Leichte Beute

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Z serii: Trümmerprinzessin #2
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Von den beiden anderen Clubs, war im Eckstumpf mittlerweile sogar gähnende Leere, sodass der sich nicht mehr lange würde halten können, nur der Beat-Club in Ohligs, dieser dunkle Schlauch, war noch gut besucht. Was meiner Meinung nach, mehr an der Würstchen-Attraktion Conny, als an dem dunklen Saal und seinen Betreibern lag, obwohl die Musik zunehmend besser wurde. Man spielte sehr viel die neue Musik von den englischen Pilzköpfen, nach denen der Club auch benannt war. Damit war die Konkurrenz gefährlich auf dem Vormarsch.

Noch dazu hatten die Anderen den Vorteil, günstiger gelegen zu sein, denn zum Lochbachtal fuhr leider immer noch keine Buslinie. Ich ahnte schon, dass meine Club-Zeit nicht mehr lange dauern würde. Aber ich blieb unermüdlich im Einsatz. Ich wollte es nutzen, so lange es ging.

Mein Geschäftssinn war geweckt.

untreu

Ich hatte schon ein unterschwelliges, ungutes Gefühl, so als läge ein Unheil in der Luft, aber von welcher Seite das auf mich zukam, ahnte ich nicht im Entferntesten.

Einige Wochen, fast drei Monate, ging es mehr schlecht als recht mit meinem Kartenverkauf und ich erwischte mich selbst dabei, dass ich auch schon betrog. Schon bei meinem Vorgänger hatte man darüber gemunkelt, dass er nicht alle Marken abstempeln ließ. Robert hatte im Schreibwarengeschäft immer zwei Blöcke von der gleichen Farbe gekauft, von denen er einen, treubrav, vom Stadtsteueramt abstempeln ließ.

Den zweiten Nummernblock von der gleichen Farbe hatte er dann ebenfalls für den Verkauf genutzt, um auf die Art die Steuer zu sparen, und so mehr Geld in der eigenen Tasche zu haben. Denn erst die verkauften Nummern, musste man mit dem Steueramt abrechnen. Viele Clubmitglieder hatten das gewusst, aber dank Roberts schneller Faust, keinen Einspruch gegen seinen offenen, kleinen Betrug erhoben.

Bei mir traute man sich. Einmal sprach mich ein unbekannter, männlicher Besucher darauf an.

Der blonde Knabe war erst zum zweiten Mal in unserem Club, und er fragte kess: „Und führst du auch korrekt die Steuer ab?“, dabei grinste er frech, und hielt demonstrativ die Garderobennummer gegen das Licht.

Meine freche Erwiderung: „Klar, was denkst du denn?“, blieb mir, dank seiner Antwort, fast im Halse stecken.

„Dann muss ich blind sein! Ich sehe keinen Stadtstempel. Betrügst du etwa die Steuer? Dann muss ich das entweder melden, oder du gibst mir mein Eintrittsgeld zurück. Was ist dir lieber?“, fragte er zynisch grinsend, und sah mich herausfordernd an.

Empört baute ich mich breitbeinig, mit in die Seiten gestützten Armen, vor ihm auf, und forderte zornig: „Einen Tritt, und durch die Tür fliegen, kannst du kriegen, du Penner. Wenn dir hier was nicht passt, verschwinde, aber ganz plötzlich. Wie ich das hier handhabe, ist einzig und allein meine Sache, kapiert? Solche Typen wie dich, brauchen wir hier nicht, damit du klar siehst. Also, hier hast du deine 2 Mark, und zisch ab. Aber die Eintrittsmarke will ich zurück haben. Los. Mach schon!“, befahl ich energisch und hielt ihm das Zweimarkstück hin.

Er knickte ein, meine lautstarke Aufforderung, hatte einige unserer Clubmitglieder angelockt. Roberts Kumpels, starke Jungs, die auf fremde Randalebrüder recht grantig reagierten. Als die bedrohliche Mauer, aus grimmig dreinblickenden jungen Männern, vor dem Frechdachs stand, hob er abwehrend beide Hände, und korrigierte: „Aber nicht doch, Leute, das war doch nur Flachs. Ich bin doch gerne in der Szene, ich wollte doch keinen Streit. Ruth, bitte, nimm es mir nicht krumm, natürlich mach ich das nicht, ich verpfeife doch niemand. Gut? Kann ich bleiben? Wenn du nicht willst, dann geh ich natürlich. Tschuldige, noch mal“, schleimte er unsicher.

