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Dunkel und beängstigend still liegt seine Wohnung vor Jackson als er zwei Stunden später zurückkommt. Leise entledigt er sich seiner Lederjacke und schiebt den Helm in die Ecke neben der Türe. Ob er schläft? fragt er sich, während er seine Boots von den Füßen streift. Doch die Frage erübrigt sich, als er langsam über den knarzenden Dielenboden Richtung Wohnzimmer schleicht. Dort hat Luca die dicke Kerze vom Regal genommen und auf den Koffertisch gestellt. In ihrem fahlen Schein tanzen gespenstische Schatten an den Wänden.

Luca sitzt nackt auf der Couch, die Füße auf den Rand des Tischs gestellt. Er hält ein halbvolles Glas Rotwein in den Händen. Als Jackson unsicher den Raum betritt, nimmt er einen Schluck.

„Hi“, haucht der Heimkehrer und räuspert sich, um Kraft in seine Stimme zu bekommen.

Luca sieht ihn an. Ernst. Vorwurfsvoll.

„Für wen hältst du dich?!“, knurrt er angepisst. „Nimmst mich nebenbei wie einen Drink und haust einfach ab.“ Er zieht seine Nase hoch.

„Hast du etwa geheult?“, fragt Jackson erschrocken.

Natürlich waren Luca vor Frust ein paar Tränen über die Wangen gelaufen. Immerhin stand er nackt und mit einer steinharten Latte im Flur und traute seinen Augen nicht, dass Jackson einfach abgehauen war. Doch das würde er niemals im Leben zugeben.

„Klar! Ich hab‘ mir die Seele aus dem Leib geflennt, weil ein Arschloch wie du mich durchfickt und dann wie ein Stück Dreck einfach liegen lässt. Für MEINE Bedürfnisse war ja anscheinend keine Zeit mehr!“

Jackson tritt näher. „Es tut mir leid“, murmelt er und schiebt verlegen die Hände in die Hosentaschen. „Das mit dir … das hat mich …“

„Noch nie hat mich jemand so gedemütigt wie du eben!“, fällt Luca ihm schneidend ins Wort. „Das war das Allerletzte! Und ich hab‘ gedacht, du wärst …“ Er blickt nervös auf sein Glas und zuckt dann leicht mit den Achseln. „… was Besonderes. Ja, ich hab‘ tatsächlich gedacht …“ Er lacht humorlos auf. „Pech gehabt, Denero“, murmelt er und trinkt den letzten Schluck.

Ächzend erhebt er sich. „Ich geh‘ dann mal schlafen. Und morgen verzieh‘ ich mich. Dann kannst du weiter mit deinem kleinen Freund rummachen. Na, dem hast du ja jetzt ‘ne tolle Geschichte zu erzählen.“ Er schnaubt abschätzig.

Doch bevor Luca sich bewegen kann, tritt Jackson schnell an ihn heran und gibt ihm einen kleinen Schubs.

„Bleib!“, befiehlt er mit fester Stimme. Und kaum landet Luca in dem Polster, als Jacks sich auch schon vor ihn kniet. Seine Hände fahren nervös über Lucas Oberschenkel. Er beugt demütig den Kopf und starrt auf das Kissen vor seiner Nase.

„Tut mir leid, Luca. Ich … war … überfordert. Die Sache mit dir, die hat mich … umgehauen.“

Die vergangenen zwei Stunden ziehen an seinem inneren Auge vorbei. Wie er wie ein Irrer aus der Stadt raus zu der kleinen – halb verfallenen – Kirche gebrettert war. Wie er dort zitternd in eine Ecke gekrabbelt und erst langsam wieder zur Vernunft gekommen war. Jackson war sich bisher immer sowas von sicher, was sein Leben betrifft; seine Gefühle. Niemals hätte er damit gerechnet einen solchen Supergau an Emotionen wegen einer spontanen Vögelei zu erleben. Das war … erschütternd. Immer wieder sah er Lucas geschmeidigen verschwitzten Körper vor sich. Und sein Stöhnen wollte einfach nicht aus Jacksons Kopf.

