Skizzen aus dem Londoner Alltag

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Siebentes Kapitel
Miethkutschen-Stände.

Wir behaupten, daß die Miethkutschen – d. h. die eigentlichen Miethkutschen – eine ausschließlich der Hauptstadt angehörige Eigenthümlichkeit sind. Man wird uns zwar entgegenhalten, – daß es auch Miethkutschen-Stände in Edinburgh gäbe; ja, um den Widerspruch unserer Behauptung nicht einmal so weit aufzusuchen, so wird man uns in Erinnerung bringen, daß Liverpool, Manchester »und andere große Städte« – wie der parlamentarische Ausdruck laute – gleichfalls ihre Miethkutschen-Stände hätten. Wir geben gerne zu, daß diese Orte im Besitze gewisser Fuhrwerke sind, die fast eben so schmutzig aussehen und eben so langsam fahren, als die Londoner Miethkutschen; daß sie aber auch nur die geringsten Ansprüche hätten, sich mit denen der Metropolis, sei es im Punkte der Stände, oder der Kutscher, oder der Pferde, gleichzustellen, dieß müssen wir mit der gebührenden Verachtung zurückweisen.

Man nehme einmal eine regelmäßige, schwerfällige, gebrechliche Londoner Miethkutsche von dem ächten alten Schlage an, und irgend ein Mensch soll die Kühnheit haben, aufzutreten und zu behaupten, daß ihm je irgend ein Gegenstand auf der Welt vor Augen gekommen sei, der jener Maschine auch nur entfernt ähnlich wäre – eine andere Miethkutsche von demselben Stande ausgenommen. Wir haben zwar schon auf verschiedenen Ständen – und sagen es mit tiefem Schmerze – hellgrüne Wagen und gelblackirte Kutschen mit vier Rädern von derselben Farbe, wie die Kutsche, beobachtet, während es doch Jedermann, der diesen Gegenstand studirt hat, vollkommen bekannt ist, daß jedes Rad von verschiedener Farbe und verschiedener Größe sein muß. Dieß sind aber blos Neuerungen und, gleich anderen unberufenen Verbesserungen, gewichtige Zeichen von der Veränderlichkeit der öffentlichen Gesinnungen und der geringen Achtung vor unserem guten alten Herkommen. Warum sollten denn die Miethkutschen reinlich sein? – Unsere Vorfahren hatten sie so. Warum sollten wir mit unserem überspannten Streben nach »Fortschritten« verlangen, in einer Stunde sechs Meilen zu machen, während unsere Vorfahren sich mit vier begnügten? Dieß sind sehr bedenkliche Meinungen. Miethkutschen sind specielle Theile und Gegenstände unserer Landesgesetze – durch die Gesetzgebung begründet – und bezeichnet und nummerirt durch die Weisheit des Parlaments.

Wie sind endlich diese Institute durch Kabriolets und Omnibusse besudelt worden? Oder – warum soll dem Volk gar gestattet sein, eine ganze Meile für 18 Pence im Fluge zu fahren, nachdem einmal das Parlament feierlich entschieden hat, daß es einen Shilling für die Meile bezahlen soll, um langsam zu fahren? – Wir halten hier inne, um eine befriedigende Antwort auf diese Frage aufzufinden – und da es nicht gelingen will, so beginnen wir einen neuen Absatz.

Unsere Bekanntschaft mit den Miethkutschen schreibt sich schon von lange her. Wir sind ein wanderndes Buch, das immer auf der Fahrt begriffen ist, und fühlen uns gleichsam halb in die Miethkutschen gefesselt, um stets hierüber auf dem rechten Standpunkte zu bleiben. Wir kennen alle regelmäßigen Miethkutscher innerhalb dreier Meilen um Covent-Garden von Person, und möchten fast zu dem Glauben versucht werden, daß selbst alle Miethkutschenpferde in diesem Distrikte uns vom Ansehen kennen würden, wenn nicht die Hälfte blind wäre. Wir fühlen eine außerordentliche Theilnahme für die Miethkutschen; aber wir kutschiren selten selbst, da wir einige Geschicklichkeit besitzen, uns umzuwerfen, wenn wir es uns je beigehen lassen. Wir sind den Pferden nicht minder zugethan, als der renomirte Obsthändler Martin, und doch reiten wir nie. Wir halten kein anderes Pferd, als ein KleiderpferdF3, – lieben keinen Sattel so sehr, als den von einer gebratenen Gans – und da wir blos unsern Neigungen zu folgen gewöhnt sind, so folgen wir nie den Hatzhunden bei Fuchsjagden. Wir überlassen dergleichen Flugmaschinen – gemacht, um schneller über den Boden wegzusetzen, oder schneller auf ihn hinabgesetzt zu werden – denen, die dieß lieben, und nehmen unsern Stand bei den Miethkutschen-Ständen.

