Altgold im Anflug

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„Langsam, langsam, ich ahnte deine Spitze voraus!“, entgegnet Anton. „Deine Begeisterung impft nur dich, geliebte Frau. Obwohl, einen vollen Sack hätte ich zu bieten, ohne jeden Abfall, mit dem Sprungbrett vieler Besucher bei Miguel hier, und wenn du magst, bekommst du einen Beutefang!“

Anton stemmt und grätscht am Weg die Beine, und verblüfft Miguel mehr als die geheimnisvolle Andeutung oder Usas Spontaneität, obschon auch etwas anderes. Miguel lauscht hinter sich, dreht sich forschend in die Ferne, und mit ihm Anton. Die erneute Böe aus Meerwind wehrt Anton mit einer Hand am Kopf ab, weniger seine frohe Erregung, die Vorfreude auf eine Spielerei.

„Die Beute wäre, du schreibst über die sympathische Ecke und einen schuftenden Narren, als ob du mir von späten Rosen und tierischen Untermietern erzählst! In den Bohrlöchern des Insektenhotels, meine ich, dort lauern Antagonisten, denen keiner nahe kommen will, ihren harten unnützes Bissen ins Fell.“

Aus einer Westentasche kramt er die Kamera, reicht sie Usa, schwingt sie mit ihren Händen auf und nieder. Usa dankt ihm wunderbar lächelnd und das reißt Anton hinein in den verzückten Ausruf:

„Aha, eine Dosis mehr Leser eines neuen Artikels gefällt dir, und Eintauchen in ein fließendes Schreiben.“

„Gern, du zweiter Schatz im satten Grün, im Licht fotografiere ich das Schöne. Kraftvolle Energie soll auf den Fotos sein. Eine, die in die Gene sinkt, den Duft in der klaren Luft riechen lässt.“

Beseelt erwidert Usa seinen Blick. Rasch widmet sie sichdann aber einer weißen Wolkenschnur am Ozean und blinzelt.

„In den Augen, meinen Werkzeugen, schmerzen das Himmelsblau und das Weiß. Ich sehe Nuancen eines Königsblau, samtiges Ultramarin und profundes Türkis. In diesen Himmel wachsen gerne Rosen, wäre ein treffender Titel für einen Novembertag auf Madeira. Zum Einfangen schön!“

7

Die Wärme am Tag zuvor liegt in den Außenwänden der Quinta wie in einem Speicher, spürt Usa um sich herum, während sie am klaren Morgen den kühlen Winden das Schlafzimmerfenster weitet. Erst jetzt, weil im Obergeschoss das Knarren schweigt. In ihr wenngleich weniger die Frage, ob Veras Bett an die Unendlichkeit gebunden wäre - immer ohne Ufer. Am Abend zuvor hatten Ohle und Vera eine gewisse Spannung, als beide vor ihrem schlafen gehen ein reichhaltiges Abendessen verzehrten. Nur kurz, wegen der Ermüdung nach der des Nachdenkens werten Besichtigung der Rosenplantage, hatte Usa bei ihnen in der Wohnküche gesessen und alsbald rasch das zweite Kissen in ihrem eigenen Bett aufgeschüttelt, um es griffbereit auf ein Ohr legen zu können.

Usa räkelt die Arme am Fenster hinaus und erwacht mehr. Aus ihren zuvor völlig anders wirbelnden Gedanken weht der Anflug einer Idee - herein an des Fensters Metallrahmen. Seine Kühle betastend, klärt Usa die Idee. Den Rahmen ordnet sie auf das sie sinnlich erfüllende Patchwork und schon wird daraus ein in Silber gestaltetes Rad mit Speichen, dessen leere Räume das gelbe Vieleck bedeckt und gleißende Strahlen hinaus in die Umgebung aus Flusswasser drängen. Gestaltet aus den Quadraten frischer und gedeckter Grüntöne. Tag für Tag würde die Decke ihr Bett mit vielen kräftigen Grüntönen schmücken, die rundherum bis zum Boden herab die Kanten bedecken.

Rasch kritzelt Usa mit einem Bleistiftstummel in ihre Notizkladde, schraffiert an der Skizze längs dem Vieleck mit seinen gelben Strahlen das Silber am Rad und notiert Nuancen von Grün und Gelb. Doch unterdessen öffnet sich munter jener andere Kanal, der ihr gestern Raum für müßige Hände vorgab.

