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Es war bei den Versprechungen geblieben, und nun hatte er diese Kerle wieder am Hals und musste beten, dass sie ihn nicht auf deutschem Boden kompromittierten, wie das schon zweimal in den vergangenen drei Jahren geschehen war.

Diesmal hatten sie ihm vier Mann geschickt, die in Deutschland nach einem russischen Landsmann fahnden sollten, und aus der gefaxten Ankündigung ihrer Ankunft hatte er zwischen den Zeilen herauslesen können, dass es sich um einen Auftrag handelte, bei dem es blutig zugehen konnte - nein, würde - wenn sie den Betreffenden erwischten und dieser nichts zu seiner Entlastung vorzubringen hätte - was in guter Tradition nie der Fall war, wenn man den Akten glaubte.

Das war jedoch nicht das Schlimmste an der Sache, russische Geheimdienste hatten über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte immer wieder im Ausland gemordet, und sie würden es auch bis in alle Ewigkeit tun, Entspannung hin oder her; der altgediente Diplomat machte sich diesbezüglich kaum Illusionen.

Was ihn so entrüstete war, dass er - ein kompromissloser Mann des Friedens – diesen Totschlägern Hilfestellung leisten musste. Sie brauchten Waffen, Fahrzeuge, Hotelzimmer, Computerkapazität, all diese Dinge musste er sie für sie auf höchste Anweisung hin beschaffen.

Er hatte keine Ahnung, welch armer Hund diesmal dran glauben musste, er wollte es nicht auch nicht wissen, denn physische Gewalt widerte ihn an und er mochte gar nicht darüber nachdenken, ob der zu Liquidierende nun schuldig war oder einfach nur lästig.

Die Begrüßung am Nachmittag war frostig verlaufen, der alte Diplomat hatte es nicht fertiggebracht, den Ankömmlingen die Hand zu reichen oder ihnen gar Erfolg zu wünschen; wegen der zu besorgenden Dinge hatte er ihnen einen subalternen Handelssekretär zugeteilt, der sich um alles kümmern sollte. Damit war der Form von seiner Seite aus Genüge getan, mehr an Aufmerksamkeit brauchten diese Kerle von ihm auch nicht zu erwarten.

Mejibowski räumte die Unterlagen, die er vor sich liegen hatte, in den Safe und machte sich missmutig auf den Heimweg.

*

Frankfurt-Sossenheim

Igor hatte in einem russischen Lebensmittelgeschäft eine Flasche schweren grusinischen Rotweins aufgetrieben und hielt sie seiner Schwester hin, als diese ihm die Tür öffnete. Sie umarmten sich innig noch vor der Tür (für Russen brachte es Unglück, dies auf der Türschwelle zu tun), und sie bat ihn herein.

Igor war niedergeschlagen, und er hatte Angst. Aber er würde Katja nicht den Abend verderben, indem er sie mit dem Brief beunruhigte, den er von ihrem vor ein paar Tagen verstorbenen Großvater erhalten hatte. Dass sie den Mann verloren hatten, der sie jahrelang fast alleine großgezogen hatte, war schlimm genug, und er wollte seiner Schwester keinen weiteren Kummer bereiten.

Er kannte sich mit den praktischen Seiten der Atomtechnik nicht sonderlich gut aus und war damit nicht allein unter den Theoretischen Physikern. Aber er wusste, dass eine solche Menge stark strahlenden Materials - mit einem guten konventionellen Sprengstoff zur Explosion gebracht - dazu ausreichen konnte, Teile Frankfurts für längere Zeit so zu verseuchen, dass sie unbewohnbar waren, bis sie gründlich dekontaminiert worden waren. Und das war eine unglaubliche Perspektive.

Er ahnte den Zusammenhang zwischen den Informationen, die er bekommen hatte, dem Tod des Großvaters und seinen unheimlichen Begegnungen der letzten beiden Tage.

Katja hatte ukrainischen Borschtsch gemacht, den ihr Bruder so mochte. Dazu gab es frisches Baguette und den Wein, den er mitgebracht hatte. Sie redeten wenig während des Essens und gerade, als sie den Tisch abräumen wollten, klingelte das Telefon.

