Ich war ein Roboter

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KRAFTWERK MIT NEUEM SCHLAGWERK

Düsseldorf, September 1973 +++ Etwas Aufregendes geschah an einem der Probenabende, etwas für mich vollkommen Neues. Es sollte unser späteres Erscheinungsbild als Musikgruppe entscheidend beeinflussen. In einer Spielpause während unserer Proben entdeckte ich in einer Ecke des Raums ein merkwürdiges kleines Kästchen, auf dem sich mehrere Tasten befanden, die mit aufgedruckten Rhythmusbezeichnungen versehen waren. Ich kann mich an Begriffe erinnern, wie Fox und Waltz, Bossa oder Beat 1. Auch ein schneller Beat 2 lockte den Anwender. Ein Volume-Rad und ein Tempo-Rad gab es ebenfalls.

Es handelte sich um eine kleine Rhythmus-Box, welche die Jungs irgendwo gekauft und womit sie schon auf ihrem Ralf & Florian-Album die Schlagzeugsounds produziert hatten, wie sie mir einmal erzählten. Da sie früher oft Schwierigkeiten mit Drummern hatten, konnten sie an einem solchen Gerätchen kaum vorübergehen. Wahrscheinlich war es eine Begleitbox für Musiker an der Orgel, die als Alleinunterhalter in Kneipen spielten. Ich bat Florian, das Kästchen doch einmal an einen Verstärker anzuschließen, damit ich hören konnte, wie es klang. Die Festeinstellungen der Stilrichtungen klangen ziemlich künstlich, aber herrlich elektrisch, und da gab es an der Oberseite des Gehäuses eben diese besagten Taster, die jeweils einen einzigen Impuls eines Geräuschs auslösen konnten. Sie hatten es mir sofort angetan. Es gab, wie bei einem richtigen Schlagzeug, eine Bass Drum, eine Snare Drum, Toms, ein Crash- und ein Ride-Becken, Claves und eine Hi-Hat usw. Diese Sounds, über die Tasten einzeln ausgelöst, hatten einen ganz naiven Klang, der von denen eines echten Schlagzeugs weit entfernt war. Vor allem die Bass Drum hatte es in sich. Über das fette Basshorn von Ralf angeschlossen, war sie einfach unbeschreiblich satt und trocken. Sie knallte schön lederartig, wie ich es mochte, und wie man sie mit einer ›echten‹ kaum hinbekommen hätte. Wenn ich auf den kleinen Knöpfchen herumdrückte, konnte ich mit meinen Fingerspitzen und ein wenig Übung einen eigenen Rhythmus spielen. Nicht sehr komfortabel zwar, aber mit einem elektrisierenden Klang, für die damalige Zeit ziemlich flott.

Wir waren hell begeistert von dem gekauften Ding und spielten an diesem Abend nur noch mit unseren Fingern ›Knopfschlagzeug‹, ohne die vorprogrammierten Rhythmen überhaupt erst zu benutzen. Wie konnte man es nur hinbekommen, dass es sich komfortabler spielen ließ, vielleicht so ähnlich, wie auf einem richtigen Schlagzeug, fragte ich uns. Eigentlich bräuchte man doch nur die Kabel, die den Kontakt zu den kleinen Tasten führte, abzulöten, um sie dann mit anderen Kontakten zu verbinden. Es waren ja schließlich nur unterbrochene Leiter, die, wenn man sie wieder zusammenbrachte, neuen Kontakt auslösten. Also brauchte man doch nur an die eine Seite einen metallischen Gegenstand anzulöten und an die andere Seite einen weiteren. Hielt man diese dann wieder zusammen, ergab das die gleiche Funktion, wie die der Taster. Man musste sich nur etwas einfallen lassen, wie diese beiden Metallteile beschaffen sein sollten, damit ich als Drummer damit auch kontrolliert Rhythmus klopfen konnte. Lange brauchte ich nicht, um dahinterzukommen, dass es ähnlich wie bei einem Schlagzeug funktionieren musste: In der Hand einen Stab, mit dem man auf eine Fläche schlug. Der Stab musste aus einem gut leitenden Metall sein, wie Kupfer etwa, die Platte ebenfalls aus leitendem Material. Bestimmt aber musste sie eine runde Form haben (dachte ich als Drummer jedenfalls!), ähnlich wie ein Trommelfell, und für jeden Sound musste eine eigene Platte vorgesehen werden. Den Stab, der mit dem Schwachstrom führenden Kabel verbunden werden sollte, könnte man leicht durch ein zweites Kabel mit einem weiteren Metallstab verkoppeln. So hätte ich dann zwei Drumsticks. Wie in echt. Mit diesen beiden könnte man auf den verschiedenen Flächen aller vorhandenen Klänge der Beatbox schlagen, ebenfalls wie in echt.