Nun ja, einzusehen ist, ein Langsamtreten bei den Anliegen wäre sehr fein, sie müsste weniger hohe Temperaturen bei den Hitzewellen aushalten. Sich selbst rät Usa eine Langsamkeit, auch wegen ihrer mentalen Ermüdung. Ohne das gewisse Level von Energie gelingt keine Näharbeit, desgleichen kein Schreibansatz. Der Herbst mit seiner Zeitqualität, weniger Konzentration auf Aktivität, verlangt es.

Müde Zustände rufen nach Ordnung. Nicht nur an den Haaren, am Sein, am generellen Selbst, sich zu mögen und das mächtige Eigeninteresse. Eines ohne Erwartung, frei von Druck. Nun, in etwa trifft das auch zu auf nahe oder ferner wohnende Klienten, die keine Massagen anmelden. Ein verständlicher Rückzug in deren häusliche Gemütlichkeit.

Für eine saubere Gemütlichkeit, laut heutiger Putzliste, wählt Usa ein legeres Hemd und ihren locker fallenden Batikrock. Seine Farben, trotz der Technik verlaufen, zeigen das kräftige Grün von Nadeln von Pinien, ein samtiges Moosgrün und noch helleres Grün, wie bei den langen Zungen der Blätter an Stauden von Agapanthus. Dieses Spektrum braucht sie, weiß Usa sicher. Nicht nur der Putzplan, alle Ereignisse verlangen Präsenz, keine Fassade, sondern eine starke Herzfrequenz aus der wesentlichen grünen Substanz aller sie motivierenden Farbtöne.

An ein Rot, komplementär zum grünen Rock, oder an die Fusel vor ihrem Blick bei Miguels gestriger Erzählung, denkt Usa nicht. Sie freut sich auf das Frühstück neben Anton in ihrer beider Teeküche.

Der schmiedeeiserne Tisch steht gedeckt mit Saft aus Limonen und Orangen, mit einer Kanne Tee aus bevorzugten Kräutern, einem Tässchen Espresso für Usa. Neben dem frisch gebackenen Hausbrot von Maik, in schmale Scheiben geschnitten, stützt Anton in sich versonnen seine Ellbogen auf. Doch mehr locken Usa die letzten Avocado vom Garten und die feinen Streifen einer weißen, herzhaften Rübe.

Vor solchen Köstlichkeiten können die auf das nötigste reduzierten Mitteilungen zu keinem Gespräch animieren und keines bedarf der gemeinsame Tag bei Miguel auf der Rosenplantage. Nachdem Usa den Espresso getrunken hat, schwelgt sie, vergleichbar mit der Staubschicht auf den Möbeln, in dem Staub aus Erde, auf den Reihen von Fußstapfen an dem vertrauten Flussufer. Die empfangene Vision, mit ihrer Art von Orientierung am frühen Herbst, die drängt sich von selbst in den Vordergrund.

Usas entrücktes Sinnen, dessen Anlass Anton nicht erfährt, kommt ihm gelegen. Mäßig taff von seiner gestrigen Verjüngung, plant er seinen Tag. In der grauen Jeans, der Flecken nichts ausmachen, würde er das Mountainbike reinigen und danach die Nachbarsjungen fragen, ob sie an einer Fahrprobe Spaß hätten. Ihn lockt der passabel geeignete, klare Sonnenschein hinaus.

So weit, so gut. Er würde das Rad lenken, während die Brüder fahren.

An der Straße dröhnt ein Motor. Gedämpft leiser, röhrt ein zweiter aufwärts näher und näher. Für den Morgen arges Getöse. Kaum neugierig geworden, schlendert Anton nach einer Weile hinaus. Vor der Wohnküche vorbei, hinüber zur Wand der Außentreppe, hinter der er auf den Schotterweg blickt, der hinführt zu den oberen Häusern. Allerdings fällt sein Blick wie magnetisch vor die nackten Weinstöcke im Vorgärtchen. Dort senkt Miguel den Kopf an dem für Lian gepflanzten Rosenstock. Miguel ruckt an der Jeans, kniet nieder und zupft aus der Gießrinne wilde Gräser und Kräuter. Die braunen Muskeln der Arme rollen sich unter den hochgekrempelten Hemdsärmeln. Schon summt Miguel, als ob er die Melodie nur leise mag, in Andacht versunken für die Verstorbene.

Respektvoll zieht Anton sich zurück, kauert hinter der Wand auf einer Treppenstufe und reibt sein Kinn. Verwundert über das rasche Wiedersehen, empfindet er zugleich auch freundschaftlich, und, ihm gefiele für den Zugewinn an Kontakt mit den Nachbarskindern etwas mehr davon, eine Gabe von Miguel.

