Nicht alltäglich

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30 | Die Sache mit den Schildbürgern

Bei uns zu Hause funktionierte einmal die Türklingel nicht. So beauftragten wir einen Fachmann, sie zu reparieren. Aber nichts tat sich. Tag um Tag verging, bis wir wieder anfragten: »Was ist denn los?«

»Nun«, sagte er uns, »ich habe einen Mann geschickt, der hat geklingelt und geklingelt, und keiner hat aufgemacht.« Na, wenn das kein richtiger Schildbürgerstreich war.

Die Bürger der Stadt Schilda leisteten sich im Mittelalter ähnliche Fauxpas. Deshalb der Name: Schildbürgersteiche. Einmal, als sie ein Haus gebaut hatten, vergaßen sie, Fenster einzubauen. So war es drinnen stockdunkel. Also füllten sie Säcke, Kisten und Kästen mit Tageslicht und brachten so Licht ins Haus. Es gab nur ein Problem: Es blieb nach wie vor stockdunkel.

Leider ist das nicht nur ein Schildbürgerstreich. Man sollte es kaum glauben, aber das Gleiche passiert heute noch. Millionenfach. Viele Leute, die ihr Lebenshaus gebaut haben – wenn ich das einmal so ausdrücken darf –, vergessen die Fenster, sodass das helle Licht des Evangeliums nicht hineinscheinen kann. Sie merken natürlich, dass etwas nicht stimmt, und versuchen auf alle erdenkliche Weise, Licht ins Haus zu schaufeln. Etwas längere und weitere Ferien, das größere Auto, die neue Couch (»Wohnst du noch, oder lebst du schon?«), endlose Stunden vor dem Fernseher (schnell noch den Flachbildschirm vor der Fußballweltmeisterschaft oder den Olympischen Spielen gekauft) und wenn’s ganz übel wird, auch Alkohol und Drogen (»Man gönnt sich ja sonst nichts«). Alles Versuche, das Leben ein wenig heller und freundlicher zu machen.

Aber es bleibt dunkel, allen Anstrengungen zum Trotz. »Ich bin verloren und vereinsamt in dieser absurden Welt und versuche, wie die meisten anderen auch, das Beste daraus zu machen«, klagt der Schauspieler Ulrich Tukur. Der Comedian Florian Schroeder meint: »Ich gehöre zur ›Irgendwas-mit-Medien-Generation‹. Wir haben hammerwichtige Projekte, aber im Grunde schieben wir nur das Leben auf.« Und der US-Schauspieler Dustin Hoffmann sagt: »Alle meine Filme haben mir Spaß gemacht, aber im Grunde sind sie unwichtig.« Es bleibt dunkel ...

Petrus klagt die religiösen Führer seiner Zeit an: »Den Mann, der den Weg zum Leben freigesprengt hat (mit anderen Worten, der Fenster in euer Haus gesprengt hat), den habt ihr getötet. Aber Gott hat ihn wieder zum Leben erweckt, eine Tatsache, für die wir uns persönlich verbürgen können!« Wann wird uns endlich ein Licht aufgehen?

Mike Depuhl

31 | Noch eine Schildbürgergeschichte

Neulich habe ich mir mal wieder den Luxus gegönnt, im Liegestuhl in unserem Garten zu »relaxen«. Die Sonne schien warm, das Buch war gut. Da fiel mein Blick auf eine Pflanze, die ich mit meinen beschränkten botanischen Kenntnissen noch nicht einmal bestimmen konnte. Aber was dann doch offensichtlich war: Sie ließ den Kopf hängen.

Da dachte ich, wenn ich nun die Schildbürger fragen würde, was zu tun wäre, würden die sicher sagen: Du musst sie abstützen. Nimm ein paar Stäbe und Fäden und konstruier eine Hilfskonstruktion, um die Pflanze wieder aufzurichten. Das klappte ganz gut für einen Moment (auch wenn es komisch aussah), aber half nicht wirklich.

Nach längerem Überlegen kam ich zu dem Schluss, dass man die ganze Sache anders anfangen musste. Durch diese Hilfskonstruktion war das Übel, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht an der Wurzel erfasst worden. Ich nahm einen Eimer voll Wasser und begoss die ganze Pflanze damit. Und siehe da, nach nur wenigen Stunden richtete sie ihren Kopf wieder auf und war wie neu! Diesmal hatte ich nicht die Symptome, sondern die Ursache des Problems »bekämpft«. Die Pflanze konnte sich durch das Wasser selber helfen und leben.

