Pforte des Todes

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4



Ihr Gesicht war blass und die Lippen rot, als hätte sie nervös darauf herum gebissen. Ihr besorgter Blick, mit dem sie Jakobs Laune abzuschätzen versuchte, wurde von schweren Tränensäcken ins Weinerliche verstärkt, und die Hand, mit der sie ihre rechte Wange verdeckte, beschwor das Bild heftiger Zahnschmerzen.



Jakobs Fuß bremste die Bewegung des Türblatts.



»Ich habe Verständnis«, sagte er sanft, »ich denke, auch von Ihnen solches verlangen zu können. Ich möchte es jedenfalls nicht erzwingen.«



»Warum lassen Sie mich nicht einfach in Ruhe?«



»Das werde ich - wenn Sie zu schreien aufhören und mir sagen, wo ich Deskin finde.«



»Wie oft soll ich das noch sagen?«



Er nahm die rechte Hand aus der Tasche. Zwischen Daumen und Zeigefinger blitzte ein Skalpell.



»Nur ein einziges Mal«, sagte er, die scharfe Klinge in die linke Hand schlagend. »Und ich möchte mich überzeugen, dass er nicht in der Wohnung ist.«



Mit dem Fuß stieß er die Tür auf. »Gehen Sie voran«, sagte er.



Annette Gurtner gehorchte, bewegte sich rückwärts durch den dunklen Flur, an dessen Wänden Kinoplakate klebten, erreichte ein kleines Wohnzimmer, durch dessen Fenster Bäume und die verklinkerte Fassade einer Gaststätte zu sehen waren.



»Ich sah nur seinen Namen auf dem Klingelschild. Wie heißen Sie?«



»Annette Gurtner.«



»Seit wann leben Sie mit ihm zusammen?«



»Seit ungefähr zwei Jahren.«



»Und wie nennt er sie?«



»Häschen«, sagte sie ängstlich und irritiert zugleich.



Jakob schloss die Tür. Mit zwei Schritten war er im Bad, fand es leer, kam zurück, kontrollierte das gegenüberliegende Schlafzimmer, beugte sich unter das Bett, ohne die wie gelähmt stehende junge Frau aus den Augen zu lassen.



»Häschen«, sagte er leise, »wussten Sie, dass nahezu fünfzig Prozent aller deutschen Paare sich Häschen nennen?«



Sie schüttelte den Kopf.



»Die anderen sagen Schatz, Schätzchen, Süße, Süßer und Schweinchen, Ärschilein, Bärchen und so weiter. Ich sage: Falls ich von Ihnen belogen werde, wird Sie die Hölle verschlingen. Verschlungen zu werden ist furchtbar. Sie sterben nicht nur, Sie erleben Ihr Sterben. - Was meinten Sie eigentlich, als Sie fragten, wie oft Sie meine Frage beantworten sollten?«



Er betrachtete die wenigen Möbel. Spanplatte und Fünfziger Jahre, stellte er fest. Vor und auf den Fenstern Blumentöpfe, ein kleiner Fernseher mit Zimmerantenne, winzige Sesselchen, ein Glastisch, darunter ein recht neuer Flokati.



»Haben Sie die Stimme verloren, Häschen?«



»Es war schon jemand hier, der das wissen wollte, und angerufen wurde auch mitten in der Nacht.«



»Erzählen Sie!«



»Ich will nicht, dass Sie mir was tun!«



»Ich tue Ihnen nichts.«



»Sie bedrohen mich!«



Er lachte. »Ach, Sie meinen dieses Skalpell? Nun, wenn es Sie beruhigt, stecke ich es ein.«



Sie nahm die Hand von der Wange. Jakob steckte das Skalpell ein.



»Wer hat sie geschlagen?«



»Der mit dem großen Gesicht, der auch wissen wollte, wo Florian ist. Sie waren verabredet, aber es hat wohl nicht funktioniert.«



»Wann?«



Sie hob die hängenden Schultern. »Gestern. Abends. Er sagte ja nie was Genaues. Wenigstens nicht mir.«



»Sie glauben, er traute Ihnen nicht?«



»Wem traute er denn schon?«



»Offenbar dem Mann mit dem großen Gesicht. Kennen Sie seinen Namen?«



Sie schüttelte den Kopf.



