bernsteinhell

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Ja, das Leben wäre voll Glück, folgte dem Brautschmuck ein eigenes Kind, denkt Helena als ihren Herzenswunsch. Im Eis ruht der, der Traum ist aus. Helena schließt die Lider, nicht nur von der Nacht ohne Schlaf zuvor bleiern. Die wenigen Schritte in ihre Schafkammer bewältige sie in Bettschwere. Doch ihre schon voraus eilende Versenkung in die Federn durchkreuzt ein alarmierendes Rumpeln. Nicht Ratten machen solchen Lärm! Die Luke steht offen, der Käse im Keller allem Getier erreichbar!

Helena eilt mit der Lampe über die Hintertreppe, greift am Stapel unten ein Scheit und zischt „Sch, Sch“. Ihr antwortet ein Seufzen in der Kälte. Helena holt tief Luft, legt das Holz ab, hält ihr Licht hoch, geht wacker dem Seufzer entgegen. Und gluckst vor lauter Erleichterung, um Bisse am Käse nicht bangen zu müssen. Keine Ratte liegt lädiert dort!

7

„Wo sonst die Luke dicht ist, trat ich ins Leere“, mault Vedder fiepend und schlägt mit einer Hand auf eine Kellerstufe.

Sein Fiepen bestätigt, wie fehl am Platz er ist unter ihrem Lampenlicht, das wandert. Er scheint heile geblieben. Nach ihrer Nacht ohne Schlaf würde sie dieser Wende ihres Daseins wenig darbringen können, ausgenommen ...

„So kommt ans Licht, wie nahe du mir auf die Pelle rückst!“

Nach einer winzigen Pause, in der Helena nur noch ins Warme der Kök will, ergänzt sie, ein Kichern nur knapp unterdrückend:

„Siehste, genauso bleibt dem Fang in den Schlingen die Luft weg, tappen sie in eine deiner Fallen.“

Ihre Abfuhr zeigt ihm seine widrige Lage als höchst ertappt und doppelt durchkreuzt am Ende. So ergeht es einem Schäfer, der wie ein liebestoller Kater nachts luschert. Er rappelt sich hoch, und dreht einen Fuß.

„Verdammt!“, flucht er wenig leise.

„Verdammst du dich etwa selber? Willst du unten im Kalten bleiben?“

In Helena flammt ein weiteres Glucksen jetzt, denn er hopst unmäßig, und nicht mit dem Ruhm eines Wilderers bekleckert, die Stufen hoch in die Dunkelheit durch die er fiel. Vor das Kaminfeuer dirigiert, an den Boden gekauert, zieht er die Joppe aus. Und der entweicht ein herb tierischer Geruch, den Helena mit dem Schultertuch verwedelt und jählings kopfschüttelnd schnalzt.

„Die Socke runter! Mäßige dich, wenn es wehtut.“

Er legt die Fellmütze ab, fährt linkisch durch sein Haar. Selbst verdutzt über Schreck und Schmerz, zerrt er an dem Stiefel, flucht leise und unverständlich durch die Zähne.

Helena stochert die Kaminglut auf, legt Scheite nach, tunkt rasch ein Tuch ins kalte Wasser im Eimer am Milchtisch. Nieder kniet sie, umwickelt Vedders Knöchel, hockt sich dann auf ihren Schemel in der Nähe und mutmaßt über sein Streunen, das sie wähnt aus kindlich geprägter Selbstüberschätzung.

Errang er so seinen Platz an der Küste? Heimste er im Hauen und Stechen ein paar Schrammen ein? Sitzt mehr in der Stube als der Mann, der wenig älter ist als sie? Eine Spur kauzige Sturheit zeigt sein Kinn mit den blonden Stoppeln, das Helle der Augen, der schmale Streifen, wo etwas Feuer flackert.

Glückhaft legt sich das Erkennen an ihr Herz, vor ihr sitze ein freier Mann, der abstürzte wie gelenkt, zu ihr wollte. Dort sitzt kein Widerhaken wie Joos mit harten Augen. Vedder streut Pfeffer aus, doch liegt Trauer um seine Blicke, er ringt damit wie sie. Will er verschlossen bleiben, warf er sogar den Schlüssel absichtlich fort? Aufgeflogen zu sein, ist genug. Angedeutete, oder förmliche Worte wären unangebracht. Dem Wrack von Fischer käme sie nicht bei mit höflicher Liebenswürdigkeit.

Vedder blinzelt zu der Frau, die er innig begehrt, doch augenblicklich fürchtet wie einen Donnerknall im Winternebel, von dem er sich wünscht, der verziehe sich. Er selber kann es nicht. Kurz sieht er zu ihrem flackernden Schatten an der Wand, voluminös vom Gewusel am Küchentisch.

