Lebendige Seelsorge 1/2022

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ES KÖNNTE SO EINFACH SEIN

Zwei Dinge haben mich damals ratlos zurückgelassen: Zum einen, dass dieser Mann mich sozusagen in eine Rolle bugsiert hatte, die ich niemals wollte. Nämlich, dass es in einem Dialog bzw. einer Diskussion plötzlich nicht mehr um das bessere Argument und den Inhalt geht, sondern schlicht und ergreifend um den, der am längeren Hebel sitzt. Und zum anderen, dass er sich schlussendlich nur mit dem ‚Argument‘ zufriedengegeben hatte, dass ich als Pfarrer ein Machtwort gesprochen und entschieden habe. Denn das war er nachher wirklich: zufrieden. Er war nicht verärgert, nicht gehässig oder sonst etwas. Er wollte nicht weiterdiskutieren. Er war total freundlich und ist auch weiterhin regelmäßig in den Gottesdienst gekommen. Der Mann hatte mich mit dem Gefühl zurückgelassen, dass er nun genau den Pfarrer hat, den er sich immer schon gewünscht hatte.

Diese Begegnung hat mir aufgezeigt, dass viel darüber gesprochen wird, dass Kleriker klerikalistisch auftreten und handeln, aber wenig davon, dass es auch Menschen gibt, die klerikalistisches Auftreten und Handeln wollen und einfordern, und dabei meine Mitbrüder und mich auf die eine oder andere Weise formen. Ich habe nicht wenige Menschen aus meiner Kirchengemeinde vor Augen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie immer noch einen Pfarrer wollen, der nicht nur klar sagt, was richtig und was falsch ist, sondern auch, was zu tun und zu lassen ist. Diesen Menschen kann man nichts Schlimmeres antun, als sie in die Selbstverantwortung zu entlassen. Diese Menschen sehnen sich nach Klarheit und nach einer gewissen Art von Einfachheit. Zum Glück gibt es auch viele andere Menschen, aber die Beschriebenen gibt es eben auch.

Es gibt nicht nur die Art von Klerikalismus, die ich als Kleriker ausübe, sondern auch jene Art, die an mich als Kleriker hingetragen wird. Wodurch versucht wird, mich in eine Rolle zu pressen und mich zu erpressen, auf eine gewisse Art und Weise klerikal zu handeln.

Ich möchte mich und meinen Berufstand sicherlich nicht als Opfer darstellen und sagen, dass nicht die Kleriker, sondern vor allem alle anderen am Klerikalismus schuld sind. Aber ich glaube, dass auch das Verhalten einiger Nicht-Kleriker:innen nicht unterschätzt werden darf. Es gibt eben nicht nur die, die sich aufregen, weil der Pfarrer von einem hohen Sockel aus auf sie herunterblickt, agiert und regiert, sondern es gibt ebenso die, die ihn gerne auf diesem Sockel sehen oder ihn auf diesen hochhieven wollen und es auch tun. Letzteres ist für meinen Berufsstand keine Opfersituation, sondern eine gefährliche Versuchung, weil es natürlich toll ist, wenn Leute zu mir emporschauen und ich jemand bin. Es ist auch deshalb eine Gefahr, weil dieses System von oben und unten so schön klar und einfach daherkommt. Darüber hinaus glaube ich, dass jene Versuchung mit dem zunehmenden Priestermangel noch größer wird, denn die wenigen Priester, die noch da sind, werden gehegt und gepflegt. Ihnen wird bewusst oder unbewusst gezeigt, dass sie etwas Besonderes sind und sie werden auf ganz unterschiedliche Weise bewusst oder unbewusst auf den hohen Sockel gestellt.

Was ich sagen möchte, ist, dass die Sache, wie Klerikalismus auftaucht, geformt und gepflegt wird, ungefähr so ist, wie der Beziehungsstatus vieler Menschen: Es ist kompliziert.

ES IST KOMPLIZIERT

Ich bin katholischer Priester und somit Kleriker. Das ist nun mal so.

Wie schon angedeutet und wahrscheinlich allgemein bekannt bzw. gedacht: Im Zusammenhang mit Klerikalismus geht es oft darum, was Kleriker tun, wie sie sich verhalten und gebärden. Und das kommt natürlich auch nicht von ungefähr. Es gibt genügend Aussagen und Beispiele von Mitbrüdern in genau diesem bekannten bzw. gedachten Duktus, bei denen ich mich dafür schäme, Kleriker zu sein.