Während er sich eine Beruhigungszigarette anzündete, versuchte er, die Situation für sich zu klären: Der Typ hat mich voll in seinen Bann geschlagen. Wenn ich nicht aufpasse, werde ich süchtig nach dem. Dann steh‘ ich ganz schön blöd da. Nicht lange und er haut wieder ab; zurück in sein altes Leben. Ich will auf keinen Fall einer unerfüllten Liebe nachweinen. Meine Unabhängigkeit ist alles was ich habe. Passt da so ein Mensch rein? So ein flatterndes Fähnchen im Wind? Der versteht doch überhaupt nicht, wie ich lebe. Und ich kann nicht nachvollziehen, wie sich jemand so abhängig machen kann. Wieso nur? Er ist so unglaublich

„Ooooh!“ Jackson raufte sich genervt die Haare. „So schön … der ist so unglaublich …“

Fuck!! Der geilste Typ, dem ich jemals begegnet bin. Ich bin sowas von geliefert.

Schließlich krabbelte er aus seiner staubigen Ecke, bestieg seine Maschine und fuhr eine weitere Stunde ziellos durch die Gegend. Als er sich wieder in der Lage sah, Luca gegenüber zu treten, fuhr er nach Hause.

Ihn angepisst vorzufinden war abzusehen gewesen; doch dass er dabei nackt und angetrunken – wie in einem Porno – mit gespreizten Beinen auf der Couch sitzen würde … das ließ Jackson erneut vor Erregung zittern.

„Du hast mich auch umgehauen“, antwortet Luca leise und seine Stimme klingt gar nicht mehr sauer; nur noch unendlich betrübt. „Und dann verpisst du dich einfach. Ich kam mir vor wie ein benutztes Flittchen.“ Er starrt neben Jackson auf den Boden.

Unablässig fahren Jacks Hände über Lucas Oberschenkel. „Das war Scheiße von mir. Kann ich das irgendwie wieder gut machen?“ Er blickt bittend empor.

Lucas Augen wirken im Kerzenschein wie zwei dunkle Löcher. Sein Gesichtsausdruck ist undefinierbar. Doch dann zucken seine Mundwinkel.

„Du könntest mir einen blasen!“

Fast zeitgleich zaubert seine Bemerkung Jacksons Grübchen hervor.

„Das wäre nur fair“, lächelt er. Ohne den Blick abzuwenden beugt er sich vor und küsst Lucas Innenseiten der Oberschenkel. Dieser atmet daraufhin einmal laut durch die Nase.

„Gut?“, haucht Jackson ihm zu.

„Mhmm“ Luca lehnt den Kopf gegen die Rückenlehne der Couch. „Ja, mach‘ weiter“, raunt er zufrieden. Automatisch spreizt er seine Beine ein wenig mehr. Jackson schiebt sich näher an ihn heran. Seine Lippen küssen vorsichtig Lucas noch schlaffen Penis. Immer wieder. Rauf und runter. Bis er zusätzlich seine Zunge einsetzt und jeden Zentimeter ableckt. Zwischendurch führt er den erigierenden Schwanz ganz in den Mund ein. Er lutscht und saugt, dass Luca ziemlich schnell hohe jammernde Laute entweichen. Innerlich lächelt Jackson. Das ist ja sowas von geil, wenn so ein großer Kerl beginnt, sich wehrlos zu räkeln und Geräusche von sich zu geben, die an kleine Kätzchen erinnern.

Zwischendurch blickt er an Luca empor. Mann! Dieser Typ ist dermaßen unwiderstehlich. Sein Oberkörper ist in Jacksons Augen genau richtig. Nicht zu schmal, aber auch nicht zu übertrieben. Jacks steht zwar auf Muskeln, doch nicht auf eine übertriebene Bodybuilder-Figur. Lucas Bauch ist flach; das Zentrum bildet ein ästhetisches Sixpack.