„Ist in Ordnung. Dann will ich mal nicht so sein“, gab ich mich großzügig. „Aber woanders passt du besser auf, was du sagst. Das ist gesünder. Sind nicht alle so gutmütig wie ich. Ist in Ordnung Jungs!“ Grinste ich dankbar die freiwilligen Ordner an.

„ Als Wiedergutmachung, gebe ich dir auch eine Cola aus, wenn du magst. Ich bin der Dieter“, bot er mir an, und ich nickte nur gnädig.

Eigentlich sah dieser Blonde gar nicht so schwach aus, dass er gleich klein beigeben musste. Von normaler Größe, aber kräftiger Statur, mit Oberarmen wie ein Hufschmied, mit denen er sicher Wildpferde zähmen könnte, wären die anderen Jungs, gegen ihn Schmalhänse, ihm sicher sogar unterlegen. Unter strähnigen hellblonden Haaren, in nassem Elvis- Schnitt gestylt, thronte sein runder Schädel, auf breiten Schultern. Seine wasserblauen Augen blickten ehrlich in die Welt, und sein voller Schmollmund gab dem ganzen Gesicht fast etwas weiches, weibliches, obwohl es von seiner etwas zu breiten Boxernase dominiert wurde. Sein Blick hatte sogar etwas Liebes, dass ich ihn sekundenlang sogar hübsch fand, obwohl er eigentlich nicht mein Typ war. Das Gesamtbild, ein ganzer Kerl und der mir sogar gefiel.

Blöd, dass sich die Halbstarken immer erst so hervortun müssen, dachte ich, Kopfschüttelnd und nahm das Getränk an.

Ab dem Tag sah ich Dieter fast täglich, auch nachdem ich den Club, mangels Gästen, wieder aufgegeben hatte. Ich hatte den Eindruck, er suchte immer meine Nähe, war ständig vor meinen Augen, egal in welchem Lokal ich mich aufhielt. Dieter begleitete mich wie ein Schatten. Ich fühlte mich zwar geschmeichelt, war jedoch nicht interessiert. Denn mein Herz gehörte meinem Robert, auch wenn er weit weg war.

Im dunklen Saal des Beat-Clubs bekam mein Zugehörigkeitsgefühl eines abends plötzlich einen Sprung, und mein Selbstvertrauen einen argen Dämpfer, sodass ich das gewaltig wieder aufbauen musste.

Brigitte genannt Witti, die Tochter des Metzgermeisters Wittenstein, Edda und ich waren in mal wieder zusammen tanzen. In ausgelassener, fröhlicher Stimmung, amüsierten wir uns köstlich, lachten und alberten, ohne zu wissen, worüber eigentlich. Wir tanzten, hopsten und sprangen, wie wild auf der gut gefüllten Tanzfläche herum, als ich der roten Renate versehentlich, kräftig auf einen Fuß trat.

„Au. Pass doch auf, du ungehobeltes, dummes Luder. Meinst du, du kannst dir alles erlauben?“, schrie sie mich, wie von Sinnen, an, und hüpfte auf einem Bein herum, während sie sich den anderen Fuß festhielt. Ausgerechnet Renate, war das Opfer meines Übermutes. Renate, die rote Stelze, wie wir sie heimlich nannten, weil sie in ihrem unglaublich engen Rock, und den viel zu hohen Pfennigabsätzen, immer so stocksteif auf einem Fleck tanzte, was wohl beim Rock n Roll eine Kunst für sich war, aber doof aussah.

Erst stoppte ich erschreckt, wollte mich entschuldigen, aber weil ich sie wegen ihrer ungeschickten Hüpferei so komisch fand, musste ich lachen. Vor Lachen prustend alberte ich: „Hi hi hi. Rumpelstilzchen! Seht mal, die rote Stelze sieht aus wie das Rumpelstilzchen! Ach, wie gut dass niemand weiß, dass ich Rempelstelzchen heiß! Ha ha ha!“

Ich krümmte mich vor lachen, und meine Freundinnen mit mir.

Wütend vor Schmerz, wies die Verletzte mich sauer zurecht: „Du dämliche, kleine Fabrikflitsche, bist du eigentlich nur doof? Kein Wunder, dass der Zack dich nicht ernst nimmt. Du lässt dir von ihm einen dicken Bauch machen, und während du mit dem Werfen beschäftigt bist, steckt der Zack sein Ding woanders rein. Kein Wunder. Geschieht dir recht, blöde Kuh“, zischte sie hämisch.