»Wann war er hier?«



»Vor ´ner Stunde, wenn ´s hoch kommt.«



»Was wollte er?«



Annette Gurtner zögerte einen Augenblick. Aber als sie Jakobs Augen sah, sagte sie hastig: »Es ging um Geld, um richtig dickes Geld, hat er gesagt. Florian hat sich aber nicht an seine Zusagen gehalten oder nicht halten können. Ich habe das nicht richtig verstanden. Auf jeden Fall war er stocksauer.«



»Der Mann?«



»Ja. Er hat mich geschlagen, dabei weiß ich wirklich nicht, wo Flor ist.«



»Und dieser Mann hat gesagt, er sei für die Presse oder das Fernsehen tätig?«



Sie schüttelte den Kopf.



»Am Telefon haben Sie das behauptet«, sagte Jakob.



»Ach, dann waren Sie das, der angerufen hat?«



Er nickte. Sie deutete auf einen Stuhl.



»Darf ich mich setzen?«



»Es ist Ihre Wohnung, nicht wahr?«



Sie nahm am Tisch Platz, zündete sich eine Zigarette an.



»Florian hat das mit dem Fernsehen oder so erwähnt«, sagte sie resigniert. »Nicht konkret, einfach so wie zwischen den Zeilen. Dass er einen guten Kontakt hätte, und dass bald alles in Ordnung wäre. Mit Geld, mit allem, keine Sorgen mehr. Mehr allgemein alles. Er hat sich ja nie richtig in die Karten gucken lassen, immer ein Geheimnis daraus gemacht. Aus allem.«



»Wieso glaubte er, von denen Geld bekommen zu können?«



»Ich weiß es nicht, ich glaube, er war auf was gekommen, auf eine große Sache, die viel Geld wert sein sollte.«



»Denken Sie nach!«



Tränen rannen ihr über die Wangen.



»Er hat doch aus allem ein Geheimnis gemacht. Erst mit diesem Esoterikkram, dann sogar aus sich selbst.«



»Was heißt das?«



Ihre Schultern bewegten sich nach oben. »Dass er Macht gewinnen würde und all dieser Kram ... Genaues kam ja nie von ihm ‚rüber...«



»Was wissen Sie von ihm?«



»Nicht viel«, sagte sie, den Rauch ausstoßend, »so gut wie nichts, wenn ich ehrlich bin. Er hat sogar geschwiegen, als er seine Stellung verloren hat. Erst als dieser Mensch vom Jobcenter auftauchte und ihn hier sprechen wollte, kriegte ich davon mit. Und dass er Stück für Stück unsere Sachen verschleudert hat, das weiß ich jetzt auch. Wo es zu spät ist«, fügte sie bitter hinzu. Sie strich sich über den Unterleib. »Mich stellte ja auch keiner mehr ein, aber er hätte es mir rechtzeitig sagen können, dann wäre vieles besser gelaufen, keine Verzweiflung, keine verdammten Lügen und nicht diese vergeblichen Hoffnungen, endlich mal sorgenfrei leben zu können.« Ihre Blicke richteten sich auf ihn. »Warum suchen Sie ihn? Was hat er Ihnen getan?« Sie deutete auf seinen durchbluteten Halsverband. »War er das?«



Jakob ignorierte ihre Fragen.



»Wie sah der Mann mit dem großen Gesicht aus? Die Haare, seine Statur? War er schlank, war er dick, wie bewegte er sich, wie sprach er?«



»Ich kann so schlecht beschreiben und behalten kann ich auch nichts.«



»Hatte er Ihre Größe?«



»Viel größer, noch größer als Sie. Wie ein Bär.« Sie strich sich über die geschundene Wange. »Dicke Pranken und dicke Lippen, und langes Haar. Er war total nass.«



»Augen?«



»Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube, sie waren irgendwie grün oder gelb, ich weiß es einfach nicht mehr, weil er mich so erschreckte, und ich hatte Angst, dass ich das Kind verliere.«



Von den Fragen, die ihr der »Bär« gestellt hatte, waren ihr so gut wie alle entfallen. Gesprochen hatte er »wie hier alle sprechen«, sie war überzeugt, er sei aus der Gegend gewesen, ein Jemand, der seine Worte zu setzen verstand, ein Intellektueller, »voll von Jähzorn«, und mit einem Schlag, der noch immer in ihrem Gesicht brannte. »Und«, fügte sie, in sich hineinhorchend, hinzu, »er hat gedroht, Florian wegen Täuschung und Betrug vor Gericht zu bringen.«



