Tabu Keine Küsse in der Nacht

Tekst
Z serii: Tabu #6
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

*

Nach fünf Tagen waren sie ein eingespieltes Team. Morgens stand Katja mit auf, machte Frühstück, mittags kochte sie und abends saßen Katja und Benjamin mit Christian am Kamin, wenn Nelly eingeschlafen war. Die Arbeit im Weinberg war nun getan. Benjamin arbeitete im Keller. Manchmal saß Nelly auf einem Fass und schaute ihm bei der Arbeit zu.

Die erste Woche der Schulferien war zu Ende. Christian kam, um sich zu verabschieden. Er würde zum Fliegen in der Nähe von München in einem Hotel einchecken.

„Ich muss doch meiner kleinen Prinzessin noch auf Wiedersehen sagen.“

Katja hatte Kaffee gekocht und nun saßen sie in der Küche und warteten auf Benjamin, der rasch zum Bäcker gefahren war.

Es klingelte und Katja hörte mit Entsetzen, wie die Tür aufging und Luise rief: „Christian, bist du hier?“

Christian war aufgestanden und schaute aus der Küchentür.

„Ja, Mama, ich bin hier. Ich wollte mich noch von Benni verabschieden und dann bin ich fünf Tage weg. Ich hätte dich auch noch angerufen. Komm doch herein.“

Die beiden kamen durch die Tür. Als Katja und Luise sich in die Augen sahen, herrschte ein unangenehmes Schweigen. Luise fand als Erste ihre Sprache wieder.

„Ach, die Frau Hardeg. Nein sowas. Was willst du denn hier? Wieder Unglück über meinen Jungen bringen?“

Katja musste schlucken.

„Ich … wir … besuchen Benjamin. Sonst nichts. Das geht dich doch gar nichts an.“

„Was ist das für ein Kind?“

Luise schaute zuerst Katja an, danach Christian.

Mit zusammengekniffenen Augen sagte sie: „Das ist doch nicht etwa dein Kind? Mit wem hast du es denn noch getrieben? Das ist doch …“

„Mutter, lass das!“, rief Christian.

Nelly war vom Stuhl gerutscht und hatte sich an Katja geschmiegt. Sie war ganz still, als würde sie verstehen, dass sich hier etwas Unangenehmes abspielte.

„Nelly ist Katjas und Benjamins Tochter.“

Eisiges Schweigen breitete sich in der Küche aus.

Nun zischte Luise: „So eine Schlange! Hast du dir also ein Kind machen lassen? Du bist doch unglaublich. Wie gut, dass Benjamin der Vater ist und nicht Christian. Und jetzt kommst du abkassieren? Na fein.“

Christian wusste nicht, was er sagen sollte. Er wollte Katja verteidigen, aber der Schmerz war in dem Moment so groß geworden, dass er resigniert schwieg.

Katja sagte leise: „Ich habe es nicht nötig, irgendwen abzukassieren. Und ja, ich habe eine Tochter. Aber dass du hier herum giftest und meiner Nelly Angst machst, das geht gar nicht. Du warst doch von Anfang an gegen mich. Hast sogar die arme Frau Janson mit hineingezogen. Wer also ist hier eine Schlange?“

Katja nahm Nelly auf den Arm und verließ die Küche. Sie sah Christian nicht mehr an. Er hatte wieder einmal nicht zu ihr gestanden. Das wollte einfach nicht in ihren Kopf. Er hatte doch nun gesehen, wie seine Mutter über sie und mit ihr redete. Oben im Kinderzimmer hörte sie Luise laut keifen. Sie hielt sich die Ohren zu und sang für Nelly ein Kinderlied, um sie abzulenken.

Christian war fortgelaufen. Er griff zuhause nach seiner Tasche, die schon gepackt neben der Tür stand, setzte sich ins Auto und fuhr nach München.

Luise kam die Treppe hoch und stand bedrohlich in der Tür des Kinderzimmers.

