Griechischer Zauber

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KAPITEL ZWEI

Am nächsten Morgen wurde Keira von einem schrillen, unerwünschten Alarm geweckt. Im Versuch ihn zu ignorieren, zog sie ihr Kissen über den Kopf, konnte aber schon bald fühlen, wie Milo sanft ihren Ellenbogen anstupste. Sie zog das Kissen langsam von ihrem Gesicht und schaute darunter hervor. Es war noch nicht einmal richtig hell. Milo lächelte zu ihr hinunter, aber sie konnte auch Sorgen in seinen Augen sehen.

„Es ist an der Zeit“, sagte er.

Keira resignierte stöhnend, zog das Kissen nun vollständig von ihrem Gesicht und setzte sich auf. Sie sah, dass Milo bereits angezogen war. Neben ihr auf dem Nachttisch stand ein Tablett mit Kaffee und Frühstück.

„Hast du das für mich gemacht?“, fragte sie bewegt.

„Ich wollte nicht, dass du hungrig ins Flugzeug steigst“, sagte er mit einem schüchternen Schulterzucken.

Keira lehnte sich vor und strich ihm sanft über die stoppelige Wange. Sie küsste ihn zärtlich. „Vielen Dank“, sagte sie mit tiefer Hingebung.

Der Anflug von Trauer, den sie seit gestern gefühlt hatte, war wieder da. Die Emotionen schnürten ihr die Kehle zu, als ihr wirklich klar wurde, dass heute alles für sie beide enden würde. Sie schob schnell die Bettdecke zur Seite und versuchte nicht vor Milo zusammenzubrechen. Sie wirbelte im Zimmer herum, um ihre auf dem Fußboden verstreuten Kleidungsstücke einzusammeln.

„Keira“, sagte Milo mit seiner freundlichen, vorsichtigen Stimme.

„Was?“, antwortete sie, ohne ihn anzusehen und versuchte dabei ihre Stimme ruhig zu halten.

„Dein Frühstück.“

Keira griff ihre Waschtasche vom Schrank und warf sie schnell in ihren Koffer. „Ich muss packen.“

„Es gibt keinen Grund zur Eile“, sagte er. Seine Stimme war ruhig wie immer, was das genaue Gegenteil von dem war, wie Keira sich fühlte. „Wir haben genug Zeit uns hinzusetzen und einen Kaffee zu trinken.“

„Ich möchte das hier lieber zuerst machen“, antwortete Keira und hörte, wie ihre Stimme kippte.

Hinter sich hörte sie, dass Milo aufstand. Er kam zu ihr hinüber und griff nach ihren Schultern. Sie zuckte zusammen, ängstlich, in ihrem emotional verletzbaren Zustand nicht in der Lage zu sein, mit seiner Liebe umzugehen. Aber es war zu spät. Nur das Gefühl, ihn hinter sich zu spüren, ließ ihre Fassade bröckeln. Die Tränen begannen aus ihren Augen zu fließen.

Sie drehte sich um und fiel in Milos Umarmung. Sie standen für eine lange Zeit so da und Keira ließ den aufgestauten Emotionen endlich freien Lauf. Zu ihrer Überraschung fühlte sie, dass, wenn sie sich selbst erlaubte, verletzbar zu sein und die Tränen laufen zu lassen, dies ihre Macht über sie bereits schmälerte. Sie riss sich zusammen, viel schneller als sie es normalerweise könnte und fühlte sich bereits wesentlich besser.

„Kaffee?“, fragte sie und löste sich aus Milos Umarmung.

Er nickte und sie saßen zusammen auf seinem Bett und tranken gemeinsam einen letzten Kaffee. Die Tränen auf Keiras Wangen waren getrocknet.

„Ich freue mich nicht darauf, deiner Familie auf Wiedersehen sagen zu müssen“, gab sie zwischen den Schlucken zu. „Ich meine, ihr alle fühlt euch jetzt wie meine Familie an. Ich werde eine heulende Idiotin sein.“

Milos Lippen zuckten. „Es wird schon gehen. Es ist ja nicht für immer. Oder zumindest muss es das nicht sein.“

Keira blieb stumm und wälzte viele Gedanken. Sie war sich noch nicht sicher, was sie wollte und wie ihre Geschichte weitergehen würde. Ob es überhaupt eine Geschichte für sie beide geben würde.