Und als hätte er Jacksons Gedanken gelesen, streichelt er sich über die Brust und kneift in seine vor Erregung hart abstehenden Brustwarzen. Doch nicht lange, schon kratzen seine unruhigen Hände erneut über das Polster neben sich.

Er hat die Augen geschlossen und im Kerzenschein zeichnen sich die Schatten seiner langen Wimpern auf der Haut ab. Ständig leckt er über seine halbgeöffneten Lippen, die dadurch im diffusen Licht verführerisch glänzen. Umrahmt wird sein schmales Gesicht von dichten langen Haaren, die ihm bis zu den Schlüsselbeinen reichen. Sein Brustkorb hebt und senkt sich immer schwerer, je länger Jackson ihn verwöhnt. Du unglaubliche Schönheit! Ich will, dass du so lange wie möglich bei mir bleibst.

Immer schwerer fällt es Jackson, Lucas harten Schwanz ganz einzuführen. Auch dieses Körperteil gefällt ihm außerordentlich gut. Ein prächtiges Stück. Eine Schande, dass Luca so abstinent gelebt hat. Aber nicht mit mir, mein Freund, keucht Jackson in Gedanken. Sanft umfasst er Lucas Hoden und zieht vorsichtig daran, während er sich erneut seinen Penis in den Mund stößt. Hechelnd hält er inne.

„Rutsch mal mit dem Hintern ein Stück zu mir“, flüstert er auffordernd. Ohne die Augen zu öffnen kommt Luca seiner Bitte nach. Jackson speichelt den Mittelfinger seiner linken Hand ein und tastet sich an den nun präsentierenden Eingang.

„Mmm“, stöhnt Luca kurz auf, als der Finger in ihn dringt. Doch schon lässt seine spontane Verkrampfung nach. Jackson kann es nicht lassen und muss ihn trotzdem ein wenig reizen.

„Naa, bist du immer noch wund da hinten? Hat dir das gefallen, wie ich dich gefickt hab‘, hmm?“

Jetzt greift Luca nach seinem harten Schwanz und reibt ihn, während Jackson seine Hoden massiert und mit dem Finger nach der typischen Erhebung der Prostata sucht.

„Ja“, keucht Luca erregt. „Das war …“ Mit einem Stöhnen unterbricht er sich selbst. Jackson ist fündig geworden. Sanft drückt und massiert er weiter.

Prompt biegt Luca seinen Rücken durch. Seine Beine spreizen sich automatisch noch ein Stück.

„Du bist ein richtige Schlampe, Luca“, tadelt ihn Jackson gespielt ernst.

Seinem ‚Opfer‘ fällt es immer schwerer zu sprechen.

„Ich … bin … eine ziemlich … notgeile Schlampe!“, keucht Luca.

„Du hast es nötig, hmm?“, führt Jacks grinsend seinen Dirty-Talk weiter.

„Ja … Ja …“ Im Takt der Bewegungen des Mittelfingers und seiner eigenen Massage bewegt Luca sich auf seinen Höhepunkt zu. Als er zwischendurch die Augen öffnet, treffen sich ihre Blicke und lassen einander nicht mehr los.

„Komm!“, haucht Jackson tonlos. Lediglich an der Bewegung seiner Lippen erkennt Luca, was er sagt. Und als würde er implodieren, krampft sich sein Körper zusammen. Sein Oberkörper beugt sich leicht vor. Seine Kopfhaltung wirkt, als würde ein Raubtier auf den geeigneten Moment warten, zuzuschlagen. Seine Mähne hängt ihm wirr ins Gesicht. Eine Sekunde … zwei Sekunden … dann holt er laut Luft und schmeißt sich zurück. Er brüllt, er stöhnt, er jammert, während er auf Brust und Bauch abspritzt. So hart ist es ihm seit Ewigkeiten nicht mehr gekommen. Diese Situation ist ja auch nicht mit seiner einsamen gelegentlichen Wichserei zu vergleichen. Wow, was für eine Befreiung.