„Wegen dir ist Christian jetzt weg. Das hast du ja wieder einmal gut hingekriegt. Es ist alles deine Schuld. Wahrscheinlich ist dieses Balg gar nicht Benjamins Kind, sondern du schiebst es ihm nur unter, weil du nicht in der Lage bist, es alleine großzuziehen. Ja, ich hasse dich, ich habe dich immer gehasst und ich werde es mein Leben lang tun. Du bist nichts wert. Gar nichts. Hau schnell wieder ab und nimm deinen Bastard mit.“

Nun weinte Nelly aus Angst vor der bösen Frau. Sie verbarg ihren Kopf an Katjas Brust und die legte schützend die Arme um sie. Katja sagte kein Wort mehr. Sie wollte diese Frau nicht noch mehr reizen. Luise drehte sich um und verließ das Haus. Laut krachend fiel die Tür ins Schloss.

Katja hielt Nelly fest im Arm und streichelte über ihr Haar.

Als Benjamin vom Bäcker kam, fand er zwei weinende Menschen vor und Katja zitterte am ganzen Leib.

„Was ist denn los?“

Er setzte sich zu ihnen auf den Boden und legte den Arm um die beiden.

„Christian war hier, um sich zu verabschieden. Dann tauchte plötzlich auch Luise auf.“

Katja berichtete, was passiert war. Benjamin schüttelte den Kopf.

„Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Sie würde doch niemals auf einem kleinen Kind herumhacken.“

„Doch, hat sie und auf mir. Ich fasse es nicht, dass du mir nicht glaubst. Christian hat auch nur daneben gestanden und zugesehen, wie seine Mutter mich niedermacht. Es ist besser, wenn ich abreise.“

„Aber …“

„Nichts aber. Hier will mich keiner haben. Es reicht mir für heute. Bitte geh hinaus. Wir reden morgen noch einmal, wenn ich losfahre.“

Mit hängenden Schultern verließ Benjamin das Zimmer. Das Frühstück stand unangerührt auf dem Tisch. Er räumte das Geschirr wieder weg und ging in den Keller.

*

Katja fuhr am nächsten Tag nicht heim, sondern zu Bea. Weinend und mit einer gestressten Nelly stand sie vor der Tür. Bea nahm sie in den Arm.

„Ach Gott, ihr zwei. Was ist denn passiert?“

Katja gab schluchzend den Vorfall mit Luise wieder. Bea hörte zu, während Hannes mit Nelly spielte.

„Sie hasst mich und Nelly und es ist alles nur schrecklich. Es tat so weh, dass die beiden Männer nicht zu mir gehalten haben. Wenigstens Benjamin hätte mir doch glauben müssen. Christian hat sich wieder einmal aus dem Staub gemacht. Wenn schon nicht vor mich, so hätte er sich doch wenigstens schützend vor die Kleine stellen müssen. Luise hat Nelly Angst gemacht.“

„So eine süße Maus muss man doch lieb haben. Luise ist eine böse Hexe, wenn sie sich so gemein äußert. Ihr bleibt jetzt erstmal bei uns. Dann kann Benjamin hierher kommen und wir reden miteinander.“

Katja wischte sich die Tränen ab. Wie immer war Bea ruhig und besonnen, ihr würde Benjamin glauben. Katja bedankte sich und wurde langsam wieder ruhiger. Wieder einmal zeigte sich, dass ihre Freunde das Beste auf der Welt waren.

Bea rief bei Benjamin an und erklärte ihm, was sie plante.

„Das ist gut, Bea, es ist so ziemlich alles schief gelaufen. Ich war ja nicht da. Als ich vom Bäcker kam, waren Luise und Christian weg. Katja saß weinend und völlig fertig im Kinderzimmer. Ich habe nicht richtig reagiert, es tut mir leid. Das habe ich ihr heute früh auch gesagt. Ich weiß ja, wie Luise ausgeflippt ist, als sie uns beim Küssen erwischt hat. Ich bin aber schon mal froh, dass die beiden nicht abgereist sind. Heute Abend komme ich zu dir.“

Sie verabredeten sieben Uhr zum Abendessen. Benjamin legte auf und trat vor die Tür. Wenn Christian wieder zurück war, wollte er mit ihm reden, aber so lange musste er gar nicht warten. Sein Handy klingelte und auf dem Display stand der Name seines Freundes.