Ein solcher befindet sich hart unter dem Fenster, an dem wir schreiben. Nur noch eine Kutsche befindet sich da, aber sie ist das leibhafteste Bild derjenigen Gattung von Fuhrwerken, von der wir sprechen, ein großer, viereckigter Rumpelkasten von braungelber Farbe, gleich einer gallichten Brünette, mit sehr kleinen Fenstern, aber desto größeren Rahmen. Die Kissen sind mit einem verschossenen militärrothen Tuche geschmückt und in der Form einigermaßen einer in der Mitte durchschnittenen Fledermaus ähnlich; die Achsen sind roth und die Mehrzahl der Räder grün. Der Bock ist zum Theil mit einem alten Oberrock, mit verschiedenen Stücken von Mantelkrägen und mehreren ganz absonderlich aussehenden Kleidungsstücken belegt, und das Stroh, mit dem die Segeltuchkissen ausgestopft sind, sticht an verschiedenen Stellen hervor, als ob es mit dem Heu, das aus den Rissen der Kutschenschläge heraussieht, wetteifern wollte. Die Pferde, deren Mähnen und Schwänze – ähnlich vielgebrauchten Wiegenpferden – nur etliche Haare zählen, stehen mit gesenkten Köpfen geduldig auf etwas Stroh, und schlagen gelegentlich ein wenig hinten aus, oder rütteln ihre Geschirre; hie und da erhebt wohl auch eines sein Maul zu dem Ohr seines Gefährten, als wenn es ihm zuflüstern wollte, daß es Lust hätte, den Kutscher todt zu schlagen. Dieser selbst befindet sich in dem Brunnenhause, und der Brunnenmann, der seine Hände in die Taschen gesteckt hat, so tief sie hineingehen wollen, tanzt vor dem Brunnen den »Double-Shuffle«, um seine Füße warm zu halten.

Ein Dienstmädchen aus Nummer 5 mit bunten Haubenbändern öffnet plötzlich die Hausthüre; alsbald springen vier kleine Kinder heraus und kreischen aus Leibeskräften »Kutsch'!«

Der Brunnenmann verläßt pfeilschnell die Pumpe, ergreift die Pferde bei ihren Zügeln, und schleppt sie nebst der Kutsche zum Hause heran, während er die ganze Zeit über seine Stimme bis zur äußersten Höhe, oder vielmehr Tiefe anstrengte – denn er ist ein tiefer Baßbrummer – um den Kutscher herbeizurufen. Endlich läßt sich eine Antwort aus der Schenkstube hören – es ist die des Kutschers, der in seinen Schuhen mit Holzsohlen abermals die Straße wiederhallen läßt, die er durchrennt – und dann folgt ein solches Hin- und Herbewegen, Schieben und Zerren, um die Kutsche gerade vor die Hausthüre hin zu bringen, daß die Kinder vor Vergnügen fast närrisch werden. Welche Rührigkeit! Die alte Dame, die sich seit dem letzten Monate hier aufgehalten hat, reist wieder in ihre Heimath zurück. Eine Schachtel nach der andern wird herausgebracht, und die eine Seite des Fuhrwerks ist im Augenblick mit Gepäcke angefüllt; die Kinder sind Jedermann im Wege, und das jüngste, das im Bestreben, einen Regenschirm herbeizuschleppen, hingefallen ist, wird verwundet und schreiend fortgetragen. Es entsteht eine kurze Pause, während welcher die alte Dame ohne Zweifel im Hinterzimmer – Alle nach der Reihe abschmatzt. Endlich erscheint sie, gefolgt von ihrer verheiratheten Tochter und allen Kindern, so wie von den beiden Mägden, die es mit der vereinten Beihilfe des Kutschers und des Brunnenmanns endlich dahin bringen, die Großmutter in die Kutsche hinein zu schaffen. Ein Mantel wird ihr nachgereicht, und ein Körbchen, das – wie wir fast darauf schwören wollten – eine kleine, schwarze Flasche und ein Papier mit Sandwich-Butterschnitten enthält. Die Tritte werden aufgeschlagen und der Schlag geschlossen. – »Goldencross, Charingcross, Tom,« sagt der Brunnenmann. – »Adieu, Großmama!« rufen die Kinder; und fort wackelt die Kutsche, ungefähr drei Meilen in der Stunde – und die Mama und die Kinder ziehen sich wieder in's Haus zurück, mit Ausnahme eines kleinen Bösewichts, der mit der größten Geschwindigkeit – von der oben besagten Magd, der es nicht wenig Vergnügen macht, eine Gelegenheit zu haben, ihre Anziehungskräfte spielen zu lassen, verfolgt – die Straße hinabrennt. Sie erwischt ihn endlich und bringt ihn zurück; und nachdem sie zwei bis drei graziöse Blicke über die Straße entsendet hat, die entweder uns oder dem Laufburschen über uns gegolten – wir wissen dieß nicht ganz genau – schließt sie die Thüre – und der Miethkutschenstand ist nun abermals in sein voriges Stillschweigen versunken.