 

Doch das Schönste, das aller-aller Geilste an diesem Moment ist für Jackson nicht dieser verstörend weggetretene Blick, bevor Luca befreit loslässt; obwohl dieser Jacks bereits ein mulmiges Gefühl im Magen beschert. Nein, umgehauen hat ihn, dass Luca im Moment seines Höhepunkts – kaum erkennbar durch den langgezogenen Laut – seinen Namen – Jacks – gestöhnt hat.

Und noch härter trifft ihn die Erkenntnis, dass ihm diese Tatsache höllisch gefällt.

Schon wieder wird Luca mit Musik geweckt. Leise sanftes Gedudel, das er im verschlafenen Zustand nicht zuordnen kann. Ist das ein Radio? Oder ein Player? Er setzt sich auf, streckt sich und reibt seine müden Augen.

Es wurde noch spät gestern. Sie hatten die angebrochene Flasche Rotwein gekillt, während sie nebeneinander auf der Couch saßen. Luca nackt und Jackson in T-Shirt und Jeans. Jackson konnte die ganze Zeit über nicht die Finger von ihm lassen, was Luca außerordentlich gefiel. So lange hatte er auf diese Normalität verzichtet. Diese ganz normale Banalität – neben einem Typen zu sitzen, der einem sympathisch ist und ein wenig zu flirten … oder mehr. Schließlich endete ihr Petting in einer Hardcore-Knutscherei. Dabei holten sie sich gegenseitig einen runter. Es wäre auch zu mehr gekommen, doch keiner von ihnen war bereit, sich vom anderen zu lösen und ein Kondom aus Jacks‘ Zimmer zu holen.

Beschwingt springt Luca aus dem Bett und zieht lediglich seine Jeans über. Im Flur wird ihm klar, dass die Musik aus dem Wohnzimmer kommt. Er nähert sich leise. Nein, kein Radio. Erstaunt starrt er auf das sich ihm bietende Bild.

Auf der Rückenlehne des Sofas sitzt Abs. Er lehnt gegen die Wand, hat die Augen geschlossen und spielt verträumt auf einem Saxophon. Leise, unaufdringlich und sanft schmeicheln sich die vibrierenden Töne ins Ohr. Durch die Fenster scheint die Morgensonne und erhellt den größten Teil des Raumes. Jackson hat den alten flachen Holztisch genau in den Lichtfleck gezogen. Lediglich in Boxershorts sitzt er im Lotussitz darauf, das Gesicht der Sonne entgegen und meditiert.

Die ganze Szene wirkt dermaßen friedlich, dass Luca nach einigen Momenten automatisch seinen Puls senkt. Er atmet langsamer und tiefer. Sein Blick wird glasig und weggetreten. Wie von selbst versetzt er sich in den Zustand, in dem er seine Heilungen vornimmt. Fast gewaltsam reißt er seinen Geist zurück. Nicht jetzt, mahnt er sich. Er ist gerade aufgestanden. Wenn er sich jetzt fallen lässt, sackt sein Kreislauf sofort ab. Zuerst frühstücken.

Ein letzter – verliebter? – Blick in Jacksons Richtung und Luca geht zurück in sein Zimmer. Schnell zieht er das Shirt von gestern über. Um mal eben Brötchen zu holen, wird’s reichen. Vorsichtig zieht er die Haustüre hinter sich ins Schloss. Er weiß inzwischen, dass er nur einmal um den Block gehen muss, um die nächste Bäckerei und den nächsten Metzger zu erreichen.

Beim Bäcker holt er eine große Tüte gemischter Brötchen. Die Verkäuferin fragt ihn schließlich: „Sind Sie Jacksons neuer Untermieter?“ Als Luca lächelnd bejaht, öffnet sie die Tüte und fügt noch zwei weitere Brötchen hinzu.

„Hier“, zwinkert sie Luca zu. „Die mag er besonders gerne. Grüßen Sie ihn schön von mir, ja?“

Die Verkäuferin in der Metzgerei ist jünger, schätzungsweise um die Zwanzig. Daher spricht sie Luca sofort an. Anscheinend funktioniert die Mund-zu-Mund-Propaganda in dieser kleinen Stadt ganz ausgezeichnet. Wieso fragen sie gerade ihn? Irgendjemand muss von ihm erzählt haben.