Wir waren ganz begeistert von der Idee und hofften, dass das auch alles so klappte. Auf jeden Fall waren Ralf und Florian froh, dass jemand, genau wie sie, Lust an Tüfteleien hatte. Von einem Drummer hatten sie das wohl kaum erwartet, und schon gar nicht, dass ich das Ganze dann hinterher auch noch öffentlich spielen würde. Aber in diesem Punkt hatten sie sich getäuscht. Ich war verrückter auf was Neues, als sie damals überhaupt hätten ahnen können.

Noch ein wichtiges Treffen ergab sich. An einem der nächsten Abende lernte ich im Szenelokal ›Zur Uel‹, das es auch heute noch auf der Ratinger Straße gibt, einen Freund der beiden kennen. Er stand mit ihnen bei den Spielautomaten. Ralf und dieser Typ flipperten. Sie hatten beide glänzende, enge Lederhosen an, Ralf eine schwarze, sein Freund eine beigefarbene. Ich begrüßte sie. Sie wirkten zögerlich, verschwörerisch, auch schüchtern. Ralf stellte mir seinen Freund vor: »Das ist der Emil. Der ist Maler und macht auch bei einigen unserer Texte mit.« Dieser Emil war ein ziemlich verlegener Bursche mit braunen Locken und blaugrauen Augen. Ich trank ein Coca-Cola, hatte mit 26 immer noch keinen Geschmack am Düsseldorfer Altbier gefunden. Die Zwei flipperten weiter, ich schaute ihnen zu, wie sie sich bei gutem Score kindlich freuten.

Nach einer Weile luden sie mich ein, mit ihnen zu Emils Wohnung in der Berger Allee zu kommen. Dort habe Ralf früher auch eine Zeit lang gewohnt, er war dann aber ins Haus seiner Eltern nach Krefeld zurückgezogen. Das Haus von Emils Mietwohnung lag nicht weit entfernt am Rande der Altstadt, wo es schön ruhig zuging. Es stammte aus dem 19. Jahrhundert, die gesamte Häuserzeile bestand aus diesen verschnörkelten und großzügig gebauten Wohnhäusern, die einst wohlhabende Kaufleute aus Düsseldorf erbaut hatten. Eine gegenüberliegende Häuserseite gab es nicht, dort befand sich ein tiefliegender Weiher, der Spee'sche Graben. Alte Gaslaternen warfen ihr sanftes Licht auf die Häuserzeile, und ich bemerkte, dass gerade das Haus mit der Nummer Neun über und über mit dem dichtem Gespinst dicker Spinnen überzogen war. Es lag wohl an dem warmen, mückenreichen Sommer. Ein wenig ekelte es mich schon bei dem gespenstischen Anblick.

Emil schloss die mit Schnitzereien reich versehene Eichentür auf. Seine Wohnung lag im Erdgeschoss, die einzige in dieser Etage. Die Räume hatten riesige Ausmaße. So etwas Großzügiges hatte ich noch nie gesehen. Die Decken der Zimmer waren mindestens 3,40 Meter hoch und mit Stuckornamenten aus dem Jugendstil verziert. Überall war der Boden mit Zickzackparkett ausgelegt. Es knarrte wie in einem alten Schloss und ich bat schmunzelnd um Filzpantoffel. Wir gingen ins erste Zimmer, eher ein Saal, in dem sich Emil spärlich eingerichtet hatte. Eine große, mit Effektglas versehene Doppelzimmertür war weit geöffnet und gab den Blick in einen weiteren, noch größeren Raum frei. Ich bemerkte Farbgeruch und sah an den Wänden Ölportraits von hübschen Mädchen und ein Selbstbildnis von Emil mit Gitarre. In Öl gemalte Science-Fiction-Städte hingen ebenfalls an den Wänden. Sie interessierten mich besonders. Auch ein riesiges Alpenpanorama stand da, angelehnt an einen Holztisch, es war anscheinend gerade in Bearbeitung. Gasflaschen, Spritzpistolen und ein Zeichentisch mit Stapeln von Skizzen darauf stand in einer Fensternische mit Blick auf den gegenüberliegenden Teich. Ein ziemlich dilettantisch gezimmertes Holzbett auf kurzen Stelzen und eine Schaumgummimatratze bildete die Schlafstatt des Künstlers. Mädchenbildnisse aus Stuck in jeder Deckenecke hatte Emil mit blassen Wasserfarben angemalt, und alles wirkte sehr sinnlich. Im anderen Zimmer befanden sich dagegen nur ein alter Fernsehapparat und eine riesige Couch, die mit einem flauschigen Tuch im Leopardenfellmuster bedeckt war. Darauf setzten wir uns und plauderten. Unser Gespräch wirkte auf mich wie zu Beginn unserer Begegnung etwas schleppend.

