Skizzen aus dem Londoner Alltag

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Sechstes Kapitel
Die Damen-Vereine.

Unser Kirchspiel ist äußerst fruchtbar an Damen-Wohlthätigkeits-Anstalten. Für den Winter, wenn nasse Füße gewöhnlich und kalte nicht selten sind, haben wir den Damen-Suppen-Vertheilungs-, und den Damen-Bettzeug-Vertheilungs-Verein. Für den Sommer, wann viel Steinobst genossen wird und Magendrücken vorherrscht, haben wir den Damen-Arznei-Vertheilungs- und den Damen-Kranken-Besuchs-Verein; während des ganzen Jahrs aber den Damen-Kinderprüfungs-, den Damen Bibel- und Gebetbuchs-Vertheilungs- und den Damen-Kindbettweißzeug-Monats-Leih-Verein.

Die beiden letztgenannten sind entschieden die bedeutendsten. Ob sie größere Wohlthaten verbreiten, als die Uebrigen, vermögen wir nicht zu beurtheilen, aber wir können es auf uns nehmen, feierlichst zu versichern, daß sie weit mehr Unruhe und Bewegung verursachen, als alle anderen zusammengenommen.

Wir sind, fast mit einigem Erröthen, genöthigt zu sagen, daß der Bibel- und Gebetbuchs-Verein nicht so populär ist, als der Kindbettweißzeug-Verein; doch hat sich der Bibel- und Gebetbuchs-Verein nichts destoweniger innerhalb der letzten beiden Jahre ansehnlich vergrößert und an Bedeutung zugenommen, da ihm durch die aufwieglerische Opposition des Kinderprüfungs-Vereins eine ansehnliche Verstärkung zugekommen ist, welche faktiöse Opposition in folgendem Umstande ihren Ursprung hatte.

Zur Zeit, als der junge Pfarrer noch populär war und der Geschmack aller unverheiratheten Damen des Kirchspiels eine ernste Richtung genommen hatte, wurden auf einmal die Kinder der Versorgungs-Anstalt Gegenstände besonderer und wesentlicher Teilnahme. Die drei Miß Browns (enthusiastische Verehrerinnen des Pfarrers) lehrten, übten, prüften und überhörten die unglückseligen Kinder, bis die Knaben vor Anstrengung blaß und die Mädchen schwindsüchtig wurden. Die drei Miß Browns konnten es sehr gut ausdauern, weil sie einander ablösten; aber bei den Kindern, denen durchaus keine Erleichterung zu Theil wurde, zeigten sich verschiedene Symptome von Erschlaffung und andere besorgliche Erscheinungen. Der gleichgültigere Theil der Kirchspiels-Angehörigen lachte zu all' dem, der einsichtsvollere Theil aber enthielt sich, irgend eine Meinung zu äußern, bis sich der Pfarrer darüber ausgesprochen hatte.

Die Gelegenheit blieb nicht lange aus. Der Pfarrer hielt eine Wohlthätigkeitspredigt zu Gunsten der Schule der Kinderversorgungs-Anstalt; und in dieser Rede verbreitete er sich mit glühender Beredtsamkeit ausführlich über die preiswürdigen und unermüdlichen Anstrengungen gewisser achtungswürdiger Personen. Man hörte ein vernehmliches Schluchzen aus den Kirchstühlen der drei Miß Browns und sah den Kirchenstuhlschließer dieser Abtheilung eilig durch den mittleren Kirchgang in die Sakristei eilen und alsbald wieder mit einem Glase Wasser zurückkehren; ein leises Aechzen erfolgte; noch zwei weitere Kirchstuhlschließer eilten herbei, und die drei Miß Browns, jede auf einen Schließer gestützt, wurden aus der Kirche geführt und kehrten nach Verlauf von fünf Minuten mit weißen Taschentüchern vor den Augen wieder zurück, als wenn sie auf dem anliegenden Kirchhofe einem Leichenbegängnisse beigewohnt hätten.

Wenn auch der geringste Zweifel einen Augenblick existirt hätte, auf wen die Lobeserhebung anzuwenden sei, so war er nun auf einmal gehoben.

Der Drang, die armen Kinder zu erleuchten, wurde nun allgemein, und die drei Miß Browns wurden einstimmig angegangen, die Schule in Klassen abzutheilen und jede Klasse der Oberaufsicht zweier jungen Damen zuzuweisen.

