Kabarett Sauvignon

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Z serii: Lindemanns #197
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Kabarett Sauvignon
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Thomas C. Breuer, 1952 in Eisenach geboren, lebt als freier Schriftsteller in Rottweil und den Abteilen von DB und SBB. Seit 1977 auch als Kabarettist unterwegs auf Kleinkunstbühnen in Deutschland, der Schweiz und Nordamerika. Bald 3.000 Auftritte, 31 Bücher, regelmäßige Rundfunkarbeit für WDR, SWR und Schweizer Radio SRF.

Thomas C. Breuer

Kabarett

Sauvignon


für Beatrice und Celia,

und für meinen Freund Hans,

für Vincent und

meinen Lieblingswinzer Uli Stein

Korkenzieher

Vor einiger Zeit musste ich mir eingestehen: Mensch, Breuer, du hast jetzt die sechzig überschritten – wie überbrückst du die nächsten fünf Jahre, bis man dich überall als Urgestein oder Elder Statesman oder Graue Eminenz der Kabarettszene herumreicht? Da bin ich zwangsläufig auf den Wein gekommen, der ja gerade bei Menschen meines Alters mit beharrlich nachlassender Virilität mehr und mehr als Ersatzflüssigkeit herhalten muss. Also habe ich mir einen Anzug in Spätburgunder mit einem Schuss Dornfelder gekauft, um Ihnen ein Programm zum Thema Wein zu kredenzen – herzlich willkommen also bei „Kabarett Sauvignon“! Hier werden nicht nur Trauben gelesen, sondern auch Texte. Und die eine oder andere Levite.

Anlässlich der Planung und Bewerburg des Projektes sagte meine Agentin zu mir: „Hör mal, so ein Weinprogramm, das führt dich ja in die schönsten Regionen Deutschlands und der Schweiz!“ Ja, entgegnete ich, ich weiß schon, warum ich kein Kölschprogramm machen möchte. Allein: Das Thema Wein kann einschüchtern, sensiblere Naturen sogar verunsichern. Dieses Kompendium soll helfen, Antworten auf brennende Fragen zu finden. Auf zu einer Fahrt ins Blaue, in ein Land zwischen Frühschoppen und Dämmerschoppen, mit Happy Hours rund um die Uhr. Glücklicherweise habe ich keine Ahnung von Wein – was mich mit der notwendigen Distanz zum Thema ausstattet.

Zumindest bin ich erblich vorbelastet, weil in zwei klassischen Wein-Bundesländern groß geworden (worden), in Rheinland-Pfalz und ein wenig in Baden-Württemberg. Rheinland-Pfalz ist natürlich die Heimat von Rainer Brüderle, von dem die Mär geht, dass er in seiner Zeit als Wirtschaftsminister sämtliche Weinköniginnen persönlich abgeschleckt hat. Schlimmer noch: Dieses Bundesland läuft Gefahr, irgendwann sogar von einer ehemaligen Weinkönigin regiert zu werden: Julia, die Klöckner von Votre Dame. Beziehungsweise von der Nahe. Warum denn hin zur Nahe schweifen, wenn die Gute liegt so fern? Wehret den Anfängern!

Ich bin nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern auch in der Gastronomie aufgewachsen, eine Doppelbelastung, die einen frühzeitig ins Multitasking zwingt. In dieser Branche kommt man naturgemäß frühzeitig mit Wein in Berührung. Damals gab es Weinpokale und Karaffen in zwei Farben: grün für Mosel, gelborange für Rheinwein. Andere Produkte: Fehlanzeige. Natürlich haben wir in den Jahren unserer Adoleszenz auf die einheimische Produktion absolut keinen Wert gelegt, denn deren Ruf war nicht der beste. Was wir wollten, war die große, weite Welt: Amselfelder, Edler von Mornag, Lambrusco! Lambrusco stand uns eindeutig näher als das Lamm Gottes! Gerne auch in diesen dickbauchigen, bastummantelten Flaschen, die man so toll für Tropfkerzen verwenden konnte. Diesen dämlichen Bacchus konnten wir nicht ausstehen – ehrlich gesagt verwechselten wir ihn aber mit Gus Backus: „Ich esse gerne Sauerkraut und tanze gerne Polka ...“

Wir soffen tapfer gegen das verdammte Establishment an, mussten aber leider rasch feststellen, dass Winzergenossen nicht wirklich Genossen sind. Probleme gab es schon mit dem Messwein, zumal bei dem die Messlatte gar nicht so hoch lag. Entschuldigung! Messlatte ist ein Begriff, den man im Zusammenhang mit der Katholischen Kirche doch eher zurückhaltend verwenden sollte.

