Zweiter Sieger

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Z serii: Trümmerprinzessin #3
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Ich kramte in meiner Geldbörse und förderte siebzig Mark zum Vorschein. „Das habe ich, aber etwas brauche ich noch. Also Fünfzig kann ich Ihnen schon mal geben, Herr?....“

„Wudke. Herbert Wudke. Hatte ich das eben nicht gesagt? Tschuldigung. Ja, ist gut. Und wie ist es dann mit dem Rest“? fragte der große Taxifahrer und lächelte mich freundlich an.

Sein Verständnis für meine Situation lag im Blick seiner freundlichen blauen Augen, das fand ich sehr sympathisch.

„Wöchentlich? Wenn der Robert seinen Lohn kriegt? “ schlug ich vor, ohne mir bewusst zu sein, dass ich dabei gar keine Summen vorschlug.

Der hübsche große Mann nickte und ich hatte das Gefühl, dass er nur mir zuliebe zustimmte. Denn auch er fragte nicht nach der Ratenanzahl.

Während Herr Wudke mir seine große Hand reichte um sich zu verabschieden, ging Robert zügig zur Treppe. So schnell war mein Mann noch nie zur Tür raus, nur um meiner Standpauke aus dem Weg zu gehen.

Dieser miese Feigling, dachte ich verächtlich. Weil ja klar war, dass mein Zorn schon am nächsten Tag verflogen sein würde.

knappe Kasse

Ausgerechnet beim Dienstbeginn meiner letzten Frühschicht rannte ich meine verflossene Affäre an der Hallentür fast um.

„Hoppla, nicht so stürmisch, pass doch mal auf!“ maulte Gerd ärgerlich, was bei mir sofort eine kritische Gegenreaktion hervorrief: „Pass doch selber auf, Trampel!“

Dann waren wir auch schon aneinander vorbei- er rein- ich raus aus dem Gebäude. Meine Laune für den Tag war hin.

Als ich nach Hause kam schliefen beide, mein Mann und der kleine Rene, beide offensichtlich zufrieden. Also hatte Renes Versorgung mal ausnahmsweise gut geklappt.

Schon am frühen Nachmittag wurde auch Robert wach, und ich sah ihm seine schlechte Laune gleich an.

„Was ist dir denn für ne Laus über die Leber gelaufen?“ erkundigte ich mich.

„Kein Wunder, ist doch Scheiße wenn ich nach so einer anstrengenden Nachtschicht auch noch den Stress mit dem Kleinen habe. So geht das nicht, so kann ich keine 12 Stunden-Schicht fahren. Ich habe kein Auge zugemacht- weil der Junge so unruhig war. Du musst dich selber um Rene kümmern. Entweder machst du nur Spätschicht oder geh zum Arzt und lass dich krank schreiben, damit du zu Hause bist. Ich schaff das nicht.“ Schimpfte Robert ärgerlich.

Verwundert fragte ich: „Sag mal, wie soll das gehen? Nur Spätschicht? Ich kann mir die Schicht nicht aussuchen. Außerdem wirst du doch wohl in der Lage sein, deinem Sohn ein Fläschchen zu geben? Das kann doch wohl nicht so schwer sein, oder wie?“

„Mit dem Füttern ist es ja nicht getan! Aber dass er sich bis zum Hals beschissen hatte, und ich das saubermachen musste, dann muss ich direkt kotzen, das weißt du doch, ich kann das einfach nicht! Nee, das kann ich nicht, du musst den Jungen selbst versorgen. Dann lass dich krank schreiben, bis meine Mutter den Rene wieder versorgen kann. Ich mache das nicht noch einmal! Heute Morgen war das letzte Mal. Das hat mir gereicht“, entschied Robert mit energischer Deutlichkeit!

„Ja, ist klar, Kinder machen könnt ihr Kerle, aber denen den Arsch abwischen müssen wir Frauen. Wieso man euch das starke Geschlecht nennt, ist mir ein Rätsel!“ konnte ich mir nicht verkneifen zu bemängeln.

„Ach halt doch dein dummes Maul“, knurrte mein Mann und ging wieder ins Schlafzimmer.

Zwei Tage war unser Leben ruhig, denn das waren meine freien Tage bevor die Spätdienst-Woche begann.

