Gschwind

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Urs Mannhart





Gschwind oder Das mutmaßlich zweckfreie Zirpen der Grillen





Roman





Urs Mannhart







Gschwind oder Das mutmaßlich zweckfreie Zirpen der Grillen







Der Autor bedankt sich bei der Stadt Bern, beim Kanton Bern, beim Kanton St. Gallen und dem Schriftstellerhaus Stuttgart für die Förderung seines Schaffens.



© 2021 by Secession Verlag Berlin



Alle Rechte vorbehalten



Lektorat: Christian Ruzicska



Korrektorat: Peter Natter





www.secession-verlag.com





Typografische Gestaltung: Julie Heumüller, Berlin



Satz: Eva Mutter, Barcelona



Gesetzt aus Lyon Text und

NN Nouvelle Grotesk



Herstellung: Daniel Klotz, Berlin



Friedrich Pustet, Regensburg



ISBN 978-3-966390-39-2



eISBN 978-3-966390-40-8
















Inhalt





PROLOG







KAPITEL 1







KAPITEL 2







KAPITEL 3







KAPITEL 4







KAPITEL 5







KAPITEL 6







KAPITEL 7







KAPITEL 8







KAPITEL 9







KAPITEL 10







KAPITEL 11







KAPITEL 12







KAPITEL 13







KAPITEL 14







KAPITEL 15







KAPITEL 16







KAPITEL 17







KAPITEL 18







KAPITEL 19







KAPITEL 20







KAPITEL 21







KAPITEL 22







KAPITEL 23







KAPITEL 24







KAPITEL 25







KAPITEL 26







KAPITEL 27







KAPITEL 28







KAPITEL 29







KAPITEL 30







KAPITEL 31







KAPITEL 32







KAPITEL 33







KAPITEL 34







KAPITEL 35







KAPITEL 36







KAPITEL 37







KAPITEL 38







KAPITEL 39







KAPITEL 40







KAPITEL 41







KAPITEL 42







KAPITEL 43







KAPITEL 44







KAPITEL 45







KAPITEL 46







KAPITEL 47







KAPITEL 48







KAPITEL 49







KAPITEL 50







KAPITEL 51







KAPITEL 52







KAPITEL 53







KAPITEL 54







KAPITEL 55







KAPITEL 56







KAPITEL 57







KAPITEL 58









PROLOG





In einem nicht ohne Grund als einsturzgefährdet erklärten, verbotenen Teil der St. Beatus-Höhlen, in schönster Lage über dem pittoresken Thunersee, kriechen zwei in pechschwarzen Taucheranzügen steckende Menschen mehr als 1900 Meter vom Höhleneingang entfernt im zitternden Schein ihrer Stirnlampen durch einen kaum hüfthohen, immer wieder seine Richtung wechselnden Stollen; feuchte Kiesel knirschen unter ihren Knien, der grobe, wasserfeste Stoff ihrer Rucksäcke schleift der stalaktitgeschmückten Decke entlang, und hin und wieder landet laut und machtvoll, als werde damit eine ganz eigene, im Inneren der Erde tätige Zeit erfasst, ein Tropfen uraltes Wasser in einer der ungezählten, von keinem Wind je bewegten Pfützen.



Als sich einige Meter vor ihnen der Raum zwischen Boden und Decke stark verengt, nimmt die Frau ihren Rucksack ab und blickt den Mann fragend an.



Sie solle vorankriechen, sagt dieser.



Eine Weile bleiben die beiden laut- und bewegungslos liegen. Dann hievt die Frau ihren Rucksack über den Kopf, korrigiert die Position ihrer Stirnlampe, wendet sich, so gut das noch geht, dem Mann zu und sagt, es könnte, falls ihnen jetzt jemand entgegenkommt, eng werden. Dann robbt sie los.



Er lacht, schenkt ihr einen verliebten Blick und kriecht ihr, kaum dass ihre Schuhe im engen Felszwischenraum verschwunden sind, hinterher.