Eine erhält er. Von einem Moment zum nächsten in gänzlich anderer Art. Miguel summt nicht länger leise, er schmettert aus voller Kehle den Text des Liedes, den sein tiefer Bass weit trägt. Obschon Anton erst recht kein gesungenes Madeirisch versteht, erreicht seine Ohren die Zärtlichkeit des andächtigen Einsamen, der sein Gemüt heiter singt, und wohl dankt für die kurze Zeit gelebter Liebe.

Ein sehr beachtlicher Zug, erwägt still Anton. Doch von jetzt auf gleich stört Miguels Ritual die Schimpftirade von streitenden Männerstimmen, eine sogar in Deutsch gar nicht weit weg in der Stimmlage von Carel.

Dieser Störer im Frieden zieht schon wieder Argwohn vor sein Ansehen! Das mir, das heute!, denkt Anton.

In großen Sprüngen wetzt Anton auf den Parkplatz. Dort hebt er grüßend eine Hand vor Miguel, lugt unter der anderen, den Blick beschattend vor der Morgensonne am östlichen Berg, aufwärts zu der kleinen Casa. Dort dröhnt das Geschrei. Auf der Straße darunter parkt der Lieferwagen des Fischhändlers, von dem Anton weiß, er ist ein Freund des nicht mehr lebenden Vaters der dort wohnenden Brüder.

Vor den Stufen oben, in der Gefahr am Abhang, zerrt mit zupackenden Armen eben dieser Fischhändler wie ein Streithahn, in der Absicht infernalisch zu hacken, Carel am Pulli. Carel kann nur dessen Wortschwall abwehren und fuchtelt und wedelt mit geballten Fäusten, während er irgend etwas zurück schreit. Doch im nächsten Moment stürzt Carel hart zu Boden. Ihn fixiert, offensichtlich geübt in Kampf, das aufgestemmte Knie des Insulaners nach unten.

Die oberen Konturen nur kann Anton erkennen, der Liegende fiel ihm aus der Sicht. Doch der Fall zeitigt in seinen Gedanken paradoxe Schleifen. Streithähne sähe er lieber als zwei Gallo, mit einer köstlich gegrillten knusprigen Pelle und duftend heiß, hübsch zum Verzehr dekoriert.

Die wehrhafte Schleife zündet kaum. Sein Schlepptau ist schon da, die Furcht. Einen Kontrapunkt legt Anton mit einem Fühler auf Carel. Lieber sähe er den zu Boden Geschlagenen im bunten Schillern fluoreszierender Spiralen, im Dehnen solcher Massen. Er weiß es, er liegt daneben, ohne eine Chance vor dem ausgeprägten Treiber, dem Gegner, der Carel bedrängt! Hinzu vermutet Anton, Carel spule die bewährte Strategie ab, wie im Sommer, als er mit perfekter List vor Maik und ihm den Ohnmächtigen spielte. Lohnt sich ein moderates Beobachten?

 

Neben Anton, und seine Unentschiedenheit, tritt laut und hart Miguel auf die Schottersteine. Er gibt Anton das Resümee in Englisch zu dem Geheul des Händlers, und will gleich das deutsche Gebrüll von Carel wissen und verstehen. Anton setzt an, mit einer Spur von Schadenfreude:

„Interpretiere frei heraus, was Carel treibt. In der Lage höchst unsinnig, weist er des Vaters einstigen Freund aus dem Haus der Familie, in dem er selber nur Gast ist. Irgendetwas läuft schief. Carel redet inbrünstig wirr und irre, zwar nicht feige, doch nutzen seiner Verteidigung Worte? Er will Dominanz in der Casa, nicht in der Tür den Fuß des Fischhändlers. Dem Vertreiber nimmt Carel vor allem übel, den Vater der Brüder ständig zum Saufen verleitet zu haben. Daraus folgert Carel dessen Tod und das Ende der eigenen Grabung auf der Hochebene, nach wertvollen Mineralien. Der hat Sorgen!“

„Na, bei dem Gesicht, das der Fischhändler zieht!“, Miguel schüttelt eine Hand wie verbrannt, „würde auch mir die Suppe überkochen.“

Dem nicht endenden Wortwechsel der heiser werdenden Konkurrenten lauscht Miguel und bemerkt am offenen Eingang der Casa zeitgleich eine ruckelnde Bewegung und den hektischen Zug von Ellbogen, die ein buntes Tuch am Kopf der alten Frau verknoten. Hinter ihr drängen Jungen in geflickten Hosen nach. Im Takt von Minuten erinnert Miguel einen Bericht von Lian, versteht den Vorgang, und erklärt den Eindruck.