So wie im richtigen Leben: Da lässt man den Kopf hängen, ist dem Untergang geweiht und bekämpft die Symptome. Man baut sich Hilfskonstruktionen, indem man die Lösung in Dingen sucht: dem neuen Teppich, der ausgedehnten Ferienreise, noch einer Party, noch mehr Spaß, noch ein wenig mehr Luxus, noch mehr Dinge.

Das scheint auch eine Weile gutzugehen, bis ich einsehen muss, dass die Ursache nicht behoben ist: Im Grunde lasse ich den Kopf immer noch hängen. Und dann steht Jesus da. Im Hintergrund. Einfach so. Und in seinem Wort sagt er: »Ich bin die lebendige Quelle. Ich rate dir, nimm das Wasser des Lebens umsonst.« Er wird mir so viel Kraft geben, wie ich benötige. Ich werde leben. In Zeit und Ewigkeit.

Mike Depuhl

32 | Werbung

Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.

MATTHÄUS 6,34 (LUTHER 1984)

Jemand hat sich meine Faxnummer aus dem Telefonbuch gesucht, und jetzt quillt mein Faxgerät jeden Morgen über, weil mir irgendwelche Menschen Tretroller, Lederjacken und CD-ROMs anbieten oder mir beibringen wollen, erfolgreich zu telefonieren. Ich brauche weder einen FunScooter noch das Gesamtverzeichnis aller europäischen Hundezüchterverbände – und mit dem Telefonieren hatte ich eigentlich auch noch nie ein Problem.

Soziologen haben nachgezählt und festgestellt, dass jeden Tag etwa 1800 Werbeimpulse auf uns einströmen. Kein Wunder, dass unsere Gesellschaft gerade eine interessante, fast unbemerkte Wende vollzieht. Während man in den letzten 20 Jahren die Vielfalt der Möglichkeiten in allen Bereichen gepriesen hat, sehnen sich viele Leute heute danach, in der Flut von Informationen überhaupt den Überblick zu behalten. Sie möchten lernen, wie man unter all den Eindrücken wählen kann. Woran erkennt man, was gut und was schlecht ist? Die schönen Worte Jesu: »Prüfet alles und das Beste behaltet!« helfen da auch nicht viel weiter, weil es ja viel zu viel zu prüfen gibt.

Ein Satz aus der Bergpredigt ist da hilfreicher: »Sorge dich nicht um morgen!« Nanu, was hat denn das mit Werbung zu tun? Relativ viel, jedenfalls dann, wenn ich von mir ausgehe. Ich bin deshalb so empfänglich für Werbung, weil ich immer wieder das Gefühl habe, ich würde etwas versäumen. Ich möchte informiert sein, weil es ja sein könnte, dass ich sonst das große Schnäppchen verpasse. Oder ich denke, dass ich vielleicht diese oder jene Sache brauche, um in Zukunft ein attraktiver Mensch zu sein. Jesus macht deutlich: Wer ohne ein bestimmtes Produkt nicht glücklich ist, der ist es auch nicht, wenn er es hat. Viel wichtiger ist deshalb eine Lebenseinstellung, die geprägt ist von dem schönen Gedanken: »Sorge dich nicht um morgen!« Wer sich bei Gott geborgen weiß, der lebt nicht ständig mit der Furcht, zu kurz zu kommen.

Es wäre sicher ein gutes Gefühl, die nervigen Faxe ungelesen in den Papierkorb zu werfen – und die 64 Prospekte, die aus meiner Zeitung auf den Boden flattern, auch. Denn einer, dem es gut geht, der ist gegen die Werbeflut immun. Und der lernt, fröhlich aus der Vielfalt der Werbeimpulse die herauszufiltern, die mit ihm zu tun haben.

Fabian Vogt

33 | Was hält ewig?

Denn was gewinnt ein Mensch, wenn ihm die ganze Welt zufällt, er selbst aber dabei Schaden nimmt?