Milo musste ihr Zögern bemerkt haben.

„Aber wir müssen nicht jetzt darüber reden“, sagte er und sein Blick schweifte ab.

Nachdem sie ihr Frühstück und den Kaffee beendet hatte, ging Keira ins Bad, um sich zu waschen und sich für den langen Flug, der vor ihr lag, entsprechend zu kleiden. Normalerweise graute ihr vorm Reisen, aber sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass es ihr fast nichts mehr ausmachte. Wie schnell sie sich an ihren neuen Jetsetter-Lebensstil gewöhnt hatte. Sie dachte mit einem Funken der Aufregung daran, dass in New York City eine neue Wohnung auf sie wartete; ihr erster richtiger Schritt in Richtung vollständiger Unabhängigkeit.

Als ihre Taschen vollständig gepackt waren, gingen sie und Milo die Treppen hinunter. Die Familienmitglieder hatten sich in der Küche versammelt und waren alle selbst mitten beim Frühstück. Keira wusste, dass sie extra den Aufwand betrieben hatten, früher aufzustehen, nur um sich von ihr zu verabschieden und war gerührt von der Geste.

Regina war die Erste, die aufstand. Sie kam zu ihr hinüber und umarmte Keira fest, wobei ihr sonst so ernsthafter Ausdruck wesentlich weicher wirkte.

„Ich werde es vermissen, noch eine Frau hier im Haus zu haben“, sagte sie. „Es war schön, für eine Woche eine Schwester zu haben.“

„Ich bin nur einen Telefonanruf entfernt“, erinnerte Keira sie.

Nils nahm jetzt Reginas Platz ein und stand mit seinen fast zwei Metern Größe direkt vor Keira. Er klopfte ihr fest auf die Schulter.

„Du bist hier jederzeit herzlich willkommen“, sagte er. „Wirklich jederzeit.“

„Vielen Dank“, antwortete Keira.

Dann zog er sie in eine unbeholfene Halbumarmung. Keira fühlte sich in seinen großen Armen wie ein Kind.

Sie löste sich aus der Umarmung und wandte ihre Aufmerksamkeit Yolanta zu. Während ihres Aufenthaltes war ihr Milos Mutter am meisten ans Herz gewachsen und von den Dreien würde es ihr am schwersten fallen, sich von ihr zu verabschieden.

Yolanta nahm Keiras Gesicht in einer sehr mütterlichen Geste zwischen ihre Hände.

„Wunderschönes, talentiertes Mädchen“, sagte sie. „Du kommst wieder, um uns zu besuchen, nicht wahr?“

Keira errötete. „Das werde ich.“

Yolanta nickte zufrieden und die zwei umarmten sich fest.

„Wir sollten lieber losgehen“, sagte Milo, der hinter ihnen stand.

Keira löste sich aus Yolantas Armen und sah ihn über ihre Schulter hinweg an, wie er dort an der Tür mit all ihrem Gepäck zu seinen Füßen dastand. Sie sah zurück zur Familie.

„Ich vermute, es ist soweit“, sagte sie mit einem schweren Seufzen. „Ich werde euch vermissen. Vielen Dank für eure Gastfreundlichkeit. Es war das beste Weihnachtsfest, das ich je hatte. Ich werde diese Erinnerungen für immer in meinem Herzen tragen.“

„Es war uns eine Freude, dich hier zu haben“, sagte Nils.

„Komm wieder, wann immer du willst“, fügte Regina hinzu.

„Wir werden dich schon bald wieder sehen“, sagte Yolanta mit Betonung auf bald.

Keira nickte. Sie drehte sich von ihnen weg, ging zu Milo hinüber und griff nach einer ihrer Taschen. Milo öffnete die Tür und ein kalter Stoß schwedischer Winterluft blies hinein und ließ sie erschauern. Milo ging hinaus in den kalten Wintertag und lief in Richtung Auto. Keira schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, als sie der Familie hinter sich ein letztes Mal winkte.