Ach! Oh ach, gibt Vedder vor sich klein bei, jetzt lässt sich nichts gerade biegen! Er hätte Helena beim ersten Mal Hilfe anbieten, nicht nur luschern sollen. Dann wäre er kein Fremder in ihrer Stube. Ihr müdes Gesicht wirkt auch sehr tapfer besonnen. Sie lockert ihre herzigen Lippen. Ach, sie tut nur schockiert. Gut kennt er das Vertuschen, sich ins Hemd machen, nicht wie Ansgar, der sich mit hart gemeinten Zuweisungen allem stellt, was ihm nicht passt.

„Bin dir ein ungebetener Eindringling“, presst Vedder durch die Zähne. „Kann nicht weg mit dem Fuß. Kodderig ist mir, und schwindelig wie benebelt. Schnaps würde den Schreck lindern.“

„Von Rike habe ich eine Flasche für derlei Fälle bekommen!“

Helena springt auf. Bald nippt Vedder einen Schluck direkt vom Flaschenhals. Der Sanddornschnaps schmeckt ihm, er schmatzt und seufzt, haut aber mit gezieltem Schlag den Korken hinein. Jungenhaft unverdorben wirkt er und unberührt von allem. Aber wohin mit ihm? In der Kammer nebenan in das Bett klamm von Winterkälte. Sie geht in den kühlen Schwall, trägt Bettzeug heran, wirft das und eine Fellunterlage neben Vedder zu Boden. In der Truhe kramt sie und reicht ihm den Tiegel ihrer selbst gerührten Gänseblümchensalbe.

„Reibe dich ein. Joos half meine Vaselinemixtur immerzu, ihm schwoll öfter einmal ein Gelenk an.“

„Altes Hausmittel? Wird dauern, bis das wirkt.“ Skeptisch schnuppert Vedder am Steingutnapf, trägt aber die Salbe dick auf, und müht dabei heraus: „Großzügig von dir.“

Helena lehnt sich an den Tisch, legt die Hände an ihre Ellbogen, hält den Moment für gekommen.

„Einfältig stolperst du herum, lässt dich von dem blamablen Sturz auch noch retten! Konntest nicht auf gesunden Füßen hereinkommen?“ Entschieden schüttelt sie den Kopf. „Wolltest du dir etwas holen? Glaubst du, es stehlen zu müssen?“

Sie fixiert ihn mit Glut in den Augen wie eines keifenden Fischweibs flimmert. Vedder senkt seinen Kopf, und vermisst ihre Förmlichkeit guten Betragens.

„So ist das doch nicht“, knurrt er, drückt den Stopfen in den Tiegel, schiebt ihn auf den Bodendielen weit vor. „Soll ich mich etwa wie für eine Trotteligkeit entschuldigen?“

Vedder betrachtet seine Hände, die flattern. Rasch klemmt er sie zwischen die Beine. Seine Absicht wartet. Ihm steigt schief ein Grinsen an die Wangen, doch es stirbt vor Helenas zornigen Augen.

„Tut mir Leid!“, setzt er scheu an. „Eine Last zu sein, war nicht mein Anliegen. Luschern ist unwürdig. Verzeih mir. So möglich, helfe ich dir.“

„Leicht gesagt, reglos wie du dasitzen musst. Und“, Helena breitet empört die Arme aus, die Weste klappt auf, „sollen die Lüüt erfahren, was du für Einer bist? Einer der nur ausspäht?“

Herabgezogene Brauen sieht Helena, dazwischen eine steile Falte. Dennoch wirft sie die Arme weit seitlich hoch, verharrt in der Bewegung mit indigniert fragendem Gesichtsausdruck.

„Hm. Ja, verstehe. Dir wahrlich zu helfen, wäre an mir, und somit Joos’ liegen gebliebene Aufgaben erledigen. Wie ich den kannte, war er ein echter Fischkopf, lebte nach dem Spruch: Nimm dir nix vor, dann schlägt dir nix fehl.“

Helena hüllt sich in ihre Weste. Dahinein murmelt sie nach einer Weile über den Streuner, der nur Umstände bereite, und als Helfer sicherlich fraglich wäre - wer solch einen Spruch parat hat, handle danach. Schon feixt sie still und dies weit hinaus in den Raum außerhalb der Kate: Der Horizont, ja, der meine es leidlich dicke mit dem Mann in ihrer Kök, und das wohl für ein vollständigeres Daseins! Glücklich fliegt auch ein von Dank erfüllter Seelenfunke hinüber zu Eli an den Findling. Von ihr ab fällt damit auch etwas von ihrer intensiven Anspannung aus dem mehr als langen Tag.