Halbe Gelehrsamkeit ist eine gefährliche Sache, aber halbe Gunst noch viel übler. Die drei Miß Browns stellten lauter alte Jungfern an und schloßen die jüngern sorgfältig aus. Die alten Jungfern triumphirten; die Mütter geriethen an den Rand der Verzweiflung, und es ist unmöglich eine Vermuthung auszusprechen, in welche gewaltsame Handlungen der allgemeine Unwille gegen die drei Miß Browns noch ausgebrochen wäre, hätte nicht die Vorsehung einen Zufall herbeigesandt, der dem Strom der öffentlichen Meinung eine andere Richtung gab.

Frau Johnson Parker nämlich, die Mutter von sieben ausgezeichnet hübschen und sämmtlich unverheirateten Töchtern, hinterbrachte eiligst mehreren andern Müttern hübscher und unverheiratheter Töchter, daß fünf alte Männer, sechs alte Frauen und unzählig viele Kinder jeden Sonntag ohne Bibel und Gebetbuch zur Kirche kämen. Hatte man je so etwas in einem civilisirten Lande gehört? Konnten solche Dinge in einem christlichen Lande geduldet werden? Nimmermehr! Alsbald wurde ein Damen-Bibel- und Gebetbuchs-Vertheilungs-Verein gebildet. Zur Präsidentin wurde Frau Johnson Parker ernannt, die Schatzmeisters-, Controleurs- und Secretärsstellen aber den Misses Johnson Parker übertragen; es wurden Subscriptionen eröffnet; Bücher angekauft, und alle Bedürftigen damit versorgt, und als diese Bibeln und Gebetbücher am nächstfolgenden Sonntag nach diesen Vorfällen zum ersten Male in Anwendung kamen, gab es ein solches Auf- und Zuklappen der Bücher, ein solches Rasseln mit den Blättern, daß es fünf Minuten lang lediglich unmöglich war, auch nur ein Wort von der Liturgie zu vernehmen.

Die drei Miß Browns und ihre Partei sahen die herannahende Gefahr und versuchten sie dadurch abzuwenden, daß sie die Gesellschaft durch Spott lächerlich machten. »Weder die alten Männer, noch die alten Frauen könnten die Bücher lesen, die ihnen geschenkt worden seien,« sagten sie. – »Hat nichts zu sagen; sie können's lernen,« erwiederte Mrs. Frau Johnson Parker. »Auch die Kinder können nicht lesen,« sagten die drei Miß Browns.– »Thut nichts; man kann sie auch lehren,« entgegnete Frau Johnson Parker. Man wog die Wichtigkeit der beiden Parteien gegeneinander ab, und die Parteien waren einander gleich. Die Miß Browns veranstalteten eine öffentliche Prüfung – die öffentliche Meinung neigte sich auf die Seite des Kinderprüfungs-Vereins. Die Johnson Parker's vertheilten öffentlich Bibeln und Gebetbücher – und es fand eine Reaction zu Gunsten des Bibel- und Gebetbuchs-Vertheilungs-Vereins statt. Eine Feder würde die Wagschale geneigt haben, und eine Feder neigte sich wirklich.

Ein Missionär kehrte aus West-Indien zurück; er sollte, bei Gelegenheit seiner Vermählung mit einer reichen Wittwe, der Dissenters-Missions-Gesellschaft für die Ausbreitung des Christenthums unter den Heiden vorgestellt werden. Den Dissenters wurden durch die Johnson Parkers Anerbietungen gemacht. Ihre Zwecke waren ja dieselben, warum sollte also nicht eine vereinigte Zusammenkunft beider Gesellschaften statt finden können? Der Antrag wurde angenommen, der Tag der Versammlung durch öffentliche Ankündigungen im Voraus gehörig ausposaunt, und der Saal war bis zum Ersticken voll. Der Missionär erschien auf der für ihn erbauten Rednerbühne und wurde mit Enthusiasmus empfangen. Er gab ein Gespräch zwischen zwei Negern zum Besten, das er mit angehört haben wollte; sie hatten hinter einem Gartenzaune über die Vertheilungs-Gesellschaften unterredet – der Beifall wurde zum Toben. Nun ahmte er vollends das englische Kauderwälsch der beiden Neger nach, und das ganze Haus erbebte von stürmischem Beifallsgeschrei.

Von diesem Tage an war die Popularität der Bibel-Vertheilungs-Gesellschaft in stets wachsendem Zunehmen begriffen, das durch die schwache und ohnmächtige Opposition der Prüfungs-Partei nur noch mehr gefördert wurde.