„Auf Dauer kann Carel nicht unterkriechen, das verhindert der Rausschmeißer der Großmutter.“ Leise fragt er: „Was ist mit dem Deutschen? Kann der nicht bei euch wohnen?“

Anton verneint vehement mit einem Kinnruck und einem deutlichen heftigen Tippen an die Stirn. Von so etwas unbeeindruckt, hakt Miguel Anton unter, führt ihn zur Straße.

„Ärger liegt in der Luft, der muss hüben wie drüben fort! Anton, das ist jetzt deine Chance als der helfende Nachbar mit Vatereigenschaften und mit einer Weichheit, zugeneigt den Jungen. Kapiert?“

Ohne Miguel anzusehen ahnt Anton, sein Freund frage, wegen dem sie einenden Gedankenaustausch in seiner Quinta, nach seinem Verständnis. Miguel aber führt ihn wie einen Unmündigen weiter. Und vehementer noch vor das Ziel des überlauten Gebrülls der Streithähne. Anton zittert bei dem Impuls, er gerät in einen an vielen Ecken irritierenden Kontext. Bei dem Spiel helfe nur, er übe ein wenig und spiele einen Arglosen. Also erwidert Anton spontan:

„Kapiert, ja ja, genau! Auch ich hatte, so sagt man wohl, eine schwere Kindheit und dulde deshalb bei den Nachbarn nichst ähnliches. Ich kann taff sein, trotz meiner Erfahrungen. Angeblich macht jede Erfahrung stärker. Je mehr davon, je lieber. So stark wie du, der du mitgehst und nicht auf den Kopf gefallen bist.“

Ohne darauf einzugehen, führt Miguel ihn, Anton, voran auf die Treppe mit abgetretenen Stufen auf breiten Quadern, beachtlich für eine simple Casa. Auf der Hälfte der Höhe lockert Miguel den Arm, gibt aber Anton neben sich erst frei, bis sie nur noch eine Schrittlänge von den Streitenden trennt. Zu denen mault Miguel, ohne jede Atemnot in kehligem Bass „Hooh, hooh!“, die übliche Begrüßungsfloskel der Dörfler.

Von dem fürderhin nur noch lauten Kauderwelsch versteht Anton nur Silben, lauscht aber verzückt Miguels Sprachmelodie. Unterdessen bemerkt er, der Fischhändler registriert sie beide erst jetzt. Sein hellbrauner Blick sucht offenkundig einen Grund für das Kommen wie aus dem Nichts. Hervor unter der Schirmkappe sendet der korpulente Händler einen Hub Ablehnung. Er spitzt kurz den Mund, zeigt dann ein breites Gebiss prächtiger Zähne und richtet hinauf an Miguel monoton einen Antwortschwall, rau und dunkel nach Rüffeln klingend, die Anton die Ohren verstopfen und die Augen weiten.

In der Nähe liegen zum Glück die in Lians Atelier getöpferten Hunde der Brüder. Der eine Hund sonnt sich, er wurde von Jackos Händen gestaltet und ganz sicher mit emotionalem Erholungsbedürfnis. Am Fell, mit einer Rauten-Schablone gezogen wie von Trost gebenden, streichelnden Fingern, leuchtet die Lasur in der Morgensonne vor einer Staude des allzeit mit langen grünen Blättern wachsenden Agapanthus.

Jedoch gewann Josés Hund durch Lians Talent die Ähnlichkeit mit einem kläffenden Terrier. Tja, doch der kleinere Bruder duckt sich im Halbdunkel der Haustür. Wie schade! Würde er über den Hund ein Vielfaches reifen? Das Ziel liegt schon da, fällt auf bei den in Herbstpracht blühenden Indischen Lilien. Nahe der Wand der Haustür streben ihre faustgroßen roten Blüten bis unter die Dachtraufe.

Aus den roten Blüten und allem kräftigen Wuchs bezieht Anton immense Energie, die ihn, wie unter Zwang zu gehen, vor den liegenden Carel führt. Ihm zeigt er eine fragende Geste bei offener Hand. Derweil knurrt bellend der Fischhändler, schlenkert beide Arme über die gesamte Casa, streift sogar Antons Hosenbeine.

Hart bricht die Berührung ab und zugleich in Antons Gehör auch die Schrecknisse polternder Worte. Wegen der Nachbarin, die, immer noch die Haustür bewachend, leise etwas sagt. Nichts verstehend, mustert Anton bei einem schnellen Blick ihre blau geäderten Füße in den Schlappen, die unter ihrer ausgebeulten Hose im Fischgrätenmuster hervorlugen. Daneben halten ihre Arme die Brüder fest zurück. Einzig deshalb erschlafft Anton ein Teil seiner Kraft, seiner Anspannung. Seinen Arm lässt er wie leer baumeln.