Ich stand wie erstarrt, wurde weiß um die Nase, hatte das Gefühl gleich umzukippen, und starrte in das, zur gehässigen Fratze, verzogene Gesicht der roten Renate. Ich sah nicht den Schmerz in ihrem Gesicht, nahm nicht richtig wahr, dass der Schmerz durch meine Unachtsamkeit, meinen Übermut entstanden war, und das war mir auch völlig egal. Auch, dass diese gepflegte Erscheinung, mit dem schönen kupferroten Haar, eigentlich ein ruhiges, friedliches Geschöpf war, das sonst niemanden zu nahe trat, fiel in dem Augenblick nicht ins Gewicht. Mir war nur, als zöge dieses Mädchen mir den Boden unter den Füßen weg

Auch meine Freundinnen standen wie vom Donner gerührt, auf der Stelle, und sahen mich entsetzt, abwartend an.

In dem Augenblick war gerade eine Musikpause, und es wurde ganz still im Raum.

„Wusstest du davon, Edda? Und du, Witti?“, fragte ich leise.

Die verlegenen Mienen, der beiden, sprachen Bände, als Edda endlich nickte. Wortlos ging ich.

Als ich auf den Ausgang zusteuerte, hörte man in der Stille nur das Stakkato von Renates Absätzen.

Erst ein paar Tage später fragte ich, meine Freundin, nach Einzelheiten.

„Was soll ich dir sagen?“, fragte Edda bedrückt, und ich ahnte, wie schwer es ihr fiel, mir die Wahrheit zu sagen.

„Alles!“, verlangte ich nur.

„Tja, es war an dem Samstag, als du ins Krankenhaus kamst. Wir sind ziemlich spät beim Seemann, unten in Burg, gewesen. Der Zack war so besoffen, dass er jedes Weib angrabschte, was ihm vor die Hände kam. Irgendwann hing er so ner Kuh auf der Schulter, und wir befürchteten, dass er gleich kotzt, wie üblich. Also haben wir beschlossen, ihn raus zu bringen. Ins Auto. Die Elke Weigand hat sich dann bereit erklärt, bei ihm zu warten, bis er eingeschlafen ist. Als die dann nach langer Zeit nicht wieder rauf kam, haben wir mal aus dem Fenster geguckt. Tja, und weil das Auto direkt da drunter stand, haben wir es dann gesehen“, schloss Edda ihren Bericht, mit schamhaft gesenktem Blick ab.

„Was? Was habt ihr gesehen? Und wer alles?“, fragte ich hart.

„Na, dass die gepoppt haben. Und alle, na alle die dabei waren. Eben die ganzen Jungs, und Witti und ich, natürlich.“

„Also, Klaus, Wulf, der Coco, der Wersbach, und??? Wer noch? Ich will es genau wissen“, forderte ich zornig.

 

„Mensch, Ruth, ist das nicht egal? Weiß nicht. Ich glaube der Gunni, und der Rudi waren auch noch da. Mädels, die Renate und die Heidi, ja und…“

„Mädels sind mir egal, unwichtig, wer da alles bei war. Jungs will ich möglichst alle wissen“, bestand ich eigensinnig auf die Vollständigkeit der Namen.

„Warum? Das weiß ich doch nicht mehr, Mensch. Die Kneipe war voll und wir auch. Na ja, zumindest die meisten.“ schränkte Edda ihre eigene Zurechnungsfähigkeit, dieses Abends, ein.

„Und was haben alle zu Roberts Abstecher gesagt?“ wollte ich die bittere Wahrheit ganz genießen.

„Gesagt, gesagt. Alle fanden es scheiße. Erst haben die Jungs gelacht, kennst die doch, und dann waren sie sich alle einig: Scheiß Spiel, was der Zack da macht. Aber keiner hätte es verhindern können. Wie auch? Hingehen, und ihn von der Kuh runter holen? Nee, auch scheiß“, verteidigte Edda ihre Position.

„Schon gut, Edda. Natürlich hätte keiner von euch den Drecksack hindern können. Wenn der poppen will, ist dem alles egal. Besonders wenn er gesoffen hat. Egal, schon gut. Muss ich mit leben“, sagte ich tief deprimiert.

„Was soll dann die ganze Fragerei? Was hast du vor?“, fragte die Freundin lauernd, als ahne sie den Hasenfuß.

„Auch poppen!“, erwiderte ich schlicht.

„Wie? Was? Mit Wem?“, verstand Edda nichts mehr.

„Mit allen!“, gab ich bereitwillig Auskunft.

„Wie mit allen? Versteh ich nicht. Wen meinst du denn?“, wunderte sie sich.

