Die Kunst des Aufstands

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Die Kampfform des Aufstands im frühen 19. Jahrhundert

»Straßenkampf mit Barrikaden«116 – dies ist das klassische Bild des Aufstands im 19. Jahrhundert. Unter dem Ruf »Auf die Barrikaden!« bricht zumeist der Revolutionssturm los. Dieser »Zauber«117 hält lange vor; er wird auch nicht durch die schweren Niederlagen im Pariser Juni 1848, im Wiener Oktober 1849 oder im Dresdner Mai 1849 destruiert. Die kurzfristigen Barrikadensiege 1848/49 stilisieren diese zum entscheidenden Instrument der Volkserhebung. So überrascht es nicht, dass der sozialistische Revolutionär Louis-Auguste Blanqui noch 1868/69 in seinen »Instruktionen für den Aufstand« präzise Anleitungen und Skizzen für die systematische Anlage von Barrikaden verfasst.

Kampfterrain ist die Stadt, die Häuser und Barrikaden sind die Befestigungs- und Verschanzungspunkte der Insurgenten. Das Militär soll im Angriff auf diese seine Kraft verschleißen und zusammenbrechen. Die Kampfszenen gleichen einander immer wieder: »Überall erheben sich Barrikaden und halten das Militär auf.«118 Engels beschreibt anschaulich die Kampfszenen eines typischen Aufstands in seiner Heimatregion Düsseldorf:

»Gegen Abend entspann sich der Kampf. Die Barrikadenkämpfer waren, hier wie überall, wenig zahlreich. Wo sollten sie auch Waffen und Munition hernehmen? Genug, sie leisteten der Übermacht langen und tapfern Widerstand, und erst nach ausgedehnter Anwendung der Artillerie, gegen Morgen, war das halbe Dutzend Barrikaden, das sich verteidigen ließ, in den Händen der Preußen.«119

Über den frühproletarischen Juniaufstand 1848 in Paris verfasst Engels in der »Neuen Rheinischen Zeitung« eine »rein militärische Darstellung des Kampfes«,120 nicht nur um die Tapferkeit des Pariser Proletariats zu würdigen, sondern auch um sich und die Arbeiterbewegung über Bedingungen und Chancen eines Sieges im Straßenkampf zu verständigen. Akribisch notiert er die Art und Weise der Hauptbefestigungen:

»Barrikaden von merkwürdiger Stärke waren hier errichtet, teils von den großen Pflasterquadern gemauert, teils von Balken zusammengezimmert. Sie bildeten einen Winkel nach innen zu, teils um die Wirkung der Kanonenkugeln zu schwächen, teils um eine größere, ein Kreuzfeuer eröffnende Verteidigungsfront darzubieten. In den Häusern waren die Brandmauern durchbrochen und so jedesmal eine ganze Reihe in Verbindung miteinander gesetzt, so daß die Insurgenten nach dem Bedürfnis des Augenblicks ein Trailleurfeuer auf die Truppen eröffnen oder sich hinter ihren Barrikaden zurückziehen konnten.«121

Engels lobt den Revolutionär Kersausie als den »ersten Barrikadenfeldherrn in der Geschichte«.122 Aber im Straßenkampf mit Barrikaden ist »die passive Verteidigung die vorwiegende Kampfform«,123 die Initiative bleibt beim Militär.

Warum scheitern die Barrikadenkämpfe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts?

Marx und Engels stellen zwei militärische Hauptursachen fest:

1.Die »Verfügung über Geschütz und (…) geübte Genietruppen«124

Der brutale Einsatz von Kanonen durch das Militär im Straßenkampf überraschte die Insurgenten, denn »bisher war nur einmal in den Straßen von Paris mit Kanonen geschossen worden – im Vendemiaire 1795, als Napoleon die Insurgenten in der Rue Saint Honore mit Kartätschen auseinanderjagte. Aber gegen Barrikaden, gegen Häuser war noch nie Artillerie angewandt und noch viel weniger Granaten und Brandraketen. Das Volk war noch nicht darauf vorbereitet; es war wehrlos dagegen.«125 Kann das Militär »ungehemmt durch politische Rücksichten, nach rein militärischen Gesichtspunkten«126 Kanonen gegen Barrikaden einsetzen, endet der Aufstand in einer blutigen Niederlage.