„Morgen fängt meine Spätschicht an, und dann ist es ja ganz einfach mit dem Kleinen“, erklärte ich meinem Mann. „Bevor ich gehe mache ich ihn fertig und lege ihn hin. Wenn du um kurz vor Sieben gehst, ist er nicht lange alleine. Ich bin ja spätestens gegen halb Acht oder viertel vor Acht zu Hause. Aber geh bitte nicht früher weg, hörst du?“

„Aber der schläft nicht immer gleich wieder ein, das war einmal. Warum gehst du denn nicht zum Arzt? Lass dich doch krank schreiben, das ist einfacher! Was bist du denn so rücksichtsvoll oder warum ist dir die Arbeit so wichtig? Gibt es da nen anderen Grund?“ fragte Robert misstrauisch.

„Mir ist die Kohle wichtig, nicht die Scheiß Arbeit, schließlich brauchen wir das Geld“, widersprach ich genervt.

„Ach die paar Mark bringen retten uns auch nicht mehr! Hör doch einfach auf, dich so wichtig zu nehmen, bleib zu Hause und kümmere dich um die Kinder, das ist einfacher“, sagte er in verächtlichem Ton.

„ Paar Mark? Für die wenigen Stunden verdiene ich schon gar nicht schlecht. Du musst mal das ganze drum herum mitrechnen. Kindergeld, Freifahrt, Vergünstigter Strompreis, und noch die Zusatzkasse für die Rente, da kommt schon einiges zusammen. Darauf sollen wir verzichten und mit deinem Geld auskommen? Wenn du nicht ständig so viel für deine Ausflüge ausgeben würdest, kämen wir vielleicht mit deinem Verdienst hin. Deine Kegelabende sind schon teuer genug, aber du musst dir ja auch noch zusätzlich Geld pumpen, was wir jetzt mühsam zurückzahlen müssen. Nee, mein Lieber, ich weiß nicht wie das gehen soll!“ versuchte ich meinem Mann unsere Situation klar zu machen.

Er winkte ab, und ging zur Tür.

„Hey, wo willst du denn so früh hin? Es ist doch noch keine Sechs. Du musst doch erst in ner Stunde anfangen“, rief ich ihm hinterher, aber er hörte mich nicht mehr.

Schon zwei Tage später hielt mich mein Schwiegervater im Treppenhaus auf, als ich von der Arbeit nach Hause kam.

„Komm doch mal bitte rein, Ruth“, bat er mich.

„Aber ich muss erst nach den Kindern sehen, ich komme gleich!“ mit den Worten wollte ich die Treppe hinauf gehen.

„Die sind hier unten bei uns“, widersprach er.

„Was? Wieso das denn? Ist was passiert?“ fragte ich erschrocken und folgte ihm in die Wohnung.

Meine Schwiegermutter lag auf der Couch und der Kleine friedlich schlafend neben ihr. Am Fußende hockte Ramona.

„Warum sind denn die Kinder hier?“ ahnte ich schon böses.

Dann erfuhr ich, dass Robert schon viel zu früh weggegangen war, bevor Rene schlief. Der Junge hatte wohl seinen Brei ausgebrochen, sich damit ganz schmutzig gemacht und geweint. Weil Ramona sich keinen Rat wusste hatte sie die Schwiegereltern gerufen.

„So geht das nicht, Ruth!“ sagte mein Schwiegervater vorwurfsvoll. „Ihr könnt den Rene nicht der Ramona überlassen und beide weggehen, das Mädchen ist noch zu jung um einen Säugling zu betreuen. Wenn der Robert nicht in der Lage ist so lange zu Hause zu bleiben bis du kommst, dann musst du aufhören zu arbeiten und zu Hause bei deinen Kindern bleiben. Die Mami ist noch nicht gesund genug um wieder einzuspringen. So etwas wie heute darf nicht wieder vorkommen.“

„Ich weiß nicht, warum der Robert so früh geht, der muss ja erst um Sieben anfangen. Ich weiß auch nicht, wieso der nicht mehr von dem Kollegen abgeholt wird, das war doch bisher so. Auf den Mann ist aber auch gar kein Verlass. Sicher wäre es besser, wenn ich zu Hause bliebe, solange der Junge noch klein ist, aber wir brauchen doch meinen Verdienst! Mit Roberts Lohn alleine, kommen wir nicht aus. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Ich war ratlos und niedergeschlagen.

