Die Liebe stirbt im Weinberg

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

***

Natalie schwamm schon seit einer Stunde ihre Bahnen im Waldschwimmbad. Das Wasser war eiskalt, aber sie mochte es, wenn ihre Haut kribbelte und sich zusammenzog, wenn sie langsam unter die Wasseroberfläche tauchte. So ein Bad am Abend war erfrischend. Sie wollte danach noch etwas essen und dann schlafen gehen.

Unter der Dusche am Beckenrand stand ein junger Mann. Er war schlank, blond und sein Dreitagebart sollte ihn wohl älter erscheinen lassen. Er schüttelte die Wassertropfen ab und stellte sich auf den Startblock. Sein Körper streckte sich. Mit einem eleganten Kopfsprung landete er im Wasser. Nach Sekunden tauchte er wieder auf, warf die schulterlangen Haare aus dem Gesicht und schwamm auf Natalie zu. Sie hatte zugesehen.

„Waren meine Beine gestreckt?“

Natalie nickte nur.

„Gut. Sorry, wenn ich dich einfach so anquatsche, aber ich bin nächste Woche bei einem Wettkampf. Ich klettere mal auf den Sprungturm und du guckst meine Haltung an. Oder hast du etwas Besseres zu tun?“

Damit war er aus dem Wasser. Seine gebräunten Arme schlenkerten locker am Körper. Er sah gut aus. Nicht nur beim Springen. Mit schnellen Schritten erstieg er den Sprungturm, um vom Dreimeterbrett zu springen. Er stellte sich mit den Zehenspitzen an den Rand, drückte sich ab und landete nach einem Salto kerzengerade im Wasser. Als er wieder auftauchte, schwamm er zu Natalie.

„Sah es gut aus?“

„Ganz fantastisch. Beste Haltungsnoten. Du hattest nur die Knöchel leicht verschoben.“

„Ach ja. Siehst du, das merke ich manchmal gar nicht. Also Wiederholung mit den Füßen zusammen. Guckst du nochmal? Dafür lade ich dich auch auf ein Eis ein.“

Natalie lachte.

„Musst du nicht. Und jetzt spring, ich will gleich heim.“

Er trabte wieder zum Turm, stieg hinauf, betrat das Brett, dieses Mal bei fünf Metern, und stellte sich in der gleichen Haltung wie vorher an den Rand. Er federte leicht auf und nieder, streckte die Arme in die Höhe und sprang. Wie ein einziger gerader Strich tauchte sein Körper in das Wasser ein. Es spritzte kaum. Dieses Mal hatte er auch an die Füße gedacht.

Natalie klatschte leise Beifall, als er wieder auftauchte, dann schwamm sie auf ihn zu.

„Perfekt. So kann es bleiben. Schön weiterüben. Ich bin dann weg.“

Der junge Mann schwamm Natalie hinterher bis zum Beckenrand. Er betrachtete ihren schlanken, durchtrainierten Körper und pfiff anerkennend durch die Zähne.

„He, Nixe, sehen wir uns wieder? Morgen Abend hier?“

„Schon möglich.“

Natalie zwinkerte ihm zu und verschwand.

Der junge Mann war nett, aber jung. Zu jung. Also Finger weg. Sie musste an Cem denken. Er war ein schöner Mann gewesen, aber auch nur ein Heuchler. Im Moment wollte sie niemanden kennenlernen. Sie würde morgen spontan entscheiden, ob sie dem hübschen Schwimmer noch einmal begegnen wollte. Langsam verließen auch die restlichen Gäste das Schwimmbad. Natalie hatte einen Bärenhunger und so raste sie heim. Nach einem Stück Schokolade als Dessert ging sie Zähne putzen und ins Bett.

***

Paul hatte nicht gut geschlafen. Als er müde und mürrisch im Büro ankam, saß Emma schon über den Akten. Sie sah unanständig munter aus. Er hasste es, wenn die Leute schon am frühen Morgen vor Energie sprühten. Emma war die einzige Person, die er dann nicht anfauchte. Sie hatte gelernt, noch eine Stunde still vor sich hin zu arbeiten, ehe sie ihren Partner ansprach.