Katja erschrak und errötete von einer Sekunde auf die andere. Sie stand hastig auf, nahm das schnurlose Telefon aus seiner Ladestation und ging damit ins Schlafzimmer. Igor hörte nur noch, wie Katja sagte, dass es heute unmöglich sei und dass der Anrufer sich morgen wieder melden solle. Dann hatte sie die Tür hinter sich zugezogen und er hörte nicht mehr, was besprochen wurde. Ihm fiel ein, dass er dies schon zwei- oder dreimal erlebt hatte, wenn er hier war. Es war merkwürdig.

Hatte seine Schwester einen Freund oder Geliebten? Die Vorstellung, dass dieser sich mächtig ärgern musste, weil Igor immer gerade dann bei ihr war, wenn er turteln wollte, amüsierte ihn ein wenig.

Er entschied sich trotz aller Neugier dagegen, sie direkt zu fragen; wenn sie ihm etwas zu sagen hatte, würde sie das tun. Und außerdem, war er nicht seit langem der Meinung, dass Katja mit ihren beinahe achtundzwanzig Jahren langsam an eine eigene Familie denken sollte?

Als sie wieder ins Wohnzimmer kam und das Telefon zurück an seinen Platz stellte, war Igor in Gedanken wieder bei dem Brief, den er bekommen hatte. Sein Großvater hatte nie zur Panikmache geneigt. Er war ein ruhiger, ausgeglichener Mann, der dazu neigte, Aufgaben oder Probleme zuerst von allen Seiten gründlich zu beleuchten, bevor er handelte.

Diesmal musste es anders sein; auf dem Blatt Papier, welches die SD-Karte begleitet hatte, war nur eine winzige, fast unleserlich gekritzelte Nachricht gewesen. „Was hältst du davon? Wollt ihr nicht lieber nach Hause kommen? In Liebe, dein Opa. PS.: Liebste Grüße an Katja!“

Kein Vergleich zu den Briefen, die er sonst alle zwei oder drei Monate geschickt hatte und in denen er ausführlich erzählte, was er selbst so trieb (was in letzter Zeit leider nicht mehr allzu viel gewesen war) und sich ausführlich nach den Fortschritten von Igors Studium erkundigte. Kein Wort davon in dieser Notiz.

Sie räumten den Tisch ab, brachten die schmutzigen Teller in die Küche, und er trocknete das Geschirr ab, als Katja es gespült hatte. Bei solchen Gelegenheiten fühlte er sich ihr immer besonders nah. Dann war es fast wie früher zuhause in Russland.

„Wie viel brauchst du?“

Er schluckte: „Ach, Schwester, es wird mir immer peinlicher.“

„Raus damit, wie viel?“

„Hm, mit fünfhundert wäre mir sehr geholfen.“

„Oh Mann! Es ist doch gerade erst Monatsanfang. Wie machst du das bloß immer?“ Sie seufzte und ging nochmals ins Schlafzimmer.

„Eines Tages kriegst du das alles zurück.“

„Eines Tages fließt die Wolga rückwärts, mein Lieber. Hier, und komm mir vor April nicht mehr mit weiteren Notlagen. Es reicht.“

„Versprochen.“ Er starrte auf den Fünfhundert-Euro-Schein, den sie ihm hinhielt.

„Hast du’s nicht kleiner?“ Igor schaute sie misstrauisch an. Sie schüttelte den Kopf.

„Man könnte meinen, dass die bei dir auf den Bäumen wachsen.“ Aber er steckte das Geld in die Innentasche seiner zerschlissenen Lederjacke.

„Ich sollte jetzt besser verschwinden, ich muss heute Abend noch ein bisschen für die Uni arbeiten. Tschüss, Schwester, und danke, mal wieder.“ Schneller als sie etwas sagen konnte, küsste er sie auf beide Wangen und war verschwunden. So war Igor, und so würde Igor bleiben.

*

Im ICE von Bonn nach Frankfurt am Main

Die vier Russen, die erst seit gestern im Land waren, fluchten herzhaft, weil sie im Speisewagen des Zuges nicht rauchen durften. Nun ja, sagte ihr Chef, dann mussten sie eben abwechselnd die Zugtoilette aufsuchen, um zu qualmen. Er war mürrisch und besorgt, denn sie waren in einer heiklen Mission unterwegs, vielleicht in einer der heikelsten überhaupt seit der Kubakrise, wie der Grünschnäbel unter ihnen orakelt hatte, aber das war natürlich übertrieben. Ihr Auftrag war schwierig, und um ihn leise und effizient ausführen zu können, hätte er anderes, besseres Personal gebraucht. Und was taten die Bürokraten in Moskau? Sie gaben ihm einen Assistenten mit, der zu dämlich war, um mit einer Fackel in der Hand seinen eigenen Hintern zu finden, und dazu zwei Killer mit Babyface und Akne, die kaum erwachsen genug waren, um ohne Mama und Papa verreisen zu dürfen.