Während ich mir später die Räume im Einzelnen ansah - man konnte in der Wohnung regelrecht auf Entdeckungsreise gehen - diskutierten Ralf und Emil über ein weiteres Bild, eine Hügellandschaft mit Straße und Hochspannungsmasten. Mehr gab es darauf noch nicht zu sehen, außer einigen Bleistiftvorzeichnungen. Ich hatte keine Ahnung, dass es sich um die Auftragsarbeit des später weltberühmten Autobahn-Covers handelte.

Dann entdeckte ich noch einen weiteren Raum im hinteren Teil der Wohnung. Durch große Schiebefenster konnte man von dort weit hinaus über einen leeren Platz bis hin zum Rhein schauen. Was für ein schönes Zimmer! Man konnte aus der Entfernung sogar die Schiffe mit ihren brummenden Motoren hören. Das gefiel mir besonders gut, erinnerte es mich doch an meine Kindheit. Wir hatten nämlich nach meiner Geburt in Frankfurt in der Nähe des Mains gewohnt, und die Geräusche der Schiffe dort hatten mich abends beim Einschlafen stets beruhigt. Später, als wir in Koblenz wohnten, war es wieder ganz in der Nähe des Rheins. Solche Geräusche graben sich tief in die Erinnerung ein, und ich werde die damit verbundene Stimmung mein Leben lang als angenehm empfinden. Hier hatte Ralf gewohnt, als er noch Architektur in Aachen studierte. Nun stand der riesige Raum leer, ausgestattet mit Pegulanboden und einem Waschbecken, und man scherzte, dass ich doch dort einziehen könnte, wenn ich es wollte. Später am Abend kamen wir wieder auf das Thema mit dem Zimmer, und da sagten Ralf und Emil tatsächlich, dass sie es absolut in Ordnung fänden, wenn ich einziehen würde. Das freute mich tierisch.

Wir unterhielten uns noch über den bevorstehenden Auftritt im Fernsehen, der für mich etwas völlig Neues war. Unter anderem ging es darum, was wir zu diesem Anlass anziehen und wie wir uns überhaupt präsentieren wollten. Der Gedanke, dass ich mich mit dem Kinderschlagzeug vor die Kameras stellen sollte, behagte mir überhaupt nicht. Ich grübelte in den nächsten Tagen ständig darüber nach, wie ich diese Situation verbessern könnte.

 

Nachdem ich schon lange bei Emil ein- und ausgegangen war, bezog ich schließlich mit meinen wenigen Sachen das freie Zimmer bei ihm, was mir sehr recht war, da ich nun auch viel weniger Miete bezahlen musste. Ralf und Florian hatten die große Wohnung vor ungefähr zwei Jahren von der Firma Mannesmann äußerst billig angemietet, so dass ich jetzt anteilmäßig nur zweihundertzwanzig Mark zu bezahlen brauchte, inklusive Strom und Heizung. Das tat mir gut, da ich in meinem Praktikum ja nicht viel verdiente. Ich richtete mir den Raum mit meinen Habseligkeiten ein, so gut es ging. Emil lebte vorn, ich hinten. Oft besuchte ich ihn in seinem Zimmer und sah ihm beim Spritzen zu. Wenn Frauen zu ihm kamen, war seine Tür aber immer verschlossen...