„Morgen“, brummte Paul und warf die Jacke auf die an der Wand stehende Couch. „Was Neues?“

Emma erkannte seine schlechte Laune und schüttelte nur den Kopf. Sie stand auf und hängte seine Jacke an den Garderobenhaken. Dann las sie im Bericht des Gerichtsmediziners, dass der Stich in Cems Körper mit großer Kraft ausgeführt worden war. Das Wühlen mit der Klinge hatte zum sofortigen Tod geführt, weil der Täter die große Bauchschlagader zerfetzt hatte. Der Stich in die Kehle wäre gar nicht mehr nötig gewesen. Aber der Täter wollte wohl auf Nummer sicher gegen. Er war Rechtshänder. Das hatten die Untersuchungen des Einstichkanals er-geben. Der Täter musste auf dem Opfer gesessen haben.

Aber wer ließ einen anderen ohne Kampf jemand anderen auf sich setzen?

„War Cem schwul?“

Die Frage schwang durch den ganzen Raum und traf Pauls Ohren völlig unvermittelt. Er schüttelte sich.

„Was?“

„War der Typ schwul?“

„Wer?“

„Cem.“

„Ach der. Warum sollte er?“

Emma hob den Zeigefinger.

„Na, überleg mal. Würdest du es dulden, dass sich ein Kerl auf dich draufsetzt, ohne dich zu wehren? Doch wohl nur, wenn er dein Schatz wäre, oder?“

„Du denkst, der Täter hat sich mit dem Typen im Weinberg getroffen, um sich von ihm ficken zu lassen? Eher nicht. So sah er nicht aus.“

Emma sagte laut: „Wir müssen in seinem Bekanntenkreis nachfragen, ob er schwul oder bisexuell war. Ansonsten macht das nur Sinn, wenn der Täter eine …“

„… Frau war“, beendete Paul ihren Satz. „Ach nein, das will ich nicht glauben. So eine süße Schnecke, die beim Ficken auf dir drauf sitzt und dann das Messer zückt, um dich abzustechen, ist eine Vorstellung, die nicht in meinen Kopf will. Ich habe es schon oft so gemacht. Furchtbarer Gedanke.“

„Aber …“

„Nein, so viel Gewalt passt nicht zu einer Frau. Vielleicht war er irgendwie betäubt.“

„Nein, war er nicht. Und Thomas Bückau auch nicht. Wenn es denn derselbe Täter war. Naja, ich mache es nicht gerne, aber ich muss dir Recht geben. Es sieht eher nach einem Mann aus. Aber die Frage bleibt: Warum sitzt ein Mann auf einem anderen und der unten wehrt sich nicht?“

Es klopfte hart an die Tür und im gleichen Moment wurde sie auch schon aufgerissen. Ein riesiger Mann Ende vierzig, der sich beim Eintreten kurz bückte, erschien im Türrahmen.

„Guten Morgen, Herrschaften. Reiner Jossings vom LKA. Ich bin hier, um zu helfen.“

Emma und Paul waren aufgestanden und begrüßten den Kollegen, von dem sie schon gehört hatten. Man sagte, er sei ein harter Hund, der aber ehrlich und offen alles ausdiskutierte. Emma bot ihm Stuhl und Kaffee an. Reiner Jossings setzte sich, griff nach der Tasse dampfenden Kaffees und schaute die beiden an.

„Soso“, sagte er und kratzte sich unter der Achsel. „Junges Volk. Und jetzt zwei Morde im Revier. Dann schießen Sie mal los, Mädchen.“

„Das Mädchen ist eine gestandene Kommissarin“, wollte Paul Emma in Schutz nehmen.

„Lass gut sein, Paul. Wenn er das in zehn Jahren immer noch zu mir sagt, ist es ein Kompliment. Bis dahin brauche ich keinen Babysitter.“

Emma erklärte alles Wissenswerte zu den beiden Fällen. Reiner Jossings lobte sie für die detaillierte Schilderung der Fakten. Er grinste ungeniert.