Was nun den wichtigen Punkt der Kindbetts-Weißzeug-Monats-Leih-Vereine betrifft, so beruht seine Bedeutsamkeit hauptsächlich darauf, daß er weit weniger dem Schwanken der öffentlichen Meinung unterworfen ist, als der Bibel-Vertheilungs- und der Kinder-Prüfungs-Verein; und mag es kommen, wie es will, so wird es ihm nie an Veranlassung zur Wohlthätigkeitsübung fehlen. Unser Kirchspiel gehört, wie bereits früher erwähnt worden, zu dem volkreichsten, und wenn irgend eines zur Vermehrung der Gesammtzahl der Hauptstadt und ihrer Umgebungen beiträgt, so möchten wir fast behaupten zu dürfen glauben, daß unseres eher mehr leistet, als seine gerechte Schuldigkeit ist. Die Folge davon ist, daß der Kindbetts-Verein blüht, und seine Mitglieder bedeutenden Einfluß ausüben. Der Verein (dessen Gebrauch, seine Geschäftszeit in Monate einzutheilen, ihr den Namen gegeben hat) hält monatlich große Thee-Gesellschaften, bei denen der Monatsbericht verlesen, eine Sekretärin für den folgenden Monat gewählt und das in diesem Monat nicht ausgeliehene Weißzeug sorgfältig gestürzt wird. Wir waren nie bei einer dieser Versammlungen zugegen, denn Herren sind, wie wir kaum bemerken zu müssen glauben, völlig ausgeschlossen; allein Herr Bung ist ein paar Mal zu den Sitzungen berufen worden; und wir können auf seine Autorität hin versichern, daß es bei den Verhandlungen mit großer Ordnung und Regelmäßigkeit zugeht, indem unter keinerlei Vorwand gestattet wird, daß mehr als vier Mitglieder zu gleicher Zeit sprechen.

Der regelmäßige Ausschuß besteht ausschließlich aus verheiratheten Damen, dagegen wird eine ganze Legion junger, unverheiratheter Damen von achtzehn bis fünfundzwanzig Jahren als Ehrenmitglieder zugelassen – theils weil sie sich durch ihre Beiträge und Besuche der Kindbetterinnen sehr nützlich machen, theils weil es von großem Interesse ist, sie schon bei Zeiten in die ernsteren Pflichten ihres späteren Lebens einzuweihen, und endlich, weil kluge Mütter nicht selten Gelegenheit gefunden haben, die Erfahrung zu machen, daß ihnen dieser Umstand bei Heirathsspeculationen wundervolle Dienste geleistet hat.

Außer den Monats-Weißzeug-Körben (die alle blau gemalt sind, und auf deren Deckel der Name des Vereins mit großen, weißen Buchstaben prangt) vertheilt der Verein zuweilen unter seine Kindbetterinnen auch Bouillon und eine Art warm Bier, mit Gewürze, Eiern und Zucker, gewöhnlich unter dem Namen »Caudle« bekannt, wozu die Dienste der Ehrenmitglieder abermals in Anspruch genommen und auch mit großer Bereitwilligkeit geleistet werden. Deputationen von zwei oder drei werden ausgesendet, um die Kindbetterinnen zu besuchen, und bei dergleichen Besuchen sieht man ein solches Kosten von Caudle und Bouillon, ein solches Vertheilen in kleine Portionen und Umrühren in kleinen Gefäßen, ein solches An- und Auskleiden der Kleinen und ein solches Binden und Halten und Heften, ein solches Pflegen und Wärmen kleiner Beine am Kamine, einen so fröhlichen Wirrwarr von Geplauder und Kochen, Lärmen, Wichtigthun und Geschäftigkeit, wie man es in seinem Leben nicht lustiger gesehen hat.

 