Die Niederschlagung des Wiener Aufstands 1849 steht mustergültig für die Asymmetrie im Barrikadenkampf:

»In den langen, breiten Straßen, die die Hauptverkehrsadern der Vorstädte bilden, wurde eine Barrikade nach der andern von der kaiserlichen Artillerie hinweggefegt«.127

2.Die »Festigkeit des Militärs«128

»In der klassischen Zeit der Straßenkämpfe wirkte (…) die Barrikade mehr moralisch als materiell.«129 Es handelte sich darum, die »Truppen mürbe zu machen durch moralische Einflüsse«.130 Die Erschütterung »der Festigkeit des Militärs« ist der »Hauptpunkt, der im Auge zu halten ist«,131 will man Chancen im Straßenkampf haben. Bleiben jedoch die »Soldaten zuverlässig«132 und kann das Militär ohne politische Rücksichten handeln, scheitert der Aufstand.

Immer wieder betont Engels, dass ein Sieg nur möglich war, »weil die Truppe versagte, weil den Befehlshabern die Entschlußfähigkeit ausging oder aber, weil ihnen die Hände gebunden waren.«133

Scheitert jedoch die Erschütterung und Demoralisierung der Armee, »so bewährt sich, selbst bei einer Minderzahl auf Seiten des Militärs, die Überlegenheit der besseren Ausrüstung und Schulung, der einheitlichen Leitung, der planmäßigen Verwendung der Streitkräfte und der Disziplin.«134 Zudem steht den militärisch unerfahrenen Insurgenten oft eine »brutale Soldateska« gegenüber, die sich in traditionellen Kriegen sowie »in den vielen kleinen Konflikten zwischen Militär und Volk«135 ausbilden konnte.

Als letztes Mittel zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung können die jeweiligen Machthaber außerdem auf verlässliche Kolonialtruppen und/oder auf koloniale Unterdrückungsmethoden oder in Vielvölkerstaaten auf intakte Militärverbände nationaler Minoritäten zurückgreifen. Als Beispiele seien nur genannt:

–»Cavaignacs Militärdiktatur aus Algerien nach Paris verpflanzt«136 während des Pariser Juniaufstands 1848. »Das Volk hatte bisher keine Ahnung von solch einer algierischen Kriegsführung mitten in Paris.«137

–Die englische Regierung benutzt Irland als »Vorwand«, um »eine große stehende Armee zu unterhalten, die im Bedarfsfalle, wie es sich gezeigt hat, auf die englischen Arbeiter losgelassen wird, nachdem sie in Irland zur Soldateska ausgebildet wurde.«138

–1893 warnt Engels die Sozialisten in Wien vor Generalstreik, Straßenkampf und Barrikaden, da »man Euch durch Tschechen, Kroaten, Ruthenen etc. ohne weiteres über den Haufen schießen kann.«139

3.Generell sind für proletarische Aufständische »ihre Verteidigungsmittel völlig unzureichend« und fehlen »militärische Kenntnisse und militärische Organisation bei den Mannschaften vollständig«.140 Nicht nur für den Wiener Aufstand 1849 ist es typisch, dass »die Volkspartei nach 8 Monaten revolutionärer Kämpfe keinen Militär von größeren Fähigkeiten hervorgebracht oder für sich gewonnen«141 hat.

Grundsätzlich liegt also der Schlüssel zu Sieg oder Niederlage der Insurrektion im militärisch-politischen Verhalten der Streitkräfte. Diese Erkenntnis bestätigt die schon am 15. September 1848 in der »Neuen Rheinischen Zeitung« zu lesende Meldung:

»Militärrevolte in Potsdam und Nauen. Der Konflikt zwischen Demokratie und Aristokratie ist im Schoß der Garde selbst ausgebrochen (…). Die Potsdamer Soldatenrevolte erspart uns wahrscheinlich eine Revolution.«142

Insbesondere der Badische Aufstand von 1849 zum Schutz der ersten deutschen demokratischen Reichsverfassung, der Paulskirchenverfassung, ist ein Musterbeispiel hinsichtlich der Rolle des Militärs:

»Der Aufstand in Baden kam unter den günstigsten Umständen zustande, in denen eine Insurrektion sich nur befinden kann. (…) Die Armee, die in andern Aufständen erst besiegt werden mußte, die Armee, von ihren adligen Offizieren mehr als irgendwo anders schikaniert, seit einem Jahr von der demokratischen Partei bearbeitet, seit kurzem durch die Einführung einer Art allgemeiner Wehrpflicht noch mehr mit rebellischen Elementen versetzt, die Armee stellte sich hier an die Spitze der Bewegung und trieb sie sogar weiter, als die bürgerlichen Leiter der Offenburger Versammlung wollten. Die Armee gerade war es, die in Rastatt und Karlsruhe die ›Bewegung‹ in eine Insurrektion verwandelte«.143

Dieses Problem der politischen Eroberung und Paralyse des Militärs, um einen möglichst unblutigen Revolutionsprozess zu ermöglichen, wird Engels bis kurz vor seinem Tod beschäftigen. Verzweifelt versucht er, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands entsprechende Lösungswege aufzuzeigen. Er stößt auf taube Ohren. Noch schlimmer: Seine Anregungen und Vorschläge werden in der Parteipresse zensiert, unterschlagen und abgelehnt.

Was ermöglicht den zeitweiligen Sieg auf der Barrikade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts?

In der antifeudal-bürgerlichen Volksrevolution spielt das in Bürgerwehren/Nationalgarden organisierte bewaffnete Bürgertum eine entscheidende Rolle. Unterstützt die Bürgerwehr den Volksaufstand, ergeben sich gute Chancen, um auf den Barrikaden zu siegen.

Auf dreifache Weise hilft deren Eingreifen den Aufständischen:

a)Die Bürgerwehr trat »direkt auf Seite des Aufstands«144 oder

b)brachte »durch laue unentschiedene Haltung die Truppen ebenfalls ins Schwanken«145 und

c)lieferte »dem Aufstand obendrein Waffen«.146

Weitere positive Faktoren auf Seiten der Insurgenten für den Sieg auf den Barrikaden sind:

–Sie kämpfen »mit dem größten Heldenmut«,147

–unterscheiden sich vom gewöhnlichen Rekruten durch freiwilligen, begeisterten Einsatz und »heroischen Mut«148 und

 

–bauen auf den Kampfwillen und die unermesslichen Reserven des Volkes, denn »in der Cite schossen Mädchen aus den Fenstern auf die Soldaten«.149

–Letztlich sind es »Menschen und nicht Gewehre, die Schlachten gewinnen müssen.«150

Als wichtige Bedingung für den Barrikadensieg in der antifeudal-bürgerlichen Volksrevolution muss auf Seiten des Militärs allerdings deren Demoralisierung eintreten, indem

a)die Truppe versagt (moralische Zerrüttung),

b)den Militärbefehlshabern die Hände zur Niederschlagung der Insurrektion politisch gebunden sind und

c)es Offizieren und Mannschaften an der Entschlussfähigkeit fehlt oder gar

d)Teile der Armee mit den Insurgenten fraternisieren.

Wenn jedoch auf den Barrikaden die rote Fahne weht und die soziale Republik ausgerufen wird – z. B. Juniaufstand 1848, der Pariser Kommuneaufstand 1871 –, zieht sich die bewaffnete Bourgeoisie (Bürgerwehren/Nationalgarden) nicht nur aus den Kampfhandlungen zurück, sondern bekämpft im bürgerlichen Eigeninteresse den proletarischen Aufstand. Das Bündnis zwischen Bürgertum und Arbeiterklasse gegen feudale politische Herrschaftsformen steht immer auf der Kippe.

1895 konstatiert Engels im Rückblick auf die 48/49er-Revolutionen: Trat die »Bürgerwehr von vornherein gegen den Aufstand« an, »wurde dieser auch besiegt«.151

Für Engels ist die asymmetrische Ausgangslage einer Arbeiterinsurrektion allerdings Ansporn, immer wieder über die Gewaltfrage im Revolutionsprozess nachzudenken.

Die Regeln der Kunst des proletarischen Aufstands

Die seriöse Abwägung der Chancen und Risiken eines Aufstands ist nur die eine Seite der Medaille. Ebenso notwendig ist die Fähigkeit, die Kampfhandlungen zu organisieren und die Kämpfenden in Gefechten taktisch zu führen.