„Du wohnst bei Jackson, oder?“, fragt nun auch das Mädchen in der Metzgerei. Auch hier lächelt Luca ungläubig und bestätigt die Frage.

„Soll ich dir direkt was zusammenstellen oder willst du selber wählen?“, fragt sie als nächstes.

Luca überlässt ihr die Wahl, da er sowieso kaum Wurst isst. Schließlich schiebt sie ihm ein schweres Päckchen über die Theke. Der Anblick lässt Luca schlucken. Er hatte mit ihr gar keinen Preis abgesprochen.

„Gib mir einfach zehn Euro“, winkt sie ab als er nach dem Preis fragt. „Und grüß‘ Jackson schön … und auch Hennes, ja?“

„Mach‘ ich gerne und vielen Dank“, erwidert Luca höflich und verabschiedet sich.

Als er den Laden verlässt, wendet sich das Mädchen an ihre Kollegin. „Hast du DEN gesehen?“, fragt sie mit großen Augen. Die Kollegin presst die Lippen aufeinander und nickt.

„Armer Hennes“, entfährt es beiden gleichzeitig.


Der Frühstückstisch ist bereits gedeckt, Luca hat geduscht und der Kaffee ist durchgelaufen, als schließlich die leisen Saxophontöne verstummen. Luca schlendert hinüber, um mit dem Frühstück zu locken. Als er ins Wohnzimmer blickt, sieht er beide Männer im Sonnenschein stehen. Jackson hält Abs‘ Gesicht in den Händen und küsst ihn langsam und zärtlich. Diese liebevolle Geste wirkt unglaublich vertraut. Luca presst die Lippen zusammen und dreht sich weg. Doch in diesem Moment bemerkt ihn Jackson.

„Heyy … guten Morgen“, lacht er ihn an. Die Meditation hat ihre Spuren hinterlassen. Jackson wirkt ausgeruht und noch ein wenig entrückt. Er strahlt regelrecht. Auch Abs lächelt versonnen.

„Hallo“, erwidert Luca verlegen. Wieso bin ich eigentlich so verlegen? – Weil du irgendwie störst! beantwortet er seine eigene unausgesprochene Frage.

„Das war toll, Hennes“, lobt er Jacksons Freund. Wieso nenn‘ ich ihn denn jetzt auf einmal Hennes? geht die spöttische Fragerei in seinem Kopf weiter. Am besten sag‘ ich gleich ‚Johannes‘. Dann hab‘ ich endgültig bei ihm verschissen.

„Danke“, lächelt der blasse Punk ihn an. Augenscheinlich freut er sich. Vermutlich gibt es nicht so viele Anlässe, zu denen er gelobt wird. Er hält sein Saxophon – zärtlich wie ein Neugeborenes – im Arm. Jetzt stellt er es vorsichtig in einen Ständer an der Wand.

„Ich hab‘ Frühstück gemacht“, kündigt Luca an und kommt sich dabei vor wie eine Mutti, die die Familie zum Essen ruft. Ja, er muss es einräumen. Er fühlt sich wie ein Störenfried und Fremdkörper. Aber es passt ihm trotzdem nicht, dass Jackson diesen schmalen Hering abknutscht; und wenn es auch nur aus Dankbarkeit ist. Quatsch, die haben doch auch Sex zusammen.

Und er würde Absinth am liebsten am Kragen packen, in den Hausflur befördern und als abschließenden Gruß sein Saxophon hinterher werfen.

Jetzt muss er doch tief atmen, um seinen Puls wieder zu normalisieren. Was bildest du dir nur ein?! maßregelt er sich. DU bist hier der Eindringling. Und du hast kein Recht irgendetwas zu fordern. Bald bist du wieder weg und dann? – Ja, was dann?

Betrübt sacken seine Schultern herab und die dunkel-glänzenden Augen werden stumpf. Bemüht locker folgt er den hungrigen Wölfen in die Küche.