Im Bestreben, diesen beiden Anstalten nachzueifern, und um noch einen letzten Versuch zu machen, sich in der verlorenen Gunst des Kirchspiels wieder festzusetzen, beschlossen die Mitglieder des Kinder-Prüfungs-Vereines vor einigen Tagen, eine große öffentliche Prüfung mit den Waisen zu veranstalten, wozu der große Unterrichts-Saal des National-Seminars, mit Zustimmung der Kirchspiels-Autoritäten, eingeräumt wurde. Einladungs-Circulare wurden bei allen angesehenen Kirchspiels-Angehörigen herumgeschickt, und dabei natürlich die Häupter der andern beneideten Vereine nicht vergessen, da das Ganze zu ausgedacht war; man erwartete mit Zuversicht eine zahlreiche Versammlung. Der Fußboden wurde den Tag zuvor unter der unmittelbaren Oberaufsicht der drei Miß Browns mit großer Sorgfalt gescheuert; Bänke wurden zur Bequemlichkeit der Zuhörer rings um den Saal aufgestellt und die besten Schreibbücher sorgfältig ausgelesen und so lange durchgegangen, verbessert, und zugestutzt, bis selbst die Kinder, die sie geschrieben hatten, noch mehr darüber erstaunt waren, als es allem Vermuthen nach die sein konnten, die sie lesen sollten. Zusammengesetzte Rechnungs-Exempel wurden eingeübt, wiederholt, und so lange wiederholt, bis sämmtliche Schüler die Facits vollständig auswendig wußten; kurzum, die Vorbereitungen waren so umfassend und mühselig, als es nur immer möglich sein konnte.

Der Morgen kam; die Kinder wurden mit Oelseife geseift, mit Flanell gerieben, und mit Handtüchern abgetrocknet, bis ihre Gesichter glänzten; man kämmte eines jeden Waisen Haar sorgfältig gegen seine Augen hin; die Mädchen wurden mit schneeweißen Halskrägen geschmückt, und ihre Hüte mit einem einfachen, purpurfarbenen Bande festgebunden, die Hälse der Knaben aber in eine Halsbinde von ungeheurer Höhe gezwängt. Als sich die Thüren aufthaten, erblickte man die Miß Browns und Comp. in einfachen, weißen Mousselinkleidern und ditto Hauben – die Kinderprüfungs-Uniform. Der Saal füllte sich; man grüßte sich laut und herzlich; die Austheilungspartei zitterte, denn ihre Popularität stand auf dem Spiele.

Der älteste Knabe trat vor und stotterte eine auswendig gelernte Anrede aus seiner Halsbinde hervor, worin er die Anwesenden um ihre Gunst bat. Sie war aus Herrn Henry Brown's Feder, der Beifall allgemein, und die Johnson Parkers voller Bestürzung und banger Erwartung. Die Prüfung hatte den besten Fortgang und endigte mit einem vollkommenen Triumphe. Der Kinderprüfungs-Verein hatte also für dieß Mal den Sieg erlangt, und die Johnson Parkers entfernten sich in Verzweiflung.

Noch am selbigen Abend wurde aber ein geheimer Rath des Austheilungs-Vereins unter Frau Johnson Parker's Präsidium zusammen berufen, um die besten Maßregeln zu berathschlagen, wie der Boden, den sie in der Gunst des Kirchspieles verloren, wieder zu erlangen sei. Was war zu thun? Sollte man eine abermalige Versammlung berufen? Ach, nein! Es war zu befürchten, daß sie von Niemand besucht würde. Vom Missionär war zum zweiten Male ein Effekt zu hoffen, und die Sclaven waren emancipirt. Ein kühner Schritt mußte gethan und das Kirchspiel auf die eine oder die andere Weise in Erstaunen gesetzt werden; aber Niemand war im Stande einen solchen Schritt anzugeben. Endlich hörte man eine sehr alte Dame in kaum verständlichen Tönen murmeln: »Exeter-Hall.« Augenblicklich ging der Versammlung ein Licht auf. Es wurde einstimmig beschlossen, daß eine aus alten Damen bestehende Deputation zu einem als Redner berühmten Irrländer sich verfügen und ihn um seinen Beistand und um die Gefälligkeit einer Rede bitten, nebenzu aber auch einige andere alte, schwache Frauen, die nicht im Kirchspiele wohnten, aufsuchen und dieselben bitten solle, sich dabei einzufinden. Die Bemühungen der Deputation hatten Erfolg; die Versammlung wurde anberaumt; der Irländer ließ nicht auf sich warten. Er redete von grünen Inseln – fernen Gestaden – dem unermeßlichen Ocean – der bodenlosen Hölle – christlicher Liebe – Blut und Vertilgung – Barmherzigkeit im Herzen – bewaffneten Herren – Alter und häuslichem Herd – heimischen Göttern. Er trocknete seine Augen, blies die Nasenlöcher auf, und flocht lateinische Brocken ein. Die Wirkung war ungeheuer – das Latein aber der entscheidendste Schlag. Kein Mensch verstand zwar, was er sagen wollte, aber Jedermann war überzeugt, daß es rührend sein müsse, weil ja sogar der Redner ganz ergriffen war.