„Gut gemacht. Sie brauchen echt keinen Babysitter.“

Paul hatte nur still zugehört. Jetzt lud er den Kollegen ein, mit ihnen zu der Befragung der Leute vom Fitnessstudio zu fahren. Er wiederholte Emmas Gedankengänge zum Thema schwul oder Frau als Täter.

Reiner Jossings wackelte nachdenklich mit dem Kopf. Abwarten und nachdenken war seine Devise. Auf Spekulationen wollte er sich nicht einlassen. Er stellte die Tasse auf den Tisch und erhob sich. Paul nahm die Tasse, spülte und trocknete sie ab, was ihm ein amüsiertes Grinsen des Mannes vom LKA einbrachte. Aber er sagte nichts.

Die Befragung im Fitnessstudio ergab absolut nichts. Cem stand ausschließlich auf Frauen, auf alle Frauen. Er hatte viele Affären und die Damen, die im Studio gegen die unsichtbaren Kilos kämpften, waren voll des Lobes. Emma hatte unwillkürlich den Bauch eingezogen, als sie die Frauen befragten. Alle waren gut gebaut und sehr schlank.

„Das hast du nicht nötig“, flüsterte Paul ihr ins Ohr, denn er hatte gesehen, wie sie die Luft angehalten hatte. „Du bist schlank und mit Abstand die Schönste hier.“

„Danke“, flüsterte Emma zurück und schenkte ihm ein zauberhaftes Lächeln.

So mochte sie Paul. Er hatte eben ein gutes Herz und konnte die Frauen verstehen. Den bösen Zyniker ließ er immer nur zur Tarnung raushängen. Ohne brauchbare Ergebnisse verließen sie das Studio.

„Was nun?“

Reiner Jossings schaute in die Runde.

Emma zuckte mit den Schultern.

„Es gibt keine Verbindung zwischen den beiden Opfern, geschweige denn ein Motiv. Wir tappen völlig im Dunkeln. Haben Sie eine Idee?“

„Kein Idee, aber Hunger wie blöde. Kommen Sie mit essen? Wenn ich solche Sportskanonen sehe, muss ich immer etwas essen.“

Der Riese machte in dem Moment den Eindruck, als würde er ganz gerne ein halbes Schwein verdrücken.

Sie fuhren in den Rheingau, um sich in einem Restaurant ein gutes Mittagessen zu gönnen. Dabei besprachen sie die nicht vorhandenen Ergebnisse der Ermittlung.

„Ich habe gesehen, dass Sie alles richtig machen. Ich kümmere mich mal in Wiesbaden um die Computer der beiden toten Männer und den Kram. Wir können telefonieren. Machen Sie weiter mit dem Umfeld der Opfer. Hoffentlich bleibt es bei zwei Toten. Noch mehr und man kann es nicht mehr lange vor der Presse geheim halten.“

Reiner Jossings verabschiedete sich nach dem Essen und brauste in seinem Dienstwagen davon. Emma und Paul fuhren zurück ins Büro.

***

Natalie war nun doch wieder ins Schwimmbad gegangen. Nach der Arbeit war sie verschwitzt und es war auch abends noch nicht viel kühler geworden. Sie zog sich um, duschte, machte sich einen Zopf und schwamm wieder ihre Bahnen. Außer ihr waren nur noch zwei alte Frauen hier. Familien mit Kindern und Jugendliche waren schon weg. Sie hatten am Nachmittag das Schwimmbad bevölkert. Das mochte Natalie nicht, darum ging sie immer abends schwimmen.

 

Ein Motorrad war zu hören und zwei Minuten später stand Nico Meyrink an den Umkleidekabinen und hielt Ausschau. Natalie winkte kurz und schwamm weiter. Er hatte sie entdeckt und freute sich, die Frau wiederzusehen. Nach dem Umziehen sprang er ins Becken und schwamm unter Wasser zu ihr hin. Direkt vor ihr tauchte er wieder auf.