„Ja, das ist schon ein Problem, aber wenn du schon mitarbeiten musst, dann zu einem Zeitpunkt wenn Robert zu Hause ist. Deine Schichtarbeit ist das Problem. Vielleicht solltest du dir eine andere Arbeit suchen? Besprich das mal mit Robert.“

Meine Schwiegermutter hatte zu den Worten ihres Mannes nur zustimmend genickt, versuchte dann tröstend abzuschwächen: „Der Pappi hat zwar recht, aber so schnell ist das ja vermutlich nicht zu ändern, du hast ja sicher Kündigungszeit? Ich bin zwar bald wieder auf den Beinen, und kann dir wieder helfen, aber nur noch kurze Zeit. Auf Dauer ist mir das auch zu anstrengend. Du solltest also wirklich sehen, dass du in absehbarer Zeit eure Zeiteinteilung änderst. Also bei den Stadtwerken kündigen und dir eine andere Arbeit suchen wird wohl das Beste sein.“

Die verfahrene Situation hatte mir so viel Kopfzerbrechen bereitet, dass ich eine ganz unruhige Nacht hinter mir hatte, sodass ich beim Aufzustehen einen Brummschädel hatte.

Kaum hatte ich den Kleinen fertig gefüttert und gewickelt, und war gerade dabei Ramonas Schulbrot zu machen, als mein Mann nach Hause kam.

„Nanu, so früh“? staunte ich.

„Was denn nun? Auch nicht richtig? Komm ich zu spät, meckerst du, komme ich zeitig weil ich mich beeilt habe, ist dir das auch nicht recht? Weiber! Da soll ein Mann noch durchblicken!“

Mein Mann war offenbar auch nicht bester Laune, was bei ihm aber keine Seltenheit war.

Ungeachtet seiner miesen Stimmung erzählte ich ihm gleich von dem abendlichen Vorfall und der Standpauke seines Vaters.

„Sag ich doch! Kündige diese Scheiß-Schichtarbeit und bleib zu Hause. Schließlich verdiene ich ja nicht schlecht, müssen wir halt ein bisschen kürzer treten. Wird schon klappen“, kommentierte er nur und verzog sich ins Schlafzimmer.

Beim nächsten Windeln wechseln fand ich Renes Bauchlage seltsam. Ich war der Meinung dass er eine total schiefe Haltung hatte. Sofort trug ich den Jungen hinunter zu meiner Schwiegermutter, erklärte ihr meine Vermutung und fragte sie um Rat.

„Ich glaube, der Rene hat einen schiefen Oberkörper. Wenn der auf dem Bauch liegt, hängt der nach einer Seite. Schau dir das doch bitte mal an. Ich denke, ich sollte mit ihm zum Doktor Remmers gehen. Was meinst du?“ damit legte ich meinen Sohn bäuchlings auf den Küchentisch. „Guck mal, Mami, angezogen fällt das nicht auf, aber wenn er nackt ist, warte ich ziehe ihn mal kurz aus!“

Auch meine Schwiegermutter bestätigte meine Entdeckung.

 

„Ich gehe morgen früh hin, dann hat der Herr Doktor Sprechstunde, er ist der bessere Arzt. Zu seiner Frau in die Nachmittags- Sprechstunde gehe ich nicht, obwohl die mich bestimmt gleich krankschreiben würde. Aber das hilft dem Kleinen nicht“, überlegte ich welchen Arzt ich von dem Ehepaar Remmers konsultieren sollte.

Meine Schwiegermutter wusste Rat, sie empfahl mir: „Wenn du zu Hause bleiben willst musst du zu ihr gehen, die schreibt dich direkt krank. Das machst du am besten noch heute. Aber dann kannst du den Jungen ruhig mitnehmen, die ruft doch sowieso ihren Mann wenn etwas über ihren Horizont geht. Wenn die Agnes unseren Rene sieht und du deine Vermutung sagst, ruft die ihren Karl-Herrmann, wetten?“ lachte meine Schwiegermutter amüsiert.

Sie kannte die Ärztin schon seit Kindertagen, war mit ihr zur Schule gegangen, und hielt nicht viel von ihr. Ob zu Recht oder nicht, im Vergleich zu ihrem Ehemann war Frau Doktor Remmers sicher fachlich unterbelichtet. Das stand zweifelsfrei fest.

Am frühen Nachmittag machte ich mich also auf den Weg zu der nahegelegenen Arztpraxis.

Die Ärztin war zwar alles andere als eine Schönheit aber sehr freundlich und Kinderlieb.

Als sie meinen Sohn sah strahlte sie erfreut und begrüßte mich herzlich.

„Ach der ist ja niedlich, wie glücklich müssen Sie doch sein, Frau Woods. So ein hübsches Kind habe ich mir immer gewünscht. Leider, leider ist mir dieser Wunsch verwehrt geblieben. Und Sie haben gleich zwei süße Kinder. Beneidenswert. Aber was gibt es denn für ein Problem? Mit dem Jungen oder mit Ihnen, Frau Woods?“ fragte die Ärztin besorgt.