„Hallo, Christian. Es ist gut, dass du anrufst.”

„Ich wollte mich bei Katja entschuldigen, weil ich gestern so unfair war. Meine Mutter hat sich unmöglich verhalten. Ich war vollkommen neben der Spur, als sie sagte, es wäre gut, dass ich nicht der Vater bin. Das hat mich fertig gemacht. Kannst du mir bitte Katja geben? Ihr Handy ist aus.“

„Sie ist heute früh abgereist.“

„Oh nein. Das tut mir leid. Ich wollte nicht, dass …“

„Sie ist nicht ganz weg, sondern nur bei Bea“, unterbrach Benjamin seinen Freund. „Ich fahre heute Abend hin und wir reden noch einmal. Katja und Nelly haben geweint. Als du weg warst, war Luise noch einmal oben und hat sie wüst beschimpft. Bitte pfeif deine Mutter zurück. Sie hat sogar Nelly beleidigt.“

„Ja, ich werde mit ihr reden. Das geht gar nicht, du hast recht. Soll ich nochmal mit Katja sprechen?“

„Lieber nicht. Ich muss erst einmal sehen, wie es weitergeht. Ich erzähle ihr, was du mir gesagt hast.“

Christian bedankte sich. Er war erleichtert, aber Katja würde es ihm niemals verzeihen, dass er nicht zu ihr gehalten hatte. Doch was sollte er machen? Luise war nun mal seine Mutter und er saß zwischen den Stühlen.

Am Abend ging es Katja wieder besser. Sie versprach, den Rest der Woche noch bei Bea zu bleiben. So konnte Benjamin wenigstens Nelly sehen. Nur zum Weingut wollten sie nicht mehr kommen, solange Luise dort unangemeldet auftauchen konnte.

„Ich werde morgen mal mit Christian telefonieren“, sagte Katja.

Was sie ihm sagen würde, müsste sie noch überlegen. Alle aßen gemütlich zu Abend. Danach kuschelte sich Nelly müde an Benni, der sich neben dem Tisch ausgestreckt hatte. Er ahnte, dass er ganz leise sein musste. Bald hörte man das gleichmäßige Atmen von Nelly.

Die Erwachsenen setzten sich auf die Couch und unterhielten sich leise. Benjamin berichtete von seinem letzten Arztbesuch. Er spürte seit sehr langer Zeit Schmerzen im rechten Knöchel, immer öfter waren sie unerträglich. Der Arzt hatte eine Schwellung entdeckt und vermutete eine Prellung. Doch Benjamin konnte sich nicht erinnern, sich irgendwo gestoßen zu haben. Er hatte eine Überweisung zu einem Sportarzt erhalten, aber ein zeitnaher Termin war nicht zu bekommen. Darum war er nicht hingegangen.

Dann verabschiedete er sich und küsste Nelly sanft, nachdem Katja sie von Benni hochgehoben hatte. Der Hund schüttelte sich und folgte seinem Herrchen, während Katja Nelly ins Bett brachte.

*

Am Sonntag war Katja nach sieben Stunden Fahrt wieder daheim. Sie holte das Gepäck samt Nelly aus dem Auto und ließ sich auf die Couch fallen. Es regnete und der Himmel war grau und düster. Sie setzte Nelly in die Badewanne und spielte mit ihr Schiffchen fahren. Bea hatte ihr ein gelbes Plastikschiff von Oliver mitgegeben. Damit hatte sie auch bei Bea in der Wanne gespielt.

 

„Weihnachten kommt der Papa zu uns“, erklärte Katja ihrer Tochter. „Dann stellen wir einen Weihnachtsbaum auf und danach fliegen wir zu Marie.“

„Fliegzeug“, sagte Nelly, „mit Papa und Wauwau.“

„Nein, nur wir beide. Benni kann nicht im Flugzeug fliegen. Die Marie freut sich schon sehr auf dich, mein kleiner Engel.“

Nächstes Wochenende wollte Cora kommen. Michel war zur Weiterbildung in Hamburg. Cora hatte über dieses Wochenendseminar geschimpft und gesagt, dass sie mal wieder die süße Nelly knuddeln müsste. Katja freute sich. Sie hatte am Telefon von der unerfreulichen Begegnung mit Luise erzählt.