Die Popularität des Vertheilungs-Vereins unter unsern Damen ist ohne Beispiel; – und der Kinderprüfungs-Verein geht seinem vollständigen Verfall entgegen.

Siebentes Kapitel
Unser nächster Nachbar.

Bei unsern Spaziergängen durch eine Straße machen wir uns gern unsere Gedanken über den Charakter und die Beschäftigung Derjenigen, welche in derselben wohnen, und nichts unterstützt uns dabei so wesentlich, als das Aeußere der Hausthüren. Das verschiedene Gepräge des menschlichen Gesichtes bildet einen schönen und interessanten Stoff für das Studium; aber es liegt fast eben so viel Charakteristisches und kaum weniger Trügliches in der Physiognomie der Thürklopfer. So oft wir Jemand zum ersten Mal besuchen, so betrachten wir die Umrisse seines Thürklopfers mit der angelegentlichsten Neugierde, denn wir wissen wohl, daß zwischen dem Mann und seinem Klopfer nothwendig ein gewisser Grad von Aehnlichkeit und Sympathie stattfinden muß.

So gehe ich z. B. eben an einem Thürklopfer vorbei, der zu der gewöhnlicheren Sorte gehört: er ist groß und rund, und ruht auf dem lustigen Gesichte eines zutraulichen Löwen, der einem freundlich zulächelt, wenn man mit den Fingern in den Haarlocken dreht, oder an dem Hemdkragen zupft, bis die Thüre geöffnet wird. Wir sahen nie einen solchen Klopfer an der Thüre eines filzigen Mannes, und unserer Erfahrung zufolge, verkündet er immer, daß man bei einer Flasche gern gesehen ist.

Man bemerkt einen solchen Klopfer nie an der Thüre eines kleinen Anwalts oder eines Papiermäklers, denn diese lieben eine andere Art von Löwen, eine wildaussehende Bestie mit groben Zügen, in denen sich viehischer Stumpfsinn ausdrückt: dieser ist eine Art Großmeister unter den Klopfern und das Lieblingssymbol eines selbstsüchtigen Grobians.

Dort ist ein kleiner naseweiser Aegyptier mit langem, schmalem Gesichte, aufgestülpter Nase und sehr spitzigem Kinn, den man vorzugsweise bei den Regierungsbeamten mit ihren hellbraunen Beinkleidern und Steifcravatten vorfindet. Diese sind kleine, sparsame, superkluge Leute, welche gewaltig von sich eingenommen sind und das non plus ultra aller Wichtigkeit zu sein wähnen.

Vor einigen Jahren wurden wir nicht wenig in Verlegenheit gesetzt durch eine neue Art von Thürklopfer, ganz ohne Gesicht, der nur aus einem von einer Hand oder von einem kleinen Stab herunterhängenden Ring bestand. Einiges Nachdenken setzte uns jedoch in die Lage, die Schwierigkeit zu überwinden und die Neuerung unserer Lieblingstheorie einzuverleiben. Man findet diesen Klopfer ohne Unterschied an den Thüren kalter, förmlicher Leute, die Einen immer fragen, warum man sie nie besuche, während sie Einen doch nie einladen.

Alle Welt kennt den Thürklopfer der Landhäuser in Vorstädten und ausgedehnteren Kostschulen: er bildet die hervorstechendste und bezeichnendste Species.

Einige Phrenologen behaupten, daß die Thätigkeit des menschlichen Gehirns bei verschiedenen Leidenschaften entsprechende Veränderungen in der Form des Schädels veranlasse. Man darf uns jedoch nicht so verstehen oder unsere Theorie so weit auf die Spitze treiben, daß, unserer Behauptung zufolge eine Veränderung in dem Charakter eines Menschen, eine erkennbare Wirkung auf die Physiognomie seines Thürklopfers übe; denn unsere Ansicht ist blos die, daß in einem solchen Falle der magnetische Rapport, der zwischen dem Mann und seinem Thürklopfer besteht, Ersteren veranlassen wird, den Letzteren zu entfernen, und ihn mit einem solchen zu ersetzen, der seiner veränderten Sinnesart angemessen ist. Findet man je, daß Jemand seine Wohnung ohne einen vernünftigen Grund wechselt, so kann man sich darauf verlassen, daß es deßhalb geschehen ist, weil der Bewohner nicht mehr mit seinem Klopfer übereinstimmte, obgleich dieß der Betheiligte vielleicht selbst nicht einmal ahnt. Unsere Theorie ist zwar neu, aber wir halten sie dem ungeachtet fest, und betrachten sie für ebenso geistvoll und untrüglich, als viele tausende der philosophischen Spekulationen, welche täglich zum Besten des allgemeinen Wohles und des häuslichen Glückes in's Leben treten.