„Eigentlich mit uns beiden, ich fühle mich zwar elend ausgelaugt, aber zuerst möchte ich Ihnen meine Sorge wegen Renes Rücken zeigen.“ Sagte ich worauf sie mich anwies, den Jungen auszuziehen.

„Sie bleiben dann wohl besser mal ein paar Tage zu Hause, ich schreiben Ihnen gleich eine Krankmeldung“, sagte die Ärztin ohne jegliche Untersuchung.

Als sie den Kleinen betrachtete, meinte sie: „Moment mal, Frau Woods, das soll sich mein Mann auch mal ansehen.“

Dann rief sie in die Haussprechanlage: „Karl-Herrmann komm bitte mal runter, das musst du dir ansehen!“

Ein paar Minuten später betrachtete Herr Dr. Remmers Renes Rückseite.

„Ja, Sie haben ein gutes Auge, Frau Woods, es stimmt, der Junge hat eine krumme Wirbelsäule im oberen Brustbein. Guck mal hier Agnes, das sieht man schon an der Po-Falte, die beiden Po-Backen sind nicht gleich, und die Falte geht nach rechts. Das ist sicher von der Geburt. Hat es bei der Geburt Komplikationen gegeben, Frau Woods?“ fragte der Arzt.

Ich erklärte zögernd: „Na ja, die war nicht so einfach. Die Wehen blieben 12 Stunden lang konstant im Fünf-Minuten-Rhythmus, dann musste die Geburt eingeleitet werden und die Fruchtblase gesprengt. Rene war eine Scheitellage, und das habe ich auch gemerkt, deshalb bin ich dabei auch gerissen. Also einfach war es nicht.“

Der Arzt nickte, sagte: „Dabei wird wohl die Wirbelsäule was abbekommen haben. Aber keine Sorge, Frau Woods, das kriegen wir wieder hin. Die Knochen sind ja noch weich, mit dementsprechender Gymnastik kann ein Physiotherapeut das wieder gerade biegen. Erst mal gehen Sie mit dem Kleinen zum Röntgen, danach sehen wir ob ich Recht hatte. In Ordnung? Agnes schreib ne Überweisung zum Radiologen. Tschüss Frau Woods, wir sehen uns bald.“

Nachdem der Arzt den Raum verlassen hatte, klagte ich noch über schlimme Kopfschmerzen und Schlafstörungen.

„Müssen Sie denn noch arbeiten, Frau Woods?“ fragte die Ärztin und auf mein Nicken sagte sie: „Dann schreib ich Sie mal erst eine Woche krank. Und wenn es dann noch nicht besser ist, verlängern wir noch einmal. Und hier das nehmen Sie vor dem Schlafengehen und die Tabletten gegen die Kopfschmerzen. Wir sehen uns dann nächste Woche wieder, dann werden Sie vielleicht schon die Röntgenbilder haben. Und gehen Sie in den nächsten Tagen mit dem Kleinen zum Radiologen!“

Der gelbe Schein hatte mir also erst einmal eine Pause verschafft, sodass ich mich neu orientieren konnte.

Die Röntgenaufnahmen bestätigten die ärztliche Diagnose, Renes Wirbelsäule hatte die Form eines Fragezeichens. Bei dem nächsten Arztbesuch bekam ich ein Rezept für Kranken-Gymnastik und die Anweisung, mit meinem Sohn umgehend dort vorstellig zu werden. Doktor Remmers wies mich gleich darauf hin, dass ich mich um eine langwierige Behandlung einrichten könne.

Das bestätigte sich, als ich in der Physiotherapie den Behandlungs-Plan bekam.

„Stell dir vor, zwei Mal wöchentlich über mindestens sechs bis acht Monate muss ich mit dem Kleinen dahin. Das ist aber eine sehr Zeitraubende Sache“, berichtete ich meinem Mann.

„Du machst das schon. Was sein muss, muss halt sein.“ Mehr gab sein Interesse dazu nicht her.

Als meine Kranken-Tage vorbei waren, musste ich zum Depot um mich über meinen Dienstbeginn zu informieren. Weil Robert tief und fest schlief musste ich Rene mitnehmen. Also packte ich den Kleinen in den Kinderwagen und fuhr zur Weidenstraße.

An dem Aushang des Dienstplans konnte ich meine Dienstnummer nicht finden, deshalb nahm ich meinen Sohn auf den Arm und ging ich zu dem Büro der Fahrdienstleitung in der oberen Etage.