Wobei Wein sonst eine deutliche Sprache spricht. Auf der A 6 beim Aufstieg zum Pfälzer Wald steht in Hollywood-Großbuchstaben mitten im Weinberg: „Sausenheimer Honigsack!“ Das ist vielleicht eine Begrüßung! Über die Grenzen der Republik bekannt ist der Dürkheimer Wurstmarkt – der eigentlich ein Weinmarkt ist. Wurst wiederum reimt sich nicht zufällig auf Durst. Das Kürzel www. bedeutet dem Pfälzer freilich „Weck, Worscht un Woi“.

Jeden Dienstagabend saß meine Mutter in Bad Ems im Wohnzimmer an der Heim-Heißmangel, da durfte ich mit ihr fernsehen, und eines Abends, so gegen 23 Uhr, es muss 1969 oder 1970 gewesen sein, was damals bedeutete: kurz vor Sendeschluss, denn damals gab es noch das tröstliche Testbild, eines Abends also war da so ein lustiger Mann an einer schauerlichen Heimorgel zu erleben, der sinngemäß folgendes Lied sang:

„Ich schäm mich so, ich schäm mich so, ich schäm mich so,

denn ich hab wieder viel zu viel getrinkt.

Ein Sherry und ein Aprikot,

den vino, vino, tintoto, – und dann,

dann bin ich umgesinkt.“

Der Mann hieß natürlich Hanns Dieter Hüsch, lebte in Mainz und hat mich augenblicklich schwer beeindruckt. So kam Mainz zum anderen, und seither passen Wein und Kabarett für mich gut zusammen. Der Jahrgang 1952, darin sind sich die Experten einig, war übrigens besser als der von 1951. Das ist ja schon mal was. Auf der Website www.jahrhundertweine.de steht zu lesen: „Bei schönem Wetter konnten in Deutschland tolle Weine produziert werden, welche in der ersten Hälfte der 1950er Jahre ausgetrunken wurden. Die Auslesen können heute immer noch toll sein. Eine Suche nach intakten Flaschen lohnt.“ Sie ahnen es: 1952 ist mein Jahrgang, Ihre Suche nach einer intakten Flasche hat sich also endlich gelohnt!

Gut, was Wein anbelangt, hatte Rheinland-Pfalz lange mit einem katastrophalen Ruf zu kämpfen – und wozu? Zu Recht. Hätte es in den 60er-, 70er Jahren eines spirituellen Führers in Sachen Weinkultur bedurft, der Panschen-Lama wäre die Idealbesetzung gewesen. Wobei auch Jesus in Frage gekommen wäre, der hat Wasser schließlich in Wein verwandelt. Das konnten die einheimischen Winzer auch. Was allerdings den Zucker anbelangt, so konnten sie wiederum vom Italiener lernen. Als kunstsinnige Menschen stellten die dort unten Kunstwein her: Einige Kellereien kauften ganze Schiffsladungen verdorbener Bananen, Feigen und Datteln auf, aus denen sie Zuckerlauge für ihren Vino fabrizierten. Immerhin, Bananen enthalten Vitamine, und Datteln sind als Aphrodisiakum bekannt. Nicht zu vergessen der Glykolwein Marke Austria, also Österreich, nicht aus Trier.

Aber apropos: In den vergangenen vier Jahrzehnten machte in regelmäßigen Abständen folgende prickelnde Meldung die Runde: Trier (dpa/lrs) „Rund 2.500 Liter Sekt sind bei einem Betriebsunfall in einer Trierer Kellerei in Wasserleitungen der Stadtwerke geflossen. Ursache sei ein technischer Defekt am Rückstoßventil der Abfüllanlage gewesen. ‘Wir haben noch versucht, durch Aufdrehen unserer ganzen Wasserleitungen den Schaden zu begrenzen’, sagte der Geschäftsführer, Adolf Lohrscheider. Doch zu spät: Der prickelnde Sekt hatte bereits die Nachbarschaft erreicht. Die Stadtwerke Trier ließen daraufhin das örtliche Rohrnetz kräftig durchspülen.“

Technischer Defekt? Mumpitz! Die Bewohner von Trier müssen in regelmäßigen Abständen mit Sekt geflutet werden, sonst ticken die nicht. Dort gibt es sogar ein Gymnasium mit einem eigenen Weinladen. Wo bleibt da die Vorbildfunktion? Für Klerus und Politik die optimale Methode, ihre Bürger bei Laune zu halten – und damit unter Kontrolle.

Mein Großvater – natürlich ein Hotelier – hatte betrunkenen Kopfes die Angewohnheit, meine Großmutter aus tiefstem Schlummer zu reißen, um deutsche Weinlagen abzufragen.