Der Auftrag konnte eindeutiger kaum sein: Schnappt den Jungen, quetscht ihn aus und beseitigt ihn danach.

Es würde wahrscheinlich keine Mitwisser geben, denn der junge Student hatte bei seinem Erpressungsversuch gestern Morgen immer nur in der Ich- und nie in der Wir-Form gesprochen. Die Spezialisten in der Heimat meinten deshalb, er arbeite allein und auf eigene Rechnung. Klugscheißer!

Hoffentlich blieb es bei dem einen, von dem sie wussten, dachte der erfahrene Außendienstmann. Er hatte im Gegensatz zu seinen Mitarbeitern nicht das Bedürfnis, im Blut seiner Opfer zu waten. Dieser Lebensphase war er entwachsen, und physische Gewalt wandte er nur noch an, wenn andere Mittel versagt hatten.

Sie hatten Zimmer im Hotel „Ibis Frankfurt Messe West“ gebucht, einer billigen Absteige zwar, die aber den Vorteil bot, dass sie nur einen Steinwurf entfernt von dem Studentenwohnheim lag, in dem der Junge hauste.

Sie würden ihn einen Tag lang beobachten, bevor sie sich ihm näherten, und dabei vielleicht herausfinden, ob er wirklich allein handelte. Er hatte eine um vier Jahre ältere Schwester, die in einem anderen Teil der Stadt wohnte. Das hatten sie vor ihrer Abreise herausgefunden, und vielleicht konnte es noch von Nutzen sein, wenn man dem Bengel nicht anders beikam. Familienbande unter Russen im Ausland waren stark, und hier hatte man Bruder und Schwester, die sich laut ihren Informationen sehr nahe standen.

Sie hatten Limburg passiert, in einer guten halben Stunde würden sie am Flughafen-Bahnhof aussteigen und eine S-Bahn in die Frankfurter Stadtmitte nehmen. Ihre Spesen waren so mickrig bemessen wie ihr Gehalt eigentlich eine Frechheit war für das, was sie fürs Vaterland taten. Sie konnten sich kaum ein Taxi leisten.

 

Er bestellte eine weitere Runde Bier (auch wenn ihm bei den Preisen hier im Zug schwindlig wurde) und seine Leute ließen ihn hochleben, was ihm angesichts der anderen Fahrgäste im Speisewagen, die zu ihnen hinüberschauten, einigermaßen peinlich war.

*

Südkasachstan

Die beiden Fahrer waren am Rand der totalen Erschöpfung angelangt. Sie hatten fünfzehnhundert Kilometer Horrorfahrt auf Schnee- und Eispisten hinter sich, waren beide in den vergangenen fünf Tagen und Nächten praktisch nicht zum Schlafen gekommen und besaßen kaum noch Nahrungsmittel, weil sie die Fahrtzeit falsch eingeschätzt hatten - was ihnen als gebürtigen Kasachen natürlich nicht hätte passieren dürfen. Aber sie waren auch noch nie in dieser gottverlassenen Gegend unterwegs gewesen, wo man zweihundert Kilometer fahren konnte, ohne einer einzigen Menschenseele zu begegnen, geschweige denn in ein Dorf oder gar eine Stadt zu kommen.

Noch ungefähr anderthalb Tage, dann sollten sie abgelöst werden. Laut Auftrag würden sie sich in Grenznähe mit usbekischen Mudschaheddin treffen, die mit Maultieren oder Pferden dort auf sie warteten. Diese Usbeken würden durchs Gebirge reiten und nach zwei Tagen eine Straße erreichen, an der ein weiterer Lastwagen auf sie wartete, um die Fracht zu übernehmen.

Es war vorgesehen, dass die neuen Fahrer bis kurz vor die afghanische Grenze fuhren, um in der Grenzstadt Termiz abgelöst zu werden. Pikanterweise würde dies unter den Augen ahnungsloser deutscher Soldaten geschehen, die hier einen Rückzugsraum und ein Lager jenseits ihres Einsatzes im Norden Afghanistans unterhielten.