»Das ist alles?«



»Wirklich und wahrhaftig.«



»Deskin hat auch nicht angerufen?«



»Wirklich und wahrhaftig nicht!«



»Ich bemühe mich, Ihnen zu glauben«, sagte Jakob. »Ich werde irgendwann nachfragen, und ich hoffe, Sie werden dann genau so kooperativ sein.«



»Warum suchen Sie ihn eigentlich?«



»Der Bär hat es richtig beschrieben: Deskin hat betrogen - ihn, sich selbst und - das ist der Grund seiner ewigen Verdammnis – die Allmacht.« Jakob presste die Lippen zusammen, schien die Haltung zu verlieren, kämpfte und fasste sich schnell wieder. Wie nebenbei und mit einem Blick auf die gereizte Wange des Mädchens: »Warum hat der Bär Sie geschlagen?«



»Er glaubte mir nicht. Und ich habe ihn angeschrien, dass er mich in Ruhe lassen solle, und dann hat er wütend zugeschlagen.«



»Das tut mir leid.«



Sie schwieg. Jakob betrachtete sie einige Sekunden lang aus weit offenen Augen, nickte kaum merklich und ging zur Tür. Die Hand an der Klinke blieb er stehen.



»Beten Sie«, sagte er sanft, »beten Sie für ihn. Und auch für Ihr Heil.«



Dann riss er die Tür auf und verließ die Wohnung.











5



Schon als Kind hatte Reineking die Menschen bewundert, die zu wichtigen oder unwichtigen Anlässen die richtigen Worte und damit den Beifall der Autoritäten fanden. Das Schlimme war, er

kannte

 die Regeln aus dem ff, aber er begriff sie nicht in ihrem Wesen. Fast immer hatte er das Gefühl, Hohles, Doppelbödiges oder Unaufrichtiges zu sagen, wenn er sich einer der Serienfloskeln bediente. Auch jetzt, dem Oberstaatsanwalt gegenüber, den er aus dem Leitbus anrief, war er unfähig, eine entschuldigende Phrase anzuwenden.



»Reineking, Sie wollten mich sprechen«, sagte er, nachdem der Oberstaatsanwalt sich schnaufend gemeldet hatte.



»Ach, den Eindruck hatten Sie? Das rührt mich aber tiefstens!


Dass Sie sich meiner überhaupt erinnert haben, wird meine Dankbarkeit über mein Ableben hinaus prächtig gedeihen lassen.«



»Wollen Sie Streit oder Informationen?«



Von Vennebeck schnaufte.



»Nun ja, vergessen wir ‚s für den Augenblick. Wie weit sind wir denn? Können wir diese von Ihnen geforderte Geländesperre endlich aufheben? Da braut sich nämlich eine Menge Unmut in Besucherkreisen auf, und beim zuständigen Amtsrichter, dessen Telefon angeblich zum Folterinstrument verkommen ist, erst recht. Mir wurde gesagt, dass einige Dutzend Busse den unteren Parkplatz blockieren und der erste deutsche Rentneraufstand zu befürchten sei.«

 



»Die Sache mit den Bussen trifft halbwegs zu, obwohl von Aufstand keine Rede sein kann.«



»Was fanden Ihre so heiß ersehnten LKA-Leute heraus?«



Reineking berichtete im Telegrammstil.



»Na, da scheinen Sie ja mal Recht gehabt zu haben«, sagte von Vennebeck. »Sie auch noch recht hoffnungsvoll aus, wenigstens für die gestressten Denkmalenthusiasten! Oder, mein lieber Herr Hauptkommissar, behindert etwa eine den Genialhirnen entatmete Konklusion die Aufhebung der den Tourismus behindernden Sanktion?«



Ein zartes Schmatzen drang an Reinekings Ohr. Möglicherweise genoss der Oberstaatsanwalt nicht nur die Situation, sondern auch irgendeine alkoholische Delikatesse, deren Gaumenreize seine Sprache vielleicht auch deshalb in leichten Trab versetzte, weil ihm die geneigte Assessorin zur Seite saß. Ganz in der Rille schien der Vorgesetzte ihm jedenfalls nicht zu sein.



»Mit der Geländeabsuche sind wir zwar noch nicht durch, aber, nein, eigentlich gibt es keinen Grund, die Sperre aufrecht zu erhalten«, sagte er vorsichtig.