„Wie ich schon sagte“, wendet sich Miguel an Anton, ein wenig kippelt sein tiefer Bass, „der Winter naht, die Großmutter möchte ihre Küche für sich allein und die Kinder. Der Aufpasser Carel muss raus. Sie unterließe es auch ohne ihn, unartige Bürschchen in den dunklen Keller zu sperren.“

Carel, der die englische Übersetzung verfolgt hat, hebt beide Fäuste. Schon schnauft er tief und stößt das Knie des Händlers von seiner Brust, dreht sich vom Boden hoch, steht wackelig gebeugt. Der Fischhändler erhebt sich ebenso lahm, reckt die kleinwüchsige, breit gebaute Gestalt, spitzt die Lippen und zwinkert der Nachbarin zu. Derweil beklopft Carel seine von Erde behaftete Rückseite, bewegt sich überall und bekennt Anton danach, noch hitzig im Überschwang und heiser:

„Glaub mir, über das eben mag ich kein Wort verlieren. Soll sie ihre Küche alleine heizen! Einfacher gehaust habe ich selten. Ich bin im Kulturschock, das hier ist mehr als gewöhnungsbedürftig.“ Carel hebt den Blick, poltert heraus: „Der müden Alten bleibt ihr kümmerliches Dach so windschief wie es ist. Innen bröckelt an manchen Stellen der Putz in riesigen feuchten Fladen von der Wand. Ich hätte gewerkelt, soll aber weg.“ Nach Jacko und José sich drehend und sie anschauend, kann er den Blick nicht abwenden. „Den Jungen schmeckt so etwas nicht bitter, die kennen nur kaputte Wände.“

„Du hattest deine Gründe für diese Art von Unterschlupf. Ich ziehe vor, die behältst du für dich!“

Seine Kritik an Carel kaum Miguel übersetzt, blitzt des Rosenzüchters Augenlicht heller bei der Frage:

„Anton, wo soll er hin? Könnte er, mit aller Liebe zur Natur, meine Plantage hegen und pflegen? Du weißt, ich brauche gute Arbeiter. Kommt am Wochenende mein Sohn von der Schule in Funchal, finden wir eine Lösung für familiäre Eintracht. Ein Bett ist rasch aufgestellt.“ In sich sinkend, klimpert Miguel mit den langen dunklen Wimpern. Klarheit und Höhe füllen seine Stimme. „Jeder Mann braucht mindestens einen anderen, der mitmacht. Gegen den Kulturschock bin ich sicherlich gut für Lektionen von neuen Erfahrungen. Nur die Probezeit sollte gut verlaufen.“

Carel klappt der Kiefer herab, die Augen zieht er schmal. Rundum der kleinen Falten fehlt jegliche Abwehr, ebenso wie an seiner forsch geführten Geste gegen den sich neben die Nachbarin stellenden Gegner. Hart und laut seufzend, sammelt Carel sich und sein vorhandenes Englisch für eine Antwort.

„Ich bin doch kein faules Ei, ich kann arbeiten. Das kommt dir und mir entgegen! Hey Mann, du Retter der Situation, jetzt warte eine Minute, ich pack meinen Kram und verschwinde von hier.“

„Das vernichtet den Stein des Anstoßes“, wendet Miguel sich an den die Szene beäugenden Fischhändler, an dem vorbei Carel in die Casa drängt. „Mission erfüllt, du kannst abfahren, aber fix!“

Diese direkte Aufforderung geht dem korpulenten Händler augenfällig abscheulich an die Leber. Ihm läuft Speichel aus dem Mund. Eine Hand am Bauch, steht er vorgebeugt bei der Großmutter, deren runzeliges, gebräuntes Gesicht eine Mimik von Erschrecken zeigt. Der Händler wischt die Schirmkappe vom schütteren Haar und streift darüber, legt die Kappe wieder auf. Den Kopf schüttelnd, hüstelt er in die Faust. Ihm soll Miguel nicht noch in letzter Minute davonkommen. Sich betont aufrecht haltend, entrüstet er sich gegen Miguel in einer Intonierung, aus der Anton heißen Hass heraus hört.

Anton erkennt am Gesicht der Frau, wie sehr ihr Rausschmeißer sie beeindruckt. Nahezu gleich klein stehen die Beiden nebeneinander, im Alter eine Generation weniger, dahinter die Jungen, von deren Konturen er nur Schatten erfasst. Klarer bemerkt er, die Oma weicht seinem über sie streifenden Blick aus. Sie hört ihren Dialekt in Miguels Antwort, und versteht. Ihre Mimik färbt Selbstverständlichkeit, erst jetzt aufgelegt, während sie mit spröder Stimme etwas erwidert und ablehnend herüber blickt.

