Elfenzeit 8: Lyonesse

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Z serii: Elfenzeit #8
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Elfenzeit 8: Lyonesse
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Inhalt

  Titelseite

  Die Autoren:

  Impressum

  Karte

  Was bisher geschah

  Dramatis personae

 

  Roman 15 Der Schatten des Getreuen

  Prolog Feuer und Asche

  1. Vampire in München

  2. Ein Tuch in der Wüste

  3. Mord am Stachus

  4. Der Zorn des Windes

  5. Auf den Spuren des Mystikers

  6. Die Reise zurück 1

  7. Hunger

  8. Der Weg zurück 2

  9. Jagd

  10. Schlangenfrau

  11. Das alte Labyrinth

  12. Atlantis

  13. Das Archiv

  14. Gesammelte Rache

  15. Der Schmied

  16. Die hellsingenden Töchter

  17. Der Archivar

  18. Ladon

  19. München leuchtet wieder

  20. Heimkehr

  Epilog Neutralität

 

  Roman 16 Die Bestie von Bodmin Moor

  Prolog

  1. Schatten auf dem Heidekraut

  2. Hinab in lichtlose Tiefen

  3. Wispernde Weiden

  4. Rocky Zwölf

  5. Leprechaun

  6. Warten auf Harry

  7. Böses Erwachen

  8. Springer auf C4!

  9. Das Wirtshaus im Moor

  10. Der Fluch von Whispering Willows

  11. Hallowe’en

  12. Das versteinerte Kind

  13. Jahrestag

  14. Entführer

  15. Hundert Herzschläge

  16. Sieg! Sieg!

  17. Winterdämmerung

  18. Wie alles begann

  19. Der Preis für den König

  20. Aufstieg und Fall

  21. Merlin’s Cave

  22. Und die Welt wird ein Blütenmeer

  Epilog

 

  Anhang – Die Länder der Anderswelt, Teil 2

  Wie es weitergeht …

Titelseite

Uschi Zietsch

Stephanie Seidel

Elfenzeit

Band 8

Lyonesse

Das Ende aller Welten naht!

Ragnarök wurde abgewendet, aber damit ist das Gleichgewicht längst nicht wiederhergestellt. Das Zeitgefüge gerät immer mehr ins Schwanken, die Grenzen zwischen den Welten werden zusehends durchlässiger und ermöglichen unheilvollen Wesen und sogar Geistern den Zutritt zum Zentrum der Neun: der Welt der Menschen.

Während die Dunkle Königin Bandorchu sich zum letzten Krieg gegen die Anderswelt rüstet, schickt sie Boten aus, um eine Spur ihres Getreuen, des Mannes ohne Schatten, zu finden. Seit der verhängnisvollen Schlacht auf Island wurde er nicht mehr gesehen. Ist er endgültig vernichtet worden? Oder ist sein Schatten auf der Suche nach ihm durch die Zeit unterwegs, sogar bis Atlantis?

Ein anderer ist von Island entkommen: Alebin/Darby O’Gill, der mörderischste aller Elfen, und er sinnt auf entsetzliche Rache. In Lyonesse, einem magischen Reich Großbritanniens, will er sich auf die Vernichtung und Zerstörung der Anders- und der Menschenwelt vorbereiten und den Untergang der Zeiten beschleunigen …

fabEbooks

Die Autoren:

Uschi Zietsch publiziert seit 1986 erfolgreich in verschiedenen Genres und kann auf weit über zweihundert Veröffentlichungen zurückblicken. www.uschizietsch.de

Stephanie Seidel ist ausgebildete Fotografin, hat lange in der Britischen Botschaft in Bonn gearbeitet und viele Jahre für die Endzeit-Serie Maddrax geschrieben.

Impressum

Dieser Titel ist auch als Print erschienen.

Umschlag Bildmaterial: kellepics/Stefan Keller

Umschlag Gestaltung und Logo: Michael Steinmann Agentur

Die Karte schuf Dirk Schulz Animagic

Lektorat und Redaktion: Uschi Zietsch

Handlungsrahmen und Serienkonzept: Uschi Zietsch

© dieser überarbeiteten und erweiterten Ausgabe 2021 by Fabylon Verlag

www.fabylon.de

eMail: team@fabylon-verlag.de

Originalausgabe. Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-946773-32-0

Karte

Was bisher geschah

Ragnarök ist – vorerst – abgewendet. Die Schlacht auf dem Idafeld hat viele Opfer gefordert, unter anderem haben die Innamorati, Julia und Fabio Oreso, Nadjas Eltern, ihr Leben gegeben, um Fenrir aufzuhalten. Bei der Explosion des Vatnajökull ist der Getreue, der sich innerhalb des Vulkans befand, verschwunden. Man hofft, dass er nicht überlebt hat.