»Wir können jedenfalls bei Annahme eines Unfalls - und danach sieht es ja aus - nicht so lange warten, bis unserem Finanzminister einfällt, zur Sanierung seines Haushalts Eintritt für die Show Erleben


Sie unsere Polizei in Aktion zu fordern. Also?«



»Heben Sie auf.«



»Gut, ich sorge für den Beschluss und Sie lassen die Rentner vor Ort von der Leine.«



»Jawohl, Herr Oberstaatsanwalt.«



»Sehr schön. Und dann hätte ich noch gerne gewusst, ob Sie - post investigativum - eine eigene Meinung zum Geschehen haben?«



Reineking beschlich Unbehagen. Er verspürte eine starke Abwehr dagegen, eine Meinung zu äußern, die nicht durch Anhaltspunkte belegt war. Auch witterte er eine Falle.



»Es ist schwer«, begann er zögernd, »in diesem Augenblick auch nur einen Verdacht auszusprechen. Es gibt keinerlei Hinweise, die in eine bestimmte Richtung deuten. Das Opfer ist nicht identifiziert, wir haben keine Ahnung, wie es zum Denkmal gekommen und warum es dort verbrannt ist. Auch die Düsseldorfer Kollegen haben trotz anfänglichen Optimismus letztendlich kapitulieren müssen.«



»Wenn man Sie so hört, sieht man das UFO, aus dem das Bein dem Kaiser vor die Stiefel geschmissen wurde, direkt vor sich«



»Derartige Geschichten können leicht entstehen, wenn wir jetzt nicht vorsichtig genug sind.«



Wieder eine kurze Pause, dieses süffelnde Schmatzen, als wenn von Vennebeck genüsslich nachschmeckte.



»Ja, da haben Sie wohl recht, Herr Hauptkommissar. Wir sollten alles, was zur Entstehung von Gerüchten beitragen kann, tunlichst vermeiden, wobei, ich gebe es gerne zu, mir die ganze Geschichte wie ein Bilderbuch ohne Bilder erscheint. Sie hatten ja bereits die Presse vor Ort, und ich denke, eine Erklärung müssen wir uns schon einfallen lassen.«



»Tut mir leid, zurzeit habe ich keine, und mehr kann ich im Augenblick nicht sagen.«



»Mit anderen Worten, wir stehen vor einem kriminalistischen Rätsel?«



»Nur vorübergehend, denke ich.«



Von Vennebeck schwieg. Reineking klopfte sich mit der linken Hand eine Zigarette aus der Packung. Durch das Fenster des Dienstbusses sah er einen Trupp Schutzpolizisten über die Auffahrt zum Denkmal gehen. Dahinter stampfte klein und unter einem breitkrempigen Hut verborgen, Termöhlen schwerfällig heran.



»Na gut«, sagte von Vennebeck, »Sie halten mich auf dem Laufenden. Wann erwarten Sie die endgültigen Laborergebnisse?«



»Morgen telefoniere ich mit den Düsseldorfern.«



»Na gut, informieren Sie mich bitte umgehend. Ich bin kein Rätselfreund, ich bin ein Rätselfeind, verstehen Sie?«



»Ich verstehe«, sagte Reineking, drückte die Austaste und zündete sich die Zigarette an.



Termöhlen erreichte schwer atmend den Bus.



»Ich habe den Mitschnitt der Anzeige von der Wache mitgebracht«, sagte er und stellte einen silberfarbenen Kassettenrecorder auf die Sitzbank. »Ich muss schon sagen, dass das ziemlich abartig ist, dass da einer so was mitkriegt und sich einfach dünne macht. Ich sag dir, diese Leute kannst du echt in der Pfeife rauchen! Nicht die Spur von Verantwortungsgefühl, nur noch der blanke Egoismus, und ´n Mädchen war das auch noch!«



Termöhlen kletterte in den Wagen und warf sich kopfschüttelnd auf eine Sitzbank. Er schaltete den Rekorder ein. In das Rauschen des Bandes platzte zunächst die klare Stimme des Dienst tuenden Pultbeamten mit der Standortmeldung, wurde unterbrochen von der sich überschlagenden einer Frau, in der Entsetzen und - wie Reineking fand - auch Angst mitschwangen.



