Hide and Seek

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Kapitel 2

Coming-out

David hatte Angst, seine Augen zu schließen. Was, wenn der Mann, der neben seinem Bett saß, sich einfach auflöste, so wie seine Erinnerungen? Warum wusste er nicht, was passiert war? Warum konnte er sich nicht an Dusty erinnern? Er musste ihn kennen; seine Stimme war wie die Ruhe nach einem wütenden Sturm: etwas, an dem er sich festhalten konnte, auch wenn er nicht wusste, wieso. Seine Kopfschmerzen klangen langsam ab. Das Schmerzmittel, das ihm die Schwester gegeben hatte, bevor sie gegangen war, begann zu wirken. Seine Lider wurden schwer und das leise Piepen der Maschine, an der er hing, ging mehr und mehr in Rauschen über. Dann glitt er langsam in einen unruhigen Schlaf.

***

»Was soll das heißen, du bist schwul?«, brachte Dale zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Welchen Teil davon verstehst du nicht, Dale? Ich bin schwul.« David zuckte mit den Schultern und warf seinem großen Bruder einen Blick zu, der ihn fragte, ob er Chinesisch sprach.

»Das ist widerlich, Davie, und es ist nicht witzig«, schrie Dale. Sein plötzlicher Wutausbruch ließ David einige Schritte zurückstolpern. Nur für den Fall, dass sein Bruder plötzlich zuschlug. Dale Thompson war immer schon ein Tyrann gewesen, und dass David sein eigen Fleisch und Blut war, hatte dabei nie eine Rolle gespielt. Wenn überhaupt, dann ging Dale mit seinem kleinen Bruder nur noch härter ins Gericht.

»Das heißt also, du findest mich widerlich? Denn ich bin schwul, Dale. Ich bin, wie ich bin, und ich kann es nicht ändern.« David senkte seine Stimme, um seinen Bruder zu beruhigen, bevor die Dinge außer Kontrolle geraten konnten.

Dale knurrte ihn an, fletschte die Zähne und ballte die Hände zu Fäusten, bevor er vorschnellte und David mit dem Rücken an die Wand drängte. Eine seiner großen, fleischigen Hände packte David an der Gurgel und hob ihn hoch, sodass seine Füße einige Zentimeter über dem Boden hingen. »Du hörst mir jetzt genau zu, du kleines Stück Scheiße. Du bist nicht schwul, hast du mich verstanden? Du schlägst dir diesen Blödsinn aus deinem kleinen Spatzenhirn, bevor ich ihn aus dir rausprügle, kapiert, Davie?«

»Dale Thompson, du lässt deinen Bruder sofort los!« Ihre Mutter schlug die Haustür hinter sich zu, ließ ihre Einkäufe, ihre Handtasche und ihre Schlüssel fallen, rannte auf sie zu und packte Dale am Arm. Er versuchte nicht, sich ihrer Mutter zu widersetzen. Stattdessen gab er nach und ließ seine Hand sinken. Dann trat er einige Schritte zurück und ging wie ein Raubtier im Käfig im Zimmer auf und ab.

David landete mit dem Hintern auf dem harten Holzboden.

Seine Mutter kniete sich neben ihn und hob sein Kinn, um ihm in die Augen zu sehen. »Hat er dir wieder wehgetan, Schatz?«, fragte sie, während Tränen in ihre Augen stiegen. Sie drehte sich um und sah zu Dale hinauf. »Verdammt, Dale! Du hast mir versprochen, dass das aufhört! Er hat ein Würgemal von dir am Hals. Was ist hier los, Jungs?«

Dale blieb stehen. Er beugte sich vor und spuckte David vor die Füße. »Wieso fragst du nicht deinen kleinen, süßen Engel da, was hier los ist? Komm schon, sag deiner Mutter, dass du darauf stehst, an Schwänzen zu lutschen, Davie. Dann sehen wir, ob sie immer noch auf deiner Seite ist.«

Diane Thompson keuchte und schlug die Hand vor den Mund, während sie ihren älteren Sohn ansah, als hätte er den Verstand verloren. »Das reicht jetzt …«