„Absolutes Beispiel für die böse Schwiegermutter. Sei froh, dass du nicht mit Christian zusammen bist. Dann würdest du sie immer sehen müssen.“

„Froh sein? Ach, wenn ich doch mit ihm zusammen wäre! Hätte ich doch nicht … Ich würde glatt dieses Schwiegermonster ertragen.“

„So schlimm?“

„Ja, schon sehr schlimm. Ich habe so viel Nähe und Liebe gespürt, aber er hält Abstand. Das habe ich ja auch verdient.“

Sie nahm Nelly aus der Wanne und wickelte sie in das große Handtuch. Das kleine Mädchen schmiegte sich an ihre Mama und lachte. Sie liebte das Baden, egal, ob im See oder in der Wanne. Im kommenden Sommer musste sie unbedingt mal im Meer baden gehen. Da war Nelly auch schon zwei Jahre.

„Gehst du jetzt schlafen? Soll der Teddy mitkommen?“

„Teddy und Mama heia.“

„Nein, Mama noch nicht. Ich werde ein bisschen Fernseh gucken.“

Sie wollten gerade ins Kinderzimmer gehen, das klingelte es. Vor der Tür stand Arne und grinste.

„Entschuldigung, wenn ich störe. Ich wohne ja jetzt nebenan und da ich Licht gesehen habe, dachte ich, Sie können mir mit Milch aushelfen.“

„Reinkommen!“, rief Nelly und klatschte in die Hände.

„Oh, kleine Prinzessin, das erlaubt die Mama sicher nicht. Haben Sie Milch?“

„Keine Ahnung“, sagte Katja lachend. „Kommen Sie schon rein. Ich bringe Nelly ins Bett und Sie können da hinten mal in den Kühlschrank schauen. Ich bin gerade aus dem Urlaub zurück und weiß nicht, ob ich noch Milch habe.“

Sie stieg die Treppe hinauf, legte Nelly in ihr Bettchen, schaltete das Nachtlicht an und küsste die Kleine auf die Nase.

„Gute Nacht, Schatz. Schlaf schön, ich werfe den Onkel Arne schnell raus, dann komme ich nochmal hoch, ja?“

„Ane lieb. Nelly heia.“

Der Nachbar stand in der Küche und hatte eine Packung Milch in der Hand. Er fragte, ob er die mitnehmen könnte. Katja winkte ab und wollte nur, dass er ging. Sie war müde von der Fahrt.

„Wollen Sie mich schon wieder loswerden?“, fragte Arne mit unwiderstehlichem Lächeln.

„Natürlich, was dachten Sie denn? Kaffeeklatsch am Abend? Hören Sie, ich bin gerade sieben Stunden Auto gefahren und hundemüde. Wir werden uns ja zwangsläufig noch öfter über den Weg laufen. Gute Nacht also.“

Sie schob ihn zur Tür hinaus.

„Bis bald. Schlafen Sie schön. Und beste Grüße an die kleine Prinzessin.“

Ohne sich noch einmal umzudrehen lief er heim.

*

Cora kniff die Augen zusammen, als Katja ihr von Arne erzählte.

„Gefällt er dir?“

„Nein, das ist auch gar nicht das Thema. Was soll ich denn mit so einem jungen Kerl? Er ist nur mein Nachbar.“

Cora sagte lachend: „Na, bisher ist dir immer noch eingefallen, was du mit einem jungen Kerl anfangen kannst. Ich warne dich: Mach nicht wieder irgendeinen Scheiß. Es reicht doch wohl mal.“

„Hast du nicht zugehört? Er interessiert mich nicht die Bohne. Und dann einer von der Polizei. Nein, danke, so etwas geht ja gar nicht.“

Katja hatte während des Gesprächs Nelly angezogen. Sie wollten auf den Spielplatz an der Schule. Jetzt am Nachmittag waren die Kinder schon weg. Die Luft war kühl, aber die Sonne schien. Cora hatte für Nelly eine Mütze mit Ohren wie bei einem Bären mitgebracht, die setzte sie der Kleinen jetzt auf. Nelly zog sie wieder vom Kopf und schaute sie sich genau an. Sie küsste die runden Ohren und versuchte dann, die Mütze wieder aufzusetzen. Nach ein paar Versuchen hatte sie es geschafft.