Die Sekretärin des Betriebsleiters war erstaunt über mein Erscheinen, wusste aber auch nichts darüber und bat mich um Geduld, sie werde sich erkundigen. Während ich das Baby auf dem Arm wiegte, betrachtete mich die Frau skeptisch.

Als sie einige Telefonate getätigt hatte, erklärte sie mir: „Tja Frau Woods, man hat Sie entweder vergessen oder noch nicht mit Ihrer Gesundung gerechnet. Sie sind in den nächsten Wochen noch nicht eingeplant und alle Dienste sind auch schon eingeteilt, zumindest für die nächsten vierzehn Tage. Also gibt es nur die Möglichkeit in Bereitschaft zu sein. Allerdings sollen Sie hier in der Halle während der Bereitschaftszeit in der Kantine helfen, damit ist beiden Seiten gedient, sagt der Chef. Anfang morgen um fünf Uhr bis neun Uhr. Aber wie die Arbeitszeit in den nächsten Tagen aussieht muss erst noch mit dem Küchenpersonal geklärt werden. Das sagt Ihnen dann jeweils am Tag vorher die Kantinenleiterin Frau Müller. Alles verstanden?“

„Wie? Ich soll Küchendienst machen? Dafür bin ich nicht eingestellt. Und dann noch jeden Tag anders? Keine festen Arbeitszeiten? Ich bin doch keine Marionette, die man beliebig hin und her schieben kann. Ich habe Familie, Kinder, ein Kleinkind, wie Sie sehen. Nein, Sie können dem Herrn Meis sagen, dass ich damit nicht einverstanden bin. Diesmal werde ich mich wehren! So wie in meiner Schwangerschaft lass ich mich nicht noch einmal behandeln. Ich kann erwarten, dass meine Dienstzeiten planmäßig vorausschaubar sind, wie es bisher auch immer war. Sagen Sie ihm bitte, dass ich morgen zwar zum Dienst erscheine, den einen Tag auch ausnahmsweise in der Kantine aushelfe, aber nicht länger. Dann möchte ich meinen geregelten Dienstplan haben, das steht in meinem Arbeitsvertrag. Ansonsten werde ich andere Schritte unternehmen. Auf Wiedersehen.“

Wütend ließ ich die Verdutzte stehen und ging hinaus.

Zu Hause erwartete mich die nächste unangenehme Überraschung.

Mein Mann eröffnete mir kurz und bündig: „Ich fahre nicht mehr Taxi. Ich hab gekündigt.“

„Na toll! Dann wird es ja in Kürze richtig knapp in unserer Kasse“, entfuhr es mir entsetzt!

Neue Hoffnung

„Nun reg dich nicht gleich auf, wir werden schon nicht verhungern. Ich will nur nicht mehr nachts arbeiten und auch keine zwölf Stunden, für diesen Hungerlohn. Nee, ich habe schon eine andere Arbeit. Eine Bessere mit mehr Verdienst. Dann kannst du endlich den Mist Schichtdienst hinschmeißen und ich kann mich auf die nächste Prüfung vorbereiten, die ist nämlich in drei Monaten. Der Bescheid ist heute per Post gekommen. Bis dahin muss ich noch ein paar Nachhilfe-Stunden machen, sonst verkack ich die Buchhaltung vielleicht noch einmal. Also, keine Sorge, das schaffen wir schon!“ erklärte Robert mit Nachdruck.

Ich fragte erstaunt: „Das ist zwar mal eine gute Nachricht. Keine Nachtarbeit mehr, ist mir natürlich auch lieber. Nur, warum so plötzlich, das wundert mich schon. Was willst du denn anderes machen?“

Robert erwiderte verächtlich: „Warum? Ach, ich hatte Krach mit der Frau Schwerte. Diese alte Giftspritze schreit mich wegen ner Kleinigkeit an, über Funk, stell dir das mal vor. Das lass ich mir doch nicht gefallen. Ich habe ihr gleich gesagt, sie kann ihre Lakaien so anschnauzen, aber mit mir macht die das nur einmal. Ich habe ihr die Karre direkt vor die Zentrale gestellt, gesagt dass sie mich mal kann, und bin nach Hause gegangen. Ganz zufällig hatte ich nämlich meinen Cousin Ralf Büttner kurz vorher gefahren und der hat mir gleich ein super Angebot gemacht. Da kam mir der Streit mit der Alten gerade richtig. Also keine Sorge, ich fang gleich morgen an!“

„Aha! Und mit was und wo fängst du an?“

„Ab morgen werde ich Autos lackieren! Wozu bin ich denn Lackierer-Meister? Der Ralf hat ne große Tankstelle und jede Menge Aufträge, und ihm fehlte nur ein Fachmann für die Lackier-Arbeiten. Natürlich hat der direkt an mich gedacht, als er die Aufträge kriegte. Wenn der nicht zufällig zu mir ins Taxi gestiegen wäre, hätte der mich in den nächsten Tagen aufgesucht. Tja, mein Schatz, jetzt wirst du sehen was dein Mann alles kann. Jetzt gibt es richtig Kohle. Also kündige und kümmere dich um deine Kinder und um mich natürlich. Und damit fangen wir gleich an!“ prahlte mein Mann und tatschte mir süffisant grinsend an den Brüsten herum.