Dale brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Frag ihn, Mom.«

Diane wandte sich um und sah ihren jüngeren Sohn an. Er lehnte an der Wand und zitterte wie Espenlaub. Offensichtlich hatte er Angst, dass sein Bruder ihm etwas antun könnte. Tränen liefen über seine Wangen und große, hellblaue Augen flehten sie stumm um Hilfe an. »Davie, Schatz, was redet dein Bruder da?«

Ganz langsam stand David auf, darauf bedacht, auf der anderen Seite seiner Mutter zu bleiben, außerhalb der Reichweite seines Bruders, wie er hoffte. »Ich … Ich bin …« Er hustete. Nach dem Würgegriff fühlte sich seine Kehle rau und trocken an.

»Er ist schwul, Mom! Schwul. Dein armer kleiner Schatz steht auf Kerle statt auf Frauen. Das ist hier los.« Dale verschränkte die Arme und starrte seinen kleinen Bruder so hasserfüllt an, dass David erschauderte. Sie beide hatten nie das beste Verhältnis gehabt. Die acht Jahre Altersunterschied steuerten nur einen Bruchteil zu dem klaffenden Abgrund bei, der die beiden Thompson-Brüder voneinander trennte. Dale sah aus wie ein Gorilla, David dagegen war klein und schlank. Abgesehen von ihrem Nachnamen, waren ihre tiefblauen Augen und das weißblonde Haar das Einzige, was die beiden miteinander verband.

»Davie, Schatz, ist das wahr?«, flüsterte seine Mutter und riss David damit aus seinen Gedanken.

Da er sich nicht sicher war, ob seine Stimme ihm gehorchen würde, nickte David nur.

Dianes Augen weiteten sich vor Entsetzen und sie stolperte einige Schritte zurück. »Nein, Davie, du bist nur ein bisschen durcheinander. Du kannst nicht schwul sein, mein Süßer. Das wäre abscheulich. Eine Sünde.«

Davids Herz sank. Er hatte gewusst, dass es nicht leicht sein würde, dass sein grobschlächtiger Bruder und seine gläubige Mutter ein Problem damit haben würden. Doch mit dem abgrundtief hasserfüllten Blick, den sein Bruder ihm zuwarf, hatte er nicht gerechnet.

Als Diane den ersten Schreck schließlich überwunden hatte, kam sie wieder zu ihm zurück, nahm ihn in die Arme und zog ihn an ihre Brust. »Ist schon gut, Schatz, wir rufen Vater Felps an und bitten ihn, herzukommen. Wir finden schon eine Lösung.« Sie drehte sich zu Dale um. »Dale, ruf Vater Felps an und sag ihm, dass er sich beeilen soll. Das hier ist ein Notfall und …«

Doch bevor sie ihren Satz beenden konnte, befreite sich David aus ihren Armen. »Nein. Es ist alles in Ordnung damit, mit mir, Mom. Ich bin schwul. Verstehst du? Ich bin einfach so«, sagte er.

»Du machst mich krank, du beschissene Schwuchtel«, knurrte Dale und ging noch einmal auf seinen Bruder zu, doch er kam nicht weit. Seine Mutter packte ihn am Arm, drehte ihn zu sich herum und schlug ihm hart ins Gesicht.

»Solche Wörter nimmst du in meinem Haus nicht in den Mund, Dale Thompson. Jetzt geh und tu, was ich dir gesagt habe. Ich kümmere mich um David.« Sie schob Dale in Richtung der Küche, wo das Telefon hing. Dann drehte sie sich wieder zu David um und öffnete ihre Arme. Seine Mutter war vermutlich der einzige Mensch auf der Welt, der damit davonkam, so mit ihrem älteren Sohn zu sprechen. »Bitte, Schatz, lass Mama dir helfen.«

David entschied sich, mitzuspielen, zumindest für den Augenblick. Seine Mutter hatte ihn immer vor seinem älteren, viel größeren, unbezwingbaren Bruder beschützt. Dieses Mal würde es nicht anders sein, richtig? Er knickte ein und ließ sich in die Wärme ihrer Arme sinken. Er war ausgelaugt und verwirrt, wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Als Belohnung schenkte seine Mutter ihm einige Sekunden Ruhe und Frieden, bis sie erneut den Mund öffnete und den Schutzschild zerbrach, den ihre Arme über David gelegt hatten.