Nadja hat auf der Suche nach ihrem entführten Sohn Talamh Anne Lanschie und Robert Waller, inzwischen Vampir, wiedergesehen. Mit ihrer Hilfe gelangt sie ins sagenhafte Reich des Priesterkönigs Johannes, wo Anne sich mit ihrem Vater Sinenomen auseinandersetzen muss, dem Ur-Vampir, der die Herrschaft über das Reich errungen und es ins tiefste Verderben geführt hat.

Endlich in Sicherheit im Baumschloss der Crain, wird Nadja ins japanische Elfenreich gerufen – eine finstere Macht greift dort nach beiden Welten. Sie hat Rian und David in ihrer Gewalt und einen mächtigen Verbündeten: Cagliostro!

Dank Toms Hilfe, der kurzerhand nach Tokio reist, kann das Schlimmste abgewendet werden, doch Nadja kommt wieder nicht zur Ruhe: Erneut ist ihr Sohn entführt worden, nun hat Königin Bandorchu ihn in ihrer Gewalt. Gemeinsam mit David macht sie sich auf den Weg nach Tara, um sich im Austausch gegen ihren Sohn anzubieten.

Dramatis personae

Nadja Oreso steht weiterhin im Brennpunkt der Geschehnisse. Sie ist nun legendär, da sie dem Sohn des Frühlingszwielichts das Leben geschenkt hat. Das bedeutet aber nicht, dass sie deswegen hofiert wird.

 

Talamh, der Sohn des Frühlingszwielichts, ist noch ein winziges Baby und hält trotzdem schon alle in Atem.

Dafydd/David Bonet weiß noch nicht, ob er seine Seele, die Nadja ihm geschenkt hat, weiterwachsen lassen oder sich angesichts des nahenden Krieges in der Anderswelt auf seine elfischen Wurzeln besinnen soll.

Der Getreue war seit Ragnarök verschwunden. Und nun macht er sich auf den langen Weg. Nach Atlantis.

Der Kau und Cor, der Spriggans – die beiden sind im Dienst Bandorchus unterwegs, um böse Taten zu vollbringen, und werden dabei enorm behindert – von ihrem Entführungsopfer.

Alebin/Darby O’Gill ist zurück. Auch er hat Ragnarök überlebt, leckt seine Wunden und geht nun daran, die Herrschaft über alle Welten zu erringen.

Die Bestie von Bodmin Moor gehört zu den Alien Big Cats. 1997 wurden Pfotenabdrücke entdeckt, die einem Pumaweibchen mit Jungtier zugeordnet wurden. Das ist natürlich nur die Sicht der Menschen.

Roman 15

Der Schatten des Getreuen

Uschi Zietsch

Prolog
Feuer und Asche

Die Welt versank in Donner und Nebel, als Ragnarök über sie hereinbrach, Götter und Unsterbliche auf dem Idafeld gegen den Untergang kämpften und noch nichts von der letzten, alles entscheidenden Auseinandersetzung im Gletschervulkan ahnten.

Fenrir war soeben gefallen, und der Wolfsvater verlangte nach Rache.

»Ich bin der Gott des Feuers!«, donnerte der Titan aus Glut und Flammen inmitten des Berges, während draußen die Welt den Atem anhielt. »Du kannst mich nicht aufhalten.«

»Ich kann und ich werde«, versetzte der Getreue, doch seine Stimme bebte. »Ich entziehe dir, was dich am Leben erhält.«

Loki lachte dröhnend, doch nicht vor Freude. Bitterkeit und Schmerz lagen darin, aber auch ein gurgelnder Laut des Blutdurstes. »Ich bin mächtiger als alles, was denkbar ist, und nicht zuletzt dank dir. Oder hast du das inzwischen vergessen, so wie deine ursprüngliche Gestalt?«

»Ich habe nichts vergessen, alter Freund. Nichts von alldem, was wir einst teilten, was wir schufen …«

»… und vernichteten. Wie kannst du mich nun angreifen?«

»Ich greife dich nicht an. Ich halte dich auf, wie ich es bereits sagte.«

»Und wie willst du das anstellen?«

Ein winziges Zögern. »… indem ich dich vernichte.«

Der Getreue zog seine gesamte Macht zusammen. Tiefe Trauer umhüllte seine brennende Gestalt und bewahrte ihn vor der Zerstörung. Nur, wie lange? Es gab keinen Ausweg mehr. Lokis Tod war auch der seine.