Am Morgen ist Helena schon früh vom Melken zurück. Eben schürt sie die Glut für den Wasserkessel, da regen sich Vedders Decken am Boden. Schlaftrunken sieht er ins Morgenlicht, auf die Wolle und Nähutensilien, und den Salbentiegel am Tisch. Er setzt sich davor an einen Schemel, salbt seinen Knöchel. Wohlig strahlt er erstmalig, als Helena gelben Sirup in eine Schale mit Grützebrei träufelt, und ihm einen Holzlöffel reicht.

Stille gleitet durch die Stube, bevor das Schaben am Boden der Schalen zu hören ist. Helena räumt schweigend ab, klemmt die Kaffeemühle dann Vedder zwischen die Knie. Er mahlt und schaut ihrem Hantieren für den Käse zu. In sich gekehrt denkt er nach, bis Helena die angelaufene Blechkanne mit Kaffee hinstellt und das Aroma belebend in seine Nase zieht.

Helena rückt Zuckerdose und Milchkännchen in seine Nähe und setzt sich, füllt beide Becher. Dann nickt sie ohne ein Lächeln an ihren Wangen, ernst gestimmt, bevor sie ihn hart im Ton fragt:

„Zu den Fischern gehst du nicht mehr, wegen deinem Arm?“

„Dass es mal so kommt ... Netze Anderer flicken, hinterher sehen, fahren sie raus? Nee!“ Er rührt im heißen Kaffee, reckt das Kinn. „Manche ruinieren ihre Rücken vom Netze hieven, gehören dann auch zu den nicht mehr Bewunderten.“ Er versinkt in sich; erschrickt dann jedoch von Helenas Wink zum Fenster,und ihrer scharfen Stimme.

„Heute Morgen fand ich keine Kuhle im Heu, in der du dich wie ein irregegangener Hofnarr, den ich kaum bewundern könnte, oft verkrochen hast! Konntest nicht um ein Nachtlager bitten, war es bei den Touren zu bald dunkel, zu spät für den Weg?“

Seine Wangen laufen so rot an wie die Finger brennen, um den Becher gelegt. Dahinein löffelt er Zucker und rührt, als ob sein Seelenheil davon abhänge, mit seiner Absicht vor Augen, auch wenn sie geifert wäre es ein gutes Leben, wenn sie es ihm gewähre.

Nach einer Weile Schweigen greift Helena in die Tischlade und entnimmt, unter dem bei Emilies Damenkreis ausgeliehenen Buch, eine Ausgabe der Gartenlaube, schiebt sie ihm hin.

„Zum Kamin geh, lies mir vor wie einst Joos. Dazu nutzt der Sturz durch die Luke, die dich Fallenjäger so seltsam einfing. Waren höhere Mächte in dem Spiel, zeige mir, du taugst mehr als ein Sprung im Topf.“ Sie deutet gen Wandtisch mit den Schüsseln der Morgenmilch für den Käse, und meint den Eimer mit Rüben und Kartoffeln daneben. „Später schnipple alles Gemüse in den Eisentopf für die Abendsuppe. Ich nähe für ein Kaufhaus Stofftiere, und die sollen meine Saisonarbeit im Laden von Putzenius ergänzen.“

 

„Mache ich nur, wenn du hernach nicht mehr aufgebracht bist.“

Er sieht sie einsichtig an, und zugleich starrsinnig. Am warmen Sims sitzend, liest er bald andachtsvoll eine Ballade vor, und fühlt, was sie, so nahe bei Helena, in seinen Sinnen berührt. Ein heimatliches Empfinden, ein anderes als mit Ella, dennoch ein sehr gutes.

Am Nachmittag bringt Ansgar den reparierten Lukendeckel wieder an, und kommt zum Aufwärmen herein. Er tauscht mit Vedder fragende Blicke. Danach schlägt er, laut Friederike, Helena vor, einen Anbau für ein Badezimmer zu mauern, damit das Graben in Richtung Brunnen und alles Abwasser in den Obstgarten leichter zu erledigen wäre. Für ein Spülklosett und die moderne und komfortable Badeausstattung würde er auch sorgen.

„So bleibt deine Kammer anderweitigem Gebrauch frei. Unsere Logierräume soll ich auch mit Bädern richten. Den Herd bringe ich im Dustern, der muss nicht an die große Glocke.“

Vedder traut seinen Ohren kaum, runzelt nur seine Stirn.