Der Transport zum Hochseehafen Port Muhammad Bin Qasim in der Nähe von Karatschi sollte noch mindestens zehn Tage dauern, und das war in den Plänen des Vermittlers auch so berücksichtigt worden.

*

Stuttgart, Zentrale der SECURE

CIA-Agent Mike Benson erwischte es direkt an seinem ersten Arbeitstag nach dem Kurzurlaub, den er auf Teneriffa verbracht hatte, um zu schwimmen und in der Sonne zu liegen. Diese paar Tage waren viel zu schnell vorübergegangen.

Als er gegen neun Uhr morgens das Vorzimmer seines Chefs betrat, um sich zum Dienst zurückzumelden, sagte ihm Claire Montgomery, die ältliche Sekretärin, - ohne sich die Mühe zu machen, seinen Gruß zu erwidern - er solle schnellstens zum Boss reingehen, der warte schon seit sieben Uhr in der Frühe auf ihn.

„Danke, Moneypenny, bin schon unterwegs“, sagte er und klopfte an die Tür seines Chefs.

„Nennen Sie mich nicht Moneypenny, Sie Scheusal! Sie wissen genau, dass ich das nicht leiden kann! Und außerdem haben Sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit diesem James Bond, mit welchem davon auch immer.“

Aber da war Benson längst im Büro seines Vorgesetzten verschwunden.

„Hallo Sir, was gibt es denn so Dringendes, dass Sie hier mitten in der Nacht anrücken?“

„Machen Sie sich nicht lustig über mich, Benson. Wir haben unter Umständen ein Problem. Ob es wirklich eines ist, und ob es uns tatsächlich gehört, sollen Sie herausfinden.

Sie fliegen heute noch nach Russland, genauer gesagt, Tscheljabinsk am Ural, noch genauer nach Osjorsk, das liegt dort ganz in der Nähe und ist das dreckigste Kaff in unserem Sonnensystem. Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass dort ein wenig Polonium weggekommen ist, und nicht nur das, sondern auch eine größere Menge Plutonium und anderen garstigen Zeugs aus der Giftküche des Teufels. Und als wenn das nicht genug wäre, soll es auch noch auf dem Weg nach Westeuropa sein, möglicherweise zu uns nach Deutschland. Zu Anschlagszwecken, wenn unsere Lauscher das richtig interpretieren. Wir haben diesen Hinweis aus Fort Meade, und dem müssen wir nachgehen.“

„Was heißt ein wenig? So wenig wie 1994 oder 1995, als das Zeug in München auftauchte? Lohnt sich dafür solch ein Aufwand überhaupt?“ Damals waren es etwa dreihundert Gramm Plutonium gewesen, wenn er sich richtig erinnerte. Die Geschichte lag zwanzig Jahre zurück.

Der Major betrachtete seinen unverschämt braungebrannten Außenagenten nachdenklich. „Was halten Sie von etwa einhundertzwanzig bis einhundertdreißig Kilogramm strahlender Substanzen verschiedenster Sorten und unbekannter Mischung?“

„Kilo…was?“ Der Agent stieß einen leisen Pfiff aus. „Wissen wir irgendetwas Genaueres?“

„Nein, wir wissen so gut wie nichts, und deshalb sollen Sie dorthin fliegen und ein bisschen herumhorchen. Das beklaute Lager liegt in der berühmten – oder besser berüchtigten – Anlage Majak im Ural. Dort wird schon seit mehr als zwei Jahrzehnten kein kernwaffentaugliches Material mehr produziert. Sie forschen angeblich nur noch an Radionukliden und betreiben daneben eine Wiederaufbereitungsanlage. Und sie lagern - kurz gesagt - den Atomschrott des halben Landes. Klingelt da bei Ihnen etwas?“

„Oh ja“, antwortete der Agent. „Ein Großunfall im Jahre 1957. Natürlich von den Sowjets im Inland vertuscht und gegenüber dem Ausland abgestritten. Soll so schlimm wie oder sogar noch schlimmer als Tschernobyl oder Fukushima gewesen sein. Aber wir hatten damals noch nicht die Möglichkeiten, so etwas klipp und klar zu dokumentieren. Und es gab – glaube ich – noch weitere Störfälle in der Siebzigern oder Achtzigern. Die Sowjets hatten die Blauäugigkeit oder die Skrupellosigkeit, ihre radioaktiven Abwässer aus mehreren Kraftwerken jahrzehntelang munter in sämtliche umliegenden Seen und Flüsse zu leiten. Den Fisch von dort werden Sie in zehntausend Jahren noch niemandem servieren können.“