Da die Klopfer für uns eine solche Wichtigkeit haben, so kann man sich leicht denken, mit welcher Bestürzung uns die Entfernung eines solchen von der Thüre unseres Nachbarhauses erfüllte, da derselbe vor einiger Zeit durch eine Klingel ersetzt wurde. Das war ein Strich durch unsere Rechnung, den wir nicht voraus gesehen hatten. Schon der bloße Gedanke, daß Jemand ohne Klopfer existiren könnte, erschien uns so träumerisch, daß wir ihn nicht einen Augenblick für möglich gehalten hätten.

Wir verließen unmuthig die Stelle und lenkten unsere Schritte nach Eaton Square, das eben im Entstehen begriffen war. Aber man denke sich unser Staunen und unsern Unwillen, als wir daselbst fanden, daß die Klingel zur Regel gehörte und der Klopfer nur eine Ausnahme bildete. – Unsere Theorie erlitt hiedurch einen gewaltigen Stoß. Wir eilten nach Hause, und da wir in den nächsten Zeiten schon dem gänzlichen Außerbrauchkommen einer solchen Thürzierde entgegen sehen zu müssen glaubten, so entschlossen wir uns, von Stund an unsere Forschungen an unsern nächsten Nachbar in Person anzustellen. Das Haus zu unserer Linken war unbewohnt, und wir hatten daher volle Muße, unsern Nachbar zur Rechten zu beobachten.

Das Haus ohne den Klopfer gehörte einem Stadtbediensteten, und in dem Fenster des Parterrezimmers stak ein zierlich geschriebener Zettel mit der Nachricht, daß hier eine Wohnung für einen ledigen Herrn zu vergeben wäre.

Es war ein niedliches, ziemlich kleines Haus auf der Winterseite, mit neuen, schmalen Bodentüchern in der Hausflur und neuen schmalen Teppichen auf der Treppe in den ersten Stock. Tapeten, Malerei und Hausgeräthe waren neu, und alle drei verkündigten die beschränkten Mittel des Bewohners. In einem der Zimmer lag ein kleiner roth und schwarzer Teppich, der nicht den ganzen Boden bedeckte; und ein paar eingelegte Sessel, ein Pembroketisch und zwei kleine Pfeilercommoden, auf deren jeder eine rosenfarbene Schaale stand, bildeten, nebst dem Theeservice, der Zuckerdose, einigen Muschelschaalen auf dem Kamingesims und drei geschmackvoll übereinander gelegten Pfauenfedern über demselben, die Ausstattung des Gemachs.

Dieß war das Zimmer, welches den ledigen Herrn den Tag über beherbergen sollte, während eine kleine Hinterstube auf demselben Boden das Schlafappartement abgeben sollte.

Der Zettel hatte noch nicht lange in dem Fenster gesteckt, als sich ein wohlbeleibter, gutmüthig aussehender Gentleman von ungefähr Fünfundvierzig als Bewerber um das Logis meldete. Die Bedingungen waren bald bereinigt, und unmittelbar nach diesem ersten Besuche wurde der Zettel wieder weggenommen. Ein paar Tage nachher zog der ledige Herr ein, und bald darauf erfuhr man auch, wessen Geistes Kind er wäre.

Zuerst ließ sich bemerken, daß er eine außerordentliche Vorliebe für das Aufbleiben bis drei oder vier Uhr Morgens hegte, wobei er Wiskey und Wasser trank und Cigarren rauchte; dann machte er auch gerne Einladungen an seine Freunde, welche sich um zehn Uhr einzustellen pflegten und ungefähr nach Mitternacht lustig zu werden anfingen, indem sie Lieder sangen, wobei der Chor mit voller Kraft und in einer sehr lärmenden und enthusiastischen Weise einfiel – zum großen Verdruß der Nachbarn, und insbesondere zur nicht geringen Störung eines andern ledigen Herrn, welcher gerade über ihnen wohnte.