„Ich werde dein Handlanger, sobald du hier loslegst.“

Ansgar nickt gutmütig. Auch Helena stimmt zu, und begleitet ihn bald hinaus, kehrt nach einer guten Weile erst zurück. Aus der Vorratskammer holt sie Butter, Gelee und Brot, und erzählt beim Essen vom Notgroschen für die dringlichen Wünsche. Vedder schmaust und lauscht aufmerksam. Helena legt ihm das seltsame, unverständliche Gebaren der Fischerfrauen offen. Seither holte sie nichts vom Fang, verzehrt selten einmal ihre in einem alten Steinguttopf eingelegten Heringe. Bei sich aber sucht Helena nach der Antwort, wohin führe, was die Weiber ihr einbrocken.

Sie sinnt darüber. Dann schaut sie geradewegs in Vedders so helle Augen - wie die ersten Sterne am Nachthimmel draußen. Wie ein Licht intensiver Tag am Strand, wenn in ihr der Spaß und die Freude am Fund von Bernstein pulsieren. Im Moment des Erkennens hüpft Helena auf, holt den Suppentopf, Teller und Löffel an den Tisch. Denn, Herrjemine, Begehren glimmt in dem herein geschneiten Kerl. Müsste sie dem einen Riegel vorschieben? Demnächst? Bald? Die Entdeckung seiner Motive kribbeln in ihrem Bauch. Und rasch überlegt sie, er sollte noch nichts davon hören, nur von einem, dem neuen Lebensunterhalt und dafür von seinem Arbeitseinsatz.

„Bernsteinschleifen werde ich auch. Sammle mir bald am Strand ein paar Steine zum Ausprobieren.“

„Na, du traust dich was!“

Vedder streicht durch seine knisternden Bartstoppeln, wobei ihm mondhelle Nächte einfallen. Mit Helge, dem Sohn der Köchin Line, da der einen Köcher durch die Ostsee ziehe. Helge bezahlt keiner mit Salz. Etwas anderes wäre nicht zu teuer. Voll Glimmen, sieht Vedder auf Helena. Sie schlürft ihre Suppe vom Löffel, der vibriert, dann inne hält.

„Ja!“, erwidert Helena, schluckte einen Anflug von Glucksen inzwischen mit der Suppe. „Das Schicksal schickte mir Not, die ich abwende. Niemand kauft mein Land am Feuchtgebiet! Vielen Reichen aber gefällt hübsches Spielzeug für die Kinder und der Schmuck mit Bernsteinen an sich selber.“

Ihre Worte gemahnen Vedder an die Not in den Katen. Auch an jene vor den prachtvollen Kulissen Flanierenden, die sich daran ergötzen, weniger am Hinterland. Gedankenvoll löffelt er seine Suppe. Nach kurzer Zeit hört er seine Töne tieferen Schlürfens als Helena, die längst nicht mehr den Kopf hebt. Damit sie seine Begeisterung nicht erschrecke, haucht er bedächtig leise:

„Von der Wolgaster Fähre kenne ich einen Weber, ihm könnte ich die fertigen Bernsteine bringen. Er treibt allerlei Handel, sein Weben ernährt keine Familie. Er wirft an Land viele Netze aus.“

Vedder legt den Löffel ab, reckt seine Hand, reibt zärtlich wie selbstvergessen über ihr Handgelenk. Helenas Inneres seufzt wohlig, doch darin vibriert ein wenig die vorherige Erkenntnis.

„Du fällst mit der Tür ins Haus, wirfst mir ein Netz zu?“

Ihr wonniges Lächeln bezaubert Vedder. Zaghaft liebkost er ihre rosigen Finger, hebt seine Hand ab, spricht verträumt. „Hin und wieder fische ich mit ganzer Seele. Und gebrauche mitunter wie die Fische die Flossen, wenn der Wind dreht. Um mich freizuschwimmen und abzutreiben, ruft es der See so laut, dass ich einfach hinein waten muss.“

Ein sturer Zug verhärtet sein Kinn. Helena aber sieht schon in ihrem Inneren den gerne besuchten Findling sonnen-überflutet liegen. Wie sehr sie sich danach sehnt! Von Vedders verträumten Ton bewirkt? Sie lauscht dem nach - und dem, steht sie auf dem Stein und gibt Lasten dem Wind für den Wunsch, er möge die annehmen. Plötzlich versteht sie Vedder besser.

„Das kenne ich. Wächst mir etwas über den Kopf, seh ich den Horizont an. Davon abgesehen auf uns, mir genügt deine Antwort noch immer nicht!“

Er wiegt den Kopf ob ihres Naturell, nicht zu klagen, bis ihr die Luft ausgeht. Das übertrifft seine Angst vor Abfuhr.