„Sausenheimer ... ?“

„Honigsack!“

„Oppenheimer ... ?“

„Krötenbrunnen.“

Der Höhepunkt war natürlich: „Kröver ... ?“

Woraufhin meine Großmutter jedes Mal dezent enerviert zu antworten pflegte: „Du weißt, wie das heißt, ich weiß, wie das heißt, erwarte von mir nicht, dass ich den Namen ausspreche!“ Sprach’s und drehte sich entrüstet auf die andere Seite. Augenfällig, wie gerade Rheinland-Pfalz diese Anekdote mit seinen Weinlagen speist: Eine Trefferquote von 100 Prozent – kein Zufall!

Saufen die Winzer dortselbst aus Verzweiflung über den Drehverschluss, da die Naturkorken gänzlich unerschwinglich geworden sind? Selbstverständlich – vorzugsweise allerdings Bier. Die europabedingte Änderung des Weingesetzes, die neben Tafel-, Qualitäts- und Prädikatswein eine neue Kategorie namens „Verarbeitungswein“ zuließ, war dem Ruf nicht eben förderlich, vor allem, da dieser Verschnitt von Tafelweinen an der Mosel zusammengerührt wurde. Cin cin! Aber was ist mit der Pfalz, oft vorschnell als Toskana Deutschlands gepriesen? Ist die von Herrn Kohl unermüdlich beschworene Diesseitsfreudigkeit der Palatinesen nur vorgetäuscht? Wäre sie ohne Alkohol als Schmiermittel am Ende gar nicht möglich? Fest steht: Der Rheinland-Pfälzer ist stets in der Lage, Hochprozentiges zu leisten. Der Rheinländer ist dabei ebenso positiv eingestellt wie der Pfälzer, immer pro, Pro Mille z. B. oder Pro Secco.

Dabei eignet trinkfreudigen Menschen eine gewisse Renitenz, an der Ahr z. B. wird der Spätburgunder auch schon am frühen Nachmittag getrunken. Man entsendet Weinköniginnen zu den großen Tourismusbörsen dieser Welt, präsentiert an Fastnacht hellichten Tages die Stonsdorfleichen im Fernsehen. Rheinland-Pfalz entsandte schon in den 60er Jahren altgediente Bluesbarden wie Willy Taylor zu den deutschen Brauchtumsvereinen in Nordamerika, wo seinem Lied „If The Waters In The Rhine Golden Wine Were“ immer noch Kultstatus innewohnt. Amerikaner z. B. schlucken dazu mit Begeisterung ein Gesöff, das sie für Rhine-Wine halten: Dort heißt es „Liebfraumilk“ – bei leichten Bastelarbeiten als Flüssigkleber geschätzt. In Rheinland-Pfalz wird dem aufrechten Gang nicht so eine übertriebene Bedeutung beigemessen wie in anderen Bundesländern. Es war Dean Martin, der einmal gesagt hat: „Du bist so lange nicht betrunken, wie du auf dem Boden liegen kannst, ohne dich festzuhalten!“

 

Deshalb sind Krabbelgottesdienste und Kriechspuren in Worms oder Cochem nichts Außergewöhnliches.

Natürlich gibt es Schattenseiten, denn nicht selten hat die Zeller Schwarze Katz einen Kater. In seiner aktuellen Ausgabe verzeichnet der „Weinfestkalender Pfalz“ über 200 Weinfeste. Eigentlich müsste den Pfälzern im Spätsommer ebenso kollektiv wie prophylaktisch der Führerschein entzogen werden.

In den letzten Jahren hat oft das Bild des Weinglases die Runde gemacht, das für den einen halbvoll, den anderen jedoch halbleer ist. Fest steht: Wenn endlich mal der Rest gekippt wird, dürfte der einsame Trinker voll sein. Andererseits kann es einem passieren, im Bahnhofsbuffet Ingelheim, einer veritablen Last-Minute-Abfüllstation, schon morgens um halb acht beinharte Säufer zu treffen, die sich erschreckend leer fühlen, obwohl sie bis zum Eichstrich abgefüllt sind.

Auf eine wissenschaftliche Kurzformel gebracht hat das der Kurpfälzer Völkerkundler Sir Arnim Toepel: „Hopp Hopp Hopp, de Schoppe in de Kopp!“

Hanns Dieter Hüsch: „Wenn die Frieda nicht gewesen wäre“,

aus: „Archeblues und andere Sprechgesänge“, 1968.

Mit freundlicher Genehmigung von Chris Rasche-Hüsch.