Zum einen geht mir das aber bei vielen pastoralen Mitarbeiter:innen oder allgemein bei vielen Christ:innen auch so, weil sie sich nicht weniger klerikal gebärden. Und zum anderen geht es sicherlich vielen meiner Mitchrist:innen und Mitbrüdern mit mir in manchen Situationen genauso ….

Früher dachte ich, Klerikalismus sei ein gewisser Habitus und klerikalistisches Handeln gewisse Gesten, Worte und Entscheidungen, die etwas von fehlender Augenhöhe erzählen und von denen ausgehen, die klerikal handeln. Natürlich wird dies meist und leider auch wirklich aus vielerlei schlechten Erfahrungen heraus Klerikern zugeschrieben. Aber, dass es diesen Habitus natürlich genauso unter Lai:innen, Haupt- und Ehrenamtlichen, Frauen und Männern gibt, war mir immer schon klar und dies habe ich leider auch oft genug schon erlebt.

Zum Beispiel erlebe ich eine Kollegin im pastoralen Dienst, die immer eine große Kritikerin gegenüber der kirchlichen Hierarchie und dem Klerikerstand war und ist, die nun aber, als Pfarrbeauftrage in einer Gemeinde, genauso geworden ist wie alles, was sie kritisiert hat und immer noch kritisiert. Ist Klerikalismus vielleicht oft einhergehend mit einer gestörten Selbst- und Fremdwahrnehmung?

Und daran anschließend denke ich an eine Frau von Maria 2.0, die klug und klar, aber auch mit ruhigen und völlig abgeklärten Worten bei einem Interview in einem Fernsehstudio sitzt und Forderungen stellt. Leider bekommen ich bei alldem aber das Gefühl nicht los: Wenn ein Bischof mit diesem Habitus dort genauso sitzen und reden würde … – du würdest ihn zerfleischen.

Oder ich denke an die vielen Haupt- und Ehrenamtlichen, Männer und Frauen, die ich schon getroffen habe, die durch manch schlechte Erfahrung mit Kirchenmenschen (oft völlig nachvollziehbar) frustriert sind, sich nun aber in ihren Frust suhlen oder vielleicht einfach nicht mehr herausfinden und leider über die Zeit hinweg auch nicht besser mit ihren Mitmenschen umgehen und dadurch ihre schlechten Erfahrungen einfach weitertragen.

Diese Liste könnte ich noch lange weiterführen und wahrscheinlich kennt jede:r, wenn sie oder er nachdenkt, solche Bespiele. Wenn wir all diese Erfahrungen und Situationen zusammentragen würden, würden sich vielleicht viele davon ähneln, aber noch mehr würden sich unterscheiden, weil es sich hierbei meistens um ein Konglomerat aus Überzeugungen, Erfahrungen und Gefühlen handelt. Vielleicht ist das auch ein Haken in der ganzen Diskussion um Klerikalismus. Jede:r denkt, dass es doch völlig klar ist, um was es da geht. In Wirklichkeit vermischen viele einfach die eigenen Erfahrungen mit ihren Idealen und nennen den Frust, den sie dann anderen (manchmal auch vorschnell) vor die Füße werfen, so.

‚Klerikalismus‘: Dieses Wort ist ein Kofferwort. Jede:r packt das hinein, was er oder sie will, kann und meint: Machtgehabe, fehlende Augenhöhe, Klerikergedöns, verletzter Stolz, Kirchenpolitik, manchmal auch nur die eigene Befindlichkeit, weil man den Pfarrer oder die Mesnerin oder die fromme, schlesische Kirchenbesucherin nicht mag bzw. was er oder sie zu einem gesagt hat oder sagt oder getan hat oder tut. Ja, es gibt Klerikalismus, aber genauso gibt es Laiismus, Ehrenamtswichtigtuerei und pastorale Enge, die daraus resultieren. Es gibt die Menschen, die hinter jedem gesprochenen Wort eines Klerikers eine unerhörte Aussage suchen und es gibt die, die so verängstigt sind, dass sie sich auf gar keine Diskussion mehr einlassen können. Dies alles wird im gleichen Koffer zusammengeworfen, der unter dem Stichwort ‚Klerikalismus‘ zugeklappt, abgeschlossen und umhergetragen wird.