»Ich bitte dich ein letztes Mal!«, rief er in das Glosen, doch der Titan konnte oder wollte ihn nicht hören. Er war dabei, den Vulkan zu erwecken und sich selbst aus den Felswänden des Bergs zu befreien. Die Hitze war unerträglich. Magma schoss aus immer neuen Erdspalten in Fontänen empor.

»Loki«, flüsterte der Getreue. »Warum tust du mir das an? Uns beiden!«

»Weil«, antwortete der Gott unerwartet ein letztes Mal, »du mir bereits alles genommen hast. Und wenn ich sterbe, soll dein Tod meine letzte Rache sein, und deine Sühne. Du und ich. So war es doch immer, nicht wahr?«

»So hätte es wieder sein können …«

»Das ist unmöglich, und du weißt das!«

Selbst für den Getreuen war es lange her. Odin hatte nie begriffen, dass er einst mit Loki einer Macht begegnet war, die bedeutend älter war als er. Fast so alt wie diese Welt. Loki war schon ein Gott gewesen, bevor Odin ihm durch Blutsbrüderschaft die Aufnahme ins Reich der Asen antrug. Der einfältige Narr hatte ein Auge geopfert, um Weisheit zu erlangen, und besaß einen Thron, mit dem er alle Welten überschauen konnte – aber das Naheliegende übersah er immer noch.

Lange Zeit hatte Loki über seinen gelungenen Streich gelacht, er war als Trickster stets der unerreichte Meister darin gewesen. Er hatte seinem Blutsbruder nie die Wahrheit gesagt, erst recht nicht über seine echte Unsterblichkeit. Genauso wie die Olympier und viele andere waren die Götter des Nordens nicht von Anbeginn unsterblich gewesen, sie alle hatten bestimmter Essenzen oder Quellen bedurft. Loki hatte ihnen dazu verholfen, und niemand ahnte, dass es immer ein Teil von ihm selbst gewesen war, den er ihnen gab.

Doch nun … stand er vor dem Ende. Nicht einmal er währte ewig, und er wusste es. Was ihm dereinst gegeben wurde, konnte ihm auch wieder genommen werden.

Aber nur einer war dazu in der Lage.

»All dies hätte verhindert werden können … aber was rede ich da! Dazu kommt es doch nie«, schloss der Getreue. »Solange ich existiere, kann die Ordnung nur durch das Chaos erhalten werden, doch das Chaos ist unberechenbar und zerstörerisch. Einmal entzündet, kann ein Weltenbrand nicht mehr aufgehalten werden. Ich kann immer nur versuchen, die Dinge im Gleichgewicht zu halten und einigermaßen gerade zu rücken. Ich will nicht behaupten, dass ich all das verstehe, doch das ist auch nicht meine Aufgabe.«

Und ihm blieb keine Wahl mehr. Loki hatte sich von ihm abgewandt und was sie beide jemals verbunden hatte, war nun zerrissen.

Nur mehr wenige Augenblicke. Er musste jetzt handeln. So weit war er während seiner gesamten Existenz noch nie gegangen, und es erfüllte selbst ihn mit abgrundtiefem Entsetzen.

Aber er hatte die Macht, und er würde sie einsetzen.

Der Getreue packte den Saum seines Umhangs und hob die Arme. Als hätte er nun Flügel, erhob sich seine finstere Gestalt inmitten des flammenden Infernos, flatterte gegen den anbrandenden Feuerwind.

Dann sprach er das Wort.

Nicht mehr als ein Fetzen schwarzes Tuch blieb übrig. Unbemerkt von der Welt wurde es mit einem letzten Flammenstoß aus dem Berg getrieben, hoch oben durch einen schmalen Riss, vom Wind aufgenommen und davongeweht.