Hoher Besuch Rheinhessen

Wer weltweit wo was werden will, muss trinkfest sein. Besonders in der Politik gilt: Die besten Strippenzieher müssen ebenso gute Korkenzieher sein, und bevor die Dinge im Sande verlaufen, sollte man sie lieber im Lande versaufen.

Ein Teil der Regierung trägt den Namen eines Weines der 1. Kategorie, nämlich Kabinett.

Gerade Weinanbaugebiete bringen große Politiker hervor: „Brüderle! Zur Tonne! Zur Freizeit!“

Helmut Kohl zeichnete sich weiland durch Spontangärung und eine blumige Sprache vor Menschentrauben aus, seine Nachfolger verfügten als halbtrockene Rote über hohe Süßreserven, die ihnen den geübten Umgang mit Kulturhefen leicht machten.

Vor allem der letzte männliche Ministerpräsident besaß eine sichere Hand bei jedweder Flaschenfüllung und fand auch für frostempfindliche Parteigewächse stets die richtige Temperatur. Künftige Aspiranten sollten also unbedingt etwas vertragen können und enormes Stehvermögen mitbringen, wenn sie sich zum Klinkenputzen an die Basis begeben. Wer hier nicht besteht, kann politische Ambitionen gleich knicken: Alkohol als Benutzeroberfläche zwischen Mensch und Politik.

Als Fallstudie diene uns das traditionelle rheinhessische Anbaugebiet zwischen Bingen und Worms mit dem für einen Hoffnungsträger einer beliebigen bürgerlichen Partei typischen Parcours durch den Promillekosmos der Provinz.

12:00

High Noon. Ankunft in Bingen. Anstich des Denkmals des stadtbekannten Trinkers.

13:00

Zweites Schaumweinfrühstück mit den örtlichen Ozonlöchern in Gau-Algesheim.

14:00

Zwar erstmalig, aber schon jetzt traditionell: die Begegnung mit Weinkönigin Cindy und anderen Heulsusen auf dem Marktplatz in Nieder-Olm.

15:00

Besuch der Barrique-Barracken in Gau-Leitersheim.

16:00

Happy Hour mit der Umweltministerin in Sörgenloch. Alle Cocktails zum halben Preis! (In Rheinland-Pfalz gab es sogar einmal eine Umweltministerin mit dem passenden Namen Martini.)

16:30

Weinprobe Nierstein.

17:30

Weinprobe Oppenheim.

18:30

Weinprobe Guntersblum.

19:30

Weinprobe Westhofen.

20:30

Weinprobe Flörsheim.

21:30

Weinprobe Dalsheim.

22:30

Ausnüchterungszelle Worms.

Für den darauf folgenden Tag sind folgende Veranstaltungen ... angedacht:

12:00

Knuspergottesdienst in St. Pankreas zu Bechtolsheim.

13:00

Nackenheim: Ungeselliges Beisammensein mit polnischen Erntehelfern, auf gut Deutsch: Unhappy Hour. Die Polen halten bei den Wanderarbeitern unverändert die pole-position.

14:00

Jetlag-Probleme. Nickerchen an einem geheim gehaltenen Ort, und zwar im Kloster Maria Reblaus bei Gau-Odernheim.

16:00

Volkshochschule Alzey. Spätlese aus Werken von Walter K. Riesling. Motto: Alzey breit!

17:00

Five-O’Clock-Wine im Seniorenzentrum Monsheim. Treffen mit führenden Grauburgundern sowie Frauen aus deren Umgebung.

18:00

Hoch die Tassen in Alsheim, bis zum Abwinken.

Der Heimtransport des Kandidaten erfolgt in den frühen Morgenstunden, leicht säuerlich im Abgang.

Tropfen um Tropfen

Lesen Sie nun aus gegebenem Anlass die Weinbergpredigt von Domkaterpillar Essenzius Tremenz aus dem Abteil Mariacron in St. Tremor.

Es gibt Tage, meine Damen und Herren, da will einem nichts gelingen, da fällt einem alles aus der Hand, da erhält man eine schlechte Nachricht nach der anderen, da weiß man sich am Ende gar nicht mehr zu helfen. Es gibt Tage, da hat man den Trost eines anderen nötiger als sonst. Was aber, wenn die hilfreiche Hand einmal nicht zur Verfügung steht? Soll man verzweifeln? Oder mit dem Schicksal hadern? Wie schnell verstößt man in solchen Situationen gegen das 7. Gebot? Wie leichtfertig lässt man sich zu einer Sünde hinreißen? Was, liebe Gläubiger und Gläubinnen, soll man also tun, wenn man sich auf einer permanenten Durststrecke befindet? Was denjenigen raten, die bei der letzten Adrenalinausschüttung leer ausgegangen sind?