ES KLINGT EINFACH, IST ABER KOMPLIZIERT

Viele von uns haben ganz persönliche Verletzungen, haben ihre ganz persönlichen Schutzmechanismen und ihre persönlichen Sockelerlebnissen. Nach all dem Geschriebenen ist und bleibt aber die Frage, ob mich diese Verletzungen, Schutzmechanismen und Sockelerlebnisse vor einer Form des Klerikalismus bewahren oder ihn steigern? Ich weiß nicht, ob es auf diese Frage eine einfache und pauschale Antwort gibt. Aber ich weiß, dass es in alldem darum geht, wie wir grundsätzlich in dieser Kirche und auch sonst miteinander umgehen.

Dafür nochmals eine beispielhafte Begebenheit: Als ich Geistlicher Diözesanleiter der KjG (Katholischen jungen Gemeinde) Rottenburg-Stuttgart war, wurde ich anfangs immer wieder von einer lieben, ehrenamtlichen Kollegin in der Diözesanleitung darauf hingewiesen, dass es total wichtig sei, dass ich mit den Ehrenamtlichen immer freundlich und korrekt umgehe. (Ich hoffe und glaube, dass dies eine allgemeine Information war, weil es ihr wichtig war, dass ich von Anfang an richtig eingespurt werde. Aber vielleicht täuscht mich hier auch meine eigene Selbstwahrnehmung.)

Nachdem ich das von ihr dreimal gehört hatte, habe ich frech dagegengehalten und sie gefragt, was dies denn im Umkehrschluss dann heißt? Dass ihre wiederholte Aussage sowohl redundant und auch ziemlich einseitig sei. Ist es dann im Gegenzug egal, wie die Ehrenamtlichen mit mir als Hauptamtlicher umgehen? Entweder haben wir als Christ:innen eine grundlegende Art und Weise, wie wir miteinander umgehen oder eben nicht. Darüber hinaus sagte ich ihr dann auch, dass ich die Unterscheidung von Ehren- und Hauptamt in diesem Zusammenhang für grundsätzlich falsch halte.

Wir werden nie aus der Nummer herauskommen, dass wir aus verschiedensten Anstellungsverhältnissen oder Leitungspositionen heraus aufeinandertreffen und zusammenarbeiten. Dies wird immer vorgegeben sein und dabei ist es egal, ob wir Lehrer:innen in der Schule sind oder im Fußballverein spielen oder mit der Familie unterwegs sind oder uns ehrenamtlich im kirchlichen Binnenraum engagieren. Wir haben einfach unsere unterschiedlichen Rollen und Positionen.

Viele Menschen sind von ihren (leider oft schlechten) Erfahrungen geprägt und werden in ihren Begegnungen dadurch vorbelastet. Eine meiner Hauptfragen bleibt deshalb: Wie können wir es verhindern, dass unsere inneren Schubladen, die von diesen Erfahrungen angefüllt sind, unser Zusammentreffen und Zusammenarbeiten mit unterschiedlichsten Menschen von vornherein vergiften?

 

Für mich ist die erste Frage nicht die nach der Unterschiedlichkeit, ob Kleriker oder Lai:in, Mann oder Frau, ehrenamtlich oder hauptamtlich, oder sonst irgendetwas. Sondern es geht, denke ich, erst einmal darum, was uns allen gemein ist. Auf welcher Grundlage und mit welcher Grundhaltung begegnen wir einander? Ich glaube, das folgende Gedicht legt hierfür im jesuanischen Sinne eine Spur und zeigt zugleich schon in seiner Überschrift eine Stolperfalle auf.

Gehen die Worte nur Priester an? Ich denke nicht. So hatte ich sie zumindest nie intendiert. Wenn es ein gemeinsames Priestertum gibt, dann resultieren daraus nicht nur gemeinsame Rechte, sondern auch gemeinsame Grundsätze, wie ich den jeweils anderen, unabhängig von seiner Position und seinem Verhältnis zu mir, sehen und behandeln sollte.

Was wäre, wenn ich die andere nicht oft, nicht manchmal, sondern immer spüren lassen sollte, dass sie geliebt ist. Wenn schon nicht von mir, dann zumindest von Gott.