„Ja, mein Netz werfe ich dir zu, unter der Bedingung, auch dich freizulassen, wenn dich die Winde fortwehen. Es ergänzt unseren Handel und wäre abgemacht! Oder magst du mehr an Freundschaft?“

Zärtlichkeit glimmt in Vedders Augen, in die Helena frech hell heraus lacht. Sie kraust die Nase, denn ihr Gedanke an den Seewind gab ihr doch etwas völlig anderes ein.

„In der Kammer steht der Badezuber. Juckt es nicht überall? Das fleckige Hemd und dein Schweiß scheinen älter zu sein als dir der Wachtmeister Karl erlauben könnte! Wie wär es? Nimm ein gutes Hemd von Joos an, sein Rasierbesteck. Wasser erwärme ich dir am Feuer, und gehe dann schlafen.“

Vedder erwacht anderen Tags vom Klappern des eisernen Dreibein im Kamin, in einer Pann rührt Helena in Bratkartoffeln. Er nimmt die Kaffeemühle, schlägt die Kurbel. Als das Aroma der zu Mehl verfeinerten Kaffeebohnen in seine Nase steigt, hat er genug von seinem Nachtalb und von Helenas Schweigen.

„Bist nicht gesprächig. Hast auch du schlecht geträumt?“

Helena zieht ihren Mund schmal. Alsbald stellt sie auf den halb abgeräumten Tisch zum gebrühten Kaffee ein Achtel Käselaib und die Bratkartoffeln. In Gedanken versunken essend, betastet sie ihre gestrickten Wollteile.

Binnen weniger Minuten schickt Vedder ungezählte Blicke an ihr vertieftes Nähen, fraglos geht sie darin auf. Sie umsäumt fein ein Bernsteinauge des halb fertigen Hasen, stickt dann die Nase in schwarzem Garn, deutet Nagezähnchen in Weiß an. Schließlich hält sie das Tier weit vor sich, prüft die Wirkung ihrer Eingebung im Traum, die noch fehlte und ihr Werk komplett macht. Schwierig erscheint es ihr, mit dem Gesicht bis in den Sinn der Bilder der Nacht hinein zufrieden zu sein. Denn darin glommen eigentümliche Augen über denen des Hasen wie ein Doppelpaar, und wurden von zwei dunklen Zöpfen eines kindlichen Gesichtes gerahmt. Im heutigen Morgenlicht, erfasst sie an dem Hasen nur noch, wie hoch sie ihre Ansprüche schraubt und es doch unnötig scheint. Dennoch ermutigt Helena sich.

Ein Kind erwählt mein Tier, belädt es mit Phantasie, spielt die Geheimnisse von sich aus, aus seinem Nahrungstor der Seele. Zumindest war es so, als ich in Swinemünde noch Kind war. Mir gefallen die Augen aus Bernstein. Sie bestätigen mich, bedeuten mir viel, weil sie im Traum offenbart wurden! Genauer hinsehen werde ich, liegt das zweite Auge an. Es kann mir gelingen.

Sie bringt einen halb runden Stein an, und strahlt nach einer Weile danach völlig integer Vedder an.

„Der Hase hat wie erwartet unverwechselbare, ausdrucksvolle Augen. Die Bernsteine zaubern Leben hinein, und ermuntern mich, ihn liebkosen zu wollen! Ich träumte von den bernsteinfarbenen Augen, und probiere aus, sie mit aller Raffinesse anzupassen.“

„Geträumt? In honiggelb und golden in lichtem Braun?“

Merklich durchzuckt Vedder der Nachtalb seines Traumes. Von nagenden Maden, die immerzu näher dem Stein im Herzen krochen. Seinen wehen Fuß sah er aufbrechen - weißlich gelb wie Ella am Ende war. Und sie kam, von Maden zerfressen, drehte sich vor ihm im Grabe. Ihm grummelte vor Schmerz, nicht bei ihr zu sein. Aber davon rede er, wenn Helena von ihrem Dunkelstes gesprochen habe. Am Schemel rückt Vedder ihr etwas näher.

„Die einsam stehende Linde im Wäldchen gen Swinemünde, die erinnert mich an Träume und gefällt mir besonders, wilde Bienen umschwärmen sie. Manchmal träume ich von dem süßen Honig. Auch im Winter ruft sie Geträumtes wach, gerate ich ihr nahe.“

„Dann schätze dich glücklich, Muße dafür zu haben. Ohne die Traumweisungen für die Augen, wäre ich noch nicht so weit! Sie sollen die Freude, die sie mir geben, vielen Kindern schenken.“

Vedder denkt scharf nach, indes Helena am Hasen den Knoten setzt, und ebensolche Zugeknöpftheit übermittelt. Die zerbreche er eventuell, spräche er sie an auf den Ladenbesitzer.