„Auf Wiedersehen!“, sagten alle gleichzeitig.

Dann folgte Keira Milo und schloss sanft die Tür hinter sich. Sie lief den verschneiten Pfad im Garten entlang und genoss noch einmal die Aussicht auf die Berge. Keira versuchte, den Anblick in ihrer Erinnerung einzubrennen. Sie wollte diese Aussicht niemals vergessen, diesen Ort und diese Familie. Jedes Detail sollte sicher in ihren Gedanken gespeichert wurde.

Sie hob ihre Tasche in den Kofferraum und stieg auf der Beifahrerseite in Milos kleines Auto ein. Er startete den Wagen.

„Fertig?“, fragte er.

„Fertig“, antwortete sie mit einem endgültigen Nicken.

Als er losfuhr, sah sie noch einmal über ihre Schulter zurück und machte ein letztes geistiges Foto.

Gerade als das Haus aus ihrer Sicht verschwand, hörte Keira, wie ihr Handy piepste. Sie angelte es aus ihrer Tasche und sah, dass sie eine Textnachricht von Elliot erhalten hatte. Sie runzelte die Stirn. Es sah Elliot gar nicht ähnlich, eine SMS zu schreiben. Normalerweise hielt er die Dinge zwischen ihnen eher förmlich.

Sie öffnete die Nachricht und las.

Fröhliche Weihnachten, Keira! Ich hoffe, du hattest dein Happy End …

Sie lächelte, berührt davon, dass Elliott ihr eine persönliche Nachricht schrieb. Aber dann las sie den Rest:

Nur eine Erinnerung, dass morgen der Abgabetermin für deinen Artikel ist. Du hattest bereits eine Verlängerung, dies ist also endgültig.

Sie stöhnte. Elliott wusste, wann ihr Flugzeug heute losfliegen würde und hatte trotzdem gewählt, sie jetzt zu kontaktieren, auf die direkteste und persönlichste Art und Weise, anstatt ihr, wie sonst, eine E-Mail zu schicken. Er versuchte, das wenige bisschen Zeit, das sie mit Milo noch hatte, von ihr zu nehmen. Sie schaltete ihr Handy aus und warf es zurück in ihre Tasche.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Milo.

„Ja“, sagte Keira mit einem schnellen Lächeln.

Aber in Wirklichkeit fühlte sie sich, als hätte die Realität sie mit einem plötzlichen Blitz wieder eingeholt. Ihre Fantasiereise war vorbei. Es war an der Zeit, in die reale Welt zurückzukehren.

*

Keira und Milo standen Hand in Hand nebeneinander am Ausgang zum Flugsteig für ihren Flug. Die Flugnummer begann im selben Moment auf dem Bildschirm zu blinken, als eine Stimme über den Lautsprecher ertönte:

 

„Dies ist der Aufruf zum Boarding für Swedish Air 145 von Stockholm nach New York. Wir möchten alle Passagiere bitten, sich zum Ausgang zu begeben.“

Keira drehte sich zu Milo. „Das bin ich“, sagte sie.

Er nickte. Sein Gesichtsausdruck war griesgrämiger als je zuvor, als er sich vorbeugte, um sie auf die Stirn zu küssen.

„Viel Glück bei allem, Keira“, sagte er.

„Das klingt so endgültig“, antwortete sie murmelnd.

„Entschuldige“, antwortete Milo. „Ich habe schon den ganzen Morgen das Gefühl von dir bekommen, dass es, sobald du abreist, zwischen uns vorbei sein wird.“

Keira zog ihre Augenbrauen hoch. Es erschien etwas ungewöhnlich für den sonst so geradeheraus sprechenden Milo, sich von seinem Gefühl leiten zu lassen. Aber er hatte nicht Unrecht.

Sie seufzte.