Widerwillig wehrte ich ab und wollte stattdessen von meiner Arbeitsanweisung berichten.

Als ich meinem Mann von meinem Ärger erzählte hatte, wiederholte er noch einmal: „Ärger dich nicht rum, kündige!“

Weil ich von diesem Cousin noch nie etwas gehört hatte, musste ich Roberts Worten glauben und hoffen, dass seine Voraussagen den Tatsachen entsprechen werden.

Ralf Büttner war deutlich älter als wir und er entpuppte sich als sehr charmanter Mittvierziger. Zwar keine Schönheit, aber von dem Mann ging eine enorme Anziehungskraft aus, das spürte ich gleich.

Ralf gab sich selbstsicher und großzügig, erzählte von den zu erwartenden guten Gewinnen und er machte mir tatsächlich sehr viel Hoffnung auf unser zukünftiges Leben.

Auch er fand, dass ich nicht mehr arbeiten solle, und überzeugte mich mit den Worten: „Das wäre doch gelacht, wenn wir das nicht allein hinkriegten, was Robert? Nein, nein, meine Frau hatte es noch nie nötig zu arbeiten. Du auch nicht Ruthchen. Bleib mal zu Hause, außerdem bist du für diese Arbeit viel zu hübsch.“

Ralfs positive Auswirkung auf mich gab den letzten Ausschlag; dass ich am nächsten Vormittag mit gutem Gefühl kündigte.

Schon bald lernte ich Ralfs Familie kennen. Er wohnte mit seiner Frau und den drei schulpflichtigen Töchtern am anderen Ende der Stadt. Seine Frau war Engländerin, was nicht zu überhören war, die jüngste Tochter war in Ramonas Alter. Seine Frau erwies sich als sehr unfreundlich, was ich von den englischen Soldatenfrauen gar nicht kannte, und was auch überhaupt nicht zu dem charmanten Ehemann passte.

Allerdings erfuhr ich bald darauf, dass meine Schwiegereltern von der entfernten Verwandtschaft wenig hielten. Die Mimik meiner Schwiegermutter sagte alles. Die Missbilligung stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie den Namen Büttner, im Zusammenhang mit Roberts neuer Tätigkeit, hörte.

Ralfs Tankstelle lag ebenfalls in einem anderen entfernten Stadtteil, an einer gut frequentierten Durchgangsstraße. Aber für uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen. Allerdings erledigte sich dieses Problem sehr schnell, denn Robert kam bereits nach seinem ersten Arbeitstag mit einem VW Käfer nach Hause.

„Guck mal, Ruthchen, wie gefällt dir unser neues Auto?“ fragte er voller Stolz.

Ich war erst einmal sprachlos, fühlte mich überrumpelt.

„Hat der Ralf mir gegeben, schließlich muss ich ja zur Arbeit kommen. Ist sehr günstig und ich kann den Preis abarbeiten. Brauche ich nicht sofort bezahlen, sondern langsam, von jedem fertigen Auftrag eine kleine Rate. Tja Rutchen, das ist der Vorteil wenn man selbständig ist. Wenn man quasi an der Quelle sitzt. Ha ha ha!“ teilte mir mein Mann, voller Stolz, mit.

„Wieso selbständig? Versteh ich nicht“, fragte ich erstaunt, ohne auf den Autokauf einzugehen.

Strahlend prahlte mein Mann: „Ja, siehste, Ruthchen, so schnell kann man an eine Geschäftsbeteiligung kommen wenn man den richtigen Beruf hat und gut ist. Ich habe es doch nicht nötig für meinen Cousin zu arbeiten, nein. Das habe ich direkt abgelehnt. Der braucht mich doch, aber nicht umgekehrt. Natürlich machen wir halbe-halbe. Aber davon verstehst du eh nix. Lass mich nur machen, wirst schon sehen, dass dein Mann eben ein Meister ist!“

 

„Und du meinst das lohnt sich? Wie viel kriegst du denn für das Lackieren?“ interessierte mich nur die finanzielle Seite der Sache.