In der großen Küche im hinteren Teil der Wohnung, die ein langer schmaler Gang in einen vorderen und einen hinteren Teil trennte, trafen wir uns häufiger. Dieser Raum war unser ›Kommunikationszentrum‹. Jeder bereitete hier sein Essen zu, hatte bald seinen eigenen Kühlschrank und seine persönlichen Speisevorräte. Zum Einkaufen gingen wir oft zusammen auf den nahegelegenen Wochenmarkt am Carlplatz, mitten im Herzen der Altstadt. An einem Abend hatte Emil ein Kaninchen besorgt, das er delikat zubereitete. Was er kochte, schmeckte gut, auch wenn es oft ungewöhnlich war. Als wir es uns in seinem Zimmer auf dem Parkettboden gemütlich gemacht hatten, um das Kaninchen zu verspeisen - ganz romantisch hatten wir uns dabei sogar Kerzen angezündet - klingelte es, und Barbara kam herein. Sie war damals Florians Freundin und mochte Emil offensichtlich gern. Ein stilles Mädchen war sie und wirkte sehr fein, fast vergeistigt, fast durchsichtig mit ihrer blassen Haut und wasserblauen Augen. Mit ihrem dünnen Körper schien sie beim Gehen geradezu zu schweben. Sie schien keinerlei Temperament zu haben und wirkte absolut androgyn auf mich, benutzte beim Reden nur wenige leise Worte. Aber diese leichte Frau passte sehr gut zu den sanften Gesellen, die für mich nun eine neue ›Familie‹ bildeten.

Im Souterrain, das über eine Holztreppe von der Diele aus zu erreichen war, gab es zwei weitere hintereinander liegende Räume mit Heizung und Oberlicht. Die Böden bestanden aus brüchigem Terrazzo. Früher waren hier die Wirtschaftsräume der Herrschaften gewesen. Hier konnte ich hervorragend herumwerkeln, das war außer Schlagzeugspielen auch etwas für mich. Immer habe ich gerne was aus Sachen gebaut, die ich fand. Professionelles Handwerkszeug hatte ich noch aus meiner Schreinerlehre, und ich konnte mir dort unten im Souterrain später eine richtige Werkstatt für unsere Geräte- und Bühnenkonstruktionen einrichten.

Zunächst einmal begann ich mit der Konstruktion des Tabletts, das die Metallplatten für mein neues elektrisches Schlagbrett aufnehmen sollte. Die Kanten wurden mit der Feile geglättet, und so sah das Brett aus, als wäre es aus einem Block. Emil hatte die Idee, wo wir Metallplatten für die Kontakte der Drum-Pads herbekommen könnten. Bei gemeinsamen Spaziergängen, die wir damals öfter in unserer Umgebung unternahmen, hatten wir ganz in der Nähe im Hafengebiet einen großen Schrottplatz für Buntmetalle entdeckt. Es dauerte nicht lange, da fanden wir auf matschigem Grund einen Berg von runden Blechstücken jeglicher Durchmesser. Zu Hause bohrte ich jeweils nahe dem Rand zwei kleine Löcher in jede Platte und befestigte sie mit farblich passenden Schräubchen auf die Oberseite meines glänzenden Brettes. So wurden es in der oberen Reihe drei Platten von zehn Zentimeter Durchmesser. In einer weiteren Reihe darunter gab es noch einmal drei Platten von zehn Zentimeter Durchmesser, die für die wichtigeren Sounds vorgesehen waren. Eine dritte Reihe am unteren Spielbrettrand mit vier weiteren Platten war für weniger wichtige Klänge vorgesehen. An eine der zwei Befestigungsschrauben hatte ich zuvor ein dünnes Kabel angelötet und durch ein Loch nach hinten auf die Rückseite des Brettes gezogen. Nun hatte ich dort insgesamt zehn Käbelchen, die ich nur noch mit den herausgelötteten Kontakten der Beatbox zu verbinden brauchte, die in einem Kasten unter dem Schlagbrett deponiert und ebenfalls mit dem schönen graublauen Celluloid beklebt war. Zwei Banansteckerbuchsen brachte ich dann noch an der Vorderkante des Brettes für die Verbindungskabel der beiden Schlagstäbe an.

