stimmten die Hunde in die Wehklagen der Menschen ein.

Harka lag mit seinem Bruder Harpstennah zusammen auf Decken im väterlichen Tipi. Harpstennah war eingeschlafen, aber Harka war noch wach, und er hörte, wie die Mutter und die Großmutter miteinander flüsterten. Der Vater war noch nicht ins Zelt gekommen; er weilte zur Beratung bei dem Unterhäuptling Sonnenregen.

Harka war in den letzten Stunden der vergangenen Nacht auf dem Moospolster an der Quelle eingeschlafen, aber jetzt im Zelt schlief er nicht. Er dachte an das Geheimnis der Höhle, das er nicht erfahren hatte, an die Fußspur, an den Aufbruch am kommenden Morgen, und er hörte Stunde um Stunde den Klagegesang, der vom Zelt des Weißen Büffel herüberdrang. Weißer Büffel war tot.

Auch Harka war darüber erschrocken. Am kommenden Morgen sollten die Tipis zu neuen Jagdgründen aufbrechen. In den neuen Jagdgründen würde man neue feindliche Nachbarn haben. Die Bärenbande aber besaß nun einen tapferen und besonnenen Krieger weniger. Vor dem Zelt des Weißen Büffel erschallte immer noch der langgezogene Klagegesang. Eintönig und schauerlich klang er, wie abgelauscht dem Heulen der wilden Wölfe.

Harka horchte auf den Schritt, der sich dem eigenen Tipi näherte. Der Vater kam heim. Als er eingetreten war und sein Lager aufgesucht hatte, kam über Harka eine große entspannende Ruhe. Er hörte noch die Atemzüge des Vaters, dann war er selbst fest eingeschlafen. Seine letzte bewusste Vorstellung beim Hinübersinken in den Schlummer war der kommende Sonnenaufgang und der bevorstehende Aufbruch zu dem großen Zug in unbekannte Prärien.

Aber es war etwas anderes, was ihn schon nach einigen Stunden wieder weckte. Der Wind, der tagelang geweht hatte, war plötzlich in einen Sturm übergegangen. Er raste über die weite Prärie, er brach sich an den Waldbergen, fauchte in den Wipfeln und blies selbst wider die Zelte auf der geschützt liegenden Waldwiese, so dass sich die Planen bauchten und die langen Fichtenstangen zitterten. Hoch oben am Berg krachte, dröhnte und kreischte es, wie es splitternde und stürzende Stämme tun. Es war ein Geräusch, das sofort das ganze Zeltlager alarmierte. Im Wald entstand ein Windbruch. Harka schlang rasch den Lendengürtel um und weckte den jüngeren Bruder. Die Großmutter war schon auf; die Mutter holte eben das Mädchen Uinonah aus dem Schlaf. Harka blickte sich nach dem Vater um, aber dieser musste das Zelt schon verlassen haben; er war nicht mehr zu sehen. Das Krachen und Kreischen verstärkte sich. Der Sturm schien ganze Waldhänge niederzubrechen.

Harka kroch auf allen vieren aus dem Tipi, um sicher zu sein, dass ihn der Sturm auf der Wiese nicht umreißen würde. In den Wipfeln rauschte es ringsum mit unheimlicher Macht, die Stämme bogen sich tief, und schon wieder schrie und dröhnte es von brechenden Stämmen weiter oben am Berg. Das Geräusch ging durch alle Nerven. Die Zelte wurden geschüttelt. Man konnte sie nicht einmal abschlagen, weil die Planen, von den Pflöcken gelöst, sofort vom Winde gepeitscht die Zeltstangen umgerissen und zerbrochen hätten.

Die Frauen, Kinder und Alten fanden sich in der Mitte der Wiese zusammen, wo die geringste Gefahr bestand. Dorthin drängten sich auch die Pferde und die Hunde. Die Männer und Burschen blieben bei den Zelten, um sofort anzufassen, wenn ein Zelt losgerissen werden sollte. Das Tipi war neben den Waffen der wertvollste Besitz jeder Familie und nicht leicht zu ersetzen, wenn es verlorenging. Denn die Büffel, aus deren Haut die Zeltplanen bestanden, mussten erst aufgespürt und gejagt werden, und das Trocknen und Gerben der Häute, die jede Nässe und Kälte auszuhalten und abzuhalten hatten, dauerte mit dem Gerbverfahren der Indianer sehr lange.

Harka wachte mit Tschetan zusammen bei den Zelten Mattotaupas und Sonnenregens; die beiden hielten die aus Büffelsehnen bestehenden Zeltschnüre und die Pflöcke fest, wo die Planen sich loszureißen drohten. Hin und wieder äugten sie zueinander hin. Der Sturm wehte nicht gleichmäßig. Zuweilen ließ er nach, dann kam wieder eine Bö. Die größte Gefahr war, dass Luftwirbel entstehen konnten. In der höheren Luftregion schien das schon der Fall zu sein. Harka beobachtete, wie ein ganzer Baum mit Wurzeln und dürrem Geäst vom Berg herab durch die Luft gewirbelt wurde; er konnte seine Bahn nur ein Stück weit im eigentümlich milchig gefärbten Luftraum verfolgen. Wahrscheinlich schleppte der Sturm seine Beute weit auf die Prärie hinaus.

Vom Berg polterte ein Felsblock, der von Eis und Tauwetter schon gelockert gewesen sein mochte und der jetzt vielleicht mit einem losgerissenen Baum zusammen in Bewegung gesetzt worden war. Er rollte und sprang, das gefahrdrohende Geräusch näherte sich der Waldlichtung mit den Zelten, und es blieb Menschen und Tieren nichts anderes übrig als zu warten, wohin der Block treffen würde.

Mit einem dumpfen Krach blieb er genau zu Beginn der Wiese in der Erde stecken; mit einer Spitze und Kante hatte er sich festgebohrt. Alle atmeten auf.

Endlich nahm das Rauschen und Brausen etwas ab, und der Druck auf die Zelte ließ allmählich nach. Die Tiere rührten sich wieder. Mattotaupa sprang auf den großen Block, so dass ihn alle sehen konnten, und gab das Zeichen dafür, dass man essen und dann aufbrechen wolle.

Untschida, die Großmutter, gab im Zelt Mattotaupas ein karges Frühstück aus. Die Kinder und die Frauen erhielten aus kleinen Lederbeuteln zerriebene Beeren und Wurzeln, Mattotaupa aß eine Handvoll getrocknetes Büffelfleisch, das noch von einer Herbstjagd stammte. Das war alles, und es musste den Hunger für den ganzen Tag stillen. Vor dem Abend würde es nichts mehr zu essen geben.

Die Großmutter Harkas, Mattotaupas Mutter, galt jetzt als die angesehenste Frau im Zeltdorf, da Mattotaupa nach dem Tod des Weißen Büffel bis zur Bestallung eines neuen Friedenshäuptlings der alleinige Anführer der Jägergruppe war. Sie ging hinaus und löste die erste Plane von den Stricken, so dass diese im immer noch stark wehenden Winde wie eine große Fahne donnerte. Das war das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch.