Agent Null

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Oben angekommen gab es noch eine Stahltür. Sobald sie hinter ihnen geschlossen wurde, konnte man keine Maschinengeräusche mehr hören – ein weiterer schallgedämpfter Raum. In der Nähe hörte man klassische Klaviermusik. Brahms. Variationen eines Stückes von Paganini. Die Klänge waren nicht intensiv genug, um von einem echten Klavier zu stammen; es musste eine Art Stereoanlage sein.

„Yuri.“ Die neue Stimme war ein strenger Bariton, leicht krächzend, weil er entweder zu oft brüllte oder zu viele Zigarren rauchte. Dem Geruch des Zimmers nach zu urteilen, war es letzteres. Möglicherweise beides.

„Otets“, sagte Yuri unterwürfig. Er sprach schnell auf Russisch. Reid tat sein Bestes, um Yuris Akzent zu verstehen. „Ich bringe Ihnen gute Nachrichten aus Frankreich ...“

„Wer ist dieser Mann?“, wollte der Bariton wissen. Mit der Art, wie er Russisch sprach, schien es seine Muttersprache zu sein. Reid kam nicht umhin sich zu fragen, was wohl die Verbindung zwischen den Iranern und diesem russischen Mann sein konnte – oder den Schlägertypen im Geländewagen, wenn wir schon dabei waren, und sogar dem serbischen Yuri. Vielleicht ein Waffenhandel, sagte die Stimme in seinem Kopf. Oder etwas Schlimmeres.

„Das ist der Bote der Iraner“, antwortete Yuri. „Er hat die Informationen, nach denen wir suchen –“

„Und du hast ihn hierher gebracht?“, warf der Mann ein. Seine tiefe Stimme erhob sich zu einem Brüllen. „Du solltest nach Frankreich reisen und dich mit den Iranern treffen, nicht ihre Männer hierher zu mir zurückbringen! Du würdest wirklich alles mit deiner Dummheit kompromittieren!“ Es gab ein lautes Klatschen – eine solide Rückhand auf einem Gesicht – und ein Keuchen von Yuri. „Muss ich deine Arbeitsanweisungen auf eine Kugel schreiben, um sie durch deinen dicken Schädel zu bekommen?!“

„Otets, bitte …“, stammelte Yuri.

„Nenn mich nicht so!“, schrie der Mann laut. Eine Waffe wurde geladen – dem Geräusch nach zu urteilen, eine schwere Pistole. „Nenn mich bei überhaupt keinem Namen, in der Gegenwart dieses Fremden!“

„Er ist kein Fremder!“, schrie Yuri zurück. „Er ist Agent Null! Ich habe dir Kent Steele gebracht!“

KAPITEL SIEBEN

Kent Steele.

Für einige Sekunden, die sich wie Minuten anfühlten, herrschte totale Stille. Einhundert Visionen blitzten durch Reids Gedanken, als ob sie maschinell hindurchgeschoben wurden. Die CIA. Geheimoperationen, Division für Spezialaktivitäten, Sondereinheit. Psychologische Operationen.

Agent Null.

Wenn deine Tarnung aufliegt, bist du tot.

Wir reden nicht. Niemals.

Unmöglich.

Seine Finger zitterten wieder.

Es war einfach unmöglich. Dinge wie gelöschte Erinnerungen oder Implantate oder Unterdrücker waren der Inhalt von Verschwörungstheorien und Hollywoodfilmen.

Jetzt war es sowieso egal. Sie wussten bereits die ganze Zeit, wer er war – in der Bar, während der Autofahrt und den ganzen Weg nach Belgien hatte Yuri gewusst, dass Reid nicht der war, der er behauptete. Jetzt waren seine Augen verbunden und er war mit mindestens vier bewaffneten Männern hinter einer Stahltür eingeschlossen. Niemand sonst wusste, wo er war oder wer er war. Ein Knoten der Angst bildete sich tief in seiner Magengegend und ihm wurde fast schlecht davon.

„Nein“, sagte die Baritonstimme langsam. „Nein, du täuschst dich. Dummer Yuri. Das hier ist nicht der CIA Mann. Wenn es so wäre, würdest du nicht hier stehen!“

„Es sei denn, er ist hierhergekommen, um dich zu finden!“, konterte Yuri.

Ein paar Finger griffen nach der Augenbinde und rissen sie ab. Reid blinzelte in die plötzliche Helligkeit der Neonröhren an der Decke. Er blickte in das Gesicht eines Mannes Mitte Fünfzig mit graumelierten Haaren, einem kurzgeschorenen Vollbart und wachsamen, scharfsichtigen Augen. Der Mann, der vermutlich Otets zwar, trug einen anthrazitfarbenen Anzug und die obersten zwei Knöpfe seines Hemdes waren offen. Graue lockige Brusthaare zeigten sich darunter. Sie standen in einem Büro, dessen Wände dunkelrot gestrichen und mit kitschigen Malereien verziert waren.

„Sie“, sagte der Mann in gebrochenem Englisch, „wer sind Sie?“

Reid atmete tief durch und widerstand dem Drang, dem Mann einfach zu sagen, dass er es selbst nicht mehr wusste. Stattdessen sagte er mit zitternder Stimme: „Ich heiße Ben. Ich bin ein Bote. Ich arbeite mit den Iranern zusammen.“

Yuri, der hinter Otets kniete, sprang plötzlich auf die Füße. „Er lügt!“, kreischte der Serbe. „Ich weiß, dass er lügt! Er sagt, dass die Iraner ihn geschickt haben, aber die würden niemals einem Amerikaner vertrauen!“, grinste Yuri heimtückisch. Ein bisschen Blut lief aus der Ecke seines Mundes heraus, wo Otets ihn geschlagen hatte. „Aber ich weiß noch mehr. Sehen Sie, ich habe Sie nach Amad gefragt.“ Er schüttelte seinen Kopf, als er seine Zähne zeigte. „Es gibt keinen Amad unter ihnen.“

Es erschien Reid seltsam, dass diese Männer die Iraner offensichtlich kannten, aber nicht diejenigen, mit denen sie arbeiteten oder die sie schicken würden. Sie waren mit Sicherheit irgendwie verbunden, aber was diese Verbindung sein könnte, wusste er nicht.

Otets fluchte leise auf Russisch vor sich hin. Dann sagte er auf Englisch: „Sie sagten Yuri, Sie seien ein Bote. Yuri sagt mir, Sie sind der CIA Mann. Was soll ich nun glauben? Sie sehen auf jeden Fall nicht so aus, wie ich mir Null vorgestellt hätte. Aber mein dummer Botenjunge sagt eine Wahrheit: die Iraner verachten Amerikaner. Es sieht nicht gut für Sie aus. Sagen Sie mir die Wahrheit oder ich werde Ihnen in die Kniescheibe schießen.“ Er richtete seine schwere Pistole auf ihn – eine TIG Series Desert Eagle.

Reid hielt für einen Moment die Luft an. Dies war eine sehr große Waffe.

Gib nach, drängte ihn die Stimme.

Er war sich nicht sicher, wie er das tun sollte. Er war sich auch nicht sicher, was passieren würde, wenn er es tat. Das letzte Mal als seine neuen Instinkte das Ruder übernommen hatten, waren vier Männer gestorben und er hatte ganz buchstäblich ihr Blut an seinen Händen gehabt. Aber es gab hier für ihn – das heißt für Professor Reid Lawson – keinen Ausweg. Aber Kent Steele, wer auch immer das war, könnte vielleicht einen Weg finden. Vielleicht wusste er nicht genau, wer er war, aber das wäre auch nicht sehr wichtig, wenn er nicht lange genug überlebte, um es herauszufinden.

Reid schloss seine Augen. Er nickte einmal, eine stille Zustimmung, die er der Stimme in seinem Kopf gab. Seine Schultern wurden locker und seine Finger hörten auf zu zittern.

„Ich warte“, sagte Otets schlicht.

„Sie würden damit nicht auf mich schießen wollen“, sagte Reid. Er war überrascht seine eigene Stimme so ruhig und gleichförmig zu hören. „Ein direkter Schuss aus dieser Waffe würde nicht nur mein Knie verwunden. Er würde mein Bein durchtrennen und ich würde innerhalb von Sekunden auf dem Boden dieses Büros verbluten.“

Otets zuckte eine Schulter. „Was sagen die Amerikaner so gerne? Man kann kein Omelett ohne …“

„Ich habe die Informationen, die Sie brauchen“, unterbrach Reid ihn. „Den Aufenthaltsort des Scheichs. Was er mir erzählt hat. Wem ich es erzählt habe. Ich weiß alles über Ihre Verschwörung und ich bin nicht der Einzige.“

Otets Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. „Agent Null.“

„Das habe ich doch gesagt!“, sagte Yuri. „Das habe ich gut gemacht, stimmt’s?“

„Halt die Klappe“, bellte Otets. Yuri sackte wie ein geschlagener Hund in sich zusammen. „Bringt ihn nach unten und kriegt alles raus, was er weiß. Fangt damit an, die Finger abzuschneiden. Ich möchte keine Zeit verschwenden.“

An jedem gewöhnlichen Tag hätte die Drohung, dass seine Finger abgeschnitten werden könnten, einen Schock der Angst in Reid ausgelöst. Seine Muskeln spannten sich für einen Moment, die kleinen Nackenhaare stellten sich auf – aber sein neuer Instinkt kämpfte dagegen an und zwang ihn, sich zu entspannen. Warte, sagte die Stimme. Warte auf eine Gelegenheit ...

Der glatzköpfige Schlägertyp nickte kurz und griff wieder nach Reids Arm.

„Idiot!“, maulte Otets. „Fessele ihn zuerst! Yuri, geh zum Aktenschrank. Darin sollte etwas sein.“

Yuri eilte zu dem Schrank aus Eichenholz, der in der Ecke stand und wühlte darin, bis er ein aufgewickeltes Bündel Schnur daran fand. „Hier“, sagte er und warf es dem kahlköpfigen Brutalo zu.

Instinktiv blickten alle Augen zu dem Bündel Schnur, das sich in der Luft drehte – die der beiden Schläger, Yuris und Otets. Aber nicht Reids. Er hatte eine Gelegenheit und nutzte sie.

Er beugte seine linke Hand und schlug sie in einem spitzen Winkel nach oben, wobei er die Luftröhre des glatzköpfigen Mannes mit der Außenkante seiner Handfläche traf. Er fühlte die Kehle unter seiner Hand nachgeben. Nachdem der erste Schlag gelandet war, schleuderte er seinen linken Stiefelabsatz nach hinten und traf den bärtigen Schlägertypen an der Hüfte – an der gleichen Hüftseite, die der Mann auf der Fahrt nach Belgien bevorzugt hatte.

Ein nasses, gewürgtes Keuchen entwich den Lippen des kahlköpfigen Mannes, als seine Hände an seinen Hals flogen. Der bärtige Brutalo grunzte, als sich sein riesiger Körper drehte und zusammenbrach.

Runter!

Die Schnur landete auf dem Fußboden. Genau wie Reid. In einer fließenden Bewegung ging er in die Hocke und riss die Glock aus dem Knöchelholster des kahlköpfigen Mannes. Ohne aufzusehen, sprang er vorwärts und machte eine Rolle.

 

Sobald er aufsprang, ertönte ein unglaublich lauter donnernder Knall durch das kleine Büro. Der Schuss aus der Desert Eagle hinterließ eine beeindruckende Delle in der Stahltür des Büros.

Reids Rolle stoppte nur wenige Meter von Otets entfernt und er warf sich vorwärts auf ihn. Bevor sich Otets zum Zielen drehen konnte, griff Reid von unten nach seiner Waffe – greife niemals nach der oberen Seite, das ist der schnellste Weg einen Finger zu verlieren – und drückte sie hoch und weg. Die Waffe feuerte einen weiteren Schuss, ein durchdringender Knall, nur ein paar Zentimeter von Reids Kopf entfernt. Es pfiff in seinen Ohren, aber er ignorierte es. Er drehte die Waffe seitlich nach unten, wobei er den Lauf von sich weg schob und sie näher an seine Hüfte zog – mit Otets Hand noch immer daran. Der ältere Mann warf seinen Kopf zurück und schrie als der Finger brach, den er noch immer am Abzug hatte. Reid wurde von dem Geräusch fast schlecht, als die Desert Eagle zu Boden fiel.

Er wirbelte herum und schlang einen Arm um Otets Hals, um ihn als Schild zu benutzen, als er auf die beiden Schlägertypen zielte. Der Glatzkopf war außer Gefecht und rang verzweifelt durch seine zerstörte Luftröhre nach Luft, doch der bärtige Mann hatte seine TEC-9 aus dem Riemen gezogen. Ohne zu zögern, feuerte Reid in schneller Folge drei Schüsse ab, zwei in die Brust und einen in die Stirn. Ein vierter Schuss erlöste den Glatzkopf von seinem Elend.

Reids Gewissen schrie ihn aus seinem Hinterkopf an. Du hast gerade zwei Männer getötet. Noch zwei weitere Männer. Aber sein neues Bewusstsein war stärker und schob die Übelkeit und den Drang nach Selbstschutz in den Hintergrund.

Du kannst später in Panik geraten. Im Moment bist du noch nicht fertig hier.

Reid wirbelte wieder herum, mit Otets vor ihm, als würden sie tanzen und richtete er die Glock nun auf Yuri. Der unglückselige Bote hatte Schwierigkeiten, seine Sig Sauer aus seinem Schultergurt herauszuziehen.

„Stopp“, befahl Reid. Yuri erstarrte.

„Hände hoch.“ Der serbische Bote hob langsam die Hände. Seine Handflächen zeigten nach außen. Er grinste breit.

„Kent“, sagte er auf Englisch, „wir sind doch sehr gute Freunde, nicht wahr?“

„Nehmen Sie meine Beretta aus Ihrer linken Jackentasche und legen Sie sie auf den Boden“, wies Reid ihn an.

Yuri leckte das Blut aus seinem Mundwinkel und wackelte mit den Fingern seiner linken Hand. Langsam griff er in die Tasche und zog die kleine schwarze Pistole heraus. Aber er legte sie nicht auf den Boden. Stattdessen hielt er sie, mit dem Lauf nach unten gerichtet.

„Wissen Sie“, sagte er, „es scheint so, dass, wenn Sie Informationen haben möchten, Sie mindesten einen von uns lebendig brauchen. Ja?“

„Yuri!“, knurrte Otets. „Tu, was er sagt an!“

„Auf den Boden“, wiederholte Reid. Er wandte seinen Blick nicht von Yuri ab, war jedoch besorgt, das andere Leute in der Anlage den Knall der Desert Eagle gehört haben könnten. Er wusste nicht, wie viele Leute dort unten waren, aber das Büro war schallisoliert und es liefen überall Maschinen. Es war möglich, dass niemand etwas gehört hatte – oder sie waren vielleicht an den Klang gewöhnt und dachten nicht weiter darüber nach.

„Vielleicht“, sagte Yuri, „nehme ich diese Waffe und erschieße Otets. Dann brauchen Sie mich.“

„Yuri, nyet!“, heulte Otets dieses Mal mehr erstaunt als wütend.

„Sehen Sie, Kent“, sagte Yuri, „dies ist nicht La Cosa Nostra. Es ist mehr wie, ähm … ein verstimmter Angestellter. Sehen Sie, wie er mich behandelt. Also vielleicht sollte ich ihn erschießen und Sie und ich finden dann eine Lösung …“

Otets biss die Zähne zusammen und zischte eine Reihe von Flüchen, aber der Bote grinste nur noch breiter.

Reid wurde langsam ungeduldig. „Yuri, wenn Sie die Waffe nicht hinlegen, bin ich gezwungen –“

Yuris Arm bewegte sich leicht mit dem geringsten Anzeichen nach oben zu gehen. Reids Instinkt reagierte blitzschnell. Ohne nachzudenken zielte und feuerte er, einen einzigen Schuss. Es passierte so schnell, dass der Knall der Pistole ihn erschrak.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Reid, er hätte ihn nicht getroffen. Dann rann dunkles Blut aus einem Loch in Yuris Hals. Er fiel auf seine Knie und versuchte schwach mit einer Hand den Blutstrom zu stoppen, aber dafür war es bereits viel zu spät.

Es kann bis zu zwei Minuten dauern, aus einer durchtrennten Halsschlagader zu verbluten. Er wollte wirklich nicht wissen, woher er das wusste. Aber es dauerte nur sieben bis zehn Sekunden, um von dem Blutverlust das Bewusstsein zu verlieren.

Yuri sackte nach vorn. Reid drehte sich sofort in die Richtung der Stahltür und zielte mit der Glock auf ihre Mitte. Er wartete. Sein eigener Atem war ruhig und gleichmäßig. Er war nicht einmal ins Schwitzen geraten. Otets atmete kurze, keuchende Atemzüge und hielt seinen gebrochenen Finger mit seiner unverletzten Hand fest.

Es kam niemand.

Ich habe gerade drei Männer erschossen.

Dafür ist jetzt keine Zeit. Verschwinde, so schnell du kannst.

„Bleiben Sie auf der Stelle“, knurrte Reid Otets an, als er ihn langsam losließ. Er gab der Desert Eagle einen Tritt, sodass sie in die Ecke flog. Sie landete unter dem Aktenschrank. Er hatte keine Verwendung für eine Waffe wie diese. Er ließ auch die automatischen TEC-9 Pistolen zurück, die den Schlägertypen gehört hatten; sie waren ziemlich ungenau, nur dafür geeignet, möglichst viele Kugeln in einem breiten Bereich zu feuern. Stattdessen schob er Yuris Körper mit dem Fuß zur Seite und griff sich die Beretta. Er behielt außerdem die Glock und steckte je eine Pistole und seine Hände in seine Jackentaschen.

„Wir werden von hier verschwinden“, sagte Reid zu Otets, „Sie und ich. Sie gehen zuerst und werden so tun, als wäre alles in Ordnung. Sie gehen mit mir nach draußen und führen mich zu einem anständigen Auto. Denn die hier?“ Er deutete auf seine Hände, die jeweils in einer Tasche steckten und eine Pistole umschlungen hielten. „Diese beiden hier werden auf Ihre Wirbelsäule gerichtet sein. Machen Sie einen einzigen Fehltritt oder sagen Sie ein falsches Wort und ich werde eine Kugel zwischen Ihren L2- und L3-Wirbeln vergraben. Wenn Sie das Glück haben, es zu überleben, werden Sie für den Rest Ihres Lebens gelähmt sein. Verstanden?“

Otets funkelte ihn an, aber er war klug genug, einfach zu nicken.

„Gut. Dann gehen Sie vor.“

Der russische Mann blieb an der Stahltür des Büros kurz stehen. „Sie werden hier nicht lebend herauskommen“, sagte er auf Englisch.

„Sie sollten es besser hoffen“, knurrte Reid, „weil ich sonst dafür sorgen werde, dass Sie es auch nicht tun.“

Otets öffnete die Tür und trat auf die Treppe hinaus. Sofort konnte man wieder Maschinengeräusche hören. Reid folgte ihm aus dem Büro auf die kleine Stahlplattform. Er blickte nach unten über das Geländer auf den Bereich darunter. Seine Gedanken – Kents Gedanken? – waren korrekt gewesen; dort waren zwei Männer, die an einer hydraulischen Presse arbeiteten. Ein weiterer Mann an einer Schlagbohrmaschine. Noch einer stand an einem kurzen Förderband und inspizierte elektronische Komponenten, die langsam auf eine Stahlfläche am Ende rollten. Zwei weitere Männer mit Schutzbrille und Latexhandschuhen saßen an einem Melamintisch und maßen sorgfältig irgendwelche Chemikalien ab. Seltsamerweise, wie er bemerkte, handelte es sich um eine Mischung aus Nationalitäten – drei waren dunkelhaarig und weiß, wahrscheinlich russisch, aber zwei kamen definitiv aus dem Nahen Osten. Der Mann an der Bohrmaschine war Afrikaner.

Der mandelähnliche Duft des Dinitrotoluols kam ihm entgegen. Sie stellten Sprengstoff her, wie er bereits vorher am Geruch und an den Geräuschen erkannt hatte.

Insgesamt waren sie sechs. Wahrscheinlich bewaffnet. Keiner von ihnen blickte auch nur zu dem Büro hinauf. Sie würden hier drinnen nicht schießen – nicht wenn Otets hier draußen war und diese flüchtigen Chemikalien in der Luft lagen.

Aber ich kann es auch nicht, dachte Reid.

„Beeindruckend, nicht wahr?“, sagte Otets mit einem Grinsen. Er hatte bemerkt, wie Reid die Halle inspizierte.

„Bewegen Sie sich“, befahl er.

Otets ging los, sein Tritt war auf der ersten Metallstufe zu hören. „Wissen Sie“, sagte er beiläufig, „Yuri hatte recht.“

Geh hinaus. Geh zum Geländewagen. Zertrümmere das Tor. Und fahre, so schnell du kannst.

„Sie brauchen einen von uns.“

Fahre wieder auf die Autobahn. Finde eine Polizeistation. Beziehe Interpol mit ein.

„Und der arme Yuri ist tot …“

Übergib ihnen Otets. Zwinge ihn zum Reden. Wasche deinen Namen von den Morden an den sieben Männern rein.

„Es kommt mir also so vor, dass Sie mich nicht töten können.“

Ich habe sieben Männer ermordet.

Aber es war Selbstverteidigung.

Otets erreichte die untere Stufe und Reid war direkt hinter ihm mit beiden Händen in seinen Jackentaschen. Seine Handflächen waren verschwitzt, eine jede hielt eine Pistole. Der Russe blieb stehen und blickte leicht über seine Schulter, ohne Reid jedoch direkt anzusehen. „Die Iraner. Sind sie tot?“

„Vier von ihnen“, sagte Reid. Der Lärm der Maschinerie übertönte fast seine Stimme.

Otets schnalzte mit der Zunge. „Schade. Aber andererseits … bedeutet es, dass ich richtig liege. Sie haben keine Spuren, niemanden sonst, zu dem Sie gehen könnten. Sie brauchen mich.“

Er hatte Reid durchschaut. Panik stieg in seiner Brust auf. Die andere Seite, die Kent-Seite, wehrte sich dagegen. „Ich weiß alles, was uns der Scheich gesagt hat –“

Otets kicherte leise. „Der Scheich, ja. Aber Sie wissen bestimmt bereits, dass Mustafar nur so wenig wusste. Er war ein Geldgeber. Er war weich. Dachten Sie, wir würden ihm wirklich unsere Pläne anvertrauen? Und wenn dem so sei, warum sind Sie dann hierhergekommen?“

Schweißperlen bildeten sich auf Reids Stirn. Er war in der Hoffnung hierhergekommen, Antworten zu finden, nicht nur über diesen angeblichen Plan, sondern auch darüber, wer er war. Er hatte viel mehr gefunden, als er erwartet hätte. „Bewegen Sie sich“, forderte er erneut. „Zur Tür, langsam.“

Otets ging die letzte Stufe hinunter und bewegte sich langsam, aber er ging nicht in Richtung Tür. Stattdessen machte er einen Schritt in Richtung Halle, in die Richtung seiner Männer.

„Was machen Sie da?“, fragte Reid.

„Ich habe Sie durchschaut, Agent Null. Sollte ich falsch liegen, werden Sie mich erschießen.“ Er grinste und machte einen weiteren Schritt.

Zwei der Arbeiter sahen auf. Aus ihrer Sicht sah es so aus, als würde Otets einfach mit einem unbekannten Mann sprechen, vielleicht ein Geschäftspartner oder ein Vertreter einer anderen Interessengruppe. Kein Grund zur Besorgnis. Die Panik machte sich erneut in Reids Brust breit. Er wollte die Waffen nicht loslassen. Otets war nur zwei Schritte entfernt, aber Reid konnte ihn ja nicht greifen und in Richtung Tür zwingen – nicht ohne die sechs Männer zu alarmieren. Und er konnte es nicht riskieren, in einem Raum voller Sprengstoff zu schießen.

„Do svidaniya, Agent Null“, grinste Otets. Ohne seine Augen von Reid zu nehmen, schrie er auf Englisch: „Erschießt diesen Mann!“

Zwei weitere Männer sahen auf und blickten Otets verwirrt an. Reid hatte den Eindruck, dass diese Männer Arbeiter waren, keine Fußsoldaten oder Bodyguards, wie das Paar toter Gauner oben im Büro.

„Idioten!“, brüllte Otets, um die Maschinerie zu übertönen. „Dieser Mann ist von der CIA! Erschießt ihn!“

Das hatte funktioniert. Die zwei Männer am Melamintisch sprangen auf und griffen nach ihren Schulterholstern. Der Afrikaner an der Schlagbohrmaschine bückte sich und hob eine AK-47 an seine Schulter.

Sowie sie sich bewegt hatten, sprang Reid nach vorne und riss gleichzeitig beide Hände – und beide Pistolen – aus seinen Taschen. Er drehte Otets an der Schulter herum und richtete die Beretta auf die linke Schläfe des Russen. Dann richtete er die Glock auf den Mann mit der AK, sein Arm ruhte auf Otets Schulter.

 

„Das wäre nicht sehr weise“, sagte er laut. „Sie wissen ja, was passieren könnte, wenn wir anfangen, hier drinnen zu schießen.“

Der Anblick einer Pistole am Kopf ihres Bosses veranlasste den Rest der Männer zum Handeln. Er hatte recht; sie alle waren bewaffnet und jetzt hatte er sechs Waffen auf sich gerichtet und lediglich Otets stand zwischen ihnen. Der Mann, der die AK hielt, blickte nervös zu seinen Kollegen. Eine kleine Schweißperle rann ihm die Stirn hinunter.

Reid ging einen kleinen Schritt rückwärts und bewegte Otets mit einem Stoß der Beretta dazu, ihm zu folgen. „Nett und einfach“, sagte er ruhig. „Wenn Sie hier drinnen anfangen zu schießen, wird das gesamte Gebäude in die Luft gehen. Und ich glaube nicht, dass Sie heute sterben wollen.“

Otets biss die Zähne zusammen und murmelte einen Fluch auf Russisch.