„ Klaus, Wulf, Coco, Wersbach, Gunni, Rudi! Fallen dir vielleicht doch ein paar mehr ein?“, fragte ich mit Unschuldsmiene.

Edda sah mich mit offenem Mund an, stotterte unsicher: „Was? Du meinst doch nicht, dass du mit all denen poppen willst? Das ist nicht dein Ernst.“

„Und ob es das ist. Klar! Kann ich nicht poppen mit wem ich will?“, fragte ich trotzig, und auf ihr verwundertes Nicken erklärte ich ihr: „Kennst du das nicht? Auge um Auge? Was der Drecksack kann, kann ich noch viel besser. Und wer weiß, vielleicht räche ich mich gleichzeitig für noch mehr Ausrutscher, von denen ich nur noch nichts weiß? Aber außerdem kommt es doch auf einen mehr oder weniger eh nicht an. Auf jeden Fall, werde ich jeden flach legen, der Bock auf mich hat. Die Rache ist mein“, betonte ich grimmig.

„Und wenn der Robert das erfährt?“, wollte Edda wissen.

„Das hoffe ich doch! Dass er das genauso präsentiert kriegt wie ich. Der soll genau so einen Tiefschlag kriegen, wie ich ihn einstecken musste. Mit mir macht der solche Sachen nicht ungestraft!“

Erklärte ich dem Untreuen, in Abwesenheit, den Krieg.

Die nächsten Wochen jagte ich von einer Party zur nächsten, und ebenso von einem Abenteuer ins nächste. Ich nahm was ich kriegen konnte, und das war fast jeder Junge, der in den Clubs rum lief. Aber in erster Linie nahm ich mir Roberts beste Kumpels vor. Die waren tatsächlich so entgegenkommend, dass sie sich Mühe gaben, ihrem guten Freund Robert ebenbürtig zu sein. Welchen Ruf, der gute Robert, in Männerkreisen genoss, war überdeutlich, man traute ihm wohl viel Ausdauer und Geschick zu. So viel Mühe sich aber die lieben Freunde auch gaben, ich hasste sie alle! Mit keinem machte es mir auch nur den geringsten Spaß.

Die Wendung kam auf einem „Matratzenball“. Die Party gab ein gewisser Ingo, den ich nie zuvor gesehen hatte. Als mich jemand, in dem hektischen Durcheinander des dunklen Raumes, auf einer der Matratzen flach legen, und sich selbst auf mich legen wollte, wehrte ich energisch ab. Ich wollte aufstehen, er hielt mich fest. Ich wehrte mich, er war stärker. Aber ich sah sein Gesicht nicht, das ängstigte mich. Aus dem anfänglich spaßigen Ringkampf wurde ernst.

Ich wurde sauer, forderte: „Lass mich los!“

Keine Antwort, aber er hielt mich fest.

Ich sah keine Schatten mehr um mich herum. Wir waren allein im Raum, das ängstigte mich noch mehr.

„Verdammt, hörst du nicht? Lass mich los. Ich will aufstehen!“, zischte ich ärgerlich.

Er umklammerte mich mit beiden Armen, hatte mich im Schwitzkasten. Mal lagen wir, dann saßen wir, auf der Matratze. „Verdammt noch mal. Ich meine es ernst. Ich will aufstehen. Lass mich endlich los. Wer bist du überhaupt? Der Spaß ist vorbei. Mach jetzt. Ich will das blöde Spiel nicht“, versuchte ich meinen Worten mehr Gewicht zu geben.

Der Kerl antwortete nur mit hämischem Lachen, und umklammerte mich noch fester.

Ich senkte den Kopf und biss ihn leicht in den Arm, „wenn du nicht los lässt beiße ich richtig“, warnte ich.

„Das nützt dir auch nichts“, war der erste Satz, den er von sich gab.

„Ha, das glaub ich doch“, sagte ich nachdrücklich.

„Aber dann wird’s ernst, und das tut dir weh. Also, lass mich los“, versuchte ich es immer noch versöhnlich.

„Nö“, sagte er nur.

„Verdammtes Arschloch! Ich habe keine Lust mehr! Sofort lässt du mich jetzt los! Sonst dreh ich durch! Los! Verdammt!“, befahl ich laut schreiend.

Nichts! Keine Bewegung!

Dann biss ich zu. Mit dem bitteren Geschmack warmer Flüssigkeit in meinem Mund, ertönte gleichzeitig ein markerschütternder Aufschrei, und die eiserne Umklammerung löste sich.