Liebe Jakobswegelagerer, legen Sie eine Blaupause ein! Schalten Sie einfach einmal ab und trinken Sie noch ein Schlückchen! Langen Sie ruhig ordentlich zu! Ganz gleich, zu welcher Tageszeit. Machen Sie es einfach jenem Weltenlenker nach, der gesagt hat: „Ich trinke nur vor oder nach den Mahlzeiten.“

Lastet nicht auch das Gewicht des Alltags wie eine Bürde auf Ihnen? Ist diese Bürde nicht wie eine Last, bei Ihrem Gewicht? Ist Laster nicht aller Laster Unfug ... Anfang? Schauen Sie sich doch einmal um im Leben – haben wir nicht längst eine Gesellschaft außer Rand und Pfand? Mit ein paar Promille geht alles viel leichter, glauben Sie mir. Und diesmal kann man uns als Vertretern der Kirche nicht vorwerfen, wir wüssten nicht, wo der Barthel den Most holt wie beispielsweise beim Zölibat. Tag für Tag ackern wir im Weinberg des Herrn und müssen dabei unglaubliche Mengen Messwein vertilgen. Das aber machen wir gerne!

Was dem einen sein Buhl, ist dem andern sein Nachtlokal. Jäger meistern das Leben mit Alkohol besser, Hemmungen verschwinden und manche falsche Scham. Macht Alkohol nicht ehrlich, heißt es nicht gar vom Wein, dass in ihm die Wahrheit liegt? Der Griff nach der Flasche, liebe Schäflein und Schäfinnen, ist nicht mit dem nach dem Apfel zu vergleichen – auf der Flasche ist meistens Pfand drauf! Allerdingsque: Wie steht es geschrieben bei den Ephesern 5,18, Gleis 9: „Berauscht euch nicht mit Wein, das macht zügellos, sondern lasst euch vom Geist erfüllen!“

Das heißt im Klartext: Verachtet mir den Birnengeist nicht!

Schluck für Schluck kommt man sich näher! Single Malt wird nicht ausschließlich für Alleinstehende gebrannt! Alles muss Rausch! Alkohol ist das einzig wirklich bindende Glied für den Menschen! Ohne geistige Getränke hätte Picasso nie seine „Blaue Periode“ durchlaufen ... können. Lassen Sie mich Ihnen reinen Wein einschenken: Liebe Gemeinde und Gemeindinnen, wenn Sie den Dingen einmal auf den Grund gehen wollen, schauen Sie einfach tiefer ins Glas! Und denken Sie einmal an die Worte des ehemaligen italienischen Furienkardinals Don Nebbiolo d’Asti, der da sprach: „Du sollst nicht ehe brechen, ehe du getrunken hast!“

Zum Wohlsein!

Der Weinkönig

Koblenz Hauptbahnhof. Der Regionalexpress nach Trier steht abfahrtbereit auf Gleis 9, ganz hinten. Gäbe es ein Gleis 999, der Zug würde wahrscheinlich von dort abfahren. Kein Lift, nicht einmal ein Gepäckband, das defekt sein könnte. Keine drei Tage nach der vollmundigen Ankündigung einer Charme-Offensive der Deutschen Bahn ist das Triebfahrzeug übersät mit Papierschnipseln. Der Zug passiert Karden, wo ich mal in einem Hotel genächtigt habe, in dessen Frühstücksraum dem Gast Trinksprüche zusicherten, ein Leben ohne einen edlen Tropfen und den Kuss eines schönen Mädchens sei nicht wert, gelebt zu werden. Die dazu gehörige Weinlage allerdings strafte sie Lügen: Kardener Juffermauer. Das ist die Untermosel, jene Region, in der sich gerade slow food für die Erhaltung des Roten Weinbergpfirsichs einsetzt. „Meine Damen und Herren, die Deutsche Bahn begrüßt den Gesangsverein Mosel, der eine Fahrt zur Landesgartenschau unternimmt.“ Großes Hallo auf Gleis 3 in Cochem.

Mein Gegenüber scheint weniger in Feierstimmung zu sein, im Gegenteil. Der Mann hat sich gleich in die Ecke gedrückt, die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen, und angefangen, leise in sich hinein zu weinen, was heißt leise: Verborgen bleibt es nicht direkt. Auffällig die Krone, die er durch seine Hände kreisen lässt, als wäre sie ein Rosenkranz. Ab und zu durcheilen Schluchzer den durchaus muskulösen Körper, ein erbarmungswürdiger Anblick, da muss man eingreifen, denn der Mann hat den Blues, das arm’ Tier, die Flemm, wie man im Trierischen sagt. Ich spreche ihn behutsam an, frage, ob ich ihm irgendwie behilflich sein könne, und zu meiner Überraschung antwortet er bereitwillig, nachdem er die Spuren seines Kummers notdürftig aus dem Gesicht getilgt hat. Er stellt sich vor und erzählt mir von seinem harten Schicksal, und ich nutze die Gunst der Stunde zu einem spontanen Interview.