Häufig schon haben wir uns an dem überschwenglichen Vergnügen ergötzt, das ein nach einer Miethkutsche gesendetes Dienstmädchen an den Tag legt, wenn sie sich hineinsetzen darf; deßgleichen auch an dem unaussprechlichen Behagen, womit Knaben, denen ein ähnlicher Auftrag zu Theil geworden, die Kutsche besteigen. Doch hat uns nie irgend eine Miethkutschenpartie mehr unterhalten, als eine, von der wir neulich eines Morgens in Tottenham-Court-Street Augenzeuge waren. Es war eine Hochzeitsgesellschaft, die aus einer der untern Straßen in der Nähe von Fitzroy-Square heraufkam. Die Braut trug ein dünnes, weißes Kleid, und hatte ein stark rothes Angesicht; und die Brautjungfer, ein kleines, stilles, gutmüthiges, junges Mädchen, war natürlich ganz in dasselbe Costüme gekleidet; der Bräutigam, sowie der von ihm erwählte Freund, trugen blaue Fräcke, gelbe Westen, weiße Beinkleider und dazu passende Berliner Handschuhe. Sie hielten an der Straßenecke und riefen mit unbeschreiblicher Gravität nach einer Miethkutsche. Im Augenblick waren sie eingestiegen; die Brautjungfer ließ einen rothen Shawl, den sie ohne Zweifel zu diesem Zwecke gekauft hatte, nachlässig über die Nummer des Kutschenschlags herabhängen, augenscheinlich in der Absicht, um die Vorbeigehenden glauben zu machen, es sei ein Privatwagen – und fort rollten sie, vollkommen zufrieden, daß die Täuschung so gut gelungen war, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß hinten auf einer Messingplatte, so groß wie die Schiefertafel eines Schulknaben, die Nummer gleichfalls in schönen, groben Zügen zu lesen war. Ein Shilling die Meile! Die Fahrt war fünf werth – wenigstens für sie!

 

Was für ein interessantes Buch könnte eine Miethkutsche schreiben, wenn sie so viel in ihrem Kopf zu führen vermöchte, als in ihrem Leibe! Die Selbstbiographie einer zu Grunde gegangenen Miethkutsche würde sicherlich eben so unterhaltend sein, als die eines zu Grunde gegangenen gemietheten Dramatikers; und ohne Zweifel könnte sie uns vielerlei Geschichten von den verschiedenen Leuten zum Besten geben, die sie in Geschäfts-, Profit-, Vergnügens- oder Trauerangelegenheiten geführt hat! Und wie manche traurige Geschichte über dieselben Personen in verschiedenen Perioden! Das Landmädchen – die prächtige, modisch gekleidete Dame – das betrunkene Freudenmädchen! – Der unerfahrene Lehrbursche – der verschwenderische Prasser – der Dieb!