Ochsenschwanz

 heißt dieser unvergleichlich eng bemessene, knapp 200 Meter lange Abschnitt der Höhle. Sie befinden sich ungefähr in der Mitte des fast 30 Minuten beanspruchenden Durchgangs, als der Mann, die schmerzenden Ellbogen ignorierend, seine alte Angst heraneilen fühlt; die Angst, erdrückt zu werden von den Felsmaßen. Er stellt sich vor, die Angst hocke im Felsen selber, er könne sie hinter sich zurücklassen, wenn er nur schnell genug ist. Er konzentriert sich auf seine Bewegungen, stellt sich vor, wie er bald schon von Stolz erfüllt das Kartenmaterial überarbeiten wird – das hilft. Als sich der Gang schließlich Zentimeter um Zentimeter erweitert, als er fühlt, dass er in wenigen Augenblicken wieder aufrecht stehen wird, durchströmt ihn ein Glücksgefühl. Er mag dies nicht ansprechen, er will nicht gefragt werden, ob er wieder Angst gefühlt habe, und er ist froh zu sehen, dass seine Frau ganz erfüllt ist von der Schönheit des Saals, den sie erreicht haben. Dieser ist groß genug, ein Einfamilienhaus in sich aufzunehmen. Der hintere Teil der bizarr geformten Felsdecke spiegelt sich in einem kleinen See.



Die Frau schweigt, ihre Augen leuchten; nickend bedankt sie sich für das Wasser, das er ihr anbietet. Witzelnd fragt er sie, ob sie hier, am Strand, die Badetücher ausbreiten wollen. Sie lacht und gibt ihm einen Kuss.



Er kramt in seinem Rucksack, holt kleine Gerätschaften und unendlich fein beschriebene Skizzenblätter hervor, dann findet er, was er sucht. Die beiden belegten Brote hat er sorgfältig in Klarsichtfolie gepackt; eines mit Blauschimmelkäse, eines mit Meerrettich.



Sie sitzen am Ufer der unterirdischen Wasserfläche, essen und sprechen über die Einfallslosigkeit der Höhlenforscher, die diesem Saal seinen Namen verpasst haben, sie witzeln darüber, auf welchen Namen sie selbst einen von ihnen entdeckten Saal taufen würden. Sie verstehen nicht, weswegen bisher alle Höhlenforscher der Meinung waren, dieser Arm der Höhle sei hier zu Ende; irgendwo geht es doch immer weiter!

 



Ins Wasser waten sie jetzt, langsam und wortlos, als gelte es, niemanden zu stören. Sie legen ihre Schnorchel an und tauchen ab. Der Schein ihrer Lampen wird grotesk vom Wasser verformt, das ihre Bewegungen rasch und immer wieder neu in kreisförmige Wellen übersetzt. Sie geben sich Zeichen, tauchen tiefer, tasten unermüdlich die Felswände ab.



Nach etlichen Tauchgängen kehrt sie zurück zum Ufer, nimmt den Schnorchel aus dem Mund, wartet, bis er ihre Zeichen sehen kann. Als er neben ihr steht, erzählt sie von einer Strömung.



Er fragt, ob sie neuerlich an einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung arbeite.



Ob er von sich spreche?, will sie wissen.



Beide lachen.



Er holt einen leuchtend roten Stab aus einer Seitentasche seiner Hose, einen Stab, der in seiner Form ein wenig an einen Kugelschreiber erinnert. Sie schwimmen wieder hinaus, tauchen wieder ab; der Strömungsmesser bestätigt eine schwache Wasserbewegung. Sie suchen nach einer Öffnung, kehren wieder um, tauchen auf.



Es ist klar, sie benötigen ihre Masken. Sie schwimmen zurück zum Ufer, schnallen sich zwei Sauerstoffflaschen und Atemmasken um, einigen sich auf ein Vorgehen, um die Felsdecke nach einem Durchgang abzusuchen, verbinden sich mit einem leuchtend roten Kletterseil, geben sich Handzeichen, tauchen ab und gleiten, den Bauch der Decke zugewandt, durch das schwarze Wasser.



Die Frau liebt jenes Fieber, von welchem sie beide, im Wunsch, die Höhle zu erforschen, jedes Mal neu übermannt werden. Hunger, Zeit, Sorgen und berufliche Anforderungen – alles meilenweit entfernt. In der Höhle kennt sie keine Angst, sie kennt lediglich die tonnenschwere Trauer, nach etlichen Stunden – ihr gemeinsamer Rekord liegt bei 26 – zurückkehren zu müssen in den Alltag.



Mit einem Mal wandelt sich das Muster der Reflektionen, das ihre Lampe auf den Felsen wirft. Die Decke steigt an – bald fühlt die Frau, dass sie der Wasseroberfläche näherkommt – ihr Kopf taucht auf, staunend blickt sie um sich. Die Öffnung misst im Durchmesser vielleicht vier Meter. Sie will ihren Mann benachrichtigen, da sieht sie seinen Kopf neben ihr auftauchen.