„Hallo, schöne Frau. Es ist also doch möglich, dass wir uns wiedersehen. Ich heiße Nico, bin zweiundzwanzig und arbeite im Kindergarten. Mit wem habe ich die Ehre?“

„Nenn mich Natalie. Ich bin achtundzwanzig und Krankenschwester. Was übst du heute?“

„Rückwärtssalto. Bist du schon mal gesprungen?“

„Nein, nicht vom Turm. Das mag ich nicht. Höhe ist nicht so meins. Dann los, rauf!“

Nico schwamm an den Rand, schwang sich aus dem Wasser und lief zum Turm. Oben stellte er sich mit dem Rücken zum Wasser auf das Dreimeterbrett. Er schwang dreimal auf und ab und rollte sich wie ein Igel zusammen. Kurz vor der Wasserfläche streckte sich sein Körper und er tauchte ins Wasser ein.

Grinsend glitt er auf Natalie zu. Sie lobte ihn. Stolz erzählte er von früheren Erfolgen mit seiner Mannschaft. Er lud Natalie für das Wochenende zum Wettkampf ein. Sie lehnte ab.

„Das tut mir leid“, sagte sie. „Ich muss arbeiten.“

„Am Wochenende? Ach ja, du bist Krankenschwester. Schade. Dienst tauschen kannst du nicht?“

Natalie schüttelte den Kopf.

Nach dem nächsten Sprung lud er sie zum Kaffee ein. Natalie sagte zu. Sie dachte: Er ist so jung. Da kann nichts passieren. Sie verabredeten sich für Freitagnachmittag.

***

„Was hältst du von einem schönen Kaffee?“

„Hm … Moment.“

Emma hatte ihren Zwischenbericht zu Cem al Hassür getippt. Nun kopierte sie ein Exemplar für den Ordner, den sie angelegt hatte und schickte je eine Datei an das LKA und Norman Eisenmacher. Paul hatte geduldig auf eine Antwort gewartet.

„Wie war das mit Kaffee?“, fragte Emma.

Paul nahm ihre Handtasche vom Haken neben dem Schrank. Emma stand auf und folgte ihrem Kollegen, der brav ihre Tasche trug. Er hielt ihr galant die Tür auf.

„Warum bist du denn so nett heute? Es ist Mittwoch und ich habe nicht Geburtstag.“

„Ich habe gut geschlafen. Du bist eine schöne Frau. Die Sonne scheint. Schon mal drei Gründe für einen gelungenen Tag.“

Paul beugte sich im Auto zu Emma hinüber und küsste sie auf die Wange. Emma sah ihn erstaunt an. Dann schüttelte sie den Kopf. Verstehe einer die Männer, dachte sie bei sich. Morgens war er eklig und mies drauf und nachmittags machte er ihr Kom­plimente. Verwirrend. Sie hatte ein eigenartiges Kribbeln im Bauch.

Sie fuhren nach Eltville an den Rhein und saßen in dem netten Restaurant direkt am Wasser, wo sie öfter zu Mittag aßen. Schiffe glitten sanft vorbei. Die Augustsonne hatte noch viel Kraft.

Paul sagte in die angenehme Stille hinein: „Ich habe nachgedacht und kann mir auch gut vorstellen, dass es eine Frau war.“

Emma zog die Augenbrauen hoch.

„Nanu? Jetzt doch? Erklär es mir!“

„Also“, begann Paul, „ich habe die Situation im Kopf noch einmal durchgespielt. Und du hast recht. Wenn sich ein Typ auf mich setzen würde, würde ich mich wehren. Doch es weist nichts darauf hin. Darum kann es nur eine Frau gewesen sein. Aber sie muss riesig und stark sein. Cem war nicht gerade ein Weichei. Nicht mal du könntest mich so überrumpeln.“

„Wir sollten es mal testen. Dann können wir einschätzen, wie groß sie sein muss.“