„Macht Putzenius krummere Touren als andere Händler? Ihn sah ich unterwegs mit einem Gespann.“

„Wieso? Er hat Leute fürs Grobe, und Lehrlinge! Fährt er was, geht's mich zum Glück noch nichts an.“

„Zu sehen waren am Karren Fässer. Ungewöhnlich nicht, fährt einer vom Timmermann ab. Aber ich rieche, das war nicht sauber. In Grünebergs Betrieb laufen im Winter die Sägen heiß. Und wer weiß schon, wozu ein Händler so viel von dem Sägemehl braucht.“

Helena lächelt wundersam, es lockert Vedder den Rest seines Alb. Darunter hervor aber quillt sein zurückgehaltenes Begehren und schwemmt ein nie dagewesenes Gefühl in seine lädierte Schulter. Eine Hand legt er an deren Knoten, an den Schmerz darin.

8

„Zieh das Hemd aus, ich reibe dich mit Kräuterschmalz ein.“

Helena legt ihr Nähzeug ab, verteilt eine Handvoll auf den nun blitzartig bloßen Muskeln auf seinen verwachsenen Knochen. Je nachdem, wo ihre Hände ansetzen, hält Vedder vor unerträglichem Schmerz die Luft an. Nach einer Weile atmet er stoßweise, Helena rieseln Schauer hinab in ihre Knie. Sie fällt in eine Anziehung von magisch tiefer Zartheit.

Ihre kleinen, kräftigen Hände spürt Vedder am Wehen ziehen. Sein Herz hüpft und springt wild. Er lässt den Kopf vorfallen, empfindet in Kürze Helenas Atemhauch kühl seinen Hals streifen. Ihrer Hände Wärme weckt ihm in jeder Berührung die schüchterne Regung: Andachtsvoll salbt sie mich, ihre Zärtlichkeit dringt bis zu dem kalten Grabstein im Innersten.

Helena spürt ein Prickeln in ihren Fingern, dem Brand einer Nessel ähnelnd entlädt es die Schulter. Grob kneift sie hinein, bedeckt dann die Rötung mit dem Stoff vom Hemd. Sie küsst spontan das nahe Ohr, und will sich abwenden. Sie zerren Vedders eiserne Arme auf seinen Schoß. Er senkt den Kopf an ihr Kleid, er atmet den Duft ihrer Haut ein.

Sein aufsteigender Kräutergeruch kribbelt in Helenas Nase. Jäh niest sie. In ihr braust die Dreistigkeit. Sie schlägt seine Arme herab, springt mit einem winzigen Schritt zur Seite. In der Drehung von einer Sekunde saust ihre Linke vor und klatscht an dem aus erwachter Zuneigung geküssten Ohr schallend auf. Helena brennt die Hand mehr als das Prickeln zuvor.

„Wage es nicht! Das war ... du Flegel du ...! Oh, jetzt bin ich diejenige für Schnaps bei derlei Fällen!“

Sie hastet zur Vorratskammer. Die Flasche an sich gedrückt, kehrt sie zurück zum Tisch, vor dem Vedder sein Hemd zuknöpft, wie ein getretener Hund bald durch die Stubenkök hinkt.

Kurz danach fällt Schnee in das eisige Band um die Kate, doch nimmt zu Boden nichts des Frosts von Vedder und Helena. In der Küche sitzen sie in erregter Wallung, die ihnen Unfug anrichtet, sie kein bisschen abkühlt. Ebenfalls nicht Ansgars Ankunft, der den Schnee abtritt, und nach einem Vedder streifenden Blick Helena zuzwinkert. Im Ton wenig unterkühlt, verkündet er:

„Ich bringe deinen Herd und meinen Nachbarn, er schlägt der Wand das Rauchloch aus.“

Er legt seine Felljacke nicht ab, die er bei Nachtfahrten mit unabsehbarem Wetter trägt. Sein Helfer, ebenso gekleidet, fasst kräftig mit an, als Helena den Milchtisch beiseite räumt, damit der Herd dorthin gestellt wird.

Danach setzt Ansgar sich zu Vedder an den Tisch am Fenster, kippt ein Pinnchen Sanddornschnaps, unterhält sich mit ihm in entspanntem Gebaren. Er weiß den Nachbarn beschäftigt.

 

Der nimmt auf langen Beinen Maß für das Wandloch, bröselt Lehm ab, rückt das Rohr zurecht, stopft feuchte Brocken ringsum ein, dichtet den Spalt. Schließlich kippt er Kaminglut ins Fach der Ofentür, schiebt Anmachholz nach. Es knistert und flackert.