Kommen wir auf die Cabriolets! – Cabriolets mögen sehr gut sein in Fällen, wo es rasche Beförderungen gilt, wenn es sich um den Hals oder um nichts – um Leben oder Tod – um zeitliche oder ewige Heimath handelt. Aber, abgesehen davon, daß ein Cabriolet des ehrwürdigen Ansehens, das eine Miethkutsche auszeichnet, gänzlich ermangelt, so darf man nie vergessen, daß ein Cabriolet eine Sache von gestern ist, welche nie vorher bessere Tage kannte. Ein Miethcabriolet ist von seinem Eintritt in's öffentliche Leben an stets nur ein Miethcabriolet gewesen, während eine Miethkutsche das Ueberbleibsel ehemaliger Gentilität – ein Opfer der Mode – ein Erbstück einer alt-englischen Familie ist, deren Wappen sie noch trägt. Sie wurde in bessern Tagen von Leuten begleitet, die Livreen trugen; jetzt aber ist sie ihrer Schönheit entkleidet, und in die Welt hinausgestoßen, gleich einem ehemals stattlichen Bedienten, wenn er für seinen Dienst nicht mehr jugendlich genug ist, und sinkt immer tiefer und tiefer in ihrer vierrädrigen Entwürdigung herab, bis sie endlich auf einen »Stand« kommt.

1 Zum Ausklopfen der Kleider.

Achtes Kapitel
Doctor's Commons.

Als wir vor einiger Zeit ohne einen bestimmten Zweck über den St. Pauls-Kirchhof gingen, lenkten wir zufälligerweise in eine Straße ein, welche den Namen »Paulskette« führt, und nachdem wir einige hundert Schritte geradeaus gegangen waren, befanden wir uns, durch eine natürliche Folge, bei Doctor's Commons. Nun ist aber Doctor's Commons dem Namen nach Jedermann als derjenige Ort bekannt, wo man liebekranken Pärchen Heirathslicenzen und untreuen Gatten Ehescheidungen bewilligt, die Testamente von Leuten zu Protokoll bringt, welche ein Eigenthum zu hinterlassen haben, und hitzige Herrn bestraft, welche den Damen unbeliebige Namen geben. Wir entdeckten nicht so bald, daß wir in ihren Umgebungen waren, als wir ein löbliches Verlangen in uns verspürten, näher mit ihnen bekannt zu werden; und da der Gerichtshof, dessen Beschlüsse sogar die Bande der Ehe auflösen können, der nächste Gegenstand unserer Neugierde war, so beschlossen wir hinzugehen und lenkten unsere Schritte unverweilt nach demselben.

Einen ruhigen, schattigen, gepflasterten Hofraum durchschreitend, welcher mit alten backsteinernen Häusern umschlossen war, an deren Thüren die Namen mehrerer ausgezeichneter Rechtsgelehrten standen, hielten wir vor einer kleinen mit grünem Flanell und messingnen Nagelköpfen beschlagenen Thüre, welche einem leichten Drucke nachgab und uns sogleich in ein altes seltsam aussehendes Gemach mit zurückstehenden Fenstern und schwarzem geschnitztem Täfelwerk führte, an dessen oberem Ende auf einer erhabenen, halbkreisförmigen Plattform sich ungefähr ein Dutzend feierlich aussehender Herrn in karmoisinrothen Mänteln und Perücken befanden.

An einem höher stehenden Pult in der Mitte saß ein sehr fetter Mann mit einem rothen Gesichte und einer mit Schildkrot eingefaßten Brille, dessen würdevolles Aeußere den Oberrichter ankündigte; und an einer langen mit grünem Tuch überzogenen unten stehenden Tafel, die gewissermaßen einem Billardtische ohne Bande und Beutel glich, befand sich eine Anzahl höchstwichtig aussehender Personen in steifen Halsbinden und schwarzen Mänteln mit weißen Pelzkrägen, die wir sogleich als Anwälte bezeichneten. Einen am untern Ende des Billards stehenden Armstuhl nahm ein Individuum mit einer Perücke ein, in welchem wir nachher den Registrator entdeckten; und hinter einem kleinen Pult neben der Thüre saß ein achtbar aussehender, schwarz gekleideter Mann, der ungefähr drei Centner im Gewicht halten mochte, und eine schmunzelnde, höflich aussehende Person mit feistem Gesicht in einem schwarzen Mantel, schwarzen bockledernen Handschuhen, kurzen Hosen und seidenen Strümpfen, mit einer Hemdkrause am Busen, Locken auf dem Kopfe und einem silbernen Stab in der Hand, in welcher wir ohne Schwierigkeit den Kanzleidiener erkannten. Wirklich setzte uns der Letztere auch alsbald über diesen Punkt außer Zweifel, denn unserem Ellbogen nahe kommend und sogleich eine Unterhaltung eröffnend, hat er uns in weniger als fünf Minuten mitgetheilt, daß er der Gerichtsdiener und der andere der Kanzleiaufwärter; daß dieß das Obergericht ist und deßwegen die Räthe rothe Mäntel und die Anwälte Pelzkrägen tragen, und daß, wenn die andern Gerichtshöfe hier ihre Sitzungen halten, weder jene mit rothen Mänteln noch diese mit Pelzkrägen erscheinen; Mittheilungen, die er noch mit manchen andern nicht minder interessanten vermehrte. Außer diesen beiden dienstbaren Geistern sahen wir noch ein altes, hageres Männchen mit langem, grauem Haar, das sich in eine entfernte Ecke drückte und, wie uns unser mittheilsamer Freund zu wissen that, die Obliegenheit hatte, wenn der Gerichtshof des Morgens die Sitzung eröffnete, mit einer großen Handglocke zu läuten, und das, wenn auch sein Aussehen der Vermuthung widersprach, wenigstens bereits zwei Jahrhunderte lang zu ähnlichen Verrichtungen verwendet worden war.