1852 fasst Engels in der Broschüre »Revolution und Konterrevolution in Deutschland«, basierend auf den Erfahrungen der Revolutionen seiner Zeit, seine Ansichten zur Kampfführung zusammen:

So wie der Krieg ist »der Aufstand eine Kunst (…) und gewissen Regeln unterworfen, deren Vernachlässigung zum Verderben der Partei führt, die sich ihrer schuldig macht. Diese Regeln, logische Schlußfolgerungen aus dem Wesen der Parteien und Verhältnisse (…) sind klar und einfach.«152

Diese Regeln sind:153

–Man darf »nie mit dem Aufstand spielen, wenn man nicht fest entschlossen ist, alle Konsequenzen des Spiels auf sich zu nehmen.«

–»Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Wert sich jeden Tag ändern können.«

–Die »Kräfte des Gegners haben alle Vorteile der Organisation, der Disziplin und der hergebrachten Autorität auf ihrer Seite« – Asymmetrie der Kräfte.

–»kann man ihnen nicht mit starker Überlegenheit entgegentreten, so ist man geschlagen und vernichtet«

–»hat man einmal den Weg des Aufstands beschritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands«

–»Überrasche deinen Gegner, solange seine Kräfte zerstreut sind«

–»sorge täglich für neue, wenn auch noch so kleine Erfolge; erhalte dir das moralische Übergewicht, das der Anfangserfolg der Erhebung dir verschafft hat; ziehe so die schwankenden Elemente auf deine Seite, die immer dem stärksten Antrieb folgen und sich immer auf die sichere Seite schlagen«

–»Zwinge deine Feinde zum Rückzug, noch ehe sie ihre Kräfte gegen dich sammeln können«

–»Um mit den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik zu sprechen: de l’audace, de l’audace, encore de l’audace«

An anderen Stellen ergänzt er:

–»Im Krieg, und besonders im revolutionären Krieg, ist die Schnelligkeit des Handelns, bis ein entscheidender Erfolg errungen, die oberste Regel«154

–»[…] in der Revolution wie im Krieg ist es immer notwendig, dem Feind die Spitze zu bieten, und wer angreift, ist im Vorteil.«155

–Der Aufstand darf nie zum Stillstand kommen. Man hat ihn »ohne einen Augenblick zu zaudern, weiterzutragen«.156

–Ferner muss man »die Macht der Insurrektion zentralisieren«157

–»(…) und in der Revolution wie im Kriege ist es unbedingt notwendig, im entscheidenden Augenblick alles zu wagen, wie die Chancen auch stehen mögen. Es gibt keine einzige erfolgreiche Revolution in der Geschichte, die nicht die Richtigkeit dieser Axiome beweist.«158

Unschwer erkennt man, dass diese Kampfführungsregeln stark von der damals vorherrschenden napoleonischen Kriegsführung abgeleitet sind: energische Offensive, zahlenmäßige Überlegenheit im Gefecht, Schnelligkeit, Beweglichkeit, Überraschung und Wagemut.159

Gelingt den Insurgenten die Formierung einer revolutionären Armee, spricht nichts dagegen, nach diesen Prinzipien zu handeln. Aber die Anwendung dieser Kampfregeln setzt die Konstituierung/Existenz einer proletarischen Garde oder Armee des Proletariats voraus – dies stellt das eigentliche Problem dar.

Historischer Exkurs: Engels als asymmetrischer Kämpfer

Friedrich Engels befasste sich nicht nur theoretisch mit der Kunst des Aufstands und des Krieges, sondern nahm auch 1849 an den bewaffneten Kämpfen der Revolution teil. Da Engels seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger bei der 12. Kompanie der Gardeartilleriebrigade in Berlin abgeleistet hatte, war es nur konsequent, dass er seine beim Militär praktisch erworbenen Kenntnisse in die Aufstandsbewegung einbrachte.

Zunächst engagierten sich Marx und Engels als führende Mitglieder des »Bundes der Kommunisten« für den Erfolg der Revolution mit der Herausgabe der »Neuen Rheinischen Zeitung«, dem Zentralorgan der Linken. Kurz vor Ausbruch der Märzrevolution 1848 verfasste Marx das »Manifest der Kommunistischen Partei« und formulierte auf dieser Basis als Flugschrift die »Forderungen der kommunistischen Partei in Deutschland«. Auf diese Weise wollten sie direkten Einfluss auf Inhalte und Verlauf der antifeudal-bürgerlichen Revolution in Deutschland nehmen.