„Nelly ist Teddy. Wie Papas Teddy. Coa, komm mit.“

Sie packte Coras Hand und zog sie hinter sich her. Auf dem Spielplatz waren noch zwei andere Kinder. Das kleine Mädchen rannte zu ihnen und die beiden Frauen setzten sich auf die Bank unter der Kastanie.

Auf dem Parkplatz neben dem großen Schulgebäude standen noch drei Autos. Die Tür öffnete sich und Katja sah Birgit Marlohn herauskommen. Sie winkte und erklärte Cora, wer die Frau war.

„Hallo, Frau Hardeg“, rief die Schulleiterin und kam näher. „Die kleine Nelly ist ja sehr gewachsen. Und wie gut sie läuft.“

„Ja, sie ist schon ein großes Mädchen. Darf ich Ihnen meine Freundin Cora vorstellen? Sie hat auch einmal Lehrerin gelernt, arbeitet aber in einer Jugendeinrichtung.“

Die beiden Frauen begrüßten sich herzlich.

„Ich könnte Sie gut brauchen, Frau Hardeg. Im Moment für acht Stunden in der Woche. Die Eltern hatten wegen des Chors gefragt. Wie sieht es aus? Lust? Zeit?“

„Ach ja, es ist ja Herbst und der Kinderchor sollte beginnen. Ich komme nächste Woche mal zu Ihnen und dann reden wir über alles. In Ordnung? Eigentlich habe ich Lust zu arbeiten, aber da muss ich erst einmal sehen, wie ich das mit Nelly auf die Reihe bekomme.“

„Der Kindergarten nimmt auch stundenweise kleinere Kinder. Nelly ist doch ein aufgewecktes Mädchen. Vielleicht schauen Sie mal dort vorbei.“

Katja versprach, das zu tun, dann verabschiedete sich Birgit Marlohn und fuhr vom Parkplatz. Katja und Cora holten Nelly an der Schaukel ab und gingen langsam mit ihr heim.

Ein Auto hupte neben ihnen und als Katja sich zur Straße drehte, sah sie Arne an den Straßenrand fahren. Er sprang aus dem Wagen und kam lächelnd auf sie zu. Nelly lief ihm entgegen und ließ sich von ihm herumwirbeln.

„Meine Prinzessin! Na, wie geht es dir?“

„Ane lieb“, sagte Nelly und küsste ihn auf die Nase.

„Ja, die junge Dame weiß, was gut ist. Hallo Frau Nachbarin, hallo schöne Fremde.“

Katja sah ihn böse an und Cora verdrehte die Augen. Gut sieht er ja aus, dachte sie, aber er trägt ziemlich dick auf.

„Hallo, Herr Nachbar. Sind keine Verbrecher unterwegs, die sie fangen können? Müssen Sie sich schon wieder aufdrängen?“

„Ich wollte nur höflich sein, aber Sie haben anscheinend wieder schlechte Laune. Wie kann ich Sie aufmuntern?“

„Stellen Sie meine Tochter auf den Boden und fahren Sie heim. Ich habe Besuch, wie Sie sehen.“

„Hm“, seufzte Arne, „es tut mir leid, wenn ich nerve. Aber das ist meine Natur, dagegen kann ich gar nichts tun. Vielleicht trinken Sie mal Kaffee mit mir, gerne mit Ihrer Besucherin. Nelly kommt sicher freiwillig.“

„Wir müssen los!“

Er seufzte noch einmal, küsste Nelly, die beim Kitzeln seines Bartes kicherte und stieg in sein Auto. Nelly winkte ihm fröhlich hinterher. Cora hatte die ganze Zeit über geschwiegen, jetzt sah sie Katja mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Was war das denn?“

„Mein Nachbar Arne. Grässlich, oder?“

„Für meine Begriffe ein bisschen zu jung. Was für ein Blender. Er sieht verdammt gut aus, das muss ich zugeben. Eigentlich wäre er genau dein Fall. Der steht total auf dich. Und Nelly auf ihn. Willst du mit ihm Kaffee trinken?“

Katja wehrte empört ab.