„Das ganze Gebiet war bis vor einigen Jahren militärisches Sperrgebiet, völlig abgeriegelt auf einer Fläche von fast hundert Quadratkilometern. Heute ist es zum Teil offen und auch für Ausländer zugänglich. Unsere Regierung hat sogar an dem jetzt beklauten Lager mit gebaut, das Ganze ist pikant und ein wenig peinlich auch für uns“, sagte Major Todd S. Lightbody zu seinem Schützling, den er für das momentan beste Pferd im Stall der SECURE hielt, auch wenn dieser wegen seiner unkonventionellen Arbeitsweise gelegentlich aneckte, wenn man es freundlich sagen wollte. Und – zu seinem Leidwesen - war dieser fähige junge Mann von Mitte dreißig nur eine Leihgabe der CIA und würde wohl in absehbarer Zeit wieder in die Staaten zurückkehren.

Er brachte erstklassige Beurteilungen seiner Vorgesetzten mit und verfügte über jede Menge Praxiserfahrung im Außeneinsatz. Angefangen hatte er zunächst beim FBI, weckte aber schnell die Begehrlichkeit der Agency und war nach kurzer Bedenkzeit nach Langley gewechselt. Er war mehrsprachig, durchtrainiert und gescheit.

Aber Bensons hatte auch einen dunklen Fleck in seiner Vita; es war ein Ereignis, das ihn bis an den Rand der Erträglichen und vielleicht darüber hinaus gebracht hatte.

Er war für mehrere Monate Undercover im Norden Mexikos unterwegs gewesen und hatte es geschafft, einen Drogenbaron dingfest zu machen, der den USA schon lange ein Dorn im Auge gewesen war. Aber Benson hatte den langen Atem der Drogenmafia unterschätzt. Als er zwei Jahre darauf mit seiner Verlobten einen zweiwöchigen Urlaub auf der mexikanischen Halbinsel Cancún verbrachte, explodierte sein Mietwagen und tötete die junge Frau, die an seiner Stelle in dem Wagen saß, weil sie in die nächste Stadt fahren und sich eine neue Handtasche kaufen wollte, während Benson lieber am Strand geblieben war.

Benson flippte völlig aus, quittierte noch in derselben Woche seinen Dienst, kehrte aber nach sechs Monaten zurück an seinen Arbeitsplatz. Seither erledigte er seinen Job wieder zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten. Nur lachen hatte man ihn seit dieser Gewalttat nur noch sehr selten gesehen. Er war höflich und verbindlich, blieb aber im Großen und Ganzen verschlossen; dennoch hielten die Psychologen in Langley ihn wieder für voll diensttauglich, auch wenn sie ihn in unregelmäßigen Abständen zu einem Gespräch einluden, um sich ein Bild von seiner Verfassung zu machen.

Das streng geheime SECURE-Programm, das sich aus den verschiedenen US-Abwehrdiensten rekrutierte, schien auf Benson einen wohltuenden Einfluss zu haben. Hier konnte er etwas aufbauen, in dem er all seine bisherigen Kenntnisse und Erfahrungen einbringen durfte.

„Sie reisen als Vertreter für Industriestaubsauger, wir haben dort einen Laden, mit dem wir zusammenarbeiten. Der Geschäftsführer steht auf unserer Gehaltsliste, genauer gesagt, auf der Gehaltsliste Ihrer werten Agency. Melden Sie sich alle acht Stunden bei dem Mann, damit außer Ihnen noch jemand weiß, was Sie wissen. Er kann uns im Notfall informieren.“

„Wo Sie schon die Agency erwähnen – wäre das nicht eigentlich deren Job?“

„Ja und nein“, antwortete der Major, und strich dabei seinen spärlich wachsenden Oberlippenbart. „Die sind der Auffassung, das sei Terrorbekämpfung, und sie wollen sich deshalb so lange heraushalten, bis ihnen der Präsident persönlich in den Hintern tritt. Liegt wohl mit daran, dass sie diesen Monat schon einmal ins Fettnäpfchen getreten sind. Sie haben die Sache mit Nordkorea mitbekommen?“