Das klingt jetzt nach einer hübschen pastoralen Floskel und nach einer einfachen und ein wenig billigen, frommen Antwort. Aber dies ist, wenn es ernst gemeint wird, alles andere als einfach und floskelhaft oder billig. Es klingt einfach, ist aber kompliziert. Aber es wäre, denke ich, ein guter erster Schritt gegen jegliche klare und unklare Form von Klerikalismus.

Ein Versuch wäre es wert, fände ich …

priesterlich

du bist der fels

um allen klar zumachen

auf sie einzureden

und sie erfahren zu lassen

dass sie

jenseits dessen

was sie getan oder gesagt haben

unabhängig

ihrer herkunft

sexualität oder hautfarbe

in allem

was sie sagen können

oder verschweigen müssen

trotz allem

was andere ihnen eingeredet haben

oder einreden werden

in allem

und durch alles hindurch

ohne jede einschränkung

felsenfest

geliebt sind

amen!

(aus: Wolfgang Metz, brannte uns nicht das herz? Gedichte, Würzburg 2020, 77)

Die zwei Seiten der ‚Klerikalismus-Medaille‘

Die Replik von Johanna Beck auf Wolfgang Metz

Lieber Wolfgang,

ich war sehr gespannt, was Du schreiben würdest! Wir haben uns ja im Vorfeld unseres ‚gemischten Doppels‘ (zum Glück ohne Kollar) kennengelernt und uns über tausend interessante Dinge ausgetauscht – aber eigentlich gar nicht über unser Auftragsthema.

Umso mehr freut es mich, dass wir zwar aus völlig unterschiedlichen Positionen, Rollen und Erfahrungen heraus schreiben, aber doch immer wieder auf ähnliche Punkte zu sprechen kommen. Darüber hinaus benennst Du weitere Aspekte, die ich in meinem Text nicht aufgeführt habe, aber eigentlich – gerade im Kontext der Missbrauchsproblematik – für sehr wichtig erachte und auf die ich nun in meiner Antwort noch etwas genauer eingehen möchte:

Du schilderst, wie der Klerikalismus von verschiedenen Gläubigen an Dich herangetragen, ja geradezu eingefordert wird. Dies verweist auf einen großen Problembereich, der bei der Aufarbeitung des Missbrauchsabgrundes nach wie vor viel zu wenig Beachtung findet und für den noch viel stärker sensibilisiert werden muss: der Co-Klerikalismus unter den Lai*innen.

Den inzwischen zahlreichen Studien zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche und den erschreckenden Zeugnissen Betroffener ist immer wieder zu entnehmen, dass die Täter zwar in der Regel Kleriker waren, es daneben aber auch zahlreiche stumme Kompliz*innen, Ermöglicher*innen und Vertuscher*innen unter den Nichtgeweihten gab: Eltern, die ihren Kindern nicht glauben konnten oder wollten, weil es doch der Pfarrer war, der da beschuldigt wurde. Erwachsene Bezugspersonen, die die Hilferufe der Kinder einfach ignorierten. Leiter*innen, die ihre Schützlinge für ihre Aussagen ohrfeigten. Kirchenverantwortliche, die sich ebenfalls an der Vertuschung der Taten beteiligten. Oder, um den Bostoner Betroffenenanwalt aus dem Film Spotlight zu zitieren: “If it takes a village to raise a child, it takes a village to abuse one.” Man muss also, was die Sensibilisierung und die dringend notwendigen Veränderungen angeht, an beiden Seiten der ‚Klerikalismus-Medaille‘ ansetzen: Bei den Klerikern selbst UND bei den Lai*innen. Natürlich müssen die priesterliche Macht beschränkt und kontrolliert, das Priesterbild entgiftet und die Kleriker dazu bewegt werden, ihr Amtsverständnis immer wieder zu reflektieren und den Versuchungen des Klerikalismus zu widerstehen. Aber darüber hinaus muss man auch die Lai*innen zu einer kritischen Reflexion animieren, das Priesterbild in den Köpfen mancher Nicht-Geweihten abwandeln, sie zu mehr Mündigkeit, Selbstbestimmtheit und Freiheit im Glaubensleben ermutigen und sie vor allem immer wieder an die heikle Rolle des Co-Klerikalismus im Missbrauchskontext erinnern.