»Alles ist gut, mein Engel, Mama sorgt dafür, dass alles wieder in Ordnung kommt. Vater Felps wird kommen und uns helfen, diesen Dämon der Unzucht auszutreiben. Er wird dich von dem Bösen befreien, das in dir ist.«

David stieß sie zurück und ließ sich nicht von dem verletzten Ausdruck auf ihrem Gesicht einlullen. »Nein, Mom. Gott, da ist nichts, was man in Ordnung bringen müsste. Es ist nichts dabei, schwul zu sein.«

***

»Nein, Mom … sag das nicht.« David schreckte auf, atemlos und verängstigt. Er drückte gegen die Arme, die ihn hielten, fest davon überzeugt, dass sie seiner Mutter gehörten. Dann erst wurde ihm bewusst, dass es Dusty war, der ihn an sich drückte und ihn so davon abhielt, sich die Infusion abzureißen oder eines der anderen technischen Geräte, an denen er hing.

»D, hey, es ist alles okay.« Dusty saß auf der Bettkante und hielt David schützend in seinen starken Armen. Er strich ihm langsam mit den Händen über den Rücken, um ihn zu beruhigen. »Du hattest einen Albtraum, D. Du bist immer noch bei mir im Krankenhaus. Alles ist gut.«

Dustys Stimme allein genügte, um sein rasendes Herz zu beruhigen. Diese Stimme war so vertraut und doch hatte David nicht eine einzige Erinnerung an diesen Mann, der nach Zimt und Muskat roch. Er nahm einen tiefen Atemzug und prägte sich den Geruch ganz genau ein, während David noch immer mit beruhigend sanfter Stimme auf ihn einredete, ihn fest im Arm hielt und behutsam von einer Seite zur anderen wiegte. »Wieso nennst du mich D?«, fragte er und Dusty lachte.

Er setzte sich auf, drückte David eine Armlänge von sich weg und lächelte ihn an. »Bist du jetzt wieder unter den Lebenden?«

David nickte.

Bevor Dusty seine Frage beantworten konnte, kam eine Schwester ins Zimmer gerannt. »Was ist passiert?« Sie sah von Dusty zu David, dann wieder zu Dusty und zog die falschen Schlüsse. »Dusty, schieben Sie Ihren Hintern gefälligst wieder zurück auf den Stuhl.« Sie zeigte mit dem Finger darauf, während sie näher an das Bett herantrat. »David muss sich ausruhen. Während meiner Schicht gibt es hier keine Ferkeleien, kapiert?«

Dusty schüttelte lachend den Kopf. Er stand auf und setzte sich zurück auf den Stuhl. Sofort begann David die Wärme seiner Arme zu vermissen.

»Ich hatte einen Albtraum. Er wollte mich beruhigen, das ist alles«, verteidigte David ihn.

»Mmmhmmm.« Die Schwester sah sie misstrauisch an. Offensichtlich war sie nicht überzeugt. Sie prüfte alle Monitore und Davids Infusion, bevor sie die beiden wieder allein ließ, nicht ohne die wenig überzeugende Warnung, Dusty aus dem Zimmer zu werfen, wenn sie ihn noch einmal in Davids Bett erwischte.

 

Sie beide lachten, sobald sie verschwunden war.

»Hey, willst du mir nicht sagen, wovon du geträumt hast?« Dusty lehnte sich näher zu ihm und nahm seine Hand. Diese kleine Berührung genügte, um ein intensives Kribbeln Davids Arm hinaufzuschicken.

Er starrte einen Augenblick lang auf ihre verbundenen Hände hinab, bevor er langsam den Blick hob und Dusty ins Gesicht sah. Gott, dieser Mann war umwerfend. Er hatte ein rundes Gesicht, eingerahmt von widerspenstigem, lockig braunem Haar, und dunkelbraune Augen, die zu leuchten schienen, wenn er lächelte, so wie jetzt. Während David Dustys Gesichtszüge betrachtete, fragte er sich, wie alt er wohl war. Er hatte kaum sichtbare Lachfältchen um die Mundwinkel und Augen. Viele sagten, dass Lachfalten ein Zeichen des Alterns wären, aber für David waren sie ein Zeichen für ein glückliches Leben.