Emma rief Reiner Jossings an und berichtete. Der war nicht begeistert von dem Gedanken an eine Frau, wollte aber am nächsten Tag kommen und fand die Idee mit dem Selbstversuch ganz gut. Er hatte am Computer alles für ein Täterprofil eingegeben. Der einzige Polizeipsychologe für den Bereich Rheingau-Taunus war im Urlaub und seine Vertretung hatte ihm einen Link für das Internet geschickt, weil er total überlastet war. Die Recherchen hatten ergeben, dass der Täter ein Mann zwischen zwanzig und vierzig Jahren mit akademischer Ausbildung sein musste. Aber wahrscheinlich gab es noch viel zu wenige Fakten zum Vergleich. Ähnliche Fälle gab es nicht im Computer. Reiner Jossings glaubte also an einen Mann als Täter.

Er stürmte am nächsten Morgen genauso rasant wie beim ersten Mal ins Zimmer, nur dieses Mal ohne anzuklopfen.

„Guten Morgen“, rief er laut, für Paul viel zu laut. „Dann mal los. Wollen wir euch gleich hier im Büro auf den Boden legen oder lieber in den romantischen Weinbergen?“

Emma erwiderte: „Guten Morgen. Vielleicht können wir erst einmal darüber reden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es sich beim Täter um eine Täterin handelt.“

„Ich selbst denke an einen Mann. Und Sexspielchen. Vielleicht wollte dieser Cem Dingsbums da mal etwas ausprobieren. Frauen morden subtiler. Das hat auch der Computer gesagt.“

„Aber wenn eine Frau richtig hasst“, mischte sich Paul nun ein, „dann ist sie locker zu so einer Tat fähig. Ich habe schon von so manch einem kleinen Fräulein eine geklatscht gekriegt.“

Emma lachte und sagte: „Das glaube ich dir direkt. Aber du hast recht. Ausschließen kann ich es einfach nicht.“

Reiner Jossings grummelte vor sich hin.

„Dann spielen wir das Ganze mal durch. Also Cem Irgendwas trifft sich mit einer Frau zum Sex in den Weinbergen. Er legt sich hin, sie will ihn beglücken und setzt sich auf ihn. Cem Sowieso macht die Augen zu und schwupps hat er ein Messer im Herzen. So in etwa?“

„Warum macht sie sich die Mühe, extra in die Weinberge zu fahren? Wohnt sie da?“

Paul hatte die Szene vor Augen. Er nahm sich vor, selbst mal so etwas zu tun. Nur mit wem? Im Moment hatte er keine Fickmaus, wie er die jungen Dinger gern bezeichnete, die sich ihm hingaben, am Start. Er sah Emma an und eine seltsame Gänsehaut überzog ihn. Mann, dachte er, sie ist eine echt tolle Frau.

Emma sagte: „Los. Wir fahren hinaus und testen die Szene.“

Sie holte eine Decke aus dem Schrank, denn draußen war es noch nicht wieder ganz trocken. Die drei Kommissare hatten nur ein Auto genommen und hielten hinter Martinsthal. Dort stellten sie das Auto ab und liefen in die Weinberge. Als sie von der Straße aus nicht mehr zu sehen waren, breitete Emma die Decke aus und forderte Paul auf, sich auf den Rücken zu legen. Gut, dachte Emma, dass ich heute eine lange Hose anhabe. Sie setzte sich auf Pauls Schenkel. Mit ihrem Kugelschreiber hätte sie ihn jetzt gut erstechen können.

„Soll ich mich wehren? Ach, nein. Hat der Typ ja auch nicht gemacht. Kommst du so auch an die Kehle ran?“

Emma beugte sich ein wenig vor und malte ihm einen blauen Punkt auf den Hals.

„Perfekt. Du bist sowas von tot.“

Sie setzte sich neben Paul, der richtete sich wieder auf, blieb aber sitzen. Reiner Jossings hatte Fotos gemacht.

Emma und Paul saßen noch eine Weile nebenein­ander. Zwischen ihnen war eine Handbreit Luft. Paul fühlte sich sehr wohl. Er dachte: Wie gut, dass sie so schnell wieder hoch ist, sonst hätte ich noch einen Ständer bekommen. Auch Emma hatte es im Bauch gekribbelt, wie schon bei dem Kuss neulich im Auto. Darum war sie schnell wieder aufgestanden.