Die von der Paulskirchenversammlung in Frankfurt am Main, dem ersten frei gewählten gesamtdeutschen Parlament, am 28. März 1849 »beschlossene und im Reichsgesetzblatt publizierte Verfassung war nach dem Verständnis der Nationalversammlung geltendes Recht«.160 Nachdem aber der preußische König diese demokratische Verfassung am 28. April 1849 definitiv abgelehnt hatte, erstarkte die Konterrevolution. Dagegen entstand nun in der Revolution »eine dritte Aufstandsbewegung, welche die Verwirklichung der Reichsverfassung zum Programm hatte und deshalb unter dem Namen ›Reichsverfassungskampagne‹ in die Geschichtsschreibung eingegangen ist.«161 Militante bewaffnete Volksbewegungen zum Schutz der Nationalversammlung und der Reichsverfassung entwickelten sich in mehreren Städten sowie einigen Regionen Deutschlands. Über den »Erfolg der Bewegung in einem Einzelstaat« entschied jedoch »die Haltung des Militärs«.162 In Dresden (Sachsen) konnten sich die Revolutionäre »auf 3000 wirkliche Kämpfer« und zuziehende »6000« stützen. Diese »waren jedoch zu zwei Dritteln unbewaffnet und kaum einsatzfähig.«163 Loyale preußische Armeeeinheiten marschierten am 5. Mai in Dresden ein, am 9. Mai war der Kampf entschieden. »Mit modernen Zündnadelgewehren und reichlich Artillerie ausgerüstet, waren die preußischen Truppen weit überlegen; 31 gefallenen Soldaten und 97 verwundeten standen rd. 250 Gefallene und 400 Verwundete unter den Revolutionären gegenüber.«164 Die anschließende brutale Verfolgung der Aufständischen mit 6000 Anklagen und 727 längere Zuchthausstrafen (laut Siemann) hatte eine abschreckende Wirkung auf das übrige Deutschland.

Engels beteiligte sich in der Stadt Elberfeld und Umgebung, seiner Heimatregion, am Kampf gegen das preußische Militär. Am 11. und 12. Mai 1849 übergab ihm die militärische Kommission des Sicherheitsausschusses der Stadt das Kommando über die Barrikadenbefestigungen und die Artillerie mit einigen Kanonen.165 Energisch versuchte er, Waffen und Munition zu besorgen, um die Elberfelder Arbeiter zu bewaffnen. Als er reaktionären Bürgerwehren durch Überrumpelung die Waffen abnahm und an verlässliche Arbeiter verteilte, überspannte er die Geduld der Elberfelder Bourgeoisie, die eine »rote Republik«166 fürchtete. Am 14. 5. verlangte sie seine Entfernung aus der Stadt. Engels floh nach Köln, wo gegen ihn wegen Teilnahme am Aufstand am 17. 5. ein Haftbefehl erlassen wurde.

Am 19. Mai verbot die Regierung die »Neue Rheinische Zeitung«, deren Chefredakteur Karl Marx war. Die letzte Kölner Ausgabe der Zeitung erschien ganz in rote Farbe getaucht. Die Wege von Marx und Engels trennten sich in den nächsten Wochen. Während Marx im Ausland den Widerstand organisierte, schloss sich Engels dem bewaffneten badisch-pfälzischen Aufstand zum Schutze der demokratischen Reichsverfassung der Paulskirche an. Dort gab es günstige Bedingungen für den antipreußischen Widerstand, da in Baden die große Mehrheit der einfachen Soldaten der badischen Armee revoltierte und eine bürgerliche revolutionäre Regierung nach der Flucht des Fürstenhauses gebildet wurde.

In der Pfalz und in Baden kämpfte unter dem Kommando von August von Willich, einem Mitglied des Bundes der Kommunisten, eine Freischärlerbrigade von rund 600 bis 800 Mann, der sich Engels am 13. 6. 1849 anschloss.