Diese waren ein Problem für sich. Diejenigen nämlich, die ich mir in einem Hobbygeschäft ausgesucht hatte, haben sich beim Schlagen auf die Platten viel zu schnell verbogen, da ich sie zu dünn ausgewählt hatte. Auch war das Kupfer zu weich. Es hat also nicht gut funktioniert. Nach ständigen Versuchen mit anderen Materialien erreichte ich die beste Wirkung mit Messingröhrchen. Sie leiteten den Strom ebenfalls gut, mussten aber dicker sein, weil sie hohl waren. Die vordere Öffnung lötete ich zu, damit sie dort etwas schwerer waren, und hinten brachte ich das Stromkabel aus flexiblem Draht an. Damit ich die Bassdrum wie bei einem echten Schlagzeug mit dem Fuß bedienen konnte, habe ich deren Kabel einfach mit einem kleinen Fußtaster aus dem Elektrogeschäft versehen, worauf ich nun mit dem rechten Fuß treten konnte, während ich oben die Snaredrum klopfte - bumm-tschak-bumm bumm-tschak-bumm-tschak - sollte das werden, so hoffte ich jedenfalls.

Man konnte das Schlagbord vor sich aufstellen und in der Höhe variieren, weil ich einfach das Gestell eines Drehhockers darunter geschraubt hatte. Auch die Neigung war verstellbar durch einfache Flügelschrauben an den beiden seitlichen Haltestangen. Einfach toll sah es aus, einfach großartig. Fremd. Neu!

Richtig stolz war ich auf meine saubere Ausführung und die Form, und am gleichen Tag, an dem ich mit der Arbeit fertig war, nahm ich es mit ins Studio und präsentierte es meinen neuen Kollegen. Sie waren schon sehr angetan von seinem Äußeren. Endlich mit der Anlage verbunden, konnten wir hören, dass unser ›Drum-Pad‹, wie es später genannt wurde, hervorragend funktionierte. Eine ganz neue Sache hatten wir da und wussten sofort, dass das genial war. Es ließ sich auch leicht spielen. Einfach unglaublich, wie schnell und leicht die Drum-Pads ansprachen, wenn man sie mit einem der beiden Metallstäbchen berührte. Allerdings musste ich regelmäßig eine dünne Oxydationsschicht an den Spitzen der Stäbe abfeilen, damit sie elektrischen Kontakt gaben. Es konnte nämlich sonst vorkommen, dass die Dinger überhaupt keinen Kontakt auslösten. Aber dafür hatte ich später immer eine kleine Feile bei mir, um vor Auftritten die Spitzen der Schlagstäbe zu säubern. Man konnte mit dem Ding freilich nicht dynamisch in der Lautstärke spielen; es war nur der einfache Klang jeder Platte zu hören, je nachdem, wie laut der an der Beatbox zuvor eingestellt wurde: ping-päng-zakk-boing-bum-tschak - mehr gab‘s nicht, aber das war ja das tolle. Weil es eben so einfach war. Außerdem hatte ich mir die Drumsounds genauso auf mein Brett gelegt, wie ich es als Drummer zu spielen gewohnt war: Ganz links unten die Bass-Drum. Rechts daneben die Snare-Drum. Ganz rechts außen ein Tom. In der Reihe darüber befand sich links der Klang einer Hi-Hat, rechts daneben ein Crash-Becken und ganz rechts außen ein Ride-Becken. In der oberen Reihe waren Klänge von Claves und Bongos untergebracht. Später haben wir das Ganze noch mit einem Volume-Pedal verbunden, und dann klappte das auch besser mit der laut/leise-Dynamik.

Bald schon habe ich die Kupferscheiben für die wichtigeren Sounds durch solche aus Stahl ersetzt. Diese waren viel härter und bekamen nicht so schnell Dellen. Da es Edelstahl war, rosteten sie auch nicht. Beim empfindlicheren Kupfer oder Messing gab es bei diesen Scheiben von Anfang an Probleme mit der elektrischen Leitfähigkeit. Die Verwendung von Edelstahlplatten löste diese Probleme.