Der Mann lächelt Helena an, und mustert sie so gewissenhaft wie ihre Hände über der Kochfläche. Er macht es ihr nach.

„Ansgar baute unserer Kök auch einen. Du wirst sehen, wenig Holz reicht, sogar wenn der Riegel am Rauchabzug maximal offen ist.“ Dann raunt er dröge: „Ich helfe ihm, mein Sohn kuriert Blessuren, wurde maßlos verdroschen! Pass auf, damit dir nichts zustößt! Die Weisungen der Halunken befolge nun ich. Schurkerei ist denen auf den Leib geschrieben, mich erschüttert deren Wut! Karl sollte dem ein Ende setzen, denke ich für meine Kinder.“

Erschreckt legt Helena ihre Hände ans Gesicht, vor Augen den Strand, den abgeführten Bansiner Knirps. Und in alle diese Gemeinheiten hinein hört sie, schnodderig gesprochen, Vedder fordern: „Ich fahre mit, Ansgar!“ Das betäubt ihre Freude am neuen Herd. Sie wendet sich im Ruck vom Nachbarn ab, verbirgt die feuchten Augen, blinzelt zum Milchtisch, der wie sie keinen Platz zum Anlehnen hat.

Hinter den Dreien knallt die Haustür binnen kurzem laut und hölzern zu. Ihr Schlag wirft Helena in herbe Enttäuschung. Teils darüber, allein gelassen kann sie nichts über Anziehung herausfinden. Gibt es eine Anbindung ohne eine Bindung? Sie linst auf den Türriegel, hatte vorgehabt, einen Riegel vor Vedders Begehren zu legen. Er gebrauchte seinen nach ihrer Ohrfeige. Doch zuvor hatte sie von der Ablehnung durch die Fischerfrauen erzählt. Vedder vergaß sein Versprechen von Freundschaft, wie ein Knirps mit Schrammen. Also doch, knistert es leise zur Verstärkung im Herd. Helena ergreift einen Eisentopf, mustert den aus und schnauzt den an für Vedders Fehlen.

„Du Topf hast weder Löcher noch Sprünge, aber wackelst. Du Ungeschliffener passt nicht mehr auf meine neue Herdplatte!“

Vedder fährt mit am rumpelnden Pritschenwagen. Weiß bedeckt der Schnee alles, nur nicht die tags zuvor getroffene Abmachung, er luschere nicht mehr. Doch fehlen ihm in Helenas Nähe die Worte, verrinnen wie durch ein Loch, bevor sie die Zunge irgend ein Eingeständnis formulieren könnte.

Zum Schloonsee hetzt Ansgar den Kaltblüter schonungslos. In die Flocken dichten Treibens springt er ab und schüttelt seine Schultern frei, reibt heftig die Hände und ruft nach rückwärts:

„Näher fahre ich dich nicht, Vedder, steige ab hier am Abzweig!“

Vedder humpelt los, zielstrebig wie sein Gespür voraus fliegt gen Schafstall, und in eine Erklärung.

„Son Schietwetter!“, äußert Ansgar bald, Vedder am Weg ein Stück begleitend. Vor die steile Schneefläche am Dach der Kate angekommen, wischt er sich die Stirn ab.

„Rücke raus, mein Freund. Hat dich die Liebe erwischt?“

„Na ja, seit Herbst geistert die in mir. Wollte nur Helena nach dem Unglück meine Hilfe antragen.“

„Spät genug für Beides“, kommentiert Ansgar. „Helena sagt, wie sie es haben will. Du wirst staunen, wenn ich ihr die anderen Sachen bringe, denn dann kommst du mit. Rike scheucht mich, alles rasch zu erledigen. Tschüss.“

Es schneit in den folgenden Tagen ununterbrochen, deckt weiche Hauben über alles und dämpft jedes Geräusch, sogar das trockene Rascheln bei Helenas Heuausstopfen der Stricktiere. Die Stille schenkt Helena schöpferische Ideen. Die Herdwärme belebt wohltuend ihre mit Nadeln hantierenden Finger. Fast vergisst sie den Bruch von Vedders Versprechen. In ihrem Alleinsein beachtet sie mehr ihre zarten Züge, freundlich mit sich. Weil sie auch immerzu bedenkt, viele Lüüt draußen erstarren an harter Not. Sie selbst durchlebt, durchnäht ihre Nagelprobe mit den Fingern, würde weiterhin mit den Nägeln daran, und hervor aus ihrem Wesen, für sich ihre gefestigte Substanz ausbilden.

Ihre innere Einstellung erprobt Helena, als ein frostklarer Mittagshimmel sich über dem Land wölbt, und Ansgar und Vedder an der Kate vorfahren. Vedder nimmt eine Kiste vom Wagen, geht die Stufen aufwärts zu Helena.