„Nein, ganz sicher nicht. Auf keinen Fall. Ich habe dir doch gesagt, ich will keine neuen Männer in meinem Leben. Die anderen reichen mir durchaus. Bitte glaube mir, ich habe dazugelernt.“

Cora sah ihrer Freundin dabei in die Augen. Es hörte sich alles sehr ernst an. Aber dieser Mann war genau nach Katjas Geschmack, wenn auch ein wenig zu jung. Sie würde mal wieder auf Katja aufpassen müssen, denn Arne schien nicht der Typ zu sein, der schnell aufgibt.

„Muss ich mir Sorgen machen?“, fragte sie streng.

Katja schüttelte vehement den Kopf.

„Nein. Nein! So, wie ich es gesagt habe.“

Als sie daheim angekommen waren, stand Nelly die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben. Cora kuschelte sich mit ihr auf die Couch, während Katja Badewasser einließ. Nach dem Baden legte sie Nelly in ihr Bettchen, wo ihr sofort die Augen zufielen.

„Ane lieb“, waren ihre letzten Worte.

*

Am ersten November rief Christian an. Katja war erschrocken. Sie telefonierte regelmäßig mit Benjamin und jetzt am Abend war ihre Zeit, darum achtete sie nicht auf ihr Display.

„Hallo“, sagte Christian sanft. „Ich bin es. Ich wollte nur mal deine Stimme hören und dich fragen, wie es dir und Nelly geht.“

Katja hatte die Luft angehalten. Nun atmete sie aus.

„Oh, ich dachte, das ist Benjamin. Hallo, Christian. Ich wundere mich gerade, dass du den Nerv hast, mich anzurufen.“

„Ich weiß, ich habe mich blöd verhalten. Es tut mir leid, aber das war alles zu viel. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass Luise so mit dir redet.“

„Ja, du hast recht“, sagte Katja und hätte ihm am liebsten alles gesagt.

Aber es kam nur heraus: „Ja, es war böse und gemein und nicht in Ordnung, dass du zugelassen hast, dass deine Mutter mich niedermacht. Nelly war ganz verstört.“

„Ich kann nur sagen, dass es mit leid tut, aber ich kann es nicht rückgängig machen. Man kann so viel nicht mehr rückgängig machen.“

Katja schnaufte, das hatte gesessen. Der Seitensprung mit Benjamin würde immer zwischen ihnen stehen, auch wenn Christian Benjamin verziehen hatte. Bei ihr war das wohl nicht so einfach. Sie war traurig, enttäuscht und sauer. Christian wollte aber noch etwas anderes sagen.

„Ich wollte dich fragen, ob ich mitkommen darf, wenn Benjamin zu Weihnachten zu dir kommt. Ich würde Nelly gerne sehen, wenn du nichts dagegen hast.“

Katja war voller Sehnsucht, verzweifelt wischte sie die Träne aus dem Augenwinkel, holte dann tief Luft und tat so, als müsste sie darüber nachdenken.

„Ja, ist gut. Ihr könntet die kleine Ferienwohnung am Park nehmen. Soll ich mal fragen, ob sie frei ist?“

Sie war stolz auf sich. Es hatte ernsthaft und neu­tral geklungen, obwohl sie sich alles andere als sicher fühlte.

„Gerne. Ich freue mich.“

Auch Christian hätte Katja am liebsten von seinen Gefühlen zu ihr erzählt. Im Herzen hatte er ihr längst verziehen. Sein Verstand ließ ihn Abstand halten. Er war hin und her gerissen. Sie gehörten zusammen, aber er wollte jetzt nicht einknicken.

Sie redeten noch über die Neuigkeiten aus der Schule, dann legten sie auf. Christian hielt das Telefon in der Hand.

„Ich liebe dich“, sagte er leise.