Die Überraschung ist Luca gelungen. Jackson und Absinth kriegen sich überhaupt nicht mehr ein. Als hätten sie seit Tagen nichts gegessen, schlingen sie in Nullkommanichts etliche Brötchen hinunter. Die Stimmung ist locker und färbt ziemlich schnell auf Luca ab. Natürlich spielen auch Jacksons begehrliche Blicke in seine Richtung eine Rolle. Doch Luca geht nicht so offensiv darauf ein wie er es gerne würde. Abs‘ Anwesenheit verunsichert ihn. Wie soll er mit dem Typen flirten, der gerade noch einen Anderen abgeknutscht hat? Das ist überhaupt nicht Lucas Ding. Dazu ist er einfach zu … ja, zu höflich.

„Kommst du heute mit zu ‚Resi‘?“, fragt Jackson ihn unvermittelt.

Luca zieht fragend die Augenbrauen hoch. Das ist Antwort genug für seinen Vermieter.

„Das ist eine Kneipe im Zentrum. Da finden öfters Kleinkunst-Events statt. Mal sind die Dichter dran, mal die Schauspieler oder Pantomimen und dann geben die Belletristik-Schreiberlinge Lesungen. Doch heute …“ Er hämmert mit beiden Zeigefingern einen schnellen Trommelwirbel auf die Tischkante. „… heute sind die Sänger dran. Das Publikum darf abstimmen, wer am besten war. Ich hab‘ mit einer Freundin einige Wochen geübt. Sie ist Französin, mit einer umwerfend rauchigen Stimme. Und ich begleite sie auf der Gitarre.

Wir haben ‚Voyage Voyage‘ von Desireless eingeübt. Da gibt’s auf dem Album ‚More love & good vibrations‘ eine langsame Coverversion. Stimme mit Gitarrenbegleitung. Unglaublich traurig, aber auch unglaublich schön. Ein Song wie für Julie gemacht. Sie hat eine Stimme, da möchtest du dich reinsuhlen. Stimmt doch, Abs, oder?“

Sein Kumpel nickt heftig mit vollen Backen.

„Wär‘ schön, wenn du auch kommst.“, murmelt Jackson, während er – betont lässig – nach seiner Zigarettenpackung greift und zwei herauszieht. Als er sie anzündet, trifft sein flehender Blick Luca bis in die Tiefen seines Herzens. Freude durchflutet ihn.

„Na klar komm‘ ich. Das möchte ich auf keinen Fall verpassen. Hab‘ dich ja noch nie spielen gehört.“

„Er spielt wie ein Profi“, wirft Absinth geradezu ehrfürchtig ein.

Abwehrend verzieht Jackson den Mund. „Julie ist die Attraktion des Abends. Sie hat sich beworben und tritt gegen neun andere Interpreten an. Ich bin bloß ihr Gitarrist. Ich sitz‘ im Hintergrund und begleite ihre einmalige Stimme.“

„Seit wann so bescheiden?“, frotzelt Abs und greift ganz selbstverständlich zur zweiten Zigarette.

„Schnauze, Abs! Stell‘ mich nicht so dar als ob ich ‘ne Rampensau wäre. Ist eigentlich überhaupt nicht mein Ding. Aber Julie zuliebe mach‘ ich’s eben.“

„Spielt ihr in keiner Band?“, fragt Luca überrascht.

Beide schmunzeln.

„Nee!“ Jackson schüttelt langsam den Kopf. „Das ist nicht unser Ding. Wir wollen Musik machen, weil wir Spaß dran haben. Wenn du in einer Band spielst, will immer einer das Sagen haben. Außerdem hab‘ ich keinen Bock, damit Geld zu verdienen. Da geht’s nämlich im Endeffekt immer drum. Kohle, Kohle, Kohle. Alle verbiegen sich schließlich, nur weil einer ankommt und mit ein paar Scheinen wedelt. Spätestens dann wär‘ ich sowieso weg.“

„Lass‘ mal“, winkt Abs ab. „Wie soll Doktor Wunderlich das nachvollziehen können? Im Grunde macht er ja nichts anderes. Ist lediglich eine andere Kunstform, die er ausübt.“

„Bist du bescheuert?“, fährt Luca ihn an. „Du weißt überhaupt nichts über mich. Weder über mein Leben, noch über meine Einstellung zu Geld oder Erfolg oder … was weiß ich?!“ Finster starrt er den frech grinsenden Typen auf der anderen Seite des Tisches an.