Dustys Lippen begannen sich zu bewegen. Sie kräuselten sich langsam zu einem Lächeln, während er eine seiner Hände vor Davids Gesicht hin und her bewegte.

David blinzelte einige Male und fokussierte dann Dustys attraktives Lächeln und seine Lippen, die sich wieder in Bewegung setzten, als er zu sprechen begann.

»Bist du okay, D?«, fragte er.

David nickte. »Ja, es ist nur … Wieso nennst du mich D? Und wieso kann ich mich nicht an dich erinnern? Ich meine, ich kenne deine Stimme, aber ich kann mich einfach nicht an dich erinnern, so sehr ich es auch versuche.«

David beobachtete ihn genau. Er war sicher, so etwas wie Sorge in seinen Augen aufblitzen gesehen zu haben, doch sie wurde rasch durch ein mildes Lächeln ersetzt. »Wir kannten uns nicht, bevor du verletzt wurdest, D, aber ich war hier an deiner Seite und habe die letzten Monate beinahe jeden Tag mit dir gesprochen. Das ist wahrscheinlich der Grund, wieso du dich an meine Stimme erinnerst. Und ich nenne dich D, weil mein bester Freund Kory mich sehr oft D nennt anstelle von Dusty. Ich denke, das hat sich eingeprägt.« Dusty zuckte mit den Schultern und strich mit dem Daumen über Davids Fingerknöchel. Die vertrauliche Geste löste ein merkwürdiges Gefühl in Davids Magengegend aus, machte ihn nervös – aber auf eine positive Art und Weise, und gab ihm ein Gefühl von Sicherheit.

David fragte sich, wieso Dusty überhaupt hier war. Was hatte ihn zu ihm geführt und dazu gebracht, bei einem völlig Fremden wie ihm zu bleiben? Doch er brachte seine Fragen nicht über die Lippen. Dustys Finger, die noch immer über seine Knöchel strichen, brachten ihn völlig aus dem Konzept. Obwohl er das Gefühl genoss, zog David schließlich langsam seine Hand zurück. Sein Kopf war schon jetzt voll von Dingen, die er nicht verstand. Er musste diese Frage einfach loswerden. »Wieso bist du hier, Dusty? Ich meine, wieso bist du überhaupt hierhergekommen, wenn du mich gar nicht kanntest?«

Etwas blitzte in den Tiefen von Dustys braunen Augen auf, doch es war sofort wieder verschwunden, ohne dass David sagen konnte, was es gewesen war.

Bevor Dusty antworten konnte, kam ein Assistenzarzt mit einem Pappbecher ins Zimmer, in dem zwei Tabletten lagen. »Bitte sehr. Der Doktor möchte, dass Sie Ihr Antibiotikum ab jetzt oral einnehmen. Das andere ist ein entzündungshemmendes Mittel für Ihr Bein.« Der Assistenzarzt griff nach der Tasse und dem Wasserkrug auf dem Nachttisch neben dem Bett. Er füllte die Tasse und reichte sie David, dann zog er beide Augenbrauen hoch, während sein Blick von dem Pappbecher in Davids Händen zu der Tasse mit dem Wasser wanderte.

»Oh, tut mir leid«, entschuldigte sich David, nahm die Tabletten in den Mund und spülte sie mit dem Wasser aus der Tasse herunter.

Der Assistenzarzt lächelte und klopfte David aufs Bein, warf den Pappbecher in den Papierkorb und war kurz darauf schon wieder aus der Tür.