Stolz erklärte Robert: „Unterschiedlich, aber zwischen Tausend und Fünfzehnhundert pro Auto. Und der Ralf hat viele Aufträge. Das wird ein gutes Geschäft, mit dickem Gewinn.“ Dabei rieb sich mein Mann die Hände in freudiger Erwartung.

Ich war beeindruckt, freute mich auch darauf nicht mehr jede Mark umdrehen zu müssen.

Aber auch über unseren neuen fahrbaren Untersatz freute ich mich insgeheim sehr, denn endlich hätte ich auch die Gelegenheit Fahrpraxis zu bekommen, und nicht mehr ständig mit den ehemaligen Kollegen im Bus fahren zu müssen.

Allerdings sah Robert den Wagen als sein persönliches Eigentum an, und gleich bei meiner ersten Anfrage, nach dem Autoschlüssel, gerieten wir in Streit.

„Nein, das kannst du mal gleich vergessen, das Auto brauche ich! Meinst du, ich lass mir den Wagen von dir kaputt fahren? Fahr mal schön weiterhin mit dem Bus. Alleine mit meinem Wagen zu fahren, das traue ich dir nicht zu. Du hast noch keine Fahrpraxis.“ Lehnte mein Mann mein Ansinnen kategorisch ab.

Sauer erwiderte ich: „Was ist los? Dein Wagen? Seit wann gibt es in einer Ehe mein und dein? Wenn wir ein Auto haben, dann ist das unser Auto, das ist ja wohl klar? Du hast zwar recht, dass ich noch nicht oft gefahren bin, und alleine auch nur einmal mit Vatis Käfer, aber dann muss ich das endlich nachholen. Jetzt hab ich ja die Möglichkeit zu üben, mit unserem eigenen Auto. Meinetwegen auch anfangs mit dir daneben. Aber ich lasse mir von dir nicht verbieten das Auto zu fahren. Schließlich habe ich auch schon seit einem Jahr den Führerschein.“ Bestand ich trotzig auf meinem Recht als Ehefrau.

Mürrisch gab Robert nach: „In Ordnung, mit mir als Beifahrer kannst du üben.“

„Wie gnädig!“ frotzelte ich.

„Dumme Kuh, was erwartest du eigentlich?“ maulte er ärgerlich.

Wie schnell die Liebe abkühlt und der Ton kritisch wird, dachte ich nur traurig und schwieg.

Zwar war Roberts Arbeitszeit verändert, nicht mehr nachts, aber wesentlich kürzer war sie dennoch nicht. Auch kam es immer häufiger vor, dass er nach der Arbeit mit seinem Cousin noch einen Trinken ging. Ralf schien dem Alkohol auch nicht unbedingt feindlich gesonnen zu sein.

Das Schlimme daran war aber, dass mein lieber Mann sich dann noch ans Steuer setzte und quer durch die Stadt die acht Kilometer nach Hause fuhr.

Oft fragte ich ihn: „Reicht es dir nicht, dass du schon zweimal den Führerschein weg hattest? Hast du vergessen, dass das auch noch richtig teuer war und du noch in den Knast musstest? Mit deinem Leichtsinn setzt du unsere Existenz aufs Spiel!“

Meist wurde er dann ziemlich grob und schimpfte: „Ach halt doch dein Maul! Was du alles weißt, du Neunmalklug! Und wieso eigentlich unsere? He?“

In der Regel hielt ich es dann für besser zu schweigen.

Aber Roberts Zusammenarbeit mit Cousin Ralf hatte schon einige Vorteile, auch wenn der Gewinn nicht so schnell und so reichlich floss, wie die Beiden es behauptet hatten. Ein Auto war eben doch nicht so schnell lackiert, ob guter Meister oder nicht.

Dafür wurden so manche Abende, speziell am Wochenende, mit amüsantem Zusammensein gefüllt. Ralf war nicht nur ein lustiger, offener Unterhalter, sondern auch ein charmanter Gentleman. Er baggerte mich ganz offen an. Und ich fühlte mich geschmeichelt.

Seltsamerweise war Ralfs Frau nie dabei, auch an der Tankstelle ließ sie sich niemals sehen, dabei hätten die beiden Männer eine tatkräftige Hilfe ganz gut brauchen können; denn bei dem regen Betrieb musste Robert die Lackierarbeiten überwiegend alleine machen, weil Ralf mit tanken und kassieren beschäftigt war.