Das war allerdings schlimm genug, da es im Durchschnitt mindestens dreimal in der Woche vorkam – aber es war noch nicht Alles. Denn wenn sich die Gesellschaft entfernte, so unterhielt sie sich, statt, wie andere ehrliche Leute thun würden, ruhig ihrer Straße zu ziehen, damit, daß sie einen schrecklichen Lärm machte und den Angstruf von Wehen befallener Frauen nachahmten. Und eines Nachts pochte sogar ein Gentleman mit rothem Gesicht und einem weißen Hute auf die empörendste Weise an die Thüre des alten puderköpfigen Herrn in Nummer 3. Der puderköpfige alte Gentleman meinte, einer seiner verheiratheten Töchter möchte zu früh etwas zugestoßen sein, weßhalb er die Treppen hinuntertappte und nach vielem Riegel- und Schlüsselgetöse die Thüre öffnete, vor der er aber Niemand anders als den Mann mit dem rothen Gesichte und dem weißen Hute traf, welcher ihn um Entschuldigung bat, daß er ihm so viele Mühe mache, aber er würde ihm sehr verbunden sein, wenn er die Güte haben wollte, ihm ein Glas frisches Brunnenwasser zu geben und einen Shilling zu leihen, damit er sich in einem Cabriolet nach Hause fahren lassen könne. Der alte Herr schlug ihm die Thüre vor der Nase zu, ging wieder die Treppe hinauf und goß stracks den Inhalt seines Wasserkrugs aus dem Fenster herunter, wobei übrigens zu bedauern war, daß er den Unrechten traf, was denn abermals die ganze Straße in Alarm brachte.

 

Ein Scherz ist ein Scherz; und selbst handgreifliche Späße mögen in ihrer Art gar nicht übel sein, wenn man nicht unter diejenigen gehört, auf deren Kosten er geübt wird. Aber die Bevölkerung unserer Straße fürchtete so sehr für ihre eigene Haut, daß ihr das Drollige dieser Scene durchaus nicht einleuchten wollte; und die Folge davon war, daß unser Nachbar sich genöthigt sah, dem ledigen Herrn zu erklären, er möge sich, wenn er seine nächtlichen Gelage nicht aufgeben wolle, nach einem anderen Quartier umsehen. Der ledige Herr nahm diesen Verweis in der besten Laune von der Welt hin und versprach, künftig seine Abende in einem Kaffeehaus zuzubringen, – ein Entschluß, der allgemeine Zufriedenheit veranlaßte.

Die nächste Nacht verlief ruhig, und männiglich freute sich dieses Wechsels; aber in der darauf folgenden war der Lärmen größer als je. Da die Freunde des ledigen Herrn ihn nicht mehr alle andere Nacht in seinem eigenen Hause besuchen konnten, so entschlossen sie sich, ihn fortan jede Nacht nach Hause zu begleiten; und das geräuschvolle Abschiednehmen der Freunde, und die Art, wie der ledige Herr die Treppe hinauf polterte, und die Mühe, welche es kostete, bis er die Stiefel von den Beinen gestreift hatte – mit einem Worte, es war nicht mehr auszuhalten. Unser Nachbar kündigte dem ledigen Herrn, der in jeder andern Beziehung ein sehr guter Miethsmann war, das Quartier auf; und der ledige Herr zog aus, um seine Freunde in einer andern Wohnung zu unterhalten.

Der nächste Bewerber um den vacanten ersten Stock war ein ganz anderer Mann, als der ledige Störenfried, welcher denselben eben verlassen hatte. Er war ein hoher, schmaler, junger Gentleman, mit einer Fülle braunen Haares, röthlichtem Backenbart und nicht sehr entwickelten Schnurrbart. Er trug einen Uniformrock mit eingefaßten Knopflöchern, hellgraue Beinkleider, waschlederne Handschuhe und hatte überhaupt ein ziemlich militärisches Aeußere. Also ein ganz anderer Mann, als der polternde ledige Herr. So gewinnend in seinen Manieren, so angenehm im Umgang, und noch obendrein so gesetzt in seinem Wesen! Als er die Wohnung einsah, erkundigte er sich zuvörderst, ob er sich auch darauf verlassen könne, einen Sitz in der Kirche zu bekommen; und als der Miethvertrag abgeschlossen war, wünschte er auch, eine Liste der verschiedenen Lokalwohlthätigkeits-Anstalten zu erhalten, da er dem verdienstlichsten davon beizutreten gedächte.

Wer war glücklicher als unser Nachbar? Er hatte endlich einen Miethsmann gefunden, der ganz seine Gesinnung theilte – einen gesetzten, ernsten Herrn, der kein Freund von lauten Belustigungen war und die Einsamkeit liebte. Er nahm den Zettel mit einem leichten Herzen vom Fenster weg und träumte sich schon eine lange Reihe von ruhigen Sonntagen, an denen er sich mit seinem Miethsmanne unterhalten und in seiner Gesellschaft die Sonntagsblätter lesen konnte.