1.
Vampire in München

»Auf mit dir, Schlafhörnchen!« Robert stieß die Tür zum Schlafzimmer mit dem nackten Fuß auf und balancierte das Tablett Richtung Bett. Ein stilechtes English Breakfast, inklusive der Rose in der kleinen Vase. Es war keine echte Rose, sondern eine aus Stoff, das fand Robert kitschiger – wenn schon, denn schon.

Annes schwarze Locken wurden als Erstes sichtbar, als sie sich langsam aus Kissen und Bettdecke kämpfte. Dann ihr verschlafenes, leicht verknittertes Gesicht mit den lasziv halb herabhängenden Lidern über glutvollen Augen und den sinnlich gewölbten Lippen. Zuletzt ein schwarzes Spitzen-Etwas, das ihren Oberkörper eher betonte denn verhüllte.

Unglaublich, welche Wirkung das immer noch auf ihn hatte, als wäre es das erste Mal. Robert räusperte sich trocken, stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab und suchte nach dem Betttisch, den er vor wenigen Tagen in einer Resterampe für einen Euro mitgenommen hatte. In weiser Voraussicht.

»Frühstück im Bett … ich glaub’s nicht.« Anne verzog missmutig das Gesicht. »Geht es noch spießiger?«

»Oh ja!«, antwortete er mit strahlendem Lächeln. »Leider sind der karierte Bademantel und die Tennissocken in der Wäsche, aber morgen …«

»Untersteh dich!«

Ihr entsetzter Ausdruck reizte ihn zum Lachen. Sie nahm das tatsächlich ernst. Dabei hatte er morgen vor, das Frühstück gänzlich nackt zu präsentieren und nicht wie heute in Boxershorts mit albernen gelben Quietscheentchen drauf. Ein Kauf in geistiger Umnachtung von Anne, übrigens, den sie schon lange bitter bereute.

Robert klappte das Tischchen auf und stellte das Tablett darauf, dann kroch er zu Anne ins Bett zurück. »Greif zu, es ist alles frisch und noch brutzelnd warm. Kaltes Spiegelei ist ekelhaft.«

Halbherzig trank Anne einen Schluck Kaffee und stocherte in Speck und Ei. »Ich hab keinen Hunger.«

»Meine liebe Dämonenmuse«, belehrte er sie, »im Gegensatz zu mir bist du am Leben und musst deinem Körper Nahrung zuführen. Gut, es muss nicht viel sein, und Blut täte es auch, aber ich weiß doch, wie gern du früher gegessen hast. Und ich kann mit den Augen mitessen und mich dran erinnern, wie es war.« Manchmal konnte er auch noch etwas schmecken, einen guten Rotwein etwa, Schnaps oder scharf Gewürztes. Alles, was seinen feinen Geruchssinn, besser als der eines Wolfes, anregte. Manchmal überkamen ihn die Gelüste danach, auch wenn er hinterher heimlich alles wieder auswürgen musste. Aber davon blieb wenigstens kein schlechter Geschmack zurück, weil es nicht verdaut wurde.

Ihm zuliebe aß Anne schweigend, während Robert die Tageszeitung vom Tablett nahm – die durfte natürlich auch nicht fehlen – und halb interessiert die Schlagzeilen sichtete. Unter »Lokales« las er vor: »Weitere Opfer der Kälte. Gestern Nacht wurden am Stachus zwei weitere Leichen Obdachloser geborgen, die nach bisher unbestätigten Vermutungen in der Nacht erfroren …« Er schlug die nächste Seite auf. »Aha, laut Wetterbericht wird der starke Frost noch anhalten, für heute Nacht werden minus fünfzehn Grad erwartet. Trotzdem war der Weihnachtsmarkt zum ersten Advent ein voller Erfolg. Der Absatz von Glühwein erreichte astronomische Höhen …«

Anne schwieg immer noch. Robert ließ die Zeitung sinken. Eine klare Dezembersonne fiel durch das Sprossenfenster herein, und von unten klang gedämpfter Autolärm herauf.