Stück für Stück wichen sie mit winzigen Schritten zur Tür der Anlage. Reids Herzschlag drohte Überhand zu nehmen. Seine Muskeln spannten sich nervös an und dann wurde er wieder locker, als ihn die andere Seite in ihm zwang, sich zu entspannen. Keine Spannung in den Gliedmaßen. Angespannte Muskeln verlangsamen deine Reaktionszeit.

Mit jedem winzigen Schritt, den er und Otets rückwärts gingen, kamen die sechs Männer ihnen einen Schritt hinterher, wobei sie den Abstand zwischen ihnen kurz hielten. Sie warteten auf eine Gelegenheit und je weiter entfernt sie von den Maschinen sein würden, desto unwahrscheinlicher wäre es, eine unbeabsichtigte Explosion auszulösen. Reid wusste, dass es lediglich die Angst Otets versehentlich zu töten war, die sie vom Schießen abhielt. Niemand sprach, aber die Maschinen dröhnten hinter ihnen. Die Spannung in der Luft war greifbar, elektrisch; er wusste, dass jeden Moment jemand nervös werden und schließen könnte. Dann berührte sein Rücken die Doppeltür. Noch ein Schritt und er drückte sie auf und zog Otets mit einem weiteren Stoß vom Lauf der Beretta mit sich.

Noch bevor sich die Tür wieder schloss, knurrte Otets seine Männer an. „Der kommt hier nicht lebend raus!“

Dann schloss sich die Tür und die Beiden befanden sich im nächsten Raum, wo Wein hergestellt wurde, mit klirrenden Flaschen und dem süßen Duft von Trauben. Sobald sie hindurch waren, drehte sich Reid um, die Glock zielte in Brusthöhe vor sich – und die Beretta drückte noch immer auf Otets Schläfe.

Eine Abfüll- und Verschlussmaschine lief, war aber größtenteils automatisiert. Die einzige Person im ganzen Raum war eine einzelne, müde aussehende, russische Frau mit einem grünen Kopftuch. Beim Anblick der Pistole und Reid und Otets wurden ihre müden Augen vor Entsetzen riesengroß und sie warf beide Hände in die Luft.

„Machen Sie sie aus“, sagte Reid auf Russisch. „Verstehen Sie?“

Sie nickte energisch und bewegte zwei Hebel auf einem Bedienfeld. Die Maschinen surrten kurz und kamen langsam zum Stillstand.

„Gehen Sie“, sagte er zu ihr. Sie schluckte und ging langsam in Richtung Ausgangstür. „Schnell“, rief er mürrisch. „Gehen Sie raus!“

„Da“, murmelte sie. Die Frau eilte zur schweren Stahltür, warf sie auf und rannte in die Nacht hinaus. Die Tür knallte mit großem Krach wieder zu.

„Was nun, Agent?“, grunzte Otets auf Englisch. „Wie ist Ihr Fluchtplan?“

„Halten Sie die Klappe.“ Reid zielte mit der Waffe auf die Doppeltür zum nächsten Raum. Warum waren sie noch nicht durchgekommen? Er konnte nicht einfach weitergehen, ohne zu wissen, wo sie sich befanden. Wenn es in der Anlage eine Hintertür gab, dann waren sie vielleicht draußen und warteten auf ihn. Sollten Sie ihnen folgen, würde es nicht möglich sein, Otets zum Geländewagen zu bringen und damit wegzufahren, ohne dabei erschossen zu werden. Hier drüben drohte kein Sprengstoff; sie könnten also, wenn sie wollten, Schüsse abgeben. Würden sie es riskieren, Otets zu töten, um zu ihm zu gelangen? Angespannte Nerven und eine Pistole waren für niemanden die ideale Kombination, nicht mal für ihren Boss.

Bevor er sich entscheiden konnte, was er als Nächstes tun würde, erloschen die hellen Neonröhren über ihren Köpfen. Augenblicklich wurden sie in Dunkelheit getaucht.

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