»... die Polizei? Habe ich die Polizei?«



»Ja, die Polizei. Was kann ich für Sie tun?«



»Der brennt, Sie müssen sofort kommen, sofort, der steht in vollen Flammen, der verbrennt ...!«



»Bitte nennen Sie Ihren Namen und den Ort, an dem Sie sich befinden.«



»Scheiße, das ist hier am Denkmal!«



»Sie müssen mir bitte sagen, wo genau und an welchem Denkmal Sie zu finden sind!«



»Hier oben, hier am Denkmal von dem Wilhelm, da ist das.«



»Das Wilhelmdenkmal in Barkhausen also?«



»Genau.«



»Und Sie sagen, das Denkmal steht in Flammen?«



»Scheiße nein! Der Mann, nicht das Denkmal! Der Typ, der hier raufgelaufen is! Und der schlug plötzlich um sich und dann schrie er und brüllte und liegt jetzt da oben und verbrennt ... Das ist keine Verarsche, das ist so wie ich sage ... Halt doch mal die Schnauze,


verdammt noch mal, ich sag doch schon! Sie müssen jemand schicken, weil ... ich sag, das ist keine Verarschung, der brennt, der verbrennt ...« Ein polterndes Geräusch, ganz dünn: »Scheiße noch mal, jetzt ist ...«



Der Wachhabende in der Zentrale: »Also am Wilhelmdenkmal sind Sie, und es ist nicht das Denkmal, das brennt ... Hallo, hören Sie mich? Hallo? Sind Sie noch da? Hallo, bitte melden Sie sich...« Das Rauschen des Bandes. Der Wachhabende: »Ich glaube, da ist nichts mehr ...«



»Verstehst du?«, fragte Termöhlen. »Einfach abgehauen, obwohl da einer lichterloh brannte und um sein Leben kämpfte.«



»Spule zurück und lass es noch mal laufen«, bat Reineking.



Termöhlen bediente mit verbittertem Gesicht das Gerät. Die Stimmen erklangen erneut.



»Angst«, sagte Reineking, »blanke Angst, geradezu Panik. Vielleicht konnte sie nicht helfen, weil das, was sie in Angst und Schrecken versetzte, ihr gefährlich werden konnte. Geh noch mal bis an die Stelle, wo der Kollege bestätigt haben will, dass das Denkmal in Flammen steht.«



»Der muss auch nicht ganz dicht gewesen sein«, sagte Termöhlen. »Die hat doch ganz klar gesagt, dass es der Mann brannte.«



»Überlege mal, wenn dich solch ein Anruf kalt erwischt!«



»Kann ja sein«, lenkte Termöhlen ein und drückte erneut die Wiedergabetaste.



Die Stimme des Beamten. Dann die der Frau.



»Stopp!«



Termöhlen hielt das Band an.



»Als wenn sie gehindert worden wäre!«



»Ja. Aber vorher schreit sie ohne erkennbares Motiv: Halt die Schnauze, verdammt noch mal, ich sag es doch schon! - Wem sagt sie das?«



»Mich hat das auch gewundert, dass sie plötzlich so aggressiv geworden ist.«



»Aber wem sagt sie das?«



»Frag mich was Leichteres.«



»Der Beamte in der Wache hat ihr keinerlei Anlass geboten, sich in der Weise zu äußern, ihn meinte sie meines Erachtens auch nicht. Halt die Schnauze, verdammt noch mal, ich sag es doch schon! - Das klingt, als wenn sie nicht alleine ist, ich meine, war, als wenn da jemand neben ihr gestanden hätte, einer, der sie in irgendeiner Weise gestört hat. - Geh noch mal zurück!«



Sie hörten das Band noch dreimal in der Hoffnung ab, eine Bestätigung der Vermutung zu finden.



»Du hast recht«, sagte Termöhlen nickend, »da ist noch jemand, der ihr was zu verstehen geben will.«



»Er mischt sich ein.«



»Und sie will das nicht! Deshalb die plötzliche Aggression.«



»Eindeutig dem Begleiter, nicht dem Wachhabenden gegenüber.«



»Der muss sich auch was gefragt haben.«



»Aber sie hat echte Angst.«



»Nicht, als sie das so heftig sagt, ich meine, dem oder der anderen gegenüber.«



»Genau. Diese Person ist nicht die Quelle ihrer Angst. Das ist das andere, vielleicht der Brennende oder der ihn in Brand gesetzt hat.«



»Sie muss mitgekriegt haben, wie das passiert ist, und sie muss den Täter gesehen haben.«



»Aber sie erwähnt ihn nicht. Warum, wenn sie ihn gesehen hat?«



»Angst lähmt, Ulli. Und sie ist eine junge Frau, sie ist durchgedreht und fix und fertig.«



»Das ist sie eben nicht!«



»Natürlich ist sie im Eimer! Der ganze Text ist reine Panik, das hast du vorhin doch selbst gesagt!«



»Sie hatte den Nerv, die Polizei anzurufen, zwar hektisch, aber überlegt. Und diese aggressive Phase, als sie die Begleitperson - nehmen wir an, sie hatte eine - anpfiff, zeigt, dass ihr Zorn zumindest in diesem Augenblick die Angst überwog. Also hatte sie sich unter Kontrolle. Daraus ist zu folgern, dass sie nicht um sich selbst, um ihre Sicherheit fürchtete. Wäre die gefährdet gewesen, hätte sie wahrscheinlich nicht unter den zu diesem Zeitpunkt herrschenden Bedingungen bei der Polizei angerufen.«



»Die Täter müssen sie ja nicht gesehen haben«, sagte Termöhlen wenig überzeugt.