Frage: „Sascha Muscheid, Sie waren Deutschlands erster und bislang einziger Weinkönig. Nun sind Sie Ihres Amtes verlustig gegangen. Warum?“

Muscheid: „Einziger stimmt nicht, es gab 1999 einen König in Trittenheim, ein Mann aus Ghana namens Céphas Bansah, aber das war eher ein Jux. Ich bin ein ernstzunehmender König. Oder war.“

Frage (investigativer): „Noch einmal: Warum?“

Muscheid: „Sie fragen warum? Wegen der Politik, wegen der Quote. Ich bin in eine Frauendomäne eingebrochen, mein Wahlsieg war eine Riesenüberraschung, gerade mal vier Wochen ist das her. Manche haben zunächst wieder an einen Ulk geglaubt, als ich meine Kandidatur bekannt gegeben habe. Viele, die mich gewählt haben, wollten nur anderen Kandidatinnen eins auswischen.“

Frage: „Und nun?“

Muscheid: „Es hat zwei Wochen gedauert, bis die Frauen am Ort sich formiert hatten. Gemobbt haben sie mich. Und dann mit einer Verfassungsklage gedroht. Dieser Beruf sei ausschließlich Frauen vorbehalten, und damit basta.“

Frage: „Was hat Sie überhaupt dazu bewogen, Weinkönig werden zu wollen?“

Muscheid: „Warum nicht? Es gibt ja auch männliche Politessen.“

Ich: „Aber bisher haben die Weinköniginnen doch die Sache des Weins würdig vertreten, oder nicht?“

Muscheid: „Mag sein. Die Winzer haben sich aber gesagt, dass Weinköniginnen vor allem Männer ansprechen – und die muss man nicht motivieren, die trinken ohnehin. Mit einem Weinkönig haben wir gehofft, auch weibliche Kreise für den Wein zu begeistern.“

Frage: „Wurden Sie denn auch von Frauen gewählt?“

Muscheid steht auf und wirft sich in Pose. Er ist muskelbepackt und erinnert leider an den Schauspieler Ralph Möller.

Muscheid: „Was glauben Sie? In meiner Freizeit stemme ich Weinfässer. Barrique.“

Frage: „Toll! Was haben Sie jetzt vor?“

Muscheid: „Ich fahre nach Mainz, dort will ich meine Krone abgeben, im Landtag. Sollen die ruhig alle erfahren, wie’s zugeht an der Mosel.“

Frage: „Wie ist es denn um Ihre Würde bestellt?“

Muscheid: „Würde? Die hat man mir genommen!“

Im Grunde hat er Recht: Was ist so außergewöhnlich an einem Weinkönig? Schließlich ist Alfred Biolek Sonderbotschafter des deutschen Rieslings geworden, da ist es bis zum König nicht mehr weit. Um den Adel ist es in Deutschland ohnehin nicht gut bestellt, der einzige Repräsentant von Rang war lange Zeit Ernst-August, und der bevorzugte harte Sachen. Königin Pastete, Kaiser Franz, Steffi Graf, Roman Herzog, damit erschöpft es sich auch rasch.

Frage: „Die Amerikaner haben überhaupt keine Monarchen, weder männliche noch weibliche. Wie sehen Sie das?“

 

Muscheid: „Ach ja? Und was ist mit King Elvis und Prince, was mit Burger King und Dairy Queen, mit King- und Queen-size-Betten?“

Frage: „Sie scheinen sich ja auszukennen!“

Muscheid: „Ich habe drei Jahre in Kalifornien gelebt.“

Der Mann hat aber auch schwer gelitten. Immerhin scheint ihm bewusst zu sein, dass es anderen noch sehr viel schlechter geht als ihm: „Vielleicht ist es auch gar nicht so schlimm, ich meine, was kann man als Weinkönig anderes machen als repräsentieren? Auf der Grünen Woche in Berlin herumstehen, bis die Aigner vorbeikommt zum Posieren, wenn man Pech hat, grauenhafte Vorstellung!“

Es ginge sogar noch schlimmer: „Veronika Ferres!“

Muscheid erbleicht und sagt: „Oder irgendwelche andere Schnapsnasen des öffentlichen Lebens. Horrornationen, wie ich sie scherzhaft zu nennen pflege.“ Nun, das Scherzhafte ist nicht so sein Ding.