Der Herr mit dem rothen Gesichte und der Schildkrotbrille hatte gerade die ganze Unterhaltung an sich gerissen, die er auch sehr gut führte, nur sprach er sehr laut, aber das machte die Gewohnheit, und nahm den Mund etwas voll, aber das machte das gute Leben. So hatten wir also Zeit genug uns umzusehen. Es war ein Individuum, das uns höchlich ergötzte: eines von jenen Perückenhäuptern in den rothen Gerichtsmänteln, welches im Mittelpunkte des Saals in der Attitude des Coloß von Rhodus vor dem Feuer stand, von dem er dadurch jeden andern ausschloß. Er hatte, um die volle Wärme des Feuers zu empfinden, seine Robe hinten etwas hinaufgeschlagen, etwa wie es eine schlumpige Weibsperson bei schlechtem Wetter mit ihrem Unterrocke machen würde. Seine Perücke war ganz verschoben; und sein Zopf zog sich um seinen Nacken; seine knappen, grauen Hosen und kurzen schwarzen Gamaschen, welche die möglich schlechteste Façon hatten, vollendeten die Geschmacklosigkeit seiner Person und sein langer, schlecht gestärkter Vatermörder diente seinen Augen zu einer Art von Scheuleder. Wir wollen durchaus keinen Anspruch auf Physiognomik machen, aber nach einer sorgfältigen Prüfung seines Gesichts waren wir auf den Schluß gekommen, daß er nur dünkelvollen Unsinn schwatzte, als uns unser Freund mit dem silbernen Stab in's Ohr flüsterte, »er sei nicht weniger als Doktor des römischen Rechts und der Himmel weiß, was noch weiter.« Wir hatten also natürlich fehlgeschossen; es mußte ein sehr talentvoller Mann sein. Indessen verbarg er dieß so gut – vielleicht in der menschenfreundlichen Absicht, um gewöhnliche Leute nicht zu sehr in Erstaunen zu setzen – daß man ihn für einen der größten Dummköpfe, welche existiren, hätte halten können.

Nachdem der Herr mit der Brille seinen richterlichen Spruch von sich gegeben und einige Minuten hatte verfließen lassen, um dem Geflüster, das im Gerichtssaale herrsche, Zeit zu gönnen, sich zu legen, rief der Registrator den nächsten Rechtsstreit aus: »Klagsache Bumple's gegen Sludberry.« Bei diesem Aufruf bemerkte man eine allgemeine Bewegung im Saal, und der gefällige Gerichtsdiener mit dem Stabe flüsterte uns zu, das werde einmal einen Spaß geben, denn es sei eine Tumultsache.