„Was ist passiert?“ Schrie irgendjemand, der ins dunkle Zimmer polterte, und schon fiel grelles Licht von der Decke.

Neben mir saß ein dunkelhaariger junger Kerl auf dem Boden, und hielt sich, die heftig blutende Wunde, an seinem rechten Arm, mit der linken Hand zu. Dabei sah mich der Verrückte grinsend an, und fragte: „Lecker mein Blut? Wie schmeckt es?“

Entsetzt spuckte ich aus, und wischte mir über den Mund und das Kinn. Dann starrte ich entsetzt auf meine blutverschmierte Hand.

„Was hast du Verrückte denn mit dem Ekhard gemacht?“, fragte Ingo, der Gastgeber.

„Will ich gar nicht drüber reden. Ich will nur noch hier raus. Hier gibt es Leute, die nicht sauber ticken“, zischte ich empört, und rappelte mich auf.

Als sich mir eine Männerhand entgegenstreckte, griff ich zu.

„Komm, ich fahre dich nach Hause, oder wohin du sonst willst. Nur raus hier!“, sagte Dieter, der mich hochzog.

„Ja, gerne, danke, Dieter“, war ich richtig erleichtert, meinen Schatten in der Nähe zu haben.

Als Dieter mir die Tür zu seinem großen hellblauen Opel Rekord öffnete, und mir beim Einsteigen half, sah ich ihn prüfend an.

„Danke. Dieser verrückte Ekhard hat mich total aus der Fassung gebracht. Ich habe anfangs gedacht, dass er Spaß macht. Aber der konnte Ernst und Spaß nicht mehr unterscheiden. Was glaubt so ein Junge eigentlich? Dass er mich zwingen kann?“, fragte ich.

„Wenn ich geahnt hätte, dass du so in Bedrängnis bist, hätte ich dich schon viel früher da raus geholt. Dem Kerl hätte ich einen k.o verpasst, für seine Frechheit. Man kann einem Mädchen doch nicht seinen Willen aufzwingen. Aber ich glaube, du brauchst einen Beschützer. Wenn du willst, passe ich ab jetzt auf dich auf. Dann traut sich so etwas keiner mehr. Brauchst es nur zu sagen“, bot Dieter mir seinen Schutz an.

In dem schönen großen Auto, fühlte ich mich, wie eine Prinzessin, das gefiel mir. Während er mich spazieren fuhr, betrachtete ich ihn von der Seite, und fand ihn gar nicht so übel.

Mit Robert ist eh Schluss, einen neuen Freund kann ich auch gebrauchen, und einen mit so einem schönen Auto, hat nicht Jede, dachte ich.

„Ich will“, sagte ich nach einer Weile nur.

Den kurzen hintergründigen Zweifel, an der Richtigkeit meiner Entscheidung, deckte ich mit meiner Sturheit zu.

unvorsichtig

Meine Familie staunte nicht schlecht, als ich ihnen eröffnete, dass ich mich von Robert getrennt hatte, und bereits einen neuen Freund mit nach Hause brachte.

Wie immer, sagte mein Vater gar nichts, außer, dass er, voller Neid Dieters schönes Auto bewunderte. Meine Schwester schien genug eigene Probleme mit den Kerlen zu haben, und meine Mutter meinte nur: „Ich hoffe, du weißt, was du tust, und denkst auch an euer Kind.“

„Für Ramona interessiert sich der Robert doch sowieso nicht. Sie hat auch nix davon, ob ich mit ihm zusammen bin oder nicht. Und die weiß ja, Gott sei Dank, nicht, was für nen verantwortungslosen Vater sie hat. Das muss sie auch nicht unbedingt erfahren“, erklärte ich bockig.

Zwar hatte ich Robert nur kurz geschrieben, dass unsere Beziehung zu Ende sei, ich schon einen anderen Freund habe, aber Robert bekam Urlaub, noch bevor er den Brief erhalten hatte.

Deshalb starrten wir uns völlig erstaunt an, als ich gerade in Dieters Auto steigen wollte, und Robert im gleichen Moment mit seines Vaters Auto, vor unserem Haus hielt.

„Hey, was machst du denn? Was soll das?“, fragte Robert ungläubig, während er aus dem Auto sprang.