„Es ist einfach nicht praktisch“, sagte sie. „Das weißt du, oder? Du willst nicht fliegen oder Schweden verlassen und ich möchte nicht aus New York wegziehen. Das ist einfach, wie es ist. Es ist nicht meine Absicht, so kalt zu sein.“

„Nein, es ist in Ordnung“, sagte Milo mit einem Nicken. „Du weißt, wie sehr ich Ehrlichkeit schätze. Es ist einfach nur schade. Wir hatten so viel Spaß zusammen.“

„Es soll ja nicht so klingen, als würden wir nie wieder miteinander sprechen“, sagte Keira und schenkte ihm ein halbes Lächeln. „Wir können noch immer Freunde sein.“

Milos besorgte Miene erhellte sich ein bisschen. „Okay. Ja. Das würde ich gern.“

„Gut“, antwortete Keira mit einem erleichterten Seufzen. Sie konnte den Gedanken, dass er komplett aus ihrem Leben verschwinden würde, einfach nicht ertragen, obwohl sie sehr wohl verstand, dass sie sich romantisch gesehen voneinander lösen mussten.

Einladend öffnete Keira ihre Arme für eine Umarmung und Milo nahm sie an. Sie hielten einander für eine lange Zeit fest. Erst als die Stimme zum zweiten Mal aus dem Lautsprecher erklang, die die Passagiere bat, das Flugzeug zu besteigen, lösten sie sich wieder voneinander.

„Ich gehe jetzt besser“, sagte Keira. Sie sah ihm tief in die Augen. „Auf Wiedersehen, Milo.“

Er hielt ihre Hand fest, in einem Versuch die Zeit noch hinauszuzögern. „Ich weiß, das ist vielleicht etwas Seltsames zu sagen … aber, ich danke dir. Ich bin sehr glücklich, dich getroffen zu haben.“

Keira lächelte. „Es geht mir genauso.“

„Auf Wiedersehen, Keira.“

Als ihre Hand sich von Milos löste, drehte Keira sich weg und ging los. Als sie den Flugsteig erreichte und dem Mann dort ihre Bordkarte und ihren Pass reichte, sah sie ein letztes Mal zurück. Milo stand noch immer dort, wo sie ihn soeben zurückgelassen hatte. Sie winkte mit einem Anfall von Trauer in der Brust. Er winkte zurück.

„Bitte schön, Fräulein Swanson“, sagte der Mann und gab ihr ihre Dokumente zurück.

„Danke schön“, sagte sie und nahm sie entgegen.

Sie drehte sich nicht noch einmal um.

*

Keira begab sich zu ihrem Sitzplatz im Flugzeug. Obwohl sie ein bisschen traurig über das Ende der Dinge zwischen ihr und Milo war, fühlte sie sich ebenso energiegeladen. Ihre ganze Erfahrung in Schweden hatte sich wie eine Vorbereitung auf ihre neu gefundene Unabhängigkeit angefüllt.

Sie sah sich um und betrachtete die anderen Leute im Flugzeug. Auf den Plätzen links neben ihr saß ein sich küssendes Pärchen, ein bisschen weiter vorn eine Familie mit Kindern, die herumsprangen, während die Eltern versuchten, sie zum Hinsetzen zu bewegen. Zum ersten Mal war Keira nicht neidisch. Stattdessen fühlte sie eine neue Freiheit und Trost in ihrer Unabhängigkeit. Ihr Leben war anders, als das all dieser anderen Leute und sie würde es nicht anders wollen.

Mit einem ermutigten Gefühl zog Keira ihren Laptop aus ihrer Handgepäcktasche und begann an ihrem Artikel zu arbeiten. Sie wählte dieses Mal eine andere Herangehensweise, als sie es in ihren vergangenen Artikeln getan hatte und schrieb über die Freiheit des Ungebundenseins.

Von nun an, wenn ich liebe, werde ich es auf die skandinavische Art tun.

KAPITEL DREI

Am nächsten Morgen erwachte Keira mit Rückenschmerzen. Sie blinzelte und sah sich desorientiert um. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie verstand, wo sie sich befand. Nicht in Milos oder ihrem eigenen Zimmer bei ihrer Mutter, sondern in ihrer ganz neuen eigenen Wohnung. Leider war das Einzige, was sich gegenwärtig darin befand, eine Matratze. Noch nicht einmal ein Bettgestell, deshalb auch die Rückenschmerzen.