Der Fels ist aalglatt, ein feines Rinnsal läuft ihnen entgegen; es dauert, bis sie die steile Rampe erklommen haben. Nach wenigen Metern weitet sich die Öffnung zu einem mächtigen Saal, der an Größe dem vorangehenden in nichts nachsteht. Sie umarmen sich, jubeln; sie sind die ersten Menschen, die diesen Saal betreten! Sie fotografieren, sie vermessen, können ihr Glück kaum fassen.



Für vollkommen eigentümlich halten sie das Gestein: auf keinem der Kilometer, die sie im Beatenberg durchkrochen haben, ist ihnen je Ähnliches begegnet. Es weist einen türkisen Glanz auf und bildet, obwohl die Felswände durch und durch feucht sind, weder Stalaktiten noch Stalakmiten aus.



Fasziniert nehmen sie, als sie sich, 13 Stunden nach Eintritt in die Höhle, auf den Rückweg machen, nicht nur unzählige Vermessungsdaten mit, die es ihnen erlauben werden, den neu entdeckten Saal zu kartographieren, sondern auch ein fingerkuppenkleines, sorgsam aus der Wand gelöstes Gesteinsstück. Sie wollen es einer Freundin zeigen, die als Professorin für Geologie an der ETH Zürich arbeitet.












KAPITEL 1





Eine dem weißen Bündchen einer schicken Uniform entspringende Flugbegleiterinnenhand reicht graziös die Zwischenverpflegung dar, die im Ticket inbegriffen ist. Pascal Gschwind neigt dazu, sie anzunehmen. Meist aber handelt es sich ja doch bloß um eine schlecht verdauliche Gaumenunterhaltung, um einen kulinarisch minderbemittelten Verlegenheitshappen, also verneint er das Angebot mit durch die Luft fahrender Hand und vertieft sich stattdessen in einen mit diversen Grafiken angereicherten Text, der das soziale Engagement Valnoyas im sambischen Mufulira möglichst großzügig darstellen soll.



Gschwind fliegt

business

, hockt aufrecht im breiten Sitz, dicht im Knoten seiner Krawatte. Umgeben ist er von anderen

business men

, die alle ähnlich vertunnelt und verknotet in ihren Laptop blicken, in diesem vor einer halben Stunde in Frankfurt gestarteten Airbus, der in 40 Minuten auf der Isle of Man landen wird, der

mauskotkleinen

 Insel zwischen Irland und Großbritannien.

Mauskotklein

: So hätte es Katharina gesagt, seine Frau, die er fast ausschließlich Rina nennt.



Die Isle of Man bildet einen Magneten für Geld und Krawatten, und Pascal Gschwind, 39, drahtig, flink, seit ein paar Wochen gedanklich und nervlich verbandelt mit diesem hochdotierten Job, ist dort hinbestellt zu einem

business board meeting

.



Vornehmlich ernährt er sich von Kaffee; das zeigt bisweilen seine zitternde Hand, das zeigt jetzt sein zuckendes Lid. Aber Gschwind trägt jugendliche Züge, die Brille sitzt, Kinn und Kiefer sind tadellos rasiert. Unsportlich ist er, wirkt aber nicht so; bloß wer ihn auf einen Zug eilen sieht, kann verstehen, was seine Rina meint, wenn sie sagt, der liebe Gott habe ihm zwei linke Beine geschenkt.



Gerne würde Gschwind ein wenig schlafen, wenigstens die Augen schließen; aber bloß, weil er jetzt ein bisschen müde, weil er schon vor 17 Stunden in der sambischen Minenstadt Mufulira in eine Maschine der ägyptischen Fluggesellschaft eingestiegen ist und viereinhalb Stunden im hoffnungslos überfüllten Terminal von Addis Abeba herumgestanden hat, ohne dass er den Akku seines Laptops hätte aufladen können, ehe endlich der Flug nach Frankfurt abgehen wollte, wo er nochmals drei Stunden auf den Anschlussflug zu warten hatte – bloß weil seine Reise ein bisschen anstrengend ist, erlaubt er sich noch lange nicht, erschöpft zu sein, und die Aussicht, nach diesem Flug ein Meeting durchstehen zu müssen, ist zwar hart, aber Gschwind fühlt sich wohl, wenn er sich beweisen kann. Außerdem herrscht eine euphorisierende Stimmung: Dass ahnungslose Hobbyhöhlenforscher im schweizerischen Beatenberg tatsächlich Rapacitanium gefunden haben, ist nicht nur eine geologische Sensation, sondern für Valnoya von größter Bedeutung. Für Valnoya wie auch für seine eigene Karriere.