Auch ein Rätsel, oder keines. Allmählich begreift Anton die alte Frau. Er gleicht sein Erkennen ab mit seinem Wunsch auf ihre Enkel. Die Großmutter würde deren Zukunft bestimmen, ohne Carel als ihren Verbündeten. Diesem Fremden verbietet sie ihr Haus. Täte sie es gegen eines Nachbarn gute Absicht? Anton schwant in etwa, es könnte unbehaglich und bitter ausgehen.

Kurz nur währt der mulmige Moment. Anton sieht an Miguel eine hart geführte Armbewegung, und damit zerbricht die von der Nachbarin atmosphärisch erzeugte Missbilligung.

Und die Geste verbietet auch dem Fischhändler das nicht endende Lamentieren. Seine Augen blitzen. Laut schnaufend schwankt er hin und her, die Knie der abgeschabten Hose schlackern, die Hände umgreifen die Gürtelschließe, als ob die ihn noch auf der Stelle stehend hält. Nach und nach vergrößert er den Abstand zur Großmutter, nickt ihr verkniffen zu, öffnet den Mund aber für keine Silbe.

Im gleichen Maß seiner auf den Quadern der Treppe hart knirschenden Schritte abwärts, ruckelt die Frau am Kopftuch, legt die Hand danach oben auf. Sie watschelt ins Haus, an Jacko und José vorbei, die sie noch mit einem Griff rüde hinein zurück schubst, und drinnen nach Carel ruft.

Anton kommt kaum dazu, sich darüber zu wundern, oder über Miguels imposante Gebärdensprache. Eine Frage brennt ihm auf der Zunge, aber die gehorcht ihm nicht sofort flüssig redend.

„Du bleibe noch, bitte, Miguel.“

Schon zupft Anton an dessen Hemdärmel, und sich am linken Ohr, seine Gedanken überschlagen sich. Im Handumdrehen sortiert und begradigt er. Während der Fischwagen auf der Bergstraße startet, legt Anton ein Blinzeln für die Kinder in seine Augen. Die Zwei stehen wieder an der Haustür in Formation, Jacko, den Bruder an der Hand. Anton fließt das Herz über. Und seine Zunge lockert heraus all die bislang ungesagten Worte. In Englisch für Miguel, der staunend von seinem Antrieb hört, mit den Jungen weiterhin etwas unternehmen zu wollen, um ihnen eine verlässliche Leitfigur zu sein, ein Opa auf Zeit, wenn sie ihn haben wollen. Und, ja, einige Fremdworte mehr wolle er sprechen lernen. Wer könnte das besser vermitteln als diese Kinder, die ihm in ihrer Mundart neue Worte beibringen? Sein Schwall des Offenbarens vor Miguel beendet Anton mit einer zweiten Bitte.

„Du, Miguel, gingst mit deinem Sohn längst etliche Schritte weiter als die Jungen in ihrer Restfamilie mit der Oma vermutlich niemals erreichen. Deshalb biete ich ihnen ein neues Spielzeug an, ein Mountainbike, und das gefällt auch dem Kind im Mann. Hilfst du mir?“

Wenig sagt Miguel den Jungen, unterlegt es in der Tat mit einem munteren Grinsen, das ihnen sichtlich viel mehr verdeutlicht. Anton lauscht entzückt der Sprachmelodie, die in nichts der rauen Begrüßungsfloskel vor Minuten gleicht. Miguel vermittelt eine zugeneigte weiche Art. Er lockert die Schultern, er überlässt es Jacko und José, ob sie seine Beachtung mögen. Langsam redet er und senkt den Kopf, als könnte er das Wichtigste nur flüstern. Kein Lächeln bemüht Miguel, sein Bass streichelt die Gehörgänge so sanft wie ihre kindlichen Wesen. Desgleichen eines in der Nähe, Anton fühlt sich einbezogen. Er erlebt ein beeindruckendes Exempel und nimmt es an als die größte Gabe von Miguel zur Wunscherfüllung, im weiteren Geschehen bei der folgenden Parade.

 

Die Hand des Bruders lässt José los und hüpft mutwillig nach vorne, langsam folgt Jacko. Seine Kinderaugen, zuvor apathisch dumpf, nehmen einen goldig unbekümmertem Glanz an. Höchste Anerkennung strahlt auf Miguels freundlichen Gesichtszügen. Er kniet nieder am festen erdigen Boden vor der Casa. Um ihn herum wirbeln die schmalen Arme der Brüder durch die Luft. Sie sind ein wenig noch sprachlos und vorsichtig, aber ihre Hände betasten ihn.