Keira schaffte es, sich aus dem Bett zu hieven. Die einzigen Kleidungsstücke in ihrem neuen Apartment waren die in ihrem Koffer. Glücklicherweise hatte Yolanta darauf bestanden, während der Weihnachtsferien alle ihre Sachen zu waschen, sodass sie jetzt wenigstens saubere Kleidung hatte, die sie tragen konnte. Sie wählte das arbeitstechnisch passendste Outfit aus ihrer Auswahl von Wollröcken und bequemen Jeans und ging dann hinaus auf die Straßen von New York City.

Sobald ihre Füße den Gehweg berührten, überkam sie ein Gefühl von Heimat. Sogar der Geruch der Luftverschmutzung beruhigte sie, obwohl es ein völliger Kontrast zu der klaren, sauberen Bergluft war, die sie in Schweden geatmet hatte.

Sie ging zu einem Kaffeewagen an der Straßenseite und reihte sich in die Schlange verschlafen aussehender Arbeiter ein, die alle auf ihre Telefone starrten.

„Ich nehme einen doppelten Espresso“, sagte sie zu dem Mann, als sie endlich an der Reihe war. Dann hielt sie inne. Sie hatte wochenlang den extra starken schwedischen Kaffee getrunken. Vielleicht war es an der Zeit für eine Veränderung. „Moment, kann ich bitte doch lieber einen Karamell Latte mit Sahne haben?“

Der Mann schenkte ihr einen müden, unbeeindruckten Blick und Keira grinste.

„Ich bin gerade aus dem Urlaub zurück. Ich möchte, dass mein Kaffee wie zu Hause schmeckt.“

„Gut für dich“, sagte er in einer trockenen, unbewegten Stimme.

Als sie auf ihren Kaffee wartete, bewegten sich die Leute, die auf der anderen Seite des Wagens Zucker zu ihrem Kaffee hinzufügten, etwas zur Seite. Zum ersten Mal bemerkte Keira, dass es dort einen Stand mit Zeitungen und Magazinen gab und mitten drin, lag die letzte Ausgabe von Viatorum. Genau wie Nina es erklärt hatte, war das Titelbild geändert worden und es zeigte jetzt eine der originalen Aufnahmen des Models, die sie von Anfang an geplant hatten zu benutzen. Es war eine Erleichterung zu wissen, dass man ihr zugehört hatte, aber sie fühlte einen Anflug der Angst, weil sie wusste, dass sie heute ihren schwedischen Artikel abgeben würde. Sie hatte keinerlei Ahnung, wie Elliot auf das Ende reagieren würde.

Nachdem Keira ihren Kaffee ausgetrunken hatte, begab sie sich in Richtung U-Bahn. Glücklicherweise war ihre neue Wohnung vom Büro aus gut erreichbar und es war keine lange Fahrt. So dicht an dicht mit so vielen Menschen zusammengepresst zu sein, sorgte sie daher nicht so sehr, als wenn sie von der Wohnung ihrer Mutter aus fahren musste.

Sie schaffte es zur anderen Seite und lief die kurze Distanz zum Viatorum Hauptsitz. Gerade als sie das Bürogebäude sah, hörte Keira, wie ihr Telefon mit einer SMS-Nachricht piepste. Sie sah nach und die Nachricht war von Bryn.

Kannst du heute zum Abendessen zu Mom kommen? Felix und ich möchten ein paar Neuigkeiten teilen.

Keiras Mund öffnete sich, als ihre Gedanken sofort zum Thema Heirat schweiften. Ihre Schwester würde doch sicherlich nicht so schnell diesen Schritt mit Felix gehen? Sie waren doch buchstäblich gerade eben erst zusammengezogen!

Keira tippte schnell ihre Antwort, die lautete, sie würde da sein. Dann steckte sie ihr Telefon weg – gemeinsam mit all den Gedanken, welches wohl Bryns Neuigkeiten sein könnten – und begab sich ins Büro.