Was ihn überdies anspornt, wach zu bleiben, sind die absurden Träume, die ihn seit Wochen auch tagsüber verfolgen, und wenn er döst, rutscht er gedanklich oft ab zu der medizinischen Untersuchung, zu diesem MRI, das er wieder und wieder verschiebt. Also verändert Gschwind die Position der über seinem Sitz befindlichen Frischluftdüse, drückt sich die Brille ans Nasenbein, greift in seine handgefertigte englische Hirschledermappe und überblickt die Meldungen. Bis zum Jahr 2050 soll sich der globale Bestand an Personenwagen nach Prognosen des deutschen Verbands der Automobilindustrie auf 2,6 Milliarden erhöhen. Aufgrund der bisher entdeckten Lagerstätten von Rapacitanium werde es nicht möglich sein, alle diese Autos mit einer rasch aufladbaren Batterie auszustatten – ein Wettrennen zeichne sich ab. Das sich umso eher zuspitzen werde, je früher es bei den Flugzeugbauern Boeing und Airbus zum Standard werde, für das Starten der Triebwerke Batterien einzusetzen.



Zufrieden, erneut bestätigt zu bekommen, wie wichtig Rapacitanium weltwirtschaftlich in den kommenden Jahren werden wird, rückt Gschwind den Laptop in eine angenehmere Position und überarbeitet eine Pressemitteilung zu Mufulira, die spätestens morgen raus muss. Die medialen Anklagen gegen angeblich zu hohe Schwefeldioxid-Belastungen durch die von Valnoya betriebene Kupfermine wollen kein Ende nehmen; gestern hat sich CEO Daniel Hillers dazu durchgerungen, ihn zu beauftragen, mit einer Presseerklärung Gegensteuer zu geben.



Vor zwei Monaten erst hat Gschwind eine hohe Position bei der Suissecom eingetauscht gegen diesen Job in der vielleicht zweitobersten Etage von Valnoya, einer der weltweit führenden Firmen im Rohstoffsektor. Offiziell hat ihn Valnoya – 273.000 Mitarbeiter in 53 Ländern, Hauptsitz in der Schweiz, mehr als 190 Tochtergesellschaften weltweit, umsatzmäßig die größte Firma im Land – eingestellt als Vizeleiter der Kommunikationsabteilung.

Senior Chief Business Network Communications

 nennt sich seine Position. Während er in den vergangenen Wochen in seinem Büro stundenlang telefonierte und Hunderte von Mails schrieb, um von den auf fünf Kontinenten verteilten Niederlassungen sämtliche Informationen aufzutreiben, die nötig sind zur Erstellung eines umfassenden, von einer kritischen Öffentlichkeit stets streng beäugten

Sustainability Reports

, für Valnoya eine der wichtigsten Visitenkarten, war er nun in Sambia mit der delikaten Aufgabe betraut, Bundesrat Gadellier zwei erst seit ein paar Jahren in Firmenbesitz befindliche und noch nicht vorzeigbare Standards aufweisende Minen zu präsentieren. Sambia gilt überhaupt als schwieriges Pflaster; in einer Kupfermine, die nicht oder noch nicht in den Händen Valnoyas ist, steckten revoltierende Arbeiter unlängst Gebäude in Brand und nahmen den chinesischen Firmenchef in Geiselhaft, um gegen die schlechten Arbeitsbedingungen zu protestieren – obwohl die nicht schlechter sind als anderswo und obwohl es sonst in der Region kaum Arbeit gibt.



Valnoya schürft in Sambia auch nach Kupfer, aber in den beiden jüngst von Valnoya aufgekauften Minen ist es nach einem ärgerlichen juristischen Zwischenspiel wieder einigermaßen ruhig. Logisch eigentlich; rund 60 Prozent der lokalen Bevölkerung sind arbeitslos, die Mine ist der mit Abstand größte Arbeitgeber.