Auch die von Dir beschriebene Tendenz der Lai*innen, die immer weniger werdenden Priester zu ‚pampern‘ halte ich für äußerst problemverstärkend. Umso notweniger ist es auch, dass es Priester – wie Dich – gibt, die auf solche Tendenzen mit Befremden reagieren und sich ihnen bewusst widersetzen (auch wenn sie manchmal geradezu in diese Richtung gedrängt werden, wie Du schreibst).

Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt in Deinem Beitrag, auf den ich etwas intensiver eingehen möchte, denn wir kommen tatsächlich zu einer sehr ähnlichen Schlussfolgerung: Wenn es um Macht- und Umgangsformen (bzw. deren Reformen) in der katholischen Kirche geht, müssen wir radikal vom Evangelium her denken! Alle – egal welchen Titel sie tragen oder welches Amt sie innehaben – müssen ihre Macht der Botschaft des Evangeliums gemäß ausüben. Es geht, wie Du auch betonst, um eine Grundhaltung und ein Verhalten „im jesuanischen Sinne“, um eine Liebe zum Nächsten, die sich auch aus dem eigenen Geliebt- und Angenommensein durch Gott speist.

Aber ein bisschen Widerspruch muss natürlich auch sein: Wenn Maria 2.0-Vertreterinnen in der Öffentlichkeit selbstbewusst, klar und ruhig Forderungen stellen, dann empfinde ich das nicht als eine dem Klerikalismus ähnliche Machtdemonstration, sondern vielmehr als einen wichtigen und guten Akt der Selbstermächtigung, mit der deutlich gegen eben jene klerikalistischen Glasdecken angehämmert wird. Mir ist jedoch bei Deinen Schilderungen eines ‚bischöflichen‘ Maria 2.0-Interviews ein Gedanke gekommen: Ich habe das von Dir angeführte Bild einfach einmal umgekehrt, weitergesponnen und mir vorgestellt, wie ein Bischof in einem Fernsehinterview klar, ruhig und bestimmt die Forderungen von Maria 2.0 verkündet – und DAS würde einer Kirche und einem Bischof, wie ich sie mir wünschen würde, doch SEHR nahekommen! Ich freue mich jedenfalls auf einen weiteren Austausch und auf weitere Diskussionen mit Dir. Liebe Grüße

Johanna

Ja, stürzt die Mächtigen vom Thron, aber setzt euch bitte nicht selbst darauf

Die Replik von Wolfgang Metz auf Johanna Beck

Liebe Johanna,

danke für das Teilen deiner sehr persönlichen und schmerzhaften Erfahrungen.

Danke auch für deine Gedanken, Überlegungen und Forderungen.

Ich kann vieles davon gut nachvollziehen und glaube, dass wir an vielen Stellen dasselbe wollen und hoffen, nur von verschieden Standpunkten aus.

Wo soll ich anfangen? Vielleicht genau dort, wo du auch angefangen hast. Bei der Situation, wenn du einen Kleriker mit Kollar triffst und dich das „ultimativ triggert“. Meine Frage wäre nun: Wäre es eine Hilfe, wenn kein Kleriker mehr ein Kollarhemd tragen würde? Oder lass es mich ein wenig überspitzt sagen: Was dürfte ich als Kleriker noch anziehen und sagen, wenn ich alles weglassen müsste und würde, was irgendjemand aus verschiedensten Gründen antriggern könnte?

Wie gesagt, ich weiß, es ist überspitzt und ich bin nicht objektiv, weil ich Kollarhemdenträger bin. Nicht immer, aber immer wieder. Über die Jahre hinweg ist mir in diesem Zusammenhang alles Mögliche und Unmögliche begegnet. Es gibt die Leute, die mich schief anschauen und innerlich gleich in die rechte Ecke stellen, und die, die mich ansprechen, warum ich nicht im Kollar als Priester erkenntlich bin, und innerlich sogleich als liberalen Wischiwaschi-Typ abstempeln.

Das sind natürlich erst einmal nur Äußerlichkeiten, es ist erst einmal nur die Verpackung. Aber egal, was oder wer da drinsteckt, diese Verpackung bewirkt schon etwas. So wie auch bei dir. Hätte der besagte Priester aus deiner Kindheit immer Karohemd und Jeans getragen (auch eine beliebte und ganz eigene Uniformität bei manchen Priestern), dann wäre das vielleicht jetzt für dich ein Trigger.