Es war bereits sehr geschäftig darin. Seitdem Lance begonnen hatte, haufenweise neue Studenten und Praktikanten einzustellen – etwas, dass Elliott nicht sonderlich gefiel – war das Büro zunehmend geschäftiger geworden. Aber weil es sich in einem großen, offenen, umgebauten Lagerhaus befand, wurde der Geräuschpegel noch zehnfach verstärkt.

„Hallo Keira“, rief jemand und sie sah hinüber zu Meredith, die ihr zuwinkte.

Keira hatte Merediths Versuch, ihr heimlich ihren letzten Auftrag zu stehlen noch nicht vergessen, also begrüßte sie sie etwas eisig: „Guten Morgen.“

Sie suchte zwischen den Gesichtern nach jemandem, den sie kannte und sah Nina. Aber noch bevor sie die Chance hatte zu ihrer alten Freundin hinüberzugehen, stürmte Elliot aus seinem Büro. Er trug einen leuchtend roten Anzug und seine Stirn lag in tiefen Falten.

„Endlich!“, brüllte er, lief schnurstracks auf Keira zu und zog sie an ihrem Ellenbogen.

Das gesamte Büro drehte die Köpfe, um zu sehen, wie Keira von Elliot in sein Büro geschoben wurde. Ihre Wangen brannten so rot wie sein Anzug.

„Endlich was?“, fragte Keira aus ihrem Mundwinkel, als er sie halb durch den Türrahmen zog.

„Endlich bist du hier!“, rief Elliot.

Sie kamen zu seinem Büro und er knallte die Tür hinter ihnen zu.

„Was ist mit der Regel, die Türen offenzulassen?“, stichelte Keira. Es war eine von vielen lockeren Regelungen, die Lance eingeführt hatte, als er das Magazin gekauft hatte.

„Vertraue mir, du wirst froh sein, dass die Tür zu ist“, schimpfte Elliot.

„Bin ich in irgendwelchen Schwierigkeiten?“, fragte Keira und verschränkte ihre Arme. Sie genoss es wirklich nicht, so durchs Büro geschoben zu werden und sie konnte den Ton in dem Elliot mit ihr sprach definitiv nicht leiden.

Er drehte sich ihr mit verschränkten Armen zu. „Ich habe dir doch gesagt, der Abgabetermin ist endgültig. Und trotzdem gehst du zu weit. Versuchst du mir eine Lungenembolie zu verpassen?“

„Ich gehe zu weit? Was meinst du denn damit?“, antwortete Keira verwirrt. „Du hast mir bis heute Zeit gegeben. Und es sei denn, ich täusche mich hier irgendwie, ist heute heute!“

Elliots Grimasse verzog sich sogar noch mehr. „Bitte werde nicht frech, Keira. Du weißt ganz genau, dass die Drucker den Artikel spätestens um neun Uhr haben müssen. Und es ist viertel vor neun.“

Keira schnappte nach Luft. Sie hatte nicht gewusst, dass Elliot mit endgültigem Abgabetermin meinte, dass es direkt in den Druck ging! Normalerweise würden ihre Artikel mindestens durch zwei Runden Nachbearbeitung von Nina gehen, bevor sie gedruckt wurden.

„Es tut mir leid“, stammelte sie. „Ich habe es missverstanden.“

Elliots Augenbrauen waren zusammengezogen. Er wollte es nicht hören. Er streckte seine Hand mit der Handfläche nach oben zu ihr aus. „Gib mir den Artikel. Der sollte besser gut sein. Denn jetzt liegt alles an dir, Keira. Hundertprozentig nur deine Worte. Hundertprozentig deine Verantwortung.“

Sie schluckte, als das Gewicht davon einsank. Könnte sie wegen dieses Artikels gefeuert werden? Könnte dieser Artikel das Magazin ruinieren?

Keira wühlte schnell in ihrer Tasche und zog den Ausdruck des Artikels heraus, gemeinsam mit dem USB-Stick, auf dem sie das Original gespeichert hatte. Elliot griff nach dem Ausdruck ihres Artikels und ließ sich in seinen Stuhl sinken. Keira sah ihm nervös zu, wie er ihre Worte las.