Robert liebte diese Altbaumansarde am Radlsteg, mitten im Herzen Münchens, mit ihrem uralten knarrenden Parkett, hohen Decken und Sprossenfenstern; liebte die ausgelatschten Holzstiegen und wuchernden Grünpflanzen im Treppenhaus, den Geruch nach Bohnerwachs und altem Holz, den bröckelnden Putz und den fehlenden Aufzug zum fünften Stock. Nur noch hartgesottene Münchner lebten hier, die ihr gesamtes Leben schon in dem Haus verbracht hatten, dazu ein paar Studenten und seit kurzer Zeit Robert und Anne. Die oberste Etage gehörte ganz ihnen, niemand konnte sie stören. Kein Namensschild wies auf ihre Anwesenheit hin. Post ging an ein Postfach sowie eine Packstation.

Als Anne nämlich nach der Rückkehr Roberts heruntergekommene Junggesellenbude gesehen hatte, hatte sie auf der Stelle kehrtgemacht und erklärt: »Ich schlafe heute im Hotel, und morgen ziehen wir um.«

Recht hatte sie. Die alte Wohnung war nur noch ein Museumsstück, der abgeschlossene Lebensabschnitt eines Mannes, der nicht mehr existierte. Robert hatte sich das Telefon geschnappt, ein paar frühere Kontakte genutzt und in wenigen Tagen den fünften Stock gekauft. Da er bar bezahlen konnte und nicht erst zur Bank musste, waren Verkäufer und Käufer sich schnell handelseinig und die Formalitäten innerhalb von zwei Wochen der notwendigen notariellen Frist erledigt. Die alten Seidentapeten mochten zerschlissen sein, aber sie hatten Charme, der Parkettboden wurde geschliffen und lackiert, lediglich das Badezimmer wurde vollständig, natürlich im angepassten Stil, renoviert. Den Rest beließen sie, wie er war. Die Einrichtung und der Hausstand waren rasch bei Antiquitätenhändlern und auf Versteigerungen gefunden. Manche Sachen kosteten nur ein paar Euro, andere ein paar tausend. Das einzige Auswahlkriterium lautete: Was gefällt. Es war toll, reich zu sein.

Außer den Büchern, Fotos und was mit seiner Arbeit zusammenhing, nahm Robert nichts aus der alten Wohnung mit.

Und damit waren sie schon im Winter, im Hier und Jetzt angekommen. Robert stand auf, nahm Tablett und Tischchen weg, setzte sich an den Bettrand und ergriff Annes Hand.

»Möchtest du auf die Insel zurück?« Sie hieß eigentlich Lan-an-Schie und stammte von der Isle of Man, und während des Schreibprozesses an Roberts Buch hatten sie die meiste Zeit dort gelebt. Robert mochte die winzige Insel und war gerade dabei, ein Cottage zu kaufen; davon hatte er Anne aber noch nichts erzählt.

Sie schüttelte den Kopf. Täuschte er sich, oder hing da tatsächlich eine Träne an der schwarzen Wimper? War das seine kühle, beherrschte Muse? Die nie die Fassung verlor, stets aus der Distanz betrachtete? Und sie konnte … weinen? Das hatte er bisher nicht gewusst, nicht einmal angenommen.

»Anne …«, stieß er erschrocken hervor.

Waren noch nicht alle Wunden abgeheilt? Hatte er etwas übersehen? Es hatte sie beide schwer erwischt gehabt, mit tiefen Verletzungen hatten sie sich durch ein Portal aus dem zum Grauen pervertierten, ehemals paradiesischen Reich des Priesterkönigs Johannes geschleppt. Gerade noch im letzten Moment waren sie dem Zorn Sinenomens, Annes Vater, entkommen. Anne hatte sie beide in die Anderswelt, in die Nähe ihrer Elfenheimat gebracht, wo sie eine Heilquelle kannte, unter der eine Ley-Linie verlief. Tage hatten sie dort verbracht, bis die Wunden sich schlossen und die Kräfte zurückkehrten. Anne war dabei übler dran gewesen als Robert, der seinen Ekel überwinden musste und nach Tieren jagte, deren Blut er trank. Einen Teil dessen, was er in sich aufgesogen hatte, gab er an Anne weiter. Robert überbrückte seine Schuldgefühle damit, indem er sich einredete, es seien Elfentiere, und er hatte auch in harter Selbstdisziplin keines von ihnen getötet. Immer nur so viel genommen, dass es keinen Schaden gab.