Reineking tippte sich an die Stirn.



»Ich danke dir für deinen konstruktiven Widerspruch, aber ich denke, bei dem Geschrei wären die ganz sicher auf sie aufmerksam geworden.«



»Nicht, wenn sie weit genug weg gewesen ist.«



»Hier oben gibt es kein Weit-genug-weg, hier kriegst du mit, wenn einer so schreit.« Er deutete nach draußen auf den Vorplatz. »Wo willst du hier weit genug weg sein?«



»Dann bleibt als Schlussfolgerung, dass die Täter bereits abgezogen waren.«



»Genau.«



Reineking stieg aus dem Bus und betrachtete den Vorplatz. Neben der linken der beiden Treppen, die zu den oberen Plattformen und letztlich zum Kaiser unter dem steinernen Baldachin führte, stand ein rostender Anhänger, auf dem ein verzinkter, langer Tank angebracht war. Dessen vordere Felgen leuchteten rot in der Sonne. Die hinteren waren blaugrau gestrichen. Rote Schläuche hingen am Heck herab. Offenbar diente das Gefährt den Bauarbeitern als Wasserreservoir.



»Von hier aus«, sagte Reineking und deutete auf das hohe Bauwerk des Baldachins, unter dem das Kaiserdenkmal und daneben ein hohes, mit hellgrünen Plastiknetzen verhängtes Baugerüst zu sehen war, »ist es unmöglich, das Podest des Denkmals zu sehen. Es geht zu steil nach oben. Da hinten, wo der Tankwagen steht, sieht es anders aus. Wenn du ihm gegenüber irgendwo an der Umfassungsmauer bist, kannst du die linke Treppe, das Absperrgitter vor dem Denkmal und die Seite des Sockels sehen, an der unser Opfer verbrannt ist. Von dort aus hast du auch einen relativ freien Blick über den Vorplatz. Und dort hinten, vielleicht hat sie auf einer der Ruhebänke gesessen, muss die junge Frau postiert gewesen sein und das Geschehen beobachtet haben. Und zwischen ihr und dem Sockel oben muss unser Opfer mit irgendwas überschüttet und entzündet worden sein.«



Er setzte sich in Bewegung. Termöhlen folgte ihm nach kurzem Zögern, nutzte die Gelegenheit, sich eine Zigarette anzuzünden. Sie passierten auf knirschendem Split den Tankanhänger, hielten sich dich an der Begrenzungsmauer, hinter der sich der Blick in das Wesertal öffnete.



»Hier etwa«, sagte Reineking und blickte nach oben auf das Denkmal, »von hier aus haben wir den freien Blick. Das muss ihre Position gewesen sein. Siehst du?«



Termöhlen sog an der Zigarette. »Für einen Brennenden ein verdammt langer Weg«, sagte er düster. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das schaffen konnte. Der sieht nichts mehr, der hat irrsinnige Schmerzen, er ist dem Wahnsinn nahe ...«



»Es hat keinen Sinn zu spekulieren. Wir müssen die Zeugin finden.«



»Wer macht so was? - Nazis?«



»Wieso müssen es immer Nazis sein?«



»Wegen der ins Auge springenden Symbolik. Die schnappen sich einen, jagen den hier hoch, zünden den an und hoffen, weil es ja ein echtes deutsches Symbol ist, auf das entsprechende Echo.«

 



»Umgekehrt kannst du es genauso konstruieren.«



»Dass das ein Nazi war, den sie ...«



»... oder ein gehörnter Ehemann, der ...«



»Ach Scheiße!«



»Aus einer Telefonzelle hat sie jedenfalls nicht telefoniert.«



»Nee, die einzige steht unten am Restaurant.«



»Also?«



»Heutzutage kommen die Kinder schon mit ‚nem Handy am Ohr auf die Welt.«



»Das ist unsere Chance!«, sagte Reineking und ballte die rechte