MATTHÄUS 16,26 (HOFFNUNG FÜR ALLE)

Das Leben kann man in 25-Jahres-Abschnitte einteilen. Die ersten 25 Jahre geht man in den Kindergarten, in die Schule, an die Uni, in die Lehre. Nur um zu lernen, wie man in den nächsten 25 Jahren Dinge kaufen kann wie Computer, Waschmaschinen, Möbel, Autos, Häuser, die man dann in den letzten 25 Jahren seines Lebens wegwirft, an die Kinder oder andere Personen vererbt, spendet, auf dem Sperrmüll abstellt oder bei ebay vertickt.

Und das soll der Sinn des Lebens sein: 25 Jahre lang lernen, wie man Sachen kauft, um sie dann anschließend tatsächlich zu erwerben und sie am Ende doch alle wieder loszulassen?! Das kann doch keiner ernst nehmen – oder? Alles wird früher oder später kaputtgehen und weggeworfen werden, garantiert! Was hält schon ewig?

Selbst das große Römische Reich musste abtreten, das Dritte Reich, der Bauern- und Arbeiterstaat der DDR und viele andere. Wer garantiert eigentlich, dass der Kapitalismus eines Tages nicht auch abtreten muss? Die Bibel auf jeden Fall nicht! Das Einzige, das eine Ewigkeit hält, ist laut der Bibel die Seele des Menschen. Wie wäre es, wir würden ab sofort verstärkt in Menschen investieren und Materie erst an die 3., 4. oder 5. Stelle setzen?

Da kommt ein junger Mann zu Jesus und fragt ihn: »Was muss ich tun, um ewiges Leben zu bekommen?« Und Jesus sagt: »Verkaufe alles, was du hast, gib das Geld den Armen, und dann komm und folge mir nach.« Wir sollen das loslassen, was uns keinen wirklichen Halt im Leben gibt. Bei dem jungen Mann war es sein Reichtum. Es kann aber auch Stolz sein oder Eifersucht, Verletzungen oder Minderwertigkeitsgefühle, die ich loslassen muss. Weil all das mich vom wirklichen Leben abhält.

Und dann kommt der entscheidende Satz von Jesus: »Komm und folge mir nach!« Weil dieser Jesus uns zur Ewigkeit führt. Und das ist weniger ein Zeitbegriff als ein Qualitätsbegriff. Leben, Frieden, Gerechtigkeit, Freude, Liebe von absoluter Qualität ohne doppelten Boden. Das wär’s doch, wenn du den ganzen Stehkrempel loslassen, diesem Jesus folgen und dann Leben mit Qualität erleben würdest. Mit Ewigkeitsqualität, die sogar über den Tod hinaus Bestand hat.

Arno Backhaus

34 | Schneewolf

Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, lässt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht; und der Wolf reißt sie und jagt sie auseinander.

 

JOHANNES 10,10-12A (EINHEITSÜBERSETZUNG)

Seht zu, dass niemand die Gnade Gottes verscherzt, dass keine bittere Wurzel wächst und Schaden stiftet und durch sie alle vergiftet werden.

HEBR ÄER 12,15 (EINHEITSÜBERSETZUNG)

In einer Jazzbar in Bosnien herrscht dicke Luft. Eingekeilt zwischen Studenten, verbringen wir passivrauchend den Abend. Eine »Walter Wolf« nach der anderen wird aus ihrer exklusiven Packung genommen und angezündet. Die blauen, durchdringenden Wolfsaugen auf der blütenweißen Zigarettenschachtel fangen meinen Blick auf. Sie faszinieren mich, durchdringen meine Gedanken, schlagen mich spöttisch in ihren Bann und raunen mir zu:

»Diese intelligenten jungen Menschen glauben, dass die Zukunft ihnen gehört. Wachsam hüten sie ihre Grenzen. Niemand soll ihnen zu nahe treten. Aber genau das ist der Weg, wie ich mir alles nehmen werde, alles. Verletzungen haben Hass gesät und erneut verletzt. Bitterkeit hat ihr Herzensland im Griff und versucht, alles zu durchdringen. Stolz schlagen sie sich an die Brust – wir sorgen für unser Glück. Lukrative Geschäfte. Selbstbestimmtes Handeln. Vermeintlich frei. Sie ignorieren, dass ›Walter Wolf‹ tödlich ist. Meine Schönheit ist gefährlich unauffällig. So getarnt bekomme ich, was ich will. Aktiv oder passiv, wissend oder unwissend – sie lassen sich von mir regieren. Richtig oder falsch – das ist unwichtig: Hauptsache Spaß, Erfolg, eine goldene Vision.