Durch diese Belehrung waren wir nicht viel klüger geworden, bis wir aus der Rede des vortragenden Anwalts, der nun das Wort nehmen durfte, erfuhren, daß nach einer verjährten Bestimmung eines der Eduarde der Gerichtshof ermächtigt war, eine Person, welche des Verbrechens des »Tumultuirens« oder »Stoßens« in einer Kirche oder der dazu gehörigen Sakristei überwiesen würde, mit der Strafe der Exkommunikation zu belegen; und es ergab sich aus etlichen achtundzwanzig eidlichen Aussagen, welche zu diesem Behufe aufgenommen wurden, daß an einem gewissen Abende bei Gelegenheit der Abhaltung einer Versammlung der Genossen eines gewissen Kirchenspiels in einer gewissen Sakristei der Beklagte Thomas Sludberry sich dieses Verbrechens schuldig gemacht und an den Kläger Michael Bumple die Worte gerichtet: »wartet, ich will Euch,« und daß auf die Gegenvorstellungen des besagten Michael Bumple's und anderer, welche den besagten Thomas Sludberry die Unschicklichkeit seines Benehmens verwiesen, besagter Thomas Sludberry den vorbesagten Ausdruck: »wartet, ich will Euch,« wiederholt und ferner noch zu wissen verlangt, ob der besagte Michael Bumple »etwas von ihm wolle;« mit dem Zusatz, »daß, wenn besagter Michael Bumple etwas von ihm wolle, er, besagter Thomas Sludberry, der Mann wäre es ihm zu geben;« zugleich noch andere sündliche und ruchlose Ausdrücke gebrauchend, worauf sich Bumple beschieden und auf Geist und Absicht der Akte bezogen, und er also, zur Wahrung des Seelenheiles und zur Bestrafung Sludberry's, um den Spruch der Exkommunikation gegen denselben gebeten.

Ueber diese Thatsachen wurde dann zur großen Erbauung einer Menge bei den Pfarrgemeindestreitigkeiten betheiligten Personen, welche den Gerichtssaal erfüllten, von beiden Seiten eine lange Verhandlung eröffnet; und nachdem einige sehr lange und eindringliche Reden pro und contra gehalten worden waren, reassumirte der Herr mit dem rothen Gesichte und der Schildkrotbrille den Fall, was länger als eine halbe Stunde dauerte, und sprach dann über Sludberry das furchtbare Urtheil eines vierzehntägigen Kirchenbanns, nebst Verfällung in die Proceßkosten aus. Auf dieses wendete sich Sludberry, das ein kleiner Ingwerbierverkäufer mit einem rothen Gesichte und schelmischen Augen war, mit den Worten an den Gerichtshof, »wenn Sie die Güte haben möchten, ihm die Proceßkosten zu erlassen und dagegen den lebenslänglichen Kirchenbann über ihn auszusprechen, so würde ihm dieß weit angenehmer sein, denn er ginge überhaupt nie in die Kirche.« Dieses Gesuch beantwortete der Herr mit der Brille nur durch einen Blick tugendhafter Entrüstung, und Sludberry zog sich mit seinen Freunden zurück. Da uns der Mann mit dem silbernen Stabe die Mittheilung machte, das Gericht sei im Begriff, auseinander zu gehen, so zogen wir uns ebenfalls zurück und überdachten unterwegs den guten Geist dieser alten Kirchengesetze, die liebevollen und nachbarlichen Gesinnungen, die sie zu erwecken berechnet waren, und das feste Anschließen an kirchliche Institutionen, das sie hervorzurufen nicht ermangeln konnten.

Wir waren so sehr in diese Betrachtungen vertieft, daß wir auf die Straße gekommen und wider einen Thürpfosten gerannt waren, ehe wir uns erinnerten, wohin wir eigentlich gehen wollten. Wir hoben unsere Augen empor, um zu sehen, auf welches Haus wir gestoßen waren: da fiel uns das Wort »Prärogativgericht«, mit großen Buchstaben geschrieben, in die Augen, und da wir nun einmal schaulustiger Laune waren und der Zutritt Jedermann offen stand, so gingen wir hinein.

Das Zimmer, in welches wir traten, war ein langer, geschäftsmäßig aussehender Saal, welcher auf beiden Seiten in eine Menge kleiner Verschläge abgetheilt war, worin einige Schreiber Urkunden durchstöberten oder abschrieben. In der Mitte des Zimmers standen mehrere Pulte von beinahe Brusthöhe, an deren jedem drei bis vier über großen Bänden brütende Personen standen. Da wir wußten, daß sie Testamente untersuchten, so zogen sie im Augenblick unsere Aufmerksamkeit auf sich.

Die träge Gleichgültigkeit der Anwaltschreiber, welche eine gerichtliche Sache untersuchten, stach sonderbar gegen den Ernst und das Interesse ab, womit die anwesenden Fremden auf das Testament eines hingeschiedenen Verwandten sahen: die Ersteren nur dann und wann ungeduldig gähnend, oder ihre Köpfe erhebend, um nach den Aus- und Eingehenden zu sehen, die Letzteren über das Buch hingebeugt und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit Namenreihen herablesend.