Der gesetzte Herr langte an, und sein Gepäcke sollte des andern Morgens durch die Landfuhre nachkommen. Er borgte von unserem Nachbar ein reines Hemd und ein Gebetbuch und begab sich zeitig zur Ruhe, nachdem er zuvor gebeten hatte, man möchte ihn des andern Morgens Punkt zehn Uhr wecken – nicht früher, da er sehr ermüdet sei.

Das Letztere geschah, aber es erfolgte keine Antwort; man pochte wieder, aber alles blieb stille. Unser Nachbar wurde unruhig, und ließ die Thüre aufbrechen. Der gesetzte Mann hatte das Haus ganz geheimnißvoll verlassen und das Hemd, das Gebetbuch, einen Theelöffel und die Bettleinwand mitgenommen.

Ob dieser Vorfall in Vereinigung mit den Unregelmäßigkeiten seines früheren Miethsmannes unserem Nachbar einen Widerwillen gegen ledige Herrn einflößte, wissen wir nicht; wir können nur so viel sagen, daß der nächste Zettel in dem Fenster des Parterrezimmers nur im Allgemeinen andeutete, daß ein paar möblirte Gelasse in dem ersten Stock zu vergeben seien. Die Anzeige verschwand bald wieder, und die neuen Insassen erregten zuerst unsere Neugierde, später aber unsere Theilnahme.

Sie bestanden aus einem jungen Menschen von achtzehn oder neunzehn Jahren und seiner Mutter, die etwa fünfzig, vielleicht auch etwas weniger zählen mochte. Mutter und Sohn waren tief in Trauer gekleidet. Sie waren arm – sehr arm; denn ihr ganzer Unterhalt beschränkte sich auf den kümmerlichen Verdienst des jungen Mannes, den er sich durch Abschreiben und Uebersetzen für Buchhändler erwarb.

Sie hatten früher auf dem Lande gelebt und sich nach London übersiedelt, zum Theil, weil es dem jungen Mann bessere Aussichten zu Beschäftigung bot, zum Theil vielleicht auch, weil sie einen Ort zu verlassen wünschten, wo sie bessere Tage gesehen hatten und wo man ihre Verarmung kannte. Sie waren für ihre Verhältnisse stolz und mochten keinen Fremden ihren Mangel wissen lassen. Welche bittere Entbehrungen sie zu erleiden hatten und wie angestrengt der junge Mann arbeiten mußte, um der größten Nothdurft abzuhelfen, war Niemand als ihnen selbst bekannt. Man konnte alle Nacht bis zwei, drei, ja vier Uhr hin und wieder das spärliche Feuer nachschüren hören oder den hohlen, halberstickten Husten vernehmen, welcher verkündigte, daß der junge Mann noch bei der Arbeit war; und mit jedem Tage sah man deutlicher, daß die Natur jenes unirdische Licht über seine Jammermiene gegossen hatte, welches das Kennzeichen ihrer verheerendsten Krankheit ist.

Wir leiteten, wie wir hoffen, von einem höheren Gefühle als dem der bloßen Neugierde veranlaßt, eine Bekanntschaft mit den armen Fremden ein, welche bald in die innigste Vertrautheit überging. Unsere schlimmsten Befürchtungen waren verwirklicht; der junge Mensch schwand rasch dahin. Er setzte seine Arbeiten den Winter über, durch das Frühjahr und bis in den Sommer hinein fort, und die Mutter versuchte es, durch die Arbeit ihrer Nadel Brod zu erwerben.

Aber Alles, was sie verdienen konnte, bestand nur hin und wieder in einigen Shillingen. Der junge Mensch arbeitete ohne Unterlaß und starb mit jeder Minute mehr dahin; aber kein Murren, keine Klage kam über seinen Mund.

An einem schönen Herbstabende machten wir unsern gewöhnlichen Besuch bei dem Kranken. Die wenigen Kräfteüberreste hatten in den letzten zwei oder drei Tagen schrecklich abgenommen, und er lag, in den Anblick der untergehenden Sonne vertieft, an dem offenen Fenster auf dem Sopha. Seine Mutter hatte ihm aus der Bibel vorgelesen und schloß bei unserem Eintreten das Buch, um uns zu begrüßen.