Ich drehte gelassen die Scheibe runter, sagte kalt: „Das gleiche, wie du, mein Lieber. Mich anderweitig amüsieren. Was du kannst, kann ich schon lange. Mit uns hat sich sowieso erledigt. Wie du siehst, habe ich schon einen neuen Freund. Und Tschüss“, erklärte ich ironisch, und an Dieter gewandt: „Du kannst fahren, Schatz.“

„Nein, kann er nicht“, schrie Robert wütend, und riss die Beifahrertür von Dieters Auto auf. „ So einfach geht das nicht, mein Fräulein. Was heißt das Gleiche wie ich? Ich weiß nicht, wovon du redest. Steig aus, sofort, los!“, befahl er, und wollte mich aus dem Fahrzeug ziehen.

„He, du, lass sie sofort los, verstanden? Sie will dich nicht mehr, kapier es einfach. Sie gehört jetzt mir.“ knurrte Dieter, gefährlich drohend.

Mit Zufriedenheit registrierte ich, dass Dieter seine Aufgabe, auf mich aufzupassen, durchaus ernst nahm, aber ich konnte es mir nicht verkneifen, mich alleine zu behaupten. Außerdem war ich der Überzeugung, dass ich niemanden gehöre, weder dem einen noch dem anderen. Das letzte Wort wollte ich auf jeden Fall selbst haben, mir konnte doch niemand den Mund verbieten. So weit käme es noch!

„Danke, Schatz, aber ich will ihm mal ein bisschen auf die Sprünge helfen. So, so, du weißt also nicht, warum ich mit dir Schluss mache? Dann überleg doch mal. Falls du deinen Verstand noch nicht ganz versoffen hast, fällt dir vielleicht noch der Abend unten in Burg ein, als ich unser Kind gekriegt habe, und du das andere Weib gepoppt hast. Du Arschloch! So einen Mann brauch ich nicht, und so einen Vater braucht mein Kind auch nicht. Also verzieh dich einfach, mit dir bin ich fertig“, zischte ich verächtlich, und zog die Autotür wieder zu.

Dieter fuhr los, und ich wusste zwar nicht warum, aber als Siegerin fühlte ich mich nicht.

Irgendwie war ich die nächsten Tage unruhig, hatte ich ein Stimmungstief. Lag es daran, dass so vieles offen geblieben war, oder weil Robert noch in der Nähe war? Zufrieden war ich nicht.

Auch zu Hause war eine seltsam, gespannte Stimmung.

Meine Schwester schien in einer Beziehungskrise zu stecken, was mir normalerweise gar nicht aufgefallen wäre, hätte sie mir nicht so komische Fragen gestellt. Dass sie auch mit ihrem langjährigen Freund Werner Schluss gemacht hatte, war selbst zu mir durchgedrungen, trotzt meiner Gleichgültigkeit ihr gegenüber.

Aber Heidemaries einschmeichelnde, sanfte Art war mir suspekt. Woran ich damals zuerst bemerkt hatte, dass ich in anderen Umständen war? Zu welchem Arzt ich gegangen sei, ob der auch feststellen konnte, wie weit ich war, wollte sie wissen. Solche eindeutigen Fragen ließen eigentlich nur einen Schluss zu, dass sie in anderen Umständen war. Aber ich war zu sehr mit meinen Belangen beschäftigt, um mir über Heides Veränderung ernsthafte Gedanken zu machen. Warum auch? Schließlich hatte sich meine Schwester bisher nicht sehr familiär, oder teilnahmsvoll, mir gegenüber verhalten. Im Gegenteil.

Sie hatte mich schikaniert, wo sie nur gekonnt hatte. Was interessierte mich also ihr Dilemma? Obwohl ich ihre entgegenkommende, nette Haltung nicht völlig übersehen konnte, reagierte ich einfach nicht darauf, sondern bemühte mich, es zu ignorieren.

Ganz anders meine Mutter. Sie zeigte neuerdings meist ein zufriedenes Lächeln. Ihre Sorgenfalte, zwischen den Augenbrauen, kam nur noch selten zum Vorschein, denn sie hatte eine neue Vorliebe entdeckt, die ihrem Leben einen neuen Sinn gegeben hatte. Ihr einziges Interesse galt ihrem ersten Enkelkind.

Die kleine Ramona hatte diese harte, mürrische Frau total verändert. Mutti hing mit einer solchen Affenliebe an diesem kleinen Wesen, die mich schier sprachlos machte, weil ich ihr diese liebevolle Art nie zugetraut hätte.

 

Meiner Mutters neue Lebensaufgabe, erleichterte und erschwerte mir mein Leben gleichzeitig, weil die Kleine sich zur Nervensäge entwickelte. Zwar war ich glücklich darüber, dass sich alles um mein Baby drehte, und meine Mutter sowie alle Familienmitglieder, sich liebevoll um die Kleine kümmerten, gleichzeitig hieß das aber auch, dass das Kind viel zu sehr verwöhnt wurde. Wenn dann irgendwann die Geduld meiner Angehörigen erschöpft war, sie den Schreihals leid waren, bekam ich den schwarzen Peter. Dann hieß es allgemein: Du bist eine Rabenmutter, kümmere dich endlich um dein Kind.