Bei manchen leistet Religiosität der Verbitterung weiter Vorschub. Für Gott und ihren einzig wahren Glauben tun sie alles. Dann wird dieser Gott doch auch alles für sie tun! Mit diesem Willen regieren sie ihre Welt und ihren Gott. Und sie leiden, weil sie blind für die Wahrheit sind. Ich habe alles unterminiert, sechs Millionen Minen auf ihren Feldern verbuddelt und noch mehr in ihren Herzen vergraben. Hah!

Mein einziges Ziel ist, ihr Herz zu stehlen, echte Liebe abzutöten und Leben zu zerstören. Es gibt nur eines, das ich fürchte, das mich unbarmherzig zurückdrängen kann: Vertrauen statt selbst kämpfen.

Dem Einen, der sie kennt und aus bedingungsloser Liebe alles getan hat für sie. Würden sie ihm total vertrauen, ihren Egotrip aufgeben, zu ihrer Erfüllung nur ihn ansehen, dann hätte ich keine Chance. Sie müssten das Minenräumen ihm überlassen und nicht mehr selbstherrlich für sich selbst sorgen; denn er würde es ja für sie tun. Meine Taktik würde auffliegen, und ich hätte verspielt. Aber mit meiner Wolfsart halte ich die ganze Welt genial im Griff. Und keiner begreift, dass es um Leben oder Tod geht.«

Christiane Ratz

35 | Carpe diem

So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit.

EPHESER 5,15-16 (LUTHER 1984)

An jenem Freitag hatte ich die Küche geputzt. Ein paar Besorgungen hatte ich auch gemacht. Schularbeiten mit den Kindern. Abends waren wir seit Langem mal wieder in einem Konzert gewesen, das war richtig schön. Und das war er, unser Tag, Alltag eben. Warum ich das erwähne? Weil ich erst eine Woche später erfuhr, dass an jenem Freitag eine liebe Freundin verstorben war. Sie hatte an Krebs gelitten. Diese Freundin war und ist ein für Christus entschiedener Mensch, und ich weiß, dass es ihr jetzt in der Ewigkeit gut geht. Sie ist sozusagen doppelt erlöst: Sie leidet nicht mehr unter Schmerzen, und sie hat wirklich das, was man ewige Ruhe nennt! Ich freue mich für sie. Aber da ist auch das nagende Gefühl des Verlustes, der Leere. Das Realisieren: Sie wird den Hörer nicht mehr abnehmen, wenn ich anrufe. Das Eingestehen: Du wolltest sie immer noch einmal besuchen und hast es nicht getan.

Und da ist plötzlich auch diese Selbstkritik: Was habe ich mit meiner Zeit gemacht? Wie lebe ich meinen Tag? Nutze ich ihn? Nutze ich ihn, um meinen Kindern ein Lächeln zu schenken, um ihnen vorzuleben, dass die Entscheidung für Jesus das Wichtigste im Leben ist und sich lohnt? Nutze ich die Fragen meiner Mitmenschen nach dem Sinn des Lebens und Sterbens?

Im Roman Der Club der toten Dichter prägte die literaturversessenen Studenten die Devise »carpe diem« – »Nutze den Tag«. Sie wollten leben, aus dem Vollen schöpfen, ihre Seelen fühlen und füllen. Sie dachten dabei nicht an Gott. Was sie aber hatten, war eine Hingabe zum Leben, die uns Christen manchmal ganz guttäte. Eine Begeisterung, die ansteckt und Kreise zieht. Vielleicht ist das meine wichtigste Lehre aus der Leere des Verlustes: Ja, mir bleibt noch Zeit hier auf Erden, und die will ich nutzen. Ostern war gestern und ist noch heute. Und meine Mitmenschen haben ein Recht darauf, das zu erfahren!