Ein Stich fährt Anton ins Gemüt. Gerne würde er die Brüder in ihrer Sprache ansprechen, dann kämen sie zu ihm herüber gehüpft, er könnte ihre Händchen anfassen. Er wäre nicht länger unfähig. Dennoch geht sein Plan auf, sein Glück rückt näher und das wäre in vollen Zügen zu genießen. Anton verfällt auf eine Idee und bezieht den mit ein, der eilig hinzu stürmt. Carel hat einem ihm wichtigen Rucksack, voll gepackt, einmal nicht mit den Gesteinsproben von der Buddelei auf der Hochebene Paul da Serra.

Nach wenigen Schritten glättet Carel seine Gesichtszüge. Darauf bedacht, keine Wehmut spüren zu lassen, da Miguel bereits einladend einen Arm in seine Richtung streckt. Obgleich, an einer Maske von Gleichmut bemerkt Miguel möglicherweise, demnächst bei der Maloche, doch seinen Verlust von jenem kleinen Glück, in einer, wenn auch von der Norm abweichenden, Familie gelebt zu haben.

Mit seiner Wehmut steht Carel allein vor den verpassten Vorgängen, vor der Fröhlichkeit, die ihn sprachlos macht, die über die Gesichter der ihn Anschauenden flirrt und den festen Erdboden vor der Casa mit einem geheimen Glück überschüttet.

Die Stiege hinab führt Miguel die Kinder, unten in aller Seelenruhe vor sich über die Straße. Dort winkt er verneinend Carel zurück von seinem Jeep und ebenso wortlos hinüber zu der Quinta, wohin Anton voraus geht. Das Haus der Gemeinschaft erinnert an unbehagliche Erlebnisse, wachsam folgt Carel in den Innenhof und bemerkt ein auf ihn lächerlich und absurd wirkendes Grinsen an Anton, der weiter zum Felsenkeller eilt und ein Fahrrad herbei rollt.

Von dem Anblick kichert Carel wie irre, weil er das gar nicht witzig findet. Miguel schaut ihn forschend und ermahnend an. Noch ein Mal, während er den Jungen in Madeirisch am Rad etwas erläutert, aber kein Wort ihm, Carel, erklärt, wozu die Kinder sich das merken sollen. Daraufhin, allmählich begreift Carel, fährt Anton eine Runde Mountainbiken vor der Wohnküche über die Steinplatten der Terrasse, wo kein Sonnenschirm wie im Sommer den Schatten spendet oder jetzt die Fahrerei würde stören. Störend empfindet Carel eher Antons Gegrinse und sein auf dem niedrigen Sattel hocken, die überlangen Beine einknickend und die Knie gespreizt.

Carel zieht skeptisch eine Augenbraue hoch. Von unterdrücktem Funkeln begleitet, zischt er heraus:

„Komm da runter, du machst dich lächerlich. Das ist doch Kinderkram.“

An seine derbe Tonlage sind José und Jacko aus vielen Situationen gewöhnt, das hilft Carel nicht. Sie werfen die Arme hoch, starten ein piepsendes Kauderwelsch, wollen auch ihn fahren sehen. Anton, mit einer mehr als ernsten Miene, fährt vor Carel und hält das Rad zum Aufsteigen bereit.

„Schlaumeier machen alles besser. Was hast du drauf? Lässt du dich lumpen, oder was?“

Selbst von sich überrascht, steht Anton seinem Pedant so nahe er ihm niemals wieder geraten wollte. Ihm fällt nur ein einziger abwehrender Vergleich ein. Der auf Augenhöhe gleich Große trägt, dem Winter voraus, am Bauch die Fettrollen üppiger Mahlzeiten. Das entspricht dem Gesicht, nur zeigt das nichts Weiches. Die Miene wechselt von Bestürzung und Bedrängung zu Bereitschaft. Einzig das? Ups! Mit Standby kennt Carel sich aus!

Von Carels Muster hypnotisiert und gefesselt fühlt sich Anton. Er ruft mit einem Blick bei Miguel um Hilfe. Nur ein mehrmaliges Nicken erhält Anton. Er drückt das Rad Carel an den Bauch und geht hinter die Jungen, berührt zart deren Schultern. In Kürze stöhnt er verblüfft. Carel fährt geradeaus an und betätigt, mit der Technik am Rad gänzlich unvertraut, vergeblich den Rücktritt. Wo keine Bremse wirkt, stoppt keine das Ausgleiten am Kies bei einer Wende, kein Sausen, kein Stürzen, kein hartes Landen vor dem Kräuterbeet.