»Die Gelegenheit, ein Stück Kriegsschule durchzumachen«,167 wollte er nicht versäumen. Die Kräfte der Gegenrevolution schickten zwei preußische Armeekorps unter dem Kommando des Prinzen von Preußen, dem späteren Kaiser Wilhelm I., sowie ein Bundeskorps zur Unterdrückung der badischen Insurrektion. Sie »rückten in Gewaltmärschen gegen die aufständischen Gebiete vor. Die 36 000 Mann starke konterrevolutionäre Armee fegte in einer Woche aus der Pfalz die 8000−9000 Aufständischen hinaus, die sie besetzt hielten (…) Die revolutionäre Armee setzte sich jetzt nur aus den bewaffneten Kräften Badens zusammen, die etwa 10 000 Mann Linientruppen und 12 000 Freiwillige zählten. Nach sechs Wochen Kampf auf offenem Felde waren die Reste der aufständischen Armee gezwungen, sich in die Schweiz zurückzuziehen … Im Verlauf dieses letzten Feldzugs war Engels Adjutant des Obersten Willich, des Kommandeurs eines Korps aus kommunistischen Freischärlern. Er nahm an drei Gefechten und an der letzten Entscheidungsschlacht an der Murg teil«, schreibt Engels 1885 über sich.168

In der Schrift »Die deutsche Reichsverfassungskampagne«169 schildert Engels im Kapitel »Für Republik zu sterben!« auf 35 Seiten seine Kampferfahrungen als asymmetrischer Kämpfer gegen die preußische Militärübermacht.

Die mangelnde Kampfstärke der badischen Revolutionsarmee (zu wenig Soldaten/kaum Offiziere/Waffen/Munitionsmangel/schlechte Organisation/Disziplin usw.) und die nicht nur zögerliche, sondern bremsende Politik der bürgerlichen Revolutionsregierung führten zur Niederlage des Aufstandes. Zwar kämpften die Freischaren erbittert gegen die preußische Militärmacht, doch am 12. Juli 1849 mussten die restlichen revolutionären Truppen – unter ihnen Engels – ins Schweizer Exil ausweichen. Die letzte revolutionäre Festung Rastatt (etwa 6000 Revolutionskämpfer) kapitulierte am 23. Juli. Danach etablierte Preußen bis 1851 eine brutale Besatzungsherrschaft in Baden mit standrechtlichen Erschießungen (mehrere Dutzend), unzähligen Zuchthausstrafen, Verhaftungen und Geldstrafen, sodass es zu einer massiven Auswanderung von Badenern (insbesondere nach Amerika) kam.

Diese Kampferlebnisse und das brutale Vorgehen des preußischen Militärs (»Kartätschenprinz«) prägten Engels. In den nächsten beiden Jahren verfasste er zwei Arbeiten – »Die deutsche Reichsverfassungskampagne« und »Revolution und Konterrevolution« –, um die Schwächen und Unzulänglichkeiten der Revolution nicht nur in politischer, sondern gerade auch in militärischer Hinsicht aufzuzeigen. Schonungslos kritisiert er die Fehler und Schwächen der badischen Revolutionsarmee. Um diese zukünftig zu vermeiden, beginnt Engels Ende 1850 mit dem systematischen Studium des Militärwesens. So schreibt Marx 1859 an Lassalle:

»Engels hat, seit er sich an der badischen Kampagne beteiligt, aus den Militaribus sein Fachstudium gemacht.«170

 

Zeitlebens wird er umfangreiche und systematische kriegs- und militärwissenschaftliche Studien betreiben, weshalb ihn seine Freunde und Kampfgefährten scherzhaft »General« rufen und er sich selbst ironisch, aber treffend »als Repräsentant des großen Generalstabs der Partei«171 versteht.

So schreibt er 1851 an Joseph Weydemeyer: »Ich habe (…) angefangen Militaria zu ochsen«, und »wenn man das Ding nicht systematisch betreibt, so kommt man zu nichts Ordentlichem«. So will er »theoretisch einigermaßen mitsprechen«, da die »enorme Wichtigkeit, die die partie militaire bei der nächsten Bewegung bekommen muß«,172 militärisch kompetente Arbeiterführer erfordert. Engels las nicht nur Klassiker der Militärtheorie wie Jomini und Clausewitz, sondern in den nächsten Jahrzehnten mehrere hundert Bücher dieses Genres.173

Engels’ Anspruch war immer, »damit wenigstens einer vom ›Zivil‹ ihnen [den Offizieren] theoretisch die Stange halten kann«, wie er 1851 in einem Brief an Karl Marx schreibt.174 Noch 1893, zwei Jahre vor seinem Tod, sieht er seine Lebensaufgabe darin, »zu beweisen, daß wir beim Militär auch etwas gelernt haben.«175

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