„Ich hab‘ dein Auto gesehen, Mann. So eine Karre kostet ‘ne Menge Schotter. Also hör‘ auf, hier den Heiligen zu spielen. Du verkaufst dich, ist doch völlig klar. Ich sag‘ ja auch gar nichts dagegen. Doch du musst mich nicht anscheißen … bloß weil ich die Wahrheit sage.“

„Deine Wahrheit, schon klar!“, faucht Luca in seinen Kaffeebecher.

„Schluss jetzt!“, befiehlt Jackson und verpasst Absinth einen Schlag mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. „Wolltest du dich nicht bei Luca bedanken … wegen deiner Heilung … die er – nebenbei bemerkt – völlig kostenlos vorgenommen hat?“

„Ohne mich zu warnen, was kommt!“, schnappt Abs wie ein Terrier hinterher.

„Vergiss es einfach“, kontert Luca ernst.

„Sei doch nicht direkt so angepisst!“, erwidert Absinth theatralisch und hebt beide Hände vorwurfsvoll empor.

„Wieso?! Angepisst sein kostet doch nichts!“, ätzt Luca zurück. „Da Geld verdienen in diesem Haus hier anscheinend unter Strafe steht, konzentriere ich mich nur noch auf Dinge, die sogar von deiner untadeligen Person akzeptiert werden.“

Absinth beugt sich streitsüchtig vor. „Du bist die größte Diva, die ich seit langem getroffen hab‘. Du meinst wohl, nur weil du eine hübsche Fresse hast, müssten alle auf dein Kommando hören! Du kannst mich mal!“

Lucas Augen blitzen gemein. „Cornuto“, knurrt er hämisch grinsend, während er die Rechte zu einer Faust ballt und dann den Zeigefinger und den kleinen Finger abspreizt.

„Hast du mich gerade verflucht, du italienischer Bastard?“ Absinth steht langsam auf und stützt sich dabei mit den Fäusten auf die Tischplatte.

So ähnlich, denkt Luca böse.

„Hennes“, schaltet sich nun Jackson ein. Seine Stimme bleibt ruhig, doch er duldet keinen Wiederspruch. „Du gehst jetzt besser!“

Abs atmet tief durch, bevor er „Ich glaube auch“, flüstert und sich betont langsam vom Tisch entfernt.

 

„Stronzo“, murmelt Luca und blickt Absinth böse hinterher.

„Ja, du mich auch!“, kontert sein Gegner, bevor er endgültig die Küche verlässt. Eine Sekunde später knallt die Haustüre ins Schloss.

„Geil, wie du fluchst!“, grinst Jackson. „So weit bist du von ‚animalisch‘ gar nicht mehr entfernt.“


Absinths Herz rast wie ein D-Zug durch seine schmale Brust. Dieses arrogante Arschloch. Schmeißt sich an meinen Freund ran und besitzt auch noch die Frechheit … Ja, was denn für eine Frechheit? Ach, er will nicht weiter darüber nachdenken. Reicht doch, dass dieses verwöhnte Zuckerstück Jackson den Kopf verdreht. Vor Wut rollen ihm einige Tränen über die Wangen, während er die zwei Treppen hochstampft. In der zweiten Etage muss er noch eine weitere halbe Treppe erklimmen. Hier waren zu früheren Zeiten die Dienstboten untergebracht. Seine kleine Dachwohnung steht ihm unentgeltlich zur Verfügung. Jacksons Oma ist wirklich sehr großzügig. Ihr Enkel hatte sie nur einmal fragen müssen und sie hatte zugestimmt, Abs die ungefähr dreißig Quadratmeter unterm Dach beziehen zu lassen. Schließlich kannte die alte Dame Familie Wermuth seit der Schulzeit der beiden Freunde. Da war diese Geste eine Selbstverständlichkeit für sie.