Als ich Cousin Ralf einmal fragte, warum seine Frau nicht mithalf, erwiderte er: „Stimmt wohl, eine Frau an der Kasse wäre sicher hilfreich, und wenn du es machen könntest, auch noch ein schöner Anblick, aber meine Frau würde uns nur die Stimmung vermiesen. Nee, das muss nicht sein.“

Alles war einigermaßen im Lot bis eines Abends ein überraschender Besucher erschien. Ich hatte eben den Kindern das Abendessen gegeben und wollte den Kleinen ins Bett bringen, als es klingelte.

Als ich die Etagentür öffnete staunte ich nicht schlecht, Herbert Wudke stand vor mir, grüßte verlegen: „Nen Abend Frau Woods. Ist der Robert zu Hause?“

Verwundert erwiderte ich: „ Nein Herr Wudke, mein Mann ist noch arbeiten. Kann ich Ihnen helfen?“ dabei ahnte ich schon was der Taxifahrer von Robert wollte.

Er war verlegen, stotterte ein wenig: „Tja, ich weiß nicht. Aber eigentlich, na ja, wollte ich schon mit Robert selbst sprechen.“

„Nichts da, kommen Sie herein!“ verlangte ich energisch und führte ihn ins Wohnzimmer.

„Haben Sie ein paar Minuten Zeit? Ich will eben den Jungen ins Bett legen“, fragte ich und auf sein Nicken bat ich ihn: „setzen Sie sich doch, ich brauche nur fünf Minuten.“

Dann wies ich meine Tochter an, noch einmal ihre Hausaufgaben durchzusehen und ließ sie am Esstisch zurück um mit dem Taxifahrer zu sprechen.

Als der Gast mein Getränke-Angebot ablehnte fragte ich rundheraus: „Wie viel schuldet mein Mann Ihnen noch, Herr Wudke?“

„Siebzig!“ sagte der Mann verlegen.

Ich gab mir Mühe mein Entsetzen nicht zu zeigen, fragte ruhig: “Und Sie haben sich da nicht verrechnet? Ich dachte eigentlich, das sei längst erledigt. Aber immer noch Siebzig? Oder schon wieder?“ bohrte ich nach.

Dann kam heraus, dass mein lieber Mann sich erneut Geld geliehen hatte, natürlich wieder im besoffenen Kopf.

„Es ist mir echt peinlich, Frau Woods, und Sie dürfen auch nicht denken, dass ich unehrlich bin oder Zinsen aufschlage, aber ich arbeite auch für mein Geld. Und der Robert hat mir die Rückzahlung für den nächsten Tag versprochen, aber das ist nun schon 2 Wochen her.“ Rechtfertigte sich der Mann.

„Nein, nein, Herr Wudke, schon gut, ich muss mich entschuldigen. Er mir nur nicht gesagt, wie viel es war und auch nicht dass er noch nicht bei Ihnen war.“ Log ich, „leider hab ich momentan nicht so viel im Haus, aber ich kann Ihnen schon mal die Hälfte geben und Robert wird Ihnen den zweiten Teil dann morgen bringen. Kann er das bei Schwerte in der Zentrale abgeben?“ organisierte ich die Rückzahlung.

Der Taxifahrer schüttelte den Kopf, erwiderte nachdenklich: „Glauben Sie denn, dass der Robert in die Zentrale kommt? Das kann ich mir echt nicht vorstellen. Der wird sich hüten wenn die Frau Schwerte da ist. Nachts zum Alten kommt er vielleicht. Aber ich kann auch morgen nach Feierabend wieder hierher kommen, den Rest abholen.“

Verwundert wollte ich wissen: „Warum soll er sich vor der Frau Schwerte drücken? Wegen der kleinen Lappalie? Das ist doch längst vergessen!“

Herbert Wudke sah mich entgeistert an, dann lachte er laut: „Lappalie? Na, Sie sind ja gut. Oder was hat er Ihnen erzählt warum es gekracht hat?“

„Warum hat es denn gekracht, wenn Sie das Wort so lustig finden, Herr Wudke?“ Ich konnte meine Spannung kaum verbergen und starrte ihn herausfordernd an.

Was ich dann erfuhr war ungeheuerlich.

Mein Mann und noch ein Kollege waren in Roberts letzter Nacht an einer unübersichtlichen Stelle frontal zusammen gestoßen. Beide Taxen wurden schwer beschädigt, und zwar durch eigenes Verschulden beider Fahrer. Weil die sich einen Spaß daraus gemacht hatten, zu wetten, wer den Mut hatte durchzufahren oder wer bremsen würde. Keiner hatte gebremst. Den Schaden müssen die Fahrer bezahlen.