Kraftwerk war mit neuem Schlagwerk ausgerüstet! Ganz einfach konnte ich nun im Stehen elektrisches Schlagzeug spielen und vor allem fast ohne jede Anstrengung oder gar schweißtreibend! Florian war so begeistert davon, dass er mich ständig vom Brett wegschubste, um selbst darauf zu ›klöpfeln‹. Was konnte der Mann für einen Spaß haben! Wir rangelten regelrecht darum, wer mit dem Kistchen spielen durfte. Natürlich gewann am Ende ich, denn wer sonst war hier der Drummer? Auch Ralf hatte seine Freude an dem neuen Teil, und es war die Fortsetzung der von ihnen eingeleitete Weiterführung der Bemühungen um technische Innovationen und futuristisches Design auf der Bühne. Wir waren jetzt die einzigen, die solch ein Schlagzeug hatten. Aber darüber dachten wir gar nicht erst nach – glaubte ich damals jedenfalls. Jeder andere hätte dieses innovative Schlaginstrument wohl sofort zum Patent angemeldet. Wir jedoch waren viel zu sehr Künstler, viel zu erhaben, um je über eine kaufmännische Möglichkeiten nachzudenken. Das Kinderschlagzeug, das immer noch im Studio stand, wurde von da an nicht mehr benutzt und ich hatte nun keine Sorgen mehr wegen unseres Auftritts im ZDF. Ausgestattet mit dieser neuen Attraktion, war ich jetzt sogar richtig scharf darauf.

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NEUES IM KULTURKANAL

Berlin, Oktober 1973 +++ Wir flogen mit British Airways nach Berlin und hatten froh gelaunt unser gut funktionierendes Drum-Pads-Board im Gepäck. Und ich das erste Mal in einem ›Fluchzeuch‹! Ich hatte gar kein gutes Gefühl dabei. Nicht, dass ich ein überängstlicher Typ war, aber ich fragte mich beim Fliegen doch, ob wir Menschen mit dieser unnatürlichsten aller Fortbewegungsarten die Natur nicht all zu sehr herausforderten. Man sitzt ja immerhin auf großen Mengen von explosivem Treibstoff und lässt sich von Düsentriebwerken in die Stratosphäre schießen. Man sitzt auf quälend drückenden Stühlen im künstlichem Klima einer zerbrechlichen Druckkammer aus dünner Aluminiumhaut. Es ist sehr unangenehm für die Ohren und für den Blutdruck. Nie werde ich Menschen verstehen, die diese Tortur mögen, ja, suchen. Ganz abgesehen von den heißen Abgasen, die Jets in die Atmosphäre pusten. Da lobe ich mir doch das Zugfahren. Man kann umherschlendern und im Restaurantwagen gediegen speisen; man sitzt gemütlich in behäbigen Sesseln, während sich draußen grüne Landschaften, moderne Städte, romantische Dörfer und glitzernde Industrieanlagen abwechseln. Da kann man doch was sehen und erleben! Die Reise dauert zwar länger, aber genau das hatte ich schon immer gemocht – wenn etwas länger dauert. Ich hatte es nie wirklich eilig in meinem Leben. Träumen und Trödeln waren ja schon als Kind meine Lieblingsbeschäftigungen.

Wir landeten jedenfalls heil in Berlin-Tempelhof, und ich war froh, wieder mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen. Von der Größe der damals noch von Westdeutschland isolierten Stadt war ich vollkommen überwältigt. Das war doch etwas ganz anderes als unser Düsseldörfchen. Hier bekam ich einen ersten Vorgeschmack, was es heißt, mit Kraftwerk in den Metropolen der Welt unterwegs zu sein.

Im Fernsehstudio des ZDF ging es sachlich und professionell zu. Unsere paar Sachen waren schnell aufgebaut. Wir waren ganz schöne aufgeregt, jetzt hier vom Sender die Chance zu bekommen, in ihrer Kultursendung aufzutreten. Es war schon eine Ehre, derart gehypt zu werden, weil uns die Redaktion vorausschauendunter Kultur eingereiht hatte anstatt unter Showbiz.

Wir spielten das Stück ›Tanzmusik‹ live vor den Kameramännern, die total auf mein merkwürdiges Elektroschlagzeug mit all den hinten heraushängenden Kabeln abfuhren. Tatsächlich wirken wir bei diesem Auftritt ziemlich grotesk, wie ich nach all den Jahren auf dem Videomitschnitt der ZDF-Sendung noch einmal nacherleben konnte. Aus heutiger Sicht hat unsere Darbietung etwas Rührendes und Amateurhaftes. Die ganze Show hatte die Wirkung einer Schlaftablette, aber so naiv fing das Ganze halt damals an.