Frage: „Braucht denn die Welt überhaupt Weinkönige oder Königinnen?“

Er schiene mir eher der optimale Botschafter des Blues zu sein. Die Arme hat er jetzt um seinen Oberkörper geschlungen, damit er nicht auseinander bricht, eine klassische Loser-Position aus der Grunge-Ära. Verquollen der Blick, und wären seine Haare nicht tipp-topp in Schuss, jeder halbwegs zum Mitleid begabte Mensch würde spätestens jetzt sein Portemonnaie zücken. Auf meine Frage nach Sinn und Zweck von Alco-Royals nickt er trotzig.

Muscheid: „Das Anforderungsprofil für Wein hat sich drastisch verändert. Die Konkurrenz schläft nicht. Die Braubranche hat das Biershampoo zur Bierdusche weiterentwickelt, Malz and more. Nicht zu vergessen Schwester Trester. Hartes Zeugs, das die Natur häufig zu einem Freiluftvomitorium degradiert. Was mich aber fertig macht, sind diese ständigen Imageschwankungen, die gehen voll auf die Psyche. Die Weinskandale in den Siebzigern, die Verschärfung der Promillewerte in den Achtzigern, der beginnende Fitnesswahn in den Neunzigern ... Rheinland-Pfalz kam längere Zeit nicht durch erlesene Weine in die Presse, sondern mit dem Team Gerolsteiner. Eine Schande für ein Land, in dem die Trunksucht sozusagen erfunden wurde.“ Vom Doping mal ganz zu schweigen.

Der Vorsitzende des Heimat- und Trachtenvereins von Klüsserath sei ins Gefängnis gekommen, führt Muscheid weiter aus, weil er auf dem Dachboden eine illegale Schnapsbrennerei betrieben hat. Dafür gäbe es im weiten Umkreis kein Verständnis, d.h. für die Brennerei schon, für die Strafe jedoch nicht. Es folgt die etwas heikle Geschichte eines Landrats aus der Pfalz, der eines Abends seinen Fahrer schon nach Hause geschickt hatte und bei der Rückfahrt von irgendeinem geselligen Beisammensein ein eher drängendes menschliches Bedürfnis verspürte, und während er diesem nachging, merkte er, dass er die Handbremse im Dienstwagen nicht angezogen hatte. Beim Sprint muss er gestolpert und unter den Wagen geraten sein, schreckliche Geschichte, er trug neben einer Beinfraktur einen Haarriss am Schädel davon und konnte wegen seines hohen Promillegehaltes – der böse Volksmund hatte seinem Nachnamen stets den Begriff „Schoppe“ vorangestellt – in der Klinik nicht narkotisiert werden, weswegen alle Rettungsversuche vergeblich bleiben mussten. Ein pfälzisches Schicksal, bemerkt Sascha Muscheid eher trocken, um diese Geschichte schließlich etwas salbungsvoll mit einem Bibelspruch zu beenden, aus Johannes 15,5: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“

Muscheid mag kein ernsthaft ersprießlicher Reisegefährte sein, aber immerhin ist er ein Reisegefährte und in seiner Eigenschaft als Weinkönig ein wandelndes Lexikon. Die Kulisse, die sich draußen vor dem Auge des Betrachters entfaltet, könnte passender nicht sein. In Flussnähe zwar Hochwassererwartungsland, aber die Hänge sind voll gestellt mit Holzstecken, stachelig-punkig, wie ein überdimensionaler Igel. Wie heißen diese Dinger noch gleich, die an diesen Stecken stecken, mit grünen Blättern dran? Ah, richtig: Weinbrandbohnen. Wie erwähnt, das Scherzhafte ist nicht sein Metier.

In Wittlich steht ein Sonderzug mit dem etwas sonderbaren Namen www.euro-strand.de. Eine junge Frau, die Flasche mit dem Pfirsichsekt in der rechten Hand, die Linke auf dem Fensterrand, spuckt in hohem Bogen aufs Festland. Muscheid wendet sich ab.

Muscheid: „1971 fing das Elend an der Mosel an, mit dem Anbau billiger Rebsorten, die hatten mehr Alkohol und waren leichter zugänglich. Ganz früher zählte Moselwein zu den Spitzenprodukten, der schlechte Ruf war dann lange nicht aus den Köpfen herauszukriegen.“ Oft seien die Namen nicht unbedingt ermutigend, werfe ich ein, ich denke da an den „Enkircher Batterieberg“, den würden doch viele gleich mit der Energiekrise in Verbindung bringen. Vielleicht sollte man auch einmal über innovative Marketingstrategien nachdenken.