Deshalb hatte ich den Eindruck, dass jeder in unserer Familie seinen Frust an mir auslassen wollte. Natürlich wehrte ich mich dagegen, reagierte aggressiv, und neigte wirklich zum Egoismus. Zusätzlich bedrückte mich meine finanzielle Knappheit, die sich wieder eingestellt hatte, weil ich durch die Aufgabe meines Clubs, keine Einnahmen mehr hatte. Auch, täglich nur Kind und Hausarbeit, als einzige langweilige Beschäftigungen, zermürbten mich. Ich nutzte jede Möglichkeit, aus der häuslichen Enge zu fliehen, sobald die anderen Familienmitglieder von der Arbeit zurück waren, und ich sicher sein konnte, dass mein Baby unter liebevoller Aufsicht war.

Dieter entwickelte sich zu meinem Rettungsanker. Er war mir so verfallen, dass er mir nicht nur jede freie Minute widmete, sondern fast jeden Wunsch erfüllte. Dass er schon deshalb mit seinen Eltern Probleme hatte, ahnte ich anfangs nicht. Denn er hatte kaum noch Zeit und Lust für die notwendigen familiären Einkäufe und Erledigungen. Dabei gehörte das Auto gar nicht Dieter, sondern seinem blinden Stiefvater. Dieter war nur der eingetragene Chauffeur.

Ich nahm alles, was ich von Dieter kriegen konnte, rücksichtslos und gierig, saugte ihn aus, ohne darüber nachzudenken wie, woher seine Zuwendungen kamen. Er trug mich auf Händen, betete mich an, vergötterte mich. Erst später erfuhr ich, dass Dieter viel mehr tat, als er eigentlich konnte.

Aber ganz so selbstlos war er nicht, denn dafür nahm er meinen Körper als Belohnung. Darin war Dieter gefräßig und lebte seine Bedürfnisse, jeden Abend, rücksichtslos und unvorsichtig aus. Ohne Sex wollte er nicht schlafen gehen.

Meist nahm er mich im Auto, oft aber auch in seinem Zimmer. Dann schlichen wir, spät nachts in die elterliche Wohnung. Sehr leise, damit sein Stiefvater uns nicht hörte, weil Blinde ein scharfes Gehör haben. Dorthin ging ich aber nur ungern, denn ich mochte seine Familie gar nicht. Ich fand die Leute dumm, primitiv, und die Wohnung schmuddelig. Eben kinderreiche Leute vom Land.

Dieter war der älteste von 6 Kindern. Er hatte vier Halbbrüder im Alter von 4, 6, 8, und 9 Jahren und noch einen 16jährigen Bruder. Dieter war mit Abstand der hübscheste, wenn man überhaupt von hübsch reden konnte.

Die 4 Kleinen ähnelten alle ihrer Mutter. Sie trugen dicke Brillen, waren schmutzig, hatten triefende Rotznasen, und die Dummheit stand ihnen im Gesicht geschrieben. Diese vier Knaben waren die Ableger des Blinden, während der 19ährige Dieter und der jüngere Peter vom gleichen Vater stammten. Allerdings schien Peter ein reizendes Früchtchen sein, arbeitsscheu und kleptoman. Denn der Knabe saß zu der Zeit in Jugendarrest, wegen mehrerer Einbrüche und Diebstähle. Für mich also nicht erstrebenswert, ihn kennen zu lernen.

Dieters Mutter war eine kleine, dicke, rotgesichtige Frau, die ihr Gegenüber, durch ihre starken Brillengläser, mit offenem Mund anstarrte, was zwar an ihrem Luftmangel, durch ihre häufige Verschnupftheit lag, aber eben ziemlich dämlich aussah. Dass sie nicht die Klügste war, konnte sie jedoch nicht leugnen, schon ihre unkorrekte Aussprache zeugte davon, wozu der ostpreußische Dialekt noch beitrug. So stellte ich mir eine ungebildete Bäuerin vor, die außer Kühen, Mist und Schweinen sowie Kinder kriegen, keinen anderen Lebenssinn kannte.

Das einzig fast normale Mitglied dieser Familie, war Dieters Stiefvater, der zwar blind, groß, dick und verfressen war, sich aber normal ausdrücken konnte, und auch dementsprechende vernünftige Ansichten hatte.