Aber so ist es nicht und es ist wahrscheinlich auch nicht so einfach vergleichbar. Deine Worte zeigen mir aber, mit was für einer großen Sensibilität und Wachheit ich als Kleriker mit meiner Kleidung, meinen Gesten und Worten umgehen muss. Ich bin mir nicht sicher, ob es hilfreich ist, immer alles gleich wegzulassen. Aber es ist sicherlich notwendig, dass ich verantwortungsvoll mit dem umgehen muss, was ich nicht weglasse. Gewiss gelingt mir dies nicht immer, aber ich übe mich darin. Versprochen!

Aber egal, was ich anhabe oder nicht: Ich bin und bleibe ein ganz normaler Mensch. Ich stimme dir voll und ganz zu, dass die Überhöhung und Sakralisierung von Priestern, wie deine Geschichte zeigt, viel Unheil gebracht haben und sehr gefährlich für alle Beteiligten sein können. Manche Menschen hätten immer noch gerne Priester, die sakrosankt sind, die immer noch die letzten Bastionen und die letzten tragenden Säulen der societas perfecta darstellen und die für eine Heiligkeit stehen, die sie selbst gerne erreichen würden. In diesem Spiel wird die eine Seite Gefahr laufen, hochmütig zu werden, weil sie alles kann und darf und scheinbar perfekt ist, und die andere Seite ist deprimiert, weil sie ja scheinbar nie so perfekt sein wird. Ist Gott nicht Mensch geworden, um als Mensch unter Menschen zu leben und zu lieben, um gerade dieses Spiel nicht zu spielen?

Natürlich werden wir weiterhin als Kirche eine Institution sein und darin auch eine Struktur mit gewissen Hierarchien haben, und natürlich wird es auch weiterhin Kleriker (vielleicht auch Kleriker:innen) in Leitungsämtern geben. Das ist ja nicht die Frage. Aber die Frage ist, wie wir in diesen Strukturen miteinander umgehen, wie wir mit diesen Strukturen umgehen und wie wir in (möglichst naher) Zukunft diese Leitungsämter nicht in Flaschenhälsen produzieren, sondern auf breite Schultern verteilen. Demokratischer, kontrollierter, transparenter, gleichberechtigter und menschlicher!

Du zitierst Mk 10,43: „Bei euch aber soll es nicht so sein.“ Ich glaube, genau das ist der Punkt und das Maß, an dem wir uns messen müssen. Und zwar alle! Ich würde dahingehend auch noch die Fußwaschung (Joh 13,15) dazulegen wollen: „Ich habe euch ein Bespiel gegeben.“ Ich glaube nicht, dass das heißt, wir müssen dem oder der anderen gegenüber in jeder Begegnung in Ehrfrucht zerfließen. Aber ich frage mich, was wäre, wenn wir unseren Umgang miteinander immer wieder genau mit diesen beiden Stellen reflektieren würden? Ich glaube und hoffe, dass das im Sinne des Erfinders wäre!

Ja, „stürzt die Mächtigen vom Thron“ (Lk 1,52), aber bitte, setzt niemand anderen darauf und setzt euch auch nicht selbst darauf, sonst geht das gleiche Spiel nur mit anderen Protagonist:innen von vorne los.

Ich hoffe und erlebe an vielen Stellen neben allem Ärgerlichen und unerträglich Verknöcherten – Gott sein Dank – auch eine Kirche, die dialogisch und freimütig auf dem Weg ist. Eine Kirche, die männlich und weiblich und alles dazwischen ist. Eine Kirche, die getauft und geweiht ist, aber darüber hinaus genauso Gottes Gegenwart selbstbewusst in unglaublicher Vielfalt sucht und findet und feiert. Von mir aus auch gerne eine Kirche, die manchmal mit Karohemd und Jeans, aber vielleicht manchmal auch hoffentlich unbelastet mit Kollarhemd daherkommt, aber immer pilgernd, nicht besserwisserisch und nicht klerikalistisch, sondern Gott und die Menschen liebend und suchend.

Ich glaube, darin hoffe ich mit Dir zusammen.

 

Danke!

Herzlichst, Wolfgang

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