Darin lag Carel mit dem Gesicht voran damals im Sommer. Erneut fehl am Platz, rappelt Carel sich auf, reibt über seine lädierten Knie, stolpert über das Rad hinweg, humpelt schon am schabenden Kies in Richtung zur Straße und verkündet in gepresster Stimmlage:

„Ich schmeiß hin, warte im Pickup auf die Fahrt zu deinem Wohnort, auf die Rosenplantage.“

Die Flucht beobachtet Miguel, und kurz darauf ertönt in seinem Bass reine Ironie.

„Glaube es, Anton, Carel wird prächtig meine Rosenernte auspressen! Solche Presstöne ergeben ungeahnte Mengen an wertvollem Oleum rosatum und dabei kann Carel die nützlichst verwenden. Aber du, Anton, lass ab vom Ärger über den, der nicht weiß, wie unnötig er kritisiert und keinen Grund für Spaß findet. Lediglich José und Jacko sollen noch eines verstehen. Carels Sturz war eine lehrreiche Vorführung.“

An dem Mountainbike rüttelt Miguel, erklärt es dann als fahrbereit. Bei seiner Runde auf dem Rad kräht er ungetrübt und froh. Danach fordert er die Jungen auf und begleitet sie bei ihren Versuchen, wobei sie frei heraus jauchzen. Anschließend vereinbart Miguel für den nächsten Mittag, die Sonne sollte warm scheinen, ihre erste Übungsstunde mit Anton, als ihrem alleinigen Begleiter. Die kindlichen Jubelschreie, die daraufhin aus den Kehlen schwappen, das unschuldige Entzücken, benötigt nirgendwo ein Sprachverständnis.

Die Begeisterung der Brüder freut Usa. Seit einiger Zeit putzt sie das Glas zwischen den Sprossen der Tür zur Wohnküche. Sie genießt ihr Tun mit einem guten Gewissen. Nur ein wenig mulmig war ihr gewesen, als sie Carel reden hörte. Usa wechselt die Tücher auf der Schulter, trocknet die Glasflächen und grinst mit breiten Wangen über die Fröhlichkeit vor der Quinta. Eine ebenso erfreuliche Aussicht wie die klare Sicht durch die Scheiben. Denn dort hindurch betrachtet sie Anton. Er hat je eine Hand auf schmalen Kinderköpfen, stolz auf die erhitzte Wärme daran, begleitet er die Jungen nach Hause.

Auf der plötzlich nur noch stillen Terrasse steht allein gelassen Miguel. Ihm nähert Usa sich, wirft spontan das Trockentuch auf ihre Schulter, wedelt mit der Hand ihren grün changierenden Rock auf und bekräftigt mit der flachen anderen Hand an der Herzzone ihre englische Rede, einfach im Ausdruck.

„Dir danke ich für unsere Entlastung, für die Distanz zu Carel. Antons Miene zeigte leider seinen Unfrieden mit dem Geologen. Er wünscht sich kaum, Carel noch einmal zu begegnen.“

„Lian riet Anton einst, als es um mich ging, den neuen Mann an Lians Seite, für seinen Umgang mit mir und sein unvertrautes Verständnis meiner Person“, antwortet Miguel in einem Usa überraschend einfühlenden Ton, „wenn er und ich ein Stück Zeit teilen, dann sollte er sich bemühen, dass es recht gut geschähe, zum Wohl der Beteiligten. Ob Anton Lians Hinweis auf meinen Arbeiter Carel ausdehnen könnte, steht in euren Sternen. Verstehst du?“

Zeitgleich seiner Andeutung, für die Usa ihm nickend still zustimmt, kommt Vera an der Außentreppe herab. Ihr folgt Ohle, von dem Vera sich mit einem zufrieden frohen Gesicht verabschiedet. Doch macht sich Ohle mit Miguel bekannt, leise englisch redend, und bindet hinein einen Rundblick über den Garten. Er reagiert nicht auf Usas zum Gruß erhobene Hand. Seine weichen Wangen zeigen ihr einen Stau an den Linien des fingerbreiten Streifens Bartstoppeln. An den Augen schläft sein impulsives Wesen, erwägt Usa, und, sein Klang in der Stimme hatte es ihr vermittelt. Die beiden Männer entfernen sich zu der Parkzone hinter der Mauer, den Stimmen lauscht Usa nur eine Weile. Sie wendet sich an Vera, ruft sie herbei mit einem Wink mit dem Putztuch.

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