Wir sahen einen kleinen Mann mit einem schmutzigen Gesicht und einer blauen Schürze, welcher den ganzen Morgen lang ein auf etliche und fünfzig Jahre zurückgehendes Register durchsucht und eben das Testament, welches er wollte, gefunden hatte. Einer von den Schreibern las es ihm mit leiser, hastiger Stimme aus einem dicken in Pergament gebundenen Buche mit großen Klampen vor. Es war augenscheinlich, daß, je mehr der Schreiber las, destoweniger der Mann mit der blauen Schürze von der Sache verstand. Als der Band zuerst herabgenommen wurde, nahm er seinen Hut ab, strich sich die Haare nieder, lächelte äußerst vergnügt und sah in des Schreibers Gesicht mit der Miene eines Mannes, welcher sich vorgenommen hat, kein Wort von dem zu verlieren, was er hört. Die zwei oder drei ersten Linien waren vernehmlich genug; aber dann begannen die Verwicklungen und der kleine Mann nahm einen etwas zweifelhaften Blick an. Dann kam eine ganze Reihe verworrener Pfandverschreibungen und jetzt war er ganz im Blauen. Als der Leser fortfuhr, war es augenfällig, daß es ein hoffnungsloser Fall war, und der kleine Mann mit seinem offenen Munde, die Augen auf das Gesicht des Schreibers geheftet, sah mit einem Ausdrucke der Verwirrung und des Geistesbankerotts darein, der unwiderstehlich zum Lachen reizte.

 

Ein anderer kleiner Mann, ein Greis mit harten Zügen und tiefen Furchen im Gesicht durchlas aufmerksam ein langes Testament mit Hülfe einer in Horn gefaßten Brille: von Zeit zu Zeit seine Untersuchung unterbrechend und irgend eine kurze Notize aus den darin enthaltenen Vermächtnissen zu Papier bringend. Jede Runzel um seinen zahnlosen Mund und seine scharfen, durchdringenden Augen zeugte von Geiz und Verschlagenheit. Seine Kleider waren fadenscheinig, aber es war leicht zu sehen, daß er sie aus freier Wahl und nicht aus Noth trug; alle seine Blicke und Geberden bei den äußerst kleinen Prisen, welche er dann und wann aus einer kleinen zinnernen Dose nahm, erzählten von Wohlstand, Entbehrung und Habsucht.

Als er langsam den Band verschloß, seine Brille zurückschob und seine Papierschnipsel in eine große lederne Brieftasche legte, dachten wir an den hübschen Handel, den der Wucherer mit armen Vermächtnißerben trieb, welche, des jahrelangen Wartens auf das Fälligwerden einer Rente müde, vom Mangel niedergedrückt, ihre Ansprüche, gerade als sie am meisten im Werthe stiegen, um den zwölften Theil desselben verkauften. Es war eine gute Spekulation – eine sehr sichere. Der Alte steckte sein Schreibbuch in die Brusttasche seines Ueberrocks und humpelte mit triumphirendem Blicke davon. Das Testament hatte ihn zum Wenigsten um zehn Jahre jünger gemacht.

Nachdem wir unsere Beobachtungen einmal begonnen, würden wir sie gewiß auf wenigstens noch ein Halbdutzend Personen angewendet haben, hätte uns nicht das plötzliche Aufräumen und Einschließen der wurmstichigen alten Bücher darauf aufmerksam gemacht, daß es jetzt Zeit sei, die Schreibstube zu schließen. Unserer Schaulust wurde dadurch ein Ziel gesteckt – vielleicht im Interesse unseres Lesers, indem wir ihn jetzt nicht länger mit unseren Beobachtungen langweilen können.

Auf unserem Heimwege stieg unwillkürlich eine Reihe von Betrachtungen über die seltsamen alten Zeugnisse des Wohlwollens und des Uebelwollens, der Mißgunst und der Rachsucht, der den Tod überlebenden Liebe und des das Grab überschreitenden Hasses in uns auf, welche hier niedergelegt sind; stumme, aber augenfällige Beweise von Herzensgüte und Seelenadel auf der einen, und traurige Beispiele der verwerflichsten Leidenschaften der menschlichen Natur auf der andern Seite. Wie Mancher würde auf dem Sterbebette, auf dem er sprach- und hülflos ausgestreckt liegt, Welten dafür gegeben haben, hätte er die stumme Urkunde seiner Rachsucht und seines Verfolgungsgeistes vertilgen können, die jetzt wider ihn zeugt in den Registraturen von Doctors' Commons.