Die Zeit schien sich ins Unendliche auszudehnen. Keira blickte über ihre Schulter und sah, dass die restlichen Leute im Büros zu ihr hinüberschauten, manche von ihnen mit zurückhaltenden Blicken von ihren Schreibtischen aus, andere gafften schamloser, wie sich alles entwickelte. Ihr Magen war aufgewühlt.

In seinem Bürostuhl, ein Bein steif über das andere geschlagen, die Augenbrauen zusammengezogen, blätterte Elliot nun auf die letzte Seite. Dies war der Teil, den außer Keiras Augen, bisher noch niemand gesehen hatte, der Teil, an dem sie auf ihrem Rückflug von Schweden gearbeitet hatte. Elliots Augen flogen von links nach rechts. Keiras Unbehagen wuchs mehr und mehr und Elliots Kiefer wurde immer angespannter.

Endlich blickte er mit geweiteten Nasenlöchern auf. „Was zum Teufel ist das!“

 

Keira schreckte hoch. Sie hätte sich keine schlimmere Sache vorstellen können, die er dazu sagen könnte.

„Was stimmt damit nicht?“, fragte sie und versuchte in Gedanken, irgendwelche offensichtlichen Fehler zu finden. Hatte sie aus Versehen einen falschen Ländernamen benutzt: Schweiz, vielleicht, anstelle von Schweden?

„Was damit nicht stimmt?“, wiederholte Elliot und wurde noch irritierter. „Was nicht stimmt, ist, dass du eine Romantik-Autorin bist, die kein verdammtes romantisches Ende schreiben kann! Julia hat Romeo nicht verlassen! Lizzy Bennet hat Mr. Darcy nicht am Flughafen zurückgelassen! Und Catherine hat es mit Heathcliff nicht einfach im Sande verlaufen lassen!“

„Man muss fairerweise sagen, dass keines dieser speziellen Beispiele besonders gesunde romanti –“

„Das ist mir egal!“, schnappte Elliot und unterbrach sie. „Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber Romantik ist nicht unbedingt meine starke Seite. Aber sogar ich weiß, dass die zwei Hauptfiguren nicht einfach reif miteinander Schluss machen! Bei Shane gab es die ganze Geschichte mit dem toten Vater. Gold! Cristiano war der verschmähte Schürzenjäger! Zauberhaft! Aber Milo? Milo … was … driftet einfach davon?“

Keira musste hart schlucken. Sie konnte sich nicht wirklich selbst verteidigen. „Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Es ist die Wahrheit und ich denke, meine Leser wissen das zu schätzen. Ich konnte nicht lügen, wie die Skandinavier ihre Beziehungen angehen oder darüber, was ich gelernt habe, als ich dort war.“

Elliot schüttelte den Artikel. „Du hast buchstäblich hier geschrieben, dass das, was du mit Milo hattest, nicht mit Worten beschrieben werden kann! Keira, dein ganzer Zweck ist es, über Beziehungen zu schreiben und du nennst es noch nicht einmal beim Namen!“ Er atmete tief durch und sein Kopf versank in seinen Händen. „Die Leser werden es hassen.“

„Ich stimme dir nicht zu“, antwortet Keira mutig. „Ich habe meine Leser überall auf der Welt getroffen. Sie wollen die Wahrheit. Sie respektieren meine Ehrlichkeit.“

Aber Elliot hört nicht zu. „Wir haben keine Zeit, es umzuschreiben. Wir sind zum Scheitern verurteilt.“

„Ich kenne meine Leser“, sagte Keira noch einmal intensiver. „Du wirst mir vertrauen müssen.“

Und als sie sah, dass Elliot noch immer vor sich hin murmelte und ihr keinerlei Beachtung schenkte, haute sie mit ihrer Faust auf den Tisch. Er zuckte erschrocken zusammen.

„Vertraue mir“, sagte Keira noch einmal ernst durch ihre Zähne. „Ich weiß, was ich tue.“

Elliot starrte sie eine lange Zeit still an. Endlich sagte er etwas: „Hoffentlich hast du recht.“