 

Aber ihn schüttelte heute noch die Erinnerung daran, mit welch wachsender Gier er den Tieren – meistens Gazellenartige – nachgestellt hatte und dann die Fangzähne in der pochenden Kehle vergrub. Er hatte bereits getötet, Elfen im Reich des Priesterkönigs, und trug die Schuldgefühle deswegen immer noch mit sich herum. Aber die Sache mit dem Blut war weitaus schlimmer. Beinahe wäre er selbst zum Tier geworden, und er hoffte inständig, dass er sich wieder in der Gewalt hatte. In München, in der Menschenwelt, war er inzwischen zum routinierten Blutbank-Dieb geworden. Er stahl aus der Zentrale, Krankenhäusern, wo sich eine Gelegenheit ergab. Auch wenn das wenig moralisch war, war es die beste Alternative, und er legte immer einen großen Geldschein hin, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Zum Glück brauchte er es nicht öfter als einmal im Monat – noch. Wie und wann Anne sich versorgte, fragte er nie. Er wusste allerdings, dass sie, klug genug, derzeit nicht tötete. Auf der Isle of Man war das schon anders gewesen.

Robert hätte sie gern an sich gezogen, ihren Kopf an seine Brust gedrückt, doch er wusste, dass ihr das menschliche Trostspenden unangenehm war. Also streichelte er nur schüchtern ihre Hand und wiederholte: »Anne …«

»Es ist alles in Ordnung«, murmelte sie.

Das sah er ganz und gar nicht so. »Nichts ist in Ordnung, Anne. Anstatt das zu sagen, hättest du mir früher eine geknallt und mich vom Bett gestoßen. Seit wir hier in München sind, wirst du jeden Tag matter und teilnahmsloser. Vielleicht sollten wir doch auf die Insel fliegen, zu deinem Ursprung …«

»Ich kann nicht dorthin!«, unterbrach sie, beinahe in gewohnter Heftigkeit. Aber dann fügte sie leiser hinzu: »Noch nicht. Und … du musst hier sein, wegen deines Buches.«

Sie waren sozusagen gerade zum Termin eingetroffen. Das Buch war draußen, der Redakteur wünschte ein Gespräch, und die Presse rannte dem Verlag die Tür ein. Bereits in den ersten beiden Tagen waren hunderttausend Exemplare über den Ladentisch gegangen und nach einer Woche die erste Million abgesetzt. In den nächsten Wochen waren Lizenzen mit beachtlichen Vorschüssen hereingeflattert.

Robert war nie stolzer gewesen, sein erstes eigenes Buch in Händen zu halten.

Ja, es war toll, reich zu sein. Und berühmt, aber ohne, dass es jemand wusste. Robert war froh, dass Anne sich mit dem Pseudonym durchgesetzt hatte. Er konnte seinen Ruhm still genießen, ohne im Rampenlicht zu stehen, das er schon immer gehasst hatte. Und jetzt in seiner neuen Existenz war es ohnehin besser, so unsichtbar wie möglich zu sein.

Was die Geheimniskrämerei betraf, wurde Robert bereits mit Thomas Pynchon verglichen, und sein Buch wurde sogar auf dieselbe literarische Ebene gestuft. Das erhöhte seinen Stolz noch mehr.

Und tröstete ihn über den Kummer hinweg, der ihn quälte.

Robert schüttelte die Erinnerungen aus dem Kopf. Es ging jetzt um Anne, nicht um ihn. Er wollte seine leidenschaftliche, temperamentvolle Geliebte wiederhaben, sich mit ihr streiten und versöhnen, ein Wechselbad der Gefühle, Achterbahn rauf und runter. Daran war er so gewöhnt und wollte nicht mehr darauf verzichten.

»Rede mit mir«, forderte er sie auf. »Ich weiß, das ist nicht deine Art. Aber du hast dich sehr verändert. Also kommt es darauf auch nicht mehr an.«

Ihr leerer Blick glitt zum Fenster. »Es ist unvorstellbar. Ich habe mich gegen meinen Vater gestellt«, wisperte sie fast unhörbar. »Nun bin ich verstoßen …«

»Du hast eigenverantwortlich entschieden«, erwiderte Robert sofort. »Dein Vater hat kein Recht, deinen Gehorsam zu fordern.«