„Nein, Boss. Ich habe mich gründlich versteckt in den letzten Tagen. Die Chinesen hätten den dritten Weltkrieg vom Zaun brechen können und ich hätte nichts davon bemerkt. Immer zur besten Nachrichtenzeit hatte ich soziale Verpflichtungen einer hinreißenden schwedischen Blondine gegenüber, die wie ich alleine reiste. Sie verstehen.“

„Sie sind nur schwer zu ertragen, wissen Sie das?“, brummte Lightbody. „Nun, ist im Augenblick auch nicht wichtig. Gehen Sie nach Hause, packen Sie für zwei oder drei Tage. Claire bucht Ihnen Flug und Hotel. Seien Sie umsichtig und machen Sie dort keinen Lärm. Die Russen sind auf manchen Gebieten immer noch so paranoid wie zu Zeiten des Kalten Krieges, und die Sicherheit ihrer Atomanlagen ist eines dieser Gebiete, bei denen sie sich fast in die Hose machen vor Angst, dass etwas schiefgehen könnte. Wir wollen niemanden bloßstellen, sondern nur verhindern, dass etwas sehr Böses geschieht, klar?“

Benson verließ das Büro seines Chefs und grinste die Sekretärin an. „Na, haben Sie wieder gelauscht, Sie alte Schabracke?“

„Raus hier!“ Die Dame war kurz vor dem Überkochen.

„Sie buchen mir bitte erster Klasse, wie immer, ja?“

Raus!

Ein Radiergummi kam geflogen, aber der Agent duckte sich weg.

*

Frankfurt-Hausen

Igor spürte seine Verfolger. Mal war es ein Mann, der für ihn wie ein typischer Russe aussah und der die S-Bahn direkt hinter ihm betrat oder sie gemeinsam mit ihm verließ; und als er ihn auf Russisch ansprach, tat er so, als verstehe er ihn nicht.

Dann, in der U-Bahnstation, rempelte ihn jemand beinahe um, als er plötzlich stehen blieb, um die Richtung zu wechseln, weil er sich mit den Ausgängen vertan hatte. Dieser Mann sah aus, als sollte man ihm lieber nicht nachts in einem einsamen Wald begegnen. Aber Igor ignorierte diese Zeichen, oder, wenn nicht, parkte er sie irgendwo tief in seinem Unterbewusstsein, wo sie ihm nicht lästig werden konnten. Er war kein schlechter Kerl, aber er lebte meistens auf der Überholspur des Lebens, was man jungen Leuten in seinem Alter auch zugestehen musste.

Er war heute so stolz auf sich, dass er meinte, platzen zu müssen, wenn er nicht bald jemanden fände, dem er von seinem Erfolg erzählen konnte. Diesmal war es das große Los, das, auf das er immer gewartet hatte.

Seine ersten beiden Versuche waren grandiose Fehlschläge gewesen. Als er bei der deutschen Polizei vorsprechen wollte, um einen Kontakt zum BND herzustellen, sah man ihn nur mitleidig an, und als er dann für seine Informationen auch noch Geld forderte, setzte man ihn einfach mit dem gutgemeinten Rat, zuhause weiter zu träumen, an die frische Luft. Ein russischer Student, der von einem nuklearen Inferno faselte, das den Deutschen bevorstand. Selten so gelacht.

Danach versuchte er es beim amerikanischen Generalkonsulat; er reihte sich in die Schlange derjenigen ein, die vor dem streng bewachten Gelände anstanden, um ein US-Visum zu beantragen. Und als er endlich drankam, verlangte er den Stationsleiter der CIA zu sprechen. Dass es einen solchen gab, setzte er als Liebhaber von Agentenfilmen einfach voraus.

Der Beamte hatte sichtlich schlechte Laune und fragte ihn nur schwach verklausuliert, ob er bescheuert sei? Wenn er etwas zu sagen hatte, möge er dies hier und sofort tun und den Verkehr nicht aufhalten. Der Nächste, bitte!

Igor blieb hartnäckig und sagte ohne Rücksicht auf eventuell mithörende Dritte: „Sie werden es bereuen, wenn Sie mich abweisen. Hier in Frankfurt wird in allernächster Zeit etwas Teuflisches passieren. Mit russischem Atomschrott, falls Ihnen das etwas sagt.“

 

Der Beamte runzelte die Stirn.

„Wenn Sie einen Beweis für diese schwerwiegende Behauptung haben, dann geben Sie ihn her. Wenn nicht, entfernen Sie sich bitte. Grober Unfug und Irreführung amerikanischer Behörden sind strafbar.“ Allmählich wurde er sauer und in der Warteschlange hinter Igor entstand Unruhe.

„Diese Informationen könnten viele Menschenleben retten und Milliarden Dollar wert sein“ beharrte Igor. Er wollte sich nicht wegschicken lassen wie einen kleinen Jungen, obwohl er gerade den größten Knüller der jüngeren Weltgeschichte anzubieten hatte.

„Ich will eine Belohnung, und deshalb muss ich mit der CIA sprechen. Nur die wird den Wert meiner Informationen zu schätzen wissen.“

Der Botschaftsangestellte hatte genug gehört und winkte zwei MPs heran, die am Eingang Wache standen. Aber Igor erfasste rechtzeitig, was ihm drohte, und er suchte das Weite, bevor sie ihn schnappen konnten.

Als er abgekämpft und niedergeschlagen in seiner U-Bahn Richtung Studentenwohnheim saß und schon aufgeben wollte, hatte er die genialste Idee seines bisherigen Lebens.

Er konnte die geheimen Informationen den eigenen Leuten verkaufen! Den Russen! Die würden jeden Betrag zahlen, um ein PR-Desaster dieses Ausmaßes zu vermeiden. Ein paar Millionen Dollar für ihn und seine Schwester! Es war das Geschäft des Jahrhunderts!

Wie auf Knopfdruck ging es ihm wieder gut. Er wusste nicht, wie nahe ihm seine Jäger schon gekommen waren.

Katja schrak hoch und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Es hatte geklingelt, obwohl sie heute niemanden erwartete. Das war noch nie vorgekommen, außer vielleicht, wenn der Briefträger mal ein Einschreiben hatte oder die Stromableserin kam.

Die Sprechanlage war seit Wochen defekt, und wenn sie den Türdrücker betätigte, würde sie es dem Unbekannten erlauben, das Haus zu betreten und bis an ihre Wohnungstür zu kommen. Gut, sie hatte einen Türspion und konnte sich den ungebetenen Gast anschauen, bevor sie ihn abwies oder in ihre Wohnung einließ - aber wohl fühlte sie sich dabei nicht.

Sie öffnete die Haustür mit dem Summer und wartete hinter der verschlossenen Wohnungstür. Minuten vergingen und ihre Unruhe wuchs. Dann endlich hielt der Fahrstuhl auf ihrem Stockwerk.

Es war Igor.

Was willst du schon wieder?

Er kam nie unangemeldet, das hatte sie ihm so lange eingebläut, bis er es irgendwann kapiert hatte. Sie wollte nicht mit ihrem väterlichen Freund überrascht werden, und deshalb hatte ihr Bruder auch keinen Wohnungsschlüssel bekommen.

Sie sah, wie er schwer atmend vor ihrer Wohnung ankam und öffnete die Tür, bevor er klingeln konnte.

„Was ist denn mit dir los“, fragte sie, als er sich an ihr vorbei in die Wohnung drängte. „Hast du etwas ausgefressen?“ Er zog seine Jacke aus, warf sie auf das Wohnzimmersofa und ließ sich selbst in einen ihrer beiden Sessel plumpsen. Sie schob die Jacke zur Seite und nahm ihm gegenüber Platz.

„Frag mich etwas Leichteres, ich habe keine Ahnung.“

„Sind dir irgendwelche Gläubiger auf den Fersen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe all meine Schulden bezahlt. Ich habe sogar das Geld, das du mir zuletzt gegeben hast, noch nicht einmal angebrochen.“

„Was ist es dann?“

„Ich hatte vorhin im Bus das Gefühl, dass mich zwei Kerle verfolgen, die ich – einzeln allerdings – schon vorher gesehen hatte. Ich glaube, es sind Russen. Keine Ahnung, was die von mir wollen.“

Katja traute ihrem Bruder nicht recht. Aber sie konnte warten, bis er mit der Wahrheit herausrückte.