Das wirklich Spektakuläre an unserem Auftritt aber war meine völlig neue Art zu trommeln. Hier war ich eindeutig der Star, auf dessen abenteuerliches Rhythmusbrett die Kameramänner ihre großen Objektive richteten. Ralfs Minimoog-Synthesizer sah ja noch wie eine herkömmliche Orgel aus und Florians Querflöte hatte auch nichts besonders Aufsehenserregendes. Dass ich damals aber tatsächlich den Nerv hatte, mit solch einer zusammengebastelten Amateurkonstruktion vor die Kameras zu treten, macht mir klar, dass ich schon immer eine ordentliche Portion Verrücktheit in mir hatte. Sie trug dazu bei, dass wir uns danach noch mehr für die elektronische Herstellung und Präsentation unserer Musik begeisterten. Ohne diese ersten kleinen Anfangsschritte hätten wir bestimmt nie die Führungsrolle in der elektronischen Popmusik eingenommen.

Berlin bot hinterher jede Menge Möglichkeiten, die Nacht zum Tage zu machen. So fuhren wir nach der Sendung auch gar nicht erst in unser Hotel, sondern schlenderten gemütlich durch die Stadt, aßen und tranken im Café Kranzler am Ku'damm und streunten die ganze Nacht durch Kneipen und Discotheken. Wir waren extrem neugierig auf Erlebnisse in der Subkultur. Im Morgengrauen stellte sich dann massive Müdikgeit ein. Ich weiß noch, dass wir völlig ermattet im Morgengrauen mit einem Taxi zum Flughafen zurückfuhren. Es regnete, und es war kalt geworden. Keine aufbauende Kombination für übermüdete Künstler. Als wir wieder im Flugzeug saßen - es war einer der ersten Flüge an diesem Morgen - kam auch der Kapitän hinein. Er hatte noch seinen nassen Regenmantel an und wirkte leicht unwillig wegen der frühen Stunde. Dazu balancierte er neben seiner Aktentasche eine dampfende Tasse mit Kaffee durch den schmalen Gang, bis er im Cockpit verschwand. Sein Erscheinungsbild wirkte nicht gerade beruhigend auf uns. Nur wenige Fluggäste waren an Bord auf dem Rückflug in den Westen, außer ein paar Geschäftsleuten und uns drei völlig übernächtigten Kraftwerkern.

 

Überhaupt war das kein guter Tag fürs Fliegen. Als wir nämlich schon einige Zeit Berlin hinter uns gelassen hatten, begann das Flugzeug plötzlich fürchterlich zu rütteln. Durch härteste Windböen machte die Maschine so schrecklich zackige Bewegungen, dass auf einmal mehrere der Deckenverkleidungen mit lautem Krachen in den Gang hinunterfielen und man nun die Hydraulikleitungen und Kabelkanäle bewundern konnte. Es war die vollkommene Härte und ich dachte, es sei jetzt aus mit uns. In den entsetzten Gesichtern anderer Passagiere sah ich ähnliche Empfindungen. Von einer der hinteren Sitzreihen hörte ich einen anderen schockierten Passagier rufen: »Immer diese Scheiße mit British Elend!« Diesen Spruch kannte ich schon, allerdings gemünzt auf eine englische Automarke, deren Modelle ebenfalls öfter einmal etwas verloren. Später flogen wir dann noch einmal mit dieser Linie, von Bombay nach Düsseldorf. Da war die Situation auch sehr speziell, aber dabei ging zum Glück alles gut. Doch davon später...

Als wir am Vormittag wieder zu Hause angekommen waren, fiel ich todmüde in mein Bett. Ich war völlig fertig, aber glücklich und stolz. Etwas hatte ›klick‹ in mir gemacht und ich wußte instinktiv: Der Sache mit Kraftwerk gehört die Zukunft, der schweißtreibende Trommler der englischhörigen Beat-Epoche gehörte der Vergangenheit an. Die Kameramänner vom ZDF hatten mir meine Restzweifel an meiner neuen Art, Schlagzeug zu spielen, genommen. Ab da liebte ich das ›elektrische Bügelbrett‹, wie wir das Ding später oft ironisch nannten.