Abs reißt die Türe auf. Abschließen kommt für ihn nicht in Frage. Einmal, weil sowieso keiner der anderen Mieter auf die Idee käme, dass es bei ihm etwas zu klauen gäbe. Zweitens würde er sowieso in kürzester Zeit seinen Schlüssel verlieren.

Schluchzend lässt er sich auf seine breite Matratze fallen. Er lockert die Schnürsenkel seiner klobigen Doc Martens und streift sie schließlich von den Füßen.

Neben dem Saxophon, das er von seinem Vater geerbt hat, besteht Absinths zweiter wertvoller Besitz aus einem Ipad. Das hatte Jacks ihm geschenkt, nachdem er sich ein neueres zusammengespart hatte. Nun greift er nach dem Gerät und gibt auf Google den Begriff ‚Cornuto‘ ein. Was meinte dieser italienische Arsch bloß mit diesem Begriff und mit dieser Geste? Schnell hat Absinth gefunden wonach er sucht. Und es treibt ihm erneute Tränen der Wut in die Augen. Es bedeutet, die Frau oder Freundin des verfluchten Mannes war ihm untreu; hat ihm sozusagen Hörner aufgesetzt.

„Ach, erzähl‘ mir doch mal was, das ich nicht schon weiß!“, schreit er verzweifelt. Spontan pfeffert er das Ipad beiseite und schmeißt sich in die Kissen.

Gestern Abend war er irgendwann auf Socken die Treppe hinabgeschlichen. Jackson wollte ihn nicht hereinlassen und Abs wusste genau was das zu bedeuten hatte. Dieser Schönling hatte ihn an der Angel. Und sein Freund hatte diesbezüglich noch nie Rücksicht auf Absinths Gefühle genommen. Es war völlig klar, dass er sich weder zurückhalten noch später in irgendeiner Form erklären würde. Er machte was er wollte. Das war schon immer so. Und nichts anderes gestand er seinem Freund und zeitweiligen Bettgenossen zu. Denn dass sie keine Beziehung im eigentlichen Sinne führten, war auch Abs klar. Doch wenn er mich Hennes nennt, dann tu‘ ich am besten aufs Wort, was er von mir verlangt. Denn dann ist eine Grenze erreicht, die ich nicht überschreiten darf. Ich liebe ihn nun mal mehr als er mich. Das wusste ich von Anfang an. Doch dass es so scheiße weh tut

Schluchzend drückt sich Abs die Handballen auf die Augen.

Er saß also ziemlich weit unten auf der Treppe im Dunkeln und lauschte. Warum er sich das antat, war ihm selbst nicht klar. Das Stöhnen und die vereinzelten Schreie, die schließlich aus der Wohnung ertönten … das war für ihn die reinste Folter. Zitternd saß er auf einer der unteren Treppenstufen. Noch nie hatte sich Jacks dermaßen beim Sex vergessen. Das wurde Abs klar, als er die dunkle Stimme seines Liebhabers vernahm … und wie sie ihn beim Höhepunkt beinahe im Stich ließ.

Keine halbe Minute später kam Jackson aus der Türe gestürzt. Ihm fehlte sogar die Zeit, das Flurlicht einzuschalten. Im Dunkeln stolperte er zur Haustüre, riss sie auf und war weg.

Hinter der geschlossenen Wohnungstüre hörte er Luca einmal „Jackson?“ rufen. Daraufhin sprang Absinth auf und eilte die Treppen hoch. Jetzt auch noch Luca zu treffen, das ging überhaupt nicht … er wollte von dem Konkurrenten auf keinen Fall im Flur entdeckt werden … mit rot verheulten Augen … und der andere befriedigt und immer noch mit Jacksons Geruch …

Die Erinnerung lässt Abs erneut verzweifelt aufheulen. So ein Scheißdreck!