Muscheid: „Angesichts des unveränderten Trends zu esoterischem Schnokus haben wir Weinmeditationen angeboten, die sind von hohem Erholungswert, weil eine überwiegend denkaktivitätsfreie Zone. Ein weiteres Problem ist allerdings, dass ein Großteil des Weins systematisch im Land vernichtet wird, damit er anderswo keinen Schaden anrichtet!“

Nun, die Schweizer halten das genauso, und von den Franzosen weiß man, dass sie ja auch ihre besten Käsesorten lieber im Land vertilgen, bevor sie sie den „boches“ überlassen.

Muscheid: „Die Moselbahn wurde seinerzeit als Kanonenbahn gegen die Franzosen installiert. Tucholsky hat sich weiland über das ‚Saufbähnchen‘ von Bullay nach Trier ausgelassen. Heutzutage würde so ein Bähnchen sicher ‚Mosel-Saar-Groover‘ heißen.“ Er sagt tatsächlich: Weiland.

Kurzer Einwurf: „Heißt nicht längst das ganze Anbaugebiet nur Mosel?“

Muscheid zuckt die Achseln. Vielleicht ist es auch ein Schluchzer.

Unser Zug fährt durch den Prinzenkopftunnel, Zell lassen wir links liegen. Dort gibt es eine Kulturinitiative, die sich Seitwärts/Aufwärts nennt, und keiner weiß zu erklären, ob das mit der traditionellen Rivalität der moselanischen Längs- und Querschiffahrt zu tun hat oder ob sich Seitwärts/ Aufwärts auf die Fortbewegungsweise der Moselmanen nach Weinfesten bezieht. Die abstrusesten Geschichten über die Schifffahrt, die herzliche Feindschaft zwischen den Zellern und den Kaimtern oder die Rivalitäten unter Winzern vermag virtuos Uli Stein zu erzählen, ein Winzer aus dem Städtchen mit dem schönen Ortsnamen, der selbst Amerikanern ein Lächeln ins Antlitz zaubert: Alf. Sein Haus Waldfrieden verfügt über einen einzigartigen Veranstaltungsraum, ein Rondell hoch über der Doppelstockbrücke über die Mosel (unten Autos, oben der Zug – wie in Amerika), von dem man den Fluss gleich zweimal sehen kann. Innerhalb der Mittelmoselgemeinden, so Uli Stein, gälten die Alfer als Schlawiner, in den Tag hinein lebende Faulenzer, wie Steinbecks Charaktere in Tortilla Flat. Ewig erinnerlich ist mir ein schmales Schaufenster, in dem neben zwei Herrenoberhemden und einer Marienfigur auch zwei Flaschen Underberg standen.

Als in Ehrang die Türen aufspringen, strömt sehr heiße Luft ins Abteil. Das Klima an der Mosel – „Deutschlands nördlichstem Süden“ – ist römisch-mediterran. Die französischen Soldaten, im Volksmund „Bären“ genannt, wurden hier auf Tropentauglichkeit getestet. Damit die Einheimischen ihr Glück, in dieser von Natur und Geschichte so verschwenderisch ausgestatteten Region leben zu dürfen, nicht allzu deutlich im Gesicht tragen, um so den Neid der Nachbarvölker auf sich zu ziehen, haben sie den Viez erfunden – ein Apfelweingetränk mit 13 g/l Säure. In Trier ist fast alles schwarz, selbst das Wahrzeichen, die Porta Nigra. Schwarz scheint auch die Zukunft des jungen Mannes zu sein. Deshalb kann ich es kaum erwarten, die Moselmetropole zu erreichen, denn dort werde ich eine Pause einlegen und versuchen, Sascha Muscheid abzuschütteln. Er mag zwar Reisegefährte sein, aber längst ein ermüdender, und seine Niedergeschlagenheit birgt Ansteckungsgefahr. Auf dem Bahnsteig wirbt eine Tafel für Kümmerling – „der sanfte Bitter“. Dieser Begriff ließe sich ebenso gut auf Muscheid anwenden. Ich mag ihm gar nicht sagen, dass er in Cochem auf dem falschen Gleis eingestiegen ist, denn dieser Zug fährt nach Saarbrücken, und von da muss er sich durchs Nahetal durchschlagen, um nach Mainz zu kommen. Das zieht sich. Über Koblenz wäre das schneller gegangen. Aber vielleicht haben sie ja an der Nahe Bedarf an einem Weinkönig – Publicity brächte das allemal.

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