Petra Piater

Johannes der Täufer – Von Gott berufen
36 | Von Gott berufen

Denn er wird groß sein vor dem Herrn … und wird schon von Mutterleib an erfüllt werden mit dem Heiligen Geist.

LUKAS 1,15 (LUTHER 1984)

Es gibt Begriffe im angloamerikanischen Wortschatz, die sich blöde anhören, wollte man sie wörtlich übersetzen. »Midlife-Crisis« zum Beispiel: Lebensmitte-Krise. Blödes Wort für eine blöde Zeit. »Midlife-Crisis« hört sich wenigstens schick an für diese seltsamen Momente mitten im Leben, in denen man innehält und sich fragt, was das alles eigentlich soll.

Guten Tag, ich bin 42 und mitten in der Lebensmitte-Krise. Ich habe mir diese Zeit nicht ausgesucht. Sie ist bei mir ausgebrochen wie eine Migräne oder eine Magen-Darm-Grippe. Braucht kein Mensch. Völlig überflüssig ist das ständige Gefühl, dass die Eckpfeiler meines Lebens nicht mehr tragen. Meine Familie, meine Arbeit, mein Glaube. Ich komme mir festgelegt vor, eingesperrt. Seit mich meine Midlife-Crisis überwältigt hat, nerven mich die zufriedenen Menschen. Und die glücklichen könnte ich würgen. Besonders die neben mir im Gottesdienst am Sonntagmorgen.

Das war mal anders. Daran kann ich mich zumindest vage erinnern. Vor sechs Monaten saß ich am Sonntagmorgen auch glücklich in der Gemeinde. Mehr als zufrieden war ich mit meiner Familie, meiner Arbeit und meinem Glauben. Zu Recht. Ich kannte Gottes Verheißung für mein Leben, habe seine Vollmacht gespürt und war mir meiner Berufung bewusst. Es kommt mir vor, als wäre das lange her.

Es könnte so einfach sein. Wie bei Johannes, dem Täufer. Der hatte einen Auftakt nach Maß. Wenn ich die Verse aus dem ersten Kapitel des Lukasevangeliums lese, kribbelt es bei mir regelmäßig im Bauch. Dieser Mensch wird von Gott für eine besondere Aufgabe ausgesondert. Alle Zutaten für ein gelingendes Leben werden ihm in die Wiege gelegt: eine Verheißung, eine Bevollmächtigung und eine Berufung. Dem kann das Leben doch nur gelingen, dem Glücklichen. Ich könnte ihn würgen.

Obwohl – als Wegbereiter für den Gottessohn hat man es auch nicht immer leicht. Wer einen Weg bereitet, muss Hindernisse beiseiteräumen, Unebenheiten ebnen und Widerstände überwinden. Der Erste in der Reihe kriegt immer die volle Breitseite ab: fliegende Tomaten, Fäuste und Steine. Und wenn die Berufung wasserdicht ist, kommt man aus der Nummer auch nicht mehr raus. Ob ich mir das wünschen soll? Tue ich. Aber das muss an meiner Midlife-Crisis liegen.

Michael Jahnke

37 | Sprachlos

Und siehe, du wirst stumm werden und nicht reden können bis zu dem Tag, an dem dies geschehen wird …

LUKAS 1,20A (LUTHER 1984)

Auf einer Familienfreizeit hat Gottes Handeln mich sprachlos werden lassen. Und das kam so: Je länger die Freizeit dauerte, umso mehr merkten wir als Team, dass die Teilnehmer einen besonderen Moment der Gottesbegegnung brauchten. Ich schlug vor, am letzten Morgen die Bibelarbeit ausfallen zu lassen und anzubieten, in der frei gewordenen Zeit für die Teilnehmer zu beten und sie zu segnen. Dazu wollten wir einen Raum bereitstellen.

Der Freitagmorgen nahte. Wir richteten den Raum ein, stellten eine Kerze in die Mitte und ein paar Stühle drum herum, klebten ein Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht stören« an die Tür und warteten. Sie kamen. Fast alle. Einer nach dem anderen. Mal kamen Paare, mal ganze Familien. Und Gott wirkte. Wir beteten und segneten bis in den Nachmittag hinein. Damit hatte ich ganz und gar nicht gerechnet. Lange habe ich an diesem Abend stumm in meinem Zimmer gesessen. Ich habe mich geschämt, dass ich nicht mit dem handelnden Gott gerechnet hatte.