Die ganze Familie war streng katholisch, was die Mutter besonders vorlebte, denn sie hatte es zur Pflicht gemacht, regelmäßig zum Beichten und zur Sonntagsmesse zu gehen. Auch dabei war Frau Buchner das Paradebeispiel. Sie ging täglich in die Kirche. Nicht nur, um zu beten, auch um den anliegenden Friedhof zu besuchen. Als Mutter von sechs Söhnen, hatte sie die Totgeburt ihres siebten Kindes, des einzigen Mädchens, besonders hart getroffen, deshalb pflegte und dekorierte sie mit unnatürlicher Hingabe, täglich stundenlang das Grab ihrer Tochter. Dass sie oft den Haushalt, und ihre lebenden Kinder, darüber vernachlässigte, schien ihr gar nicht wichtig zu sein. Dieter war der einzig, wirklich natürliche, sympathische Mensch dieser Familie, und das allein war für mich für mich wichtig.

Bedauerlich fand ich allerdings, dass mir Roberts Familie zu kühl und hochnäsig, und Dieters Familie zu primitiv und schmuddelig war, sodass ich mich in beiden nicht heimisch fühlen konnte. Gab es denn kein Mittelmaß, eine Familie zu der ich passte, oder die zu mir?

Wirklich glücklich und zufrieden war ich mit meiner Situation nicht.

Immerhin hatte ich mehr Glück als meine Schwester, mit deren konfuser Lage ich mich ungewollt zum Vergleich gezwungen sah, als ihr Ex-Freund, im betrunkenen Zustand, vor unserem Haus protestierte.

Ausgerechnet an diesem späten Abend waren unsere Eltern bei Bekannten zum Geburtstag, somit Heide und ich, mit der Kleinen, alleine zu Hause.

Meine Schwester hatte eben erst ein Gespräch begonnen, indem sie mir von ihren Problemen erzählte, und mich um Rat fragte. Das war schon ungewöhnlich genug, aber ihre Schwierigkeiten umso mehr. Ich staunte nicht schlecht, dass sich ausgerechnet meine rabiate Schwester Heidemarie, von ihrem Ex , hatte derart unter Druck setzen lassen.

Als sie sich von ihm trennen wollte, weil sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte, wollte Werner das nicht akzeptieren. Dann hatte dieser Kerl es tatsächlich noch in letzter Minute geschafft, ihr ein Kind anzudrehen, und setzte sie damit unter Druck. Nun war meine Schwester guter Hoffnung, was sie allerdings nicht gut fand.

Ihr neuer Freund ahnte nichts von ihrem Zustand, obwohl sie schon im fünften Monat war. Jetzt wusste sie nicht, wie sie aus der Geschichte heraus kommen konnte. Sie wollte nicht zu Werner zurück, wollte logischerweise auch sein Kind nicht. Werner erpresste sie, drohte, ihren neuen Freund aufzuklären. Weil Heide ihre neue Liebe nicht verlieren wollte, suchte sie verzweifelt einen Ausweg aus dem Dilemma. Es war ein Spagat zwischen zwei Problemen.

Diese Neuigkeiten musste ich erst einmal verarbeiten.

Während der betrunkene Werner klingelte, ans Fenster klopfte und laut rief: „Heide, mach die Tür auf. Ich will mit dir reden. Los, mach auf. Du kannst dich nicht verstecken, und du wirst mich auch nicht los. Jetzt kannst du mich nicht verlassen, oder es gibt ein Unglück. Mach schon auf. Ich gehe nicht hier weg“, sah mich meine sonst so energische Schwester, mit ängstlicher Miene an, und zitterte wie eine Fahne im Wind.

„Was soll ich denn bloß machen?“, stöhnte sie verzweifelt, und hockte sich so tief es ging in den Sessel, als fände sie dort Schutz.

„Den Idioten zum Teufel schicken. Du bist doch sonst so knochenhart. Wenn du das nicht kannst, werde ich ihm mal den Kopf waschen. Reiß dich mal zusammen. Ich bin ja auch noch da. Also komm, wir werden ihn mal verjagen“, entschied ich und stand entschlossen auf.

„Nein, mach nicht die Tür auf, den werde ich dann nicht mehr los“, zweifelte meine Schwester an meinem Erfolg.

„Lass mich mal machen, bin ja nicht blöd. Mit widerspenstigen Kerlen kenne ich mich schon aus“, behauptete ich und ging ans Badezimmerfenster.