Zudem ist es Gschwind gelungen, Bundesrat Gadellier und seine kleine Gefolgschaft so über das Gelände zu lotsen, dass dieser die hässlichsten beiden Abraumhalden nicht zu sehen bekam und ihm keine Zeit blieb, wirklich mit den Arbeitern der Fabrik zu sprechen. Mit den NGOS, die Valnoyas Aktivitäten immer wieder behindern, angeblich im Namen der Umwelt und der Arbeitnehmerschaft, wollte sich Gadellier zum Glück ohnehin nicht treffen. So bekam der Bundesrat nur den aufgeräumten Teil der Mine zu sehen, und die für gewöhnlich das toxische Schwefeldioxid ausstoßenden Abgasschlote blieben wegen geschickt terminierten und Gadellier gegenüber verschwiegenen Unterhaltsarbeiten vollkommen rauchfrei. So schickte Gadellier schließlich ganz freiwillig einen begeisterten Tweet los. Einen Dreizeiler nur, aber eben einen bundesrätlichen, voller Anerkennung, und Gschwind war klug genug, diese Worte gleich prominent auf der Valnoya-Website erscheinen zu lassen. Daniel Hillers, sonst ungemein geizend mit Komplimenten, reagierte euphorisch, und also freut sich Gschwind, auch wenn er Schlaf gebrauchen könnte, auf das kurz nach seiner Ankunft auf der Isle of Man stattfindende Treffen mit der Geschäftsleitung.



Pascal Gschwind blickt auf seine in Platin gehaltene Patek Philippe Grandes Complications mit ewigem Kalender, auf die er leider nicht blicken kann, ohne zu denken, er hätte, als er für den Kauf dieser Uhr viel Geld in die Hand nahm, noch ein bisschen tiefer in die Tasche greifen sollen, damit er ihr Zifferblatt betrachtend nicht jedes Mal denken muss, er hätte das etwas teurere, von einem Schleppzeiger geadelte Modell wählen sollen, und schätzt, dass sie in 20 Minuten landen werden. Also bleiben ihm noch 17 Arbeitsminuten.



Leider wimmelt es im Netz von schlechten Nachrichten über eine Valnoya-Mine in Peru: Ein paar wenige Indigene haben in der Nähe von Cerro de Pasco, wo Zink und Blei abgebaut werden, einen Protest auf die Beine gestellt. Sie behaupten medienwirksam, Valnoya zerstöre ihren Lebensraum, verschmutze ihre Luft und nutze illegal ihr Land. Irgendein Polizist hat offenbar die Nerven verloren: Jetzt ist auf Youtube ein Uniformierter zu sehen, der mit Schlagstock gegen eine wehrlose Frau vorgeht, die schließlich vor seinen Füßen im Dreck liegt – heulend. Dieser Geschichte wegen prasseln seit zwei Tagen tonnenweise Mails in Gschwinds Account, und während es tatsächlich Leute gibt, die annehmen, der enthemmte Polizist habe seinen Schlagstock direkt im Auftrag Valnoyas gezückt, kursieren im Netz und in den Medien immer noch absurdere Daten zur Luftverschmutzung in der Region. Abgesehen von Journalisten, die einen vor drei Jahren erstellten Messwert für aktuell halten, gibt es offenbar auch Medienvertreter, die glauben, die Bevölkerung eines Landes atme keine andere als die direkt aus dem Schornstein einer Fabrik wehende Luft. Als müsste in Peru der Wind erst noch erfunden werden.



Immer wieder klickt Gschwind Newsfeeds weg, ignoriert geflissentlich Kommentarspalten; angesichts der grassierenden Dummheit der breiten Masse will er kühlen Kopf bewahren. Er leidet darunter, dass zahlreiche Menschen offenbar glauben, eine florierende Wirtschaft komme ohne Rohstoffe aus, und am liebsten würde er den Polizisten, der so dumm war, sich bei seinem Ausrutscher mit dem Schlagstock filmen zu lassen, ohrfeigen und fristlos kündigen. Denn eigentlich sitzt Valnoya – und damit vor allem er selbst – jetzt bloß seinetwegen in der kommunikativen Bredouille.

 



Die allerneueste Mail aber stammt von Hillers, Gschwind will sie sofort lesen. Aber egal, wie oft, kräftig und schnell Pascal Gschwind auf sie einklickt: Die Mail will sich nicht öffnen. Je weniger sie sich öffnen lässt, desto mehr will Gschwind wissen, was ihm Hillers mitteilt. Gewiss geht es um das Rapacitanium, das sensationeller Weise im Beatenberg, am nördlichen Ufer des Thunersees, gefunden wurde; der Pressedienst irgendeines geologischen Instituts an der ETH hatte die wuchtige, das bi