Warum eigentlich nicht? Es ist doch nicht abwegig, mit Gottes Handeln zu rechnen. Aber in den letzten zehn Jahren hat sich meine geistliche Erwartungshaltung darauf reduziert, nicht vom Glauben abzufallen. Zuletzt ist mein Glaube nicht mal mehr bedeutungsleere, alltägliche Routine, sondern ein Akt sozialisierter Traditionspflege gewesen. Und das als Leiter innerhalb eines christlichen Werkes!

Ob es Zacharias ähnlich ergangen ist? Ihm, dem erfahrenen und angesehenen Priester, der dem Turnus zufolge mit dem Dienst im heiligsten Tempelbereich an der Reihe war? Mit dem Erscheinen des Engels hat er auch an dem heiligsten aller Gottesorte der damaligen Zeit nicht gerechnet. Und damit, dass Gott Unmögliches möglich macht, erst recht nicht. Die Orientierung an menschlich Möglichem zwingt ihn zum Zweifel an Gottes Allmacht. Aber Gott reißt heraus, aus Routine, Erwartungslosigkeit und geistlichem Stillstand. Gut zu wissen. Noch besser zu erleben.

Michael Jahnke

38 | In der Stille

Und er war in der Wüste bis zu dem Tag,

an dem er vor das Volk Israel treten sollte.

LUKAS 1,80B (LUTHER 1984)

In der Abgeschiedenheit lernt man das Hören. Ob man will oder nicht. Die beiden Protagonisten Robin und Sondra in dem Kinderbuch »Robinson & Sonntag – Das Geheimnis der Stille« erleben es so:

Nach einem Streit mit ihrer Mutter rennt Sondra davon und streift ziellos durch den Ort. Im abgeschiedenen, kleinen Park neben der alten Papierfabrik entdeckt sie den gleichaltrigen Robin, der in einem der Bäume sitzt. Sie klettert zu ihm auf den Ast hinauf und wird ergriffen von dem Blick über den Ort hinweg in die Weite. »Ich kann bis zum Horizont schauen und darüber hinaus!«, bemerkt Sondra zu ihrem neuen Freund. »Ich kann bis in den Himmel gucken«, setzt Robinson noch einen drauf. Nach einiger Zeit in der Stille stellt Sondra fest: »Ich kann Stimmen in mir hören!«, und Robinson entgegnet: »Ich kann Gottes Stimme in meinem Herzen hören.« Ein ausgedachter Dialog in einer ausgedachten Szene. Zugegeben.

Was hat Johannes gesehen? Welche Stimmen hat er gehört? Der von Gott Ausgesonderte geht in die Wüste, in die Stille, in das Hörenmüssen. Auf die Stimmen in sich und auf Gottes Stimme im Herzen.

Mir fällt die Stille nicht immer leicht. Nicht, weil ich permanent einen Geräuschpegel um mich brauche. Die Abwesenheit von Lärm kann ich durchaus genießen. Das Hören, das in dieser Art der Stille möglich wird, bringt mich aber an meine Grenzen. Und zuweilen darüber hinaus. In mir werden Anteile meiner Geschichte, meines Denkens und meiner Persönlichkeit laut, denen ich nur ungern Gehör schenke. Weil sie nicht bearbeitet und geklärt sind. Und Gottes Stimme in meinem Herzen spricht Wahrheiten zu mir, die wehtun können, auch wenn sie mich letztlich retten.

Trotzdem muss ich immer wieder feststellen, dass mir die stillen Zeiten guttun. Der Abend ohne Ablenkung, das Wochenende mit vielen Spaziergängen oder die Einkehrwoche an einem Ort der Stille. Es tut mir gut, zu erleben, dass ich in diesen Zeiten nicht alleine mit mir bleibe. Gott tritt zu mir in meine Wüste, füllt die Kargheit meines Lebens und beantwortet die Fragen, die mir die Stille schwer machen. Er ist derjenige, der lebendiges Wasser für mich hat. Und er bereitet mich auf mein Leben außerhalb der Stille vor. Nur wer gelernt hat, auf Gottes Stimme zu hören, kann seine Berufung leben.

Michael Jahnke

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