»Das verstehst du nicht, Robert. Er ist ein mächtiger Herrscher und …«

»Anne! Hör auf mit diesem Elfenprotokoll! Du lebst schon so lange, und die meiste Zeit unter Menschen. Seit Jahrtausenden handelst du auf eigene Rechnung, hast die Verantwortung übernommen. Du bist etwas ganz besonderes, die erste und einzige Tochter von Sinenomen, dem Ursprung der Vampire. Aber du bist noch mehr als er: Du bist der Ursprung der Musen. Es mag sein, dass er ein mächtiger Herrscher ist und vielleicht einer der mächtigsten Dämonen überhaupt, aber du bist auf deine Art nicht minder mächtig als er. Und du hast ein Anrecht auf seinen Respekt. Er hätte dir zuhören sollen. Und egal, wie mächtig einer sein mag – ein hilfloses Baby schlachten zu wollen ist das abgrundtief Abscheulichste, was man tun kann, selbst für einen Dämon. Das ist unverzeihlich und du konntest es keinesfalls zulassen, denn du bist nicht so wie er.«

Annes Augen richteten sich auf ihn. Er erwiderte ihren Blick eindringlich.

»Ich glaube«, fuhr Robert fort, »dein Vater hat sich selbst genauso überlebt wie Fanmór. Sie sind beide zu starr geworden. Sie werden ihre Macht verlieren, du wirst sehen, selbst wenn die Unsterblichkeit zurückkehrt. Alle Völker der Anderswelten sind im Wandel begriffen, und nichts kann das mehr rückgängig machen.«

»Und was ist mit Bandorchu?«, fragte sie ein wenig spöttisch.

»Sie hat sich bereits vor tausend Jahren gewandelt«, antwortete er. »Vermutlich ist sie sogar der Auslöser, der Beginn der Neuzeit.«

»Du meinst, sie wird siegen?«

»Ich will es nicht hoffen. Aber ich befürchte es, ja. Wenn Nadja, David und Rian nicht gegensteuern können, sehe ich schwarz.«

Ein Schatten fiel über ihr Gesicht, das brachte sie aufs Thema zurück. »Ich bin völlig auf mich allein gestellt, denn ich habe alle verraten. Meinen Vater, Bandorchu …«

»… aber nicht dein Volk, denn du bist nicht nur Dämonin, du bist auch Elfe. Die Herrscher mögen dich verstoßen haben, dein Volk aber nicht. Und ich bin …« Er atmete tief durch, weil es ihm peinlich war, wie pathetisch sich die folgenden Worte anhören mussten. »Ich bin unglaublich stolz auf dich. Was du getan hast, erfordert großen Mut, Weisheit und Einsicht. Und ein hohes Maß an Ehrgefühl.«

»Und das ist alles deine Schuld!«, sagte sie nicht im Spaß.

Er drückte den Rücken durch. »Das macht mich noch mehr stolz. Anne, du bist alles, was ich will, jemals wollte. Als wäre ich mein ganzes Leben auf der Suche nach dir gewesen. Du bist das, was mir immer gefehlt hat. Und ich denke, auch du hast jetzt erst wahrhaftig zu dir gefunden. Du bist vollkommen.«

»Vollkommen verrückt, dich nicht in tausend Einzelteile zu zerlegen und zu verspeisen.« Sie seufzte. »In gewisser Weise hast du recht. Ich war immer allein. Mein Vater hat mich so erzogen und er duldete keinen Kontakt zu anderen. Erst, als er Catan für mich aussuchte, um eine neue Dynastie zu gründen …« Es schüttelte sie.

»Wieso? Er ist doch recht attraktiv, so als Panther, meine ich …« Er grinste, als endlich Leben in ihre Augen zurückkehrte. »Wäre bestimmt eine interessante Erfahrung.«

»Kenne ich schon«, gab sie achselzuckend zurück. »Werwölfe, Chimären …«

»Uh!« Abwehrend hob er die Hände. »Ich will’s nicht wissen!«

»Aber keinen Vampir«, fügte sie ernst hinzu. »Keinen … wie dich.« Ihr Blick bohrte sich in seinen, tauchte auf den Grund seiner Seele. Obwohl Robert gestorben war, besaß er immer noch seine Seele. Auf eine seltsame Weise war er wiedergeboren worden, auch wenn sein Körper der eines Toten war und nur vom frischen Blut anderer an der Existenz erhalten werden konnte. Aber er konnte im Tageslicht wandeln und sich wie ein normaler Mensch verhalten.