Wo waren sie stehen geblieben? Der zärtliche Blick, den Dusty ihm zuwarf, als er den Kopf hob, machte David nervös und ließ ihn vergessen, dass Dusty seine Frage noch gar nicht beantwortet hatte. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Sie sahen sich einfach nur an. Normalerweise war David zu schüchtern, um anderen länger als ein paar Sekunden in die Augen zu sehen. Doch irgendetwas an Dusty zog ihn zu ihm hin wie die Motte zum Licht. In Dustys Augen lag eine Güte, die David in seinem jungen Leben noch nicht oft gesehen hatte. Dieser Mann zog ihn regelrecht in seinen Bann. Auch wenn sich David immer noch ziemlich sicher war, dass Dusty ihm etwas verheimlichte, war er davon überzeugt, dass dieser Mann nichts Böses im Schilde führte.

Plötzlich hatte er einen Flashback. Sein Bruder Dale, der ihn anknurrte, der wegen seiner schmächtigen Statur und femininen Züge auf ihm herumhackte. Sein Körper begann unwillkürlich zu zittern.

Dusty, der denken musste, dass ihm kalt war, stand auf und griff nach der weichen, weißen Decke. Er zog sie bis zu Davids Brust nach oben und steckte sie unter seinen Armen fest. Dusty räusperte sich und setzte sich wieder auf den Stuhl. »Also, willst du mir nicht erzählen, was du geträumt hast, D?«

David nickte. Er griff nach dem Wasser und nahm einige große Züge, um den Kloß in seinem Hals hinunterzuspülen. Mit Dustys Hilfe brachte er das Bett in eine aufrechte Position und stopfte sich einige Kissen in den Rücken, sodass er aufrecht sitzen konnte. »Ich habe von dem Tag geträumt, an dem ich meiner Mutter und meinem Bruder Dale gesagt habe, dass ich schwul sei. Sie waren nicht gerade begeistert.« David schnaubte. Es klang beinahe wie ein Lachen, doch es lag keine Freude darin. »Ich dachte, mein Bruder würde mich umbringen, aber dann ist Mom nach Hause gekommen und hat ihn zurückgehalten. Aber sie hat immer wieder gesagt, das sei eine Sünde, abscheulich, dass ich nicht schwul sein könne.« David starrte auf seinen Schoß und zupfte mit der Hand, die Dusty nicht hielt, abwesend an den Nähten der Decke über seinen Beinen herum. »Sie hat ihren Pfarrer gerufen und die drei saßen dann mit mir in der Küche und haben versucht, mir einzureden, dass ich mich irre und alles wieder gut werde, wenn ich Gott um Hilfe bitte.« Als er es schließlich wagte, kurz zu Dusty aufzusehen, sah er, dass sich der Schmerz, den er in dieser Nacht durchlebt hatte, in Dustys Augen spiegelte.

Dusty streckte die Arme nach ihm aus und nahm Davids Gesicht in beide Hände. »Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest, D. Du weißt, dass es nichts Schlechtes ist, schwul zu sein, oder?«

David nickte und fragte sich, wann um alles in der Welt er die Fähigkeit zu sprechen verloren hatte. Irgendetwas an dem Mann, der neben ihm saß und sein Gesicht streichelte, irritierte ihn. Er war attraktiv, warmherzig und aufrichtig. Aber wieso?

»Ich kann sehen, wie die Rädchen hinter deiner Stirn wieder anfangen zu rattern, D. Ich habe dir versprochen, dass ich dir irgendwann alles erzähle, und das meinte ich ernst. Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich nur das Beste für dich will?« Dusty beobachtete ihn aufmerksam, als ob er dachte, David könnte nein sagen.

Unwillkürlich schloss David die Augen, seufzte und lehnte sich in die Hand, die noch immer auf seiner Wange lag. »Ja, D, ich glaube dir«, flüsterte er und er tat es wirklich. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, schließlich hatte ihm Dusty bisher quasi überhaupt nichts erzählt, doch in seiner Gegenwart fühlte sich David vollkommen sicher. Für ihn war er wie ein Schutzengel. Wieso auch immer Dusty hier war, David wollte, nein, brauchte ihn an seiner Seite.

Dusty lachte und das Geräusch brachte ein Lächeln auf Davids Lippen.

»Hey, du nennst mich D statt David, also nenne ich dich jetzt auch D statt Dusty. Klingt für mich ziemlich fair.« Davids trotziger Unterton entlockte Dusty ein weiteres leises Lachen.