„Ihr bringt mir die Geräte meiner Werkstube? Prächtig!“

Ansgar lacht laut über ihr Staunen, schubst Vedder an Helena vorbei. In der Kök zerrt Vedder seine Kappe vom Kopf, hält unschlüssig die Kiste. Helena winkt ihn zur Kammer, öffnet die Tür hinein.

„Auf den klotzigen Tisch am Fenster damit! Der stammt noch aus Joos’ Zeiten, hat durch mich einen neuen Zweck!“

Im Hineingehen zieht Ansgar seine Winterjacke aus, legt sie ab am Tisch, und kraust die Brauen. Ein Brummeln steigt aus seiner Kehle, die er räuspert und sich zu Vedder umwendet.

„Stell die Kiste endlich her, aber behutsam!“

Als Vedder es wie geheißen erledigt, entnimmt er ein Fass und ein eigenartiges Gerät, an dem er hantiert und Helena anspricht.

„Dir fabrizierte ich das, was mir lange im Kopf lag. Sieh, mit einer Kurbel bedienst du den Schleifer und zugleich den Bohrer. Je nachdem woran du arbeitest, drehst du am Hebel. Die Klemme der Zwinge hält Steine aller Größen fest.“

„Ach, ich verdanke dir viel! Du bist ein wahrer Freund!“

„Ja, dem Erfinden Spaß macht. Probiere das Polierfass aus, dann leuchten deine Augen noch mehr.“

„Strandsand habe ich keinen. Das funktioniert schon! Kommt jetzt beide auf einen Tee ins Warme, dann schnacken wir!“

Im Vorbeigehen schenkt sie Vedders scheuen Augen einen auffordernden Blick. Den erwartete er in der ganzen Zeit, in der sie nur das Werkzeug sah. Seine Kehle wird trocken und rau, reden würde so schwierig werden wie einem ihr Fremden, der solche Blicke nur aufsaugt. Also greift er drei Köppen vom Wandbord. Still steht er dann vor der mit wolligen Stofftieren übersäten Tischplatte.

„Siehst du!“, meint Helena, heiter im Ton, „gut ging es mir von der Hand. Warte einen Moment, ich räume es fort, setze den Wasserkessel nur eben auf den Herd. Neue Töpfe habe ich keine, die Alten wackeln eine Weile noch!“

Sie stellt den Kessel auf, zum Wärmen eine Kanne, misst Tee hinein, geht dann rasch zum Milchtisch, füllt ein Kännchen, rückt es neben den Wasserkessel. Helena räumt den Tisch frei, hält aber inne.

„Die Kök sollte stets gemütlich sein für lieben Besuch. In die Kammer setze ich mich zum Nähen und lasse die Tür offen zur Wärme. Mehr Holz müsste ich hereinholen.“

„Das erledige ich für dich, Helena!“

Aufatmend stellt Vedder die Becher an den Tischrand rundum, stapelt flink wie der Wind die Scheite aus der Nische in den Kamin, eilt danach zur Hintertür hinaus.

Der Klang der so hastig geworfenen Hölzer schwingt im Raum, sickert verheißungsvoll in Helenas Ohren. Sie lächelt dem nach, der da ist und wieder herein kommt. Das schlingernde Sinnliche könnte mit ihm eintreten ...

Zu Dritt sitzen sie um die dampfenden Teebecher, ihre Hände wärmend. In Erwartung, Vedder oft wiederzusehen, und um ihn in aller Bescheidenheit aufzufordern, meint Helena:

„Bestes Wetter für einen Brennholzschlitten, Vedder.“

„Mein Fuß heilte vollends. Bevor es dunkel wird, könnte ein wuchtiger Teil vom Windbruch aus dem Schnee geholt sein.“

Vedder schaut Ansgar an, nickt auffordernd.

„Du bist beschäftigt!“, tönt Ansgar, rau aus Gewohnheit, wo es nur gehe Arbeit anzuweisen. Ansgar sieht hinüber zu Helena, ihre Augen funkeln. Weniger rau, sogar besorgt und zärtlich spricht er.

„Im Wege steht deinem Probelauf nichts. Schleifen zeige ich dir noch, bevor wir zurückfahren.“

„Muss überlegen, an welchem Stück es schief gehen dürfte!“

Helena reibt ihre Wangen, bedenkt flüchtig die Schatulle am Speicher. Oben ist es viel zu kalt, um Brocken zu suchen, an denen es egal wäre, stelle sie sich ungeschickt an. Oh, die Fundstücke habe sie doch auch aufbewahrt und sogar in der Nähe!