„Was willst du trinken?“

„Hast du Wodka im Haus?“

„Ist der Papst katholisch?“ Sie ging in die Küche, um welchen zu holen. Igor nutzte die Gelegenheit und steckte die gefährliche Speicherkarte tief in die Erde des Blumentopfes mit der hochgewachsenen Yucca-Palme, der zwischen Sofa und Fenster auf dem Teppich stand. Er wischte sich die Finger an seiner Jeans ab und saß wieder auf seinem Platz, als Katja mit einem „Stolitschnaja“, zurückkam. Er trank ihn hastig aus.

„Danke.“

„Was ist los mit dir, Igor?“

„Ich glaube, ich habe Mist gebaut. Ich weiß gar nicht, wo ich zu erzählen anfangen soll.“

Dann begann er seine Geschichte mit der Nachricht ihres verstorbenen Großvaters, dem gestohlenen Nuklearmaterial, der möglichen Bedrohung Frankfurts, erzählte von seinen gescheiterten Versuchen bei deutschen und amerikanischen Behörden, sein Wissen zu versilbern, beschönigte nichts und ließ auch seine letzte tollkühne Idee nicht aus, die Russen - ein klein wenig, wie er es nannte - bluten zu lassen.

„Eines kapiere ich nicht. Ich habe gestern Morgen in unserer Bonner konsularischen Vertretung angerufen und denen die Speicherkarte angeboten, zu einem fairen Preis von“ - er hüstelte verlegen – „dreieinhalb Millionen Euro. Verstehst du? Erst gestern Morgen. Aber ich werde schon seit mindestens zwei oder drei Tagen verfolgt, da bin ich mir so gut wie sicher.“

Sein Gesicht verfinsterte sich. „Das würde heißen, dass sie schon seit Tagen wissen, wer diese Informationen hat. Und woher können sie das wissen?“

Katja begriff schnell. Wahrscheinlich hatten sie ihren Opa mit diesen Informationen erwischt und ihn getötet, um ihn am Reden zu hindern. Es war ein schlimmer Gedanke, aber er ergab sich auf so einfach wie eins plus eins zwei ergab.

Das war sie also, die ganze Geschichte, abgesehen von der winzigen Kleinigkeit, dass sich die besagte Speicherkarte jetzt nicht mehr in Igors Besitz befand, sondern in dem seiner ahnungslosen Schwester. Der kleine Glücksritter hatte einfach Angst, von diesen schrägen Typen, die ihm auf den Fersen waren, mit dem kostbaren Chip erwischt zu werden. In diesem Falle wäre nämlich das schöne Geld beim Teufel. Weiter dachte er nicht.

*

Frankfurt-Rödelheim

Als er seine Schwester verließ, warteten sie schon vor dem Haus auf ihn, und weil sie zu viert waren und ihn von allen Seiten einkreisten, hatte er keine Chance zu fliehen. Sie geleiteten ihn zu einem Mietwagen, schoben ihn hinein und nahmen ihn auf der Rückbank zwischen sich.

Die Fahrt dauerte keine zehn Minuten, dann hielten sie vor einer großen Backsteinhalle ohne Beleuchtung und mit eingeworfenen Fensterscheiben. Sie stiegen aus und gingen über Glasscherben, Müll und alte Zeitungen hinweg zu einer halb offenstehenden Seitentür, die windschief in den Angeln hing. Der Ältere – offenbar der Chef der Bande – knipste eine Taschenlampe an und leuchtete die Ecken der Halle aus, worauf ein paar fette Ratten sich gestört zeigten und in Löchern verschwanden, die dem Blick der Männer entzogen waren.

In der Mitte der Halle stützte ein Stahlträger die hohe Decke, genau richtig für die Zwecke der Agenten, mit denen und mit deren Methoden sich niemand offiziell schmücken wollte. Sie stellten ihren Gefangenen mit dem Rücken gegen den Pfeiler und banden ihn mit einem Lederriemen um die Brust und einem zweiten um den Hals daran fest. Der konnte sich jetzt nur noch selbst wehtun, wenn er sich zu heftig bewegte.

Während der ganzen Zeit wurde kein einziges Wort gesprochen, und Igor wagte nicht einmal zu fragen, was diese Männer von ihm wollten. Er wusste es nur zu gut.

Jetzt übernahm der Älteste der vier das Wort, mit trügerisch sanfter Stimme. „Du kennst das sicher aus dem Kino, mein Sohn, und ich kann dir verraten, alles, was sie in diesen Filmen zeigen, ist die reine Wahrheit.“ Sein Gefangener antwortete nicht; aber was sollte er auch darauf schon erwidern.

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