»Ich bin dein Gefährte, auf Gedeih und Verderb, ein Teil von dir, wie du ein Teil von mir bist«, murmelte er. »Du hast mich zu Deinesgleichen gemacht, was das Vampirische betrifft.«

»Das erste Mal.«

»Bereust du es?«

»Nein.«

Sie gab die Antwort völlig ruhig und ohne zu zögern. Ihre tiefliegenden Augen waren nun klar wie eine Winternacht.

Robert wagte es. »Ich liebe dich, Anne. Meine Seele, die mir geblieben ist, liebt dich. Meine Erinnerung, die ich bewahren durfte, liebt dich. Wir werden uns gemeinsam ein neues Leben aufbauen, auf den Trümmern unserer Vergangenheit, die nur noch Erinnerungen sind, aber keinen Einfluss mehr haben werden. Wir gehören zusammen, so haben wir es beide entschieden. Wir beide sind unser ganzes Volk, mehr brauchen wir nicht, und wir werden residieren, wo auch immer wir wollen, und tun, was uns beliebt.«

»Machst du mir gerade einen Heiratsantrag?« Ihre Stimme klang verwundert.

»Ganz recht«, sagte er feierlich. »Ich will ein Ritual. Mir ist völlig gleich, welches. Aber ich will, dass jemand offiziell unseren Bund besiegelt.«

Sie musterte ihn kritisch. »Ich glaube, meinen Vater kann ich nicht darum bitten.«

»Dabei wäre Catan ein wirklich hübscher Trauzeuge.«

Dann prusteten sie albern los, es war befreiend.

»Aber was ich wissen will: Warum nur hast du zu diesem romantischen Moment die grässliche Entenhose an?«, rief Anne, nachdem sie wieder Luft geschnappt hatte.

»Rate mal.« Seine Augen glitzerten.

Auch in ihre Augen trat ein lüsterner Glanz, vorbei war die Niedergeschlagenheit. »Also dann, endlich runter damit«, verlangte sie raukehlig.

Plötzlich schoss Robert aus dem Bett. »Himmel, ich habe ja einen Termin im Verlag! Raus mit dir, Weib, wir müssen los!«

»Nicht ohne Dusche«, erwiderte sie, und als sie die Beine über den Bettrand schwang und aufstand konnte er nur dastehen und sie angaffen, und er hätte ihr nie im Leben widersprochen. Sie war atemberaubend, und er würde nie genug von ihr bekommen. Nicht jetzt, nicht später, nicht lebend, nicht tot.

»Zu zweit, dann geht es schneller«, schlug er schelmisch vor.

Sie hob die Brauen, doch er winkte lachend ab. »Wie Brüderlein und Schwesterlein, Ehrenwort, auch ein lüsterner Vampir hat seine Grenzen. Aber … es ist einfach schöner so.«

Dem hatte sie nichts entgegenzuhalten. Robert genoss diese Nähe, das Rauschen des Wassers, der sanfte Schaum des Duschöls auf Annes samtener Haut, den er mit weichen Händen verteilte. Eine ganz besondere Sinnlichkeit, die ihm alle Ängste und Zweifel nahm. Sie beide, zusammen. Für immer, hoffte er.

In Wirklichkeit hatten sie noch genug Zeit, aber Robert wollte das schöne Wetter nutzen und ein wenig mit Anne bummeln, bevor er geschäftlich wurde. Das war das Großartige daran: Er tat das, was er wollte, das Geld floss von allein. Und selbst wenn der Strom von heute auf morgen abriss, hatten sie beide erst mal für eine ganze Weile genug, um wie ein gutsituiertes, vermögendes Paar zu leben. »Und wenn wir pleite sind«, hatte Robert zu Anne gesagt, »ziehen wir einfach in die Anderswelt um.« Das war eine tolle Aussicht, fand er. Sie waren beide zwar nicht sonderlich gut gelitten bei den Elfen, aber galten nicht als Verbannte. Was im Reich des Priesterkönigs geschehen war, hatte keine Auswirkungen auf die Elfenreiche, und Fanmór hinderte sie bestimmt nicht, sich bei ihm niederzulassen, nachdem Anne sich von Bandorchu losgesagt hatte.

In einer Sache allerdings waren sie sich einig: Sie mischten sich in die Ereignisse nicht mehr ein. Sie hatten beide genug beigetragen und beinahe ihr Leben/ihre Existenz verloren. Wie es weiterging, lag nicht mehr in ihrer Hand.