***

Natalie war zuerst da. Sie hatte sich einen kleinen Tisch in der Ecke des Cafés ausgesucht und beobachtete die Leute, meistens ältere Damen, vor denen Torte und ein Kännchen Kaffee standen, während sie auf Nico wartete. Sie war manchmal mit ihrer Oma hier gewesen. Aber Oma war keine von den Torte-Kännchen-Kaffee-Frauen. Sie bestellte sich immer einen Eiskaffee mit Schuss und dazu einen Schokoladeneisbecher.

Nico kam kurz nach der verabredeten Zeit durch die Tür und steuerte lächelnd auf sie zu. Natalie erhob sich und sie küssten sich links und rechts auf die Wangen. Er sah sehr gut aus. Die blonden Haare waren in einem Zopf gebändigt. Die blauen Augen strahlten. Er trug Jeans und ein weißes Hemd. Sein Handy legte er auf den Tisch. Dann schauten sie in die Karte und bestellten Cappuccino und einen Erd­beer-Eisbecher mit zwei Löffeln.

„Sehr schön“, sagte er, „dass du gekommen bist. Ich hatte schon Angst, du würdest mich versetzen, weil ich dir zu jung bin oder so.“

„Du bist mir zu jung. Aber ich bin ja hier, also bleib locker. Und wir denken doch wohl nicht an eine Beziehung oder so einen Quatsch, oder?“

Natalie hatte ihn ernst angesehen.

„Nein, auf keinen Fall. Keine Angst, ich suche keine feste Freundin. Und was ist schon Liebe? Die gibt es sowieso nicht. Ab und zu ein bisschen vögeln. Mit schönen Frauen Kaffee trinken. Und Spaß haben. Eine Frau alleine ist mir eh zu wenig. Das lastet mich nicht aus. Für eine feste Beziehung bin ich zu jung. Ich hoffe, du verstehst mich.“

Natalie lobte ihn für diese Einstellung. Unter dem Tisch ballte sie ihre Faust und drückte die Fingernägel in den Handballen, bis es schmerzte.

Dann legte Nico seine Hand auf ihr Knie.

„Würdest du mit mir vögeln? Ich stehe auf ältere Frauen.“

Sein Blick hing an ihren vollen Lippen und den schönen, blauen Augen, die sie nun niederschlug. Als sie ihn wieder ansah, hielt er ihrem Blick stand.

„Ja, ein bisschen vögeln können wir gerne mal. Aber heute trinken wir Kaffee.“

Sie sprachen über seine Arbeit im Kindergarten. Er mochte Kinder, das spürte Natalie deutlich. Es war nicht nur ein Job im freiwilligen sozialen Jahr. Es war das, was er tun wollte.

„Kinder verstellen sich nicht. Sie sind ehrlich. Ich mag es, wenn wir zusammen spielen und ich auch noch einmal Kind sein kann. Und wenn sie sagen, dass sie mich mögen, dann meinen sie genau das. Erwachsene sind nicht so ehrlich. Sie sagen, dass sie mich mögen, wenn sie sich daraus einen Vorteil erhoffen.“

„Die Kinder müssen dich gern haben. Du bist genau der Richtige für den Job. Es ist immer so in den sozialen Berufen. Man kann es oder man kann es nicht.“

Natalie erzählte von den anstrengenden Nachtdiensten im Krankenhaus. Sie arbeitete in der Kardiologie. Hier waren hauptsächlich alte, sehr kranke Menschen. Es war eine anstrengende Tätigkeit.

Nach dem Kaffee gingen sie spazieren. Als sie wieder an Natalies Auto standen, reckte sie sich auf Zehenspitzen und küsste Nico auf die zitternden Lippen. Er war ganz aufgeregt. Nico zog sie an sich und küsste sie lange. Dann verabschiedete sich Natalie und fuhr davon. Sie wollten sich nach dem Wettbewerb wieder treffen.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?