»Sieht so aus, als fühle sich hier jemand besser«, scherzte er. »Aber Spaß beiseite. Ich denke, ich sollte mich langsam auf den Heimweg machen, damit du dich ausruhen kannst.«

Als Dusty aufstehen wollte, griff David panisch nach seiner Hand und zog ihn zurück zum Bett. »Nein, bitte geh nicht. Bleib bei mir«, flehte er ihn an.

»Okay, D, wenn du willst, bleibe ich.« Dusty schoss die Warnung der Schwester in den Wind und setzte sich zu David aufs Bett, zog seinen nun zitternden Körper in seine Arme. »Sag mir, wieso du zitterst, D«, flüsterte Dusty in sein seidiges, blondes Haar.

David hörte ein leises Knarren an der Tür und wusste, dass die Schwester zurück war, doch er wagte es nicht, zu ihr aufzusehen. Er konnte nur beten, dass sie verstand, was hier tatsächlich vor sich ging, und es ihnen durchgehen ließ. David atmete mehrmals zittrig ein und aus, bevor er sprach. »Ich … Ich weiß nicht, D. Es ist nur … Als du gesagt hast, dass du gehst, hatte ich plötzlich Angst. Ich weiß nicht, wieso, aber ich will einfach nicht allein sein. Bitte geh nicht.«

Dusty drückte ihn noch ein wenig fester an sich und strich mit der Hand über seinen Rücken, um ihn zu beruhigen. »Wenn die Schwestern es erlauben, bleibe ich, D, versprochen.«

David fuhr auf, als eine dritte Hand seinen Rücken berührte. Es war Schwester Megan und er betete, dass sie Dusty nicht aus dem Zimmer warf, weil sie ihn wieder bei ihm auf dem Bett erwischte, obwohl sie ihn gerade erst ermahnt hatte. Sie lächelte verständnisvoll. »Alles in Ordnung, David?«

»Ja, ich … Ich bin okay. Kann Dusty über Nacht bleiben? Ich will nicht allein sein.«

Megan warf einen kurzen Blick auf ihre Uhr. »Streng genommen ist die Besuchszeit um neun zu Ende. Aber … solange Sie mir versprechen, dass er nicht bei Ihnen im Bett schläft, haben Sie meine Erlaubnis.« Sie sah sie beide streng an, eine Augenbraue erhoben.

Sie stimmten hastig zu.

»In Ordnung, dann lasse ich Ihnen eine Liege hier runterbringen, Dusty.« Sie ging zur anderen Seite des Bettes und überprüfte die Anzeige von Davids Monitor, nicht ohne Dusty noch einen scharfen Blick zuzuwerfen.

»Oh, sorry.« Er stand auf, setzte sich zurück auf den Stuhl und grinste sie an.

David schüttelte den Kopf, wandte sich um und sah zu der Schwester auf, die gerade sein Handgelenk hielt und dabei auf ihre Uhr sah.

»Hier sieht alles gut aus, David. Haben Sie Schmerzen?«, fragte sie.

Er hatte nicht einmal einen Gedanken an seine Verletzungen verschwendet, bevor sie danach gefragt hatte. Wenn er sich gerade nicht komplett auf Dusty konzentrierte, musste er zugeben, dass sein Bein pochte und juckte und sein Kopf immer noch ein wenig schmerzte.

Sie zog eine Spritze aus der Tasche ihrer Schwesterntracht, zog die Kappe ab und spritzte ein Schmerzmittel in die Infusionsnadel in seinem Arm.

Er fühlte sich beinahe sofort ein wenig benommen.

Megan klopfte ihm auf das ungegipste Bein, als sie am Fußende des Bettes vorbeiging. »Wieso ruhen Sie sich nicht einen Augenblick aus, David, und ich borge mir Dusty aus, um ihm eine Decke und ein Kissen zu besorgen und ein OP-Hemd, das er überziehen kann?«

David nickte. Seine Augenlider wurden langsam schwer. Falls er gleich wieder träumte, konnte er nur hoffen, dass es ein schönerer Traum sein würde als der letzte. Etwas Unanständiges über ihn und seinen Schutzengel zum Beispiel.

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